archithese 1.02 - Swiss Performance 02

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Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur Revue thématique d’architecture archithese 1 02 Bauten und Projekte Andrea Bassi Burkhalter / Sumi A. und D. Cattaneo Diener & Diener Max Dudler Frei / Ehrensperger Herzog & de Meuron Theo Hotz Lazzarini Architekten Daniele Marques Meili und Peter Morger & Degelo Bernard Tschumi Stefan Zwicky UN Studio/ Ben van Berkel Hotel Castell, Zuoz Swiss Performance 02

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TISCA Tischhauser + Co. AG � CH-9055 Bühler � 071-791 01 11TIARA Teppichboden AG � CH-9107 Urnäsch � 071-365 62 62

TISCA/TIARA Objektberatung � CH-8021 Zürich � 01-241 97 [email protected] � www.tisca.com

Internationaler Seegerichtshof HamburgTeppiche von TISCA TIARA

Architekt: E. Freiin v. BrancaFotograf: Oliver Heissner

Zeitschrift und Schriftenreihe für ArchitekturRevue thématique d’architecture

archithese1 02

Bauten und ProjekteAndrea BassiBurkhalter /SumiA. und D. CattaneoDiener & DienerMax DudlerFrei / EhrenspergerHerzog &de MeuronTheo HotzLazzarini ArchitektenDaniele MarquesMeili und PeterMorger & DegeloBernard TschumiStefan Zwicky

UN Studio/Ben van BerkelHotel Castell, Zuoz

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Editorial

Swiss Performance 02Auch während des Jahres 2001 sind zahlreiche bemerkenswerte Bautenund Projekte entstanden, die – sei es wegen ihrer geografischen Lage, seies wegen ihrer Autoren – unter dem weiten Begriff «Schweizer Archi-tektur» subsumiert werden. Deshalb knüpft die erste archithese des Jahresthematisch und formal an ihre Vorgängerin «Swiss Performance» an (vgl.archithese 1/01) und widmet sich einem Rückblick auf das Architektur-geschehen der letzten Monate. Folgerichtig wurde auch in diesem Heftdie gewohnte Heftaufteilung in thematische Beiträge, Architek turkritikund Rubriken zugunsten eines möglichst breiten Fächers von aktuellenBeispielen vorübergehend aufgehoben.Die Auswahl ist gewiss nicht vollständig – kann es in diesem Rahmen

auch nicht sein. Die Auswahlkriterien für die Projekte waren primär de-ren architektonische Qualität und der Zeitpunkt der Fertigstellung;gleichzeitig galt es, eine vielfältige Mischung von Architekturbüros, Bau-aufgaben, Massstäben, Haltungen und Ansätzen zu präsentieren. DasPanorama reicht denn auch vom ländlichen Schulhaus zum städtischenSportstadion mit integrierter Altersresidenz, von der grossbürgerlichenVilla zur dörflichen Mehrzweckhalle, vom ephemeren Konzertsaal zuralpinen Industrieanlage, von der urbanen Grossüberbauung zum Alt-stadt-Kleinhotel.Eine solche Zusammenstellung kann nicht dazu dienen, ein reprä-

sentatives Bild des Schweizer Baugeschehens zu vermitteln; ge lungeneoder interessante Projekte, wie sie sich in diesem Heft konzent rieren,sind in der Realität zahlenmässig stets untervertreten. Es ging uns auchnicht darum, anhand einiger Beispiele neue Tendenzen der SchweizerArchitektur aufzuspüren; diese Tour d’Horizon soll vielmehr, im Sinneeines Jahrbuches, die Vielfalt des aktuellen Architekturgeschehens ver-anschaulichen. Der breite Fächer von Bauten und Projekten ist als Beitragund Anregung zur weiteren Diskussion zu verstehen.Nach diesem keineswegs nostalgischen Rückblick wird sich archithese

wieder vermehrt der Zukunft zuwenden: Heft 2 beschäftigt sich mit Bionik, insbesondere mit Parallelen zwischen den Konstruktionsprinzi-pien der Natur und der Architektur, Heft 4 thematisiert die Rolle neuerelektronischer Medien in der Architektur.In eigener Sache: Das seit1972 in der jetzigen Form geführte Baudoc

Bulletin der bekannten Schweizer Baudokumentation wird nicht selb -ständig weiterbestehen sondern mit der archithese zusammengeführt.Ab Heft 2/2002 werden Sie also das bekannte Logo des Bulletins auf derarchithese finden und zugleich einzelne Rubriken des Heftes in der archithese. Neben den bekannten Synergieefekten von Fusionen könnenwir beiden Leserschaften ein erheblich erweitertes Spektrum bieten, ohne das thematisch ausgerichtete Profil der archithese zu verändern.Mit den Abonnenten der Baudokumentation werden wir unseren Ver-breitungsgrad nahezu verdoppeln und somit unseren Standort inner-halb der Fachzeitschriften für Architektur nachhaltig konsolidieren.

Redaktion

Herzog & de Meuron: Stadion St. Jakob-Park,Basel (Foto: Ruedi Walti)

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«Das Einzelhaus ist heute eine schwierigere Aufgabe als dieder zusammenhängenden Siedlungen und Baublöcke.» Die-ser Satz, von Bruno Taut 1927 formuliert, drängt sich auf,wenn man in Küsnacht am Seehang von Zürich steht: Der zeit-typische Entwurfsansatz Tauts, die Typologie des Hausesgrundlegend neu zu definieren, scheint an den dortigen Häu-sern spurlos vorbeigegangen zu sein. Hier, an einer der gediegensten Gegenden des Zürcher Grossraums, sind dieHäuser architektonisch simpel und so bescheiden, dass dieexorbitanten Preise, die für die einfachsten Häuser bezahltwerden, kaum in Relation zur baulichen Substanz stehen. DieZeit ist zumindest in diesem Geviert stehen geblieben, auchneuere Häuser sind sattelbedacht und verströmen Heimatsti-l aura, deren Analogie des Alltäglichen sich von selbst ergibt.

Erratischer BlockEin neues Haus scheint hier nicht hinzupassen, zumindestzeigt es eindringlich, dass es auch anders geht: Es ist das neueDomizil der Familie Ringier, und schon in Form und Farbewill der erratische Block mit seinem Umfeld so gar nichts zu tun haben. Die Anlage besteht aus der Villa mit einem Ne-ben gebäude, in dem Garage sowie Gäste- und Einliegerwoh-nung untergebracht sind. Mit zwei Quadern stehen die Häu-ser gestaffelt im offenen Winkel zur abfallenden Landschaftund zum Seeblick. Zum Hang öffnet sich das massiv und stei-nern wirkende Volumen der Villa mit Terrassen und schma-lem Laubengang vor den Schlafzimmern im Obergeschoss. Es

sind nicht die «hellen Kuben unter dem Licht», vielmehr istdas Haus auf horizontale Schichtung angelegt. Einer trans-parenten, skulpturalen Raumauffassung wurde die geschlossene, additive und erdverbundene Massivität vorge-zogen, die von aussen schon durch die Wirkung des grün-gräulichen Kalksandsteins hervorgerufen wird. Es ist der An-röchter Dolomit, ein Kalksandstein, dessen haptische Qua-litäten und lichtabsorbierende Eigenschaften ihn bereits zumMarkenzeichen der Steinplastiken Ulrich Rückriems werdenliessen. Diese reliefhafte Schichtung setzt sich im Aussen-raum fort, zieht sich über die Terrassen, das Schwimmbad bishin zur Gartengestaltung. Das rechteckige Blumenfeld vor derTerrasse, eingefasst von Mauern als betont vertikaler Zäsur,verstärkt dieses Moment, wodurch die hausnahen Gartenbe-reiche gleichsam zu architektonischen Aussenräumen wer-den. Die ferneren Bereiche wiederum wurden von Kienast,Vogt und Partner als Landschaftsgarten gestaltet, der den be-wuss ten Gegensatz zur Architektur darstellt. Serpentinenför-mige Wege schlängeln sich den Hang hinauf, zwischen Pflan-zen und Bäumen hindurch. Der Pfad, selbst Ziel und Selbst-zweck, führt immer zum Haus; auf eine geometrisierendeGliederung des Freiraumes wurde verzichtet.Das Haus sollte «modern und gleichzeitig gemütlich» sein,

so der Bauherr Michael Ringier – zwei Parameter, die sichnoch immer auszuschliessen scheinen. Dementsprechend istdas Haus nicht weitflächig verglast, sondern hat grosse Pa -noramafenster mit Brüstungen, die den gezielten Blick auf

Konkretion des MachbarenMarcel Meili und Markus Peter: Villa Ringier, Küsnacht J. Christoph Bürkle

Die Hänge über dem See bei Küsnacht zählen zu den bevorzugten Wohnlagen in der

Zürcher Agglomeration. Nur wenige Bauten allerdings weisen eine dem exklusiven Umfeld

entsprechende Gestaltung auf. Luxus, so zeigt eine neue Villa von Meili und Peter,

bedeutet nicht die Adaption formaler Manierismen; Luxus zeigt sich in perfekter hand-

werklicher Qualität, in ausgeklügelter Detaillierung und in einem funktionalen Grundriss.

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1 VolumetrischeSkizze (Foto: Ralph Richter)

2 Eingang in dasHaupthaus, von der Vorfahrt ausgesehen (Fotos: Heinrich Helfenstein)

3 Gartenfront

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Living in a Red BoxBurkhalter/Sumi: Mehrfamilienhäuser in Witikon, Zürich Judit Solt

Drei an einem lose bebauten, ehemaligen Rebhang erstellte Häuser thematisieren zent -

rale Fragen des Siedlungsbaus: die Angemessenheit des Massstabs, die Balance zwischen

formaler Einheit und Vielfalt und die Spannung zwischen privaten und öffentlichen

Aussenräumen. Die der Bauaufgabe inhärenten Konflikte werden souverän geschlichtet;

das Ergebnis wirkt zugleich innovativ und vertraut, verspielt und ausgewogen – und ist ein

Beispiel für eine Siedlung, die nicht nur in städtebaulicher Hinsicht gelungen ist, sondern

auch räumlich interessante, gehobene städtische Wohnungen anbietet.

1 Fassaden Haus 6,1:300

2 Situation

3 Ansicht mitBandfenstern, Ter-rassen und Loggia(Fotos: Heinrich Helfenstein)

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Der für Zürcher Verhältnisse sonnige Hang war ursprünglichein Rebberg. Heute prägen ihn neben älteren, ländlichenBauten – stattlichen Gutshöfen mit Fachwerkfassaden undkleineren Dépendancen – auch Wohnbauten späteren Da-tums, von der Heimatstil-Villa über zaghafte moderne Ver -suche bis hin zu wuchtigen Siedlungen in Sichtbeton. Sowohldie Nähe des Stadtzentrums als auch die noch junge bäuer -liche Vergangenheit sind deutlich spürbar.

Die in den letzten Monaten von Marianne Burkhalter undChristian Sumi fertig gestellten Häuser sind als Siedlung er-kennbar, ohne den ortsüblichen Volumenmassstab zu spren-gen: Drei bis auf Drehungen und Spiegelungen identische Vo lumen mit Flachdach, einspringenden Terrassen und vor-gehängten Loggien stehen teils quer, teils längs zum Hangund bilden zusammen mit einer bestehenden Villa eine zu-sammenhängende Einheit.

Stadtpalast und LandschaftDer Entwurf hat seit seinen Ursprüngen als Siegerprojekteines privaten Studienauftrages 1998 einige Wandlungendurchgemacht. Geblieben sind jedoch die Vorbilder – die Dol-dertal-Häuser von Alfred Roth und Marcel Breuer (1936) sowiedie Stadtpalazzini, wie sie von Libera und Moretti ab Mitte der Dreissigerjahre in Rom erstellt wurden – als Beispieleeiner sinnvollen Typologie für den gehobenen städtischenWohnungsbau. Die Verteilung der Siedlung auf einzelnePunkthäuser ermöglicht nicht nur den Bau von allseitig ori-entierten Wohnungen, sondern sie vermeidet auch, trotzeiner relativ hohen Ausnützung, einen optischen Abschlussin der Landschaft. Im Gegensatz etwa zu einem langen Riegel,wie man ihn in der Umgebung vereinzelt findet, erlaubt die-se Bauweise immer wieder Blickachsen durch die Siedlung.Die Aussicht ist es wert: Unterhalb der Parzelle ducken sich

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Vektorielle InfrastrukturBernard Tschumi: Interface Flon, Lausanne Anne Wiesner

Welche städtebauliche Struktur lässt sich für ein ehemaliges Industriegebiet entwickeln,

das durch seine Tallage vom Stadtzentrum abgeschnitten ist? Bernard Tschumis Vision

für Lausanne war eine Stadt der Brücken, die sich über das Tal legt und neue räumliche

Verknüpfungen entstehen lässt. Die Ponts-villes blieben Theorie, realisiert wurde jetzt der

Interface Flon – die Erweiterung und Umstrukturierung eines Verkehrsknotenpunktes

eben in diesem Tal. Der Architekt schafft ein Ensemble, das eine funktionale und visuelle

Verknüpfung von Tal und Altstadt ermöglicht.

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Kann man Bewegungen im Raum materialisieren? BernardTschumi bejaht diese Frage und verweist auf seine theoreti-schen und praktischen Arbeiten, in denen er sich mit Bewe-gung in Abhängigkeit von statischen Räumen auseinander ge-setzt hat, wie beispielsweise in der Publikation ManhattanTranscripts und in dem 1992 in Paris realisierten Landschafts-garten Parc de la Villette. In der Tat ist es nicht die formaleÄsthetik, der Tschumi in seiner Architektur nachgeht; ihninteressieren Bewegungen der Menschen – verursacht durchräumliche Beziehungen und Ereignisse, die sich aufgrund der Architektur und der ihr eingeschriebenen Programme er geben. Auch seine für die Schweiz entwickelten Projekte basieren auf Überlegungen zur Dynamik: K-Polis, ein von einerRampe durchzogenes Kaufhaus für Zürich; EPFL Extension,eine mit Leerräumen durchsetzte Institutserweiterung, undPonts-villes, ein auf Brücken basierender Masterplan, beide fürLausanne. Alle diese Projekte blieben unrealisiert.

Lausanne aber ist nun doch die erste Stadt in der Schweiz,die den gebürtigen Westschweizer mit der Realisierung einesProjektes beauftragte: der Erweiterung und Umstrukturie-rung des Interface Flon, eines Verkehrsknotenpunkts im Her-zen der Stadt.

Die Altstadt von Lausanne liegt oberhalb des Genfersees.Täler durchziehen die Moränenlandschaft und bilden einespezifische Topografie. Diese hat ein im Vergleich zu ge-wohnten urbanen Situationen umgekehrtes Verhältnis vonStrassen zu umbautem Raum hervorgebracht: Häuser sind inden Hang hineingebaut, und Strassen werden zu Brücken-bauwerken.

Die Vallée du Flon, ein vom Fluss Flon gebildetes Tal, liegt imZentrum von Lausanne, ungefähr auf halber Strecke zwischenBahnhof und Kathedrale. 13 Meter trennen das in der Talsohleliegende ehemalige Industriegebiet von der oberhalb ge -legenen historischen Stadt. Eine alte Brücke – der Grand Pont – führt Fussgänger und Autofahrer über das Tal und ver-bindet die sich gegenüberliegenden Stadtteile. Obwohl das Talmitten in der Stadt liegt, gab es lange Zeit keine Zukunfts -vision.

Der neue Verkehrsknotenpunkt, der Interface Flon, der amnördlichen Ende der Vallée du Flon gelegen ist, schafft nebeneiner Verknüpfung von verschiedenen Verkehrsmitteln auchneue räumliche Verbindungen zwischen den einzelnen Stadt-niveaus.

Interface FlonAusgangspunkt für die Umstrukturierung und Erweiterungdes Interface Flon war die neue Endstation der Bahnlinie Lau-sanne-Echallens-Bercher – kurz LEB –, mit deren Bau die StadtLausanne Bernard Tschumi und Luca Merlini beauftragte.Hinzu kam die Aufgabe, von dieser in der Talsohle gelegenenU-Bahn-Station aus vertikale Verbindungen zur bestehendenMetrostation, zum darüber liegenden Platz und zur Höhe derAltstadt herzustellen.

Dass eine solche Aufgabe funktional richtig gelöst werdenkann, ohne der Entwicklung des Ortes wirklich zu dienen,

zeigt die bereits bestehende Station, als deren Erweiterungdie Station LEB gilt: eine in den Berg hineingebaute, trostlosanmutende Metrostation.

Tschumi und Merlini haben durch ein neues räumlichesBeziehungsgeflecht, das sich in den Luftraum zwischen dieBerghänge und über die Talsohle setzt, eine visuelle und funk-tionale Verknüpfung von Tal und Altstadt geschaffen.

Eine neue Brücke – auf der Höhe des Grand Pont gelegen –stellt eine fussläufige Verbindung zwischen den gegenüber-liegenden historischen Stadtteilen her. Daran angeschlossenverbinden Aufzug und Treppe die Brücke mit der 13 Metertiefer liegenden Place de l’Europe. Ein Kreisverkehr für Autosund Busse liegt im westlichen Teil des Platzes. Der Glaskubus

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Die Aufgabe der Architekten bestand im Wesentlichen darin,die von der in Chur ansässigen Catram AG saisonal betriebeneFabrikationsanlage, in der aus Kies und Bitumen Asphalt fürden Strassenbau hergestellt wird, einzuhausen – ihr also einedem Witterungs- und Sichtschutz dienende Hülle zu geben.Dabei waren der Standort und die Dimensionen der hocht-echnisierten, nur von wenigen Mitarbeitern bedienten Fer -tigungsstätte ebenso fixierte Vorgaben der Planung wie dieräumliche Organisation der Produktionsabläufe.

Für das inmitten der Samedaner Ebene am Rand eines Ge-werbegebietes, in direkter Nachbarschaft zu Strasse undBahnlinie situierte Asphaltwerk nutzt man das Areal einerehemaligen Kiesgrube. Die gesamte Anlage, die in Form zwei-

er unterschiedlich grosser Kuben in Erscheinung tritt, liegt inder durch den Kiesabbau entstandenen Senke. Von der Ebeneaus betrachtet, wirkt die Höhenerstreckung deshalb um gutein Drittel geringer, als sie in Wirklichkeit ist.

Die beiden weitgehend geschlossenen Kuben platzierteLazzarini direkt am inneren Rand der Grube. Eine Stützmau-er aus Sichtbeton markiert und sichert den Terrainsprung.Der grössere Baukörper birgt mit der Aufbereitungshallegleichsam das Herzstück der Anlage. Er wird von einer glä-sernen Dachlaterne bekrönt, die eine natürliche Belichtungund Belüftung der Halle ermöglicht. Der zweite, deutlich klei-nere Kubus hüllt den durch ein Förderband mit der Produk-tionshalle verbundenen Verladesilo ein.

Präzise gesetzte KubenLazzarini Architekten: Asphalt-Aufbereitungsanlage, Samedan Mathias Remmele

In einer sensiblen Berglandschaft wie dem Engadin stellt jede architektonische Interven-

tion eine gestalterische Herausforderung dar – für den Industriebau aber gilt dies in

besonderem Masse. Mit erstaunlich einfachen Mitteln realisierte Kurt Lazzarini im Tal

bei Samedan eine Asphalt-Aufbereitungsanlage, die der Landschaft nicht abträglich ist.

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Beide Körper sind als reine Stahlgerüstbauten ausgeführt.Ihre Fassaden bestehen aus sich schuppenartig überlappen-den, rechteckigen Alublechen, die mit einer beschieferten Polymerbitumenbahn beplankt wurden. Aus der Anordnungder grossflächigen Blechpaneele ergibt sich eine bandartige,horizontale Gliederung der Fassaden, die durch einen Rich-tungswechsel in der vertikalen Überlappung noch akzentu-iert wird. Ein Effekt, der je nach Lichtverhältnissen und Be-trachtungsstandpunkt mehr oder minder stark ins Auge fällt.Mit der Materialisierung der Fassaden thematisiert Lazzariniauf ebenso originelle wie überzeugende Weise den Zweck derAnlage beziehungsweise die Ausgangsstoffe der Asphalther-stellung. Die feinen Schieferplättchen, welche die Polymer -bitumenbahnen bedecken, verleihen der Gebäudehülle fastschon die Anmutung eines «natürlichen» Baustoffes: Ihregraue Farbe wirkt erdverbunden. Der Gesamtkomplex stehtdank der einfachen und doch markanten monolithischenForm der beiden wohl proportionierten Baukörper zurück-haltend und zugleich selbstbewusst in seiner Umgebung. DieAsphalt-Aufbereitungsanlage stellt zwar unbestreitbar einenweiteren Eingriff in den Naturraum der Samedner Talebenedar, im Kontext der Engadiner Landschaft kann sie aber als Be-reicherung gelesen werden – und das besonders, wenn mansie mit den gestaltlosen Gewerbebauten ringsum vergleicht.

Architekten: Lazzarini Architekten: Kurt Lazzarini; Mitarbeiter: Mierta Lazzarini-Kaiser, Annabelle Breitenbach, Preza Pajkic; Auftraggeber: Catram AG, Chur

1+2 Ansichten der Anlage(Fotos: Ralph Feiner)

3+4 Schnitt Haupt -gebäude und Grundriss Gesamt-anlage, 1:1000

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Ein Hotel mit sechs Zimmern und einer Bar – kein Restaurant,kein Schwimmbad, keine Konferenzräume, keine Minibarund auch kein Fernseher auf dem Zimmer: Welch waghalsi-ges Unterfangen, mag man zunächst denken. Doch das Hotelim Mainzer Vorort Weisenau will sich nicht mit den Stan-dards der Kettenhotels messen und nennt sich deshalbschlicht «Quartier». Als Quereinsteiger ins Gastgewerbe wag-te Rainer Schreeb nach einer Karriere bei IBM den Neubeginn.Zunächst war es ein in Frankfurt ansässiges Architekturbüro,das mit ersten Planungen für die dem eigenen Wohnhaus be-nachbarte schmale Parzelle beauftragt wurde – eine über-zeugende Lösung für das beengte Grundstück entstand indesnicht. Man trennte sich einvernehmlich.Durch Zufall sah der Auftraggeber im Oktober 1997 einen

von 3sat ausgestrahlten Film über den aus der Ostschweizstammenden, aber seit Jahren in Berlin tätigen ArchitektenMax Dudler. Die unter dem Titel Reichtum der Askese vorge-stellten Bauten des Architekten überzeugten Schreeb so sehr,dass er unverzüglich mit Dudler Kontakt aufnahm. Mit dembescheidenen Budget von einer Million Mark entstand an derWormser Strasse eine Herberge für Individualisten, die auf dievermeintlichen Standards zu verzichten bereit sind und diepersönliche Betreuung durch das Hotelierehepaar ebenso zuschätzen wissen wie eine klare, auf das Wesentliche redu-zierte Ausstattung. Vom Rhein durch die Bundesstrasse undeine Bahntrasse getrennt, reiht sich das «Quartier 65» mit sei-nem den Auflagen des Ensembleschutzes gehorchenden spit-zen Giebel in die zum Teil historische Uferfront von Weisenauein. Dudler gelingt hier ein ironisches Spiel: Er fügt sich denBauauflagen, schafft aber ein hochgradig abstraktes Volu-men; ein Volumen, das einen Kontrast zur Bebauung ringsumdarstellt, ohne diesen Kontrast aber zu stark zu betonen. Ge-rade einmal gut sechs Meter breit, wirkt das Hotel wie die aufdas Äusserste reduzierte Miniatur eines Hauses: Durch denVerzicht auf jegliche ornamentalen Applikationen und dieauch die Dachflächen einschliessende Verkleidung mit Plat-ten aus portugiesischem Granit wird das Gebäude zur mono-lithischen Skulptur. Fast gewinnt das lang gestreckte Volu-men einen tempelhaften Charakter – ein Eindruck, der durchdas zur Strasse hin vorgelagerte Podium noch verstärkt wird.Von zwei niedrigen Mauern begrenzt, besteht auch dieser Vor-

platz aus Granit. Selbst unter dem Druck des bescheidenenBudgets lässt Dudler mit seiner Materialwahl und For-mensprache anklingen, dass ein Hotel ein besonderer Ort ist,der sich aus der ununterscheidbaren Normalität des Alltags-lebens ausgliedert.Obwohl die schmalen Fensterschlitze der Stirnseiten eine

Dreigeschossigkeit suggerieren, gliedert sich das Innere inWahrheit um vier Ebenen – im Erdgeschoss eine Bar, darüberin drei Geschossen jeweils zwei Zimmer. Eines orientiert sichjeweils zum Rhein, das andere zum Ort hin. Reduzierte Ge-staltung auch hier: Schwarze Asphaltplatten bilden den Bo-den, die Wände sind weiss gestrichen; hinzu tritt ein leichtgräulich getönter hölzerner Raumteiler in Längsrichtung, in den zuunterst Barbereich und Treppe, in den oberen Ge-schossen Nasszellen und Schränke integriert sind. Tische undStühle stammen aus Dudlers bewährtem Bistro-Möbelpro-gramm «Black Monday», die Stehlampen in den sechs geräu-migen Zimmern von Arne Jacobsen. Von den üblichen Hotelsunterscheidet sich das «Quartier 65» in zweierlei Hinsicht:Der Gast findet hier nur das Nötige. Und dieses Nötige wurdemit der nötigen Sorgfalt gestaltet und ausgewählt. Was, wiejeder Reisende weiss, nicht wenig ist.

Architekt: Max Dudler, Berlin, mit Thomas Kröger; Tragwerksplanung:Büro Idstein, Mainz; Auftraggeber: Rosemari und Rainer Schreeb GbRHotelbetriebsgesellschaft.

Auratische EinfachheitMax Dudler: Hotel «Quartier 65», Mainz Hubertus Adam

Der Sterilität von Kettenhotels zu begegnen, war in den vergangenen Jahren wesentlicher

Beweggrund für eine Reihe neuer Konzepte im Gastgewerbe. Ein Kleinsthotel in Mainz

bietet weder Ausstattungsluxus noch das geeignete Ambiente für glamouröse Auftritte:

Die Reduzierung auf das Wesentliche ist im «Quartier 65» Prinzip, man leistet sich den

Luxus des Verzichts. Bei aller Bescheidenheit wurde weder mit dem Raum gegeizt noch

bei der Sorgfalt der Ausstattung und Materialisierung.

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1+2 GrundrisseErdgeschoss (Bar)und Regelgeschoss(Hotelzimmer)1:300

3 Ansicht derRückseite (Fotos: Ivan Nemec)

4+5 Strassen -ansicht

6 Längsschnitt1:300

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