Aplasia congenitalis glandularum Meibomi palpebrae inferioris

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V. Gr~efes Archiv ffir Ophthulmologie, Bd. 150, S. 411--413 (1950). Aplasia congenitalis glandularum Meibomi palpebrae inferioris * Von Dr. ALFRED BAI)ER~ Augenarzt in Basel. Mit 3 Textabbildungen. Eine der h~ufigsten, alltiglichen Manipulationen des Arzges ist wohl die Eversion des Unterlides zur Inspektion der Conjunetiva pal- pebrae und des nnteren Fornix. Um so merkwfirdiger erseheint es, dag, wie sehon der Japaner HIROSE betont hat, nur wenige Beobaeh~ tungen fiber das Fehlen der MEIBoMschen Driisen in der Literatur niedergelegt sind. Aueh wirkamen zu diesem gesultat, denn zumeist handelte es sich bis heute um F~lle yon Distichiasis, wo die Aplasie, dureh einen Haarfollikel ersetzt, zum sog. Zweiwuchs der Wimpern ffihrte, Verhiltnisse, die bekanntlieh 1923 dureh v. SzILu in eiiaer klas- sisehen Arbeit mit I~ekonstruktionsmodellen naeh mikroskopisehen Sehnitten gekl~rt worden sind. Unser Fall hat damit niehts zu tun, trotzdem er ein merkwfirdiges, bis anhin vielleicht noeh hie gesehenes Cilienbild aufweist. Was die Driisenanomalie anbetrifft, i~hnelg er der Beobaehtung yon HIWATASHI, doeh mnB es sich bei dieser 18j~hrigen Frau vor allem um eine aus- gesproehene Tarsusatrophie gehandelg haben, wenn er sehreibg: ,,Toutes sea paupigres song faibles; au toucher, on remarque que les tissus du tarse font ainsi dire d6faut dans chaque paupi@re." Aueh die Befunde yon ttIROSE kSnnen unberiieksichtigt bleiben; sie sind an Alkohol- Formolleiehen erhoben, und da waren wohl auch die Wimpernverhilt- nisse niehg mehr Mar zu deuten. Er sprieht aueh nicht davon. Nur in groBen Zfigen sei meine eigene Beobaehtung gesehildert: Bei einem 9j ahrigen, dunkelhaarigen Mi~dehen, das wegen unbestimmten, sehon lange bestehenden katarrhalisehen Besehwerden zum Augenarzt kam, sieht man an Stelle der MEIBO•schen Driisen des Unterlides sehwi~rzlieh durchsehimmernde Verfiirbung der Subeonjunetiva. Unter Hinweis auf die sehematische Darstellung in Abb. 1 und 2 geht hervor, dab besonders die nasalen tIiifften betroffen sind, wi~hrend sieh temporal noch Drfisenrudimente finden. Am sehlimmsgen befallen ist das linke Auge, denn hier stehen den Befunden am reehten Auge (etwa 61/2 Drfisen) bloB 2a/2 Drfisen gegenfiber. Nirgends ist eine abnorme Cilienstellung im Sinne einer Distiehiasis zu sehen. Da die Wimpern Herrn Geheimrat W~SS~Lu zum 75. Gebnrtstag gewidmet. v. Graefes Archly fiir Opl'ithalmologie. Bd. 150. 27a

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V. Gr~efes Arch iv ffir Ophthulmologie , Bd. 150, S. 411- -413 (1950).

A p l a s i a congen i t a l i s g l a n d u l a r u m M e i b o m i p a l p e b r a e in fe r io r i s *

Von

Dr. ALFRED BAI)ER~ Augenarzt in Basel.

Mit 3 Textabbildungen.

Eine der h~ufigsten, alltiglichen Manipulationen des Arzges ist wohl die Eversion des Unterlides zur Inspektion der Conjunetiva pal- pebrae und des nnteren Fornix. Um so merkwfirdiger erseheint es, dag, wie sehon der J a p a n e r HIROSE betont hat, nur wenige Beobaeh~ tungen fiber das Fehlen der MEIBoMschen Driisen in der Literatur niedergelegt sind. Aueh w i r k a m e n zu diesem gesul tat , denn zumeist handelte es sich bis heute um F~lle yon Distichiasis, wo die Aplasie, dureh einen Haarfollikel ersetzt, zum sog. Zweiwuchs der Wimpern ffihrte, Verhiltnisse, die bekanntlieh 1923 dureh v. SzILu in eiiaer klas- sisehen Arbeit mit I~ekonstruktionsmodellen naeh mikroskopisehen Sehnitten gekl~rt worden sind.

Unser Fall hat damit niehts zu tun, t rotzdem er ein merkwfirdiges, bis anhin vielleicht noeh hie gesehenes Cilienbild aufweist. Was die Driisenanomalie anbetrifft, i~hnelg er der Beobaehtung yon HIWATASHI, doeh mnB es sich bei dieser 18j~hrigen Frau vor allem um eine aus- gesproehene Tarsusatrophie gehandelg haben, wenn er sehreibg: ,,Toutes sea paupigres song faibles; au toucher, on remarque que les tissus du tarse font ainsi dire d6faut dans chaque paupi@re." Aueh die Befunde yon ttIROSE kSnnen unberiieksichtigt bleiben; sie sind an Alkohol- Formolleiehen erhoben, und da waren wohl auch die Wimpernverhi l t - nisse niehg mehr Mar zu deuten. Er sprieht aueh nicht davon.

Nur in groBen Zfigen sei meine eigene Beobaehtung gesehildert: Bei einem 9j ahrigen, dunkelhaarigen Mi~dehen, das wegen unbestimmten, sehon lange bestehenden katarrhalisehen Besehwerden zum A u g e n a r z t kam, sieht man an Stelle der MEIBO•schen Driisen des Unterlides sehwi~rzlieh durchsehimmernde Verfiirbung der Subeonjunetiva. Unter Hinweis auf die sehematische Darstellung in Abb. 1 und 2 geht hervor, dab besonders die nasalen tIiifften betroffen sind, wi~hrend sieh temporal noch Drfisenrudimente finden. Am sehlimmsgen befallen ist das linke Auge, denn hier stehen den Befunden am reehten Auge (etwa 61/2

Drfisen) bloB 2a/2 Drfisen gegenfiber. Nirgends ist eine abnorme Cilienstellung im Sinne einer Distiehiasis zu sehen. Da die Wimpern

�9 Herrn Geheimrat W~SS~Lu zum 75. Gebnrtstag gewidmet. v. Graefes Archly fiir Opl'ithalmologie. Bd. 150. 27a

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pechschwarz sind, sieht man gut, aber noch besser bei leichtem Driicken yon der Hautseite her, das Durehscheinen zahlreieher IIaarpapillen und Cilienteile, die wie Kaulquappengebilde im Tarsusgewebe liegen, gleichsam in einer Glashaut eingebettet, so dab sie in diesem Falle

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Abb . 1.

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Abb. 2.

Abb. 1 u. 2. L idbe fund , s ehema t i s ch geze ichnet , 1:2, auf r e c h t e r u n d l inker Sei te: /~ u n d L. n. no, s a l l n i t T r ~ n e n p u n k t ; t t e m p o r a l . Neben den als Rech t ecke und Q u a d r a t e

e ingeze ichne ten Drfisen l iegen als P u n k t e die Cflienpapillen.

�9 auch der Spaltlampenuntersuchung zug/~ngig sind. Auf dem reehten Lid haben wir 9 Cilienwurzeln gezi~hlt, auf dem linken dagegen 13. Dabei f~llt auf, dab zuweilen Haarfollikel wie Tusehpunkte sich im inter- glanduli~ren Raum dem:DrfisenkSrper direkt anlehnen.

Abb. 3.

Uberall, wo die Drtisen fehlen, fanden wir keine Ausffihrungsgi~nge; die vorhandenen sind normal. Der intermarginale Raum, yon normaler Breite, weist dort, wo die Drfisenausg~tnge mangeln, eine feine Schriig- fgltelung auf. Abgesehen yon einer leiehten follikul~ren Sehwellung der Conjunctiva sind die Augen sonst o. B.

Es liegt somit in diesem Fall eine partielle kongenitale Aplasie der MEIBOMschen Driisen vor unter teilweiser Verlagerung der Cilienpapillen in die Subcon]unctiva. Schon die Distichiasisforschung zeigt, dab

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Aplasia congenitalis gtandularum Meibomi palpebrae inferioris. 413

bei dieser MiBbfldung ganz bestimmte Zusammenh~nge zu rudiment~ren M~I]3OMschen Driisen bestehen miissen. Auch vorliegender Fall l ~ t daran denken; denn just dort, wo wirklichc Colobom~ta der Driisen- phalanx vorliegen, wie z .B. auf dem nasalen Abschnitt des linken Lides, ist blol3 ein Wimpernfollikel sichtbar. Das Kind hat sonst durchaus normale Wimpern; es bestcht kein Unterschied zwischen Unter- und Oberlid, und im letzteren sind die MEIBOMschen Driisen beiderseits gut ausgebildet und funktionieren normal.

Wir haben uns vergeblich bemiiht, die Vererbung in diesem Fall zu kliiren. Leider ist der Grol~vater miitterlicherseits gestorben. Die Grol~mutter der Vaterreihe hat etwas auffallend kleine Driisen, daft somit als , ,meibomschwach" bezeichnet werden. Bei deren Sohn, dem Vater des Mgdchens, sind die I)rfisenverhgltnisse normal, blol~ am linken Auge sieht man nach aul~en seitlich an einem Driisenk(irper, wie oben besprochen, in der Tiefe 2 schwiirzliche Cilienpapillen durch- schimmern, doch das kann man ja auch sonst bisweilen beobachten.

Da unser Fall, wie kaum einer, die giinstige Gelegenheit bietet, an d e n ' W i m p e r n direkt unter optischer Kontrolle in vivo Studien zu treiben, habe ich die Patientin der Basler Klinik fibergeben.

Anfragen bei betagten, erfahrenen Kollegen nach ghnlichen Be- obachtungen sind erfolglos geblieben. So stellt sich vor allem die Frage: Wurden bis heute solche Anomalien iibersehen oder handelt es sich wirklich um etwas so Seltenes ? MSge auch in dieser Richtung diese kurze Mi~teilung eine Klgrung bringen.

Literatur. Hmos~,, K.: Arch. d'Ophtalm. 3, 672 (1939). - - I-IIWATAS~I: Le coloboma

des tarses e t ]e d6veloppement incomplet des glandes de Meibomius. Diss. Siehe sub 1, 674. (Japan.) - - Sz~u A. v. : ?,~er ttaarbildung in der M]~IBOMschen I)rfise und fiber behaarte MEiBO~-Drfisen (sog. Distichiasis congenita vera).

Dr. ALFRED BADER, Basel (Schweiz), Aeschenplatz 5.

v. Graefes Archiv fiir Ophthalmo]ogie. Bd. 150. 27b