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Arbeitshilfe SGB II-Leistungen für Unionsbürger und Drittstaatsangehörige (§ 7 Abs. 1 SGB II) (Die Regelungen der Arbeitshilfe sind verbindlich.) Herausgeber: jobcenter Kreis Steinfurt Tecklenburger Str. 10 48565 Steinfurt Fragen an: Karin Vorsthove Markus Leismann Grundsatz und Recht (56/1) Grundsatz und Recht (56/1) [email protected] [email protected] Tel.: 02551 / 69-1727 Tel.: 02551 / 69-1726 Fax: 02551 / 69-91727 Fax: 02551 / 69-91726 Internet: www.jobcenter-kreis-steinfurt.de www.kreis-steinfurt.de

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Arbeitshilfe

SGB II-Leistungen für Unionsbürger und Drittstaatsangehörige

(§ 7 Abs. 1 SGB II)

(Die Regelungen der Arbeitshilfe sind verbindlich.)

Herausgeber: jobcenter Kreis Steinfurt

Tecklenburger Str. 10 48565 Steinfurt

Fragen an: Karin Vorsthove Markus Leismann Grundsatz und Recht (56/1) Grundsatz und Recht (56/1) [email protected] [email protected] Tel.: 02551 / 69-1727 Tel.: 02551 / 69-1726 Fax: 02551 / 69-91727 Fax: 02551 / 69-91726 Internet: www.jobcenter-kreis-steinfurt.de www.kreis-steinfurt.de

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Arbeitshilfe „SGB II-Leistungen für Unionsbürger und Drittstaatsangehörige (§ 7 Abs. 1 SGB II)“

Wesentliche Änderungen

Lfd. Nr. Stand vom Ziffer Wesentliche Änderungen

1 15.06.2016 1-3 Neuauflage (betrifft zurzeit nur Regelungen zum Leis-tungsanspruch von Unionsbürgern) SGB II-Rundschreiben Nr. 19/2012 wird aufgehoben (bis-herige Regelungen wurden in die fachlichen Hinweise der BA zu § 7 aufgenommen).

2 22.09.2016 2.4.3.1 2.5.3.2

Ergänzung zur Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft Änderung der Rechtsauffassung: Ein aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht (für Kinder wäh-rend des Schulbesuches/der Ausbildung und für den sor-geberechtigten Elternteil) führt nicht zu einem Anspruch auf SGB II-Leistungen.

3 21.12.2016 2.4.3.2 2.4.4 ff.

Der ehemalige Vordruck „E007 – Anforderung Angaben Arbeitgeber“ wird durch drei neue Vordrucke ersetzt:

E 003a – Anschreiben Arbeitgeber Beendigungs-gründe

E 007 – Anschreiben Arbeitgeber Einkommens-bescheinigung

E 008 – Anschreiben Arbeitgeber Arbeitszeit-aufzeichnungen

Der bisherige Vordruck „E 003 – Arbeitsbescheinigung“ wird durch den Vordruck „E 003 - Angaben zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ ersetzt. Überarbeitung des Kapitels zur Fortgeltung des Arbeitneh-mer- oder Selbständigenstatus. Insbesondere Ergänzung des Verfahrens zur Feststellung einer unfreiwilligen Ar-beitslosigkeit.

4 19.04.2017 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.7 Anlage 1

Änderungen aufgrund der Gesetzesänderung zum 29.12.2016:

Gesetzliche Klarstellung: Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der VO (EU) 492/2011 führt zu keinem SGB II-Anspruch (ehemaliges Kapitel 2.5.3.2 „Auf-enthaltsrecht für Kinder wegen Schulbe-such/Ausbildung“ gestrichen)

Gesetzliche Klarstellung: Ausländer, die kein Auf-enthaltsrecht haben, sind von SGB II-Leistungen ausgenommen (ehemaliges Kapitel „2.5.3.5 Erst-recht-Schluss bei fehlendem Aufenthaltsrecht“ ge-strichen)

Rückausnahme vom Leistungsausschluss: 5-jähriger verfestigter Aufenthalt führt zum SGB II-Anspruch (2.4.2)

Im SGB XII werden die Leistungsausschlüsse den-jenigen im SGB II angepasst. Daneben wird im SGB XII ein Anspruch auf eine „Überbrückungsleis-tung“ für einen Monat und die Möglichkeit der Ge-währung eines Darlehens für die Kosten der Rück-reise geschaffen.

Einführung einer Meldepflicht gegenüber der Aus-länderbehörde

Prüfschema zum SGB II-Leistungsanspruch angepasst.

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Arbeitshilfe „SGB II-Leistungen für Unionsbürger und Drittstaatsangehörige (§ 7 Abs. 1 SGB II)“

2.4.3.2 2.4.3.4 2.4.4.1 2.4.4.4 2.5.4.3

Weitere Änderungen: Hinweis auf den Vordruck „E 009 – Gesprächsleitfaden und Unterlagen Prüfung Arbeitnehmerstatus“ und die Arbeitshil-fe der BA „Bekämpfung von organisiertem Leistungsmiss-brauch durch EU-Bürger“ aufgenommen. Hinweise zum Umgang mit einer Scheinselbständigkeit aufgenommen. Klarstellung: Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus bei vo-rübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall gilt nur, wenn vorher eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Ergänzung zur Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus einer schwangeren Unionsbürgerin während der Mutterschutz-frist. Während einer anschließenden Elternzeit bleibt der Arbeitnehmerstatus nicht erhalten. Änderung der Rechtsauffassung: Der unverheirateten Mut-ter eines aufenthaltsberechtigten Kindes (Vater ist Arbeit-nehmer) steht grundsätzlich kein Aufenthaltsrecht aus fami-liären Gründen zum Schutz der Familie nach Art. 6 GG zu, das zu einem SGB II-Anspruch führt. Fallkonstellation aus der Aufzählung gestrichen. Ebenfalls Beispiel einer schwangeren Unionsbürgerin, die nach Deutschland zu dem daueraufenthaltsberechtigten Kindesvater zieht, gestrichen (BSG, Urteil v. 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R), da es sich um einen Einzelfall handelt.

5 10.07.2017 2.7 Bei Unionsbürgern kann die Meldung an die Ausländerbe-hörde nach § 87 AufenthG unterbleiben.

Inhaltliche Änderungen sind grau hinterlegt.

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Inhalt

1 Anwendung der fachlichen Weisungen der BA 2

2 Unionsbürger und ihre Familienangehörigen 2

2.1 Allgemeines zum Freizügigkeitsrecht 2 2.1.1 Freizügigkeitsberechtigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU 2 2.1.2 Dokumente zum Nachweis des rechtmäßigen Aufenthaltes 3

2.2 Prüfung des SGB II-Leistungsanspruchs durch die PAP 3

2.3 Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen 4 2.3.1 Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit 4 2.3.2 Gewöhnlicher Aufenthalt 4

2.3.2.1 Befristeter Aufenthalt 5 2.3.2.2 Aufenthalt der Kinder von Unionsbürgern 5

2.4 Anspruchsberechtigte Unionsbürger 5 2.4.1 Daueraufenthaltsrecht 5 2.4.2 Familienangehörige eines deutschen Staatsbürgers 5 2.4.3 Arbeitnehmer oder Selbständige 6

2.4.3.1 Arbeitnehmer 6 2.4.3.2 Umgang mit Scheinarbeitsverhältnissen 7 2.4.3.3 Selbständige 10 2.4.3.4 Umgang mit einer Scheinselbständigkeit 10

2.4.4 Fortgeltung des Arbeitnehmer- oder Selbständigenstatus 12 2.4.4.1 Vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit o. Unfall 12 2.4.4.2 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit 13 2.4.4.3 Aufnahme einer Berufsausbildung 17 2.4.4.4 Mutterschutz und Elternzeit 17

2.5 Ausschluss von Unionsbürgern 18 2.5.1 Ausschluss innerhalb der ersten drei Monate 18 2.5.2 Aufenthalt allein zum Zweck der Arbeitsuche 18 2.5.3 Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 19 2.5.4 Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht 20

2.5.4.1 Prüfung weiterer Aufenthaltsrechte 20 2.5.4.2 Freizügigkeitsrecht nicht erwerbstätiger Unionsbürger 20 2.5.4.3 Aufenthaltsrechte aus dem Aufenthaltsgesetz 20

2.5.5 Rückausnahme: Verfestigter Aufenthalt nach 5 Jahren 21

2.6 Hinweis auf Leistungen nach dem SGB XII 22

2.7 Meldung an die Ausländerbehörde 23

2.8 Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde 23

3 Drittstaatsangehörige und ihre Familienangehörigen 24

Anlage 1 – Prüfschema SGB II-Leistungsanspruch von Unionsbürgern 25

Anlage 2 – Musterschreiben: Bescheinigung der Minijob-Zentrale über eine Meldung zur Sozialversicherung 26

Anlage 3 – Musterschreiben: Bescheinigung zur Sozialversicherung 27

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1 Anwendung der fachlichen Weisungen der BA

Die Bundesagentur für Arbeit hat zur Umsetzung des SGB II und SGB III fachliche Weisungen herausgegeben. Hierbei handelt es sich um die Interpretation des Geset-zes durch die BA, die erfahrungsgemäß mit dem BMAS abgestimmt ist. Die fachlichen Weisungen der BA zu § 7 SGB II zum Thema „SGB II-Leistungen für Unionsbürger“ (Stand 10.08.2016) wurden in diese Arbeitshilfe aufgenommen, soweit sie mit der Rechtsauffassung des jobcenters Kreis Steinfurt übereinstimmen (ge-kennzeichnet mit einer Markierung an der rechten Seite des Textes). Ein zusätzlicher Rückgriff auf die Fachlichen Weisungen der BA ist in der Regel in der laufenden Sachbearbeitung nicht erforderlich, zumal diese Arbeitshilfe ggf. auch abweichende Regelungen enthält. Die Arbeitshilfe befasst sich zurzeit nur mit dem Thema „Unionsbürger und ihre Fami-lienangehörigen“. Ausführungen zu dem Kapitel „Drittstaatsangehörige und ihre Fa-milienangehörigen“ werden zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt. 2 Unionsbürger und ihre Familienangehörigen

2.1 Allgemeines zum Freizügigkeitsrecht

2.1.1 Freizügigkeitsberechtigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU

Unionsbürger, die freizügigkeitsberechtigt sind, haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie sind freizügigkeitsberechtigt, wenn die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Frei-zügG/EU gegeben sind (z. B. der Aufenthalt als Arbeitnehmer, als Selbständiger o-der zur Arbeitsuche). Für einen rechtmäßigen Aufenthalt während der ersten drei Monate nach der Einreise ist lediglich der Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ausreichend, die Voraussetzungen aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU müssen nicht vorliegen. Familienangehörige von Unionsbürgern haben ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m § 3 FreizügG/EU). In § 3 Abs. 2 FreizügG/EU ist definiert, wer Familienangehöriger ist:

Ehegatten und Lebenspartner (eingetragene Lebenspartnerschaften zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts),

Verwandte in gerader absteigender Linie (Kinder, Enkel), die noch nicht 21 Jahre alt sind,

Verwandte in gerader aufsteigender (Eltern, Großeltern) und gerader abstei-gender Linie (Kinder, Enkel), denen der Unionsbürger oder dessen Ehegat-te/Lebenspartner Unterhalt gewährt.

Staatsangehörige des Europäischen Wirtschaftsraumes haben gemäß § 12 Frei-zügG/EU ebenfalls das Recht auf Freizügigkeit nach dem FreizügG/EU. Dieses be-trifft die Staatsangehörigen von Island, Lichtenstein und Norwegen. Für Staatsan-gehörige der Schweiz besteht ein eigenes Freizügigkeitsabkommen, nach dem ebenfalls das Recht auf Freizügigkeit in den EU-Staaten besteht.

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2.1.2 Dokumente zum Nachweis des rechtmäßigen Aufenthaltes

Unionsbürger benötigen zur Einreise kein Visum und für den Aufenthalt keinen Auf-enthaltstitel. Sie haben bei der Beantragung von SGB II-Leistungen Ihren gültigen Personalaus-weis oder Reisepass vorzulegen, um Ihre Unionsbürgerschaft nachzuweisen. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes ist damit noch nicht nachgewiesen. Mit Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vor-schriften vom 21.01.2013 ist ab 29.01.2013 die Freizügigkeitsbescheinigung für Unionsbürger nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU ersatzlos entfallen. Auswirkungen auf die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7, 8 SGB II ergeben sich nicht, da die Frei-zügigkeitsbescheinigung nur deklaratorischen Charakter hatte. Unionsbürger mit einem Daueraufenthaltsrecht können bei der Ausländerbehörde eine Bescheinigung hierüber beantragen (siehe Ziffer 2.4.1). Freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, wird eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern ausgestellt, die bis zu fünf Jahre gültig ist.

2.2 Prüfung des SGB II-Leistungsanspruchs durch die PAP

Der Anspruch von Unionsbürgern auf SGB II-Leistungen ist im Wesentlichen von ihrem Freizügigkeitsrecht abhängig. Daher muss festgestellt werden, ob und wenn ja welches Freizügigkeitsrecht vorliegt. Die Ausländerbehörden haben nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU die Möglichkeit, den Verlust des Freizügigkeitsrechts festzustellen (siehe Ziffer 2.8). Allerdings ist eine Überprüfung des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 3 FreizügG/EU nur aus beson-derem Anlass zulässig.1 Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH fehlt das Freizügigkeitsrecht schon dann,2 wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen. Eine Verlustfeststellung der Ausländerbehörde ist nicht erforderlich. Wenn ein Unionsbürger SGB II-Leistungen beantragt, müssen die PAP selber prü-fen, welches Freizügigkeitsrecht vorliegt. In diesem Zusammenhang sind die Leistungsausschlüsse aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu beachten. Ausgenommen sind:

Ausländer und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Auf-enthaltes (wenn sie nicht Arbeitnehmer, Selbständige oder aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind)

Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben

Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen

1 AVV zum FreizügG/EU Rn. 5.4.1.6 2 EuGH, Urteil v. 11.11.2014, C-333/13 Dano, Rn. 80 f.

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Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben dem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ab-leiten (Kinder ehemaliger Arbeitnehmer für die Dauer der allgemeinen Schul-ausbildung oder Berufsausbildung sowie der sorgeberechtigte Elternteil)

Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Um festzustellen, ob ein SGB II-Leistungsanspruch besteht, wurde das in Anlage 1 dargestellte Prüfschema entwickelt. Nachfolgend werden die einzelnen Prüfschritte erläutert. Neben der Überschrift eines Abschnitts ist ggf. die Position im Prüfschema angegeben.

2.3 Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

Um SGB II-Leistungen zu erhalten, müssen die allgemeinen Anspruchsvorausset-zungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gegeben sein:

15. Lebensjahr vollendet und Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht

erwerbsfähig

hilfebedürftig

gewöhnlicher Aufenthalt in der Bunderepublik Deutschland

2.3.1 Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit

Bei der Prüfung der Voraussetzung zum Alter und der Hilfebedürftigkeit ergeben sich keine Besonderheiten für Unionsbürger. Neben der tatsächlichen Erwerbsfähigkeit muss auch die rechtliche Erwerbsfähigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II vorliegen. Den Ausländern muss die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sein bzw. erlaubt sein können. Dieses ist bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen generell der Fall.

2.3.2 Gewöhnlicher Aufenthalt

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand nach der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es wird regelmäßig vermutet, dass am angemeldeten Wohnsitz auch der gewöhnli-che Aufenthalt ist. Wenn eine Person nicht gemeldet ist, kommt es auf den tatsäch-lich feststellbaren Lebensmittelpunkt an. Für Unionsbürger ist eine Anmeldung am Wohnsitz nicht zwingend. Nach drei Mona-ten wird allerdings von ihnen nach EU-Recht verlangt, dass sie sich bei der zuständi-gen Behörde anmelden (Art. 5 Abs. 5, Art. 8 UnionsRL). Zudem besteht in Deutsch-land eine allgemeine Meldepflicht bei Bezug einer Wohnung (§ 13 Meldegesetz). Auch wenn ein Unionsbürger sich noch keine drei Monate in Deutschland aufhält, sollte darauf hingewirkt werden, dass er sich beim Einwohnermeldeamt anmeldet.

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2.3.2.1 Befristeter Aufenthalt

Unionsbürger, die sich nur befristet ohne Aussicht auf einen Daueraufenthalt in Deutschland aufhalten (z. B. Touristen, Saisonarbeiter), haben keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

2.3.2.2 Aufenthalt der Kinder von Unionsbürgern

In vereinzelten Fällen kann es vorkommen, dass Kinder von Unionsbürgern zwar in Deutschland gemeldet sind, sich aber tatsächlich noch bzw. wieder im Ausland auf-halten. Bei den Einwohnermeldeämtern müssen die Kinder zur Meldung des Wohn-sitzes nicht zwingend persönlich erscheinen. Sollten Zweifel darüber bestehen, ob ein Kind hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, kann z. B. bei schulpflichtigen Kin-dern als Nachweis die Vorlage einer aktuellen Schulbescheinigung dienen.

2.4 Anspruchsberechtigte Unionsbürger

Wenn eines der folgenden genannten Aufenthaltsrechte vorliegt, haben Unionsbür-ger grundsätzlich einen Anspruch auf SGB II-Leistungen.

2.4.1 Daueraufenthaltsrecht

Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet auf-gehalten haben, erhalten ein dauerhaftes Bleiberecht (Daueraufenthaltsrecht ge-mäß § 4a FreizügG/EU). Der Unionsbürger muss in diesem Zeitraum durchgehend materiell aufenthaltsberechtigt gewesen sein.3 Nach Erwerb des Daueraufenthalts-rechtes ist der weitere Aufenthalt nicht mehr vom Vorliegen der Freizügigkeitsvo-raussetzungen aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU abhängig. Ihre Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, haben dieses Recht, wenn sie sich seit fünf Jahren mit dem Unionsbürger ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die in § 4a Abs. 6 FreizügG/EU genannten Abwesenheitszeiten sind während des fünfjährigen Aufenthaltes für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes unschädlich. Das Daueraufenthaltsrecht kann durch die „Bescheinigung des Daueraufenthalts“ nachgewiesen werden. Die Bescheinigung hat rein deklaratorischen Charakter. Sie wird nur auf gesonderten Antrag von der Ausländerbehörde ausgestellt. Es besteht keine Verpflichtung, die Bescheinigung zu beantragen. Lässt sich das Daueraufent-haltsrecht nicht zweifelsfrei nach den vorliegenden Unterlagen feststellen und ist das Bestehen des Daueraufenthaltsrechts entscheidend für den SGB II-Leistungsanspruch, kann gegenüber dem Unionsbürger auf die Beantragung der „Bescheinigung des Daueraufenthalts“ hingewirkt werden.

2.4.2 Familienangehörige eines deutschen Staatsbürgers

Aus § 28 AufenthG (Familiennachzug zu Deutschen) ergibt sich ein Aufenthaltsrecht für die in Abs. 1 Satz 1 genannten Familienangehörigen von Deutschen:

der Ehegatte eines Deutschen

das minderjährige ledige Kind eines Deutschen

3 LSG NRW, Urteil vom 11.04.2016 – L 19 AS 555/15

3

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der Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Per-sonensorge.

Soweit die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht aus § 28 AufenthG vorliegen, sind die Familienangehörigen nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfasst. 4

2.4.3 Arbeitnehmer oder Selbständige

2.4.3.1 Arbeitnehmer

Das Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Frei-zügG/EU. Unionsbürger, die Arbeitnehmer sind, haben einen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Arbeitnehmer kann nur sein, wer

während einer bestimmten Zeit

für einen anderen

nach dessen Weisung eine Tätigkeit ausübt,

für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei ist auf objektive Kriterien abzustellen. Die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs richtet sich vor allem nach dem Unionsrecht und weicht von der Auslegung des Ar-beitnehmerbegriffs im nationalen Arbeitsrecht ab. Bei der Tätigkeit muss es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handeln, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeord-net und unwesentlich darstellen.5 Von einer völlig untergeordneten Tätigkeit kann in der Regel ausgegangen werden, wenn eine Beschäftigung nur sporadisch ausgeübt wird ("reine Gelegenheits- oder Gefälligkeitsarbeiten“, z. B. „Verkauf“ der Arbeitslosenzeitung in Großstädten). Eine sehr geringe Arbeitszeit kann ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit darstellen. Allerdings ist eine Ge-samtschau des Arbeitsverhältnisses entscheidend, bei der nicht nur Gesichts-punkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen sind, son-dern auch solche wie

der Anspruch auf bezahlten Urlaub,

die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,

die Anwendung eines Tarifvertrags sowie

der langjährige Bestand eines Arbeitsverhältnisses.6 So ist zumindest bei Tätigkeiten mit einer Stundenzahl, die regelmäßig unter 8 Stunden pro Woche liegt, der Arbeitnehmerbegriff nach Unionsrecht gemäß den vorgenannten Kriterien zu prüfen.7 Abhängig vom Umfang der Arbeitszeit und der Höhe der Vergütung ist wie folgt zu verfahren:

4 BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B4 AS 37/12 R 5 vgl. u. a. EuGH, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 6 EuGH, Urteil v. 04.02.2010, C-14/09 Genc 7 Siehe auch fachliche Hinweise der BA zu § 7, Ziffer 2.4.3, Rz. 7.8

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Arbeitshilfe „SGB II-Leistungen für Unionsbürger und Drittstaatsangehörige (§ 7 Abs. 1 SGB II)“ Seite 7

Arbeitszeit über 6 Stunden wöchentl. / Vergütung mehr als 200 € mtl. Die Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses kann darauf beschränkt werden, ob irgendwelche Besonderheiten auffallen, auf Grund derer ausnahmsweise davon auszugehen ist, dass es sich nicht um eine tatsächliche und echte Tä-tigkeit handelt. Im Regelfall ist von einer Arbeitnehmereigenschaft auszuge-hen.

Arbeitszeit zwischen 3 und 6 Stunden wöchentl. / Vergütung zwischen 100 und 200 € mtl. Die Arbeitnehmerschaft ist anhand einer umfassenden Gesamtschau des Ar-beitsverhältnisses zu prüfen.8

Arbeitszeit unter 3 Stunden wöchentl. / Vergütung weniger als 100 € mtl. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass keine Arbeitnehmereigenschaft vor-liegt und es sich um eine völlig untergeordnete Tätigkeit handelt. Es ist jedoch zu beachten, dass im Einzelfall eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegen kann (z. B. wenn jemand aufgrund besonderer Umstände daran gehindert ist, mehr zu arbeiten9 oder die Vergütung z.B. durch Zahlung von Kost und Logis er-folgt).

Der Arbeitnehmerstatus wird erst ab dem Tag der tatsächlichen Arbeitsaufnahme begründet. Ein vom Arbeitnehmerstatus abhängiger Leistungsanspruch beginnt da-mit auch erst ab diesem Tag.

Beispiel:

Ein bulgarischer Staatsbürger beantragt am 03.04. Leistungen nach dem SGB II. Ab dem 07.04. beginnt sein neues Arbeitsverhältnis. Aufgrund der Arbeitnehmereigenschaft ist er SGB II-leistungsberechtigt. SGB II-Leistungen können erst ab dem 07.04. gewährt werden.

2.4.3.2 Umgang mit Scheinarbeitsverhältnissen

Vereinzelt treten Fälle auf, in denen Unionsbürger nach Deutschland einreisen und Arbeitsverträge abschließen, um dadurch einen Leistungsanspruch nach dem SGB II zu erhalten. Zu Beginn oder aber im Laufe des Verfahrens ergeben sich Anhalts-punkte, dass ein Scheinarbeitsverhältnis vorliegen könnte. Die große Schwierigkeit besteht darin, nachzuweisen, dass es sich um kein tatsächliches Arbeitsverhältnis handelt. Entsprechend den Ausführungen unter Ziffer 2.4.3.1 kann die Arbeitneh-mereigenschaft nur bejaht werden, wenn eine tatsächliche und echte Tätigkeit vor-liegt. Soweit im Einzelfall der Verdacht besteht, dass ein Scheinarbeitsverhältnis vor-liegt, können folgende Punkte helfen, dieses aufzudecken: Zunächst ist zu unterscheiden, ob es sich um eine sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung oder um eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung (= Minijob) handelt. Minijob: Wie oben unter Ziffer 2.4.3.1 dargestellt, darf es sich nicht um eine völlig untergeord-nete Tätigkeit handeln. Bei völlig untergeordneten Tätigkeiten kann die Arbeitneh-mereigenschaft von vornherein verneint werden.

8 siehe z. B. EuGH, Urteil v. 04.02.2010, C-14/09 Genc; BVerwG Urteil v. 19.04.2012, 1 C 10.11 9 siehe z. B. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 11.11.2015 – L 6 AS 197/15 B ER

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Der Minijob kann sowohl in einem Privathaushalt als auch in einem Gewerbebe-trieb ausgeübt werden. Für beide Bereiche können folgende Punkte geprüft werden:

Vorlage der Anmeldung bei der Minijob-Zentrale. Anschließend erhält der Ar-beitnehmer von der Minijob-Zentrale eine Bescheinigung über die Meldung zur Sozialversicherung (siehe Anlage 2 – Musterschreiben), die ebenfalls vorge-legt werden sollte.

Vorlage des schriftlichen Arbeitsvertrages.

Wenn der Arbeitsvertrag mündlich geschlossen wurde: Wesentliche Vertrags-bedingungen schriftlich fixieren und vorlegen lassen. Nach § 2 Nachweisge-setz hat der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsver-hältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen.

Einhaltung Mindestlohngesetz prüfen. Mindestens 8,50 € (ab 01.01.2017: 8,84 €) Stundenlohn, soweit keine Ausnahme greift (siehe auch Arbeitshilfe „Umsetzung des Mindestlohngesetzes“).

Zusätzlich sind bei einem Minijob in einem Gewerbebetrieb folgende Punkte zu be-achten:

Prüfung, ob der Arbeitgeber Gewerbe angemeldet hat. Auskünfte können die Gewerbeämter der Städte und Gemeinden geben.

Arbeitszeitaufzeichnungen vorlegen lassen. Nach § 17 Abs. 1 MiLoG sind Ar-beitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeits-leistung folgenden Kalendertag aufzuzeichnen.

Wenn der Minijob in einem Privathaushalt ausgeübt wird, ist zu prüfen, ob die ver-traglich vereinbarte Tätigkeit hierfür typisch ist (z. B. Einstellung als Trockenbauer untypisch für die Beschäftigung im Privathaushalt).

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung: Zum Nachweis eines tatsächlichen Arbeitsverhältnisses können folgende Aspekte überprüft werden:

Vorlage des schriftlichen Arbeitsvertrages.

Vorlage der Anmeldung zur Sozialversicherung. Anschließend erhält der Ar-beitnehmer eine Bescheinigung zur Sozialversicherung (siehe Anlage 3 – Musterschreiben), die ebenfalls vorgelegt werden sollte.

Prüfen, ob ordnungsgemäß Steuern und Sozialversicherungsabgaben abge-führt werden. Die Prüfung kann sich grundsätzlich nur darauf erstrecken, ob für die geleistete Tätigkeit eine Lohnbescheinigung ausgestellt wurde, in der die entsprechenden Beträge ausgewiesen sind. Eine illegale „Schwarzarbeit“, für die insbesondere keine Sozialversicherungsabgaben entrichtet werden, kann kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 Frei-zügG/EU vermitteln.10

Arbeitszeitaufzeichnungen vorlegen lassen. Nach § 17 Abs. 1 MiLoG sind Ar-beitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeits-leistung folgenden Kalendertag aufzuzeichnen. Dies gilt für die in § 2a

10 LSG NRW, Beschluss vom 29.04.2015 - L 2 AS 2388/14 B ER und LSG NRW, Beschluss vom 02.10.2012 - L 19 AS 1393/12 B ER nd L 19 AS 1394/12

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SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereiche und Wirtschaftszweige (z. B. Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Gebäudereinigungs-gewerbe, Personenbeförderungsgewerbe, Transportgewerbe).

Einhaltung Mindestlohngesetz prüfen. Mindestens 8,50 € (ab 01.01.2017: 8,84 €) Stundenlohn, soweit keine Ausnahme greift (siehe auch Arbeitshilfe „Umsetzung des Mindestlohngesetzes“).

Bei allen Arbeitsverhältnissen ist zu hinterfragen, wie der Kontakt des Unionsbürgers zum Arbeitgeber entstanden ist. Aussagen dazu können auf ein mögliches Scheinar-beitsverhältnis hinweisen (ggfs. liegt eine organisierte Einreise vor, um Sozialleistun-gen zu beziehen). Durch eine intensive Befragung des Unionsbürgers zu seinem Arbeitsverhältnis kön-nen sich weitere Hinweise auf ein mögliches Scheinarbeitsverhältnis ergeben. Der Vordruck „E 009 – Gesprächsleitfaden u. Unterlagen Prüfung Arbeitnehmersta-tus“ enthält neben einer Liste an Unterlagen zum Nachweis der Arbeitnehmereigen-schaft viele hilfreiche Fragestellungen. Die Beantwortung der Fragen sollte in einem vom Unionsbürger unterschriebenen Gesprächsprotokoll festgehalten werden. Der Gesprächsleitfaden sollte dem Unionsbürger nicht ausgehändigt werden, um eine Weitergabe an Dritte, die sich damit vorab auf die Fragen vorbereiten könnten, zu vermeiden. Um Angaben zu dem Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber anzufordern, können die Vordrucke „E 007 – Anschreiben Arbeitgeber Einkommensbescheinigung“ oder „E 008 - Anschreiben Arbeitgeber Arbeitszeitaufzeichnungen“ verwandt wer-den. Soweit das Arbeitsverhältnis beendet wurde und die Beendigungsgründe nicht klar sind, sollten mit Hilfe des Vordrucks „E 003a – Anschreiben Arbeitgeber Be-endigungsgründe“ Angaben des Arbeitgebers eingeholt werden. Dies ist häufig auch für die Sachverhaltsaufklärung zur Ermittlung einer „unfreiwilligen Arbeitslosig-keit“ (siehe Ziffer 2.4.4.2) erforderlich. Falls der Verdacht eines Scheinarbeitsverhältnisses besteht, ist die Prüfung der oben genannten Aspekte aktenkundig festzuhalten (z. B. durch einen Aktenvermerk). Um zu entscheiden, ob jemand Arbeitnehmer ist, muss eine Gesamtschau getroffen werden. Dabei sind alle Kriterien abzuwägen, die für oder gegen die Arbeitnehmerei-genschaft sprechen. Wenn die meisten überprüften Punkte für die Arbeitnehmerei-genschaft sprechen, kann der Unionsbürger hieraus einen SGB II-Anspruch ableiten. Wenn etliche der oben genannten Aspekte nicht stimmig sind und genügend Bewei-se dafür vorhanden sind, dass lediglich ein Scheinarbeitsverhältnis vorliegt, ist die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. Sofern kein weiteres Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht vorliegt, haben die Unionsbürger keinen Leistungsanspruch. In solchen Fällen sind die betroffenen Personen zunächst anzuhören. Soweit sich aus der Anhörung keine weiteren Erkenntnisse ergeben, sind die SGB II-Leistungen ab-zulehnen. Weitere Hinweise zur Aufdeckung eines Scheinarbeitsverhältnisses enthält die im Intranet hinterlegte Arbeitshilfe der Bundesagentur für Arbeit „Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger“ (Pfad: „Passive Leistungen“ – „Leistungsgewährung nach §§“ – „§ 7 Leistungsberechtigte“).

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Falls Sie bei Verdacht eines Scheinarbeitsverhältnisses Fragen haben, wenden Sie sich an die Regionalkoordination/Grundsatzsachbearbeitung des Kreises Steinfurt.

2.4.3.3 Selbständige

Selbständige sind gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Eine SGB II-Anspruchsberechtigung aufgrund selbständiger Tätigkeit setzt voraus, dass diese selbständige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. Voraussetzung der Niederlassungsfreiheit nach Artikel 49 des Vertrages über die Arbeitsweise der Eu-ropäischen Union11 ist, dass

eine wirtschaftliche Tätigkeit

auf unbestimmte Zeit

mittels einer festen Einrichtung („Betriebsstätte“)

in einem anderen Mitgliedstaat

tatsächlich ausgeübt wird, so dass ein formaler Akt, wie die Registrierung eines Gewerbes nicht ausreichend ist.12 Anhaltspunkte für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit sind

die Beteiligung an Gewinn und Verlust

die Gewinnerzielungsabsicht

die freie Bestimmung der Arbeitszeit,

die Weisungsfreiheit und

die Auswahl der Mitarbeiter. Eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn mit ihr zumindest auch ein Erwerbs-zweck verfolgt wird. Sie muss entgeltlich erbracht werden und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen. Unerheblich ist dabei, ob eine selbständige Tätigkeit zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreicht. So hat beispielsweise das LSG NRW entschieden, dass ein in den ersten neun Monaten erzielter Umsatz von 380,00 – 400,00 € monatlich nicht der Annahme einer Ausübung einer selbständigen Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU entgegensteht.13

2.4.3.4 Umgang mit einer Scheinselbständigkeit

Auch bei Selbständigen muss unterschieden werden, ob eine tatsächliche Selbstän-digkeit oder möglicherweise eine Scheinselbständigkeit vorliegt. Eine selbständige Tätigkeit wird am häufigsten im gewerblichen Bereich vorgespielt, weshalb sich die folgenden Ausführungen hauptsächlich auf diesen Bereich beziehen. Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit können Folgende sein:

11 Artikel 43 EGV alt 12 siehe auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R, Rz. 19 13 LSG NRW, Beschluss vom 23.10.2015 - L 19 AS 1365/15 B ER

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Der Unionsbürger

kann nicht überzeugend die Art der Leistungen, die er erbringt, darstellen und keine Aussagen zum zeitlichen Umfang, Einsatzort und zum Organisationsab-lauf etc. seiner Tätigkeiten machen.

kann keine Gewerbeanmeldung vorlegen; ohne diese Anmeldung ist die Aus-übung des Gewerbes nicht zulässig. Aber selbst wenn eine Gewerbeanmel-dung vorgelegt wird, muss die selbständige Tätigkeit auch tatsächlich ausge-übt werden.

kann keine steuerliche Anmeldung beim Finanzamt vorlegen, in der er die Art des Unternehmens und den geplanten Umsatz für das laufende und das fol-gende Jahr erklärt.

kann keine abschließende Entscheidung des Finanzamtes zu seinem (Klein-unternehmer-) Status sowie zur (verpflichtenden) Nutzung des Vordrucks „Einnahme-Überschuss-Rechnung“ vorlegen.

kann keine Aufträge nachweisen.

kann nicht darlegen, wie er an die Aufträge kommt.

erhält nur von einem Auftraggeber Aufträge.

hat durch Sprachprobleme Schwierigkeiten, Kunden zu akquirieren.

kann keine Auflistung der Kundenrechnungen vorlegen (entfällt, wenn ein Buchführungsprogramm verwendet wird).

kann keine Kundenrechnungen mit fortlaufender Nummer nachweisen (Pflicht seit 01.01.2004).

kann tatsächliche Einnahmen und Ausgaben nicht nachweisen (z. B. durch Kontoauszüge, Quittungen, Rechnungen).

hat keine für die Ausübung des Gewerbes erforderliche Betriebsausstattung (Maschinen, Werkzeug, Material, PKW, Büro etc.).

kann keine Nachweise zur Beschaffung des Betriebsvermögens (u. a. Be-triebsausstattung) vorlegen und eventuell dafür aufgenommene Darlehen nicht nachweisen.

kann keine aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA), Gewinn- und Verlustrechnung o. ä. vorlegen.

erfüllt nicht die Anforderungen des § 15 Absatz 2 Satz 1 EStG (es handelt sich bei der angegebenen Tätigkeit nicht um eine selbstständige nachhaltige Betä-tigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt).

Eine intensive Befragung des Unionsbürgers kann dazu dienen, Erkenntnisse über eine möglicherweise vorgespielte Selbständigkeit zu erhalten. Der Vordruck „E 010 – Gesprächsleitfaden u. Unterlagen Prüfung Selbständigkeit“ enthält neben einer Liste an Unterlagen zum Nachweis der Selbständigkeit einige hilfreiche Fragestel-lungen. Die Ergebnisse der Befragung sollten in einem unterschriebenen Ge-sprächsprotokoll festgehalten werden. Der Gesprächsleitfaden sollte dem Unions-bürger nicht ausgehändigt werden, um eine Weitergabe an Dritte, die sich damit vor-ab auf die Fragen vorbereiten könnten, zu vermeiden. Für die Entscheidung, ob eine tatsächliche Selbständigkeit vorliegt, muss eine Ge-samtschau getroffen werden. Dabei sind alle Kriterien abzuwägen, die für oder ge-gen eine tatsächliche Selbständigkeit sprechen. Sollte das Ergebnis der Abwägung sein, dass es sich um eine Scheinselbständigkeit handelt und kein weiteres Aufent-

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halts- oder Freizügigkeitsrecht vorliegt, sind SGB II-Leistungen nach vorheriger An-hörung des Unionsbürgers abzulehnen. Weitere Hinweise zur Aufdeckung einer Scheinselbständigkeit enthält die im Intranet hinterlegte Arbeitshilfe der Bundesagentur für Arbeit „Bekämpfung von organisier-tem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger“ (Pfad: „Passive Leistungen“ – „Leis-tungsgewährung nach §§“ – „§ 7 Leistungsberechtigte“).

2.4.4 Fortgeltung des Arbeitnehmer- oder Selbständigenstatus

Gemäß § 2 Abs. 3 FreizügG/EU bleibt der Status von Arbeitnehmern und selbständig Erwerbstätigen erhalten (sogenannte „Nachwirkung des Erwerbstätigenstatus“) bei

vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall (siehe Ziffer 2.4.4.1),

unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslo-sigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte

o unbefristet, nach einer Tätigkeit von einem Jahr und mehr

o für sechs Monate, nach einer Tätigkeit von weniger als einem Jahr

(siehe Ziffer 2.4.4.2)

Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verlo-ren hat (siehe Ziffer 2.4.4.3).

Beispiel:

Der griechische Staatsbürger findet nach zweiwöchiger Arbeitsuche in Deutschland einen Arbeitsplatz, bei dem er 450 € verdient. Der Lohn reicht nicht, um seinen Lebensunterhalt (und den seiner Familienangehöri-gen) zu decken. Nach 4-monatiger Arbeit wird er ohne Lohnfortzahlungsanspruch arbeitsunfähig krank; ihm wird mit einer Frist von 2 Wochen in der Probezeit gekündigt.

Ergebnis:

Während der ersten beiden Wochen erhält er (und seine Familienangehörigen) keine Leistungen nach dem SGB II, da er sich zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhält. Danach kann er (und seine Familienangehörigen) ergänzend ALG II beziehen, da er Arbeitnehmer ist. („Auf-stocker“). Während der Dauer der Krankheit bleibt er weiterhin leistungsberechtigt, da ihm der Arbeitnehmer-status erhalten bleibt (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU). Nach der Kündigung gilt das nur, wenn er sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos meldet und die Agentur für Arbeit die Unfreiwilligkeit der Ar-beitslosigkeit bestätigt - längstens für 6 Monate (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU).

2.4.4.1 Vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit o. Unfall

Das Freizügigkeitsrecht bleibt erhalten, wenn die infolge von Krankheit oder Unfall eingetretene Erwerbsminderung nur vorübergehend ist. Sie ist dann als vorüberge-hend anzusehen, wenn aufgrund einer ärztlichen Prognose mit der Wiederherstel-lung der Erwerbsfähigkeit, ggf. auch eingeschränkt, gerechnet werden kann. Grundsätzlich kann der behandelnde (Fach-)Arzt die Prognose stellen. Der Unions-bürger hat eine Stellungnahme von diesem vorzulegen.

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Bestehen nur Zweifel an der Wiederherstellung, begründet dies nicht den Wegfall des Freizügigkeitsrechts.14 Steht jedoch zu Beginn der Prüfung schon fest, dass die Erwerbsminderung nicht nur vorübergehend (also 6 Monate oder länger15) ist, entfällt das Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer oder Selbständiger. Voraussetzung zur Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus ist, dass der Unionsbürger bis zum Eintritt der Krankheit oder des Unfalls eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und aufgrund der Krankheit oder des Unfalls an der weiteren Ausübung der Erwerbs-tätigkeit gehindert ist. Die Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU setzt grundsätzlich den Erhalt des Arbeitsplatzes voraus.16

2.4.4.2 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit

Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht auf Freizügigkeit (nur) während der Dauer von sechs Monaten nach Ende der Beschäftigung unberührt. Der 6-Monatszeitraum ist taggenau zu be-rechnen und festzusetzen. Für einen zeitlich grundsätzlich unbefristeten Erhalt des Arbeitnehmer-/Selbständigenstatus ist eine durchgängige Beschäftigung/selbständige Tätigkeit von mindestens zwölf Monaten Voraussetzung. Hierbei können sich Zeiten mehre-rer Beschäftigungen (auch in Kombination selbständig/unselbständig) auch nahtlos aneinanderreihen. Nach jeder Unterbrechung von einem Arbeitstag und mehr be-ginnt der Zeitraum von zwölf Monaten jedoch neu. Es ist also nicht möglich, sich in-nerhalb einer „Rahmenfrist“ Beschäftigungszeiten von mehr als zwölf Monaten zu erarbeiten. Verfahren in der Praxis Die Bestätigung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit kann nur durch die Agentur für Arbeit erfolgen und nicht durch das Jobcenter. Das Freizügigkeitsrecht bleibt für die Zeit zwischen Beginn der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit des Eintretens der Arbeitslosigkeit bestehen.17 Bei Feststellung der „freiwilligen“ (=selbstverantworteten) Arbeitslosigkeit gilt dies nicht. Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn diese unabhängig von dem Willen des Arbeitnehmers bzw. nicht aus einem in seinem Verhalten liegenden Grund ein-getreten oder durch einen legitimen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnis-ses von seiner Seite gerechtfertigt ist bzw. wenn der Arbeitnehmer die Gründe, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Kündigung/Aufhebungsvertrag) geführt haben, nicht zu vertreten hat.18

14 vgl. AVV zum FreizügG/EU Rn. 2.3.1.1 15 LSG BRB, Beschluss vom 28.10.2015, L 29 AS 2344/15 B ER 16 LSG BRB, Beschluss vom 28.10.2015, L 29 AS 2344/15 B ER 17 vgl. AVV zum FreizügG/EU Rn. 2.3.1.2, LSG NRW, Beschluss vom 22.03.2016 – L 19 AS 115/16 B ER und L 19 AS 116/16 B 18 LSG NRW, Beschluss vom 22.03.2016 - L 19 AS 115/16 B ER

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Wenn die Arbeitslosigkeit offensichtlich „freiwillig“ herbeigeführt wurde (z. B. weil der Arbeitnehmer von sich aus ohne nachvollziehbare Gründe gekündigt hat) und der Arbeitnehmer die „Freiwilligkeit“ der Arbeitslosigkeit nicht bestreitet, kann - falls kein anderes anspruchsbegründendes Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht vorliegt - da-von ausgegangen werden, dass kein Alg II-Anspruch mehr besteht. Der Leistungs-anspruch endet mit Ablauf des letzten Tages der Beschäftigung (taggenaue Berech-nung). In allen anderen Fällen ist zur Prüfung einer möglichen unfreiwilligen Arbeits-losigkeit das folgende Verfahren durchzuführen: Um die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit durch die Agentur für Arbeit prüfen lassen zu können, ist der Sachverhalt abschließend durch das jobcenter aufzuklären und anschließend der Agentur für Arbeit mitzuteilen. Bei Bekanntwerden der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sind die Gründe der Beendigung durch Vordruck „E 003a – Anschreiben Arbeitgeber Beendigungsgründe“ beim Arbeitgeber zu erfragen (z. B. Kündigung durch Ar-beitgeber oder –nehmer, Auflösungsvertrag, Befristung mit Option der Verlänge-rung). Der Arbeitgeber ist aufzufordern, die Auskünfte und Unterlagen innerhalb von zwei Wochen vorzulegen. Wenn der Arbeitgeber sich innerhalb von drei Wochen nach Versenden des Aus-kunftsersuchens nicht zurückgemeldet hat, ist der Sachverhalt an den Ermittlungs-dienst des jobcenters Kreis Steinfurt zwecks Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit weiterzuleiten. Sobald die Rückmeldung des Arbeitgebers vorliegt, ist der Arbeitnehmer über die Angaben des Arbeitgebers zu unterrichten und um eine Stellungnahme zu bitten (schriftlich oder aber auch in einem persönlichen Gespräch). Soweit es sich im Einzelfall ergibt, kann auch zunächst der Arbeitnehmer zu den Umständen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses befragt und anschlie-ßend der Arbeitgeber mit diesen Aussagen konfrontiert werden unter Beifügung des Vordrucks „E 003a – Anschreiben Arbeitgeber Beendigungsgründe“. Decken sich die Angaben des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers nicht vollständig, ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben (Arbeitgeber mit den Angaben des Arbeitnehmers konfrontieren oder umgekehrt, ggf. anschließend erneut Arbeit-nehmer/Arbeitgeber unterrichten und Gelegenheit zur Stellungnahme geben). Hält der/die persönliche Ansprechpartner/in den Sachverhalt für abschließend aufge-klärt, werden die Unterlagen der Agentur für Arbeit zur Entscheidung vorgelegt. Sie sind zu senden an:

Agentur für Arbeit Herrn Friedhelm Meßing Teamleiter Eingangszone

48416 Rheine

E-Mail: [email protected] Telefon 05971/930-125,

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Hierfür kann der Vordruck „N 006 – Anforderung Unfreiwilligkeitsbescheinigung“ verwendet werden. Wegen der Eilbedürftigkeit ist das Schreiben mit „EILT SEHR!“ und einer Fristsetzung für eine Rückantwort zu versehen. Erfahrungen haben gezeigt, dass in Einzelfällen von Seiten der Agentur für Arbeit weitere Fragen zum Sachverhalt gestellt werden und die Kommune um eine weitere Sachverhaltsaufklärung gebeten wird. Dieser Bitte ist nachzukommen. Nur wenn die Arbeitsagentur letztlich die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit be-scheinigt, gilt der Arbeitnehmerstatus 6 Monate bzw. dauerhaft fort. Damit besteht auch nur in diesem Fall ein grundsätzlicher Anspruch auf SGB II-Leistungen auf-grund des Fortbestehens des Arbeitnehmerstatus. Falls bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitsagentur einen Alg I-Anspruch mit Verhängung einer Sperrzeit von 12 Wochen bewilligt, ist von einer „freiwilligen“ Arbeitslosigkeit auszugehen, die keinen fortdauernden Arbeitnehmersta-tus begründet. In diesem Fall ist es nicht nötig, den Arbeitgeber zu den Beendi-gungsgründen der Beschäftigung zu befragen. Wenn der Arbeitnehmer keine Ein-wände erhebt, sind die SGB II-Leistungen aufgrund der „Freiwilligkeit“ der Arbeitslo-sigkeit einzustellen. Nur wenn der Arbeitnehmer die „Freiwilligkeit“ bestreitet, ist Kon-takt zur Agentur für Arbeit zur Prüfung einer möglichen unfreiwilligen Arbeitslosigkeit aufzunehmen. Wird mit Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ein Alg I-Anspruch durch die Agentur für Arbeit ausgesprochen, ohne dass eine Sperrzeit verhängt wird, ist den-noch der Arbeitgeber anzuschreiben und um Darstellung der Gründe, die zur Been-digung des Beschäftigungsverhältnisses geführt haben, zu bitten (siehe Vordruck „E 003a – Anschreiben Arbeitgeber Beendigungsgründe“). Denn Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die in der „Arbeitsbescheinigung“ der Agen-tur für Arbeit (Basis der Entscheidung über den Alg I-Anspruch) vermerkten Angaben nicht immer zutreffend waren. Zum weiteren Verfahren der Sachverhaltsermittlung siehe obige Darstellung. Stellt die Agentur für Arbeit fest, dass die Arbeitslosigkeit nicht unfreiwillig einge-treten ist, endet – sofern nicht ein anderweitiger Anspruchsgrund gegeben ist – der grundsätzliche Leistungsanspruch mit Ablauf des letzten Tages der Beschäftigung (taggenaue Berechnung). Wenn der Unionsbürger sich bei Bekanntgabe der Beendigung des Arbeitsverhält-nisses im laufenden Leistungsbezug befindet und eine abschließende Bewilligung erteilt wurde, ist der Bewilligungsbescheid nach § 40 Abs. 4 SGB II mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben. Der Betroffene ist im Regelfall vor Aufhebung des Be-scheides anzuhören. Anschließend ist über den zukünftigen Leistungsanspruch gem. § 41a SGB II vorläufig zu entscheiden. Der neue Bewilligungszeitraum beträgt gem. § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der Regel sechs Monate. Sobald der Sachverhalt abschließend aufgeklärt wurde und eine Entscheidung der Agentur für Arbeit vorliegt, kann für den Bewilligungszeitraum über den Leistungsanspruch abschließend ent-schieden werden. Sollte die Agentur für Arbeit bestätigen, dass die Arbeitslosigkeit „freiwillig“ herbeigeführt wurde, ist der Leistungsanspruch auf „0 €“ festzusetzen und überzahlte Leistungen sind zu erstatten.

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Falls dem Unionsbürger bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bereits vorläufig Leistungen bewilligt wurden (z. B. wegen schwankendem Einkommen) und die Agentur für Arbeit anschließend die „freiwillige“ Arbeitslosigkeit feststellt, ist der Leistungsanspruch wegen der fehlenden SGB II-Anspruchsberechtigung ab Be-endigung des Beschäftigungsverhältnisses auf „0 €“ endgültig festzusetzen. Dem Jobcenter ist es bei einer vorläufigen Leistungsgewährung nicht verwehrt, die end-gültige Leistung aus einem anderen Grund als dem für die Vorläufigkeit angegebe-nen Grund niedriger festzusetzen.19 Wenn der Unionsbürger vorher keine SGB II-Leistungen erhalten hat, sind Leis-tungen grundsätzlich erst zu bewilligen, sobald die Agentur für Arbeit die unfreiwillige Arbeitslosigkeit bescheinigt hat. Nur bei besonderer Eilbedürftigkeit und hinreichen-der Wahrscheinlichkeit eines Leistungsanspruchs sind bereits Leistungen vorläufig zu bewilligen, bis die Entscheidung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit vorliegt. Erhalt und Wegfall des Arbeitnehmer- bzw. Selbständigenstatus Die angesprochenen Personen sind unter den o. g. Voraussetzungen trotz faktischer Arbeitslosigkeit weiterhin als Arbeitnehmer oder Selbständige anzusehen und nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Sie gelten nicht als Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Arbeitnehmerstatus der freizügigkeitsberechtigten Person entfällt, wenn die Vo-raussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 2 Frei-zügG/EU nicht mehr vorliegen. Der Arbeitnehmerstatus endet spätestens sechs Monate nach Ende der Beschäfti-gung, wenn der Arbeitnehmer oder die oder der Selbständige nur für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr beschäftigt war (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Das gilt auch, wenn die betreffende Person im Anschluss an die Beschäftigung (wegen der Anrechnung von Versicherungszeiten aus dem Herkunftsstaat) Alg durch die Agentur für Arbeit erhalten hat. Die Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus endet, sofern die Dauer der Arbeitslo-sigkeit nicht mehr unfreiwillig ist (z. B. wegen Ablehnung eines Arbeitsangebotes) oder keine Arbeitslosigkeit im Sinne des FreizügG/EU mehr vorliegt. Der Arbeitneh-mer-/ Selbständigenstatus und das daraus abgeleitete Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU enden auch mit einem dauerhaften Verlassen des deutschen Arbeitsmarktes. Mit der erneuten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, auch einer geringfügigen Be-schäftigung, endet zunächst der Arbeitnehmer-/Selbständigenstatus aufgrund der Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU. Die betreffende Person ist schon nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Arbeitnehmer oder nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU selbständig und damit freizügigkeitsberechtigt. Nach dem Ende der Beschäftigung erfolgt erneut eine Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Nr. 2 Frei-zügG/EU vorliegen. Lag aufgrund einer vorherigen Beschäftigung eine unbefristete Fortwirkung des Arbeitnehmer-/Selbständigenstatus bis zur Aufnahme der erneuten Beschäftigung vor und tritt innerhalb von zwölf Monaten unverschuldet erneut Ar-

19 LSG NRW, Urteil vom 24.09.2015 – L 7 AS 1880/12

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beitslosigkeit ein, lebt der alte Anspruch wieder auf. Die Unionsbürger sind in diesen Fällen nicht schlechter zu stellen, als wenn sie durchgehend arbeitslos gewesen wä-ren. Wenn allerdings in dem o. g. Fall die erneute Arbeitslosigkeit „freiwillig“ war, gilt die Fortwirkung des Arbeitnehmer-/Selbständigenstatus nicht mehr.

2.4.4.3 Aufnahme einer Berufsausbildung

Damit der Arbeitnehmerstatus bei Aufnahme einer Berufsausbildung erhalten bleibt, sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU mehrere Voraussetzungen zu erfüllen:

Es muss sich bei der aufgenommenen Ausbildung um eine mindestens zwei-jährige abschlussorientierte Ausbildung handeln.

Es muss ein Zusammenhang zwischen der Ausbildung und der früheren Er-werbstätigkeit bestehen.

Der Zusammenhang zwischen der vorherigen Erwerbstätigkeit und der Ausbildung ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat (siehe Ziffer 2.4.4.2). Ein Zusammenhang zwischen der vorherigen Erwerbstätigkeit und der Ausbildung ist auch nicht erforderlich, wenn die Ausbildung im dualen System absolviert wird. Die-se Personen sind in der Regel bereits freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU.20

2.4.4.4 Mutterschutz und Elternzeit

Die Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus ist nicht abschließend in § 2 Abs. 3 Frei-zügG/EU geregelt. Auch eine schwangere Unionsbürgerin, die ihre Erwerbstätig-keit aufgrund eines Beschäftigungsverbotes aus dem Mutterschutzgesetz nicht wei-ter ausüben kann, verliert ihre Arbeitnehmereigenschaft nicht.21 Der Arbeitnehmerstatus bleibt bis zum Ende der Mutterschutzfrist (acht Wochen nach der Geburt, bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Geburt) erhalten.22 Unionsbürgerinnen, die über keine weiteren SGB II-anspruchsbegründenden Aufenthaltsrechte verfügen, sind frühzeitig darauf hinzu-weisen, dass sie nach Ende der Mutterschutzfrist nur SGB II-Leistungen weiter erhal-ten können, wenn sie ihre Beschäftigung wieder aufnehmen oder eine andere Be-schäftigung gefunden haben. Während einer Elternzeit nach Ende der Mutterschutzfrist bleibt der Arbeitnehmer-status ohne Ausübung der Erwerbstätigkeit nicht erhalten. Anders als die Vorschrif-ten des Mutterschutzgesetzes, die eine Berufstätigkeit einer Mutter vorübergehend verbieten, treffen die Vorschriften des Elterngeldgesetzes insoweit keine einschrän-kenden Regelungen und hindern die Mutter nicht an der Ausübung einer Erwerbstä-tigkeit.23

20 vgl. AVV zum FreizügG/EU Rn. 2.2.1.1 21 siehe EuGH, Urteil vom 19.06.2015 – C-507/12 22 LSG BRB, Beschluss vom 30.01.2017 – L 20 AS 2483/16 B ER 23 LSG BRB, Beschluss vom 30.01.2017 – L 20 AS 2483/16 B ER

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2.5 Ausschluss von Unionsbürgern

Im Folgenden werden Gründe zum Leistungsausschluss von Unionsbürgern ge-nannt.

2.5.1 Ausschluss innerhalb der ersten drei Monate

Von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II während der ersten drei Monate sind Unionsbürger betroffen, die von ihrem Recht auf Freizügig-keit Gebrauch machen und in Deutschland nicht Arbeitnehmer oder Selbständiger sind oder denen dieser Erwerbstätigenstatus erhalten bleibt (siehe Ziffer 2.4.3 – 2.4.4).24

Exkurs:

Gemäß § 2 Abs. 5 FreizügG/EU haben Unionsbürger ein dreimonatiges voraussetzungsloses Auf-enthaltsrecht. Während dieser Zeit sind sie jedoch grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 von

Leistungen nach SGB II ausgeschlossen, wenn sie nicht bereits Arbeitnehmer oder Selbständige sind oder ihnen der Erwerbstätigenstatus nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU erhalten bleibt.

Die Freizügigkeit von Unionsbürgern ist nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU gebunden an einen Aufenthalts-grund (Aufenthalt als Arbeitnehmer, zur Arbeitsuche, als Selbständiger, Familienangehöriger etc.). Diese Regelung hat insbesondere Bedeutung für einen Aufenthalt von länger als drei Monaten.

Beim Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit des Artikels 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtli-nie) des Europäischen Rates vom 29.04.2004 Gebrauch gemacht. Danach können die Mitgliedstaaten Neueinreisende für die ersten drei Monate von Sozialleistungen ausschließen.

Der Leistungsausschluss gilt auch für die Familienangehörigen dieser Personen. Für Ausländer, die sich nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gilt der Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 nicht (§ 7 Abs. 1 Satz 3). Dies betrifft Aus-länder, die einen Aufenthaltstitel aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen besitzen. Über entsprechende Aufenthaltstitel verfügen Unionsbürger nur im Ausnahmefall (siehe z. B. Ziffer 2.5.4.3).

2.5.2 Aufenthalt allein zum Zweck der Arbeitsuche

Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe b SGB II ausgeschlossen. Dies gilt auch für ihre Familienangehörigen.25 Der Anspruchsausschluss betrifft vor allem Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU Gebrauch machen und sich zum Zweck der Arbeitsuche länger als drei Monate26 in Deutschland aufhalten.

24 Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 25.02.2016, C-299/14 bestätigt, dass Staatsange-

hörige anderer Mitgliedstaaten während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes von SGB II-Leistungen ausgeschlossen werden dürfen. 25 Der EuGH hat mit Urteil vom 15.09.2015, Rechtssache C-67/14 – Alimanovic entschieden, dass der Leistungsausschluss von Unionsbürgern, die sich allein zum Zweck der Arbeitssuche aufhalten, euro-parechtskonform ist.

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Die Freizügigkeitsberechtigung aufgrund von Arbeitsuche ist grundsätzlich auf bis zu sechs Monate befristet. Darüber hinaus liegt Freizügigkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a nur vor, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Für den Leistungsausschluss muss positiv festgestellt sein, dass der Unionsbürger ausschließlich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hat.27 Daher muss immer ge-prüft werden, ob neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche andere Aufenthalts-rechte bestehen (siehe Ziffer 2.5.4.1). Sollte ein aufgrund des Aufenthaltsrechtes zur Arbeitsuche ausgeschlossener Uni-onsbürger seit mindestens fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutsch-land haben, ist zu prüfen, ob die Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II greift (siehe Ziffer 2.5.5).

2.5.3 Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011

Unionsbürger, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ableiten, sind von SGB II-Leistungen ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe c SGB II). Art. 10 der Verordnung regelt, dass Kinder von Unionsbürgern, die Arbeitnehmer sind oder waren, ihre Schul- oder Berufsausbildung wie Inländer fortführen und be-enden können. Hieraus ergibt sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Kinder. Soweit die Kinder bis zur Beendigung der Ausbildung der Anwesenheit und der Für-sorge eines Elternteils bedürfen, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleite-tes Recht auf Aufenthalt aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011.28 Der Leistungsausschluss gilt sowohl für erwerbsfähige Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, und für die übri-gen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienangehörigen. Sollten diese Personen neben dem aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 abgeleiteten Aufenthaltsrecht und dem Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche über ein weiteres Aufenthaltsrecht verfügen, greift der Leistungsausschluss nicht (siehe Ziffer 2.5.4.1). Nach einem 5-jährigen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland ist zu prüfen, ob eine Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II vorliegt (siehe Ziffer 2.5.5).

26 Hinweis: Nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU bedarf es während der ersten drei Monate keines Aufent-haltsgrundes. Im Umkehrschluss setzt erst der Aufenthalt von länger als drei Monaten einen Aufent-haltsgrund gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU voraus. 27 BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R 28 BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 43/15 R

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2.5.4 Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht

Unionsbürger, die über kein materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht verfü-gen, sind „erst recht“ von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB II). Bei Unionsbürgern, die seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, ist zu prüfen, ob die Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II greift (siehe Ziffer 2.5.5).

2.5.4.1 Prüfung weiterer Aufenthaltsrechte

Neben den unter Ziffer 2.4 genannten Aufenthaltsrechten könnte der Unionsbürger über weitere Aufenthaltsrechte aus dem FreizügG/EU oder dem AufenthG verfü-gen. Wenn sich der Unionsbürger in dem Zeitraum, für den Leistungen beansprucht wer-den, auf ein anderes oder weiteres Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeit-suche oder ein aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 abgeleitetes Aufent-haltsrecht berufen kann, greift der SGB II-Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht.29 Heranzuziehen sind neben den aktuellen Gegebenheiten auch die Gründe zum Zeitpunkt der Einreise.

Beispiel (aus BSG-Entscheidung vom 25.01.2012):

Eine polnische Staatsbürgerin reist 2004 als 14-jährige mit den Eltern nach Deutschland ein. Im Jahr 2008 zieht sie bei den Eltern aus und bezieht eine eigene Wohnung und beantragt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Zum Zeitpunkt der Einreise begründet sich das Aufenthaltsrecht auf § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU in Verbindung mit § 3 FreizügG/EU. Dieses vom Zweck der Arbeitsuche unabhängige Aufenthaltsrecht geht durch den Auszug aus der elterlichen Wohnung nicht verloren und kann damit auch bei einer später eintretenden Arbeitsuche fortbestehen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchsta-be b greift dann nicht.

2.5.4.2 Freizügigkeitsrecht nicht erwerbstätiger Unionsbürger

Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU ein Freizügigkeitsrecht, wenn Sie über ausrei-chenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfü-gen. Falls Nichterwerbstätige keine ausreichenden Existenzmittel haben und SGB II-Leistungen beantragen, können sie sich zum einen nicht auf das Freizügigkeitsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU berufen und zum anderen mangels ei-nes Aufenthaltsrechtes keine Leistungen nach dem SGB II erhalten (siehe auch Zif-fer 2.5.4).

2.5.4.3 Aufenthaltsrechte aus dem Aufenthaltsgesetz

Für Unionsbürger können sich auch Aufenthaltsrechte aus dem AufenthG ergeben. Auch wenn das AufenthG grundsätzlich nur für Drittstaatsangehörige gilt, findet es gemäß § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU weiterhin auch auf Unionsbürger Anwen-

29 Bzgl. eines weiteren Aufenthaltsrechtes neben dem zum Zweck der Arbeitsuche: BSG, Urteil vom 25.01.2012 - B 14 AS 138/11 R und BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R

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dung, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU (sogenann-ter „Günstigkeitsvergleich“). Beispielsweise führen folgende Aufenthaltsrechte aus dem AufenthG zu einem An-spruch auf SGB II-Leistungen:

Wenn ein Unionsbürger Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a Straf-gesetzbuch (Menschenhandel und Förderung des Menschenhandels) gewor-den ist, soll ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4a AufenthG erteilt werden.

Ein Unionsbürger, der Opfer einer Straftat nach § 10 Abs. 1 oder § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a Arbeitneh-merüberlassungsgesetz geworden ist, kann ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 4b AufenthG erhalten.

Falls im Einzelfall für einen Unionsbürger ein weiteres Aufenthaltsrecht aus dem Auf-enthG ersichtlich ist, aber Unsicherheiten bestehen, ob die Voraussetzungen für die-ses Aufenthaltsrecht tatsächlich erfüllt sind, wenden Sie sich an die Regionalkoordi-nation oder Grundsatzsachbearbeitung des Kreises Steinfurt.

2.5.5 Rückausnahme: Verfestigter Aufenthalt nach 5 Jahren

Abweichend von den in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II genannten Leistungsaus-schlüssen (siehe Ziffer 2.5.2 – 2.5.4) erhalten Unionsbürger SGB II-Leistungen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes kommt es nicht an. Nach fünf Jahren ist von einer Verfestigung des Aufenthaltes auszugehen. Die Frist ist an den Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes angelehnt (siehe Ziffer 2.4.1), setzt jedoch im Gegensatz zu diesem keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus. Die 5-Jahres-Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten eines nicht rechtmäßigen Aufenthaltes, in denen Unionsbürger ausreisepflich-tig sind (siehe Ziffer 2.8), werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht an-gerechnet. Die Verfestigung tritt nicht ein oder entfällt, wenn Unionsbürger nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zur Ausreise verpflichtet sind, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 7, § 5 Abs. 4 oder § 6 Abs. 1 Frei-zügG/EU festgestellt hat (siehe Ziffer 2.8). In den Fällen besteht kein SGB II-Leistungsanspruch. Unwesentliche Unterbrechungen des Aufenthalts in Deutschland durch kurzfristige Auslandsaufenthalte wie z. B. Klassenfahrten, Besuche von Angehörigen oder die Teilnahme an Beerdigungen von Angehörigen sind für die 5-Jahres-Frist unschäd-lich. Bei der Prüfung, ob ein Aufenthalt im Ausland zu einer „wesentlichen“ Unterbre-chung führt, ist neben der Dauer des Aufenthalts auch zu berücksichtigen, wodurch dieser veranlasst ist (z. B. familiäre, schulische Gründe) und welches Gewicht diese Gründe für den Betroffenen haben. Bei wesentlichen Unterbrechungen beginnt die 5-

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Jahres-Frist neu zu laufen. Bei Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausreise nach § 7 Absatz 1 Satz 1 FreizügG/EU ausreisepflichtig waren, führt jede Wiedereinreise zu einem Neubeginn der 5-Jahresfrist, unabhängig von der Dauer der Unterbrechung.30 Unionsbürger, die sich auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behauten, haben hierfür im Zweifelsfalls Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen geeignete Nachweise zu erbringen.

2.6 Hinweis auf Leistungen nach dem SGB XII

Die Leistungsausschlüsse im SGB XII (§ 23 Abs. 3) sind an die Leistungsausschlüs-se im SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 2) angepasst. Zum einen wurde im SGB XII der Leis-tungsausschluss für Unionsbürger für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes er-gänzt. Zum anderen wird klargestellt, dass – wie im SGB II – Personen ohne materi-elles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht ebenso wie Personen, die sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche oder nach Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 in Deutschland aufhalten, von Leistungen nach dem SGB XII ausge-schlossen sind. Die gesetzliche Anpassung erfolgt als Reaktion auf das BSG-Urteil vom 03.12.2015.31 Abweichend von den Leistungsausschlüssen erhalten Unionsbürger – ähnlich wie im SGB II – Leistungen nach dem SGB XII, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung in Deutschland aufhalten und der Aufenthalt sich dadurch verfestigt hat. Für ausgeschlossene hilfebedürftige Unionsbürger besteht ein Anspruch auf Leistun-gen nach dem SGB XII zur Überbrückung des Zeitraumes bis zur Ausreise. Diese Überbrückungsleistung umfasst Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernäh-rung sowie Körper- und Gesundheitspflege, Leistungen für angemessene Aufwen-dungen für Unterkunft und Heizung sowie zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Die Überbrückungsleistung erhalten Unionsbürger innerhalb von zwei Jahren einmalig bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Monat. Ausnahmsweise können darüber hinausgehende Leistungen gewährt werden, soweit dies im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte erforderlich ist. Neben der Überbrückungsleistung haben die Unionsbürger einen Anspruch auf ein Darlehen für angemessene Kosten der Rückreise. Wenn Unionsbürger von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sind, weil

sie sich auf das voraussetzungslose Freizügigkeitsrecht für die ersten drei Monate berufen,

sie über kein materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht verfügen,

ihr Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder

sie ihr Aufenthaltsrecht allein (oder neben dem zur Arbeitsuche) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ableiten,

sind sie aufgrund eines möglichen Anspruchs auf Überbrückungsleistungen oder Kosten für die Rückreise an die SGB XII-Träger zu verweisen.

30 BT-Drucks. 18/10211, S. 14 und 16 31 BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R

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2.7 Meldung an die Ausländerbehörde

Mit der Gesetzesänderung im Dezember 2016 wurde eine Meldepflicht gegenüber der Ausländerbehörde eingeführt (§ 87 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a AufenthG). Demnach haben die SGB II-Leistungsträger eine Pflicht zur Unterrichtung der Aus-länderbehörde, wenn ein Ausländer für sich selbst, für seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige in folgenden Fällen SGB II-Leistungen bean-tragt oder in Anspruch nimmt:

Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben

Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt

Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein (oder neben dem zur Arbeitsuche) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ableiten

Ausländer, die seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Bei Unionsbürgern ist eine Meldung an die Ausländerbehörde nicht zielführend (so-lange ein Unionsbürger z. B. noch über ein Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht ver-fügt, ist keine Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde möglich). Abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 87 AufenthG kann daher bei Unionsbürgern eine Meldung an die Ausländerbehörde unterbleiben. Bei Drittstaatsangehörigen ist der Meldepflicht nachzukommen.

2.8 Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde

Das Vorliegen oder der Fortbestand des Freizügigkeitsrechts kann nach § 5 Abs. 3 FreizügG/EU von der zuständigen Ausländerbehörde aus besonderem Anlass überprüft werden. Wenn die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechtes nicht vorlie-gen, kann gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufent-haltskarte eingezogen werden. Ferner kann die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung feststel-len oder das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 7 FreizügG/EU feststellen (z. B. wenn ein Unionsbürger das Vorliegen einer Voraussetzung des Freizügigkeitsrechts vorgetäuscht hat). Sollten die PAP bei der Prüfung eines SGB II-Leistungsanspruchs für einen Unions-bürger feststellen, dass kein Freizügigkeitsrecht mehr besteht, ist dieser trotz fehlen-dem Aufenthaltsrecht noch nicht ausreisepflichtig. Erst wenn die Ausländerbehörde die Feststellung über den Verlust des Aufenthaltsrechts getroffen hat, entsteht gem. § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die Ausreisepflicht. Wenn keine Rechtsmittel eingelegt werden, ist die Ausreisepflicht sofort vollziehbar.32 Die Verlustfeststellung geschieht durch Erlass eines Verwaltungsaktes. Die Ausländerbehörde hat aber zu prüfen, ob eine Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthG erteilt werden könnte.

32 vgl. AVV zum FreizügG/EU Rn. 5.2.1.1.3

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Sobald der Unionsbürger vollziehbar ausreisepflicht ist, entfällt der Anspruch auf So-zialhilfe und er hat Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG). In den meisten Fällen kann davon ausgegangen werden, dass die Unionsbürger nicht abgeschoben werden. Ggfs. könnte die Ausländerbehörde eine Aufenthaltser-laubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilen. Nach Ablauf von 18 Monaten wäre der Unionsbürger leistungsberechtigt nach dem SGB II (siehe § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG). Wenn ein Unionsbürger nach einer Verlustfeststellung ausreist und anschließend wieder einreist, gilt für ihn wieder das voraussetzungslose Freizügigkeitsrecht inner-halb der ersten drei Monate nach der Einreise. Nur wenn Unionsbürger ihr Freizügig-keitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben (aus Gründen der öffentli-chen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit) oder das Nichtbestehen des Freizügig-keitsrechts nach § 2 Abs. 7 festgestellt wurde (z. B. Vorliegen der Voraussetzung des Freizügigkeitsrechts vorgetäuscht), wird bzw. kann eine Einreise- und Aufenthalts-sperre verhängt werden. 3 Drittstaatsangehörige und ihre Familienangehörigen

(Ausführungen zu diesem Abschnitt folgen)

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Anlage 1 – Prüfschema SGB II-Leistungsanspruch von Unionsbürgern

Anspruch auf SGB II-

Leistungen

Kein SGB II-

Anspruch

Ja

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Ja Ursprünglicher Aufenthalt allein zum Zweck der Arbeitsuche?

7

Nein

Ja Fortgeltung des Arbeitnehmer- oder Selbstständigenstatus oder dessen Familienangehöriger?

5

Ja Aufenthaltsrecht leitet sich allein (oder neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeit-suche) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ab?

8

Ja Erwerbstätig als Arbeitnehmer oder Selbstständiger oder dessen Familien-angehöriger?

4

Ja Familienangehöriger eines deutschen Staatsbürgers?

3

Ja Besteht ein Daueraufenthaltsrecht? 2

Ja

Kein SGB II-

Anspruch

Nein

ggfs. Verweis an SGB XII

Kein Zu-gang zum

SGB II

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Anspruch auf SGB II-

Leistungen

Nein

Liegen allgemeine Anspruchsvor-aussetzungen (§ 7 Abs. 1 S. 1) vor? 1

Nein

Erstmalig eingereist innerhalb der letz-ten drei Monate?

6 Ausnahme beachten: Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG

Ja

Ja Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht? 9

Verfestigter Aufenthalt

nach 5 Jahren

(ohne Verlustfest-stellung der Ausländer-behörde)?

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Anlage 2 – Musterschreiben: Bescheinigung der Minijob-Zentrale über eine

Meldung zur Sozialversicherung

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Anlage 3 – Musterschreiben: Bescheinigung zur Sozialversicherung