AP 4-2011 - Story Paul Simon aus AG 4-2011

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AKTUELLE PRODUKTION STORY Zeitlos Paul Simon · Frage: Wer verfügt über die Beobach- tungs- und Formulierungsgabe eines Dichters, die melodische Überzeugungskraft eines Pop- Songwriters, das Gitarrenspiel eines Folk-Pickers, die stilisti- sche Neugier eines Weltmusi- kers, das sensible Gehör eines Tontechnikers, den scharfen Verstand eines Musikprodu- zenten und die moralische Autorität eines Mannes, der mit seiner Musik in Anstand und Würde älter werden will? Antwort: Paul Simon natürlich, dessen neues Album wieder ein Ereignis ist – und es ist eine Geschichte wert. Von Michael Lohr 36 AKUSTIK GITARRE 4/11 in Songbook enthält Texte, Noten, Gitarrenakkordsymbole, Klavierbeglei- tungen. ‚Songs Of Paul Simon’ von 1973, aber bietet zusätzlich eine „In- troduction“: Auf zwei Seiten legt der Musiker nüchtern dar, wie seine Lieder entstehen. Her- umklimpern auf der Gitarre, am besten in Ton- arten, in denen er sich weniger gut auskenne – um nicht ständig in die gleichen Akkord- wechsel zu verfallen. Dazu unbewusst Wörter singen, die gut klingen, ohne Rücksicht auf deren Sinn – bis eine Wortfolge entsteht, die natürlich klingt und eine Bedeutung besitzt. Hat sich eine solche Zeile bei ihm festgesetzt, baut er einen Song drum herum. Dabei greift Simon alles Wort- und Tonmaterial auf, was als merk-würdig in seinem mentalen Arbeits- speicher hängen bleibt. Sarkastische Triviali- tät. ‚Mother And Child Reunion’ etwa verdankt seinen Namen einem chinesischen Gericht mit gekochten Eiern und gebratenem Hühnchen. Die griffige Kurzanleitung zum kreativen Schreiben liefert nebenbei einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was Simons Kunst auszeichnet: große Vielschichtigkeit dank ei- nes immer wechselnden spontanen, bewusst handwerklichen und selbstkritischen Prozes- ses über mehrere Arbeitsgänge hinweg. Die Motivation: Neugier und Freude am Tüfteln. „I think my next songs will be better“, schließt Simons „Einführung“ lakonisch. Wer in Simon noch immer den traurigen Folkie sieht, der den gescheiterten „Boxer“ besingt, übersieht die Kleinigkeit von 40 Jahren und ein Dutzend stilistisch, thematisch und pro- duktionstechnisch deutlich unterschiedliche Soloalben. 1970, mitten im Megaerfolg von ‚Bridge Over Troubled Water’, verabschiedet sich Simon nicht nur vom Duopartner Garfun- kel, sondern auch vom großen Sound-Aufwand ihres letzten gemeinsamen Werkes. Stattdes- sen orientiert er sich an Jesse Winchesters rootsigem Debütalbum mit karger Instrumen- tierung und brillanten Texten – allerdings auf seine persönliche Art. FOTO: MARK SELIGER Paul Simon: So Beautiful Or So What (2011, Concord) Kein Hauch von Alter in der Stimme, keine Spur Nostalgie in den Texten, keine sentimentale Religiosität im Angesicht der eigenen grauen Haare: Humorvoll, schlank und elegant, modern und zugleich zeitlos kommt die Musik des fast 70-Jährigen daher, weltgewandt, gesättigt von menschenfreundlich-selbstkritischer Spi- ritualität und gesundem Sarkasmus. Balladen wie ‚Questions For The Angels’ berühren mit tiefer Zartheit, Groove-Songs wie ‚Love Is Eternal Sacred Light’ reißen einfach mit. Solche Titelgebungen zeigen Simon auf Sinnsuche – verraten jedoch zunächst nicht, welch ein Kaleidoskop an Empfindungen, Überlegun- gen, Beobachtungen und Ironien der Amerikaner da einfließen lässt. Auch die Musik dieses ebenso tiefen wie leichtfüßigen Albums speist sich aus zahllosen Quellen entlang Simons langem Weg: Anmutiges Folk-Gitarrenspiel, Percussion aus aller Welt, Flüssigkeit afrikanischer E-Gitarren, Heiterkeit karibischer Rhythmen, alles mit dem Fluss kristallklarer Melodien. Man genießt jede Sekunde eines Albums, das dem Hörer den Glauben an Intelligenz und Substanz von Pop-Musik zurückgibt. Michael Lohr Paul Simon: Still a star after all these years

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Paul Simon: So Beautiful Or So What (2011, Concord) Paul Simon: Still a star after all these years 36 akuStik Gitarre 4/11 Von Michael lohr Foto: Mark Seliger

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aktuelle Produktion

StorY

ZeitlosPaul Simon · Frage: Wer

verfügt über die Beobach-tungs- und Formulierungsgabe eines dichters, die melodische Überzeugungskraft eines Pop-Songwriters, das Gitarrenspiel eines Folk-Pickers, die stilisti-sche neugier eines Weltmusi-kers, das sensible Gehör eines

tontechnikers, den scharfen Verstand eines Musikprodu-

zenten und die moralische autorität eines Mannes, der mit seiner Musik in anstand

und Würde älter werden will? antwort: Paul Simon natürlich,

dessen neues album wieder ein ereignis ist – und es ist

eine Geschichte wert.

Von Michael lohr

36 a k u S t i k G i t a r r e 4 / 1 1

in Songbook enthält Texte, Noten, Gitarrenakkordsymbole, Klavierbeglei-tungen. ‚Songs Of Paul Simon’ von 1973, aber bietet zusätzlich eine „In-

troduction“: Auf zwei Seiten legt der Musiker nüchtern dar, wie seine Lieder entstehen. Her-umklimpern auf der Gitarre, am besten in Ton-arten, in denen er sich weniger gut auskenne – um nicht ständig in die gleichen Akkord-

wechsel zu verfallen. Dazu unbewusst Wörter singen, die gut klingen, ohne Rücksicht auf deren Sinn – bis eine Wortfolge entsteht, die natürlich klingt und eine Bedeutung besitzt. Hat sich eine solche Zeile bei ihm festgesetzt, baut er einen Song drum herum. Dabei greift Simon alles Wort- und Tonmaterial auf, was als merk-würdig in seinem mentalen Arbeits-speicher hängen bleibt. Sarkastische Triviali-

tät. ‚Mother And Child Reunion’ etwa verdankt seinen Namen einem chinesischen Gericht mit gekochten Eiern und gebratenem Hühnchen.Die griffige Kurzanleitung zum kreativen Schreiben liefert nebenbei einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was Simons Kunst auszeichnet: große Vielschichtigkeit dank ei-nes immer wechselnden spontanen, bewusst handwerklichen und selbstkritischen Prozes-ses über mehrere Arbeitsgänge hinweg. Die Motivation: Neugier und Freude am Tüfteln. „I think my next songs will be better“, schließt Simons „Einführung“ lakonisch.Wer in Simon noch immer den traurigen Folkie sieht, der den gescheiterten „Boxer“ besingt, übersieht die Kleinigkeit von 40 Jahren und ein Dutzend stilistisch, thematisch und pro-duktionstechnisch deutlich unterschiedliche Soloalben. 1970, mitten im Megaerfolg von ‚Bridge Over Troubled Water’, verabschiedet sich Simon nicht nur vom Duopartner Garfun-kel, sondern auch vom großen Sound-Aufwand ihres letzten gemeinsamen Werkes. Stattdes-sen orientiert er sich an Jesse Winchesters rootsigem Debütalbum mit karger Instrumen-tierung und brillanten Texten – allerdings auf seine persönliche Art.

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Paul Simon: So Beautiful Or So What (2011, Concord)

Kein Hauch von Alter in der Stimme, keine Spur Nostalgie in den Texten, keine sentimentale Religiosität im Angesicht der eigenen grauen Haare: Humorvoll, schlank und elegant, modern und zugleich zeitlos kommt die Musik des fast 70-Jährigen daher, weltgewandt, gesättigt von menschenfreundlich-selbstkritischer Spi-ritualität und gesundem Sarkasmus. Balladen wie ‚Questions For The Angels’ berühren mit tiefer Zartheit,

Groove-Songs wie ‚Love Is Eternal Sacred Light’ reißen einfach mit. Solche Titelgebungen zeigen Simon auf Sinnsuche – verraten jedoch zunächst nicht, welch ein Kaleidoskop an Empfindungen, Überlegun-gen, Beobachtungen und Ironien der Amerikaner da einfließen lässt. Auch die Musik dieses ebenso tiefen wie leichtfüßigen Albums speist sich aus zahllosen Quellen entlang Simons langem Weg: Anmutiges Folk-Gitarrenspiel, Percussion aus aller Welt, Flüssigkeit afrikanischer E-Gitarren, Heiterkeit karibischer Rhythmen, alles mit dem Fluss kristallklarer Melodien. Man genießt jede Sekunde eines Albums, das dem Hörer den Glauben an Intelligenz und Substanz von Pop-Musik zurückgibt. Michael Lohr

Paul Simon: Still a star after all these years

Paul SiMon

Weltmusik statt „One Trick Pony“Simon überdenkt die Weltmusik-Ansätze auf ‚Bridge Over Troubled Water’, etwa die Anden-klänge von ‚El Condor Pasa’ oder Bossa wie ‚So Long, Frank Lloyd Wright’. Sollte man das künftig nicht gleich richtig angehen? Mit den Experten für die jeweilige Stilistik? Mit Jimmy Cliffs Begleit-Band spielt er sein ‚Mother And Child Reunion’ als Reggae fürs erste Soloalbum ein. Beim sarkastischen ‚Paranoia Blues’ lassen gespenstische Bottleneck-Sounds von Stefan Grossman das Blut in den Adern gefrieren. Für ‚Hobo‘s Blues’ bittet er den greisen Jazz-Gei-ger Stephane Grappelli zu einem swingenden Duett; den mitreißenden Latin-Rhythmus von ‚Me And Julio Down By The Schoolyard’ be-sorgt die Band Uru Bamba. Ein gutes Jahr später sucht Simon – künstle-risch erfolgreich, finanziell unabhängig, privat als junger Vater glücklich – für sein positiv-stes Album richtig gute US-Roots-Musiker. Der Falsett-Gesang des Reverend Claude Jeter, die Dixie Hummingbirds und die lässige Rhythm Section der berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama tragen bei zu einem Traumalbum. Unendlich viel dunkler, aber ebenso brillant klingt das Nachfolgewerk ‚Still Crazy After All These Years’, überschattet und inspiriert zu-gleich vom Scheitern von Simons erster Ehe.Dass fünf Jahre später ‚One Trick Pony’, die selbstgeschriebene und (mit Simon in der Hauptrolle) selbstverfilmte Geschichte eines fiktiven Songwriters, als Kinofilm floppt und als Soundtrack-Album trotz großartiger Lieder und toller Band nur mäßig ankommt, empfin-det der erfolgsverwöhnte New Yorker auch als eine Art Befreiung. Erstens habe er „eine Men-ge Hits gehabt, ohne zu wissen, was sie ei-gentlich dazu machte“, zweitens machen ihm Kehrseiten der Popularität ohnehin zu schaf-fen: „Manche Leute, die einen gar nicht ken-nen, mögen einen grundlos; andere, die einen ebenso wenig kennen, können einen nicht lei-den. Beides bekommt einem Menschen nicht. Und Ruhm kann zerstörerisch sein, wenn man nicht herausfindet, wie man damit umgehen muss. Um sich nicht selbst zu verlieren.“

Ein veritabler, aber richtig befreiender Misser-folg aber steht Simon noch bevor. Inmitten der Turbulenzen seiner zweiten Ehe entsteht ‚Hearts And Bones’ – ein Flop bei Kritikern und Publikum. Von allerlei Problemen abgelenkt, hatte Simon Songs umgeschrieben, damit sie auf Begleit-Tracks passen, die eigentlich sei-nen hohen Maßstäben nicht genügten. „Die Aufnahmen auf dem Album waren schlechter als die Songs selbst und ihre Demos.“

Großartiges GracelandMit einer methodischen Neuausrichtung ver-mied Simon bei der nächsten Produktion sol-che Fehler. Für ‚Graceland’ notiert er zuerst

die Rhythmusspuren und nimmt sie auf, bevor er den eigentlichen Song dazu schreibt. Bei nicht hundertprozentigem Gefallen wirft er beides weg und beginnt vollkommen neu. Un-beachtet, weil niemand mehr etwas von ihm erwartet, schneidet er seine Lieder gezielt zu auf die Grooves südafrikanischer Ensembles, mit denen er sich in Johannesburger Studios getroffen hat – illegal, jedenfalls laut UNO-Kulturboykott gegen den damaligen Apart-heid-Staat. Das wäre doch die Gelegenheit für einen unzweideutigen Anti-Apartheid-Song gewesen, monieren Kritiker. Eindeutig politi-sche Lieder bewirken nichts, hält Paul Simon dagegen; sie predigen den bereits Bekehrten, während Andersdenkende nur weghören. Und

online-inFo

diSkoGraFie (Auszug)

Paul Simon (1972, Label)There Goes Rhymin’ Simon (1973, Label)Live Rhymin’ (1974, Label)Still Crazy After All These Years (1975, Label)One Trick Pony (1980, Label)Hearts And Bones (1983, Label)Graceland (1986, Warner)The Rhythm Of The Saints (1990, Warner)Paul Simon’s Concert In The Park (1992, Label)Songs From The Capeman (1998, Warner)You’re The One (2000, Warner)Surprise (2006, Warner)So Beautiful Or So What (2011, Hear Music/Concord)

www.paulsimon.com

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‚Graceland’, größter Erfolg seiner Karriere, er-mutigt ihn, Ähnliches vier Jahre später mit brasilianischen Musikern anzugehen: ‚The Rhythm Of The Saints’ wird, verglichen mit dem satten ‚Graceland’-Groove, ein eher subti-les Meisterwerk.

Nach rauschend erfolgreichen Welttourneen investiert Simon Jahre (und Millionen) in ein eigenes Broadway-Musical. Das jedoch floppt heftiger als all seine Projekte zuvor und setzt ihn bösartiger, persönlicher Kritik aus.‚You‘re The One’, Simons Rückbesinnung auf sein ureigenes Handwerk, setzt sich liebevoll bis bissig auseinander mit dem, was sich in der Welt getan hat – und bei ihm selbst: In glücklicher dritter Ehe verheiratet mit Edie Brickell, wird er in den Neunzigern noch drei-mal Vater.

Nach ‚Surprise’ 2006 rechnet nicht einmal er selbst noch mit einem weiteren Paul-Simon-Album. Nicht, dass er sich zu alt dafür vor-kommt: „Niemand behauptet, man müsse aufhören zu malen oder Romane zu schreiben, wenn man älter wird“, meint er und versteht die Rolling Stones: „Die zeigen den Leuten früher ungeahnte Möglichkeiten dessen, was man im Alter aus sich machen kann.“ Simon

selbst wird umgetrieben vom Gedanken, die Musik, die er als junger Mann geliebt hat, so weiterzuentwickeln, dass man mit ihr eben-falls würdig und lebendig alt werden kann. Nach fast 50 Jahren Songwriting wundert er sich, dass ihn die Muse nie verlassen hat. Al-lerdings kommt es nach einem fertigen Projekt bei ihm regelmäßig zu einem Winterschlaf der Ideen: „Es scheint nichts zu passieren. Aber die Ideen ruhen nur; sie sind im Untergrund durchaus aktiv.“

Die RückkehrDer konkrete Anreiz, doch wieder aktiv zu wer-den, ergebe sich meist aus einem Detail des

letzten Albums, an dem man wei-terarbeiten kön-ne. Diesmal sind es Harmonien von ‚Surprise’, die ihn inspirieren, nach vielen Jahren noch einmal auf Har-monie- statt auf Rhythmusbasis zu schreiben – kon-kret wieder auf der akustischen Gi-tarre : „Ich wollte noch einmal etwas tun, was ich lange vermieden hatte, nämlich mich mit der Gitarre hinzu-setzen und einen Song zu schrei-ben“, ganz wie früher: Melodien und Worte als be-deutungs f re ien Schönklang vor sich hin laufen zu lassen.

Als Erstes entsteht ein kleines Gitar-renstück namens ‚Amulet’, auch auf

‚So Beautiful Or So What‘ vertreten. Es folgen zwei Balladen: nur Paul Simon und seine Gi-tarre. „Dann hatte es sich aber für mich aus-balladet“, sagt er. „Ich musste dann wieder ein Rhythmusstück spielen, wozu ich mich nach drei Solo-Songs berechtigt fühlte.“ Am Ende steht, „ohne dass ich es beabsichtigt hatte, ein Album, das meine gesamte künstle-rische Reise und Karriere rekapituliert“ und an seine Anfänge mit ‚Paul Simon’ von 1972 er-innert. Es sind berückend schöne afrikanische und lateinamerikanische Elemente zu hören, ein paar Folk-Anklänge, herrliche Harmonien, dazu Texte, über deren Humor, Tiefe und Kom-plexität man nur staunen kann.

Doch noch etwas anderes platziert diesen Songwriter in eine eigenen Liga: seine Be-sessenheit von Klang. ‚So Beautiful Or So What’ verarbeitet unter anderem Sounds einer zum Stillstand kommenden Dampfmaschine, Schnipsel einer Weihnachtspredigt von 1941, Wildtiergeräusche aus der kenianischen Savan-ne, eine bestimmte Kuhglocke – alles sinnvoll eingeflochten, getreu Simons Motto, dass man immer neue Klangräume öffnen müsse; sonst höre das Publikum auf zuzuhören. Motive und Klänge, an die man sich gerade gewöhnen möchte, entferne er gezielt, damit sie sich nicht abnutzten. So enthält das mit schlanker Besetzung eingespielte ‚So Beautuful Or So What‘ einmal ein hauchfeines pastorales Or-chesterarrangement, das wie eine leichte Bri-se aufkommt und verweht. „Ich mag bei Pop-Musik nicht, wenn das zu dick rauskommt“, sagt er.

Vielleicht liegt der lebendige und frische Ein-druck des neuen Werkes an der Detailliebe der Produktion auf jeglicher Ebene. Zwar lässt Si-mon schöpferischen Zufällen viel Raum; doch was nachher im Song erscheint, wird ganz rational entschieden. Warum thematisiert der Titel-Song plötzlich die Szene des Attentats auf Martin Luther King? „Das ist wie Malen; man weiß vorher nicht, was man an einer bestimmten Stelle der Leinwand malen wird, aber dann ergibt es sich. Plötzlich, zunächst unerklärlich für mich, war diese Passage mit diesem großartigen Menschen Martin Luther King da, und er sagte, dass das Leben wunder-schön sei. Wenn er mir in meinem Song nicht erschienen wäre, hätte ich diese Zeilen sicher-lich herausgestrichen.“

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ur inFoWorkshops mit Gitarrenarbeit und Songs im Stil von Paul Simon gab es in den Ausgaben 3, 4 und 5-2000 der AKUSTIK GITARRE.