archithese 2.04 - Neue Ornamente / Ornements nouveaux

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mit archithese Material, Dekor und architektonisches Ornament Deutsche und Schweizer Bauten im Vergleich Das Potenzial digitaler Entwurfstechnologien Chalet 5: Das Geheimnis der Dichte Jürgen Mayer H.: Tarnung und Verschlüsselung Michel Müller: Flüchtige Bilder Hundert Jahre bewegte Ornamentgeschichte Kritische Theorie des zeitgenössischen Ornaments Peter Eisenman und die Rhetorik der Architektur Beat Rothen Wohnüberbauung, Winterthur GIM Architekten Schweizer Regionalbahnhöfe agps Umbau Wohnhaus, Küsnacht 2.2004 Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur Revue thématique d’architecture Neue Ornamente Ornements nouveaux

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4März/April

Preis: 28 CHF/18 Euro

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mit

architheseMaterial, Dekor und architektonisches Ornament

Deutsche und Schweizer Bauten im Vergleich

Das Potenzial digitaler Entwurfstechnologien

Chalet 5: Das Geheimnis der Dichte

Jürgen Mayer H.: Tarnung und Verschlüsselung

Michel Müller: Flüchtige Bilder

Hundert Jahre bewegte Ornamentgeschichte

Kritische Theorie des zeitgenössischen Ornaments

Peter Eisenman und die Rhetorik der Architektur

Beat Rothen Wohnüberbauung, Winterthur

GIM Architekten Schweizer Regionalbahnhöfe

agps Umbau Wohnhaus, Küsnacht

2.2004

Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

Revue thématique d’architecture

Neue OrnamenteOrnements nouveaux

Leserdienst 100

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2 archithese 2.2004

Neue Ornamente

Bescheidenheit ist eine Zier. Doch bei weitem nicht die einzige. Und was bedeutet

schon Bescheidenheit für die Architektur, wenn heute fast jedes Ornament deut-

lich günstiger hergestellt werden kann als eine glatte Oberfläche oder ein formal

reduziertes Detail?

Einst wenigen vorbehaltenes Statussymbol, erfuhr das Ornament durch die

Industrialisierung des 19. Jahrhunderts – zumindest in Architektenkreisen – eine

drastische Entwertung. Zum einen verlor es wegen der gesunkenen Herstellungs-

kosten und der entsprechend rasanten Verbreitung viel von seinem ökonomischen

Prestige. Zum anderen musste seine Daseinsberechtigung kritisch befragt werden:

Waren viele Ornamentformen – wie etwa die Ziernaht – aus den Zwängen tradier-

ter Herstellungstechniken oder aus spezifischen Materialeigenschaften entstan-

den, so büssten sie, maschinell fabriziert und in neuen Materialien ausgeführt, jeg-

lichen Sinn ein. Und nicht zuletzt wurde die Funktion des Ornaments als Kommu-

nikationsmittel in Frage gestellt: Jene kulturellen Konventionen, die bestimmten

Formen klar definierte Konnotationen zuwiesen, und das Verständnis für bildhafte

Symbole waren im Zuge sozialer Umwälzungen und grosser Wirtschaftskrisen

weitgehend verloren gegangen. Beliebig von einem Objekt auf das andere über-

tragen, von seinem Träger losgelöst und den Betrachter vielleicht noch ästhetisch,

aber nicht mehr intellektuell herausfordernd, wurde das Ornament zu einer reinen

Dekoration.

Die Heftigkeit, mit der seit den Anfängen der Moderne über den Stellenwert des

Ornaments polemisiert wird, erstaunt daher nicht. Hinzu kommt, das sich in der

Ornamentfrage fast alle wichtigen Themen konzentrieren, die die Architektur seit

jeher bestimmen: Schönheit, Sinnlichkeit, Ausdruckskraft, Natur versus Kunst,

Einheit versus Vielfalt, Repräsentation, Verständlichkeit, Gebrauchstauglichkeit,

Material, Statik und Herstellung. Bemerkenswert ist vielmehr, dass heute eine ge-

lassenere Diskussion über dieses von der frühen Moderne verteufelte Thema mög-

lich ist.

Dieses Interesse hat sicher mit dem modischen Revival der Siebzigerjahre zu

tun. Nicht unwichtig dürften auch die Entwicklungen der letzten Jahre in der Bau-

physik und in der Computertechnologie sein: Der Schichtenaufbau, in unseren

Breitengraden inzwischen beinahe unumgänglich, hat eine differenziertere Neu-

bewertung von Begriffen wie Verkleidung, Bekleidung und «konstruktive Ehrlich-

keit» zur Folge; digital unterstützte Entwurfs- und Fertigungsmethoden erlauben

es, spezifizierte Unikate zum gleichen Preis herzustellen wie serielle Bauteile und

ermöglichen damit die Realisierung massgeschneiderter Ornamente.

Doch selbst wenn Pracht und Üppigkeit heute nicht mehr tabu sind, hat sich

die Wahrnehmung des Ornaments in den letzten hundert Jahren grundlegend ge-

wandelt. Vom affirmativen Symbol zum kritischen Verfahren mutiert, als integraler

Bestandteil des Entwurfs oder als ironische Brechung des Konzeptes eingesetzt,

reflektiert das Ornament auch heute den aktuellen Stand des architektonischen

Diskurses.

Redaktion

Hild und K Archi-tekten: Detail einerFassadensanierung,Berlin, 1999(Foto: MichaelHeinrich)

E D I T O R I A L

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DAS GEHEIMNIS DER DICHTE

Karin Wälchli und Guido Reichlin im Gespräch mit Judit Solt

Cookuk Koch- und Tafelrunden, ein kleines Unternehmen in Aarau,

hat seinen Küchen- und Gastraum umbauen lassen. Karin Wälchli

und Guido Reichlin (Chalet 5) zusammen mit dem Produkt- und Raum-

gestalter Jörg Boner bereicherten die sachlich-spröde Architektur

des ehemaligen Industriebaus mit neuen Oberflächen, deren sinnliche

Farbigkeit und üppige Ornamentik in diesem Kontext überrascht –

und erfreut. Einige Fragen zu Muster und Ornament, Illusion und

Raum, Architektur und Form.

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Chalet 5 hat sich auf die Entwicklung zeitgenössischer Orna-

mentik spezialisiert. Ihr arbeitet mit Stoff und Tapeten, für

Designzeitschriften und Kunstgalerien, neuerdings auch in

der Architektur: Der Umbau für Cookuk wurde letzten Som-

mer

abgeschlossen, gegenwärtig seid ihr am Umbau zweier Schul-

häuser beteiligt. Wie positioniert ihr euch zwischen Kunst,

Mode, Design und Architektur?

G. R. Ornamentik kann man keinem Bereich wirklich zu-

ordnen; insofern entzieht sie sich einer Kategorisierung. Ei-

gentlich können wir uns nur über unsere Funktion als «Or-

namentiker» positionieren. Ob unsere Arbeit in die Kunst,

das Design oder die Architektur einfliesst, bestimmen die

Möglichkeiten, die sich von aussen ergeben oder die wir su-

chen und provozieren.

K. W. Wir glauben, dass zeitgenössisch relevante Orna-

mente den Prozess einer Transformation durchlaufen müs-

sen, um überhaupt als Resultat neu gesehen werden zu kön-

nen. Wir nehmen so etwas wie «geschickte Eingriffe» vor.

Dazu gehört der richtige Kontext, in welchem Ornamentik zu

lesen ist: Wir platzieren unsere Arbeiten bewusst in ver-

schiedenen Kontexte und deren Schnittstellen.

Warum beschäftigt ihr euch mit dem Ornament?

K. W. Ich habe Textildesign in Zürich studiert – dem einzigen

Ort, wo Muster zu studieren in den Achtzigerjahren möglich

war. Wie ich beim Ornament gelandet bin, ist einfach zu sa-

gen: Ich liebe es und beschäftige mich seit 15 Jahren damit.

Wie kann man aus einem Motiv und seiner Wiederholbarkeit

ein unendliches Muster entstehen lassen? Wie kann sich eine

vermeintlich monotone Farbfläche, aus der Nähe betrachtet,

in eine zerlegbare Formensprache verwandeln?

G. R. Die Loslösung aus dem rein textilen Kontext war nö-

tig. Wir haben die Komplexität, die hinter dem Generieren

von Ornamenten steckt, nicht gescheut, sondern eher ge-

sucht. Sie verhalf uns dazu, den Raum zu entdecken.

Was bedeutet das im Fall des Cookuk?

K. W. Wir wollten den Raum zu dem machen, was er eigent-

lich ist: Im Projektteam, das wir mit Jörg Boner bildeten, ha-

ben wir ein Gesamtkonzept für den Gastraum entwickelt. Wir

haben den Raum geleert, weder die alte Decke geflickt noch

den industriellen Betonboden bedeckt. Wir haben den Raum

über die Flächen – die Wand, die Küchenarbeitsflächen –,

über Raumblätter entworfen. So war es möglich, in dieser Er-

weiterung des Raumes einige ganz elaborierte Oberflächen

und Produkte zu realisieren.

Es gibt Auffassungen, die im Ornament eine künstlerische

Umsetzung herstellungstechnischer Zwänge sehen: Die Zier-

naht und das gewobene Muster im Bereich der Textilien,

die Zierleiste und das reich gestaltete Backsteinmauer-

werk in der Architektur gehören in diese Kategorie. Eure Ar-

beit geht von einem ganz anderen Ansatz aus. Ihr appli-

ziert das Ornament auf eine Oberfläche, ohne deren Materia-

lität oder Konstruktion zu thematisieren. Worum geht es euch?

G. R. Ein vielschichtig aufgebautes Ornament muss man sich

in erster Linie einfach mal ansehen. Was spielt sich eigentlich

auf der Fläche ab? Wir setzen auf die Wirkung, die ein Orna-

ment haben kann. Da kann es durchaus auch vorkommen,

dass man sich zuerst orientieren muss. Für viele ist es unge-

wohnt bis fremd, ein Muster zu lesen.

K. W. Unsere Ornamente müssen eine hohe inhaltliche und

formale Perfektion erreichen, damit sie funk tionieren. Die

Oberfläche ist das einigende Band zwischen ästhetischer und

konstruktiver Form. Es gibt aber auch Arbeiten wie die Ro -

sentapete, bei der wir unkonventionelle Montagelösungen

suchen mussten, um den formalen Aspekten der Arbeit ge-

recht zu werden.

Bevor man dem Ornament wieder über den Weg traut,

müssen Resultate geliefert werden, die inhaltlich und ästhe-

tisch überzeugend sind. Sämtliche Spitzfindigkeiten folgen

erst dann, wenn Neuland betreten ist.

Welchen Stellenwert hat das Ornament im Cookuk?

K. W. Die wichtigsten Themen waren das gemeinsame Ko-

chen, Essen und Zusammensein. Das hat sich auf den Ent-

wurf und auf die Farbigkeit ausgewirkt. Wir haben die Nähe

zu Sinneswahrnehmungen gesucht; wie verbringt man hier

einen schönen Abend? Es ging weniger um den Raum als

physisches Phänomen als vielmehr darum, was in ihm pas-

siert, wenn Menschen zusammenkommen, kochen und einen

Abend verbringen.

Euer Zugang ist weniger intellektuell als assoziativ: Die meis-

ten Farben, die ihr im Cookuk verwendet habt, sind natürlich.

Mit Tönen wie Buttergelb, Olivgrün, Kaffeebraun, Orange, etc.

habt ihr bewusst den Bezug zu Nahrungsmitteln gesucht.

Gleichzeitig ist hier auch eine leise Ironie spürbar, ebenso wie

beim grossen Wandbild mit dem Alpenpanorama oder bei den

Wandleuchten. Welchen Stellenwert hat die Ironie für euch?

1 Tapete zwischenKunst am Bau undInnenarchitektur:Chalet 5, Rosen-wand, Rüschlikon,2001Siebdruck aufbronziertes Tapeten-papier, 120 Farben,Unikat.Architektur: An-dreas Lüthi, Zürich.Ausserhalb derSerie, in der sieauftritt, wiederholtsich keine derRosen; die grauen«Leerschläge»betonen die Nähezur Typografie und die Zeichen-Eigenschaft derstilisierten Blumen(Foto: MichaelFontana)

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PARAMETRISCHE UND GENERATIVE ORNAMENTE

Vom Einfluss digitaler Technologien auf den Entwurf Wenn

einzelne Komponenten eines Projektes programmiert werden, verändert

sich der gesamte Entwurfsprozess. Insbesondere für das Ornament

eröffnen sich neue gestalterische Perspektiven, die sich nicht auf rein

ästhetische Bereiche beschränken.

Text: Marta Malé-Alemany, José Pedro Sousa

Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien ver-

ändern die Art und Weise, wie der Mensch seine Welt wahr-

nimmt und gestaltet: Auf unterschiedlichen sozialen Ebenen

erfährt unsere Kultur einschneidende Veränderungen, deren

Folgen auf die Architektur nicht ausbleiben können. Die heu-

tige Realität stellt für die Bauindustrie – vom Entwurf bis zur

Fabrikation – eine Herausforderung dar. Dieser Artikel erör-

tert kurz die kulturellen und technologischen Bedingungen,

welche die Architektur heute beeinflussen, und konzentriert

sich auf die Frage des Ornaments im digitalen Zeitalter.

Schliesslich sollen zwei Projekte von ReD (Marta Malé-

Alemany, José Pedro Sousa) – XURRET SYSTEM und MOR -

Slide – eigene Konzepte und Entwurfstechniken illustrieren

und aufzeigen, wie digitale Techniken zu einer neuen Auf-

fassung des Ornaments führen könnten.

Realität

Gegenwärtig erfahren wir eine fast digitalisierte Realität

oder «Stereo-Realität»1: Unser Leben basiert heute immer

mehr auf immateriellen Darstellungen, eher als auf physi-

schen Gegenständen. Digitale Technologien erlauben es dem

Menschen, seine Aufmerksamkeit und seine Interventions-

möglichkeiten auf das extrem Kleine (Nano-Bereich) oder das

ausserordentlich Grosse (planetare Dimension) auszudeh-

nen. In diesen Fällen ist es offensichtlich, dass wir eine digi-

tal vermittelte Natur wahrnehmen, die wir mit unseren

Sinnen gar nicht erfassen könnten. Dies führt zu einem Zwie-

spalt in unserer empirischen und intellektuellen Konzeption

der Realität – welche wiederum stets Quelle und Inspiration

für das Ornament gewesen ist.

Während das traditionelle Ornament entweder auf einer

Imitation der Natur oder auf abstrakten Annäherungen

beruht,2 tendiert das zeitgenössische, digital konzipierte Or-

nament dazu, diese gemäss alten Konventionen als gegen-

A

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B

1 XURRET System,System von Bänken,Barcelona, 2004

A Bei jederKombination derfünf unterschiedlichgeformten Elementesollte das Kurven-muster durchgehendbleiben. Das Musterwurde als geometri-sche Kurvenstrukturprogrammiert:Einige der paramet-rischen Schlüssel-punkte warenräumlich festgelegt,um die Kontinuitätder Kurven von

einem Element zumanderen zu gewähr-leisten, anderekonnten verändertwerden. Dieses«programmierbare»System lässtVeränderungen aufjeder Stufe desEntwurfs- undHerstellungsprozes-ses zu

B RöhrenartigeAderstruktur mitrunden Querschnit-ten (digitalesModell)

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Zur neueren Geschichte des Ornaments Im 19. Jahrhundert

noch als schmückender Zusatz zumindest toleriert – und von Gottfried

Semper als notwendige symbolische Hülle interpretiert –, geriet

das architektonische Ornament ab der frühen Moderne ins Kreuzfeuer

der Kritik. In den letzten Jahrzehnten ist indes eine Gegenreaktion

spürbar: Im Umgang mit dem Ornament positionieren sich so

unterschiedliche zeitgenössische Ansätze wie Postmoderne, Dekon-

struktion, Performativität, Netzkunst und Computersimulation.

SCHMUCK, SURROGAT, KLEID UND MEDIUM

1

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Text: María Ocón Fernández

«Ornament (lat. Schmuck), das verzierende Beiwerk bei

Gegenständen menschlicher Kunstfertigkeit. Es findet seine

Anwendung vor allem im Gewerbe und in der Baukunst, aber

auch in allen andern Zweigen der Kunst und in oder auf jedem

Material, das zu solchen Gegenständen verwendet wird. [ . . . ]

Das Ornament soll seinen Gegenstand schmücken; daraus

folgt, dass es sich demselben unterordnen muss. In dieser

Unterordnung muss es sich an die Form und Gliederung des

Gegenstandes anschliessen, dieselbe vielmehr verdeut-

lichen, herausheben, als überwuchern und verdecken, wie es

häufig geschieht. Das Ornament ist also das Accedens, das

Nebensächliche.»1

Diese kurze, gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschie-

nene lexikalische Darstellung bringt ein allgemeines Ver-

ständnis des Ornaments zum Ausdruck, das nahezu bis heute

seine Gültigkeit bewahrt hatte. Demnach ist das Ornament

etymologisch mit dem Wort «Schmuck» – und nicht «Schön-

heit» – verwandt; formal wird es als «verzierendes Beiwerk»

und somit als nicht wesentliches Element am geschmückten

Gegenstand dargestellt. Im Verhältnis zu seinem Träger gilt

es als untergeordnet: Es soll die Hauptformen des Trägers

herausstreichen und dessen Gliederung verdeutlichen, die-

sen also in seiner ästhetischen Wirkung hervorheben. Die

wesentliche Aufgabe des Ornaments ist es, den Körper des

von ihm verzierten Gegenstandes auszuzeichnen, zu akzen-

tuieren und zu gliedern sowie seine Fläche zu beleben.

Begriffswandel und geschichtliches Spektrum

Spätere, seit Beginn des 20. Jahrhunderts erschienene Dar-

stellungen gehen auf diese Definition zurück, indem sie das

Ornament beispielsweise als «schmückende Zutat» bezeich-

nen und seine Unterordnung als Anpassung an den Charak-

ter des zu verzierenden Gegenstandes deuten – also an die

Beschaffenheit des Materials und an den Zweck. Mit der (tek-

tonischen) Gebundenheit des Ornaments an ein Objekt und

mit seiner Anpassung hinsichtlich Material und Zweck sollte

vermieden werden, dass es sich «emanzipiert» und von einer

Neben- zur Hauptsache wird: «Sie [die Verzierung] darf

jedoch nicht so anspruchsvoll gehalten werden, dass das er-

götzte Auge gefesselt bleibt, sie wohl gar für die Hauptsache

hält, und gar nicht veranlasst wird, auf die einfacheren und

wesentlicheren Massen der Hauptglieder überzugehen»2,

wie bereits R. Baumeister 1866 festhält.

Auf der architekturtheoretischen Ebene wird das Orna-

ment als «Accedens» beziehungsweise «Akzidens» bezeich-

net, als das Zufällige, Äussere, Hinzugekommene, und wird

somit in seiner Eigenschaft als Nebensache betont. Seit

Vitruv, spätestens aber seit Leon Battista Alberti und dessen

Unterscheidung zwischen Schönheit und Schmuck, wird das

Ornament als «äussere Zutat» apostrophiert: «Daraus er-

hellt, [ . . . ], dass die Schönheit gleichsam dem schönen Körper

eingeboren ist und ihn ganz durchdringt, der Schmuck aber

mehr die Natur erdichteten Scheines und äusserer Zutat

habe, als innerlicher Art sei.»3 Mit dieser Äusserung spricht

Alberti bereits das Verhältnis von aussen und innen an, das

sich – zusammen mit der Unterordnung des Ornaments be-

ziehungsweise seiner Emanzipation von seinem Träger – als

von weitreichender Bedeutung für die späteren Jahrhunderte

erweisen wird.

Bis zum 19. Jahrhundert wird das Ornament in seiner

Selbstverständlichkeit als Ergänzung von Schönheit – das

heisst: in seiner Eigenschaft als etwas qualitativ nicht Un-

wichtiges, aber keinesfalls dem Gegenstand Wesensnotwen-

diges – rezipiert und weitertradiert. Dabei etabliert sich ein

Verständnis des Ornaments als etwas, das von aussen an

den Gegenstand herantritt. Als etwas Appliziertem, Hinzu-

gefügtem steht dem Ornament nicht wie den übrigen Kunst-

gattungen (Malerei, Skulptur, Architektur) ein autonomer

Gattungsrang zu. Demzufolge ist es zwar ein gattungsüber-

schreitendes Element, da es in Verbindungen mit allen Gat-

tungen der Kunst – den freien sowie den zweckgebundenen

– auftreten kann; seinem Wesen nach ist es aber kein selb-

ständiges Gebilde, da es stets eines Trägers bedarf. Träger

des Ornaments kann jeweils ein Gebäude, eine Skulptur, ein

Bild oder ein Gebrauchsgegenstand sein. Dies veranlasste

etwa Jakob von Falke 1882 zur Feststellung: «Allein das

Ornament [ . . . ] ist nichts Selbständiges; es existiert nur, in-

sofern es mit einem Gegenstande verbunden wird oder in

Verbindung gedacht wird.»4 Diesen Gedanken fortsetzend,

konstatierte Hans Sedlmayr 1948: «Das Ornament ist die ein-

zige Kunstgattung, die nicht ‹autonom› bestehen kann.»5

Geschichtlich wird das Ornament als eine der frühesten

Kunstäusserungen des Menschen überhaupt betrachtet und

mit Spiel- und Schmucktrieb verbunden – mit der Freude an der

Verschönerung von Geräten sowie mit Schmuck und Bema-

lung des Körpers, mit Tätowierung und Maske. Das Ornament

findet sich sowohl bei den Naturvölkern und in der früh- und

vorklassischen Kunst als auch in der aussereuropäischen, der

islamischen und ostasiatischen Kunst, bis hin zu den verschie-

densten Äusserungen der europäischen hohen, Klein- und

Volkskunst. In der aussereuropäischen und insbesondere in

der islamischen Kunst spielt das Ornament eine ausser-

ordentlich wichtige Rolle, da es sich hier zwei der Vorausset-

zungen entzieht, von denen unser europäisches Verständnis

bislang geprägt wurde: der Unterordnung in die Gesamtstruk-

tur eines Werkes sowie der Bestimmung nach der Relation von

Muster und Grund – welche unmittelbar das Verhältnis von

Ornament und Träger, von innen und aussen berührt.

Nach Alois Riegl ist das Ornament ein Muster auf Grund,

und die ornamentale Gestalt besteht aus dem Verhältnis

zwischen diesen beiden. Dieses Verhältnis ist einem histori-

schen Wandel unterworfen, an dem die (europäische) Kunst -

entwicklung abgelesen werden kann: «Mit Bezug auf das

Verhältnis zum Träger ist der periodisch sich vollziehende

Stilwechsel als ein Übergang von der untergeordneten zur

neben- bzw. übergeordneten, von der dienenden zur beglei-

tenden bzw. herrschenden Stellung der Schmuckform zu be-

zeichnen.»6 So steht die Geschichte des Ornaments in einem

engen Zusammenhang mit der Stilgeschichte und dadurch

auch mit der Entwicklung der europäischen Kunst in all ihren

Gattungen und Epochen.

1 ZeitgenössischeKarikatur zumWandel der Archi-tektur um denErsten Weltkrieg

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Peter Eisenman und das architektonische Ornament Sprachwissenschaft -

liche Methoden haben Peter Eisenmans Entwürfe immer wieder entschei-

dend inspiriert. Am Beispiel seines Werks kann ein zeitgenössisches Verständnis

des Ornaments umrissen werden: Wie in der Sprache fungieren auch in der

Architektur rhetorische Figuren als Ornament. Dabei werden die Aspekte der

Vielschichtigkeit und Differenz über jene der Hierarchie und Addition gestellt.

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DIE RHETORIK DER ARCHITEKTUR

1A

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«Das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ‹Ver -

fremdung› der Dinge und das Verfahren der erschwerten

Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge

der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungspro-

zess ist in der Kunst Selbstzweck und muss verlängert

werden [ . . . ].»

Viktor Sklovskij, Kunst als Verfahren, 1916

Text: Andri Gerber

A. G. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen zum Thema des Orna-

ments in der Architektur stellen.

P. E. Zu diesem Thema kann ich keine Fragen beantwor-

ten. Ich habe nicht das Gefühl, mich jemals mit dem Orna-

ment beschäftigt zu haben.1

Was verbindet Peter Eisenmans Architektur mit dem Orna-

ment? Auf den ersten Blick nichts: Eisenman befasst sich

weder in seinen Schriften mit diesem Thema, noch scheint

das Ornament – als etwas «Schmückend-Zusätzliches» – mit

seinen Projektentwürfen das Geringste zu tun zu haben, die

danach streben, Architektur an ihre Grenzen zu führen. Und

dennoch bringen ihn bestimmte Aspekte seiner Arbeit mit

dem Ornament in Verbindung. Diese Hypothese erfordert ein

Verständnis des Ornamentbegriffes, wie er innerhalb des

Fachgebiets der Linguistik definiert wird: Die Rhetorik bildet

das Ornament der Sprache, rhetorische Figuren sind jene

Instrumente, die das Ornament ermöglichen. Eisenman ver-

wendet sie als Entwurfsmittel.

Ornament und Rhetorik – zwei doppelte Begriffe

Das Ornament hat einen janusköpfigen Charakter. Gemäss

seinem lateinischen Ursprung geht der Begriff sowohl auf

ornare (schmücken) als auch auf ordinare (ordnen) zurück.

Diese zweifache Begriffsbestimmung verleiht ihm eine

schmückende wie auch ordnende Bedeutung. Unterschiedli-

che Modelle des Ornaments innerhalb der Architekturge-

schichte können auf das sich wandelnde Verhältnis dieser

doppelten Begriffsfestlegung zurückgeführt werden.

Vitruv beispielsweise spricht dem Ornament eine ver-

mittelnde Funktion zu – zwischen geistiger und praktischer

Tätigkeit, zwischen dem abstrakten Konzept und dessen

materieller Umsetzung: Das Ornament ist die Instanz, die es

ermöglicht, ideelle Werte in einen symbolisch-bildhaften

Ausdruck zu übertragen. Die Beziehung zwischen Inhalt und

Form ist so gewichtet, dass der Betrachter diese in ihrer Hie-

rarchie und ihrem Zusammenhang erkennen kann. Das klas-

sische Modell des Ornamentes legt die Lesart und damit das

Verhältnis zwischen Idee und Materie fest.

Während Eisenman sich auf diese Tradition stützt, be-

ginnt er, sie zu untergraben. Die eindeutige Zuordnung wird

in einem Feld potenzieller Interpretationsmöglichkeiten auf-

gelöst. Mit dem Hinweis auf die moderne Linguistik, einer

Disziplin, die in Eisenmans Werkentwicklung einen zentralen

Stellenwert einnimmt, versucht er, diesen Auflösungsprozess

innerhalb der Architektur zu belegen. Hierin bezieht er sich

unter anderem auf den Terminus der rhetorischen Figuren.

Die Rhetorik ihrerseits, gemäss obiger Bestimmung das

Ornament der Sprache, definiert sich ebenfalls aufgrund ihrer

mehrfachen Bedeutung. Rhetorische Figuren übernehmen in

der Literatur in der Regel eine dekorativ-persuasive Funktion,

während ihrer kritischen Seite keine Beachtung geschenkt

wird. Demgegenüber vertritt die zeitgenössische Litera-

turkritik die These, dass es unmöglich sei, die stilistisch-

schmückende von der stilistisch-kritischen Funktion der rhe-

torischen Figuren zu trennen.

Zu den «Wiederentdeckern» dieser doppelten Natur rhe-

torischer Figuren gehört unter anderen der russische Forma-

list Viktor Sklovskij,2 der Eisenman stark beeinflusst hat.

Sklovskij befasst sich mit der Frage der Wahrnehmung in der

Literatur und untersucht dabei auch rhetorische Figuren wie

die Metapher (den Bildvergleich) und die Metonymie (die

Umbenennung). Diese wirken sowohl auf der Ausdrucks- als

auch auf der Inhaltsebene und erzeugen Verschiebungen und

Verlangsamungen im Lesefluss; sie schärfen die Wahrneh-

mung des Lesers hinsichtlich der unsichtbaren Beziehungen

der Wörter und Satzteile. Rhetorische Figuren werden hier

als Mittel einer kritisch-ordnenden (oder, im Gegenteil, einer

un-ordnenden) Sprache verstanden.

Das Modell, auf das sich Sklovskij bezieht, ist die klassi-

sche Rhetorik von Aristoteles. Dieser definiert die téchne rhe-

torikè (Redekunst) als Gegenstück zur Dialektik3 und als

Mittel, die Natur der Ideen zu untersuchen. Er unterteilt

sie in vier Kategorien: heúresis (Einfall), táxis (Verteilung),

hypókrisis (Handlung) und léxis (Überzeugung). Rhetorische

Figuren verschieben indirekt die intellektuelle Verarbeitung

von Informationen vom Schaffenden auf den Lesenden und

generieren eine iterative Durchbrechung von Raum und Zeit.

Diese Eigenschaft begründet Eisenmans Interesse für rheto-

rische Figuren als Mittel zur Auflösung der eindeutigen Zu-

ordnung der Bestandteile seiner Projekte.

Syntax und Architektur

In seinem Buch Die Klassische Sprache der Architektur unter-

scheidet der amerikanische Architekt John Summerson4 zwi-

schen dem positiven Modell der klassischen Sprache und

dem negativen Modell der Rhetorik. Letztere versteht Sum-

merson als eine persuasive und schmückende Disziplin; er

stützt sich auf ein antiquiertes Verständnis der Rhetorik, das

nur deren schmückender Seite Beachtung schenkt.

Eisenman dagegen bezieht sich auf das Aristotelische Mo-

dell und dessen Interpretation durch Sklovskij. Bevor sich

Eisenman aber mit der Rhetorik auseinandersetzte, befasste

er sich in seinen frühen Entwürfen – etwa der Serie Card -

board House 5 – mit dem Thema der Syntax in der Architek-

tur:6 Die architektonischen Grundelemente wie Boden,

Stütze und Wand wurden als linguistische Zeichen verstan-

den, um das Verhältnis ihrer Symbolhaftigkeit und Funktion

zu stören. So wird die Säule normalerweise sowohl als Sym-

bol der Säule wie auch als tragendes Element verstanden;

diese Übereinstimmung galt es nun zu relativieren, um die

Wahrnehmung vom Erscheinungsbild auf eine innere Ge-

setzmässigkeit zu lenken. Das architektonische Modell Ei-

1 Syntax undArchitektur: House I, Architec-ture as SignsA SkizzeB Aussenaufnahme(in: Peter Eisenman,Petereisenman -houseofcards, NewYork 1987)

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Nur ein Teil der Gäste übernachtet heutzutage frei-willig in einem Hotel. Mal bedarf es der kurzfris-tigen Bleibe zwischen zwei Geschäftsterminen ineiner fremden Stadt, dann wieder ist die Wohnungder Freunde zu klein oder gerade besetzt: Im Zeitalter der Mobilität gilt das Hotel nicht als eigentliches Ziel der Reise. Das tatsächliche Le-ben findet anderenorts statt; die Institution Hotelhat ihren öffentlichen Charakter verloren und sich auf eine regenerative Funktion reduzieren las-sen.

Das war nicht immer so. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt der Aufenthalt im Grandho telals gesellschaftliches Ereignis; in den Ball- undSpeisesälen spielte die aufstrebende Bourgeoisienoch einmal Aristokratie. Die Zeiten wandeltensich, die Bourgeoisie wurde zum bürgerlichen Mit tel stand, doch die Hotelhalle, wo kurz zuvornoch der Geist des Ancien Régime geherrscht hatte, blieb ein magischer Ort der Voyeure und Ak-teure.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mu-tierte das Hotel zum Beherbergungsbetrieb. Andie Stelle der einstigen Paläste traten die konfek-tionierten Kettenhotels mit ihrer sterilen, auf die an-geblichen Bedürfnisse von Geschäftsreisendenzugeschnittenen Ausstattung.

Individualität als Trend

Seit Mitte der Achtzigerjahre scheint dieser Trendgebrochen, zumindest relativiert – 1985 eröffneteIan Schrager in Manhattan das «Morgans», des-sen distinguierte Möblierung und Ausstattungdurch die Pariser Gestalterin Andrée Putman neueMassstäbe setzte. Die Idee des Designhotels wargeboren; die Übernachtung wird im Verständnisder Gäste zum kulturellen Event. Mittlerweile, unddas zeigen die wachsenden Bettenzahlen derjüngsten New Yorker Designhotels, ist der Trendzum individuellen Lebensstil selbst zu einem Mas-senphänomen geworden. Angesichts dieser Ent-wicklungen verwundert es, dass das Manage-

ment international agierender Hotelketten zumeistin dem Vorurteil befangen ist, ein Hotelzimmermüsse an jedem Ort gleich aussehen. Das Kalkülist verständlich: Wer für eine breite, hinsichtlichdes Geschmacks und der kulturellen Herkunftheterogene Zielgruppe plant, setzt auf Neutralität.

Wie die Hotelvision von Morger & Degelo be-weist, muss Neutralität aber nicht Gesichtslosig-keit bedeuten.

Morger & Degelo: Das ideale Hotel

Formal reduziert, fast japanisch in der Anmutungstellt sich das Hotelprojekt der Basler Architektendar. Zunächst erscheint es wie eine gläserne Box– die an den Fassaden erkennbaren Geschoss -decken teilen das rechteckige Volumen in fünfStockwerke. Hinter dem gazeartigen Schleier derVorhänge, welche die Transparenz der Fassaden-haut in Transluzenz verwandelt, wird das Innenle-ben der vier Zimmergeschosse schemenhaft er-kennbar: Eine Reihe kleiner, kantiger,gegeneinan der versetzter und zum Teil prisma-tisch gebro - che ner Volumina lässt sich auf jederEbene ausmachen – fünf auf der Vorder-, fünf aufder Rückseite. Innerhalb eines offenkundig flies-senden Raumkontinuums wirken diese Voluminaals körperhafte und opake Elemente. Von Ebenezu Ebene sind die viereckigen Grundflächen umeinige Grad gedreht, finden die übereinander ge-schichteten Körper in der Vertikale gleichsam zutordierten Säulen zusammen, welche einen ex-pressiven Gegenakzent zu der klaren Strenge dersich in die Horizontale ausdehnenden Geschos-splatten setzen. Im Erdgeschoss hingegen lösensie sich in jeweils vier unterschiedlich geneigteStützen auf. Unterbrochen einzig von den mittigangeordneten Treppen- und Liftkernen, entstehtein «Stütze n wald», der Platz für Rezeption, Lobby,Bar sowie Restaurant bietet.

Auch wenn Lobby und öffentliche Bereicheden ersten Eindruck des Gastes von einem Hotelbestimmen, erweist sich doch dessen eigentlicheQualität erst an der Einrichtung und Organisationder Zimmer. Dies umso mehr, als sich seit derJahrhundertwende das Verhältnis von Öffentlich-keit und Privatheit nachgerade umgekehrt hat:War der Besuch eines Hotels früher ein gesell-schaftliches Ereignis, so bedeutet er heute denkontrollierten Rückzug in eine temporäre Intimität.Entsprechend mehr Aufmerksamkeit muss bei derPlanung den Zimmern zukommen, die in den ver-gangenen Jahrzehnten ihren alleinigen Status alsSchlafzellen verloren haben und nun zugleich alsEntertainment Area und Wellness Center fungie-ren. Diese funktionale Überfrachtung führt häufigzu einer Kapitulation der Gestalter, die es nicht

A K T U E L L E P R O J E K T E

Morger & Degelo: Vision eines idealen Hotels für die Firma Ruckstuhl

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mehr vermögen, Möbel und Ausstattung zu einemkonsistenten Arrangement zu verbinden.

In diesem Zusammenhang weist die Vision vonMorger & Degelo neue Wege. Denn sie zeigt gera-dezu eine Umkehr der sonst gültigen Prinzipien:Während sämtliche Aussenwände der rechtecki-gen Räume verglast sind, befinden sich derSchlafbereich und eine schmale Toilette in demschräg im Raum stehenden opaken Körper. Somitsteht das Bett nicht mehr frei im Zimmer, sondernist im bergenden Kernraum platziert, der dunkel istund damit archetypischen Bedürfnissen nachSchutz, Rückzug und Intimität entgegenkommt.Demgegenüber wirkt das umliegende Raumkonti-nuum, das durch die Schrägstellung des Zimmer-kerns in einzelne Raumbereiche gegliedert wird,dank seiner gläsernen Wände hell und extrover-tiert. Durch umlaufende Vorhänge können sich dieGäste die nötige Privatheit verschaffen, doch ist esauch möglich, dem Exhibitionismus zu frönen, dieVorhänge beiseite zu schieben und die eigene

Sphäre visuell mit dem Nachbarzimmer oder demFlur zu verbinden. Bewusst haben Morger & De-gelo überdies den Nassbereich zergliedert: Daskleine Badezimmer mit Toilette und Waschbeckenübernimmt die rein hygienische Funktion, die Ba-dewanne hingegen steht nun gleichsam alsIndoor-Wellness-Pool mitten im Raum.

Hotels bezogen seit jeher ihren Reiz aus derKombination von Exhibitionismus und Intimität.Die Basler Architekten haben mit ihrer Vision einezeitgenössische Interpretation dieser Beziehunggefunden, deren labiles Gleichgewicht von denBewohnern der Zimmer stets neu definiert werdenkann.

Hubertus Adam

1  Modellfoto aussen

2  Modellfoto innen,Blick auf den «Schlafkern»

3  Grundriss Ober-geschoss

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