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291 Umweltmeteorologie Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft 79 (2019) Nr. 7/8 - Juli/August Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres entsprechend VDI 3783 Blatt 20 Einfache Modifikationen zur Erhöhung der Robustheit des im Anhang 3 beschriebenen Verfahrens B M. Kortner Zusammenfassung Die Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschreibt zwei Verfahren zur Auswahl des repräsentativen Jahres für rechnerische Im- missionsprognosen nach TA Luft: Verfahren A (AKJahr) und Verfahren B (Methode zur Auswahl eines repräsentativen Jahres von meteorologi- schen Zeitreihen einer Station). Das Verfahren B ermittelt das repräsen- tative Jahr ausschließlich aus den gemessenen Winddaten der zu ver- wendenden Wetterstation und ist im Hinblick auf die zu prüfenden sta- tistischen Maßzahlen einfacher anzuwenden als das Verfahren A. Es ist in der Anwendung sehr praktikabel und ferner gut nachvollziehbar, er- weist sich jedoch nur als „mäßig“ robust, was sich im Einzelfall signifi- kant auf die Ergebnisse einer Ausbreitungsrechnung auswirken kann. In diesem Beitrag werden neben einem Überblick über die beiden Verfah- ren Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres entsprechend VDI 3783 Blatt 20 und Vorschläge einfacher Modi- fikationen zur Erhöhung der Robustheit des Verfahrens B vorgestellt. Abstract The guideline VDI 3783 Part 20 describes two methods for the selection of the representative year for mathematical immission pro- jections according to TA Luft: method A (AKJahr) and method B (Method for the selection of a representative year from meteorological time series of a station). Method B determines the representative year exclusively from the measured wind data of the weather station to be used and is easier to apply than method A with regard to the statistical measures to be tested. It is very practicable in its application and also well comprehensible, but proves to be only „moderately“ robust, which can have a significant effect on the results of a dispersion calculation in individual cases. In addition to an overview of the two methods, this paper presents application experiences in the determination of the representative year according to VDI 3783 Part 20 and suggestions for simple modifications to increase the robustness of method B. Procedure for the selection of the representative year for calculated immission forecasts according to TA Luft 1 Einleitung Nach Nr. 4.6.4.1 der Technischen Anleitung (TA) Luft sind die Kenngrößen für die Zusatzbelastung durch rechneri- sche Immissionsprognosen unter Verwendung des im Anhang 3 der TA Luft [1] angegebenen Berechnungsverfah- rens auf der Basis einer mittleren jährlichen Häufigkeits- verteilung oder einer repräsentativen Jahreszeitreihe (AKTerm) von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse zu bilden. Soll eine AKTerm verwendet werden, so ist für deren Erstellung zunächst ein repräsen- tatives Jahr zu ermitteln. Hierfür wird aus einem vorgege- benen Bezugszeitraum das Jahr ausgewählt, das die mitt- leren Windverhältnisse im Bezugszeitraum an der zu ver- wendenden Messstation am besten repräsentiert. Zwei mögliche objektive Verfahren zur Auswahl des reprä- sentativen Jahres werden in Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 [2] beschrieben. Das Verfahren B ermittelt das repräsentative Jahr ausschließlich aus den gemessenen Winddaten der zu verwendenden Wetterstation und ist im Hinblick auf die zu prüfenden statistischen Maßzahlen ein- facher anzuwenden als das Verfahren A (AKJahr). In den letzten Jahren hat daher das Verfahren B in der Anwendung eine etwas größere Verbreitung erlangt als das Verfahren A. Im vorliegenden Beitrag werden nach einem kurzen Über- blick über die beiden Verfahren Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres nach VDI 3783 Blatt 20 und Vorschläge einfacher Modifikationen zur Erhöhung der Robustheit des im Anhang 3 beschriebe- nen Verfahrens B vorgestellt. 2 Verfahren der VDI 3783 Blatt 20 zur Bestimmung des repräsentativen Jahres In Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 [2] werden zwei Verfahren zur Auswahl des repräsentativen Jahres beschrieben. 2.1 Verfahren A – AKJahr In dem in Anhang A3.1 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren A – AKJahr wird aus vieljährigen Zeitreihen von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Häufigkeit der Ausbreitungsklassen das Jahr ermittelt, das in den Kriterien „Windrichtungsverteilung“, „Nacht- und Schwachwindverteilung“, „Windgeschwindigkeit“ und „Ausbreitungsklassenhäufigkeit“ den jeweiligen vieljäh- rigen Mittelwerten am nächsten kommt. Dazu werden die vorliegenden Daten im Wesentlichen zwei statistischen Verfahren unterzogen, die die Abweichungen vom jeweili- gen vieljährigen Mittel der genannten Parameter quantifi- zieren. Zum einen werden für jeden der vier zu bewertenden Para- meter die Abweichungen jeder Klasse in den Einzeljahren zum Mittel aller Jahre multipliziert mit dem Anteil des viel- jährigen Mittels der betrachteten Klasse bestimmt. Aus den einzelnen Abweichungen wird für das gesamte Einzeljahr die Summe der 2 -Terme der verwendeten Parameter als Jahresabweichung berechnet und einer Gewichtung „hin- sichtlich der Bedeutung des Parameters für die Ausbrei- tungsrechnung“ unterzogen. Außerdem erfolgt für jedes Jahr der Datenreihe die Ermittlung der Fälle, in denen die Klassen der untersuchten Parameter innerhalb der Stan- dardabweichung, der sogenannten Sigma-Umgebung, um den vieljährigen Mittelwert liegen. Dabei kommen die Jahre mit den höchsten Gesamttrefferquoten dem reprä- sentativen Jahr am nächsten. Dipl.-Geoökol. Michael Kortner, Fa. Müller-BBM, Linsengericht.

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    Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft79 (2019) Nr. 7/8 - Juli/August

    Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres entsprechend VDI 3783 Blatt 20Einfache Modifikationen zur Erhöhung der Robustheit des im Anhang 3 beschriebenen Verfahrens B

    M. Kortner

    Zusammenfassung Die Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschreibt zwei Verfahren zur Auswahl des repräsentativen Jahres für rechnerische Im-missionsprognosen nach TA Luft: Verfahren A (AKJahr) und Verfahren B (Methode zur Auswahl eines repräsentativen Jahres von meteorologi-schen Zeitreihen einer Station). Das Verfahren B ermittelt das repräsen-tative Jahr ausschließlich aus den gemessenen Winddaten der zu ver-wendenden Wetterstation und ist im Hinblick auf die zu prüfenden sta-tistischen Maßzahlen einfacher anzuwenden als das Verfahren A. Es ist in der Anwendung sehr praktikabel und ferner gut nachvollziehbar, er-weist sich jedoch nur als „mäßig“ robust, was sich im Einzelfall signifi-kant auf die Ergebnisse einer Ausbreitungsrechnung auswirken kann. In diesem Beitrag werden neben einem Überblick über die beiden Verfah-ren Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres entsprechend VDI 3783 Blatt 20 und Vorschläge einfacher Modi-fikationen zur Erhöhung der Robustheit des Verfahrens B vorgestellt.

    Abstract The guideline VDI 3783 Part 20 describes two methods for the selection of the representative year for mathematical immission pro-jections according to TA Luft: method A (AKJahr) and method B (Method for the selection of a representative year from meteorological time series of a station). Method B determines the representative year exclusively from the measured wind data of the weather station to be used and is easier to apply than method A with regard to the statistical measures to be tested. It is very practicable in its application and also well comprehensible, but proves to be only „moderately“ robust, which can have a significant effect on the results of a dispersion calculation in individual cases. In addition to an overview of the two methods, this paper presents application experiences in the determination of the representative year according to VDI 3783 Part 20 and suggestions for simple modifications to increase the robustness of method B.

    Procedure for the selection of the representative year for calculated immission forecasts according to TA Luft

    1 Einleitung

    Nach Nr. 4.6.4.1 der Technischen Anleitung (TA) Luft sind die Kenngrößen für die Zusatzbelastung durch rechneri-sche Immissionsprognosen unter Verwendung des im Anhang 3 der TA Luft [1] angegebenen Berechnungsverfah-rens auf der Basis einer mittleren jährlichen Häufigkeits-verteilung oder einer repräsentativen Jahreszeitreihe (AKTerm) von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse zu bilden. Soll eine AKTerm verwendet werden, so ist für deren Erstellung zunächst ein repräsen-tatives Jahr zu ermitteln. Hierfür wird aus einem vorgege-benen Bezugszeitraum das Jahr ausgewählt, das die mitt-

    leren Windverhältnisse im Bezugszeitraum an der zu ver-wendenden Messstation am besten repräsentiert.Zwei mögliche objektive Verfahren zur Auswahl des reprä-sentativen Jahres werden in Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 [2] beschrieben. Das Verfahren B ermittelt das repräsentative Jahr ausschließlich aus den gemessenen Winddaten der zu verwendenden Wetterstation und ist im Hinblick auf die zu prüfenden statistischen Maßzahlen ein-facher anzuwenden als das Verfahren A (AKJahr). In den letzten Jahren hat daher das Verfahren B in der Anwendung eine etwas größere Verbreitung erlangt als das Verfahren A.Im vorliegenden Beitrag werden nach einem kurzen Über-blick über die beiden Verfahren Anwendungserfahrungen in der Bestimmung des repräsentativen Jahres nach VDI 3783 Blatt 20 und Vorschläge einfacher Modifikationen zur Erhöhung der Robustheit des im Anhang 3 beschriebe-nen Verfahrens B vorgestellt.

    2 Verfahren der VDI 3783 Blatt 20 zur Bestimmung des repräsentativen Jahres

    In Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 [2] werden zwei Verfahren zur Auswahl des repräsentativen Jahres beschrieben.

    2.1 Verfahren A – AKJahrIn dem in Anhang A3.1 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren A – AKJahr wird aus vieljährigen Zeitreihen von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Häufigkeit der Ausbreitungsklassen das Jahr ermittelt, das in den Kriterien „Windrichtungsverteilung“, „Nacht- und Schwachwindverteilung“, „Windgeschwindigkeit“ und „Ausbreitungsklassenhäufigkeit“ den jeweiligen vieljäh-rigen Mittelwerten am nächsten kommt. Dazu werden die vorliegenden Daten im Wesentlichen zwei statistischen Verfahren unterzogen, die die Abweichungen vom jeweili-gen vieljährigen Mittel der genannten Parameter quantifi-zieren.Zum einen werden für jeden der vier zu bewertenden Para-meter die Abweichungen jeder Klasse in den Einzeljahren zum Mittel aller Jahre multipliziert mit dem Anteil des viel-jährigen Mittels der betrachteten Klasse bestimmt. Aus den einzelnen Abweichungen wird für das gesamte Einzeljahr die Summe der χ2-Terme der verwendeten Parameter als Jahresabweichung berechnet und einer Gewichtung „hin-sichtlich der Bedeutung des Parameters für die Ausbrei-tungsrechnung“ unterzogen. Außerdem erfolgt für jedes Jahr der Datenreihe die Ermittlung der Fälle, in denen die Klassen der untersuchten Parameter innerhalb der Stan-dardabweichung, der sogenannten Sigma-Umgebung, um den vieljährigen Mittelwert liegen. Dabei kommen die Jahre mit den höchsten Gesamttrefferquoten dem reprä-sentativen Jahr am nächsten.

    Dipl.-Geoökol. Michael Kortner, Fa. Müller-BBM, Linsengericht.

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    Aus den Rangfolgen der χ2-Terme und der Sigma-Umge-bung lässt sich dann das für Ausbreitungsrechnungen zu verwendende repräsentative Jahr bestimmen. Jedes vor-geschlagene Kandidatenjahr ist auf seine Plausibilität mit-tels eines Vergleichs in der Struktur der Windrichtungsver-teilung sowie der Übereinstimmung mit der Häufigkeits-verteilung der Ausbreitungsklassenverteilung, jeweils im vieljährigen Mittel, zu prüfen.

    2.2 Verfahren B – Methode zur Auswahl eines repräsentati-ven Jahres von meteorologischen Zeitreihen einer StationIn dem in Anhang A3.2 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren B (Methode zur Auswahl eines repräsentativen Jahres von meteorologischen Zeitreihen einer Station) wird aus den Stundenzeitreihen der zur Ver-fügung stehenden Messjahre einer Station eine Klassierung der Windrichtung in 30°-Sektoren vorgenommen (Para-meter i = 1). Die Windgeschwindigkeit ist ebenfalls in ge -eigneter Weise zu klassieren (z. B. Klassierung nach VDI 3782 Blatt 6 [3], Anhang 3 der TA Luft oder äquidistante Geschwindigkeitsklassen, Parameter i = 2). Die Klassierung wird mit den Stundenwerten der Einzeljahre n als auch mit den Stundenwerten des vieljährigen Gesamtzeitraums der meteorologischen Reihe vorgenommen. Für alle Einzel-jahre n wird aus den relativen Anteilen nach Gleichung A5 [2] das Abweichungsmaß An (bezogen auf das langjährige Mittel) für beide Parameter bestimmt. Das Abweichungs-maß An für einen Parameter ist darstellbar als:

    Bezogen auf das Einzeljahr mit dem geringsten Abwei-chungsmaß werden im Anschluss die Abweichungsmaße An der Einzeljahre je Parameter i auf den Wert 100 normiert. Zur Beurteilung der Parameter Windrichtung und Wind-geschwindigkeit werden die normierten Abweichungsmaße An im Verhältnis 3 : 1 gewichtet addiert und ergeben die Beurteilungsgröße (BGn):

    Bei entsprechender Sortierung der Einzeljahre über die Beurteilungsgröße wird ersichtlich, welche Einzeljahre dem gesamten Bezugszeitraum am ähnlichsten sind (bei höherer Wichtung der Windrichtung).

    3 Anwendungserfahrungen, insbesondere zu Verfahren B

    In den letzten Jahren hat nach Erfahrungen bzw. subjek -tivem Eindruck des Verfassers das im Anhang A3.2 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 dargestellte Verfahren B in der

    A p p

    pxm

    n m,i n,i2

    mit H ufigkeit des Sektors/Klassela

    = ∑( )– ( )1ä

    nngjähriges Mittel Windrichi ttungssektor/WindgeschwindigkeitsklasseEinzeljahrn

    BG A A

    A

    n n,wr n,wg

    n,wrmit Abweichungsma der Windrich

    = ⋅ +3 4 1 4 2( )

    ß ttungAbweichungsma der Windgeschwindigkeit n,wgA ß

    Bild. Häufigkeitsverteilungen der Windrichtung (oben links), der Windgeschwindigkeit (unten links) und der Ausbreitungsklassen (unten rechts) im gesamten Bezugszeitraum sowie in den Einzeljahren des Bezugszeitraums. Oben rechts sind ergänzend die Häufigkeitsverteilungen der Windrichtung für den Gesamtzeitraum sowie die repräsentativen Jahre 2016 (nach klassischem Verfahren, s. u.) sowie 2011 (mit vorgeschlagenen Modifikationen) in Rosenform dargestellt.

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    Anwendung eine im Vergleich etwas höhere Verbreitung erlangt. Mit diesem kann das repräsentative Jahr aus-schließlich aus den gemessenen Winddaten der zu verwen-denden Wetterstation ermittelt werden. Dieses ist im Hin-blick auf die zu prüfenden statistischen Maßzahlen „ein-facher“ als das Verfahren A (AKJahr). Das Verfahren B ist daher in der Anwendung sehr praktikabel und ferner gut nachvollziehbar, erweist sich jedoch bei wortgenauer Umsetzung nur als „mäßig“ robust. Die wesentlichen Schwachpunkte im Hinblick auf die Robustheit des Verfah-rens werden nachfolgend vorgestellt.

    3.1 Schwachpunkt „quasi-exakte“ Übereinstimmung einer GrößeDie feste Normierung der Abweichungsmaße An der Einzel-jahre je Parameter bezogen auf das Einzeljahr mit dem geringsten Abweichungsmaß und dem Wert 100 bedingt, dass sich bei einer sehr guten („quasi-exakten“) Überein-stimmung eines einzelnen Jahres bezüglich einer einzel-nen Größe (Windrichtungs- oder Windgeschwindigkeits-verteilung) sehr hohe Abweichungsmaße für die anderen Jahre ergeben. Dies geschieht selbst, wenn diese objektiv ebenfalls nur relativ gering vom Mittelwert abweichen. Wesentlichere Abweichungen in den anderen Größen kön-

    nen dann gegebenenfalls nur unterge-ordnet in die Beurteilungsgröße zur Bestimmung des repräsentativen Jah-res eingehen, und es erfolgt aus fachli-cher Sicht eine unbefriedigende Aus-wahl.Das Bild stellt die Windrichtungs- und Windgeschwindigkeitshäufigkeitsver-teilungen einer exemplarischen DWD1)- Station [4] sowohl im Mittel als auch in den Einzeljahren eines ins-gesamt siebenjährigen Bezugszeit-raums (diejenigen Jahrgänge des Gesamtbezugszeitraums 2009 bis 2018, für die die Datendichte der Winddaten bei mindestens 90 % der Jahresstun-den liegt) dar. Tabelle 1 zeigt die für die Einzeljahre dieses Datenkollektivs [4] abgeleiteten absoluten und nor-mierten Abweichungsmaße sowie das Mittel der Varianzen über die jeweils für die betrachteten Größen Windrich-tung und Windgeschwindigkeit gebil-deten Klassen (Fallbeispiel). Es ist zu erkennen, dass die gute Über-einstimmung der Windgeschwindig-keitsverteilung im Jahr 2016 zu hohen normierten Abweichungsmaßen für die Mehrzahl der anderen Jahre führt, obgleich sich auch die Abweichungen für diese teils deutlich unterhalb des Mittelwerts der Varianzen bewegen (vgl. Jahrgänge 2009, 2010, 2015 und 2016). Die resultierende hohe Spreizung in der Rangliste der Abweichungsmaße

    für die Windgeschwindigkeitsvertei lung dominiert im vor-liegenden Fallbeispiel trotz der drei- fach so hohen Gewich-tung des Abweichungsmaßes der Windrichtungsverteilung die Bildung der Beurteilungsgröße. Substantiellere (und über die mittlere Varianz hinausgehende) Abweichungen der Windrichtungsverteilung – bei im Vergleich höherer Abweichung des dem Mittel am nächsten kommenden Jah-res von den mittleren Verhältnissen – kommen dann ggf. nicht maßgeblich zum Tragen. Bei „blinder“ Entscheidung anhand der Rangfolge der Beurteilungsgröße kann somit ein Jahr ausgewählt werden, das hinsichtlich der Windrich-tungsverteilung (bzw. der im normierten Abweichungsmaß weniger spreizenden Größe) schlechter zu bewerten ist und auch absolut signifikant vom Mittelwert abweicht, obgleich die Differenzen der für die Auswahl entscheidenden Größe zwischen dem bestplatzierten und den im Rang folgenden Jahren weitaus geringer ausfallen. Ferner führt die Normierung gemäß der mittleren Abwei-chung des am besten übereinstimmenden Jahres dazu, dass sich die Reihenfolge der Folgeränge in der Beurteilungs-größe bei Wegfall des bestplatzierten Jahres aus der Wer-tung (nicht an der Mittelwertbildung!) ändern kann (zum Beispiel aufgrund zu geringer Datendichte des Bede-ckungsgrads). So wird im vorliegenden Fallbeispiel das vor-mals auf sieben Jahrgängen fünftplatzierte Jahr 2011 durch Entnahme des Jahres 2016 aus der Wertung zum bestplat-zierten Jahr, obgleich sich an den Absolutabständen zum 1) DWD: Deutscher Wetterdienst

    Jahr

    Windrichtung An,wr

    Windgeschwindig-keit An,wg

    Beurteilungsgröße BGn

    Rang BGn

    Normiert auf 100 für kleinste mittlere quadratische Abweichung2009 509 523 512 32010 475 427 463 22011 100 3379 920 52015 324 1143 529 42016 404 100 328 12017 973 1109 1007 62018 615 2736 1146 7 Mittlere quadratische Abweichung der prozentualen Klassenhäufigkeiten,

    absolut2009 4,34 0,54 2010 4,05 0,44 2011 0,85 3,51 2015 2,77 1,19 2016 3,45 0,10 2017 8,30 1,15 2018 5,25 2,84 Mittlere Varianz

    4,84 1,63

    Normiert auf 100 für kleinste mittlere quadratische Abweichung, ohne das Jahr 2016

    2009 509 122 412 42010 475 100 381 32011 100 792 273 12015 324 268 310 22017 973 260 794 62018 615 641 622 5

    Tabelle 1. Bestimmung des repräsentativen Jahres für die exemplarische DWD-Station nach dem in Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren B, mit (oben) und ohne (unten) Wertung des Jahres 2016 (Erläuterungen im Text) sowie absolute Abweichungsmaße für die betrachteten Größen in den Einzeljahren und mittlere Klassenvarianz für die Größen im Gesamtzeitraum.

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    jeweiligen Mittelwert keine Änderungen ergeben (siehe Tabelle 1). Das heißt, aus dem Verfahren ergibt sich kein objektiv am zweit- oder drittbesten übereinstimmendes Jahr.

    3.2 Schwachpunkt fehlende Berücksichtigung der StabilitätsinformationDie alleinige Beurteilung auf der Basis der jährlichen Ver-teilungen der Windrichtungen und -geschwindigkeiten erweist sich als anfällig gegenüber den durch das Verfahren nicht berücksichtigten Variabilitäten der jahres- und tages-zeitlichen Verteilung dieser Größen sowie deren Kopplung

    mit der Wolkenbedeckung. Treten bei-spielsweise schwachwindige Situatio-nen im Vergleich zum langjährigen Mittel verstärkt während austausch-armer winterlicher Situationen auf und werden über das Gesamtjahr durch entsprechend windstärkere Situationen in einem verhältnismäßig wechselhaf-ten Sommer kompensiert, kann sich eine in Vergleich zum Mittelwert deut-lich stärker durch stabile Situationen geprägte Verteilung der Ausbreitungs-klassen ergeben. Auch ist gegebenen-falls eine andere Kopplung der Aus-breitungsklassenverteilung an die Wind -richtungsverteilung zu erwarten als in einem hinsichtlich der Windgeschwin-digkeits- und Windrichtungsverteilung vergleichbaren Gesamtjahr, in dem z. B. ein windschwacher Sommer einem durch häufige Westlagen ge prägten und daher windstärkeren Win ter gegen -über steht. So können – insbesondere an aus-geprägten Talstandorten – die Abwei-chungen zweier in der Repräsentativi-tätsbewertung nach Anhang A3.2 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 für die Windgeschwindigkeit vergleichbarer Einzeljahre substanziell in der Häufig-keit der stabilen Ausbreitungsklassen I und II voneinander abweichen (nach eigenen Erfahrungen bis zu zehn Pro-zent der Jahresstunden!).Im Ergebnis kann dieser Zusammen-hang somit zur Ermittlung repräsenta-tiver Jahre führen, die im Hinblick auf die Verteilung der Stabilitätsklassen nicht repräsentativ sind. Bei Anwen-dung entsprechender Datensätze in der Ausbreitungsrechnung kann sich dies ergebnisrelevant auswirken.Auch im vorliegend dargestellten Fall-beispiel der Bestimmung des repräsen-tativen Jahres für die oben diskutierte DWD-Station ergibt sich im Abwei-chungsmaß für die Größe Ausbrei-tungsklasse eine vom Abweichungs-maß der Größe Windgeschwindigkeit abweichende Rangfolge. So stellt bei-spielsweise das nach der Windge -

    schwindigkeitsverteilung am besten mit dem Mittelwert übereinstimmende Jahr 2016 im Hinblick auf die Ausbrei-tungsklassenverteilung nur das fünftplatzierte Jahr dar (Tabelle 2) und weist in Bezug auf das Mittel des Bezugs-zeitraums mit die größte Abweichung in der Häufigkeit der Ausbreitungsklasse I (an die typischerweise Kaltluftsitua-tionen gebunden sind) auf (Bild).

    4 Vorschläge zur robusteren Gestaltung des Verfahrens

    Das Verfahren B, beschrieben in der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20, kann durch einfache, in Anlehnung an Verfahren A

    Jahr

    Windrichtung An,wr

    Windgeschwindig-keit An,wg

    Beurteilungsgröße BGn

    Rang BGn

    Normiert auf 100 bezogen auf Mittelwert der Klassenvarianz2009 90 33 76 52010 84 27 70 42011 18 215 67 32015 57 73 61 22016 71 6 55 12017 172 71 146 72018 109 174 125 6 Normiert auf 100 bezogen auf Mittelwert der Klassenvarianz, Minimalwert

    0,46 * Mittelwert der Klassenvarianz2009 90 46 79 42010 84 46 74 32011 46 215 88 52015 57 73 61 12016 71 46 65 22017 172 71 146 72018 109 174 125 6

    Tabelle 3. Bestimmung des repräsentativen Jahres für die exemplarische DWD-Station nach dem in Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren B, unter Normierung der Abweichungsmaße auf die mittlere Klassenvarianz für die jeweilige Größen im Gesamtzeitraum, ohne (oben) und mit (unten) Mini-malwertfestlegung für das normierte Abweichungsmaß in Höhe von 0,46 * Mittelwert der Klassenvarianz.

    Jahr

    Windrichtung An,wr Windgeschwindigkeit An,wg

    Ausbreitungsklasse An,AK

    Normiert auf 100 für kleinste mittlere quadratische Abweichung2009 509 523 2432010 475 427 5582011 100 3379 1682015 324 1143 1002016 404 100 3272017 973 1109 6782018 615 2736 310 Mittlere quadratische Abweichung der prozentualen Klassen

    häufigkeiten, absolut2009 4,34 0,54 1,252010 4,05 0,44 2,872011 0,85 3,51 0,872015 2,77 1,19 0,512016 3,45 0,10 1,682017 8,30 1,15 3,492018 5,25 2,84 1,59Mittlere Varianz 4,84 1,63 2,02

    Tabelle 2. Absolute (unten) und auf Wert im besten Einzeljahr normierte Abweichungsmaße für die Größen Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse.

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    vorgeschlagene Modifikationen robus-ter gestaltet werden.

    4.1 Schwachpunkt „quasi-exakte“ Über-einstimmung einer GrößeHier wird vorgeschlagen, anstelle der Normierung auf das Einzeljahr mit dem geringsten Abweichungsmaß eine Nor-mierung auf ein statistisches Streu-ungsmaß, z. B. den Mittelwert der Vari-anzen der Häufigkeiten in den einzel-nen Klassen durchzuführen. Ggf. kann zusätzlich ein Mindestabweichungs-maß, z. B. das 0,675² ≈ 0,46-fache des Mittelwerts der Varianzen (maximaler Abstand zum Erwartungswert von 50 % des Kollektivs) in Betracht kommen, um eine Überinterpretation kleiner Unterschiede zwischen an und für sich gleichwertigen Jahren zu vermeiden. Im Hinblick auf das Fallbeispiel 1 ergibt sich mit dieser Modifikation (Normie-rung anhand der Standardabweichung, ohne Mindestabweichungsmaß) das in Tabelle 3 dargestellte Ergebnis. Es zeigt sich, dass nun die alleinige Ergeb-nisprägung durch die in 2016 sehr gut übereinstimmende Windgeschwindig-keitsverteilung aufgehoben wird und eine stimmigere – im vorliegenden Fall weniger akzentuierte – Bestimmung des repräsentativen Jahres erfolgt. Fer-ner ergibt sich durch die vorgeschla-gene Modifikation eine Rangliste der Einzeljahre, die unabhängig vom Abweichungsmaß des bestplatzierten Jahres ist und damit die Abweichung vom Erwartungswert robuster bewertet.

    4.2 Schwachpunkt fehlende Berücksichtigung Stabilitätsin-formationDer Schwachpunkt der fehlenden Berücksichtigung der Stabilitätsinformation kann einfach beseitigt werden, indem das Abweichungsmaß für die Verteilung der Ausbrei-tungsklassen, ggf. unter den Prämissen des vorangegange-nen Abschnitts, entweder als zusätzliche Größe oder anstelle der Windgeschwindigkeitsverteilung (die implizit in der Verteilung der Ausbreitungsklassen enthalten ist) direkt in die Bestimmung des repräsentativen Jahres ein-geht. Tabelle 4 verdeutlicht für das dargestellte Fallbeispiel das Ergebnis der alternativen Bestimmung des repräsentativen Jahres unter Berücksichtigung der Häufigkeitsverteilung der Ausbreitungsklassen anstelle der Windgeschwindig-keitsverteilung (Gewichtung in Beurteilungsgröße ein Vier-tel). Aufgrund des Sachverhalts, dass keines der Einzeljahre im Hinblick auf die Häufigkeitsverteilung der Ausbreitungs-klassen eine „quasi-exakte“ Übereinstimmung mit dem Mittelwert des Bezugszeitraums aufweisen, ergeben sich keine ergebnisrelevanten Auswirkungen des Normierungs-verfahrens.

    5 Fazit und Ausblick

    Das Verfahren B ist in der Anwendung sehr praktikabel und ferner gut nachvollziehbar sowie „objektiv“ und repro-duzierbar, erweist sich jedoch nur als „mäßig“ robust.So kann eine sehr gute („quasi-exakte“) Übereinstimmung eines einzelnen Jahres bezüglich einer einzelnen Größe (Windrichtungs- oder Windgeschwindigkeitsverteilung) über das hieraus resultierende hohe Abweichungsmaß für die anderen Jahre – selbst wenn diese objektiv ebenfalls nur relativ gering vom Mittelwert abweichen – dazu führen, dass wesentlichere Abweichungen in den anderen Größen nur untergeordnet in die Beurteilungsgröße zur Bestim-mung des repräsentativen Jahres eingehen und damit eine aus fachlicher Sicht unbefriedigende Auswahl erfolgt. Außerdem ergibt sich – obgleich diese objektiv sein sollte – keine von den individuellen Abweichungsmaßen des best-platzierten Jahres unabhängige Rangfolge der nachplatzier-ten Jahre.Ferner erweist sich die alleinige Beurteilung auf der Basis der jährlichen Verteilungen der Windrichtungen und Wind-geschwindigkeiten als anfällig gegenüber den durch das Verfahren nicht berücksichtigten Variabilitäten der jahres- und tageszeitlichen Verteilung dieser Größen. Im Ergebnis kann dies zur Ermittlung repräsentativer Jahre führen, die im Hinblick auf die Verteilung der Stabilitätsklassen nicht repräsentativ sind.

    Jahr

    Windrichtung An,wr

    Ausbreitungsklasse An,AK

    Beurteilungsgröße BGn

    Rang BGn

    Normiert auf 100 für kleinste mittlere quadratische Abweichung2009 509 243 442 42010 475 558 495 52011 100 168 117 12015 324 100 268 22016 404 327 385 32017 973 678 899 72018 615 310 539 6 Normiert auf 100 bezogen auf Mittelwert der Klassenvarianz2009 90 62 83 42010 84 142 98 52011 18 43 24 12015 57 26 49 22016 71 83 74 32017 172 173 172 72018 109 79 101 6 Normiert auf 100 bezogen auf Mittelwert der Klassenvarianz, Minimalwert

    0,46 * Mittelwert der Klassenvarianz2009 90 62 83 42010 84 142 98 52011 46 50 47 12015 57 50 55 22016 71 83 74 32017 172 173 172 72018 109 79 101 6

    Tabelle 4. Bestimmung des repräsentativen Jahres für die exemplarische DWD-Station nach dem in Anhang A3 der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 beschriebenen Verfahren B, unter Ersatz der betrachteten Größe Windge-schwindigkeit durch die Ausbreitungsklasse und in Anwendung der vorgestellten Normierungsverfahren für die Abweichungsmaße; oben: Normierung auf Wert im besten Einzeljahr = 100; Mitte: Normierung auf die mittlere Klassenvarianz für die jeweilige Größen im Gesamtzeitraum, ohne Minimalwertfestlegung; unten: mit Minimalwertfestlegung für das normierte Abweichungsmaß in Höhe von 0,46 * Mittelwert der Klassen-varianz.

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    Umweltmeteorologie

    Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft 79 (2019) Nr. 7/8 - Juli/August

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    Literatur[1] Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissi-

    onsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) vom 24. Juli 2002. GMBl. (2002) Nr. 25-29, S. 511-605.

    [2] VDI 3783 Blatt 20: Umweltmeteorologie; Übertragbarkeits-prüfung meteorologischer Daten zur Anwendung im Rahmen der TA Luft; März 2017. Berlin: Beuth 2017.

    [3] VDI 3782 Blatt 6: Umweltmeteorologie; Atmosphärische Aus-breitungsmodelle; Bestimmung der Ausbreitungsklassen nach Klug/Manier; April 2017. Berlin: Beuth 2017.

    [4] Meteorologische Zeitreihen (Wind und Bedeckung) einer exemplarischen DWD-Station, abgerufen am 4.4.2019 unter: ftp://ftp-cdc.dwd.de/pub/CDC/observations_germany/ climate/hourly/wind/historical/ und ftp://ftp-cdc.dwd.de/pub/CDC/observations_germany/climate/hourly/cloudiness/historical/

    Beide Schwachpunkte können sich im Einzelfall signifikant auf die Ergebnisse einer Ausbreitungsrechnung auswirken. Das Verfahren B der Richtlinie VDI 3783 Blatt 20 kann aber durch einfache, in Anlehnung an Verfahren A vorgeschla-gene Modifikationen robuster gestaltet werden. Alternativ kommt direkt die Anwendung des Verfahrens A in Betracht.

    Unabhängig davon zeigen die Fallbeispiele, dass beide Ver-fahren, insbesondere aber Verfahren B, keinesfalls „blind“ angewendet werden sollten. Vielmehr sollte das Ergebnis immer fachkundig auf seine meteorologische Stimmigkeit hin beurteilt werden.