Apel-Wittgenstein und Heidegger

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Wittgenstein und Heidegger Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinn- losigkeitsverdacht gegen alle Von KARL-OTTO APEL (Kiel) I. Einleitung Die Zusammenstellung der Namen Wittgenstein und Heidegger in einer philosophischen Abhandlung erregt - nicht ohne Grund - immer noch einiges Befremden. Ich betone absichtlich: die Zusammenstellung in einer philosophi- schen Abhandlung; denn in literarischen Kreisen mit Gespür für das geistesge- schichtlich Charakteristische hat dieselbe Zusammenstellung längst einen heu- ristischen Reizton bekommen: als sei sie gewissermaßen ein Schlüssel für das tiefere Verständnis der geistigen Struktur unseres Zeitalters. In der Tat: Der Geisteshistoriker kann heute schon nicht mehr übersehen, daß Wittgenstein und Heidegger Schlüsselfiguren in der philosophischen Konstellation dieses, Jahrhunderts darstellen, Schlüsselfiguren freilich für sehr verschiedene, ja ge- geneinander hermetisch abgeschlossene Bereiche der modernen Philosophie. Und dieser Umstand wiederum rechtfertigt das Befremden über den Versuch, eine systematische Wechselbeziehung, ja am Ende sogar ein gemeinsames Anlie- gen im Denken Wittgensteins und Heideggers aufzufinden. Die angedeutete Gegensätzlichkeit ihrer philosophischen Welten drückt sich etwa in dem Umstand aus, daß wahrscheinlich nicht nur die beiden rel'räsen- tativen Denker, sondern auch die Vertreter ihrer Sd1ulen (im weitesten Sinn des Wortes) kaum jemals ernsthaft Notiz von einander genommen haben (ich sehe hier einmal von R. Carnaps Versuch ab, Heideggers Sätze über das Nichts in ,. Was ist Metaphysik" als Pseudosätze zu entlarven 2 ). Tatsächlich gehört es zur historischen Signatur der jüngsten Philosophie, daß die Titelbegriffe "Existenz- philosophie", "Phänomenologie", "Fundamentalontologie" einerseits, "Ana- lytische Philosophie", "Logischer Positivismus", "Semantik" andererseits nicht nur Gegensätze sachlicher und methodischer Orientierung des Denkens, sondern auch Gegensätze menschlimer, z. B. nationaler Mentalität zum Ausdruck brin- gen. Man kann den geistigen Gegensatz der erwähnten Titelbegriffe geradezu in der Kulturgeographie veranschaulichen: Deutlich läßt sich da ein Gebiet an- gelsächsischer Prägung mit Ausstrahlung nach Skandinavien von einem qebiet 1 Die folgende Abhandlung wurde als Vortrag von Radio Zürich - am 17. und 24. Febr. 1967- gesendet; sie ersmeint aum auf spanisch in "Dianoia• (Mexiko), 1967. 1 Vgl. R. Carnap: Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache. In: Erkenntnis 2, 1931/32, 219-241.

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Karl-Otto Apel. "Wittgenstein und Heidegger. Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle Metaphysik". Philosophisches Jahrbuch 75 (1967), 56-94.

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  • Wittgenstein und Heidegger Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinn-

    losigkeitsverdacht gegen alle Metaphy~ik1 Von KARL-OTTO APEL (Kiel)

    I. Einleitung

    Die Zusammenstellung der Namen Wittgenstein und Heidegger in einer philosophischen Abhandlung erregt - nicht ohne Grund - immer noch einiges Befremden. Ich betone absichtlich: die Zusammenstellung in einer philosophi-schen Abhandlung; denn in literarischen Kreisen mit Gespr fr das geistesge-schichtlich Charakteristische hat dieselbe Zusammenstellung lngst einen heu-ristischen Reizton bekommen: als sei sie gewissermaen ein Schlssel fr das tiefere Verstndnis der geistigen Struktur unseres Zeitalters. In der Tat: Der Geisteshistoriker kann heute schon nicht mehr bersehen, da Wittgenstein und Heidegger Schlsselfiguren in der philosophischen Konstellation dieses, Jahrhunderts darstellen, Schlsselfiguren freilich fr sehr verschiedene, ja ge-geneinander hermetisch abgeschlossene Bereiche der modernen Philosophie. Und dieser Umstand wiederum rechtfertigt das Befremden ber den Versuch, eine systematische Wechselbeziehung, ja am Ende sogar ein gemeinsames Anlie-gen im Denken Wittgensteins und Heideggers aufzufinden.

    Die angedeutete Gegenstzlichkeit ihrer philosophischen Welten drckt sich etwa in dem Umstand aus, da wahrscheinlich nicht nur die beiden rel'rsen-tativen Denker, sondern auch die Vertreter ihrer Sd1ulen (im weitesten Sinn des Wortes) kaum jemals ernsthaft Notiz von einander genommen haben (ich sehe hier einmal von R. Carnaps Versuch ab, Heideggers Stze ber das Nichts in ,. Was ist Metaphysik" als Pseudostze zu entlarven2). Tatschlich gehrt es zur historischen Signatur der jngsten Philosophie, da die Titelbegriffe "Existenz-philosophie", "Phnomenologie", "Fundamentalontologie" einerseits, "Ana-lytische Philosophie", "Logischer Positivismus", "Semantik" andererseits nicht nur Gegenstze sachlicher und methodischer Orientierung des Denkens, sondern auch Gegenstze menschlimer, z. B. nationaler Mentalitt zum Ausdruck brin-gen. Man kann den geistigen Gegensatz der erwhnten Titelbegriffe geradezu in der Kulturgeographie veranschaulichen: Deutlich lt sich da ein Gebiet an-gelschsischer Prgung mit Ausstrahlung nach Skandinavien von einem qebiet

    1 Die folgende Abhandlung wurde als Vortrag von Radio Zrich - am 17. und 24. Febr. 1967- gesendet; sie ersmeint aum auf spanisch in "Dianoia (Mexiko), 1967.

    1 Vgl. R. Carnap: berwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache. In: Erkenntnis 2, 1931/32, 219-241.

  • Die Frage n. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik s 7

    deutsch-franzsischer Prgung mit Ausstrahlung nach Sdeuropa und Latein-amerika unterscheiden.

    Wie kam es dazu, da Wittgenstein und Heidegger, zwei deutschsprachige Denker, zu Exponenten so verschiedener Denkwelten werden konnten?

    Eine uerliche Charakteristik dieser Konstellation aus der Perspektive der "Vorurteile" mte wohl etwa folgendes Aussehen haben:

    Heidegger philosophiert als typisch deutscher Denker mit hchstem speku-lativem Anspruch, der sich auch in seiner Sprache ausdrckt: er will die gesamte Tradition der abendlndischen Metaphysik verstehend wiederholen und zu-gleich berholen. Dabei dient die moderne Wissenschaft und ihr technisch-methodisches Denkniveau, etwa ihre logisch-mathematische Przisionssprache, keineswegs als Mastab der geistigen berholung, sondern vielmehr als Sym-ptom dessen, was als Sackgasse der Seinsgeschichte aus den Anfngen her di-stanziert und berholt werden mu: der Entfaltung der Metaphysik in der Technik. Diese innere Konstellation des Heideggerschen Denkens, zusammen mit der oft schwer ertrglichen Prtension seines Stils, scheint die im Grunde fortschrittsglubigen Angelsachsen und Skandinavier ebenso abzustoen, wie sie andererseits einem gewissen humanistischen Ressentiment der lateinischen Kulturen gegen die Vorherrschaft der technischen Zivilisation offenbar entge-genkommt.

    Wittgenstein auf der anderen Seite reprsentiert als Schler B. Russells ge-wissermaen angelschsische Geistigkeit. Das gilt zwar bei nherer stilkriti-scher Betrachtung nur mit Einschrnkung - lt sich doch auch seine geistige Verwandtschaft mit R. Musil, Karl Kraus, Kafka, und vor allem mit Lichten-berg belegen3 -, es triffi: aber doch so weit zu, da der "Tractatus" und die "Philosophischen Untersuchungen" heute als klassische Dokumente jenes frag-mentarisch-analytischen Philosophierens im Bannkreis der experimentellen Wissenschaft gelten, das zuerst in Amerika durch Ch. S. Peirce und dann in England durch B. Russell und G. E. Moore auf die Bahn gebracht wurde4 Dem deutschen Leser erscheint dieses Denken leicht als substantiell drftig, was zu-mindest dadurch mitbedingt ist, da er, in Erwartung positiver, weltanschau-licher Ausblicke, die subtilen Pointen der sprach-kritischen Analyse zunchst kaum zu bemerken vermag. Jenerunspekulative oder besser "antispekulative" Geist, der die englische Philosophie von Ockham, l-Iobbes, Berkeley und Hume her beherrscht und sie fr Denker wie Hegel, SeheHing oder Heidegger so wenig anziehend macht, jene skeptische Verdchtigung der Metaphysik durch Sprach-kritik, die den englischen Nominalismus kennzeichnet - dies alles scheint ge-rade in Wittgensteins "Tractatus" in seiner Negativitt explizit an den Tag zu kommen: als universaler Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle ontologisch-speku-lativen Stze.

    1 Vgl. G. H. von Wright: Biographische Betrachtung (in: "Beiheft" zu L. Wittgenstein: Schriften I, Frankfurt a. M. 1960, S. 99).

    4 Mit Recht- so scheint mir- hat H. Lbbe (Philos. Jb., 69. Jg., 1961/62) die Tendenz, aus dem Klassiker der "analytischen Philosophie" auf Grund gewisser biographischer Charak-teristika einen Existentialisten zu machen, zurckgewiesen.

  • ss Karl-Otto Apel

    Eben dieser sinnkritische Ansatz der Wittgensteinschen Philosophie scheint mir nun aber den Vergleich Wittgensteins und Heideggers zu ermglichen:

    Nidtt nur Wittgenstein, amh Heidegger hegt gegenber der traditionellen Metaphysik qua Ontologie einen sinnkritischen Verdacht, der sich in der Grund-frage nach dem Sinn von "Sein" uert: Fr den reifen Wittgenstein grndet die Metaphysik in einer Art Selbstentfremdung der Sprache, deren eigentliche (le-benspraktisc:he) Funktion in der philosophischen Fragestellung miverstanden wird und in der Metaphysik in Vergessenheit gert. Fr Heidegger grndet die Metaphysik in dem anfnglichen Selbstmiverstndnis der Frage nach dem Sein und der daraus resultierenden Seinsvergessenheit, d. h. aber, vom Men-schen her gedacht: in einer Art Selbstentfremdung der mensdtlidten "Ek-sistenz", die ihr eigenstes Anliegen, das Sein, um das es in allem Weltverstndnis immer schon geht, miversteht, in dem sie in der sprachlich-kategorialen Fassung die-ses Anliegens dem Anblick des innerweltlich begegnenden Seienden "verfllt".

    Ich habe soeben bei der sprachlidten Parallelisierung des Wittgensteinsdten und des Heideggerschen Ansatzes absichtlidt den Terminus "Selbstentfrem-dung gebraucht. Hierdurch mag an eine dritte, in der Gegenwart aktuelle Kri-tik der traditionellen Metaphysik erinnert werden, die ebenfalls von einem grundlegenden Verdacht ausgeht: Dem Wittgensteinschen "Sinnlosigkeitsver-dacht und dem Heideggerschen Verdacht der "Seinsvergessenheit" ging der von K. Marx gegen die Metaphysik gerichtete "Ideologieverdacht" voraus. Die-ser Seitenblick kann dazu dienen, den geistesgeschichtlichen Horizont vollends aufzureien, innerhalb dessen scheinbar noch so heterogene und gegeneinander isoliene Sphren der Gegenwartsphilosophie einen gemeinsamen Bezugspunkt aufweisen.

    Der gemeinsame Bezugspunkt ist in unserem Problemzusammenhang die Infragestellung der abendlndischen Metaphysik als theoretischer Wissen-smafi.

    Ich mchte also im folgenden Heidegger und Wittgenstein unter dem Gesichts-punkt miteinander vergleichen, da durch beide in je verschiedener Weise die abendlndische Metaphysik in Frage gestellt und dadurch faktisch als ein hi-storisches Phnomen von uns abgerckt wird. Genauer kann der Gesichtspunkt WlSeres Vergleichs dahin bestimmt werden, da wir Heideggers Grundfrage

    ~ach dem Sinn von Sein und Wittgensteins Grundfrage nach dem Sinn philoso-~hischer Stze als Weisen der Sinnkritik ins Auge fassen.

    Eine technisme Schwierigkeit smeint sim fr unser Vorhaben daraus zu er-geben, da beide zu vergleichenden Denker, zumindest im Bewutsein der Offendichkeit, eine nidtt unerheblime Wandlung durchgemacht haben. Man pflegt zwischen dem frhen Wittgenstein des "Tractatus Logico-Philosophi-cus6 und dem spten Wittgenstein der "Philosophischen Untersuchungen"8

    1 Zuerst verffentlicht in Ostwaids "Annaten der Naturphilosophie" {1921), dann in einer deutsch-englischen Ausgabe mit "Einleitung" von B. Russell (London 1922).

    1 Zuent (posthum) verffentlicht in einer deutsch-englischen Ausgabe (London 1958), neuer-dings- zusammen mit dem "Tractatus" und den ,. Tagebchern von 1914-1916" - in ,.Schrif-tell" I, Frankfurt a. M. 1960.

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    in hnlicher Weise zu unterscheiden wie zwischen dem Heidegger vor und nach der sogenannten "Kehre" von der Daseinsanalyse zur Seinsgeschidtte. Es wird sich indessen zeigen, da der von uns ins Auge gefate oberste Vergleichsma-stab geeignet ist, die Schwierigkeiten des Periodisierungsproblems weitgehend zu berbrcken. Gerade die sinnkritische Distanzierung der traditionellen Me-taphysik nmlich ist der Gesichtspunkt, der in Form des Sinnlosigkeitsver-dachts den frhen mit dem spten Wittgenstein verbindet und der andererseits auch bei Heidegger den gleichbleibenden Gegenbegriff zum existenzphiloso-phischen wie zum seinsgeschichtlichen Motiv festlegt.

    Die erste und wichtigste Frage, die wir an beide Denker zu stellen haben, mu- nach den vorausgegangenen berlegungen- die Frage nach dem Begriff der von ihnen jeweils distanzierten theoretischen Metaphysik sein. Im Anschlu daran wird zu fragen sein, wie sich der vorausgesetzte positive Begriff des kri-tischen Denkens bei beiden Philosophen zu dem Begriff der kritisierten Meta-physik verhlt und ob bzw. wie weit etwa der positive Philosophiebegriff des einen noch unter den kritisch distanzierten Begriff des anderen fllt.

    Wir gehen dabei technisch so vor, da wir zundtst die "Fundamentalontolo-gie" Heideggers mit Wittgensteins "Tractatus" in Beziehung setzen. In einem zweiten Anlauf sollen dann die "Philosophischen Untersuchungen" des spten Wittgenstein mit der "Existenzial-Ontologie" Heideggers und mit seiner De-struktion der "Metaphysik" (einschlielich der eigenen "Fundamental-Ontolo-gie") konfrontiert werden.

    II. Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus" und die "Fundamentalontologie" Heideggers

    Der Begriff der Metaphysik, gegen die sich Wittgensteins Sinnkritik richtet, bildet- wenigstens im "Tractatus" - selbst die Voraussetzung dieser Sinnkri-tik. Es ist die aus B. Russells "Principia mathematica" gewissermaen als ge-heime Metaphysik der Logistik eruierbare Weltabbildungstheorie des "Logi-schen Atomismus", die Wittgenstein schon in den beiden ersten Hauptstzen des "Tractatus Logico-Philosophicus" in origineller Weise entwickelt und aller weiteren Betrachtung zugrunde legt. Danach ist die Welt der Inbegriff der" Tat-sachen" die durch die Zeichen-Tatsachen der Sprache abgebildet bzw. als mg-liche Tatsachen oder "Sachverhalte" in den "logischen Raum" projiziert wer-den. Diese Abbildung oder Projektion der Welttatsachen durch die Zeichentat-sachen der Sprache wird ermglicht durch die fr Welt und Sprache gemeinsame, d. h. identische "logische Form".

    Wenn nun aber das Wesen der sprachlichen Weltdarstellung in der Abbildung von Tatsachen durch Tatsachen vermge einer identischen Form besteht, so kann die Form der Welt und der Sprache nicht selbst abgebildet, und das heit: sprachlich dargestellt werden; denn dazu mte die sprachliche Darstellung einen Standpunkt auerhalb ihrer Form der Darstellung einnehmen knnen, was a priori unmglich ist. Somit bleibt die apriorische Form der Welt jeder

  • Karl-Otto Apel

    Weltdarstellung als Bedingung ihrer Mglidtkeit vorweg; sie "zeigt sidt" nur je-weils in der logischen Struktur der Darstellung, wie es bei Wittgenstein heit.

    Diese bestrzend einfadte Sdtlufolgerung, die Wittgenstein sdton bei der Er-luterung des zweiten der insgesamt sieben I-Iauptstze des Tractatus zieht7, enthlt bereits das eigentlidte Grundmotiv seiner ganzen weiteren Philosophie, tkn Sinnlosigkeitroerdacht gegenber allen metaphysischen Stzen. Diese Stze nmlich begngen sich ja nicht damit, vermge der apriorischen Form der Spradle und der Welt Aussagen ber empirische Tatsachen in der Welt zu ma-chen, sondern erheben den Anspruch, a priori gltige Aussagen ber die Welt im ganzen, d. h. aber ber die Form der Welt, d. h. aber ber die Form der Dar-stellung der Welt und damit ber ihre eigene Bedingung der Mglichkeit zu machen.

    Als Beispiele der von Wittgenstein gemeinten unsinnigen Stze der Meta-physik knnen wir zunchst- durchaus mit seiner Erlaubnis- die 7 Haupt-thesen des "Tractatus" heranziehen: These 1 "Die Welt ist alles, was der Fall ist" und These 2 "Was der Fall ist, die Tatsadte, ist das Bestehen von Sachver-halten" verfallen dem Sinnlosigkeitsverdacht deshalb, weil sie Aussagen ber die Welt im ganzen, d. h. ber die apriorische Form der Welt darstellen. Sie lassen sich selbst nicht, wie Stze der positiven Wissenschaft, als Stze ber das, was der Fall ist, auffassen oder auf solche Stze logisch zurckfhren. Diesem von Wittgenstein aufgestellten Sinnkriterium gengen sie gerade insofern nicht, als sie die ontologische Grundlegung des Sinnkriteriums leisten wollen.

    Zugleich mit dem ontologischen Fundament des Tractatus fallen aber auch diejenigen Stze ber Stze, in denen das Sinnkriterium unmittelbar formuliert ist, eben diesem Sinnkriterium zum Opfer, d. h. also: These 5 und 6 des Trac-tatus, in denen - genau analog den beiden ontologischen Thesen ber das Zer-fallen der Welt in elementare "Tatsachen" -die prinzipielle Analysierbarkeit der Sprache in der Form einer Reduktion aller Stze auf "Elementarstze" postuliert wird.

    Es ist wichtig, dies sogleich festzustellen; denn bekanntlich hat der logische Positivismus versucht, den sprachanalytischen Teil des "Tractatus" festzuhal-ten und nur den ontologischen Unterbau als sinnlose Metaphysik zu erweisen.

    Vor allem Carnap hat versucht, den etwaigen Sinn ontologischer Stze als .pseudoobjektiver Stze" in der "formalen Redeweise" der "Logischen Syn-taX" einwandfrei zum Ausdruck zu bringen. Demzufolge sollte etwa der Witt-gensteinsche Satz (1. 1) "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge" sidJ. bersetzen lassen in den Satz "Die Wissenschaft ist ein System von Stzen, nicht von Namen"8

    Man mu sich klarmachen, da dieser Versuch, der ontologischen Redeweise zu entrinnen, steht und fllt mit Carnaps Auffassung der sogenannten formalen Redeweise als einer solchen, die lediglich von der ueren, sinnlich gegebenen Form der Stze und der Namen spricht. Nimmt man diese Auffassung jedoch

    1 TrctlltNs, Satz 2.172 und 2.174; ferner 4.12, 4.121. 1 Vgl. R. Carnap: The Logical Syntax of Language, London 1937, p. 303.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 6x

    ernst, so entfllt sogleich die Berechtigung der Carnapschen bersetzung: die innere Entsprechung des Satzes ber die Welt und des Satzes ber die Sprache. Denn in seiner ueren Beschaffenheit als Laut- oder Schriftgebilde ist ein sprach-licher "Satz" ja gar keine Tatsache, die eine auersprachliche Tatsache abbilden knnte. Ein im Sinne Carnaps aufgefater ,,Satz" ist lediglich eine Ding, wie es Wittgenstein zufolge in eine Tatsache der naturwissenschafl:lichen Weltbe-schreibung eingehen kann. Nurkraft der semantisch-kategorialen Entsprechung zur ontologisch-kategorialen Struktur einer realen Tatsache lt sich der sprachliche Satz nach Wittgenstein als ein Abbild der Wirklichkeit auffassen.

    Dies eben bringt Wittgenstein klar zum Ausdruck in den Thesen 3 und 4 des "Tractatus", welche zwischen den im Sinne Carnaps "ontologischen" ( 1 und 2) und den im Sinne Carnaps "logisch-syntaktischen" Thesen (5 und 6) vermit-teln. Dort heit es: These 3: ,,Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke" These 4: "Der Gedanke ist der sinnvolle Satz".

    Will Carnap also Wittgenstein besser verstehen, als er sich selbst versteht in-dem er seine ontologischen in sprachanalytische Stze bersetzt, so mu der Wittgensteinsche Satz: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge" etwa dem Satz entsprechen: ,,Die Wissenschaft ist die Gesamtheit der wahren Stze, nicht der Namen" 9 Tatschlich gibt Wittgenstein selbst das Ent-sprechungsverhltnis durch den Satz wieder (3, 01): "Die Gesamtheit der wah-ren Gedanken sind ein Bild der Welt."

    Ein solcher Satz aber ist, nach dem Sinnkriterium Wittgensteins, ebensosehr ein "unsinniger" metaphysischer Satz wie der ihm strukturell entsprechende Satz ber die Welt als Ganzes. Ja, Wittgenstein zufolge macht die bersetzung des ontologischen in den sprachanalytischen Satz die "Unsinnigkeit" des ersteren erst explizit. Denn nach Wittgenstein ist eben dies der Grund fr die" Unsinnig-keit" von Stzen ber Dinge berhaupt, Tatsachen berhaupt, Sachverhalte berhaupt, kurz ber die Welt im Ganzen, da sie ber die Sprache und Welt gemeinsam logische Form zu reden beanspruchen. Ontologische Stze reden in der Tat implizit ber die Form der Sprache- das wrde Wittgenstein Carnap zugeben10 Aber das rettet nicht ihren Sinn, sondern macht erst voll verstnd-lich, warum ontologische Stze unsinnig sein mssen:

    "Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben mu, um sie darstellen zu knnen - die logische Form.

    Um die logische Form darstellen zu knnen mten wir uns mit dem Satze auerhalb der Logik aufstellen knnen, das heit auerhalb der Welt" ( 4. 12).

    Noch schrfer auf die Sprache bezogen formuliert Wittgenstein dasselbe sinn-kritische Argument in der folgenden Fassung: "Kein Satz kann etwas ber sich selbst aussagen, weil das Satzzeichen nicht in sich selbst enthalten sein kann". Und er bemerkt hierzu mit Bezug auf B. Russell: "Das ist die ganze "Theory of Types" (3. 332).

    Vgl. hierzu Erik Stenius: Wittgenstein's ,Tractatus', a critical exposition of its main lines of thought. Oxford (Bla

  • Karl-Otto Apel

    Die Bezugnahme auf Russells Typentheorie gibt uns Anla, eine weitere ver-harmlosende Interpretation der paradoxen Selbstaufhebung des "Tractatus" als irrelevant abzuweisen.

    B. Russell selbst hat in der Einleitung zur englischen Ausgabe des "Tractatus" vorgeschlagen, das Problem der logisch-eindeutigen Rede ber die Form der Sprache durch eine poteniell unendliche "Hierarchie von Kunstsprachen" auf-zulsen11; und in der logischen Semantik ist dieser Ratschlag eifrig befolgt und nicht selten als "der" Ausweg aus dem Wittgensteinschen Dilemma empfohlen worden. Demgegenber mu jedoch (wie schon Carnap gegenber) betont wer-den, da Wittgenstein im" Tractatus" nicht die allererst semantisch zu deutende syntaktische Form eines beliebigen Kalkls, sondern die mit der kategorialen Form der erkennbaren Welt identische Form der wirklichen Sprache zur Dis-kussion gestellt hat. Diese Form der wirklichen Sprache ist nun in jeder Hierar-de von Kunstsprachen, mag diese auch potentiell unendlich sein, immer sehon vorausgesetzt in der Form der Umgangssprache als der in actu letzten Meta-sprachel1. Dies "zeigt sich"- um mit Wittgenstein zu reden- in dem Umstand, da nur mit Hilfe der Umgangssprache ein Zeichenkalkl semantisch gedeutet und d. h. als Sprache legitimiert werden kann.

    Mag also die Unterscheidung von Symbol-Typen (Russell) oder von ganzen Sprach-Typen (Russell-Tarski) die Rckbezglichkeit der Sprache auf sich selbst fr die Grundlegung formalisierbarer wissenschaftlicher Theorien mit Erfolg ausschalten: fr die Auflsung der von Wittgenstein exponierten Paradoxie der Ontologie und zugleich der ontologisch relevanten Sprachanalyse hngt alles davon ab, da gerade die in der logischen Semantik verbotene Selbst-reflexivitt der Sprache und insofern der Erkenntnis mglich ist.

    Eine konstruktive Semantik im Sinne Tarskis und Carnaps vermag zwar. durch Ausschaltung der Selbstrckbezglichkeit der Sprache, das Auftreten von Widersprchen, z. B. der Paradoxie des Lgners, a priori unmglich zu ma-chen13; zugleich damit macht sie aber auch das Aufstellen von sogenannten "All-Stzen", z. B. von Stzen ber alle Stze, u cL h. ber die Sprache berhaupt und ihr Verhltnis zur Welt, unmglich. D. h. aber: die konstruktive Semantik bedeutet das Ende der Philosophie als theoretischer Wissenschaft. Rudolf Car-nap besttigt das in seiner Abhandlung "Empirism, semanti es and ontology" von 195014, indem er den Entwurf eines ontologisch relevanten semantischen "fra-mework" zu einer Angelegenheit der "Praxis" erklrt. Zu dieser Konsequenz

    11 Vgl. Tractatus, a. a. 0. S. 23. 11 Vgl. Tractatus, 5.555: " ... Und wie wre es auch mglich, da ich es in der Logik mit

    Formen zu tun htte, die ich erfinden kann; sondern mit dem mu ich es zu tun haben, was es mir mglich macht, sie zu erfinden.

    11 Man sollte dies freilich nicht mit einer philosophischen Auflsung der Widersprche ver-wedlseln. Hierzu bemerkt Wittgenstein selbst spter: "Es ist eines, eine mathematische Technik zu gebrauchen, die darin besteht, den Widerspruch zu vermeiden, und ein anderes, gegen den Widerspruc:h in der Mathematik berhaupt zu philosophieren." (Bemerkungen ber die Grund-Ltgm der Mathematik, Oxford 1956, S. 130.)

    14 In: R. Carnap: Meaning and Necessity. Chicago, 1 1956.

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    war- auf seine Weise- auch Wittgenstein schon im "Tractatus" gekommen, wo es heit:

    " ... Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Ttigkeit. Ein philosophi-sches Werk besteht wesentlich aus Erluterungen. Das Resultat der Philosophie sind nicht ,philosophische Stze', sondern das Klarwerden von Stzen ... " (4.112)

    Theoretische Metaphysik ist also nach Wittgensteins "Tractatus" die im Trac-tatus selbst mit apodiktischer Prtension illustrierte Anmaung einer philo-sophischen Metasprache, d. h. aber der Versuch, das zur Sprache zu bringen, was sich in sinnvoller Rede als Bedingung der Mglichkeit dieser Rede nur "zeigt": die logische Form der Sprache und der beschreibbaren Welt.

    Mit dieser Charakteristik der Dimension der Metaphysik stellt der frhe Wittgenstein sich faktisch in den Problemhorizont der "Transzendentalphilo-sophie". Inwiefern?

    Die Transzendentalphilosophie hat bei Kant zuerst die Frage nach der Mg-lichkeit der Metaphysik als Reflexion auf die Bedingungen der Mglichkeit der Erfahrung g~tellt und dabei als "obersten Grundsatz" das Ps6ilat der Identi-

    '. tt der Bedingungen der Mglichkeit der Erfahrung und der Bedingungen der Mglichkeit der Gegenstnde der Erfahrung formuliert. Eben dieses Postulat hat Wittgenstein aus einer "Kritik der reinen Vernunft" in eine "Kritik der rei-nen Sprache" transponiert, wie der Finne Erik Stenius mit Recht feststellt15 Die Grenze zwischen dem, was nach Kant der theoretisChen Vernunft zugnglich ist, und dem, was den transzendentalen Schein des berschwenglichen Vernunft-gebrauchs ausmacht, sucht Wittgenstein durch die sprachlogische Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn, zwischen dem, was sich sagen lt und dem, was sim nur zeigt, zu bestimmen. Nur mit Bezug auf mgliche Erfahrung kann es "sinnvolle Stze" geben- so knnte man in Anlehnung an Kant das Wittgen-steinsche Sinnkriterium der Abbildung mglicher Tatsachen formulieren.

    Versteht man in dieser Weise den" Tractatus" Jls transzendentale Sinnkritik, so bemerkt man freilich sogleich, da Wittgenstein mit einem Schlag nicht nur die Mglichkeit einer "dogmatischen Metaphysik" im Sinne Kants, sondern auch die Mglichkeit einer wissenschaftlichen Transzendentalphilosophie als Er-kenntnistheorie in Frage stellt. Beide Typen philosophischen Denkens reden nam Wittgenstein gewissermaen nur von zwei Seiten her von demselben: von den Bedingungen der Mglichkeit der Rede, die zugleich Bedingungen der Mg-lichkeit der Gegenstnde der Rede sind. Von diesen transzendentalen Bedin-gungen- der in Sprache und Welt identischen inneren Struktur oder "logischen Form" -lt sich aber nach Wittgenstein per definitionem nicht "reden". Die transzendentale Form "zeigt sich" nur bei Gelegenheit jeder Rede- man ist ver-sucht, mit Heidegger zu ergnzen: sie zeigt sich als das "mitgngig-vorgngige" Seinsverstndnis der aktuellen Rede ber ontische Tatsachen.

    So gelangt Wittgenstein dazu, sowohl dogmatische Ontologie als auch aprio-rische (transzendentale) Sprachkritik und damit den gesamten philosophischen Gehalt seines eigenen "Tractatus" als unsinnige Metaphysik zu deklarieren. Ihr

    15 Vgl. a. a. 0. Kap. XI.

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    insgesamt gilt der 7. und letzte Hauptsatz des" Tractatus": "Wovon man nicht sprechen kann, darber mu man smweigen."

    (Und es versteht sim, da aum dieser Satz demselben Sinnlosigkeitsverdikt unterliegt, sofern er mehr zu sein beansprucht als eine bloe Tautologie.)

    Man wird vielleimt geneigt sein, die paradoxe Sinnlosigkeitsproblematik des Tractatus" vom sogenannten gesunden Mensmenverstand her fr absurd zu halten. Beweist Wittgenstein nimt eben durch die Stze seines "Tractatus", da wir Menschen in der Lage sind, das Verhltnis von Sprache und Welt im Ganzen zur Sprame zu bringen? Und gesmieht dies nicht in Stzen, die ihrer ueren grammatischen Struktur nach von Stzen ber innerweltliche Tatsachen nicht unterschieden sind? So lt sim z. B. der Satz: "Die Welt zerfllt in Tatsachen" nach demselben Bauplan konstruieren wie der Satz: "Der Kuchen zerfllt in Stcke.

    Indessen: eben diese uere 1\.hnlichkeit der philosophischen und der empi-risch verifizierbaren Stze bildet den eigentlichen Ansto fr Wittgensteins Sinnlosigkeitsverdacht. Und bei dieser Gelegenheit sollte man sich erinnern, da auch die Stze der kantismen Vernunftkritik eben wegen ihrer fatalen 1\.hnlich-keit mit den Stzen ber mgliche Erfahrung den Ansto der philosophischen Zeitgenossen erregten. Wenn Kant ber die "Affizierung unserer Sinne" durch das "Ding-an-sich" sprach, so klang das genauso wie wenn von einem Kausal-verhltnis in der Erfahrungswelt die Rede wre; und dom sprach Kant hier von dem, worauf die "Kategorie" der Kausalitt keine Anwendung finden sollte. Sind nun Kants transzendentalphilosophismen Stze ber das Ding-an-sich sinn-los? - Jakobi schien beinahe dieser Auffassung zuzuneigen. - Oder stellt die t;ctmmatisc:h-syntaktisme Struktur der transzendentalphilosophischen Stze eine Metapher dar? Ist sie eine "bertragung" der Struktur empirisch-verifizier-barer Stze auf irgendwie analoge Verhltnisse?

    Sowohl bei Kant wie aum bei Wittgenstein ist eine solche Deutung (etwa auf der Linie der mittelalterlichen Lehren von der uneigentlichen oder analogen Bedeutung) versucht worden16 Der schon erwhnte Erik Stenius z. B. versteht Wittgensteins transzendentalsemantische und zugleich ontologische Stze ber die Form der Sprache und zugleich der Welt als "syntaktische Metaphern"17

    Eine syntaktische Metapher ist z. B. der Satz "Rot ist keine Substanz (son-dern eine Qualitt)". Um nmlich die Substantialitt von rot zu bestreiten, mu ich sie gleichwohl in der Subjekt-Prdikat-Form des Satzes "rot ist ... " zunchst einmal setzen. Ebenso verhlt es sich bei allen "Aussagen" ber Kategorien. Da z. B. eine Substanz keine Qualitt ist, lt sich nam Wittgenstein nicht "eigent-lich aussagen, es "zeigt sich" im Sprachgebrauch. Will ich es direkt aussagen, so tuscht die Aussage ihrer Form nam einen Satz ber empirische Tatsachen vor.

    Fundamentaler noch fr die Grundlegung der Ontologie berhaupt sind Stze von der Form:

    "x ist ein Seiendes." 1' Vgl. z. B. E. K. Specht: Der Analogiebegriff bei Kant u. Hege!. Kln 1952 Kant-

    studien, Erg.Hefte Bd. 66. 17 Vgl. Stenius, a.a.O. S. 211 ff.

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    Ihrer syntaktischen Struktur zufolge mten sie verstanden werden wie Stze votf der Form "x ist ein Pferd". In Wahrheit handeln sie aber keineswegs von dem Gattungsbegriff, der die Klasse der mglichen Werte der Variablen bestimmt, sondern explizieren nach Wittgenstein gewissermaen tautologisch den Sinn der Variablen in der Satzfunktion "x ist ... ", so aber, da der Ein-druck entsteht, es gebe eine universale Gattung "Seiendes", so wie es Pflanzen, Tiere und Menschen gibt.

    Schon Aristoteles hatte diesem Miverstndnis vorzubeugen versucht durch die Bemerkung o'te 'to v oihe 'to ~v 1evo~ (vgl. Metaphysik B 998 b 22). Gleichwohl hatte er auf den Begriff des Seienden als solchen die prima philo-sophia, die spter sogenannte Metaphysik, als theoretische WisseMschaft ge-grndet.

    Fr Wittgenstein ist die Rede vom Seienden und seinen Kategorien gewisser-maen die Ursnde der Selbstentfremdung der Sprachfunktion, die zur Ent-stehung der Metaphysik als einer pseudoobjektiven Scheinwissenschaft fhrte. Stze von der Form "x ist ein Seiendes" sind fr ihn deshalb "unsinnig", weil sie die sprachlogische Struktur der Variablen, in der sich die Bezeichnungsfunk-tion der Sprache "zeigt", durch eben diese Bezeichnungsfunktion abbilden sol-len. Dasselbe U rmiverstndnis der Logik unserer Sprache bezeugt sich nach Wittgenstein in Stzen wie "Diesda ist ein Objekt" oder "Diesda ist eine Tat-sache" oder "Es gibt Sachverhalte" oder gar ,,Es gibt mehr als 3 Sachverhalte"18 Gleichwohl kann Wittgenstein nicht umhin, die implizite Ontologie der logi-schen Form der Sprache, z. B. der Struktur der Variablen x, zu unterstellen und in seiner eigenen Metasprache zu explizieren. Der ontologische Sinn des "x ist" kann, wie wir sahen, auf keinen Fall durch syntaktische Konventionen im Stile des frhen Carnap ersetzt werden; er allein sichert vielmehr die seman-tische Funktion der Sprache19 So unterliegt es fr Wittgenstein keinem Zwei-fel, da die Ausfllung der Variablen x in "x ist klug" durch den Eigennamen Hans implizit "zeigt", da Hans "existiert". Wenn ich aber den Satz "Hans existiert" als Satz einer ontologischen Wissenschaft ausspreche, bin ich schon mitten im "Unsinn"; denn der Satz klingt wie der Satz "Hans singt"19a. Wie kann die Philosophie diesem "metaphorischen Schein" ihrer Sprache entrinnen?-Dies ist das eigentliche Problem, das Wittgenstein im "Tractatus" gestellt hat.

    Versuchen wir an dieser Stelle, eine Beziehung zwischen Wittgenstein und Heidegger herzustellen.

    Auch fr Heidegger verbirgt sich in den zitierten Stzen der Ontologie als einer Wissenschaft vom Seienden als solchen zumindest eine tiefe Zweideutig-keit, die man- um die Parallele zu Wittgensteins Sinnkritik sichtbar zu machen-als geschichtliches Selbstmiverstndnis der die Ontologie leitenden Frage nach dem "Sein" interpretieren kann: Der Satz "Diesda ist ein Seiendes" suggeriert

    ts Vgl. Tractatus, 4.1272. n Vgl. Tractatus, 6. 124. lta Man erinnert sim bei dieser Gelegenheit der Verwechslung des "existiert" in "Gott exi-

    stiert mit einem ,.realen Prdikat, auf die Kant - und nach ihm B. Russell - in der Kritik des ontologismen Gottesbeweises aufmerksam gemacht hat.

  • 66 Karl-Otto A pel

    nmlich fr Heidegger eine Verwechslung dessen, was sich in dem "ist" zeigt, mit dem, was sich in dem "diesda" zeigt. Dies letztere entfaltet sich als der ,.ontische" Aspekt der Ontologie in empirischen Stzen wie "Diesda ist ein Pferd. Was sich dagegen in dem "ist" des Satzes dem Blick des Philosophen ,.zeigt, ist nach Heidegger das in allen Stzen des Menschen ber Pferde, Bume, Huser usw. "mitgngig-vorgngig" aufsmeinende Seinsverstndnis. Und dieses in der Sprache implizierte "vorontologische" Seinsverstndnis be-stimmt auch fr Heidegger- nicht anders als fr Wittgenstein- die von Kant so genannten transzendentalen Bedingungen der Mglichkeit der Erfahrung, die identisch sind mit den Bedingungen der Mglichkeit der Gegenstnde der Er-fahrung. Hatten wir also im vorigen bereits die Wittgensteinsche Unterschei-dung zwischen dem, was sich sagen lt, und dem, was sich nur zeigt, als Aus-druck der "transzendentalen Differenz" Kants interpretieren knnen, so zeigt sich diese Differenz nunmehr als Ausdruck der "ontism-ontologischen Diffe-renz" Heideggers.

    Aus der Sicht Heideggers knnte man daher eine positive Antwort auf den fr Wittgenstein grundlegenden Unsinnigkeitsverdacht etwa in folgender Form versuchen: Das in aller Rede "mitgngig-vorgngig" Aufscheinende: das, was nach Wittgenstein sich nur "zeigt", nicht aber ausgesagt werden kann, ist das ,.Sein". Das Sein "ist" aber nicht. Nur bestimmtes in der Welt vorkommendes Seiendes "ist". Das Sein kann daher auch nicht in empirisch verifizierbaren St-zen ausgesagt werden. Nur innerweltlich vorfindlimes "Seiende" kann Gegen-stand empirisch verifizierbarer Stze sein. Das "Sein" dagegen "zeitigt sich" in dem" Weltentwurf", der alles Seiende, das uns soll innerweltlich begegnen kn-nen, immer schon (a priori) freigibt auf die kategoriale Form dessen, was im "ist-Sagen von ihm ausgesagt wird. In diesem Weltentwurf sind wir Menschen uns immer schon "vorweg", sofern sich in der Sprachform schon ein "Vorver-stndnis" der Seinsverfassung des Seienden verfestigt hat. Wenn wir dieses "vorgngige Seinsverstndnis" in den Begriff heben, so handelt es sich nicht um die theoretische Feststellung von etwas, das es neben anderem auch nom gibt.

    Es versteht sich von hier aus, da fr Heidegger die Philosophie letztlich genausowenig wie fr Wittgenstein eine wissenschaftliche Theorie neben ande-ren wissenschaftlichen Theorien ist. Sie ist kein System von Stzen, die mit wissensdlaftlichen Stzen in Konkurrenz treten knnten. Wenn Wittgenstein die paradoxe Problematik des Sinns philosophischer Stze fr sich selbst praktisch dahin auflst, da er die Philosophie nicht als Wissenschaft, sondern als "Ttig-keit" der Gedankenklrung auffat, so lt sich bei Heidegger eine ganz ihnliehe Tendenz im Selbstverstndnis seines Philosophierens belegen:

    Bereits in "Sein und Zeit" und im Kantbuch betont Heidegger den bisweilen Gewaltsamkeit einschlieenden Entwurfcharakter eines Denkens, das nicht ber innerweltlich Vorhandenes etwas ausmachen, sondern die mitgngig-vor-gngigen Phnomene des Seinsverstndnisses an den Tag, zum "Sich-zeigen" bringen will20 Spter identifiziert er- in krassem Gegensatz zur Metaphysik

    11 Vgl. .Sein und Zeit", S 7; "Kant und das Problem der Metaphysik", 42.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 67

    als theoretischer Wissenschaft - das Denken des Seins mit dem "Vollbringen der Wahrheit des Seins", betont allerdings, da gerade dieses Vollbringen nicht auf willkrliches Machen und geschftige Aktivitt hinauslaufe, sondern auf hin-hrendes Sichfgen in den Zuspruch des ankommenden Seins21

    Bei dieser Gelegenheit mag daran erinnert werden, da die von Wittgensteins "Tractatus" ausgehende konstruktive Semantik, etwa des spteren Carnap, das Problem der impliziten Ontologie der Sprache, anders gesagt: das Problem des sprachimmanenten Weltentwurfs, ausdrcklich als ein Problem der Praxis kenn-zeichnet22. Dabei wird die scheinbare Willkr der semantischen Konstruktion-wenn man will - "seinsgeschichtlich" vermittelt dadurch, da ein knstliches Sprachsystem ja nur dann in Funktion treten kann, wenn es mit Hilfe der tra-ditionellen Sprache der Wissenschaft- als deren fragmentarische Przisierung-gedeutet werden kann. Mit anderen Worten: der kunstsprachliche "Weltent-wurf" mu sich als mgliche Fortsetzung der geschichtlichen Sprache bzw. ihrer immanenten Weltgrndung eigens legitimieren23

    Soviellt sich jedenfalls nach den bisherigen Errterungen feststellen: So-wohl in Wittgensteins Konzeption der Philosophie als "Ttigkeit der Gedan-kenklrung" bzw. in ihrer Praktizierung als konstruktiver Semantik wie ande-terseits in Heideggers entwurfhafter Radikalisierung des vorontologischen Seinsverstndnisses der Sprache ist das traditionell-metaphysische Verstndnis der Philosophie als einer theoretischen Grundwissenschaft prinzipiell berschrit-ten. Und wenn wir genau zusehen, so stellt sich die Praxis der modernen Seman-tik, ihre zirkelhafte Vermittlung von Sprachkonstruktion und nachfolgender Legitimation mit Hilfe der Umgangssprache, als Sonderfall dessen dar, was Heidegger als den hermeneutischen Zirkel von "Geworfenheit" und "Entwurf" des Seinsverstndnisses in "Sein und Zeit" herausgestellt hat.

    Freilich lt sich dies alles, was wir soeben ber die ontologische Differenz feststellten, nach Wittgenstein nicht allgemein sagen, will man nicht wiederum ins Fahrwasser einer quasitheoretischen Metaphysik gelangen. Heidegger ande-rerseits hat- wenigstens in "Sein und Zeit" -durchaus den Versuch unternom-men, die Struktur des apriorischen "Seinlassens des Seienden" gem dem Welt-entwurf des Daseins allgemeinverbindlich auszusagen. Er nannte diesen Ver-such "Fundamentalontologie". Nach allem Vorausgeschickten ergibt sich also jetzt die Aufgabe, entweder Heideggers Fundamentalontologie von Wittgen-stein her als Rckfall in die theoretische Metaphysik zu entlarven oder zu zei-gen, da Heideggers Fundamentalontologie Wittgensteins Grundproblem einer sinnvollen philosophischen Rede ber die apriorische Form der Rede und ihr Verhltnis zur Form der Wirklichkeit aufzulsen vermag. L'

    An dieser Stelle nun ist es erforderlich, den Umstand zu bercksichtigen, da

    11 Vgl. "ber den Humanismus", Frankfurt 1949. " Vgl. oben Anm. 14. - Der a. a. 0. von Carnap gemachte Unterschied zwischen "internal

    question und "external question" ist keine schlechte Illustration fr Heideggers "Ontologische Differenz.

    u Vgl. K. 0. Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 1963, S. 23 ff.

  • 68 Karl-Otto Apel

    Wittgensteins logisch orientierte "Kritik der reinen Sprache" im Tractatus, d. h. seine Theorie der identischen Form der Sprache und der Welt, nur einen Grenz-fall dessen darstellt, was man nam Heidegger das "vorontologisme Seinsver-stndnis der Sprache nennen knnte. ,

    Schon vom Standpunkt der traditionellen Transzendentalphilosophie her ge-sehen liegt das Befremdliche des "Tractatus" darin, da er die formalen Be-dingungen der Mglimkeit aller Erfahrung mit der logischen Form im tauto-logisch-analytischen Sinne zu identifizieren scheint. Die "formale Logik" soll, aie es scheint, als "Logik der Sprache" das mit! eisten, was bei Kant die Aufgabe einer .,transzendentalen Logik" ist: Die Frage nach der Konstitution der Ge-genstndlichkeit fr ein Bewutsein bzw. der Einheit des Gegenstandsbewut-seins (und zugleich des Selbstbewutseins!) wird auf diese Weise gar nicht aus-drcklich gestellt. Da z. B. die Welt in Sachverhalte als Verbindungen von Dingen oder Substanzen zerfllt, charakterisiert nach Wirtgenstein die "inter-nen" oder apriorischen Eigenschaften der Welt, die mit den "internen" oder ,.formalen Eigensmaften der Sprache identisch sindu. Auch die geometrische Struktur des Raumes und das sogenannte Kausalgesetz gehren zu diesen "in-ternen Eigenschaften" der Welt, die durch das "Netz", die "logische Form" der Sprache bedingt sind25.- Warum dies so ist- darber wird- offiziell- keine Auskunft gegeben26, ja: schon da es sich so verhlt ist ja nach Wirtgenstein .eigentlidt" nicht mehr aussagbar: es "zeigt" sich als das Transzendentale der Logik selbst27

    Hiermit hngt engstens zusammen, da es nach Wirtgenstein "eigentlich" keine Philosophie des Subjekts geben kann28 :

    In der Tat: fr eine Transzendentalphilosophie, welche die synthetisme Kon-stitution der Gegenstndlichkeit fr ein Bewutsein durch das transzendentale Faktum der Sprachlogik ersetzt, fr eine solche Philosophie fllt das "Bewut-sein berhaupt" bzw. das transzendentale Subjekt schlechterdings mit der apri-orischen Form der Sprache zusammen. Und so kann Wirtgenstein sagen:

    ,.Da die Welt meine Welt ist, das zeigt sich darin, da die Grenzen der

    h Vgl. Tractatus, 2. 021-2.0131. 11 Vgl. Tractatus, 2. 0131, 6. 32, 6. 33, 6. 36, 6. 361. 11 Vgl. immerhin die folgenden Stze des ., Tractatus, die auf eine sprachanalytisdte Sku-

    larisierung von Leibnizens Begrndung der ontologischen Geltung der Logik und zugleim auf eine Analogie zum "obersten Grundsatz der synthetisdlen Urteile" Kants hinauslaufen:

    (3. 031): "Man sagte einmal, da Gott alles sdlaffen knne, nur nidlts, was den logischen Ge-setzen zuwider wre - wir knnen nmlich von einer ,unlogischen' Welt nicht sagen, wie sie ausshe. -

    (6.371): "Der ganzen modernen Weltansdlauung liegt die Tuschung zugrunde, da die so-genannten Naturgesetze die Erklrungen der Naturerscheinungen seien."

    (6.32): "Das Kausalittsgesetz ist kein Gesetz, sondern die Form eines Gesetzes." (6. 362): Was sich beschreiben lt, das kann auch geschehen, und was das Kausalittsgesetz

    aussc:hlieen soll, das lt sich auch nicht beschreiben."' IT Vgl. TractatNs, 6.13: "Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. Die

    Logik ist ,transzendental'. Vgl. Tractatus, 5. 631, 5. 633.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 69

    Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen meiner Welt bedeu-ten." (5. 62)29

    Und Wittgenstein schliet daraus: " .... , da der Solipsismus, streng durchgefhrt, mit dem reinen Realismus

    zusammenfllt. Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realitt."

    Hier zeigt sich in extremer Form der Grenzfallcharakter der Wittgenstein-schen Transzendentalphilosophie der Sprache: Indem das Subjekt schlechter-dings identisch ist mit dem formalen Weltentwurf der reinen transzendentalen Sprache, fllt jede Reflexivitt, jede Rd~bezglichkeit .des Subjekts auf seinen sprachlichen Weltentwurf weg. Es verhlt sich alles so, als ob es berhaupt kein Subjekt gbe. Es gibt nur die realen Tatsachen so, wie sie durch die Sprache immer schon fr uns abgebildet sind:

    "Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken? Du sagst, es ver-hlt sich hier ganz wie mit Auge und Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich nicht. Und nichts am Gesichtsfeld lt darauf schlieen, da es von einem Auge gesehen wird. "30

    Damit haben wir nun aber den eigentlichen Grund dafr aufgedeckt, warum es fr die Transzendentalphilosophie des frhen Wittgenstein keine sinnvolle Rede der Sprache ber sich selbst und ihr Verhltnis zur Welt u. d. h. keine sinnvolle Sprache der ~Transzendentalphilosophie geben kann: Bei dem Witt-genstein des "Tractatus", der sein Sprachverhltnis an der Kalklsprache der Logistik orientierte, ist die Sprache und damit das Subjekt sich in der Darstel-lung der Welt gewissermaen restlos" vorweg"- um mit dem frhen Heidegger' zu reden. Die Sprache bildet nur bestehende Sachverhalte ab, sie stellt nicht etwa in der Weltdarstellung auch zugleich noch das Verhltnis des Menschen zu sich selbst, d. h. zu seinen Daseinsmglichkeiten und damit die Art seines Weltent-wurfs dar.

    Diese Radikalisierung der "transzendentalen Differenz" von Sprache und Metasprache wird durch die "Sprach-Logik", welche von alters her einzelne "Urteile" ber sogenannte "Sachverhalte" - oder allenfalls Schlsse von Sach-verhalten auf andere Sachverhalte - als Muster der Sprachfunktion isoliert, zumindest nahegelegt. Denn in isolierten Behauptungsstzen ber Sachverhalte scheint keine Selbstreflexivitt der Sprache nachweisbar. Es verhlt sidl jedoch nicht ganz so: Sogar im isolierten Behauptungssatz gibt es einen Bestandteil, der sich von Wittgensteins Abbildungstheorie her nicht begreifen lt, der vielmehr implizit ein Selbstverhltnis der Sprache zum Ausdruck bringt: Jeder Be-hauptungssatz behauptet durch das "ist" der Kopula, das auch in der konju-gierten Form des Verbums impliziert sein kann, seine eigene Wahrheit30a.

    Diese Behauptung, die dem ,, Tractatus" zufolge aussagt, da ein "Sachver-

    " Vgl. 5.632, 5.641. ao Tractatus, 5. 633. 80

    Hierin knnte brigens ein Hinweis darauf erblickt werden, da - entgegen der Mei-nung der meisten Logiker - das ,ist' der Kopula mit dem ,ist' des Existentialurteils doch eine Bedeutungswurzel gemeinsam hat. V gl. Anm. 32a.

  • Karl-Otto Apel

    halt als "Tatsache" besteht:31, wird audt von Wittgenstein nicht von der Ab-bildungsfunktion her verstanden. Bei dem Satz etwa "Das Buch ist auf dem Tisch betriff\: die bildhafte "Zusammenstellung" durch "Kombination der Na-men nur den Sach-Verhalt "Das Buch ... auf dem Tisch". Das "ist" dagegen, welches das Bestehen des Sachverhalts aussagt, mu rein als Ausdruck der logi-seben Form der Sprache verstanden werden.

    Da nun, wie wir im vorigen zeigten, die logische Form der Sprache nach Wittgenstein streng tautologisch-analytisch mit sich selbst und zugleich mit dem .Im des transzendentalen Subjekts zusammenfllt, so kann das "ist" als logi-sche Partikel fr Wittgenstein weder eine apriorische Synthesis des Gegenstnde-bewutseins noch eine solche des Selh:stb\!wutseins darstellen. Der Sinn des .ist reduziert sich auf das tautologische A = A der Mathematik, und damit ist jede Selbstrckbezglimkeit der Sprache und zugleich jedes Selbstverhltnis des transzendentalen Subjekts von vornherein ausgeschaltet.

    Man kann sich m. E. die Bedeutung dieser Position als eines Grenzfalles der Transzendentalphilosophie etwa in folgender Fiktion klarmachen: Gesetzt, es wre wirklich so, da die innere Form unserer Sprache einerseits schlechthinniges Ordnungsapriori der Welt und andererseits tautologisch mit sich identisch wre. Dann htten wir Menschen freilich ein garantiert allgemeingltiges Weltver-stndnis. D. h. aber: wir wrden die berhaupt lebensrelevanten Sachverhalte etwa so auffassen, wie es die Tiere gem der von Uexkllschen Umwelttheorie tun, d. h. ohne jedes mitgngige Bewutsein eines die Bedeutsamkeit der Sach-verhalte konstituierenden Lebensbezugs zur Welt, und damit ohne die Mglich-keit einer Reflexion auf den zu diesem Lebensbezug gehrigen Weltentwurf. In der Tat vermag der Mensch, Wirtgensteins "Tractatus" zufolge, von der Konstitution der sprachlichen Bedeutungswelt sowenig Rechenschaft zu geben, wie das Tier von der Konstitution der "Wirk- und Merkwelt", die seinem ln-stinktverhalten apriorizugeordnet ist.

    Nun lt sich gar nicht leugnen, da vom Standpunkt der logischen Seman-tik aus die inhaltliche Auslegung der Welt "als etwas" immer schon als fertig vorausgesetzt wird32 Deshalb hat die im Umkreis, ja gewissermaen als semio-

    11 Vgl. 4. 002: "Der Satz zeigt seinen Sinn. Der Satz zeigt, wie es sich verhlt, wenn er wahr ist. Und er sagt, da es sich so verhlt. .. - Vgl. auch 4. 062.

    11 Diese Voraussetzung ist m. E. der Schlssel zum philosophischen Verstndnis der Wahr-heitsdefinition in der logischen Semantik von A. Tarski. Sie erklrt die scheinbare Trivialitt des Definitionsschemas. "Der Satz ,Die Dinge verhalten sich so und so' ist wahr dann und nur dann, wenn die Dinge sich so und so verhalten. Man mchte hier gerne wissen, wann - unter welchen Umstnden - wir zu der Feststellung berechtigt sind, da die Dinge sich so und so ver-halten. Man vergit indessen, da Tarski das Verstndigtsein ber die angemessene Weltaus-legung mit der formalisierten und insofern intersubjektiv eindeutigen Sprache schon voraus-setzt, da er in seinem Definitionsschema sozusagen die reine Tatsachenwahrheit (als przisier-ten Sinngehalt der aristotelischen Korrespondenztheorie der Wahrheit) isoliert: Wenn idl genau wei, welchen .Sinn der Satz .,es regnet" hat ("was der Fall ist, wenn der Satz wahr ist, wie Wittgenstein im Tractatus .. formuliert), dann luft die Feststellung der Wahrheit des Satzes in der Tat auf die Feststellung hinaus, da es - tatschlich - regnet. (Man mu zu dem Zweck nicht mehr nachdenken, sondern etwa vor die Tr des Hauses treten.) Die Frage nach der .Methode der Verifikation", die M. Schlick als Frage nach dem "Sinnkriterium" von Stzen

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 71

    tischer Anhang der Logik entstandene Sprachphilosophie der Antike und noch des Mittelalters nie etwas von den verschiedenen vorgngigen Weltauslegungen der einzelnen Volkssprachen bemerkt. Fiir die Logik sieht es so aus, also z. B. der Sachverhalt "Das Buch (ist) auf dem Tisch" vllig unabhngig von dem "ist" der Kopula und damit vom In-der-Welt-sein des Menschen fertig gegeben wre. Das "ist" scheint, wie schon angedeutet, allenfalls als Anerkennung des vom Menschen unabhngig bestehenden Sachverhalts qua Tatsache eine Bezie-hung zum Menschen auszudrcken.

    Nun soll die Absolutheit der Tatsache, die in dem Satz "Das Buch ist auf dem Tisch" festgestellt wird, gar nicht bestritten werden. Sie besteht aber als blo noch anzuerkennende- auch nach Wittgenstein- erst unter der Voraussetzung, ,,da dies ein Buch ist" bzw. "da dies ein Tisch ist", ja auch nod1 unter der Voraussetzung, da ein Buch "auf" einem Tisch sein kann. Die Konstitution dieser Voraussetzungen aber ist nur offenbar keineswegs unabhngig vom In-der-Welt-sein des Menschen, fr den Dinge "als etwas" bzw. in bestimmten Be-wandtniszusammenhngen begegnen knnen. D. h. aber: die Konstitution der genannten Voraussetzungen ist nicht nur relativ zum menschlichen Dasein in der Weise, wie eine "Wirk- und Merkwelt" nach Uexkll relativ ist zum tieri-schen Gattungsdasein; sie ist vielmehr vom Menschen gewissermaen ineins mit dem Aufbau seiner Sprache selbst erarbeitet33 worden, wie wenig ihm das auch bewut sein mag.

    Zieht man aus diesen berlegungen die sprachanalytischen Konsequenzen, so ergibt sich, da nicht nur das "ist" qua Anerkennung eines Sachverhalts als be-stehender Tatsache einen Bezug des Menschen zur Welt ausdrckt, sondern auch scllon das "ist" als Kopula des sogenannten "Sachverhalts". Weit entfernt da-von, fr den Sachverhalt selbst unwesentlich zu sein, bringt das "ist" der Ko-pula vielmehr den Umstand zum Ausdruck, da bereits die vermeintlich nur zu bezeichnenden Glieder des Sachverhalts ihre Konstitution "als etwas" einer "hermeneutischen Synthesis" verdanken, die einem Seinsverhltnis des Men-smen zu sich selbst entspricht32a. Weder ein Tier noch ein reiner Geist, sondern nur der Mensch, der ein verstehendes Verhltnis zu seinem Sein als Mglichkeit be-sitzt, vermag etwas als "Buch" oder "Tisch" "sein-zu-lassen'\ d. h. aber der Welt eine Bedeutung abzugewinnen.

    exponierte, ist damit freilich nicht beantwortet, sondern abgedrngt. Diese Frage lt sich, wie bereits Ch. S. Peirce gezeigt hat, von der Frage nach der angemessenen "Interpretation" der Welt durch sprachliche Symbole gar nicht trennen. Diese letztere Frage aber lt sich, wie Heidegger gezeigt hat, nicht von der Frage nach dem Selbstverstndnis des menschlichen In-der-Welt-seins trennen.

    33 Hier wre noch anzumerken, da eine intersubjektiv verbindliche Weltauslegung tatsch-lich nicht nur durch den "Zugriff" der Sprache (Weisgerber), sondern ineins damit durch die mit dem Sprachgebrauch verwobenen Handlungen "erarbeitet" wird (Hegel, Marx, Heidegger, Wittgenstein II).

    na Der Umstand, da die Kopula ("etwas ist etwas") als Ausdruck der "hermeneutischen Syn-thesis ("etwas als etwas sein lassen") verstanden werden kann, enthlt wiederum einen Hin-weis darauf, da sie auch mit dem ,ist' der Identittsbehauptung eine gemeinsame Bedeutungs-wurzel haben drfte. In der Ebene der "Onto-logik" ist solche "Spekulation" natrlich nicht mehr verifizie.rbar. Vgl. oben Anm. 30a.

  • ]2 Karl-Otto Apel

    Diese prinzipielle Entsprechung der hermeneutischen Synthesis von "etwas als etwas zum Selbstverstndnis des Menschen mu auch dem gesamten Wek-entwurf der Umgangs-Sprache" das Geprge geben. M. a. W.: Im Gegensatt zum logistischen Ideal einer bestehende Sachverhalte abbildenden Zeichen-spradte mu die wirkliche Sprache immer schon in der Auffassung der Welt ein Verhltnis zu sidt selbst mit darstellen, sonst htte sie gar nichts, was sie "als etwas darstellen knnte. In diesem prreflexiven Selbstverhltnis der menschlidten Rede - so knnte man denken - mu die Mglichkeit einer Oberwindung der Grundparadoxie des "Tractatus" liegen.

    Man wird bemerkt haben, da die soeben versuchte Kritik der spradtphiloso-phlschen Voraussetzungen des "Tractatus" vom Ansatz der Heideggersdten Fundamentalontologie aus erfolgte; d. h. aber aus dem Ansatz einer Transzen-dentalphilosophie, die gerade im Gegensatz zu der des frhen Wittgenstein die kantische Synthesis des Gegenstandsbewutseins nicht in den analytischen Grenzfall des A = A berfhrt, sondern sie im Rckgang in die v~rtheoretische Konstitution der Lebenswelt durch die transzendentalhermeneutische Synthesis des "etwas als etwas" im Bewandtniszusammenhang der Lebenspraxis zu fun-dieren sucht.

    Die sprachlidte Freigabe des innerweltlidt begegnenden Seienden "als etwas" (d. h. in einer "Bewandtnis") entspricht hier dem Verhltnis der Menschen -genauer der Angehrigen einer Sprachgemeinschaft- zu den Mglichkeiten ihres In-der-Welt-sein-Knnens. Durch dieses unausdrckliche Selbstverhltnis einer Sprachgemeinschaft ist die von Humboldt so genannte sprachliche "Weltan-sicht immer schon in ihrer Konstitution vermittelt. (Man kann dies leicht am Beispiel berprfen, wenn man etwa mit P. Zinsli die unterschiedliche Erschlie-ung der Alpenwelt im Wortschatz der buerlichen Mundarten einerseits, der touristisdten Alpinistik andererseits sich klarmacht.)34 - Es erhebt sich jedoch die Frage, ob dieses in der Umgangssprache stets implizierte Sich-in-der-Situa-tion-Verstehen von Menschen, ob diese "effektive Reflexion" der geschichtlichen Spradte, wie J. Lohmann sagt35, eine hinreichende Erklrung fiir die Mglich-keit einer philosophischen Reflexion auf die innere Form der Sprache, auf das darin enthaltene Seinsverstndnis, ist.

    K Vgl. P. Zinsli: Grund und Grat. Der Formaufbau der Bergwelt in den Sprachbegriffen der schweizerdeutschen Alpenmundarten. Bern 1946.

    Vgl. ]. Lohmann im letzten Kapitel seines Bumes "Philosophie und Spramwissensmafl:" (Berlin 1965), das mit dem Problem der Selbstreflexivitt der geschimtlimen Sprame befat ist: Wu definierten (oben S. 81) Sprame als ein sim selbst ,kontrollierendes', und also auf sidt achtendes Tun. Wir knnen das jetzt audt so ausdrcken, da die natrlidte mensmlime Sprame zugleich Objekt-Sprame und (ihre eigene) Metaspradle ist. Dieses bedeutet zunmst und in enter Linie, da die natrlime Sprame, insofern sie sidt auf die ganze Umwelt je einer Sprach-gemeinschaft (in der Gestalt einer etwas-als-etwas-Struktur) bezieht, sim notwendig auch auf sich selbst beziehen mu! Diesen (unwillkrlimen) Selbst-Bezug der natrlimen Sprame be-zeichnen wir (in Abhebung von der bisher allein beamteten bewuten Reflexion des Spredten-den oder Denkenden) als effektive Reflexion ... Und das, was wir hier in diesem Bume ge-mac:ht haben und noch mamen (einsmlielim der Aufstellung des Begriffes der ,effektiven Re-Bexion}, knnen wir dann gewissermaen als eine bewute Fortfhrung dieser faktismen .effektiven Reflexion in der natrlimen Sprame selbst und an sich smon betramten (a. a. 0. s. 2 .. 3).

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 7 3

    Heidegger selbst hat in "Sein und Zeit" einen deutlichen Unterschied ge-macht zwischen dem "existenziellen" Selbstverstndnis in der Situation, das der "effektiven Reflexion" der Sprache, in der "man" sich versteht, korrespon-diert, und dem "existenzialen" Verstndnis der Philosophie. Diese mu nach Heidegger das "vorontologische Seinsverstndnis", das im existenziellen Zu-sein-Verstehen impliziert ist, "radikalisieren", um es zum Begriff zu bringen. Wie aber soll man dieses "Radikalisieren" verstehen? - An dem Verstndnis dieses Ausdrucks scheint jedenfalls in "Sein und Zeit" die Beantwortung der Frage nach der Mglichkeit und Gltigkeit philosophischer Aussagen zu hn-gen!

    Th. Litt hat dieses Problem in seinem Buch "Mensch und Welt" (Mnchen 1948} aufgegriffen und darauf hingewiesen, da Heidegger in seiner Fundamen-talontologie, z. B. in der "formalen Anzeige" der sogenannten "Existenzialien", eine Reflexionsstufe des Denkens in Anspruch nimmt, die von dem existenz-und geschichtsimmanenten Seinsverstndnis, das sie zu radikalisieren sucht, prinzipiell unterschieden ist, derart, da man von diesem Denken, das die "Exi-stenzialitt",u. d. h. z. B. die "Endlichkeit" und "Geschichtlichkeit" des mensch-lichen Seinsverstndnisses, begreift, nicht mehr einfach sagen kann, da es selbst nur existenziell bedingt, u. d. h. endlich und geschichtlich, sei. Litt hat gezeigt, da die in jeder natrlichen Sprache angelegte Selbstreflexivitt eine explizite "Selbstaufstufung der Sprache" erlaubt, die zuletzt den intersubjektiven All-gemeingltigkeitsanspruch des einen philosophischen Logos in jeder individuel-len Sprache zur Geltung bringt. Dieser Allgemeingltigkeitsanspruch der philo-sophischen Sprache konstituiert sich auf einer hheren Reflexionsstufe als der des "hermeneutischen Logos", den Heidegger in "Sein und Zeit" fr die Be-grndung seiner Philosophie in Anspruch nahm. Der hermeneutische Logos des Sich-in-der-Situation-Verstehens ist zwar selbstreflexiv genug, um mit dem Selbstverstndnis zugleich das Verstndnis des fremden Daseins, z. B. mit dem Verstndnis der eigenen Sprache zugleich die bersetzung aus einer fremden Sprache in die eigene zu ermglichen35a; er bringt dabei aber die individuell-ge-schichtliche Perspektive der eigenen Sprache bzw. des eigenen existenziellen Standpunkts unweigerlich zur Geltung. Der philosophische Logos dagegen, der in der nochmaligen Rckwendung auf den hermeneutischen Logos die "for-male Anzeige" solcher Begriffe wie "Individualitt", "Geschichtlichkeit" usw. ermglicht, "bergreift" den "hermeneutischen Logos" ebenso prinzipiell wie der letztere den gegenstandstheoretischen Logos der "Objektsprache" (etwa der Naturwissenschaft} bergreift.

    In der lebendigen Umgangssprache ist also nach Litt gewissermaen eine immanente semantische "Typentheorie" angelegt, die der menschlichen Selbst-reflexion die berhaupt mglichen Sinn- und Allgemeinheitsstufen vorzeichnet. Vor der logistischen Typentheorie B. Russells ist sie dadurch ausgezeichnet, da sie keinen regressus ad infinitum bedingt, sondern durch die mit der Reflexion

    16 Eine subtile Ausarbeitung der Leistung des hermeneutischen Logos bietet H. G. Gadamer:

    Wahrheit und Methode, 1 Tbingen 1965. Zur Konfrontation dieses Logos mit Wittgensteins Ansatz vgl. J. Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften, Tbingen 1967, Kap. III, 7 u. 8.

  • 74 Karl-Otto Apel

    verbundene Steigerung der Allgemeinheitsstufe der Aussagen zu einem Ab-schlu gelangt, der mit ihrer Selbstbegrndung, d. h. mit der noologischep. Selbstreflexion der Philosophie, zusammenfllt. In der Sprache des jungen Witi:-genstein wrde dies besagen: Die philosophische Rede ber die logische Form der Sprache und zugleich der Welt setzt gar nicht einen Standpunkt auerhalb von Sprache und Welt voraus, sondern folgt lediglich der dialektischen Refle-xivitt der transzendentallogischen Form der Sprache. Es geht hier nicht um eine Ontologie vorkantischen Stils, welche das Verhltnis der Erkenntnis bzw. der Sprache zur Welt als ein "Commercium zwischen einem vorhandenen Sub-jekt und einem vorhandenen Objekt" (Heidegger) gleichsam von der Seite her darstellt, sondern um eine dialektische und sinnkritische Transzendentalphilo-sophie38. Diese durchschaut den metaphorischen Schein der ueren Sprachform philosophischer Stze und formuliert z. B. ihre Stze ber das Verhltnis von Sprache und Welt so, da eine Verwed1slung ihres Sinns mit dem Sinn ob-jektsprachlicher Stze durch die in der dialektischen Selbstaufstufung der Sprache liegende Regel des S prachgebrauchs31 ausgeschlossen wird.

    Ich glaube in der Tat, da diese von Hegel inspirierte dialektiscl.lP.- Interpre-tation der philosophischen Metasprache die einzig mgliche Antwort auf die Paradoxie des "Tractatus" und damit auf die Provokation des Wittgenstein-schen Sinnlosigkeitsverdachts gegen alle theoretische Philosophie enthlt. Es bleibt indessen zu bemerken, da diese Lsung der Frage nach Sinn und Mg-lichkeit der Philosophie diese zugleich auf die Armut ihrer systematischen Selbstgengsamkeit verweist; denn allen Sinngehalt, selbst noch den materialen Gehalt der Kategorien und Existenzialien, verdankt die philosophische Sprache dem "hermeneutischen Logos", in dem das geschichtliche ln-der-Welt-sein sein

    Man kann Wittgenstein durchaus zugeben, da die uere Form der Sprache in den St-zen der traditionellen Ontologie und Transzendentalphilosophie durch ihren "metaphorischen Sd:aein" schwerwiegenden Miverstndnissen und Pseudoproblemen Vorschub leistet. Die eigent-liche Sdtwierigkeit fr eine Rechtfertigung der eigenen Ontologie und Transzendentalsemantik erwchst indessen Wittgenstein nicht aus der kritisierten Form metaphysischer Pseudostze, sondern aus seiner Abbildtheorie der Sprache, sofern diese an der reflexionsfreien "Objekt-sprache der Logistik (der "Principia Mathematica" Russells) orientiert ist. Diese nmlidt -d. h. die Russellsd:le "Typentheorie", weld:le sich selbst nicht "als Theorie" formulieren kann, ohne sich selbst zu widerlegen - sucht die Sprache von auen zu begrenzen und verstt damit gegen die Einsidtt Wittgensteins, da die Sprache selbst die Grenze der Welt ist. Die dialekti-sche .Selbstaufstufung der Sprache, weld:le ihren "metaphorischen Sd:lein"' durdtsdtaut, de-monstriert dagegen, da Sprache nicht von auen begrenzt werden kann, sondern - im Sinne der eigentlidten Intention Wittgensteins- das "Unsagbare von innen begrenzt" (vgl. das "Vor-wort des Tractatus ).

    Wittgenstein selbst kommt dieser Einsid:lt so weit entgegen, als es einer vordialektisdten Phi-losophie berhaupt mglich ist: Er provoziert das Bewutsein der Dialektik durch die (nicht gerade gewollte, aber zumindest als tiefsinnig empfundene und stilisierte) paradoxe Form sei-ner Diktion. Indem er in harter Entgegensetzung immer erneut die sinnvolle Rede als Aussage auf die Mitteilung des nichtformalen Tatsdtlichen beschrnkt und gleid:lwohl selbst von den "formalen Eigensd:laften der "Gegenstnde und "Sachverhalte" und ihren sprachlidt-logi-schen Bedingungen der Mglidtkeit spricht, demonstriert er immer erneut, da die Sprache, in-dem sie sieb selbst eine Grenze zieht, diese Grenze zugleidt bersdtreitet.

    17 Die Dialektik der Selbstaufstufung gengt damit dem Sinnkriterium der Spradte, das der spte Wittgenstein gegen die Abbildungstheorie des "Tractatus ausspielt. Vgl. unten S. 89 f.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 75

    jeweiliges Seinsverstndnis "effektiv" artikuliert. Es ist fr uns Menschen, die wir zumindest auch endlich und einer ungewissen Zukunft ausgeliefert sind, prinzipiell unmglich, das substanzielle Weltverstndnis des geschichtlichen Engagements, wie Hegel wollte, mit der systematischen Dialektik der Reflexion zu identifizieren und im" Wissen des Wissens" inhaltlich "aufzuheben".

    Diese berlegung lt es, wie mir scheint, verstndlich- wenn auch keines-wegs gerechtfertigt - erscheinen, da Heidegger nicht den in "Sein und Zeit" vielleicht noch mglichen Weg einer sinnkritischen Erneuerung und Erweite-rung der Transzendentalphilosophie ging, sondern vielmehr die quasitheore-tische Systematik seiner Fundamentalontologie selbst noch als Ausdruck der zu berwindenden Metaphysik der "Vorhandenheit", der Vorhandenheit nmlich einer ontischen "Substanz" als "Subjekt" des Bewutseins, glaubte seinsge-schichtlich distanzieren zu mssen.

    Durch diese Entscheidung, die Heidegger selbst als notwendige "Kehre" sei-nes Denkens verstehen mchte, hat er in gewisser Hinsicht dem Wittgenstein-schen Verdacht gegen die theoretische Metaphysik Recht gegeben. Er hat z. B. den metaphorischen Schein der Rede von dem Subjekt des Denkensund seiner Aktvollzge - genauso wie Wirtgenstein - beim Wort genommen und ihn als Verfallen an den Anblick des innerweltlich Begegnenden und bestndig An-wesenden interpretiert. Diese Tendenz der Entlarvung der an der Logik der Gegenstndlichkeit orientierten Sprache der Metaphysik bringt Heidegger noch einmal in allergrte Nhe zur Sprachkritik Wittgensteins, wie dieser sie in seinem Sptwerk, den "Philosophischen Untersuchungen", entfaltet hat. Heid-egger sowohl wie Wittgenstein glauben zuletzt, die Vorstellungssuggestionen aller traditionellen Onto-Logik um jeden Preis vermeiden zu sollen, um das in diesen starren Schematisierungen und Idealisierungen Verdeckte und Verges-sene zum Sich-zeigen zu bringen: das sich im "Spiegelspiel" der Weltlichtung er-eignende "Sein" (Heidegger)37a- oder das in aller Metaphysik miverstandene "Sprachspiel" (Wittgenstein).

    III. Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen" und Heideggers "Destruktion" der "Metaphysik"

    Im "Tractatus logico-philosophicus" hat Wittgenstein die theoretische Meta-physik nur insofern als "unsinnig" verdammt, als sie mit den syntaktisch-se-mantischen Mitteln einer Sprache, die nur innerweltlich bestehende ,,Sachver-halte" abbilden kann, die ontologischen und transzendentalen Bedingungen der Mglichkeit der Abbildung von Sachverhalten zur Sprache bringen will. D. h. aber: Wittgenstein hat die Ontologie der Sachverhalte bzw. die Sprachphiloso-phie der logischen Abbildung einer aus Sachverhalten bestehenden Welt nicht inhaltlich infragegestellt. Im Gegenteil: er setzt sie fr seine Konzeption des

    37a Vgl. Heideggers Vortrag "Das Ding" (in "Vortrge und Aufstze", Pfullingen 1954, s. 163-181).

  • Karl-Otto Apel

    sinnvollen Sprachgebrauchs voraus, und er hat diese ontologisch-transzenden-talen Voraussetzungen in einer weit ber B. Russell hinausgehenden Korrzep-tion des "Logischen Atomismus" zu klren versucht,- in einer Konzeption, de-ren Przisierbarkeit in der Geschichte der philosophischen Systeme einzigartig dastehtsa.

    Wenn wir diese Ontologie des "Logischen Atomismus" als eine - allerdings sehr moderne und raffinierte - Version der von Heidegger sogenannten "Onto-logie der Vorhandenheit des Vorhandenen" betrachten drfen, dann kommen wir beim Vergleich der Metaphysikkritik Heideggers und Wittgensteins zu folgender Feststellung: Whrend Heidegger in "Sein und Zeit" sowohl die all-gemeine Seinsvergessenheit durch den Gesichtspunkt der "ontisch-ontologischen Differenz bekmpft wie insbesondere den verborgenen Vorrang der Ontologie der. Vorhandenheit" des Vorhandenen in Frage stellt, ergibt sich die Metaphysik-kritik des frhen Wittgenstein ausschlielich aus der paradoxen Zuspitzung der ontisch-ontologischen Differenz im Geltungsbereich der Ontologie der Vor-handenheit des Vorhandenen durch die Unterscheidung dessen, was sich sagen lt (sc . was der Fall ist") und dessen, was sich in der Aussage nur "zeigt" (sc. der "logischen Form" der Welt). M. a. W.: Wittgenstein zeigt hier- um mit Heidegger zu reden-, da die Logik unserer Sprache uns nur sinnvolle Aussagen ber ontische (innerweltliche) Tatbestnde erlaubt, nicht aber ber das Sein bzw. das Seinsverstndnis, das uns die Vorhandenheit dieser Tatbestnde (der "Sachverhalte und "Sachlagen") a priori "freigibt". Die "vorgngige Frei-gabe alles Seienden gem der Ontologie der Vorhandenheit aber wird von Wittgenstein nidtt in Frage gestellt. Ja, er ist der festen Uberzeugung, da der metaphorische Schein der ontologisch-transzendentalen Aussagen gerade darauf beruht, da unsere Sprache als deskriptive Sprache sich nicht von dem Schema-tismus der bildhaften Darstellung innerweltlicher Sachverhalte lsen kann und darf. (Magebend fr diese Verabsolutierung der Ontologie der Vorhanden-heit war fr den jungen Wittgenstein zweifellos die Konzeption der Ideal-sprache, wie sie in der mathematischen Logik Freges und Russells als Przi-sionsform ,.der" menschlichen Sprache sichtbar zu werden schien.)

    Auch fr Heidegger gilt die Voraussetzung, da die "Seinsvergessenheit" -sowohl als Nichtbercksichtigung der ontisch-ontologischen Differenz wie ins-besondere als Verfallen an das substanzontologische Seinsverstndnis der Onto-logie der Vorhandenheit - wesentlich durch den sprachlichen "Vorgriff" der traditionellen Metaphysik bedingt ist (der in der modernen Logistik und ihrer ontologischen Spekulation gewissermaen als letzte "Metasprache" fungiert). Aber Heidegger hat in "Sein und Zeit" versucht, gerade mit Hilfe der nicht-theoretischen Sprache des Alltags (der "ffentlichen Ausgelegtheit" der Welt im "alltglichen In-der-Welt-sein") die Sprache der traditionellen Onto-Logik sozusagen zu unterlaufen und ein ursprnglicheres Seinsverstndnis zur Sprache

    Das hat insbesondere die Rekonstruktion von E. Stenius (a. a. 0.) gezeigt. Vgl. dazu jetzt W. Stegmller in: Philos. Rundschau, 13. Jg. (1965), S. 116-138. Ferner Stegmller: Eine modelltheoretische Przisierung der Wittgensteinschen Bildtheorie. In: Notre Dame Journal of Formal Logic, Vol. VII, 1966, S. 181-195.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 77

    zu bringen, das in dem kategorialen Schematismus der Ontologie der Vorhan-denheit nur seinen "defizienten Modus" hat.

    Eben diese Relativierung der Ontologie der Vorhandenheit hat nun Wittgen-stein in der zweiten Epoche seines Philosophierens, die bald nach seiner ber-siedlung nach England im Jahre 1929 einsetzte, ebenfalls - auf seine Weise --durmgefhrt. Zwar geht es ihm nicht - wie Heidegger 1927 in "Sein und Zeit" -um die Begrndung einer Fundamental-Ontologie; vielmehr mchte er- ge-m seinem festgehaltenen Unsinnigkeitsverdacht gegen alle theoretische Phi-losophie- jetzt der Fliege endgltig "den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen"39 und die ontologisch-metaphysischen Probleme durch therapeutische Sprachkri-tik "zur Ruhe bringen" ("wie eine Krankheit"40). Indessen: die exemplarischen "Sprachspiel"-Analysen, die in den Vorlesungsnachschriften von 1933-35 (den sog. "Blue and Brown Books") und in den 1953 posthum verffentlichten "Philosophischen Untersuchungen" vorliegen, enthalten- zumindest implizit-eine Theorie nicht nur der Gegenstandskonstitution, sondern primr der vor-gegenstndlichen "Weltfreigabe" aus dem vorgngigen Seinsverstndnis der mit der Lebenspraxis verwobenen Alltagssprache.

    Bedenkt man nun, da auch fr Heidegger die "ontologische" Interpretation seiner "Hermeneutik" des alltglichen "In-der-Welt-seins" nicht das letzte Wort behalten sollte, so hat man allen Anla, zunchst einmal unabhngig von der Frage nach der letzten Zielsetzung Heideggers und Wittgensteins die "Herme-neutik" des alltglichen "In-der-Welt-seins" und die Analyse der alltglichen "Spradtspiele" zu vergleichen.

    Mit Rcksimt auf die primr phnomenologisch-ontologische Methode Hei-deggers und die primr sprachanalytische Methode Wittgensteins wird es bei einem soldten Versuch freilich ntzlich sein, eine Beziehung zwischen den kate-gorialen Grundmodellen der abendlndischen Ontologie einerseits, der Sprach-philosophie andererseits herzustellen. Eine solche Beziehung - ein Korrelator gewissermaen fr die Terminologie Heideggers und Wittgensteins - drngt sich nun geradezu auf, wenn man die 1-38 der "Philosophischen Untersu-chungen" Wittgensteins gleichsam mit den Augen Heideggers zu lesen versud:tt: Man fin"det hier, grob gesagt, eine Infragestellung des seit Aristoteles die Sprach-logik beherrschenden Denkmodells, da die Wrter der Sprache ihre "Bedeu-tung" dadurch haben, da sie "etwas bezeichnen", u. d. h.- folgt man dem hier zugrunde liegenden Vorstellungsschema bis zu seinem Ursprung-: da die Wr-ter "Namen" fr" vorhandene Dinge" oder ,,Gegenstnde" sind41

    Es ergibt sich also der heuristische Gesichtspunkt, Wittgensteins Infragestel-lung des Bezeichnungsmodells der traditionellen Sprachphilosophie mit Heideg-gers Infragestellung der Ontologie der "Vorhandenheit" (bzw. ihrer modernen Filiation: der Ontologie und Transzendentalphilosophie der "Gegenstndlich-keit") in Parallele zu setzen.

    at ,.Philosophische Untersuchungen", I, 309. o Ebda., 133 bzw. 255. 41 Vgl. zum folgenden E. K. Spedtt: Die spradtphilosophischen und ontologischen Grund-

    lagen im Sptwerk Ludwig Wittgensteins. Kln 1963.

  • Karl-Otto Apel

    Philosophiehistorisch luft dies auf eine parallele Destruktion der traditio-nellen Sprachlogik und der Ontologie hinaus, die ja in der mittelalterlichen Scholastik tatschlich kaum voneinander getrennt werden knnen: Wir wollen das kurz durch einige historische Hinweise erlutern:

    Die traditionelle Sprachlogik war sich zwar seit Aristoteles darber im kla-ren, da die Wrter, sofern sie eine allgemeine Bedeutung haben, keine Eigen-namen sind und da sie auch als allgemeine Bezeichnungen nicht alle als "no-mina (im Sinne der Grammatik) fr "Substanzen" stehen, sondern auch fr .Qualitten", "Relationen" und andere Entitten, die nach Aristoteles nur in analoger Weise als Dinge oder "Pragmata" aufgefat werden drfen. Darber hinaus hat Anstoteies bei den spter sogenannten transzendentalen Bestim-mungen wie "Sein" und "Einheit" sowie bei den "Bindewrtern" oder "logi-schen Partikeln" berhaupt in Abrede gestellt, da sie etwas Sachhaltiges be-zeichnen. Aber gerade diese - fr die abendlndische Sprachphilosophie und Ontologie grundlegenden - Unterscheidungen zeigen, da das Problem der Wort-"Bedeutung" nur nach dem Vorstellungsschema der "Bezeichnung" u. d. h. eigentlich: der "Benennung" eines vorhandenen Dinges durch einen Namen gedacht werden konnte. War diese Vorstellung nicht ~4nwendbar, dann war man in Verlegenheit, wie die Klassifizierung der logischen Partikel als "Syn-kategoremata" oder die "Analogie"-Problematik der "Kategoremata" in der scholastischen These "tot prdicamenta tot res" bezeugt. Ja, noch der nomina-listisc:he Protest gegen die dingliche Hypostasierung aller "Kategoremata" zeigt, da der ganze Universalienstreit seine sprachphilosophische Vorausset-zung in der Auffassung der "Wortbedeutung" als "Bezeichnung von etwas" hat- sei dieses "etwas" nun eine "res" im eigentlichen oder im "analogen" Sinn, sei es ein konkret-individuelles Ding oder ein "universale ante res" oder ein .universale in rebus", oder sei es nur ein "ens rationale", ein "conceptus". Da-her waren nach Wittgenstein eigentlich die Vertreter beider Parteien des Uni-versalienstreits "Nominalisten" im Sinne eines sprachphilosophischen Vorstel-lungsmodells; vor allem aber waren jene mathematischen Reformatoren der Sprachlogik wie Russell und der junge Wittgenstein selbst "Nominalisten", die am Vorabend und zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Bedeutungsproblem auf eine klare Formel bringen wollten nach der Alternative: entweder hat ein Wort Bedeutung, dann hat es den Charakter eines Namens, der einen Gegenstand im weitesten Sinn benennt und als Wert fr eine Variable im objektsprachlichen Kalkl der Logistik eingesetzt werden kann, oder- und diese Mglichkeit wurde erst von dem jungen Wittgenstein in paradoxer Form zu Ende gedacht- das Wort hat gar keine Bedeutung, es steht nimt fr etwas, sondern "zeigt" nur- als .logische Konstante"- die "logische Form" der Sprache und der Welt.

    Die gesamte, soeben angedeutete Tradition der abendlndischen Spracbk>gik, die gewissermaen im "Tractatus logico-philophicus" des frhen Wit~genstein gipfelt, wnscht der spte Wittgenstein zu charakterisieren und zu transzendie-ren, wenn er in den "Philosophischen Untersuchungen"( 383) schreibt:

    .... Nominalisten machen den Fehler, da sie alle Wrter als Namen deu-

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 79

    ten, also ihre Verwendung nicht wirklich beschreiben, sondern sozusagen nur eine papierene Anweisung auf so eine Beschreibung geben."

    Sogar fr die radikale Ausformung des sprachphilosophisch-ontologischen Nominalismus, die zum "Logischen Atomismus" und seiner Unterscheidung von Namenvariablen und logischer Form der Sprache hinfhrt, findet Witten-stein jetzt einen frhen geschichtlichen Beleg in Platons ,, Theaitetos", wo Sokra-tes die folgende Hypothese vortrgt: "Tusche ich mich nicht, so habe ich von Etlichen gehrt: fr die Urelernente- um mich so auszudrcken- aus denen wir und alles brige zusammengesetzt sind, gebe es keine Erklrung: denn alles, was an und fr sich ist, knne man nur mit Namen bezeichnen; eine andere Be-stimmung sei nicht mglich; weder die; es sei, noch die, es sei nicht ... Somit aber sei es unmglich, von irgendeinem Urelement erklrungsweise zu reden; denn fr dieses gebe es nichts, als die bloe Benennung; es habe ja nur seinen Namen. Wie aber das, was aus diesen Urelernenten sich zusammensetzt, selbst ein verflochtenes Gebilde sei, so seien auch seine Benennungen in dieser V er-flechtung zur erklrenden Rede geworden; denn deren Wesen sei die Verflech-tung von Namen"42

    Es kann keinem Zweifel unterliegen, da auch Heidegger die gesamte tradi-tionelle Sprachlogik als Korrelat der zu destruierenden Ontologie des Vorhan-denen in seiner puren Vorhandenheit betrachtet und da er in der Frage des Universalienstreits nicht nur den blicherweise so genannten Nominalisten und ihren modernen Nachfolgern, den Positivisten, Seinsvergessenheit im Sinne eines Verfallenseins an das innerweltlich Vorhandene vorwerfen wrde, sondern ge-rade auch den sogenannten Universalienrealisten, die das Sein des Seienden als ein Seiendes besonderer Art glauben denken zu mssen.

    Freilich fllt bei dieser Parallelisierung zweierlei auf: 1. Zumindest der frhe Heidegger lt im Gegensatz zu Wittgenstein eher

    die (aristotelisch-russellsche) Sprach-Logik in der Ontologie des Vorhandenen fundiert sein als umgekehrt die Ontologie des Vorhandenen in dem- besonde-ren- "Sprachspiel der Namengebung" bzw. der "hinweisenden Erklrung von Namen". Man knnte versucht sein, zwischen diesen divergierenden Resultaten eines mehr phnomenologischen und eines mehr sprachanalytischen Ansatzes dahin zu entsdteiden, da fr die Entstehung der philosophischen Sprache (wie schon zuvor der sprachim~anenten Philosophie) das Verfallen des Seinsver-stndnisses an den sich aufspreizenden Ding-Charakter der sinnlich erfahrbaren Welt plausibler ist, whrend spter der sprachliche Vorgriff der Substanz-ontologie, der in der nominalistischen Sprach-Logik sich reflektiert, die gegen-standstheoretische Weltauffassung der Wissenschaft von der Sprache her fest-legt. (Diese "geschichtliche" Betrachtungsweise scheint mir brigens geeignet zu sein, die "abstrakte" Unterscheidung Carnaps zwischen der konventionellen Festlegung des semantischen "frameworks" - in unserem Falle der "Ding-Sprache" - und den, erst aufgrund dieser Festlegung des Seinsverstndnisses mglichen, Welterfahrungen in Frage zu stellen. Und diese Infragestellung wrde natrlich auch eine "abstrakt-ungeschichtliche" Verabsolutierung der

    41 Philos. Untersudtungen, I, 46.

  • 8o Karl-Otto Apel

    ,.transzendentalen" bzw. der "ontisch-ontologisdten Differenz" betreffen. Witt-genstein hat sich in den "Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik" (I, 74) einmal die Frage vorgelegt, wie es mglich sein sollte, die "Tiefe" der ,. Wesensfragen" der traditionellen Ontologie auf bloe Sprachspielkonventionen zurckzufhren. Er antwortet: "Der 7iefe des Wesens entspricht das tiefe Be-drfnis nach der bereinkunft." Diese Antwort verweist implizit auf die Mglichkeit, den "Entwurf" des semantischen "frameworks", der die Bedin-gungen der Mglichkeit der Erfahrung festlegt, seinerseits als geschichtlich legi-timen Ausdruck einer "Erfahrung" zu begreifen, - einer Erfahrung freilich, welche nicht in der quasiautomatischen Subsumption von Daten unter mgliche Begriffe eines Sprachspiels besteht, sondern eher in der Provokation eines neuen Sprachspiels (oder einer Anderung im Sprachspiel). Derartige "Wegns-Erfah-rungen" wird man insbesondere den Philosophen (und den Didttern) zutrauen mssen. Ihre Bercksichtigung motiviert den Grundansatz einer philosophischen ,.Hermeneutik, die zwischen der sprachanalytischen Voraussetzung einer immer schon abgeschlossenen Vermittlung der Struktur des Seinsverstndnisses im se-mantischen "framework" und dem phnomenologischen Anspruch auf unmit-telbare" Wesensschau" zu vermitteln sucht- gem dem "hermeneutischen Zir-kel von ontischer Erfahrung und ontologischem Vorverstndnis ihrer Struktur, von ,.Geworfenheit" und "Entwurf".)

    2. Der zweite Punkt, der bei unserer prinzipiellen Parallelisierung Heideg-gers und Wittgensteins in der Frage einer Destruktion des logisch-ontologischen Nominalismus auffllt und Sdtwierigkeiten bereitet, ist der Umstand, da der spte Wittgenstein seine Destruktion in erster Linie gegen diejenigen sprach-philosophismen "Nominalisten" zu richten scheint, die- als Platoniker- auch

    ' die nicht durch ein "Sprachspiel der hinweisenden Erklrung" ausweisbaren Funktionen der Sprame als Bezeichnungsfunktion verstehen und von daher zur Hypostasierung ebenso vieler Entitten gefhrt werden, wie es Wrter bzw. Begriffe gibt. Diese Tendenz Wittgensteins zeigt sich besonders in seiner Kritik der sokratisch- platonischen Voraussetzung eines festen und einheitlichen Wesens" als "Substanz" der Wortbedeutungen in den "Philosophischen Unter-sumungen43" sowie in seiner radikalen Kritik jeder platonisch-infinitistischen Begrndung des Zahlbegriffs und sogar des von den "Intuitionisten" vorausge-setzten Begriffe einer "Regel" der Konstruktion in den "Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik" 44. Demgegenber hat man im Lager des moder-nen Empirismus Heideggers Fundamentalontologie stets als extremen Univer-salienrealismus empfunden, insbesondere die Rede von dem "Sein" und dem ,.Nichts"4h. Der Eindruck, da hier ein Gegensatz im Sinne des Universalien ..

    " Philos. Untersuchungen, I, S 65 ff. " Vgl. W. Stegmller in Philos. Rdsch., 13. Jg. (1965), S. 138-152. " Vgl. z. B. W. Stegmller: Hauptstrmungen der Gegenwartsphilosophie, 31965, S. t90ff.

    Neuerdings hat E. K. Specht (,.Sprache und Sein", Berlin 1967) den Versuch unternommen, die Ton Heidegger aufgeworfene Frage nach dem Sino von ,.Sein" auf der Linie eines an Wittgen-stein orientierten ,.Nominalismus zu beantworten. Das setzt natrlich voraus, da weder Heidegger noch auch Wittgenstein in ihrem Anspruch, die traditionellen Alternativen der Onto-logie zu transzendieren, ernstgenommen werden.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 81

    streits vorliegt, berfllt den Auenstehenden in der Tat vor allem beim Ver-gleich des Heideggerschen Sprachstils mit dem der "philosophischen Untersu-chungen": Versucht doch Heidegger, wie es scheint, oft mit einer einzigen, bei-nahe schon mythologisch hypostasierenden Metapher das zur Sprache zu brin-gen, was Wirtgenstein in seinem philosophischen "Album"45 in einer Flle von Beispielen mehr andeutet als theoretisch explizit aussagt. So enthlt z. B. Hei-deggers Rede von der Sprache als dem "Haus des Seins" und der "Behausung des Menschenwesens"46 gewissermaen ein resurnierendes quivalent zu dem, was der Leser nach der Lektre der "Philosophischen Untersuchungen" ber den Zusammenhang von Sprache und menschlicher "Lebensform", und wie-derum von "Tiefengrammatik" und a priori gltiger "Wesensstruktur" der Welt, gelernt hat.

    Ohne den soeben angedeuteten Unterschied in der Diktion und damit auch in der Methode Heideggers und Wirtgensteins bagatellisieren zu wollen, scheint er mir jedoch nicht so tief begrndet zu sein, wie die gegenseitige Abkapselung und Perhorreszierung der von beiden Denkern ausgehenden Schulrichtungen der Philosophie vermuten lt. Vielmehr scheint er mir erst dann verstndlich zu werden, wenn man in ihm den zwiefachen Ausdruck einer Position sieht, die Heidegger und Wirtgenstein gerade gemeinsam ist: der angedeuteten kritischen Distanzierung des - im tieferen Sinne - nominalistischen Denkmodells bzw. der zugehrigen Ontologie. Auf Grund dieser Distanzierung kann weder Wirtgen-stein das in der Tiefengrammatik der Sprache implizierte Weltverstndnis auf das im Sinne des Positivismus Bezeichenbare "reduzieren" noch kann Heideg-ger das Sein des Seienden im Ernst als ein bezeichenbares Seiendes meinen. Viel-mehr suchen beide Denker die Vielfalt und Tiefe des nicht gegenstndlichen, aber fr die Gegenstandskonstitution schon vorausgesetzten Seinsverstndnisses so zur Sprache zu bringen, da der "Gegenzug" gegen die Sprache der Meta-physik stets wirksam bleibt. Der spte Wirtgenstein sucht dies dadurch zu er-reichen, da er mglichst berhaupt keine gegenstandstheoretischen Thesen in der Art der Wissenschaft aufstellt; Heidegger zunchst dadurch, da er in einer ungewhnlichen, oft gewaltsam provozierenden Begrifflichkeit die neue Di-mension aufzureien versucht, spter vor allem dadurch, da er der Etymologie oder der Sprache der Dichtun~ Bilder und Metaphern entlehnt, die so fremd-artig sind, da sie eben dadurch den metaphorischen Schein der in unserer Sprache bereits angelegten Ontologie der Gegenstndlichkeit aufheben.

    Der spte Heidegger hat die prinzipielle Schwierigkeit, die ihm aus dem Ge-genzug zur Sprache der "Metaphysik" erwchst, mehrfach sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. So heit es in der Einleitung zur 5. Auflage von "Was ist Metaphysik?"

    "Der Versuch, vom Vorstellen des Seienden als solchem in das Denken an die Wahrheit des Seins berzugehen, mu, von jenem Vorstellen ausgehend, in gewisser Weise auch die Wahrheit des Seins noch vorstellen, so da dieses Vor-

    411 Vgl. das" Vorwort" der "Philos. Untersuchungen". ce Platons Lehre von der Wahrheit, mit einem Brief ber den Humanismus. Bern 1947, S. 115.

  • Karl-Otto Apel

    stellen notwendig anderer Art und schlielich als Vorstellen dem Zu-denkenden ungem bleibt."

    Da bei der Verschuldung dieser Notlage, in der das Vorstellen durch ein an-dersartiges Vorstellen in seine Schranken verwiesen werden soll, die Sprache des Vorstellens wesentlich beteiligt ist, verrt die folgende Stelle aus "Identitt und Di1ferenz'7:

    .Das Schwierige liegt in der Sprache. Unsere abendlndischen Sprachen sind in je versdedener Weise Sprachen des metaphysischen Denkens. Ob das Wesen der abendlndismen Sprachen in sich nur metaphysisch und darum endgltig dunh die Onto-Theo-Logik geprgt ist, oder ob diese Sprachen andere Mg-lichkeiten des Sagens u. d. h. zugleich des sagenden Nichtsagens g_ewhren, mu offen bleiben."

    Hiermit wren die folgenden Stellen der "Philosophischen Unt~:rsuchungen" Wittgensteins zu vergleichen:

    Wo unsere Sprache uns einen Krper vermuten lt, und kein Krper ist, dort, mchten wir sagen, sei ein Geist." ( 36) So "kommt es zum philosophi-schen Problem der seelischen Vorgnge und Zustnde und des Behaviorismus? -der erste Sduitt ist der ganz zufllige. Wir reden von Vorgngen und Zustn-den, und lassen ihre Natur unentschieden! Wir werden vielleicht einmal mehr ber sie wissen- meinen wir. Aber eben dadurch haben wir uns auf eine be-stimmte Betrachtungsweise festgelegt. Denn wir haben einen bestimmten Be-griff davon, was es heit: einen Vorgang nher kennenzulernen. Der ent-sdleidende Schritt im Taschenspielerkunststck ist getan, und gerade er schien uns unsmuldig." Indem wir nun tiefer in das Problem hineingeraten, werden wir kritism: "Und nun zerfllt der Vergleich, der uns unsere Gedanken htte begreiflich machen sollen." Und wir fallen nun- in der naturalistisch-behavio-ristisdten Philosophie nmlich - in die entgegengesetzte Aporie: "Wir mssen also den noch unverstandenen Proze im noch unerforschten Medium leugnen. Und so scheinen wir also die geistigen Vorgnge geleugnet zu haben. Und wol-len sie dodt nicht leugnen." ( 308)

    Hier charakterisiert Wittgenstein treffend das Dilemma, das in seiner eigenen Methode Heideggers Schwierigkeit beim Denken des Seins entspricht: Whrend Heidegger immer wieder in die Gefahr gert, sich durd:t seine spekulativen Ver-suche einer die Metaphysik transzendierenden Philosophie wider Willen doch eine gegenstndliche Vorstellung von dem zu machen, was nicht wie ein Ding vorgestellt werden darf, gert der antispekulative Wittgenstein in die Gefahr, wegen seiner Leugnung der gegenstndlich hypostasierten Geistphnomene mit den Positivisten verwechselt zu werden, welme diese Phnomene berhaupt leugnen, oder sie auf solche Phnomene zu reduzieren, die man in der physika-listischen "Ding-Sprame" besmreiben kann.

    Das Beispiel von der dinghaften Vorstellung des Geistigen, das Wittgenstein analysiert, erinnert im brigen an die Descartes-Kritik Heideggers in "Sein und Zeit", deren sprachkritische Pointe ja eben darauf hinausluft, da Descar-

    .., M. Heidegger: Identitt u. Differenz. Pfullingen 1957, S. 72.

  • Die Fragen. d. Sinn von Sein u. d. Sinnlosigkeitsverdacht geg. alle Metaphysik 8 3

    tes mit der Frage. 'Was ist das unbezweifelbare ego cogito?" jenen scheinbar un-schuldigen Schritt tut, der ihn- durch den metaphorischen Schein der Frage nach dem "Was" - auf eine bestimmte (substanzontologische) Betrachtungsweise festlegt. (Wenn Descartes auf diese Frage antwortet: das "ego cogito" ist eine "res sive substantia cogitans" (gewissermaen ei