Arbeit 4.0 MOOC. Bericht und Erkenntnisse für Bildung 4.0

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ARBEIT 4.0 MOOC Bericht & Erkenntnisse für Bildung 4.0 31.08.2016 Dr. Anja C. Wagner & Friends FrolleinFlow | ununi.TV | FLOWCAMPUS

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ARBEIT 4.0 MOOC Bericht & Erkenntnisse für Bildung 4.0 31.08.2016

Dr. Anja C. Wagner & Friends

FrolleinFlow | ununi.TV | FLOWCAMPUS

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Der Arbeit 4.0 MOOC

Kurzvorstellung des Arbeit 4.0 MOOCs

Zielsetzungen

Zielgruppen

Konzept

Ergebnisse

Das Bildung 4.0 Manifest

Hochschul-Bildungs-Report 2020: Jahresbericht 2016

8 Thesen zur akademischen Arbeitswelt 4.0

Schnittstellen zum Bildung 4.0 Manifest

Konsequenzen für Arbeit 4.0 (aus unserer Sicht)

Probleme der Stifterverband-Studie

Mitwirkung am Bericht 4.0 Dr. Anja C. Wagner, FrolleinFlow

Dr. Angelica Laurençon, connect2communicate

Dr. Christoph Schmitt, Bildungsdesign

Nicole Bauch, FrolleinFlow

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Einleitung Im Frühjahr 2016 führten wir den “Massive Open Online Course” (MOOC) zum Thema

Arbeit 4.0 über die MOOC-Plattform der FH Lübeck durch. In diesem Bericht stellen wir

im ersten Teil unser konzeptionelles Anliegen und die Ergebnisse vor.

An die MOOC-Erfahrungen anknüpfend, formulierten wir im kollaborativen Verbund des

FLOWCAMPUS das Bildung 4.0 Manifest, das den neuen Zusammenhang zwischen Arbeit

und Bildung 4.0 im 21. Jahrhundert aufzeigt. Der Stifterverband bat uns

herauszuarbeiten, welche Konsequenzen diese Entwicklung aus unserer Sicht für die

Hochschulen mit sich bringt und welche zentralen Aufgaben und Funktionen aus dieser

Perspektive auf die Bildungsinstitutionen zukommen. Deshalb reflektieren wir im

zweiten Teil unsere 10 Thesen aus dem Manifest, welche Bedarfe sich daraus für KMU,

vor allem die kleinen Unternehmen, ergeben und welche Lücken hier das

Hochschulwesen (noch) füllen könnte.

Im dritten Teil untersuchen wir den Jahresbericht 2016 des Stifterverbandes anlässlich

des Hochschul-Bildungs-Reports 2020 mit seinen 8 Thesen zur akademischen Arbeitswelt

4.0 und heben Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unseren Thesen und

Schlussfolgerungen hervor.

Der Arbeit 4.0 MOOC

Kurzvorstellung des Arbeit 4.0 MOOCs Die Welt durchläuft aktuell einen radikalen, disruptiven Wandel, der bisherige

gesellschaftliche Ordnungsmuster konsequent in Frage stellt. Dieser Wandel ist

maßgeblich geprägt durch die Globalisierung und nicht zuletzt durch die Digitalisierung.

Für Unternehmen bedeutet es, dass sie in ihrem Überleben bedroht sind. Das setzt alle

unter Druck, die Angestellten ebenso wie die Unternehmen. In der Arbeitswelt führt

diese Entwicklung dazu, dass Menschen, die nicht Schritt halten (können), keine

angemessene Arbeit finden oder kaum berufliche Perspektiven haben, im Burnout oder

im Prekariat landen. Den etwa 8 Millionen atypisch Beschäftigten auf dem deutschen

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Arbeitsmarkt 2016 geht es nicht anders. Sie sind fast immer von den betriebsinternen

Weiterschulungen ausgeschlossen und bekommen als Beschäftigte weder

Bildungsgutscheine noch andere Fördermittel. Eine Bertelsmann-Studie bezeichnet sie

als die “Weiterbildungsverlierer. “

Deren Zahl wird exponentiell steigen, denn die Fragmentierung des Arbeitsmarktes, also

die beschleunigte Automatisierung der Arbeitsprozesse in Industrie und Dienstleistung

macht nicht an den deutschen Grenzen halt.

Doch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind nicht nur kritisch zu betrachten, in

ihnen steckt auch viel Potenzial, die Welt insgesamt zu transformieren. Diese Chancen in

den Blick zu nehmen, fällt uns in Deutschland oft schwer. Deshalb ist es sinnvoll, einmal

über den Tellerrand hinaus zu blicken.

Wir haben in einem 7-Tage-MOOC niedrigschwellig aufgezeigt, wie der Stand der

Diskussionen in Kalifornien bzw. den USA ist und gemeinsam überlegt, was dies für die

“Arbeit 4.0” im deutschsprachigen Raum bedeuten könnte.

Zielsetzungen ● Allgemeine Aufklärung

● Wo stehen wir?

● Wo geht die Reise hin?

● Was sind Potenziale?

● Wo müssen wir aufpassen? (Pro/Contra)

● Was kann man tun, um die Vorteile für sich zu nutzen?

Zielgruppen Inhaltlich richtete sich das Angebot vor allem an Angestellte, Studierende, Freelancer

und Unternehmer/innen (vorzugsweise in KMU), die neugierig sind auf die Potenziale, die

die Digitalisierung für die Arbeitswelt mit sich bringt, und die ihre Zukunft mitgestalten

wollen.

Konzept

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Die grundlegende Idee für den konzeptionellen Ansatz des Arbeit 4.0 MOOCs war es,

gesamtgesellschaftlich ein breiteres Verständnis für verschiedene Entwicklungslinien zu

wecken, die erst in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel den Kontext für die Zukunft

der Arbeitswelt setzen. Das bedeutete, nicht nur enge Zielgruppen zu adressieren,

sondern möglichst breit “zwischen den Zeilen” verschiedene Stakeholder für die

Vielschichtigkeit der Thematik zu gewinnen.

Entsprechend ging es uns darum, den fließenden Prozess in der Netzwerkgesellschaft

nicht als klassische Wissensvermittlung abzubilden, sondern vielmehr für das Thema

möglichst vielseitig zu sensibilisieren und Ansätze zum Weiterdenken aufzuzeigen.

Dazu sollte das traditionelle MOOC-Kursverständnis transformiert werden in ein

Event-Format, um sehr verdichtet einen zivilgesellschaftlichen Diskurs anzustoßen. Wir

entschieden uns für ein kompaktes 7-Tage-Live-Format, das wir langfristig genug

ankündigten, damit sich Interessierte auf diese Woche einstellen konnten.

Um Berufstätigen die Möglichkeit zu bieten, an diesem Event teilzuhaben, strukturierten

wir den Ablauf sehr klar und übten uns in der Kunst der Verknappung. Gleichzeitig boten

wir umfangreiches Material für eigene Recherchen, um Personen mit mehr verfügbarer

Zeit und Energie eine Anlaufstelle zu bieten, sodass diese entweder parallel oder im

Anschluss weiterlernen konnten.

Die Struktur im Einzelnen skizzieren wir hier entlang unserer handlungsleitenden Matrix.

7 Thementage (mit je mind. 1 Themenpaten): 1. Arbeitskultur mit Klaas Kramer:

Umgang mit Entgrenzung und Mobilität

2. Arbeitsorganisation mit Nicole Bauch und Dr. Marcel Kirchner:

Papierloses Büro und gelebte Kollaboration

3. Abbau der Hierarchien mit Dr. Angelica Laurençon:

Neue Organisationsformen und Wege dorthin

4. Bildung mit Ellen Trude:

Arbeiten = Lernen 4.0

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5. Networking mit Dr. Esther Debus-Gregor:

Plattformen und die Transformation der Orte und Beziehungen

6. Mensch-Maschine-Interaktion mit Dr. Anja C. Wagner:

Automatisierung und Internet of Things

7. Creative Thinking mit Andrea Brücken:

Bedeutung von UX und kreativer Umgebung

3 Ebenen pro Thementag ● Muss man wissen:

Überblick verschaffen in 5 Minuten —> Ziel: Netzkompetenz

● Sollte man wissen:

Andere, (kalifornische) Perspektiven verstehen in 10 Minuten —> Ziel: Empathie

● Kann man wissen:

Selbst starten in 15 Minuten bis zu 1 Stunde —> Ziel: Resilienz

Intention Jede/r Teilnehmer/in konnte und sollte für sich entscheiden, wie tief man pro Thema

einsteigen mochte. Selbst wenn man nur die jeweils 5 Minuten auf der Muss-Ebene

mitnahm, hatte man einen ersten Überblick über den Themenkomplex.

Keine zwanghafte didaktische Führung Alle Materialien aller Thementage standen ab Kursbeginn zum Abruf bereit. Jede/r

konnte sich nach Belieben bereits alles am bereits am ersten Tag ansehen. Oder sich

alternativ auf unsere Taktung einlassen, die geprägt war durch eine persönliche

Begleitung unterschiedlicher Themenpaten, welche jeweils einen Tag “bespielten”.

Vorgeschlagener Ablauf für TN: 1. morgens 5-minütiger Video-Input

2. mittags 10-minütiger Mittags-Snack

3. abends 15-minütiges Nachmittags-Video

4. PLUS 30-minütige Lektüre-Hinweise für den Abend (kommentierte Linkliste)

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5. PLUS eine Aufgabe pro Tag, mögliche Next Steps zu sammeln und selbst einen (!)

nächsten Schritt für ein persönliches, drängendes Problem anzugehen

Das war der Kern und damit sollte man einen guten Überblick haben über den jeweiligen

Themenbaustein. Ergänzend stellten wir weitere Materialien zum Abruf zur Verfügung,

vergleichbar zum Director’s Cut oder Making-of (sozusagen Bonusmaterial).

Plattform, Badges & Zertifizierung Als Plattform für den #A40MOOC wählten wir die MOOC-Plattform der FH Lübeck. Deren

mooin-Team erabeitete ein flankierendes Gamification-Setting mit 7 Badges, die jeweils

die Bearbeitung eines Themenbausteins repräsentierten. Nach Erarbeitung von 4 Badges

konnte man sich ein Zertifikat automatisch herunterladen.

Ergebnisse

Teilnehmer_innen Bis zum Tag vor dem Kursstart hatten sich 740 Personen angemeldet. Mit dem Start am

13. April sprang die Zahl auf 926 Teilnehmer/innen, überschritt am darauffolgenden Tag

die 1.000er Marke und stieg bis zum Ende des Live-Kurses am 20. April auf 1.145

Personen an.

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Die Foren ließen wir offen bis zum 16. Mai, so dass man sich bis zu diesem Zeitpunkt

selbstständig durcharbeiten und ein Zertifikat erwerben konnte. Bis zu diesem Datum

waren 1.244 Personen registriert. Am 14. Juli 2016, dem Ende der Erfassung, konnten

1.324 Teilnehmer/innen verzeichnet werden.

Hinsichtlich ihrer Berufstätigkeit konnten vor allem Erwerbstätige an der Schnittstelle

zwischen Kultur, Medien und Bildung adressiert werden – Selbstständige wie

Vollzeitangestellte.

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Von der Altersklasse her fühlte sich die für den Wandel “problematische” Generation 40+

von dem MOOC ebenso angesprochen wie einige Jüngere, wobei sich keine

altersbedingte Korrelation hinsichtlich der Vorerfahrung mit MOOCs feststellen ließ.

Sehr positiv werten wir die hohe Anzahl an MOOC-Starter/innen ohne Vorerfahrung, die

sich an der Befragung zum Beginn des Kurses beteiligten.

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Werbung für den Kurs Wo und wie erfuhren die Teilnehmer/innen von dem Arbeit 4.0 MOOC? Hier lassen sich

einige interessante Aspekte aus der Befragung herauslesen.

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Da uns die Ressourcen fehlten, vorab eine konzertierte Werbeaktion durchzuführen,

waren wir sehr stark auf die informellen Netzwerk-Effekte des Social Media Marketings

angewiesen. Dies spiegelt sich in dem folgenden Chart wider, wobei MOOC-Erfahrene

stärker über Social Media erreicht werden konnten.

Je weniger MOOC-Erfahrung gegeben ist, desto mehr ist man als Veranstalter auf die

Empfehlung durch Vertrauen erweckende, den Personen bekannte Projekte angewiesen,

in diesem Fall waren vor allem die VHS, der Corporate Learning-MOOC-Kontext und der

Fernstudiengang der TU Kaiserlautern sehr gute Multiplikatoren. Vielen Dank dafür!

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Aktivität Der Aktivierungsgrad der Teilnehmer/innen lässt sich nur bedingt ermessen, da viele

(Deutsche) aus verschiedenen Gründen bewusst keine Datenspuren hinsichtlich ihrer

tatsächlichen Nutzung hinterlassen (Stichwort: Lurker).

An konkreten Zahlen können wir festhalten:

● 397 Personen haben mindestens ein Video auf der mooin-Plattform angesehen.

● 257 Teilnehmer/innen haben mindestens 4 Videos angesehen, also waren sie an

mehr als einen Thementag aktiv.

● 119 Menschen haben mindestens 13 Videos angesehen und waren somit an mehr

als der Hälfte der Thementage aktiv.

Darüber hinaus waren insgesamt 1.143 Foren-Postings zu verzeichnen, wobei der Thementag “Arbeitsorganisation” das größte Posting-Aufkommen hatte.

Und über alle 7 Themenbausteine hinweg wurden insgesamt 295 Badges relativ gleichverteilt vergeben.

Gamification Die Badge-Vergabe erfolgte recht niedrigschwellig. Wer daran grundsätzlich kein

Interesse hatte, konnte die Markierungen einfach umgehen. Insofern sagt die

Badge-Vergabe nur bedingt etwas über die Teilnahme aus, da insbesondere Erwachsene

nur begrenzt auf Gamification-Aspekte anspringen.

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Das spiegelt sich auch in der Evaluation nieder, hier am Beispiel der Attraktivität a) von

Badges und b) einer Teilnahmebescheinigung hinsichtlich der Motivation, sich am MOOC

aktiv zu beteiligen. (Für die Akten: 40 Personen haben sich eine Teilnahmebescheinigung

am Schluss heruntergeladen.)

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Evaluation Das kompakte 7-Tage-Live-Format und das methodische Gerüst kamen insgesamt gut an.

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Auch die Inhalte fanden guten Anklang.

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Viele Teilnehmer/innen haben letztlich mehr Zeit investiert, als sie vorab erwarteten.

Auch konnten viele einen guten Lernfortschritt für sich erzielen (und falls nicht, waren sie

eher unzufrieden mit der Plattform als solcher).

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Der informelle Ansatz mit wechselnder Moderation kam gut an. Wir wählten bewusst

einen Zugang, der eher einem Gespräch am Kaffeetisch ähnelte als einem distanzierten

Diskurs.

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Fazit Alles in allem haben wir sehr viel positives Feedback zum ungewöhnlichen Format wie

auch zur Aufbereitung und Durchführung des Arbeit 4.0 MOOCs erhalten. Wir haben

einige Berichte und Anmerkungen auf einer Pinterest-Seite gebündelt und in dem

abschließenden Arbeit 4.0 MOOC Buch verarbeitet.

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Selbstverständlich gab es auch vereinzelt kritische Stimmen, die sich vor allem auf die

Darstellung innerhalb der Plattform (Probleme mit der Benutzerführung) oder auf den

Blick nach Kalifornien bezogen (der zu undistanziert geraten sei):

● “Etwas verwirrend am Anfang, dass Frühstücks-TV etc. Ausschnitte aus den

Interviews waren. Ich dachte im ersten Moment, dass sich alles wiederholt.”

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● “Da die Videos recht lang waren für ein "normales" Arbeitspensum, hatte ich kaum

Zeit übrig, mich in den Foren umzusehen.”

● “Bewusstsein/ Ideologie der Freiberuflerszene als Trägerinnen eines

Ultraliberalismus”

Insgesamt kamen unsere offene Haltung auf Augenhöhe und die vielseitigen

Perspektiven und Facetten des Themas aber sehr gut an:

● “Wichtiger als die Inhalte des MOOCs war die Haltung gegenüber den Lernenden -

was dann zwischen den Zeilen auch Arbeit 4.0 transportiert.“

● “Wir können auch Amerika”

Als gesellschaftliches “Upgrade” im Sinne einer breiteren Sensibilisierung für einen hoch

relevanten Themenkomplex bietet sich das kompakte Format an. Zukünftig sollte im

Vorfeld mehr Raum für PR vorhanden sein, damit sich die Teilnehmer/innen das

Zeitfenster für die Bearbeitung freihalten können. Idealerweise sollten solch

gesellschaftlich relevanten Weiterbildungen auch offiziell anerkannt und akzeptiert

werden.

Das Bildung 4.0 Manifest In der Nachbereitung und Reflektion des Arbeit 4.0 MOOCs und seiner Implikationen für

unsere Sicht auf “Bildung 4.0” , kamen wir zu dem Schluss, dass Bildung und Arbeit heute

weder individuell noch gesellschaftlich voneinander zu trennen sind, will man das

Potenzial aller Akteure nutzen und die gesellschaftliche Entwicklung nicht dem Rhythmus

der Aktienkurse überlassen.

Bildung 4.0 ist insofern das neue “Betriebssystem” der Gesellschaft, wobei sich “Arbeit”

nicht auf Lohnarbeit beschränkt, sondern sämtliche gesellschaftlich sinnvolle Arbeit

umfasst. Das Ergebnis dieser Überlegungen fand seinen Niederschlag im Bildung 4.0

Manifest (Autor/innen: Dr. Angelica Laurençon, Dr. Anja C. Wagner, Dr. Christoph Schmitt,

Inge Schmidt), das wir im Folgenden mit Blick auf kleine KMU reflektieren, um daraufhin

herauszuarbeiten, welchen Beitrag Hochschulen hierzu leisten könnten/müssten.

Präambel

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Das Manifest startete mit der Präambel:

“Aktuelles Wissen ist die zentrale gesellschaftliche Währung in einem

Wirtschaftssystem, in dem zwei Drittel der Wertschöpfung durch Dienstleistungen

geschaffen werden und die Produkte bzw. Dienstleistungen zunehmend von

Maschinen statt von Menschen generiert werden.”

Um in diesen Umbruchszeiten als Menschheit sinnvoll (!) überleben zu können, müssen

aus unserer Sicht die individuellen Bildungsprozesse in den permanenten, vernetzten

Wissensaustausch verwoben werden. “Für den Menschen bedeutet Bildung daher neben

der persönlichen Selbstentfaltung die aktive Teilhabe an der Gesellschaft – und dies auch

in digitaler Form.”

Mit der darin enthaltenen sozialen Sichtweise tun sich allerdings viele Akteure in den

etablierten Bildungsinstitutionen schwer, da sie Bildung weiterhin ausschließlich aus

individueller Perspektive entlang des humboldtschen Ideals betrachten. Wenn Menschen

heute aber nicht als vernetzter Teil einer vielschichtigen Gesellschaft begriffen werden,

sondern als unabhängige Wesen, die für die Gesellschaft immer wieder vorbereitet

werden wollen, steckt in dieser Verklärung ein großes apolitisches Potenzial, das die

Potenziale der kollektiven Intelligenz nicht nur nicht hebt, sondern gar unterdrückt.

Der daraus resultierenden Sichtweise von Individuen als kleinen Rädchen im Getriebe

möchten wir angesichts der dynamischen Netzwerkgesellschaft einen Gegenentwurf

gegenüberstellen. Dabei haben wir vor allem kleine Unternehmen und potenzielle

(Social) Entrepreneure im Blick, die mit ihren Ideen und Initiativen neue, nachhaltige,

gesellschaftlich sinnvolle Angebote und Arbeitsplätze schaffen können und die wir dabei

gerne unterstützen.

Was dies aus unserer Sicht für die Weiterentwicklung von Hochschulen bedeutet, führen

wir hier entlang unserer 10 Thesen aus dem Bildung 4.0 Manifest aus. Das Manifest ist

unabhängig von den 8 Thesen zur Hochschulbildung 4.0 des Stifterverbandes

entstanden, die wir im Anschluss noch reflektieren und mit unseren Thesen abgleichen.

These 1

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Bildung 4.0 muss sich als gesellschaftliches Betriebssystem dem ständigen

Wissensfluss anpassen - also responsive sein. Das geht nur ohne Bürokratie.

Was bedeutet das im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Die sich ständig anpassende Qualität der menschlichen Lohnarbeit entscheidet in

beschleunigten Zeiten, welche Arbeiten der Mensch auch zukünftig besser ausführt als

die Maschine. Viele Berufe, für die derzeit noch ausgebildet wird, existieren schon bald

nicht mehr. Andere müssen dynamisch nachgebessert werden.

Anders als in den herkömmlichen geschlossenen Strukturen mit einem Management als

Interface sind in einem offenen Unternehmen der digitalen Ökonomie (dazu gehören

absehbar alle Betriebe der Privatwirtschaft) die falschen Mitarbeiter/innen am falschen

Ort im Betrieb nicht nur unproduktiv, sondern auch toxisch. Denn das offene

Unternehmen generiert nicht nur Innovation, Kreativität, Interaktion und Impulse durch

“Open Innovation” (der ständige Austausch mit den Kunden, Partnern, Hochschulen und

der Maker-Szene), sondern regeneriert sich ständig, indem es sich an den Rändern selbst

innovativ kannibalisiert. Das hat Auswirkungen auf die Potenzialentfaltung aller

Mitarbeiter/innen.

Während Trittbrettfahrer in der Verwaltung oder in einem Großunternehmen nicht

auffallen, braucht ein Kleinunternehmen heute, ob Handwerker oder Dienstleister, eine

ganz andere Personalpolitik. Seine Wettbewerbsfähigkeit beruht auf einer Handvoll

handverlesener Mitarbeiter_innen, die genau wissen, was zu tun ist und wie sie sich im

Team organisieren müssen, um aus ihren Kompetenzen gemeinsam das Beste zu

machen.

Das wiederum bedeutet, dass Fehleinstellungen – Menschen, die sich nicht

weiterentwickeln wollen (oder können) – fatale Auswirkungen für den Betrieb haben.

Und je kleiner ein Unternehmen ist, desto gravierender sind die Konsequenzen.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Es wird weiter standardisierte Weiterbildungen geben, vor allem in Bereichen, in denen

es einerseits einen massiven Bedarf an Umschulung und Weiterbildung gibt, wie z.B. im

Gesundheitswesen, wo schon heute ein hoher Bedarf an Fachkräften prognostiziert wird,

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und andererseits neben den Fachkompetenzen noch besondere Qualitätskriterien

gelten. Diese Weiterbildungen können ggf. auch in Kooperation mit wissenschaftlichen

Forschungseinrichtungen und damit Hochschulen erfolgen.

Für die meisten anderen Branchen gilt: Standardisierte Weiterbildungen markieren

vielleicht einen individuellen Startschuss, um als qualitative Sprungmarken die Menschen

für den nächsten Lebensabschnitt und/oder für die gesellschaftliche Entwicklung zu

sensibilisieren. Sie dienen dann eher der Allgemeinbildung, weniger einer konkreten

arbeitsmarkt-orientierten Fortbildung. Ob für die kontinuierliche Ansprache von

Mitarbeiter/innen in Kleinunternehmen unbedingt Hochschulen als Ausrichter geeignet

sind, können wir bezweifeln.

Doch die Hochschulen besitzen mit ihren Forschungsabteilungen als einzige heute

theoretisch die wissenschaftliche Kompetenz, um in dem immer dichteren

Weiterbildungsdschungel analytische Lichtungen zu schaffen. Hier mehr Klarheit zu

schaffen, gäbe den Menschen einen besseren Durchblick, der bei 18.000 verschiedenen

Studiengängen leicht abhanden kommt und schüfe auch wieder einen Übergang in die

Praxis. Statt sich immer skurrilere Studiengänge auszudenken, hätten die Hochschulen

jetzt die Gelegenheit, sich wieder ihrer doppelten Mission zu besinnen: Wissenstransfer

im Sinne des kreativen Gemeinwohls. Dazu gehört auch zunehmend der lebenslange

Lernprozess - praxisbezogen und zeitgemäß umgesetzt.

Hochschulen müssten von daher ihr fachliches Know-how in den Weiterbildungsprozess

selbstverständlich mit einbringen. Nicht im Sinne von Kursen, sondern durch eine

weitere Öffnung der Hochschulen, die ihr Knowhow als “Open Access” und “Open Source”

kontinuierlich bereitstellen bzw. idealerweise gleich ko-kreierend in interdisziplinären

“Open Science”-Prozessen offen entwickeln. Dies würde bedeuten, über bestehende

Hochschulgrenzen hinauszugehen und die Unternehmen und die Zivilgesellschaft mit

einzubeziehen, um in einem agilen “Open Innovation”-Prozess zu münden.

Die gerne diskutierten standardisierten Weiterbildungen mit “Adaptive Learning” und

“Learning Analytics” hingegen setzen geclusterte Zielsetzungen voraus, in denen man

Menschen personalisiert zu einem standardisierten Ergebnis führt. Für

Kleinunternehmen mit sehr spezifischen Alleinstellungsmerkmalen könnte dies a)

schwierig zu definieren sein und b) könnten die Losgrößen zu klein sein für eine

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individuelle Programmierung der Algorithmen. Für sie kann allerdings in regionalen oder

branchenbezogenen Clustern mit Hilfe der Algorithmen, Big Data, der Methodologie des

“Adaptive Learning” eine bedarfsorientierte Analyse und dazu gleichzeitig ein

anpassungsfähiges Weiterbildungs-Design für ihre Angestellten erstellt werden.

These 2 Lucid statt blind. Den Tatsachen ins Auge sehen. Und das System als solches auf

den Prüfstand bringen.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Viele Arbeiten werden in den nächsten Jahren günstiger und besser von Robotern und

mittels künstlicher Intelligenz erledigt. Die Ausbildungsstrukturen werden sich

entsprechend anpassen müssen, zumal neue, meist junge Leute neues Know-how in die

Betriebe transferieren müssen. Meister bringen zwar ihre Erfahrungen mit ein. Das neue

Denken, die neue digitale Kompetenz muss aber meist von außen hereingetragen

werden. Hier auf die Berufsschulen zu hoffen, wird angesichts der langatmigen

Entwicklungsprozesse kaum fruchtbar sein, zumal sie selbst eher offline arbeiten.

Gleichzeitig werden viele neue KMU entstehen, nicht nur die klassischen Startups mit

Investment-Kapital, sondern auch Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit wert legen, sich

z.B. in der Kreislaufwirtschaft aufstellen und hier gleich die Potenziale moderner

Technologien nutzen. Auch und besonders für diese Innovationstreiber gilt es, das

Bildungssystem neu aufzusetzen, um hier gemeinsam sinnvolle Lösungen zu entwickeln

und kompetent zu flankieren.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Hochschulen sind Institutionen, die (wie alle anderen auch) so organisiert sind, dass sie

sich kaum verändern, damit sie ihrer ursprünglich angedachten Funktion möglichst

konsequent nachgehen können. Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend

zu Organen entwickelt, die ihre Funktion ständig erweitern und im Massenbetrieb auch

Wissens-Container produzieren, für die es keine Abnehmer gibt oder die sich nicht am

Bedarf, sondern nur am Angebot (dem der Dozent/innen) orientieren. Zudem bricht

jeder vierte Bachelorstudent sein Studium ab.

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In den MINT-Berufen ist die Abbrecher-Quote besonders hoch. Hier besteht die Chance,

offene Räume zu schaffen, in denen der ständige Austausch zwischen den Betrieben, den

Hochschulen und den Studierenden stattfinden kann. Nicht nur während der

Umorientierungsphase, sondern auch lern- und ausbildungsbegleitend.

Das alte Bildungssystem wird der Dynamik von Arbeiten 4.0 nicht gerecht werden

können, das zeichnet sich heute bereits ab. Neue Ansätze müssen her: Da die komplexe

Ausbildung für alle KMU eine Herausforderung darstellt – es fehlen oft die Ausbilder, die

Zeit und die Strukturen –, wäre beispielsweise das Ausbildungs-Splitting innerhalb eines

KMU-Clusters eine zeitgerechte Lösung für alle. Hier könnten sich auch die Hochschulen

aktiv mit einbringen.

Was wir nämlich dringend bräuchten, wären vielfältige, gemeinsame Räume

(Makerspaces, Fablabs, Coworking etc.), in denen wissenschaftliche wie

zivilgesellschaftliche Forschende und Interessierte gemeinsam arbeiten, weniger als

Lehrende-Lernende, sondern als Ko-Kreateure.

Wenn es also überhaupt noch Hochschulen (für die grundständige und weiterbildende

“Lehre”) braucht, dann bedarf es zunächst einer massiven Weiterbildung ALLER

Beteiligten auch innerhalb dieser Institutionen, um sie selbst in den ständigen

Anpassungsprozess mit einzubinden.

These 3 Im Mittelpunkt steht der Mensch als Wertschöpfer für Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Welt dreht sich nicht nur um Angestellte.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Die Unternehmerin der digitalen Ökonomie in der dynamischen Netzwerkgesellschaft

des 21. Jahrhunderts integriert alle digitalen Technologien in ihre Arbeits- und

Geschäftsprozesse und braucht somit Mitarbeiter/innen, deren Motivation nicht primär

eine Festanstellung ist, sondern die eine sinnvolle Aufgabe suchen und die Möglichkeit,

ihre Kompetenz weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten und Erfahrungen zu erwerben,

zu beweisen und zu verwerten.

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Insofern ist jede Debatte zum Thema Festanstellung an sich unzeitgemäß. Das

Arbeitsmodell der Zukunft dreht sich nicht mehr zentral um Unternehmen und deren

Anstellungs-Modus (fest oder temporär), sondern um die Wertschöpfungs-Kapazitäten

des Unternehmens und seiner Mitarbeiter/innen. Die Frage lautet also eher: Wie lange

kann ein KMU in seiner derzeitigen Konfiguration noch überleben, geschweige denn die

gesellschaftliche Entwicklung mitgestalten?

Daraus resultieren im Umkehrschluss neue sozialrechtliche Konsequenzen und eine

Umkehrung der Perspektive im Bildungssystem hin zu den Menschen, die sich entweder

kreativ in die KMU mit einbringen oder sich mit eigenen, innovativen (sozialen)

Unternehmen selbst verwirklichen wollen.

Durch den beschleunigten Wandel der digitalen Ökonomie beschleunigt sich nämlich

auch der Schumpeter’sche schöpferische Zerstörungsprozess der Industriegesellschaft.

Die deutsche Variante Industrie 4.0 gilt als vierte Stufe der industriellen Revolution. Sie

soll Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, treibt aber zunächst diesen schöpferischen

Zerstörungsprozess voran.

Um jedoch im beschleunigten Wandel ständig neue Produkte auf den Markt zu bringen

und dabei die Pole-Position zu bewahren, brauchen alle Unternehmen der freien

Marktwirtschaft kreative und innovative Köpfe, Intrapreneurship, Mitarbeiter/innen ohne

(primäre) Angestelltenmentalität. Der schöpferische Zerstörungsprozess beschränkt sich

somit nicht nur auf Produkte und ganze Branchen, sondern wirkt sich auf Berufsbilder,

Kompetenzraster und das angelernte Wissen aus.

Wenn niemand vorhersehen kann, welche Jobprofile morgen benötigt werden, braucht

es einen neuen Ansatz. Welche neuen Kompetenzprofile könnten anhand der

bestehenden Kapazitäten und mit Hilfe der neuen Technologien, angesichts neuer

Bedürfnisse und einer diffusen Nachfrage entstehen? Aktives Jobprofiling vollzieht sich

an der Basis. Für dieses proaktive, ständige Jobprofiling sind die Unternehmen Dreh- und

Angelpunkt. Sie sind auch die ersten Nutznießer.

Im Gegensatz zu den Jobprofilen der Vergangenheit, die eine gewisse Haltbarkeitsdauer

hatten, sind die Jobs der Zukunft hybrid, flüchtig und komplex. Ein Beispiel?

Webdesigner, Webentwickler, Coder, Creative Directors hatten vor zehn Jahren gut

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bezahlte Stellen und waren gefragt. Trader übrigens auch. Bald machen Plattformen,

Roboter, Software-Programme ihre Arbeit besser, schneller, billiger.

Die Jobprofile von morgen müssen insofern schnell erdacht, zusammengestellt und

begleitet werden, die Zeiteinheiten dafür sind jedoch nicht mehr die alten. Jeder

bürokratische Aufwand verzögert ihren Einsatz. Sie entstehen schnell und verschwinden

ebenso schnell von unseren Bildschirmen.

Darum muss die Verantwortung für die eigene Kompetenz endlich an die Person

geknüpft werden und nicht an äußere Personen, Institutionen oder Systeme. Damit

Menschen ihre Kompetenz adaptiv an die Entwicklungen anpassen können, braucht es

vielfältige Infrastrukturen, die sie dabei lebenslang unterstützen. Nur kompetente

Menschen wissen, welche Schritte sie als nächstes gehen müssten, um auf dem Stand zu

bleiben und sich gesellschaftlich weiter einbringen zu können (siehe George Siemens).

Und das mündet dann neben dem Industrie 4.0-Ansatz hoffentlich auch in einer Vielzahl

neuer, kreativer, kollaborativ arbeitender Kleinunternehmen, die aktuelle Probleme der

Welt zu lösen versuchen statt immer nur neue Consumer-Produkte zu produzieren.

So auch Ulrich Dietz: “Deutschland muss es schaffen, im ganzen Land eine

Gründerbegeisterung zu entfachen. Diese Begeisterung muss sich auf die großen und

mittelgroßen Unternehmen übertragen. Da müssen Netzwerke entstehen - allein geht es

nicht in einer immer globaleren und digitalen Welt. Hier muss man viel nachhaltiger

miteinander arbeiten, als dies bisher geschieht."

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Die Angestellten- und Arbeiterklasse entwickelte sich mit der zweiten industriellen

Revolution. Aus Arbeitern wurden nach und nach Angestellte, sogenannte “Salary Men”.

Die digitale Revolution schafft zwar beide nicht gänzlich ab, reduziert durch die

Automatisierung der Arbeitsprozesse jedoch ihre Quantität und verändert die Qualität

ihrer Arbeit und somit ihre Qualifizierung. Auch die der Forschenden und Lehrenden in

den Hochschulen.

Intern erfahren viele Hochschulen bereits die “weltweite unsichtbare Revolution“ - viele

Forschende und Lehrende verbinden nämlich ihre Tätigkeit an der Hochschule mit

zivilgesellschaftlichem Engagement. Während sich die Hochschulleitungen und

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politischen Stakeholder sehr aktiv auf das nächste große Geschäft vorbereiten:

E-Research, E-Government, Weiterbildung und die permanente Verknüpfung von Bildung

und Arbeit. Im Schnelldurchlauf zum Bachelor of Arts, Science, Business Administration,

und danach hat jeder die Wahl: Orchideenzüchter auf eigene Kosten oder

berufsbegleitende Weiterbildung, die teils von den Unternehmen, teils durch Stiftungen

oder privat finanziert wird. Dies ist kurzfristig gedacht und dient letztlich nur den

Bildungsinstitutionen.

Was wir gesellschaftlich hingegen benötigen würden, wäre eine selbstverständliche,

individuelle, vernetzte (Weiter-)Bildungskompetenz und eine ausgeprägte, zeitgemäße,

vernetzte, infrastrukturell unterstützte Forschungskultur, die sich den Problemen der Zeit

widmet und sich nicht im Kampf um die Drittmittel und Reputation selbst zerlegt.

Die Forschungsergebnisse müssten entsprechend kontinuierlich und konsequent in die

Öffentlichkeit kommuniziert und auch dort diskutiert werden. Überhaupt müsste

Forschung grundsätzlich aus den Silos herausgeholt werden und vernetzt arbeiten -

vergleichbar zur Kooperation von Linux mit IBM sollte Hochschulforschung sich mit

zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Initiativen zusammentun.

Forschende müssten dazu flexibel dort in die Infrastrukturen hineingehen, wo Menschen

und Unternehmen eine Unterstützung suchen. Also nicht mehr nach altem Denken die

Leute zur eigenen Institution, Website, Präsenzangebot lotsen, sondern dem Gedanken

der “User Experience” entsprechend den Menschen entgegenkommen und ihnen an Ort

und Stelle konkret weiter helfen. Die Institutionen würden dann, wenn überhaupt,

lediglich ein rahmendes Branding anbieten und könnten Forschende eventuell bei der

Wissenschaftskommunikation unterstützen, wobei es hier achtzugeben gilt, dass dies

nicht als PR verstanden wird, sondern als tatsächlicher diskursiver Aufschlag (oder

Return).

Darüber hinaus könnte der Sinn von Hochschulen als Lehrsubjekt auf ein “Studium

Generale” zurückgeführt werden, damit junge oder auch ältere Menschen einen

breiteren Blick auf die Welt erhalten, um auf dieser Basis berufsspezifische

“Weiterbildungen” angehen zu können. Alles darüber Hinausgehende sollte in den

vielfältigen Netzwerken erfolgen.

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These 4 Die Qualität der Lohnarbeit schlägt zukünftig deren Quantität. Bildung 4.0 muss

aber der Masse der Menschen eine Option bieten und ihre ethische Aufgabe

erfüllen.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Es hat sich herumgesprochen: Was automatisiert werden kann, wird weiter

automatisiert. Das ist nichts Neues, verschärft sich aber. Sämtliche Arbeitsanteile, die aus

Routinetätigkeiten bestehen, werden sukzessive ersetzt. Die Qualifikationen, die

Menschen nun verstärkt brauchen, sind kreativer oder sozialer Natur, viele davon mit

digitalen Anteilen.

Wie können dies vor allem Angestellte in kleinen Unternehmen plötzlich lernen? Werden

sie ausgetauscht gegen kompetentere neue Mitarbeiter/innen? Oder wie wird man die

bestehende Belegschaft auf den aktuellen Stand bringen? Wie kann man die Menschen

motivieren, selbst aktiv zu werden, wenn Unternehmen dazu nicht in der Lage sind? Wie

fängt man hoch wie gering Qualifizierte jeweils auf und weist ihnen Wege in die Zukunft?

Sie haben diese Selbstständigkeit vielleicht nie gelernt.

All dies wird nicht über klassische Weiterbildungen oder das Warten auf die nächste

Generation gelöst werden können. Vielmehr braucht es dynamische Infrastrukturen, die

das bisherige Bildungssystem transformieren und denjenigen Anlaufstellen bieten, die

sich weiterentwickeln wollen. Für KMU bleibt derzeit nur der Weg in informelle

Netzwerke (wie z.B. MeetUp) und soziale Bildungsinitiativen (wie z.B. Barcamps), die sich

crowdbasiert und aus eigener Motivation heraus diesen Themen stellen.

Parallel hierzu entstehen neue Unternehmen, die die Potenziale des digitalen Wandels

neu zusammenmixen und kreative, moderne Lösungen für tatsächliche Probleme

schaffen. Dies wird für viele junge Menschen sehr attraktiv sein, weil deren

gesellschaftsverändernde Arbeit und moderne Arbeitsorganisation oftmals

sinnstiftender wirken als das bei vielen herkömmlichen Jobs der Fall ist.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

31

Gängige Studien sagen, dass der Anteil der Hochschulabsolvent/innen steigen wird

müssen, um hoch qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und zu besetzen. Aber welche

Kompetenz braucht es tatsächlich in der Netzwerkgesellschaft, für die es eines

klassischen Hochschulstudiums (noch) bedarf?

MINT (4.0) muss nicht schaden, Studium Generale hatten wir bereits erwähnt. Sicherlich

schadet es auch nicht, andere Studiengänge in der Tiefe länger zu studieren, aber das

zentrale Problem ist, dass sich in einer Ausbildung für aktuell bekannte Berufsbilder das

kreative, kollaborative, kritische, digitale Potenzial nicht vollständig entfalten kann, wenn

keine maßgebliche Praxis-Anbindung an die globale Netzwerkgesellschaft erfolgt.

Die Ausprägung einer spezifischen Netzwerk-Kompetenz im dynamischen, vernetzten

Wissensfluss der wertschöpfenden Gesellschaft fehlt, wenn Schnittstellen zur Praxis nur

als temporäre Ausnahmen, nicht aber als kontinuierlicher Bestandteil der kollektiven

Wissenskonstruktion verstanden werden. In diesem alten Verständnis lassen sich jedoch

kaum die drei zentralen Aufgaben des Bildungssystems optimal adressieren, als da

wären: Employability, Entrepreneurship und Citizenship.

Wenn das Bildungssystem sich verändern soll, müssen die Veränderungen an der Spitze

der Bildungspyramide beginnen. (Die Schule und der Kleinkind-Erziehungsbereich sind

andere Baustellen mit anderen Prioritäten). Von den Hochschulen könnten zentrale

Impulse einer Bildung 4.0 ausgehen, und zwar nicht nur im Sinne einer funktionalen

Digitalisierung des Wissenstransfers per MOOCs, eLearning-Plattformen, “Social

Collaboration” oder die Konstruktion von “Personal Learning Environments”, sondern

vielmehr im Sinne einer reflektierten, dynamischen Wissenskonstruktion mit einer

stetigen Wachsamkeit gegenüber der sinnvollen (!) Verwertbarkeit des konstruierten

Wissens.

Es wäre darum an der Zeit, den Hochschul-Forschenden mehr Selbststeuerung und

Handlungsfreiheit zu geben. Durch Entbürokratisierung, eine Reduzierung von

ministerieller Detailsteuerung sowie die Stärkung hochschulinterner Kompetenz würde

auch die gesellschaftliche Innovationskraft der Hochschulen gestärkt. Damit könnten sie

auch kleine Unternehmen und (Social) Entrepreneure besser unterstützen, z.B. über

dynamische “Communities of Practice” (CoP), ähnlich wie bei Techhire in den USA. Hier

werden in einer großangelegten, staatlich geförderten Initiative regionale Akteure

32

zusammengebracht, um konkrete “Matching”-Angebote zwischen Arbeitswelt und

Kompetenzentwicklung aufzubauen:

● Unternehmen mit ihren technischen Bedarfen,

● Menschen mit Interesse daran, IKT lernen zu wollen, und

● regionale Bildungseinrichtungen.

Gesetzt den Fall, man würde sich bildungspolitisch an diesem Ansatz orientieren: Wie

können sich Hochschulen hier theoretisch und praktisch einbringen? Hier wäre kritisch

zu fragen, ob sie überhaupt über das benötigte Kompetenzprofil verfügen, um diesen

aktuellen (!) Anforderungen tatsächlich zu begegnen? Sie arbeiten schließlich selbst meist

nicht zeitgemäß digital. Wo könnten sie also helfen? Oder warten wir erst ein paar Jahre

zu, bis die institutionellen Infrastrukturen nachgerüstet und das vorhandene Personal

nachgeschult wurde?

Theoretisch könnten Hochschulen vielleicht bei den Zukunftschancen neuer

Kompetenzprofile analytisch helfen. Aber widersprechen ihre langwierigen Routinen

nicht der agilen Dynamik des Marktes?! Eine offene Frage.

These 5 Digitales Umdenken statt digitaler Aktionismus. Es geht um eine neue

Bildungskultur. Und dafür braucht es vielfältige Öffnungsprozesse.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Leider muss man heute konstatieren: Sofern Unternehmen überhaupt schon digitale,

bedingt kollaborativ nutzbare Arbeitsumgebungen aufgebaut haben,

1. sehen sie kaum einen Mehrwert, den nächsten Schritt digital zu gehen,

2. verstehen sie kaum, dass es überhaupt eine sozio-technologische

Weiterentwicklung gab und

3. existiert das große Transferproblem (vom alten auf das neue System), von den

Kosten ganz zu schweigen.

Der Gap zwischen altem Word/Excel und neuen, dynamischen, sozialeren Formaten wird

dadurch immer größer, die Geschwindigkeit nimmt zu. Wenn sie irgendwann auf den Zug

33

aufspringen, wird ihnen schwindelig ob der Dynamik und sie winken ab, weil das alles zu

zeitaufwändig sei. Auch junge Azubis helfen da nicht, da sie selbst keine kollaborative

Kompetenz gelernt haben und man sie erst aufbauen müsste.

(Social) Entrepreneure hingegen können ihre Infrastrukturen gleich modern ausrichten

und sind dadurch weit agiler unterwegs. Zwar haben auch sie nirgends die agile

Bildungskultur gelernt, aber sie praktizieren sie, notgedrungen auch ohne entsprechende

offizielle Bildungsangebote.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Sie müssten natürlich selbst erst einmal moderne Systeme nutzen und nicht ihre alten

Systeme aus den 1990er Jahren, die alle Jungen abschrecken ob ihrer überholten UX, die

dazu führt, dass viele aus dem Bildungssystem kommen und denken, digitales Arbeiten

und Lernen könne doch nicht funktionieren.

Im Grunde müsste das gesamte Bildungssystem neu agil aufgesetzt werden - dazu

bräuchte man eine Sammlung empfehlenswerter Tools und auch eine entspanntere

Datenschutzpolitik bzw. klarere Regeln für US-Anbieter, auf die sich alle Beteiligten

verlassen können. Argumente wie die Gefahr des Datendiebstahls sowie das

Urheberrecht werden gerade oft von solchen IT-Spezialisten ins Feld geführt, deren Jobs

von einem Transfer in die Cloud betroffen wären.

Im Grunde bräuchte es europaweit nur 3-5 unterschiedliche zentrale Angebotspakete

(von Open Source bis hin zum komplett internationalen Ansatz), die hoheitlich gepflegt

würden und über die sämtliche öffentlichen oder privaten Bildungsanbieter ihre

Angebote offerieren könnten. Die gesamten, redundanten Strukturen an jeder einzelnen

Institution binden nur Kapital, das an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden könnte.

Wenn dieser Switch gelänge, ließe sich darauf aufsetzend das gesamte

Weiterbildungsprogramm zeitgemäß ausrollen - und alle könnten sicher sein, damit auf

dem Stand zu sein. Die Hochschulen selbst könnten sich auf die Forschung konzentrieren

und ihre signifikanten Ergebnisse darüber kommunizieren und in CoPs kollaborativ

erarbeiten. Eigentlich perfekt.

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These 6 Mint & Makers: Kompetenzen verbinden. Das Handwerk wird wieder wichtig.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Der enge Fokus auf Industrie 4.0 mit ihren Lieferketten, wie er in deutschen Studien von

den Instituten gerne gepflegt wird, mag für die bestehende Industrie ein

Hoffnungsschimmer sein und für den Produktionsstandort Deutschland eine logische

Folgerung. Kritische Stimmen sehen darin eine Engführung, die das disruptive Potenzial,

das aus anderen Weltregionen hierher schwappt und die Möglichkeiten, die sich daraus

ergeben, nicht ausreichend berücksichtigt.

Vermutlich liegt das zum großen Teil auch daran, als die Forschenden die Wirkung

disruptiver Gewalt selber gar nicht zu spüren bekommen, sie weiterhin morgens ihre

Zeitung lesen und abends die Tagesschau schauen. Dass Disruption von vielen Menschen

bereits Tag für Tag gelebt wird, spüren sie ja nicht in der alltäglichen Tiefe.

Hingegen bestehen jede Menge Möglichkeiten für kleine Unternehmen, das Internet der

Dinge und die Vernetzung für neue Wertschöpfungsmodelle mit entsprechenden

Geschäftsmodellen zu nutzen. Da sie selbst selten ihre Azubis zeitgemäß ausbilden,

braucht es hier neue Ausbildung-4.0-Ansätze. Diese gilt es vielseitiger, digitaler und mit

gesellschaftlichem Mehrwert zu gestalten. Auch dies geht nur im vernetzten Verbund, der

entweder genossenschaftlich oder überbetrieblich gestaltet sein muss.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Für Hochschulen gilt es, nicht nur Angestellte für etablierte Unternehmen auszubilden,

sondern einen Beitrag dazu zu leisten, möglichst innovative Vernetzungspotenziale zu

entwickeln, die per Plug&Play auch von weniger akademischen Playern nutzbar sind, und

zwar ohne dass man diese infantilisiert, sondern indem man “User Experience” aktiv

praktiziert. Auch ein iPhone oder ein TESLA ist ein kompliziertes System, das am Ende

möglichst jedermensch bedienen kann, ohne es in der Tiefe zu verstehen. Das ist das

Disruptive der digitalen Produkte, ob iPhone oder 3D Drucker: Sie sind einfach zu

bedienen - also nutzerfreundlich und hochkomplex vernetzt.

35

Ähnlich müsste man beim Handwerk 4.0 denken - die Systeme eingängig und ästhetisch

aufbereiten, so dass ihr Mehrwert ins Auge springt. Ist das die Aufgabe von Hochschulen,

werden sich viele fragen? In der vernetzten Forschung, gelegentlich gar mit dem

Handwerk gemeinsam, würden sicherlich gute Effekte erzielt, wenn sich die Wege von

Studierenden, Azubis in der Ausbildung 4.0, Handwerk und Forschung an einem

gemeinsamen Ort immer wieder kreuzen würden. Nicht nur im Präsentationsmodus,

sondern im selbstverständlichen Arbeitsmodus. Einige Fachhochschulen wie die FH

Flensburg oder in Rheinhessen haben diese Herausforderung verstanden und bieten

dem Handwerk 4.0 direkte Vernetzungen an.

These 7 Bildung 4.0 bedeutet lebenslange Lernbegleitung. Ein bedingungsloses

Lernguthaben muss her.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Menschen benötigen Zeit, um zu lernen, um sich weiterzuentwickeln, um sich neu zu

orientieren. Diese Zeit muss Teil der Arbeitszeit sein, so experimentieren fortschrittliche

Firmen mit 4-Arbeitstagen-Wochen oder Staaten mit 6-Stunden-Arbeitstagen, um hier

mehr Flexibilität in das Leben zu bringen und Freiräume für die persönliche

Weiterentwicklung zu schaffen.

Sofern den Menschen ein bedingungsloses Lernguthaben (BELGUT) zur Verfügung

stünde, könnten sie dies einsetzen, wo auch immer sie wünschen - und müssten ihre

Erkenntnisse lediglich dokumentieren bzw. zeitgemäß kommunizieren. Als Unternehmen

könnte man hier begleitend eine Kultur der Weiterbildung vorleben, indem man sich

regelmäßig trifft und naheliegende Themen gemeinsam angeht oder sich darüber

austauscht, für welche Themengebiete sich die Einzelnen interessieren, um ggf. auch das

Unternehmen zu transformieren. Es bräuchte also eine Unternehmenslernkultur - ganz

und gar nicht Kurse, sondern eher “Open Spaces”, “World Cafes”, “Barcamps” o.Ä.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

36

Ökologie und Finanzwelt, Agrarwirtschaft und IT, Maschinenbau (Thermodynamik) und

Aquakultur, Linguistik und Data Mining, dies alles sind Forschungsbereiche, deren

aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen viel schneller, viel allgemeinverständlicher den

Weg in die Öffentlichkeit finden müssten, da hier in nächster Zeit große

Entwicklungssprünge möglich sind, sofern sie sehr vielseitig gedacht würden.

Hier ausschließlich auf Patente zu starren, auf Wissensvorsprünge zu pochen und so im

alten Denken zu verharren, hilft nicht weiter. Viele kreative Menschen und Netzwerke der

kollektiven Intelligenz könnten und müssten sich interdisziplinär ebenso mit einbringen

wie die pragmatische DIY-/Maker-/Handwerk-Szene. Hier besteht großer

Handlungsbedarf.

Alles in allem bräuchte es einen weit leichtgewichtigeren Transfer als die bisherigen

statischen, großen, pädagogisch aufgepumpten Systeme. Es müsste eher in Richtung

journalistischer, interaktiver “Vermittlung” gehen, also Wissenschaftsjournalismus mit

multimedialer, datengesteuerter Aufbereitung in angrenzenden “Networks of Practice”,

weniger formal, mehr informell.

These 8 Bildung 4.0 ist Volkswirtschaft und kein Business. Es braucht eine durchgängige

digitale Kultur, keine digitale Agenda.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Bildung ist Volkswirtschaft, weil die Qualität der Bildung und ihre unmittelbare

Umsetzung in Innovationspotenziale für die Zukunft der Makroökonomie entscheidend

sind. In Deutschland zählen 99,6% der Unternehmen zu den kleinen und mittleren

Unternehmen. KMU sind somit das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Ihre

Innovationskraft entscheidet über die makroökonomische Zukunft der Gesellschaft.

Doch der Mittelstand scheint die digitale Revolution zu verschlafen.

Die wichtigsten Innovationshemmnisse sind dabei die fehlenden menschlichen

Ressourcen. Deren Rückstand ist auf ein Bildungssystem zurückzuführen, das an seinen

37

makroökonomischen Aufgaben und Auflagen vorbei arbeitet. Und dies nicht erst seit

2015.

Die schlechte Qualitäts- und Leistungsbilanz des aktuellen Bildungssystems, die immer

breitere und tiefere Kluft zwischen einem zertifizierten Bildungswissen und seiner kaum

vorhandenen Verwertbarkeit außerhalb der Bildungssysteme, die hohe Zahl der

Bildungsabbrecher und die fatale Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen

Herkunft sind makroökonomisch ruinös und überlassen das Feld einem neuen

unüberschaubaren und unkontrollierbaren Bildungs-Business (4.0), das den

hausgemachten Bildungsnotstand 4.0 zum lukrativen Geschäftsmodell macht, während

weder die KMU noch ihre Mitarbeiter/innen dessen ROI für sich selbst einschätzen

können.

Für die mittelständischen Betriebe und hier insbesondere die Kleinstunternehmen (80%

der oben erwähnten 99,6%) sind die Defizite des Bildungssystems betriebswirtschaftlich

und volkswirtschaftlich problematisch.

Was brauchen sie alle?

● Gut ausgebildete Fachkräfte, die in ihrem Betrieb ständig innovativ und kreativ

aktiv bleiben.

● Selbstlernkompetente Mitarbeiter/innen, die selbstbestimmt vernetzt arbeiten

können und Neugierde für aktuelle Entwicklungen mitbringen.

● Ein dynamisches, niedrigschwelliges Umfeld mit vielfältigen Angeboten und

interdisziplinären Zugängen, in dem man sich weiterentwickeln kann.

● Unabhängige und unparteiische Expert/innen, die schnell Bedarfsanalysen

machen, vor Ort die passenden Lösungen finden und die KMU mit anderen

Ebenen, Partnern, temporären Mitarbeitern vernetzen.

● Für den Übergang: Weiterbildungsangebote, die genau auf ihren Bedarf, ihre

Mittel und Möglichkeiten zugeschnitten sind.

Bildung 4.0 ist somit nicht nur ein Update der digitalen Kompetenzen, sondern auch ein

Upgrade der ethischen Mission des Bildungssystems, bevor es ganz in den Kapitalmarkt

abgleitet und nur noch nach kurzfristigen Rendite-Prioritäten arbeitet. Es ist die letzte

Möglichkeit, die Chancen-Ungleichheit im Bildungssystem wieder aufzufangen.

38

Eine digitale Agenda, die die neuen Technologien (mit viel Verspätung) in die Geschäfts-

und Arbeitsprozesse einbauen will, entspricht zwar einem immensen Nachholbedarf, ist

aber noch keine digitale Kultur. Zu ihr gehört auch der offene Zugang zu den neuen

Technologien für alle, bedingungslos, und das beschränkt sich nicht auf den Erwerb eines

Endgeräts, den Internet-Zugang (möglichst kostenlos) und die nötige Breitband-Dichte

überall. Es gehört dazu auch der offene und permanente Zugang zur Wissensgesellschaft

und die Möglichkeit, jederzeit und auf allen Stufen einen Einstieg zu finden - dem eigenen

Niveau angepasst und auf die momentanen Bedürfnisse skalierbar, um teilzuhaben an

der globalen Netzwerkgesellschaft.

Zur digitalen, vernetzten Kultur gehören aber auch flache Hierarchien, Arbeiten 4.0 und

ein ständiges Weiterlernen, das individuell und kollektiv von Nutzen ist. Je aktiver und

aktueller der Bildungsstand der Einzelnen und der Gesellschaft, desto geringer sind die

Soziallasten. Auch das ist volkswirtschaftliches Kalkül im Sinne des Gemeinwohls.

Leider unterliegt die Volkswirtschaft zunehmend den kurzfristigen Gesetzen der

Finanzmärkte. Kurzfristige Gewinne und Strategien entscheiden über die

Überlebensdauer eines Betriebes. Für langfristige Investitionen wie

Grundlagenforschung und Bildung besteht seitens der Interessenvertreter/innen und

Entscheider/innen aus Wirtschaft, Finanzen und Politik wenig Interesse, wenn die Rendite

nicht kurzfristig ist.

Die KMU müssen also künftig allein diesen Bildungsbedarf befriedigen und brauchen

dafür Verbündete, die gemeinsame Interessen haben.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Die Hochschulen können und sollten diese neue Dimension der Bildung innerhalb der

Volkswirtschaft nutzen. Hier entsteht Neuland und sie sollten die Erschließung nicht den

anderen überlassen. Sie haben aktuell noch einen Strukturvorteil, die Generation XYZ im

Zugriff und noch die gesellschaftliche Berufung.

Es ist jedoch eine kollektive Aufgabe, die viel Netzdynamik und Netzdenken erfordert.

Konkret bedeutet das, weg von den Silostrukturen, den Enklaven und Tunnelstrategien,

hin zu modernen Communities & Networks of Practice quer zu bestehenden Strukturen

und Geklüngel.

39

Open überall.

Unterstützen können wir sie durch den Blick von außen, durch angewandtes Wissen als

unabhängige Expert/innen mit internationaler und digitaler, vernetzter Erfahrung.

These 9 Plattform statt Pipelines: Personalisiert statt Konserven aus der Schulküche. Die

Grundlage des öffentlichen Systems sollte maximal gemeinfrei gestaltet sein.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Arbeiten und Weiterlernen 4.0 bedeutet eine Umkehr des Bildungsgedankens vom

“Push-Prinzip” zum “Pull-Prinzip”. Nicht mehr das Bildungssystem bestimmt die

individuellen Bildungskarrieren über das bildungspolitische, standardisierte

Wasserfall-Modell und den Wissenstransfer über lange Pipelines in den klassischen

Bildungsinstitutionen. Sondern selbst empowerte Menschen entwickeln ihre Kompetenz

entlang persönlicher Interessen und Anforderungen und suchen sich die dafür

benötigten Kontexte selbstbestimmt.

Seit dem Web 2.0 stoßen sie dabei auf eine Vielzahl an Plattformen, über die sie sich

vernetzen und austauschen, eben weiterbilden können. Multiple Side Platforms (MSP)

wie z.B. LinkedIn oder Social Collaboration-Software wie z.B. Slack ermöglichen einen

ständigen Kommunikationsmodus und wechselseitigen Informations-Transfer, der allen

Beteiligten hilft, sich weiterzuentwickeln und der die alten Pipeline-Systeme (die

Einbahnstraßen) ersetzt. Das ist das Erfolgsmodell der Kreativ-Industrie und rund um

diese Öko-Systeme entsteht das neue Bildungssystem 4.0. Plattformen gehören somit zu

den dynamischsten Produktionsmitteln der digitalen Ökonomie.

Plattformen fördern die unmittelbare Kommunikation mit exponentiellem Verteilereffekt.

Wenn ein mittelständischer Betrieb in einer entlegenen Region neue Kompetenz

aufbauen oder Informationen und Wissen teilen oder suchen will, geschieht das künftig

über solche Plattformen, wo auch Algorithmen und Big Data, Adaptive Learning-Ansätze

sowie Mass Customized Training die zeitgemäße Weiterbildung unterstützen helfen und

zusätzlich neue, kompetente Mitarbeiter/innen gefunden werden können. Denn es

40

braucht entsprechend selbstlernfähige wie -willige Mitarbeiter/innen, um sich in dieser

Dynamik vernetzt und damit effizient weiterzuentwickeln. Leider bringen aktuell die

wenigsten diese Kompetenz mit.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Solche Plattformen als institutionenübergreifende, dezentrale, kooperative Plattformen

aufzubauen mit Open Access-, Open Science- und Open Innovation-Ansätzen wäre eine

benutzerfreundliche und kostengünstige Alternative zu hochpreisigen, kommerziellen

Anbietern ohne authentische Kosten-Nutzen Analyse. Nur braucht hier nicht jede

Hochschule, jede Stadt oder jedes Bundesland seine eigene Plattform, sondern

gemeinsame zentrale Angebote, die möglichst EU-weit aufgesetzt sind (s.o.).

Anstatt die Daten und die Kontrolle der Kreativindustrie zu überlassen, könnten sich

solche hoheitlichen Plattformen als Interface von Wissen, Markt, Menschen,

Unternehmen, Forschung, Entwicklung und Anwendung positionieren. Allerdings gilt zu

bedenken: Das US-amerikanische Bildungssystem in Kooperation mit Amazon ist damit

technologisch dem europäischen um zwei Jahrzehnte voraus. Dieser Entwicklung eine

kompetente, agile, dynamische Alternative entgegenzusetzen, ist ein anspruchsvolles

Unterfangen, zumal im hiesigen Raum eine radikale Nutzerorientierung nicht zum

kulturellen Standard-Mindset zählt.

These 10 Bildung 4.0 bedeutet die Aufhebung von Zeit- und Raum-Einheiten. Das kommt

einem Ende von “Abschlüssen” gleich.

Die Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts hat sich ein Bildungssystem

geschaffen, das einerseits auf Massenkonsum, Massenbetrieb und Massenabfertigung

genormt war und andererseits die Inhalte in Zeiteinheiten berechnete. Der

Wissenstransfer wurde nicht nur in Zeit, sondern wie die Industrieproduktion in immer

größeren Räumen konzentriert. Präsenz und Pünktlichkeit waren ebenso Teil der

Bewertung wie die lückenlose Reproduktion der vorformatierten Inhalte.

Die digitalen Technologien und das Internet machen diese Konzentration in Zeit und

Raum obsolet. Ein Wissen, das sich ständig erweitert und erneuert und dadurch immer

41

neues Wissen generiert, stellt den Sinn der Reproduktion von Wissen infrage und somit

auch all seine Werteinheiten.

Zeugnisse, Diplome, Zertifikate im Bildungsbereich, die lediglich ein reproduziertes

Wissen von gestern bewerten, das immer nach willkürlichen und oft nur lokal gültigen

Kriterien ausgewählt wurde, haben nur noch einen kontextbezogenen Wert.

Auf dem weltweiten Arbeitsmarkt geben jedoch nicht die lokalen Abschlüsse, Diplome

oder Titel den Ausschlag, sondern was der Einzelne kann, seine aktuelle und aktualisierte

Kompetenz - als Expertin, Mitarbeiter oder Intrapreneur. Wer aktiv einen Job sucht, kennt

die Parameter des professionellen ePortfolios.

Bildung 4.0 ist insofern Teil des globalen Wissensflusses ebenso wie Arbeiten und

Industrie 4.0 sich in einem weltweiten Zusammenhang weiter bewegen.

Was bedeutet dies im Kontext von kleinen Unternehmen und potenziellen (Social)

Entrepreneuren?

Die Auswahl- und Einstellungskriterien haben sich durch diesen steigenden Druck des

aktuell verwert- und verfügbaren Wissens verändert. Unternehmen müssen nach ganz

neuen Kriterien ihre Mitarbeiter aussuchen und bewerten. Larry Page (Google), Chris

Rufer (Morning Star), Ricardo Semler (Semco) begleiten die Innovationsfähigkeit ihres

Unternehmens durch eine auf die Zukunftsfähigkeit zugeschnittene Auswahl an

Mitarbeiter/innen. Persönlichkeit zählt dabei mehr als formale Abschlüsse.

Google hat über Jahre eigene Forschungen betrieben hinsichtlich der Frage, unter

welchen Voraussetzungen Teams am besten funktionieren. Infolgedessen messen sie

dem Abschluss keinen großen Wert mehr bei, weil nach ca. einem Jahr Berufstätigkeit

andere, nicht messbare Faktoren entscheidender dafür seien, wie sich die Person

weiterentwickelt. Sozialkompetenz, Neugierde und Teamfähigkeit werden weit höher

eingeschätzt als zertifizierte Fachkompetenz. Hier von den Großen zu lernen, kann für die

Innovationsfähigkeit des KMU überlebenswichtig sein.

Was bedeutet dies für Hochschulen? Wo könnten sie helfen/unterstützen?

Tausende von Unternehmensberater/innen machen diesen neuen Kollateraleffekt des

obsoleten Bildungssystems zum Geschäftsmodell, indem sie nicht nur “Weiterbildung”,

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Training, sondern auch das entsprechende Auswahlverfahren als externe Dienstleistung

anbieten.

Wie weit diese Weiterbildungs- und Trainings-Angebote den jeweiligen Bedürfnissen der

Unternehmen entsprechen, ist fraglich, zumal die neu angepassten Lösungen immer

Unikate und nicht endlos reproduzierbar sind, wie es bislang der Fall war. Da auch im

Bildungs-Business nach dem sichtbaren Preis und nicht nach der unsichtbaren Qualität

verfahren wird, ist das Risiko hoch, dass sich statt Innovation und Kreativität,

kollaborativem Arbeiten und Netzdenken wieder eine Bildungs-Blase bildet, die viel zu

spät platzen wird. Oder sich radikal transformiert - siehe die Auflösung der

MOOC-Bewegung.

Damit nämlich auch das EdTech-Geschäftsmodell lukrativ ist, müssen Anbieter den

Kunden in die permanente Abhängigkeit bringen und an sich binden. “Einen

geschlossenen Kreis” ziehen, heißt es im Business-Jargon. Diese Strategie ist genau das

Gegenteil vom offenen Weg: Open Innovation, Open Science, Open Access und Open

Source, dank dessen KMU ihre interne und externe Netzwerkdynamik im kollaborativen

oder kooperativen Verbund entwickeln.

Hochschulen hätten mit ihren öffentlichen Forscher/innen theoretisch die Kompetenz,

um diese Millionen KMU lokal und überregional zu begleiten. Leider lassen sich die

Prof-Titel selbst noch im Beratungsgeschäft lukrativ monetarisieren. Von daher fehlt hier

oftmals der (altruistische) Antrieb. Wenn sich das lehrende Personal allerdings selbst auf

dem aktuellen Stand der digitalen Entwicklung hielte und offen wäre für Transformation,

könnten sie mit ihrer sehr fokussierten Fachkompetenz durchaus entscheidende

Mehrwerte für die Gesellschaft beisteuern.

Gelänge es also, KMU, zivilgesellschaftliche Kräfte und Wissenschaftler/innen in einen

wechselseitigen Lern- und Innovationsprozess zu bringen und ein offenes Ökosystem zu

schaffen, das den einzelnen Mitarbeiter/innen und Unternehmer/innen ihre Freiheit und

Unabhängigkeit ließe und sie zum Knoten ihres eigenen, großen “Lern”-Netzwerks macht,

dann ließe sich vielleicht ein Innovationsmotor anwerfen, der aus sich selbst heraus sich

regeneriert.

Hochschulen - als Teil der Volkswirtschaft und nicht als renditeorientierte

Geschäftsmodelle - könnte man so als temporäre, verdichtete Katalysatoren verstehen,

43

in denen Theorie und Praxis zusammenkommen, und in denen neue Entwicklungen

analysiert und angestoßen werden. Aus Millionen kleiner kundenindividueller Lösungen

von KMU ließe sich mit Hilfe der neuen Technologien (Algorithmen, Big Data) ständig ein

aktiver Fundus neuer Muster identifizieren, aus dem heraus sich kontinuierlich Neues

und Trends entfalten könnten.

Fazit mit Blick auf das Bildung 4.0 Manifest Es kommt irgendwann der Punkt, wo sich auch reiche Gesellschaften kein

Bildungssystem mehr leisten können, das zu sehr auf sich selbst zentriert ist und an den

volkswirtschaftlichen Finalitäten vorbeigeht. Ein Beispiel? BWL ist das größte Massenfach

seit Erfindung der Hochschulen mit 54% aller Studierenden aufgrund seiner direkten

Beziehung zum Arbeitsmarkt. Die Inhalte sind jedoch längst schon hinfällig und sehr weit

von Arbeiten 4.0 entfernt.

Die Hochschulen werden sich allerdings kaum aus den bestehenden Strukturen heraus

selbst transformieren können. Zu sehr sind sie der alten, hierarchischen Arbeitskultur

und -organisation verfallen. Darüber hinaus sind die aufgeblähten Strukturen des

Lernortes Hochschule längst überholt und müssten konsequent abgebaut werden. Das

Bildungssystem als solches ist dazu komplett zu reorganisieren - die Overhead-Kosten

für Personal, das oftmals selbst nicht am Puls der Zeit lebt, und überfrachtete Bürokratie

ohne E-Government-Strukturen sind im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr darstellbar.

Überhaupt sollte man “Hochschulen” nicht mehr in der Nachfolge der heutigen

Institutionen sehen. Als vernetztes Social Business-System gedacht, könnten sie

insgesamt die bessere, glaubwürdigere Alternative zum Bildungs-Business und

gleichzeitig eine offene Plattform der Netzwerkgesellschaft sein. Die vorhandene

Fachkompetenz von Wissenschaftler/innen muss der Gesellschaft dynamischer zur

Verfügung gestellt werden: Agil, offen, kollaborativ und sich selbst andauernd

transformierend.

Die Transformation in Richtung Bildung 4.0 wird insofern nur funktionieren, wenn “die

Politik” transuniversitäre, möglichst europäische Strukturen schafft, die Redundanzen

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überwinden, und wenn unabhängige Dritte die notwendige kollaborative Kompetenz

tatsächlich aufbauen helfen.

Hochschulen als Bildungseinrichtung, wie wir sie kannten, eignen sich nur noch

1. für ein Studium Generale,

2. für den unmittelbaren Transfer hochqualitativer (!) Forschung und die Einbindung

in vielfältige Communities & Networks of Practice, die über die bisherigen

Buddy-Beziehungen hinausgehen.

WissenschaftlerInnen sollten zudem in außerinstitutionelle Lernorte gehen, die

kommunale Schnittstellen bieten und sich dort aktiv beteiligen: Coworking-Spaces,

Makerspaces, Meetups, Barcamps etc.

Das Bildungssystem als solches steht vor einer Wende: Die rasanten technologischen

Umwälzungen vergrößern die Kluft zwischen gut und gering Qualifizierten. Bildung bleibt

die letzte Möglichkeit einer Chancengleichheit und spielt in diesem Zusammenhang eine

Schlüsselrolle, denn durch sie werden jene Fähigkeiten erst erzeugt, welche die Basis

meritokratischer Verteilungskriterien sind, deren Legitimität wir in einem Folge-Beitrag

hinterfragen.

Das bedingungslose Lernguthaben wäre ein erster Schritt in eine selbstbestimmte

Weiterbildungskultur - von Angestellten, temporär oder fest, Selbstständigen, Lehrenden

und Unternehmer/innen. Es vermag hoffentlich auch der wachsenden Zahl notorischer

Weiterbildungs-Verlierer unter den atypisch Beschäftigten die Möglichkeit zu bieten,

Arbeit und Weiterlernen selbstbestimmt zu gestalten und in ihre lebenslange Arbeits-

und Zeitlinie zu integrieren. Diese Entwicklung einer ständigen, persönlichen

Weiterbildung ersetzt dann zwangsläufig standardisierbare Zeugnisse, Diplome,

Zertifikate und Titel.

Das Bildungssystem der Netzwerkgesellschaft in Europa sollte darum auch weiterhin

seinem Anspruch folgen, in seinem Prinzip egalitär zu bleiben und Talente zu fördern.

Das kann es aber nur, wenn es sich die Dynamik der digitalen Ökonomie und ihrer

Technologien zu eigen macht, anstatt weiter zu warten. Das wiederum geht nur, wenn es

die aktuellen Raster aufbricht - und neben den bestehenden Curricula (Bachelor, Master,

Doktor) offene Module und Schnittstellen anbietet, nicht statische, sondern dynamische

45

Prototypen erstellt, die ständig “in Beta” verbleiben. Open End, Open Source, Open

Innovation.

Was bedeutet das konkret für die Hochschulen? Ihre Beschäftigten sollten unbedingt

“genötigt” werden, zusammen mit den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt

weiterzulernen, anstatt vorgefertigte Programme anzubieten, die schon überholt sind,

sobald sie zertifiziert sind. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, sollten die

systemischen Hochschul-Reste im Vorfeld ihr Personalmanagement klären,

lernresistente Mitarbeiter/innen in den Ruhestand schieben und - ähnlich wie die

dynamischen Unternehmen - um die besten Köpfe mit Weiterentwicklungspotenzial

konkurrieren.

Hochschul-Bildungs-Report 2020: Jahresbericht 2016

8 Thesen zur akademischen Arbeitswelt 4.0 Der Jahresbericht 2016 des Stifterverbandes in Kooperation mit McKinsey für den

Hochschulbildungsreport 2020 (PDF) enthält 8 Thesen zur akademischen Arbeitswelt der

Zukunft:

1. Das Arbeiten mit digitalen Technologien wird zum festen Bestandteil des

akademischen Kompetenzprofils.

2. In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routinetätigkeiten weg und werden durch komplexere

akademische Tätigkeiten ersetzt.

3. Mit dem Siegeszug von Big Data durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten die

Arbeitswelt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig.

4. Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker

entstehen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte

Berufsbilder.

5. Immer mehr beruflich Qualifizierte benötigen akademische Qualifikationen,

immer mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen.

6. Lernen prägt das neue Arbeiten und Arbeiten prägt das neue Lernen.

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7. In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere Eigenverantwortung auf neue Formen der

Kollektivarbeit.

8. Die Generation junger Akademiker verändert die Arbeitswelt.

Schnittstellen zum Bildung 4.0 Manifest In den Begründungen zu den 8 Thesen werden viele wichtige Entwicklungen auf dem

Arbeitsmarkt 4.0, daraus resultierende Problemfelder der Hochschulen und mögliche

Lösungsansätze formuliert. Mit Blick auf unsere im Bildung 4.0 Manifest formulierten

Thesen und welche Herausforderungen wir für Hochschulen sehen (siehe oben), können

wir folgende Gemeinsamkeiten in der Einschätzung feststellen:

● Der Bedarf hin zu mehr “Open Science” ist seitens des Bildungs-Establishments

erkannt - ebenso die Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit über die

institutionellen Grenzen hinweg.

● Hochschultypübergreifende Kooperationen werden zu selten genutzt. Vielfältige

Kooperationen wären jedoch erforderlich, auch für die Lehre - v.a. auch die

flexible Nutzung einer Vielzahl an Lernorten, auch in den Unternehmen vor Ort.

○ Anm.: Durch eine kooperative Aus- und Weiterbildung über verschiedene

Lernorte hinweg kämen sofort auch andere Arbeitsmodelle in die KMU. Die

Betriebe würden sich öffnen, indem sie auch temporären Expert/innen

Platz und Gehör verschaffen.

● Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung muss sich

deutlich verbessern.

● Private Anbieter versuchen die entstandenen Lücken zu füllen, weil sich

Hochschulen zu wenig dynamisch bewegen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt.

● Neben der Ausbildung von Angestellten gilt es, den verstärkten Wunsch hin zur

(Solo-)Selbstständigkeit zu unterstützen.

● Da die Bedeutung von kollaborativen Plattformen und Selbstorganisation wächst,

sollten Hochschulen mehr unternehmerisches Handeln und Eigenverantwortung

fördern.

47

○ Anm.: Kollektivarbeit funktioniert aber nur, wenn dahinter ein Netzdenken

und eine Netzdynamik steht, die DNA der digitalen Revolution. Sie enthält

an sich das offene Prinzip: Open Innovation, Open Source, Open Access,

Open Science.

● “Traditionell ist die Vermittlung von Fachkompetenzen der Kern akademischer

Bildung. Für die Vorbereitung auf die Arbeitswelt 4.0 gewinnen jedoch die

überfachlichen Kompetenzen an Bedeutung.“

● Methodisches und analytisches Denken wird ultimativ wichtig. Und die

Beurteilung von externen Forschungen und statistischen Analysen wächst zur

zentralen Kompetenz aller Akademiker/innen heran.

● Kontinuierliche Weiterbildung ist heute wichtiger als die grundständige

Ausbildung.

● “Digitale Infrastruktur ausbauen: Um kreative, kooperative digitale Angebote

aufzubauen, benötigen Hochschulen eine entsprechende digitale Infrastruktur.

Die Politik sollte den Auf- und Ausbau einer solchen Struktur finanziell und

administrativ besser fördern. Ziel ist die Entwicklung einer

hochschulübergreifenden, kompatiblen Infrastruktur zur besseren

Zusammenarbeit verschiedener Bildungsanbieter.“

○ Anm.: In den letzten Jahren wurden zu viele Plattform-Entwicklungen über

Drittmittel-Finanzierungen angestoßen, die nicht nachhaltig angelegt

waren, oftmals nicht der aktuellen “User Experience” entsprachen und

einfach nicht mit der Aufmerksamkeitsökonomie im dynamischen

Digitalmarkt mithalten konnten. Hier sollten Kräfte gebündelt und auch

quer gedacht werden.

● “Die Verschmelzung von akademischen und beruflichen Tätigkeiten bedeutet,

dass immer mehr Arbeitnehmer für ihre Berufstätigkeit anwendungsorientiertes

akademisches Wissen benötigen.“

○ Anm.: Das Ende der Laufbahnkorridore ist auch das Ende der

Tunnelstrategien in der Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Hier öffnet

sich Raum für Interaktionen, hybride Kompetenzraster - mit oder ohne

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Master - aber immer praxisbezogen. “Hybride Jobprofile verlangen hybride

Bildung”, ist auch das Fazit der Havard Business Review.

● Interessant ist das “Studium individuale” der Leuphana Universität als angeführtes

Best Practice-Modell (S.38).

Bevor wir die Stifterverband-Studie kritisch gegen den Strich bürsten, möchten wir die

Bedeutung einer zeitgemäßen (Weiter-)Bildung für die Arbeitswelt 4.0 in KMU

verdeutlichen.

Konsequenzen für Arbeit 4.0 (aus unserer Sicht) Bildung als ständige Weiterbildung ist künftig ein fester Bestandteil für die Arbeit 4.0,

zeitlich, räumlich und ergebnisorientiert. Gewöhnungsbedürfig ist sicher die Abschaffung

der Demarkationslinie zwischen Arbeiten und Weiterlernen, das über “learning by doing”

hinausgeht, weil der Lernprozess über das Individuum hinausgeht. Die erworbenen

Kenntnisse sind Teil seines PLM (“personal learning management”), aber auch Teil des

immateriellen Kapitals des Unternehmens. Dieses immaterielle Kapital wird für alle

Unternehmen (auch die Handwerksbetriebe) zu einer festen Komponente seiner

Wertschöpfung und seiner Bewertung. Je größer sein immaterielles Vermögen, desto

höher sein Ranking.

Das Problem vieler Unternehmen (nicht nur der KMU!) ist die Sichtbar-, Findbar- und

Greifbarkeit dieses immateriellen Vermögens. Es verändert sich ständig, so wie sich der

Markt, das Wissen der Mitarbeiter, die angewandten Technologien und die Produkte

verändern.

Die Präsenz externer, objektiver, zeitgemäß sich selbst weiterbildender und

glaubwürdiger Expert/innen aus den Hochschulen kann das Wissensmanagement 4.0,

die effektive soziale Kollaboration im Unternehmen, und damit die interne Weiterbildung

unterstützen. Von anderen lernen ist nicht nur der kürzeste, sondern auch der

kostengünstigste Weg.

Arbeit 4.0 ist entsprechend hybrid. Mit einem Bein in der Praxis, mit dem anderen in der

Theorie, im Weiterlernen. Das gilt für die Unternehmen ebenso wie für die Hochschulen.

Die schnelle Weiterentwicklung der Arbeitswelt und der Arbeitsmethoden holt alle aus

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der Routinefalle, zwingt alle ständig vernetzt zu denken, zu arbeiten und weiterzulernen.

Lucid statt blind enthält den offenen Blick, statt den professionellen Tunnelblick.

Das gilt auch für Karrierepfade innerhalb der Hochschulen. Sobald die Hochschulen nicht

mehr ihre Absolvent/innen - Bachelor, Master, Doktor - nur für den Titel ausbilden,

sondern ihren Wissenstransfer kritisch und kategorisch in zwei Kategorien einteilen:

● kulturelle Erfüllung und Bereicherung einerseits

● Beschäftigungsfähigkeit andererseits

und dieses Denken einschließlich der Bewertungsraster auch den Azubis mit auf den

Weg geben, verringert sich auch die Kluft zwischen Bildung und Arbeit und beide

entwickeln sich kontinuierlich, ohne den Bruch der Umschulung. Daneben gilt es die

unternehmerische Kompetenz aktiv mit auszuprägen, um vielfältige neue Unternehmen

mit Lösungsorientierung für aktuelle Probleme der Welt mit aufbauen zu helfen.

Ein offener Zugang zu einer digitalen Bildung 4.0-Plattform reduziert dabei Wege, Zeit

und Energien, die alle Unternehmen und ihre Mitarbeiter/innen ständig aufbringen

müssen, um immer wieder neue Ideen und Lösungen zu erfinden. Solch eine

Netzwerkstruktur - von Hochschulen systemisch gefördert und ständig weiterentwickelt -

bietet vielfältige Knotenpunkte: Weiterbildung verschmilzt dann mit dem Arbeitsprozess.

“Empowered Workers” ist die Alternative zum “On-Demand Workflow”, der das Arbeiten

4.0 in die Clickworker- und Crowdworker-Falle treiben könnte, wo für Bildung 4.0 weder

Zeit noch Raum bleibt.

So könnten sich idealerweise praktische Kompetenzen (wie z.B. die eines Klempners) mit

neuen Technologien direkt an der Basis verbinden. Veraltete und von der Technologie

überholte Kompetenz könnte noch rechtzeitig an neues Wissen geknüpft werden und

von der Pike auf neue Berufsbilder schaffen, wie z.B. das des Aquaponikers.

Blockchain-Management statt BWL - also keine BWLer oder Volkswirte mehr, die z.B.

keine Ahnung von Startup-Prioritäten haben und die Bildung 4.0 nicht als Priorität eines

Ökosystems für das 21. Jahrhundert begreifen.

Probleme der Stifterverband-Studie

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Blicken wir vor diesem Hintergrund auf die Studie des Stifterverbandes mit ihren acht

Thesen zur Arbeitswelt, so sehen wir einige grundsätzliche Problemfelder, die eine

ernsthafte digitale Transformation des Bildungssystems schwer vorstellbar machen.

● Die Studie geht vom alten Weltbild aus (Hochschulen, Studiengänge, Berufsrollen)

und sucht nach Wegen, wie sie dieses in die Zukunft retten kann.

● Die Studie basiert auf der Befragung von Unternehmen nach ihren

Einschätzungen, die aber alle selbst zwangsläufig auf dem

erkenntnistheoretischen Stand der gängigen Diskussionen sind. Ein Beispiel? Die

Autobranche hat bis Anfang diesen Jahres gelacht über Elon Musks

Transportpläne...

● Die Studie löst leider das Problem nicht auf, wie die akademische Welt für die

Vielzahl an neuen Berufsfeldern ausbilden soll, wenn niemand vorhersehen kann,

in welche Richtung sich die digitalisierte Welt entwickelt. Es fehlt ein Ansatzpunkt.

● Die Studie untersucht lediglich den möglichen Einfluss von Hochschulen auf

Angestellte in (Groß-)Unternehmen, also die 800.000 Akademiker/innen, die dort

beschäftigt sind. Auch wenn sie durchaus den Trend und die Notwendigkeit zu

mehr Selbstorganisation sieht, belässt sie es bei einem Appell an mehr

unternehmerisches Denken. Wo aber soll dieses herkommen?

● So hilft auch die Forderung nach mehr dualen Studiengängen nur späteren

Angestellten, indem sie frühzeitig zur Anpassung “erzogen” werden, ihnen aber

kaum kritisches, transformatives Denken vorgelebt wird.

● Die Bologna-Orientierung an Berufsfeldern für Studiengänge wird als gut

empfunden, obwohl genau dadurch kein kritisches Denken gefördert wird und

viele Unternehmen über die schlechten Voraussetzungen der

Berufsanfänger/innen klagen.

● Wiederholt wird in der Studie betont, es müssten mehr Kompetenzen “vermittelt”

werden. Kompetenzen kann man nicht vermitteln.

● Die Studie setzt weiter auf Servicestellen für digitales Lehren und Lernen, die den

“Lehrenden die Kompetenzen vermitteln, neue Lehrformate zu entwickeln und

durchzuführen.” Zwar betonen sie, dass der Erfolg (trotz massiver finanzieller

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Unterstützung in den letzten Jahrzehnten) bislang nicht eingetreten ist, aber mehr

als ein Weiter-so scheint hier nicht gewünscht zu sein.

● Die Studie fordert mehr Geld für die IT-Infrastruktur der Hochschulen - das ist u.E.

ein falscher Ansatz. Technologie ist derzeit weniger das Problem, eher das

Urheberrecht und der zu eng ausgelegte Datenschutz.

● Die Studie folgt konsequent dem Wachstumsdenken.

Was u.E. komplett fehlt, ist die klare Aussage, dass Bildung ein Gemeingut ist -

volkswirtschaftlich sinnvoll und ein kollektives Vermögen darstellt, das möglichst gut

investiert werden sollte.

Bildung 4.0 wäre (wie bereits oben erwähnt) die letzte Möglichkeit einer korrektiven

Chancengleichheit. Während das Schulwesen zunehmend auf Auslese geht (mit allen

Konsequenzen), sollte das Hochschulwesen allen Abbrecher/innen, Aussteiger/innen und

Dropouts den Zugang zur Bildung offen halten. Zugang nicht im Sinne eines altbackenen

Zugangs zu alten Kursen, sondern Zugang im Sinne einer selbstbestimmten Organisation

des persönlichen Arbeits- und Lernpfades, idealerweise auch durch eine bessere

infrastrukturelle Unterstützung interessengeleiteter Kompetenzprofile.

Somit fehlt der Studie aus unserer Sicht der volkswirtschaftliche Impuls und Impakt des

Bildungssystems, denn dadurch erst kann sich die interaktive Dynamik zwischen Arbeiten

4.0 und Bildung 4.0 vollziehen.

Die 8 Thesen umgehen insofern behutsam fünf Fragen:

1. Was ist Bildung 4.0 und ihre Finalität? Was ist das Ziel - außer Wachstum und

damit Unternehmensgewinne?

2. Wie weit ist Bildung in ihrer Lehr-Funktionalität schon von der KI überholt?

3. Kollaboration mit künstlicher Intelligenz: Wenn nicht die Hochschulen den Anfang

machen, wer sonst?

4. Warum profitierten bislang nur das flexible Kapital und globale Investoren von

den Möglichkeiten der neuen Technologien?

5. Inwiefern sind substanzielle Bereiche der Bildung bereits nur noch potemkinsche

Dörfer?

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Nicht den Unternehmen kommt die Aufgabe zu, die neuen Technologien sofort (!)

anwendbar zu machen, sondern dem Bildungssystem, das die Potenziale dynamisch

prüft, sie mit bestehendem Know-how abgleicht und erweitert. Das Bildungssystem muss

aus sich selbst heraus gesellschaftliche Verantwortung übernehmen - und zwar im

Interesse aller Menschen, nicht nur mit Blick auf den eigenen Status. Und dazu müssen

sich die Hochschulen vielfältig und heterogen mit der kreativen Zivilgesellschaft

vernetzen, weniger mit dem Establishment, weil dort nur Status Quo, nicht aber

Transformation zu erwarten ist.

Was wir als Zivilgesellschaft von Hochschulen erwarten, ist ein fundamentales Reset ihrer

gesellschaftlichen Funktion am Puls der Zeit:

1. Sie schaffen Vertrauen, indem sie sich auf vielfältige Weise der Gesellschaft

öffnen.

2. Sie positionieren sich als unparteiische (!) Expert/innen im Interesse des

Allgemeinwohls und verfolgen nicht primär ein eigennütziges Interesse.

3. Sie sind glaubwürdiger als die großen internationalen Consulting-Agenturen,

indem sie sich nicht qua Arroganz, sondern qua Kompetenz in den Diskurs

einbringen.