archithese 3.04 - Architektur und Alkohol / Architecture et alcool
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architheseKellereiarchitektur – ein zeitgenössisches Phänomen
Wineries im Napa Valley
Bauen für Wein in Österreich
Projekte von Michael Graves, Herzog & de Meuron,
Mario Botta, Steven Holl, Angonese/Boday/Köberl,
Frank O. Gehry
Bierbrauen und Burgenromantik
Münchner Bierarchitektur um 1900
«Bierpinsel», Berlin-Steglitz
Bierarchitekturen von Jean Nouvel,
Foreign Office Architects
Brunnschweiler/Denzler/Erb Schule Elsau
Périphériques Zwei Bars in Paris
3.2004
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
Architektur und AlkoholArchitecture et alcool
archithese 3.2004
Mai/Juni
Preis: 28 CHF/18 Euro
Architektur und Alkohol – A
rchitecture et alcool
mit
Leserdienst 124
2 archithese 3.2004
E D I T O R I A L
Seht den Architekten schwitzen.Weise: „Preisend mit viel schönen Reden...“ (A - e e a a)
1. Seht den Architekten schwitzen /: in dem engen Atelier! :/ /: Ach, der Grundriss will nicht klappen, ://: die Fassade schreit o weh! :/
2. Lahmer wird und immer lahmer /: seine trockne Phantasie, :/ /: auf dem Gaumen klebt die Zunge, ://: es verdorret das Genie. :/
3. Und er wirft hinweg den Zirkel, /: durstig will’s nicht länger gehn, :/ /: eilt hinab zum duft’gen Keller, :/ /: wo die Fässer mächtig stehn. :/
4. Wie der Wein die Zunge kühlet, /: wächst ihm neu des Lebens Mut, ://: und es rollt mit jedem Zuge :/ /: lust’ger stets das träge Blut. :/
5. Da erfaßt ein reges Schaffen /: die verjüngte Phantasie; :/ /: fertig steht im Geist sein Bauwerk, ://: klar und schön und sonder Müh’. :/
6. Da muß doch ’ne Wechselwirkung/: zwischen Baun und Trinken sein. :/ /: Durstig werdet ihr vom Schaffen, :/ /: und zum Schaffen treibt der Wein. :/
7. Also hört den Rat, ihr Freunde: /: Treibet’s immer mit Bedacht, ://: plagt am Reißbrett euch, doch trinket ://: zwischendurch und singt und lacht! :/
8. Habt ihr heut’ am Tag gebauet, /: wollt ihr morgen baun mit Lust, :/ /: weiht den Abend heut’ der Flasche, :/ /: jubelnd singt aus voller Brust! :/L. Hoffmann, vor 1877.
Architektur und Alkohol
«Da muss doch ’ne Wechselwirkung/zwischen Baun und Trinken sein», heisst es
in dem Lied «Seht den Architekten schwitzen», das wir einem Liederbuch der Zeit
um 1900 entnommen haben. Die Wechselwirkung zwischen Bauen und Trinken
liesse sich auf verschiedenen Ebenen erörtern – wir widmen uns jedoch nicht ei-
nem individual- oder berufspsychologischen Zugang. Eine von uns lancierte Um-
frage, welcher Wein von Architekten favorisiert wird, scheiterte an mangelnder
Auskunftsfreudigkeit: Trinkgewohnheiten sind Berufsgeheimnis.
Tatsächlich war der Anlass für dieses Heft auch ein anderer: In den vergangen-
gen Jahren beschäftigen sich Architekten verstärkt mit dem Bau von Weingütern.
Michael Graves’ Clos Pegase Winery im kalifornischen Napa Valley stand am An-
fang dieser Entwicklung, die mit der benachbarten Dominus Winery von Herzog &
de Meuron vor wenigen Jahren einen wichtigen Höhepunkt gefunden hat. Seither
suchen sich die Winzer in den Weingebieten der Welt mit spektakulären Bauten
nachgerade zu übertrumpfen: ob in Slowenien oder Italien, Chile oder Australien,
Ka nada, Spanien oder Österreich. Ausgehend von Spanien gibt Hans Hartje im
Eröffnungsbeitrag dieses Heftes einen Überblick über die gesamte Entwicklung;
Dirk Meyhöfer beschäftigt sich mit dem Napa Valley, in dem Architektur gezielt für
das Branding der grossen Weingüter genutzt wird. Anders stellt sich die Situation
in Österreich dar: Wie Ursula Graf aufzeigt, ist die Weinwirtschaft hier kleinteili-
ger organisiert, und es kommt daher eher zu Um- und Anbauten als zur Neuerrich-
tung ganzer Weingüter. Doch auch hier setzen qualitätsbewusste Winzer zuneh-
mend auf die Wirkung qualitätvoller Architektur.
Dem Thema Brauereien und Bierhallen ist der zweite Teil dieses Heftes gewid-
met. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstand mit den «Bierburgen» ein spezifi-
scher Typus für die Bauaufgabe Brauerei. Während Bier heute in unspezifischen
Produktionshallen entsteht, sind in den vergangenen Jahren immerhin einige spe-
zifisch gestaltete Orte des Konsums entstanden.
Redaktion
10 archithese 3.2004
Kellereiarchitektur – ein zeitgenössisches Phänomen Der Begriff
«Chateau» führt in die Irre: Weinkellereien sind zunächst einmal
technische Gebäude. Doch seit einiger Zeit unterliegen sie vermehrt
auch einem ästhetischen Imperativ. Zeitgenössische Architektur wird
von den Besitzern eingesetzt, um ihre Marke besser zu positionieren.
WELTWEIT WEIN IN NEUENSCHLÄUCHEN
1
Texte français pp. 72–73
11
Text: Hans Hartje
Guter Wein wird bekanntlich besser, wenn man ihm Zeit
zum Reifen lässt. Wie zur Illustration dieser Binsenweisheit
stehen in Weinanbaugebieten der ganzen – und vorzüg-
lich der alten – Welt Burgen und Schlösser, die mit Bild
und Namen das Etikett der edlen Tropfen zieren. Dass dem
nicht immer schon so war und auch nicht unbedingt so sein
muss, davon zeugen Kellereibauten ganz anderer Art, wie
sie im 19. Jahrhundert zuerst in Spanien und heute in Wein-
anbaugebieten der ganzen Welt errichtet wurden und wer-
den.
Archäologie
Den symbolischen Auftakt dieser alternativen Geschichte der
Kellereiarchitektur markiert die Real Bodega de La Concha,
welche Manuel Maria Gonzalez Angel und Robert Blake
1862 aus Anlass des Besuchs der Königin Isabel II. im süd-
spanischen Jerez errichten liessen. Das hartnäckige Gerücht,
der halbkreisförmige Fasskeller sei aus der Feder Gustave
Eiffels, ist inzwischen auch offiziell widerlegt, und die frei-
tragende, einer Jakobsmuschel nachempfundene Stahlkon-
struktion als Werk des britischen Ingenieurs Joseph Koogan
identifiziert.
La Concha ist beileibe nicht die einzige architektonisch
interessante Bodega in der Gemarkung Jerez, wohl aber
die einzige reine Stahlkonstruktion. Die meisten anderen ins
19. Jahrhundert zurückreichenden Fasskeller zeichnen sich
vor allem durch ihre – mehrschiffige Kirchenbauten nachah-
menden – Grundrisse, ihre dicken, meist fensterlosen Wände,
ihre oft extreme lichte Höhe (bis 14,50 Meter) und ihre Dach-
konstruktionen aus.
Kellereien nach dem Modell von Kirchen zu erbauen, lag in
Südspanien allein schon aus klimatischen Gründen nahe.
Dazu kommt, dass bei der Weinherstellung ein der liturgi-
schen Wandlung von Wein in Christi Blut analoger Prozess
abläuft. Die ausdrücklich suggerierte Parallele dürfte im Übri-
gen im Unterbewusstsein des Weinliebhabers eine nicht un-
wesentliche Rolle spielen: Wo die Kelterei als säkularisierte
Eucharistie präsentiert wird, darf die Kellerei getrost als
Tempel des guten Geschmacks gelten.
Sherryproduzenten geben als Urheber des Ausdrucks
«Kathedralen des Weins» gern den englischen Reiseschrift-
steller Richard Ford (1796 –1858) an, wohingegen katalani-
sche Winzer ihn dem einheimischen Dramaturgen Angel Gui-
mera (1847–1924) zuschreiben. Wie dem auch sei: Heute
meint der Ausdruck vor allem die zahlreichen Kellereibauten
des katalanischen Modernismo, wie sie in den Jahren
1890–1925 vor allem von Cesar Martinell i Brunet, Josep Puig
i Catafalch und Lluis Domenech i Montaner in den Winzer-
dörfern rund um Barcelona errichtet worden sind. Dabei
ist keineswegs auszuschliessen, dass die erwähnten Archi-
tekten – und allen voran Antoni Gaudí – sich bautechnisch
in erster Linie vom säkularen Modell der gotischen Drassanes
(Schiffswerften) haben inspirieren lassen, wie sie heute
noch in Barcelona zu besichtigen sind (Museu Maritim). Eine
Art von missing link bei der Umwidmung könnten die Bode-
gas Güell in Garraf darstellen, ein Gemeinschaftswerk von
Gaudí und Francisco Berenguer, in denen beide Funktionen
konvergieren.
Als nächster Schritt hin zur Legitimierung zeitgenössi-
scher Architektur im Weinberg dürfte die Anfang der Sech-
zigerjahre getroffene Entscheidung des Italo-Amerikaners
Robert Mondavi gelten, seinem Bruder die vom Vater über-
nommene Krug-Winery zu überlassen und in Oakville (Napa
Valley, Kalifornien) einen Neubeginn zu wagen.
Robert Mondavi Winery wurde 1965 von Cliff May im
für Kalifornien typischen spanischen Missions-Stil gestaltet.
Von der ursprünglichen Anlage existieren heute noch der
weit geschwungene Torbogen und ein Glockenturm, die
als Emblem denn auch das Etikett sämtlicher unter dem
Markennamen Mondavi kommerzialisierten Weine zieren.
Die Winery indes kann beim besten Willen nicht als Proto-
typ des «New World Château» durchgehen (vgl. hierzu auch
den Text von Dirk Meyhöfer, S.18–21). Dieser Status kommt
dann schon eher Opus One zu, das Scott Johnson 1984 für
ein transatlantisches joint venture zwischen Robert Mondavi
und Baron Philippe de Rothschild entworfen hat.1
Opus One ist 1991 fertiggestellt worden, vier Jahre nach
der ebenfalls 1984 von Jan L. Shrem als lokales Konkurrenz-
projekt ins Leben gerufenen Clos Pégase Winery, für die
ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, an dem nicht weni-
ger als 96 Architektenteams teilnahmen. Die zwei Ge-
bäudekomplexe könnten kaum verschiedener sein, dabei
eignet ihnen ein vergleichbar imposanter Habitus, der sämt-
liche Sinne anzusprechen sucht, dabei allerdings Gefahr
läuft, dass dem Besucher zuerst einmal Hören und Sehen ver-
geht.
Ganz anders – und doch vergleichbar in dem, was sie
unterscheidet – liegen die Dinge bei zwei Kellereien, die im
gleichen Zeitraum in Spanien entstanden sind. Da ist zum
einen die Bodega Raventos i Blanc in Sant Sadurni d’Anoia
1 Antoni Gaudí/Francisco Beren-guer: BodegasGüell, 1895 –1901
2 FranciscoMangado: Bodega Marco Real, Olite,Navarra, 1989/90(Foto: FranciscoMangado)
38 archithese 3.2004
Text: Ursula Graf
Michael Graf Goëss-Enzenberg versteht es nicht nur, eine
Tradition aufrechtzuerhalten, die bis ins Jahr 1608 zurück-
führt, als der Gutshof Manincor errichtet wurde; er vermag
auch eine visionäre Haltung mit wirtschaftlichen Überlegun-
gen zu verbinden. Als er 1991 als ausgebildeter Önologe den
Betrieb übernahm, begann eine neue Ära für das Trauben
produzierende Gut, das keine eigene Vinifikation besass.
Manincor ist heute mit 45 Hektar Ertrag das grösste Wein-
gut Südtirols, das nur eigene Trauben verarbeitet. Das histo-
rische Anwesen liegt äusserst reizvoll – inmitten von Hügeln
voller Rebhänge – an der Südtiroler Weinstrasse mit Blick auf
den Kalterer See. Goëss-Enzenberg erkannte das Potenzial
dieser Lage und beauftragte im Jahr 2001 den Architekten
Walter Angonese mit dem Kellerneubau. «Weniger ist mehr»,
so dachte Goëss-Enzenberg: Charaktervolle, eigenständige
Weine als Spiegelbild von Boden und Klima. Und dazu eine
passende Architektur: Die Eichenfässer sind aus dem Holz
heimischer Wälder gefertigt, und auch der Architekt kommt
aus der Region. Walter Angonese, bekennender Ruraler, der
als Intermezzo urbane Gefilde aufsucht, um dann, mit eige-
nen Worten «im Weindorf Kaltern unter den Lauben zu sit-
zen, den Turbobooster herunterzufahren und weiterzuden-
ken», nennt seine Tätigkeit schlicht: Weiterbauen. Ango -
neses Neubauten (Weinkellerei Hoffstätter, Tramin) oder
Adaptierungen (Festung Kufstein-Josefsburg, gemeinsam
mit Andreas Egger und Markus Scherer) frönen nicht dem
missverstandenen Regionalismus. Er kultiviert durch Weiter-
UNTER DER ERDE Walter Angonese, Silvia Boday, Rainer Köberl:
Weingut Manincor, Südtirol, 2004 Gegenüber
den billigen Weinen der Region Kalterer See
setzt der Önologe Michael Graf Goëss-Enzenberg
auf Qualität. Nun ist ein neues Kellergebäude
entstanden, das weitgehend unterirdisch organi-
siert wurde. Eine starke Erdschicht gewährt
ein konstantes Kellerklima – und überdies gelang
es, die Baumasse in die Hügellandschaft einzu-
betten.
1
2
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39
bauen, Weiterspielen, Weitermachen den Bestand – im Falle
von Manincor auch das Produkt, den Wein auf seine Weise:
«Das eingeschränkte Gesichtsfeld kann eine unbestechliche
Genauigkeit der Beobachtung zur Folge haben. Ein nüchter-
ner, nicht romantisierender Blick auf das Umfeld ist gefragt.
Die unsichtbaren Hilfslinien kommen zum Vorschein. Jetzt
heisst es: Weiterbauen, historische Wucht von Burgmauern
begreifen lernen und leichte architektonische Elemente an-
lehnen.»
Der Architekt lud zwei Kollegen ein – die junge Meranerin
Silvia Boday und den Innsbrucker Rainer Köberl –, gemein-
sam den Kellerneubau zu erstellen. Rainer Köberl kann einen
überschaubaren Werkkatalog vorweisen: Die Liste der
Preise, Nominierungen und Ausstellungsbeteiligungen ist
fast ebenso lang wie die der Bauten. Zeit ist ein Faktor, der
sich auf die Qualität auswirken kann, und dieses Verständnis
scheint das Triumvirat der Architekten mit dem Bauherren in
aller Gelassenheit zu teilen. Als Resultat einer dreijährigen
Planungs- und Bauphase entstand ein monolithischer, vor Ort
gegossener Betonbau. Das unterirdische Gebäude wurde öst-
lich des bestehenden Ansitzes in den Weinberg eingefügt
und übernimmt alle topografischen Vorgaben dieses Ortes.
Nur einzelne Bauteile (Einfahrten, Verkostung und Verkauf)
der auf drei Geschosse verteilten, insgesamt 30000 Kubik-
meter Bauvolumen bei 3000 Quadratmeter bebauten Fläche
treten oberflächlich in Erscheinung. Das jahrtausendealte
Thema Weinkeller wurde unter Ausnutzung des geophysika-
lischen Potenzials und auf ausgereiften önologischen Erfah-
1–3 Ebenen +1und –1 sowieSchnitt 1 :1000
4 + 5 Der Neubauverbirgt sich imHügel, von aussentreten nur wenigeTeile in Erschei-nung(Fotos: WalterNiedermayer)
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Der «Bierpinsel» in Berlin-Steglitz An einer Kreuzung diverser
Infrastrukturachsen entstand vor 30 Jahren in Berlin-Steglitz
der «Bierpinsel», ein aufgeständertes Restaurantbauwerk, das
damals die Visionen der Zeit verkörperte und heute als Ikone
der Siebzigerjahre-Architektur ein neues Potenzial besitzen könnte.
60 archithese 3.2004
BIER TRINKEN ÜBER DEM STÄDTISCHEN CHAOS
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Text: Ulrich Brinkmann
Mit einer geballten roten Faust habe er seine Karriere be-
gonnen, scherzt Ralf Schüler im Rückblick auf den gemeinhin
als Bierpinsel bekannten, 1976 fertig gestellten Turmbau,
welcher sich, weithin sichtbar, über dem U-Bahnhof Schloss-
strasse im Berliner Bezirk Steglitz erhebt. Die Zeit ist reif, mit
dem 73-jährigen und seiner Büro- und Lebenspartnerin Ursu-
lina Schüler-Witte über ihren Erstling zu sprechen. Denn zu
entdecken ist ein vielleicht skurriles, gewiss eigenwilliges,
architektonisch aber wohl durchdachtes Gebäude, welches
viel zu lange die Schmähungen all jener auf sich gezogen hat,
die am liebsten die ganze Stadt in Wärmedämmverbundsys-
tem-Klassizismus einpackten hätten, um allenfalls als Ikone
im Zuge des Seventies-Revival Gnade zu finden. Denn warum
eine Architektur wie diese heute, in Zeiten fortdauernder
Krise und allgemeiner Ratlosigkeit, wieder zu faszinieren ver-
mag, liegt weniger in ihrer formalen Eigenwilligkeit begrün-
det als im Überschuss ihres Optimismus, in ihrem Glauben an
die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft.
Als die Kanzel mit ihren drei Restaurant-Ebenen 1977 er-
öffnete, waren neun Jahre Planung und fünf Jahre Bauzeit
verstrichen, waren fünf Projektstufen durchgearbeitet und
drei Eigentümerwechsel überstanden, hatte man für die Su-
che nach Mietern eigens eine im Chic der Zeit gestaltete DIN
A3-Mappe aufgelegt, welche die vielen Nutzungsmöglich-
keiten darlegte (zwischenzeitlich hatte die sowjetische Han-
delsmission ernstes Interesse gezeigt; am Bild der «Roten
Faust» dürfte sie Gefallen gefunden haben), es war ein Bau-
stopp verhängt – und leider auch ein Architektenwechsel
vollzogen worden. Denn nun gehörte das neue Wahrzeichen
des Berliner Südwestens der Wohnungsgesellschaft BEWOGE,
und die hatte ihre eigenen Vorstellungen von gastronomi-
schem Ambiente: Anders als etwa beim ICC am Autobahn-
dreieck Funkturm, welches dieses Jahr seinen 25. Geburtstag
feiert, blieb es den Schülers jedenfalls verwehrt, ihr futuri-
stisch anmutendes Objekt adäquat auszustatten – etwa im
Sinne einer «Luftschiffkanzel».
Langwierige Planungsgeschichte
Unzählige Ordner, darin unübersehbar viele Mappen, darin
unabschätzbar viele Zeichnungen stapeln sich auf dem Tisch
in der von Erich Mendelsohn entworfenen Wohnung der Ar-
chitekten in der Charlottenburger Cicerostrasse. Die beiden
spielen sich die Stichworte und Erinnerungen zu, dass es
eine Freude ist, aber zugleich volle Konzentration abverlangt,
um die Ereignisse nicht zu verwirren. Alles begann mit dem
Auftrag, den neuen U-Bahnhof Schlossstrasse zu gestalten.
Fünf Ebenen sollten sich mit dem Umsteigebahnhof an die-
sem Punkt des Stadtplans mit grossstädtischem Treiben
gegenseitig überbieten: zwei Ebenen für die U-Bahnlinien 9
und 10 (letztere wurde allerdings nie in Betrieb genommen),
eine Verteilerebene mit Läden, die Schlossstrasse, Hauptge-
schäftstrasse des Berliner Südwestens, zuletzt die Hoch-
trasse der Schildhornstrasse, welche zum Autobahnkreuz
Wilmersdorf und zu einer weiteren Ikone der Siebziger-
jahre-Architektur, der Autobahnüberbauung Schlangen -
bader Strasse, führt. Warum das Ganze nicht mit einem
Ruhepunkt krönen, von wo aus sich die städtische Betrieb-
samkeit überblicken liesse; einem Ruhepunkt, der in den bei-
den Sichtachsen Schlossstrasse und Schildhornstrasse für
Orientierung sorgen könnte? Der Senat zeigte sich aufge-
schlossen für die Idee der Architekten, sofern sich denn ein
1 Rückansicht von der Schnell-strasse aus(Fotos 1+3: MilaHacke)
2 Gesamtansichtvon der Strassen-ebene aus(Foto: Udo Meinel)
3 InnenansichtGaststättenebene
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Jean Nouvel: Brasserie Schützenberger, Strasbourg
Im Zentrum von Strasbourg ist vor vier Jahren eine Brasserie
eingerichtet worden, welche den Namen der elsässischen Brauerei
Schützen berger trägt. Sind die Zeichen der Abnutzung auch
tagsüber unübersehbar, so fasziniert die irritierende Belichtung
des Abends stets aufs Neue.
ABENDLICHES MIRAKEL
Text: Uwe Hinkfoth
Trocken-melancholisch und spröde am Tag, aber feuchtfröh-
lich und schillernd in der Nacht zeigt sich diese Brasserie im
Herzen von Strasbourg. An der Einmündung der Rue des
Grandes Arcades in die Place Kléber gelegen – also unweit
der legendären Aubette, deren Innenräume Theo van Does-
burg, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp in den Jahren
1926 –1928 im Stil der Neuen Sachlichkeit umgestaltet hat-
ten — ist auch hier das Thema Sanierung, Umwidmung: Be-
griffe, die Jean Nouvel an sich nicht mag. Folgt man seinen
Worten, so leben wir in einer Epoche der Veränderung: «Au-
jourd’hui la piste la plus productive c’est celle de la modifica-
tion.» Der Auftrag bestand darin, zwei historische Gebäude,
die durch einen überbauten Innenhof miteinander verbunden
sind und zusammen einen längsrechteckigen, allzu schmalen
Grundriss bilden, für eine Brasserie heutigen Geschmacks
dienstbar zu machen – den Architekten reizte die Aufgabe,
das Vorhandene mit Leben zu füllen. Im verdichteten Wohnen
und Arbeiten der Altstadt von Strasbourg findet sich wenig
Spielraum für Neues, – und wenn, dann im Innern eines his-
torischen Gebäudes, dessen Aussenbild aber von Eingriffen
weitgehend bewahrt sein soll. Bei der Einrichtung der neuen
Brasserie liess man den Bereich der beiden unteren Stock-
werke nicht unangetastet. Das Geschäftshaus aus den Zwan-
zigerjahren, dessen Geschoss-, Trauf- und Firsthöhe und
dessen Fensterformate nicht am historisch gewachsenen
Umfeld orientiert waren, erhielt durch Nouvel eine sachliche
Eingangszone. Zwischen mächtigen Pfeilern aus rotem Sand-
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78 archithese 3.2004
A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Dreiecke, zersplittertPÉRIPHÉRIQUES: NOUVEAU CASINO UNDDE LA VILLE CAFÉ, PARISZwei Entwürfe der Pariser Gruppe Péri-
phé riques bereichern bestehende Gastro-
nomie lokale um neue Räume, welche
mit feiner Ironie den Eingriff in historische
Strukturen thematisieren. Die Beschäf-
tigung mit Form, Material, Raum und Oberflä-
che und das Spiel mit den Erwartungen
des Betrachters lassen erstaunliche Effekte
entstehen. Beiden Projekten gemeinsam
ist die Verwendung dreieckiger Paneele als
dreidimensionales Mosaik.
Nouveau Casino, 2000–2001
Die Pariser Rue Oberkampf hat sich in den letztenJahren zu einem beliebten Ziel für Nachtschwär-mer entwickelt. Einen Anziehungspunkt bildet derim Sommer 2001 eröffnete Konzertsaal NouveauCasino: Er beherbergt eine Bühne, eine Bar, eineGalerie mit Lounge und Regie-Pult sowie Raum für400 Zuschauer und ermöglicht es, mitten im äus-serst dichten städtischen Gefüge Veranstaltungenmit einer Lautstärke von bis zu 135 dBA durchzu-führen. Der besondere Reiz mag indes in der Kom-bination mit dem traditionellen Café Charbon undin der gelungenen Gestaltung des Innenraumesliegen.
Das Café Charbon stammt vom Anfang des 20. Jahrhunderts und weist diverse Charakteristikaauf, die Einheimische wie Touristen mit einem typi-schen «Café Parisien» assoziieren: hohe Decke,bunter Mosaikboden, Schiefertafel, grosse Spie-gel und Wandmalereien tanzender Damen undHerren. Daran hat sich auch nach dem Umbaudurch Périphériques nichts geändert; neu ist le-diglich, dass das Café Charbon dank der neuenKüchen im Erd- und Untergeschoss als Restaurantbetrieben wird.
Der rückwärtige Teil mit dem Konzertsaal da-gegen ist ein Neubau und auch deutlich als sol-cher zu erkennen. Erschlossen wird der Raum, dermitten in die dichte Blockrandbe bauung eingefügtwurde, entweder durch einen Gang direkt von derStrasse aus oder durch einen Zugang vom Caféher, welcher vollständig mit schwarzen Stahlplat-ten ausgelegt ist. Auch im Inneren herrscht roherStahl als Baustoff vor: Über den Hartbetonbodenwölbt sich eine zersplitterte, aus dreieckigen Stahl-paneelen zusammengesetzte Struktur, die einenhöhlenartigen Raumeindruck entstehen lässt. Zielder Architekten war es, eine an Starwars gemah-nende Atmosphäre zu erzeugen; die Kombinationvon uriger Höhle und metallischem Hightech ist jedenfalls eindrücklich. Die Stahlplatten unter-scheiden sich nicht nur in der Grösse, sondern
1+ 2 Die projizierten Bilderzerschellen an der ausDreiecken zusammenge-setzten Oberfläche(Simulation Architekten)
3 Innenansicht mit Bar austransluzentem Harz undProjektionen(Fotos: Luc Broegli)
4 Grundriss
5 Schnitt
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auch in der Oberflächenbeschaffenheit: Es gibtsie glatt, perforiert – und daher Schall absorbie-rend – oder verspiegelt. Die Fugen zwischen denPaneelen sind offen, dahinter verbergen sichsämtliche technische Installationen. Insgesamt istdie Wand des Gebäudes ein Meter dick, und derKonzertsaal ist als Box in der Box konstruiert, umSchallemissionen zu verhindern.
Die Schwere der Metalloberfläche wird durchden Einsatz des Lichtes gemildert. Kronleuchterhängen von der Decke, und die Bar – ein längli-ches, organisches Gebilde aus transluzentemHarz – kann in verschiedenen Farben von innenbeleuchtet werden. Eine ausgeklügelte Video -inst a l lation ermöglicht es zudem, den ganzenRaum mit Projektionen zu bespielen, die mandurchaus als moderne Nachfolger der Wandmale-reien im Café betrachten kann. Die Bilder zer-schellen an der fragmentierten Oberfläche, wer-den gespiegelt oder überblendet – und das heavymetal verwandelt sich in eine bewegte Tapete.
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