archithese 5.03 - Farbe / La couleur
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Leserdienst 151
archithese 5.2003
September/Oktober
Farbe – La Couleur
mit
architheseFarbe in der Schweizer Architektur:
Gigon/Guyer, Peter Märkli, Patrick Gmür,
Daniele Marques
Burkhalter+Sumi über das Waschschiff von Semper
Die Farblehre von Wilhelm Ostwald
Farbiges Glas in der Architektur
Günter Behnisch, Erich Wiesner, Otto Steidle
Drei Bauten von sauerbruch hutton architekten
Kunst und Licht: Keith Sonnier
Farbgebung und Farbgestaltung
Zaha Hadid Center for Contemporary Art, Cincinnati
smarch Bahnhofshalle Worb
5.2003
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
FarbeLa Couleur
2 archithese 5.2003
E D I T O R I A L
Farbe
Mit dem verschiedentlich publizierten «Aufruf zum farbigen Bauen» suchte
Bruno Taut 1919 Architekten für das Thema Farbe zu interessieren: «An die
Stelle des schmutzig-grauen Hauses trete endlich wieder das blaue, rote, gelbe,
grüne, schwarze, weisse Haus in ungebrochen leuchtender Tönung.» Als Stadt-
baurat von Magdeburg, später als Chefarchitekt der Genossenschaft Gehag in
Berlin setzte Taut sein Konzept einer bunten Stadt um. Auch am Bauhaus in
Weimar und Dessau war Farbe – anders als es die zu Ikonen avancierten
Schwarzweiss-Aufnahmen erahnen lassen – keineswegs verpönt. Die Wieder-
herstellung der von Gropius entworfenen Meisterhäuser an der Burgkühnauer
Allee in Dessau hat unlängst ungeahnt farbige Fassungen der Wände und De -
cken im Inneren offenbart, und auch das Bauhausgebäude selbst war nicht in
strahlendem Weiss gestrichen: Die Balkongitter des Apartment-Traktes bei-
spielsweise leuchteten orange. Denkt man darüber hinaus an das Rot-Gelb-Blau
von De Stijl und die Farben Le Corbusiers, so erweist sich die Farbabstinenz der
klassischen Moderne als retrospektiv appliziertes Ideologem. So ist es kein
Wunder, dass sich in dem die Kanonisierung der Moderne einleitenden Buch
International Style: Architecture since 1922, das Henry-Russell Hitchcock und
Philip Johnson 1932 vorlegten, die Behauptung findet, bei der Anwendung von
Farbe sei Zurückhaltung die allgemeine Regel.
Das Klischee wirkte nachhaltig. Und auch für die jüngere Schweizer Archi-
tektur galt lange als ausgemacht, dass Farbe eher von marginaler Bedeutung
ist. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Gegenbeispielen: Der Bogen spannt sich
von Tita Carlonis rot verputzter Casa del Popolo in Locarno (1969/70) über das
Blaue Haus in Oberwil von Herzog & de Meuron (1979/80) und die Bauten
von Burkhalter + Sumi bis hin zu den jüngsten Projekten von Peter Märkli oder
Gigon/Guyer.
Farbe kann auf verschiedene Weise verwendet werden, wie die Beiträge in
diesem Heft belegen. Die grösste Vielfalt in dieser Hinsicht zeigen die Arbeiten
von Gigon/Guyer: Bald wird ein deckender, bald ein lasierender Farbanstrich
verwendet; mal wird der Beton durchgefärbt, mal finden bunte Glasscheiben
Verwendung. So unterschiedlich die Strategien und die Materialisierungen
auch sein mögen: Letztlich ist die Anwendung von Farbe eine Frage der Intui-
tition. Diese Erkenntnis steht im Gegensatz zu den verschiedentlichen Versu-
chen, Farbe zu verwissenschaftlichen. Stellvertretend für derlei Positionen sei
an die Farblehre von Wilhelm Ostwald erinnert, der vor genau 150 Jahren ge-
boren wurde und mit seiner Farbharmonielehre bei Künstlern und Architekten
am Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst auf Interesse stiess. Doch der mani-
sche Versuch, Farben zu systematisieren, scheiterte.
Sind Architekten aber überhaupt befähigt, Farben selbst zu bestimmen? Oder
bedarf es des Ratschlags eines Farbberaters? Auch hier sind die Positionen
unterschiedlich: Während Otto Steidle oder auch Günter Behnisch immer wie-
der mit dem Künstler Erich Wiesner zusammenarbeiten, wird die Buntfarbigkeit
der Bauten von Will Alsop oder sauerbruch hutton architekten im eigenen Büro
entwickelt.
Redaktion
Carl Krayl: Farb -fassung der Häuser in der Otto-Richter-Strasse, Magdeburg(1920/21), rekon-struiert 2001(Foto: Landes denk-malamt Sachsen-Anhalt)
LICHT BRICHTAUS KUBEN AMHANG
Daniele Marques: Schulhaus Schönenberg, Fribourg Mit drei
anthrazitfarbenen Betonkuben wurde das bestehende Schulhaus
Schönenberg in Fribourg zu einem Ensemble ergänzt. Bemerkenswert
sind nicht nur die Positionierung der Gebäude und deren räumliche
Organisation, sondern vor allem das auf das Innere beschränkte Farb-
konzept des Künstlers Jörg Niederberger, das den einzelnen Bauten
Individualität verleiht, ohne den Ensemblegedanken zu desavouieren.
22 archithese 5.2003
1
23
Text: Francesco Kleeblatt
Der Park des Schulhauses Schönenberg in Fribourg mag einst
als idyllisch bezeichnet worden sein. Er befindet sich ausser-
halb des Kerns der alten Zähringerstadt an einem steil abfal-
lenden Hang mit Blick in das Tal. Doch die Idylle ist gestört:
Hart unterhalb des Parks verläuft die vielbefahrene Ausfall-
strasse Richtung Bern, und oberhalb rückt dem Areal eine
grobschlächtige und grossmassstäbliche Wohnbebauung der
Spätmoderne nahe.
Vom Solitär zum Ensemble
Anlässlich der baulichen Ergänzung galt es mithin nicht nur,
das Schulhaus durch weitere Bauten zu einem Ensemble zu
erweitern, sondern auch, die Gesamtsituation zu optimieren.
Dies betraf insbesondere die bislang unbefriedigende Er-
schliessung.
Insgesamt waren drei zusätzliche Volumina auf dem Ge-
lände zu platzieren: Eine Doppelturnhalle, ein neues Schul-
haus und ein Kindergarten für vier Gruppen.
Daniele Marques konzipierte drei mächtige blockhafte
Volumina, deren Ausrichtung sich an dem bestehenden Ge-
bäude orientiert. Seite an Seite mit dem Schulhaus entstand
die in den Hang versenkte Sporthalle, die am weitesten zur
Kantonsstrasse hin vorstösst und damit nicht zuletzt als
Lärmpuffer wirkt; getrennt werden beide Bauten durch eine
lange Treppenrampe, die den neuen Schulhof mit einem Park-
platz auf der anderen Seite der Route de Berne verbindet. Die
Zufahrt erfolgt über eine Erschliessungsstrasse, die von Nor-
den her an der Rückseite des Schulhauses vorbeiführt.
Das neue Schulgebäude mit seinen drei Geschossen be-
findet sich auf der anderen Seite des bestehenden, ist
jedoch bergseitig zurückversetzt, so dass es mit seiner Stirn-
seite den Eingangs- und Pausenhof optisch begrenzt. Seine
räumliche Fassung zum ansteigenden Hang hin erhält der
Freibereich zwischen den Volumina durch den langgestreck-
ten zweigeschossigen Trakt des Kindergartens – dieser be-
findet sich auf einem höheren Niveau und wird vom Hof aus
durch einen geschwungenen Rampenweg erschlossen. Die-
ser Weg steigt auch jenseits des Kindergartens weiter an und
ermöglicht die Durchquerung des Ensembles und die Verbin-
dung mit dem höher gelegenen Wohngebiet. Die Ensemble-
wirkung der überaus präzise angeordneten Volumina wird
1 Korridor imErdgeschoss desKindergartens (Fotos 1, 3, 9–13:Ignacio Martínez)
2 Diagonal -perspektive durchdas Ensemble.Links angeschnittendas neue Schulhaus,daneben der Altbau,in der Mitte dieSporthalle, rechtsder Kindergarten(Foto: DanieleMarques)
3 InnenansichtKlassenzimmer
4 Situationsplan
2
3
4
32 archithese 5.2003
Die Farbenlehre von Wilhelm Ostwald Der Geburtstag des
Chemikers Wilhelm Ostwald jährt sich in diesem Jahr zum 150. Male.
Seine Farben- und Farbharmonielehre hatte in den ersten Jahr-
zehnten des 20. Jahrhunderts erheblichen Einfluss, nicht zuletzt auf
die bildenden und angewandten Künste, auch wenn Ostwalds
Versuch einer Verwissenschaftlichung der Farbe zum Teil auf heftige
Kritik stiess.
«VERGEUDE KEINE ENERGIE!»
Text: Sally Schöne
«Vergeude keine Energie! Verwerte und veredle sie!» Dieser
Leitspruch des Chemikers Wilhelm Ostwald, geboren 1853 in
Riga, Nobelpreisträger und langjähriger Inhaber des ersten
Lehrstuhls für physikalische Chemie in Deutschland, fand
seine Personifikation in Ostwald selbst. Ostwald war Univer-
salist, arbeitsbesessen, experimentierfreudig und ständig be-
müht, den Arbeitsaufwand so gering wie möglich zu halten.
In diesem Sinne ist sein Engagement für eine effektive Ar-
beitsorganisation und sein Drang zur Schaffung von Ord-
nungssystemen zu verstehen, der in der Entwicklung einer
Farbenlehre gipfelte.
Obsession der Ordnung
Kultur bedeutet Vermeidung von Energievergeudung – so
Wilhelm Ostwald. Den Ersten Weltkrieg, den er zurückge-
zogen mit seiner Familie auf dem Land verbrachte, hielt er für
eine der grössten Energieverschwendungen. Sein Landsitz –
bezeichnenderweise Haus «Energie» benannt – befindet sich
eine Zugstunde von seinem Wirkungsort Leipzig entfernt, in
Grossbothen bei Grimma.
Haus «Energie» existiert noch heute und beherbergt seit
1974 die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte mit fünf original ein-
gerichteten Räumen. Das chemische Laboratorium macht den
Eindruck, als hätte Wilhelm Ostwald gerade eben den Raum
verlassen. Auf dem Arbeitstisch stehen allerlei Geräte, viele
davon selbst gebaut aus Draht und Pappe, Kork, Wäsche-
klammern und Zigarettenkisten. Die umherstehenden und
1 2 3
4 5 6
33
1 Farbkreis mit 24 Farben (achtGrundfarben mit jedrei Abstufungen)
2 Schema desfarbtongleichenDreiecks
3 FarbtongleichesDreieck des zwei-ten Rots; links dieGrauleiter
4 – 6 Drei Bei-spiele «wertglei-cher Farbkreise»
-liegenden Gerätschaften wie auch die etwa 30 000 Bände um-
fassende Bibliothek zeugen von Ostwalds Vielseitigkeit. Sprü-
hend vor Ideen widmete er sich den verschiedensten Themen,
oft scheinbaren Nebensächlichkeiten, die sich plötzlich als
durchaus bedeutsam entpuppten. Ostwald war davon über-
zeugt, dass es nichts Sinnloseres und Ermüdenderes gibt als
die Betrachtung von Dingen, an die man keine Fragen zu stel-
len hat. Ihm stellten sich bei seiner Arbeit immer wieder neue
Fragen. Wie der erhaltene, umfangreiche Schriftwechsel zeigt,
widmete er sich auch mit grosser Anteilnahme Problemen, die
von anderer Seite an ihn herangetragen wurden.
Die Umsetzung der Verbesserungsvorschläge nahm Ost-
wald meist sogleich selbst in die Hand. So kritisierte er – um
nur einige Beispiele zu nennen – die damals noch uneinheit-
lichen Papiergrössen und entwickelte die sogenannten «Welt-
formate», Vorläufer der in den Zwanzigerjahren eingeführten
DIN-Normen. Darüber hinaus propagierte Ostwald eine Welt-
sprache, stellte Überlegungen zu einer «Weltre gistratur» mit
einheitlichen Registraturvermerken an und begründete die
«Brücke». Hauptaufgabe des Vereins «Brücke» – nicht zu ver-
wechseln mit der in Dresden 1905 ins Leben getretenen
Künstlervereinigung – war es, ein umfassendes Informations-
system zu erarbeiten, dass den Forschern die nicht schöpferi-
schen Bestandteile der wissenschaftlichen Arbeit abnehmen
und entsprechende Auskünfte erteilen sollte.
Einen ausserordentlich grossen Teil seines späteren Le-
bens widmete Ostwald der Ausarbeitung von Farbnormen
und Farbharmonien, wovon nicht nur die zahlreichen Pulver,
Pasten, Buntpapiere und Studienblätter auf Tischen und in
Schränken im Haus «Energie» Zeugnis ablegen, sondern auch
die grosse Zahl von Publikationen zu diesem Thema. Verbrei-
tung fand vor allem die allgemein verständlich geschriebene
Farbenfibel, die – 1917 erstmals herausgegeben – 1930 in
15. und zugleich letzter Auflage erschien. Das Spektrum reicht
aber bis hin zu fachspezifischen Aufsätzen in verschiedensten
Zeitschriften, Farbtafeln mit getränkten und gestrichenen
Musterblättchen, Farborgeln, Farbtonleitern, Farbkreisen,
«Harmotheken», einem Wollatlas und vielem mehr, produziert
bzw. vertrieben durch die eigens gegründete Energie GmbH
und den Unesma-Verlag. Die Produkte dienten sowohl An-
schauungszwecken als auch der praktischen Arbeit.
Beginn der Farbsystematisierung
Malstudien, denen Ostwald zur Entspannung von der wis-
senschaftlichen Arbeit und bereits seit Kindestagen nach-
ging, waren der Anlass für Versuche der Farbsystematisie-
rung, denen wiederum zeitökonomische Gedanken zugrunde
lagen. Beschreibt Ostwald in seinen Schriften die Hand-
lungsabläufe beim Malprozess, so stellen sich diese in den
Ausführungen als ausgesprochen langwierig und mühevoll
dar und kaum geeignet, die malerischen Vorstellung adäquat
umzusetzen. Um den gewünschten Farbton zu treffen, müsse
der Künstler – da er mit dem Pinsel keine genau bemessenen
Mengen auftragen kann und Farbreste im Pinsel den Ton ver-
ändern – mehrfach verschiedene Farben zusetzen. Insgesamt
verbrauche selbst der geübte Künstler mindestens neun
Zehntel seiner Zeit zum Mischen – so Ostwald. Die Lösung
des Problems sah der Chemiker in der Herstellung vorgefer-
tigter Farben. «Wir stellen also als erstes Ideal der künftigen
Maltechnik auf, dem Künstler alles Mischen während der Ar-
beit zu ersparen, indem man ihm alle Mischungen zur Ver -
fügung stellt, die er bei der Arbeit brauchen wird.» Dem
Künstler das lästige Mischen zu «ersparen», lag ganz in
den Intentionen, die auch die «Brücke» verfolgte – alle vom
eigentlichen Arbeitsvorgang ablenkende Tätigkeiten sollten
reduziert werden. Da Ostwald keine der bis dahin ausgear-
beiteten Farbenlehren für eine durchgängige Normierung
hinsichtlich Wiedererkennbarkeit und Wiederbestimmbar-
keit geeignet hielt, begann er sich zu Beginn des Ersten Welt-
krieges, im Alter von 62 Jahren, intensiver mit der Ausarbei-
tung einer eigenen Farbsystematik zu beschäftigen.
Seiner Farbsystematik legte Ostwald das Modell eines
Doppelkegels zugrunde. Dieser besteht aus «farbtongleichen
Dreiecken». An der äusseren Spitze befindet sich jeweils eine
der acht gesättigten Hauptfarben – das heisst Farben ohne
Weiss- und Schwarzanteil. Diese sind entsprechend der Be-
zeichnung Ostwalds Gelb, Kress, Rot, Veil, Ublau, Eisblau,
See- und Laubgrün; jede der Farben konnte in drei «gleich-
abständige» Stufen zerlegt oder bei Bedarf noch weiter diffe-
renziert werden. An der zweiten Spitze der Dreiecke steht
Weiss, an der dritten Schwarz. Entsprechend den von Ost-
wald berechneten Schritten (geometrische Reihe) wird dem
gesättigten Ton in Richtung des «reinen» Weiss ein im-
mer grösser werdender Anteil Weiss beigemischt (soge-
nannte «hellklare Farben»); zur dritten Spitze hin entspre-
chend Schwarz («dunkelklare Farben»). Dazwischen – so -
zusagen im Inneren des Dreiecks – liegen die Farben, die
zugleich Schwarz und Weiss enthalten («trübe Farben»). In
der Achse des Kegels sind folglich die Grautöne angeordnet.
Von hier aus nimmt die jeweilige Farbintensität nach aussen
hin zu.
Ostwald legte die Buchstaben a bis t für die Stufen in Rich-
tung Weiss bzw. Schwarz fest und bezeichnete die Haupt -
farben mit Ziffern. Mit einer Ziffer und zwei Buchstaben kann
nunmehr jeder Farbton innerhalb des Kegels verortet werden.
Anwendung der Farbenlehre
Ostwald vermochte offenbar mit seiner Farbensystematik in
weiten Kreisen Aufmerksamkeit zu erregen, zumal er sich
selbst unermüdlich für deren Propagierung und Anwendung
einsetzte. Über den Unesma-Verlag konnten die erforderlichen
Informationsmaterialien und Arbeitsmittel bestellt werden.
Der Deutsche Werkbund (DWB), zu dessen Mitgliedern Ost-
wald seit 1912 zählte, unterstützte die Herausgabe seines
Farbnormenatlasses. Bekanntlich stand der DWB Bestrebun-
gen der Normierung ausgesprochen offen gegenüber. Ostwald
bemühte sich daher, über ihn seine Farbenlehre zu verbreiten.
Mehrfach stellte er seine Forschungsergebnisse im Rahmen
von DWB-Veranstaltungen einer breiteren Öffentlichkeit vor.
In den Mitteilungen des DWB wurden die Reden abgedruckt.
Ein Ergebnis der vielfältigen Bemühungen Ostwalds um
eine Institutionalisierung und Verbreitung seiner Farbfor-
64 archithese 5.2003
Text: Katja Hasche
Raum. Farbe. Licht. Bei vielen von Keith Sonniers Werken
scheinen diese Dimensionen zu einer einzigen zu verschmel-
zen. Der amerikanische Künstler, der sich seit den späten
Sechzigerjahren mit dem Werkstoff Licht auseinandersetzt,
erlangte vor allem auch aufgrund seiner in den letzten
zehn Jahren ausgeführten Aufträge im öffentlichen Raum
internationale Bekanntheit. Keith Sonniers Schaffen auf diese
Arbeiten zu reduzieren, wird dem umfangreichen Werk
jedoch nicht gerecht, zumal seine künstlerischen Strate-
gien und Absichten bereits in den frühen Werken verwurzelt
sind.
Ende der Sechzigerjahre prägte Keith Sonnier zusammen
mit einer Gruppe von Künstlern einen neuen Skulpturbegriff,
der sich über die Gattungsunterschiede zwischen Malerei,
Skulptur, Musik, Film, Architektur hinwegsetzte. Diese Grup-
pe der «New Sculpture», zu der auch Künstler wie Richard
Serra, Barry Le Va und Eva Hesse gehörten, durchbrach die
Räume in einem anderen Licht Bei vielen «Kunst-am-Bau»-Projek-
ten scheint sich eine engere Beziehung zwischen Kunst und Bau
zu entwickeln. Dies zumindest belegen in den letzten Jahren entstan-
dene Gebäude, die schon im Planungsprozess von den Synergie-
effekten der Zusammenarbeit zwischen Architekt und Künstler profi-
tierten. Bei Keith Sonniers Werk steht das Licht im Vordergrund,
das er als architektonisches Element benutzt, um volumetrische Farb -
räume zu gestalten.
KEITHSONNIER:KUNST IM BAU
1
65
strengen Regeln und Prinzipien der Minimal Art. Für ihre
Werke benutzten sie alltägliche Materialien wie Textilien,
Blei, Latex, Glas, Schaumstoff sowie vergängliche Stoffe.
Auch die Ursprünge des architektonischen Umgangs mit
Raum und Zeit in Keith Sonniers Werken lassen sich bereits
in den Werken der Sechzigerjahre finden. Er suchte für seine
Skulpturen nach einer neuen Beziehung zu Boden und Wand
und setzte sich mit dem umgebenden architektonischen
Raum auseinander. Sonniers Ziel war eine ganzheitliche
Wahrnehmung von Kunst, die sowohl auf visueller, akus-
tischer als auch haptischer Erfahrung basierte. Der Prozess
eines Kunstwerks war wichtiger geworden als eine finale
Form. «Ich glaube, das war das Bemerkenswerteste an den
Künstlern meiner Generation, die damals mit den Medien ar-
beiteten, sie forschten.»1
Der Betrachter war nicht länger Konsument, sondern
wurde Partizipient. Die Ausstellungsbesucher wurden ge-
filmt, im Nebenraum projiziert, die Installation «Air to Air»
bestand in einer offenen Telefonleitung, welche die Leo
Castelli Gallerie in New York mit der ACE Galerie in Los An-
geles verband. Auch die Serie «BA-O-BA», die sich durch
Keith Sonniers Werk zieht, beruht auf dem Konzept der inter-
aktiven Licht- und Raumerfahrung, wie schon der kreolische
Begriff «Baden im Mondlicht» veranschaulicht. Sonnier
wählte den Begriff als Tribut an seine Heimat in Lousiana, wo
er in einer Cajun-Gemeinschaft mit französischen, englischen
und afrikanisch-kreolischen Wurzeln aufwuchs.
Seit 1968 beschäftigt sich Sonnier mit Neon. Als in Ame-
rika weitverbreiteter Werbeträger war Neon Symbol eines
Lebensgefühls geworden: «Es war überhaupt die stärkste re-
ligiöse Erfahrung in Louisiana: Spät nachts vom Tanzen zu
kommen, über dieses flache Land zu fahren und plötzlich Wel-
len von Licht zu sehen, die sich im dichten Nebel auf und ab
bewegen.»2
Lichtweg
Um eine weitere Dimension der Interaktion von Betrachter
und Kunstobjekt zu erreichen, installiert Sonnier Kunstobjek-
te auch ausserhalb von Museen. Durch ihre Position im öf-
fentlichen Raum werden diese Arbeiten Teile des alltäglichen
Lebens. Sie sind einem breiten Publikum zugänglich und ha-
ben eine längere Lebensdauer als Museumswerke. Viele von
Sonniers Arbeiten in der Öffentlichkeit nehmen Bezug auf
Verkehrssysteme und Bewegungen im Raum.
Keith Sonniers grösste Lichtinstallation dieser Art ist der
«Lichtweg» im weissen Flughafen München (Busso von
Busse) von 1989 – 92. Der Installation liegt der Gedanke zu-
grunde, dass der Flughafen oft der erste und letzte Ort ist,
den man von einer Stadt sieht, und dass unter dieser Prä-
misse ein dauerhafter Eindruck umso wichtiger erscheint.
Dort, wo die Menschen auf dem Weg sind, entweder gerade
ankommen oder bald abreisen, begleitet der «Lichtweg» das
Personen-Transport-System unterhalb der Ankunfts- und Ab-
flugbereiche im Terminal 1. Keith Sonnier wurde von Anfang
an in den entwurfsplanerischen Prozess miteinbezogen. Im
Bereich des «Lichtwegs» konnte auf Werbeflächen sowie auf
eine Ornamentierung des Fussbodens verzichtet werden. Der
Künstler spielt bewusst mit den architektonischen Elemen-
ten, indem er beispielsweise die Heizstäbe wie Imitate von
Neonröhren in die Wandpaneele integrierte.
Der 1000 Meter lange Gang des «Lichtwegs» bietet einem
keine Möglichkeit, das Kunstwerk von einem einzigen Stand-
ort aus zu betrachten. Die Dynamik der an sich statischen
Lichtinstallation wird erst durch die Bewegung des Reisen-
den erzeugt. Die Fernwirkung des Kunstwerkes scheint da-
bei grösser als die Nahwirkung, da die in der Ferne verdich-
teten Farbfelder sich beim Nähern in einzelne Lichtquellen
auflösen. Der Gang ist in fünf rote Lichtzonen unterteilt, die
sich mit vier blauen Lichtzonen abwechseln. In den einzelnen
Zonen beleuchten die durchlaufenden farbigen Neonröhren
jeweils die Seite des Ganges, an der auch das Rollband läuft.
Diese Position wechselt immer zwischen den verschiedenen
Farbzonen von rechts nach links. Dadurch wird der ansonsten
sehr langgezogene, strenge Raum in einzelne Segmente ge-
gliedert. Während die roten Zonen den Passagier auf seiner
Reise begleiten, wird der Gang in den blauen Zonen durch
Aufenthalts- bzw. Eingangsbereiche unterbrochen und vom
Tageslicht erhellt. Dies findet auch in der Lichtinstallation
Ausdruck, indem in den roten Zonen die zusätzlich installier-
ten farbigen Lichtquellen, Spiegel und Gläser lebendiger ge-
staltet sind als in den blauen Zonen.
Insgesamt ist die Lichtinstallation so stark in das Gesamt-
geschehen des Flughafens miteinbezogen, dass man sie auf
den ersten Blick nicht als Kunstwerk wahrnimmt. In den meis-
ten Bereichen scheint sie von ihrer Intensität her den Raum
eher zu begleiten als zu bestimmen. Am stärksten kann sich
die Wirkung der Lichtinstallation an den beiden roten Rand-
bereichen entfalten, wo die äusseren Einflüsse am gerings-
ten sind.
Während nach Sonniers Auffassung Kunst im öffentlichen
Raum auch die Aufgabe hat, diesen lesbarer zu machen, ver-
steht er seine Arbeiten im öffentlichen Raum dennoch nie als
primär funktionelles Leitsystem.
Verbindung RotBlauGelb
Keith Sonniers leuchtender unterirdischer Gang der Münch-
ner Rück vereinnahmt durch seine ästhetische Farbigkeit, die
erst beim Entlangschreiten des Ganges eine subtile, viel-
schichtige Wirkung entfaltet. Der Gang ist niedrig und breit,
wodurch die horizontalen Elemente Decke und Boden betont
werden. Die in die modulierte Decke integrierten Neonröh-
ren schaffen durch ihre parallele Aneinander reihung einen
intensiven Farbhimmel. Abwechselnd taucht man in rote,
blaue, gelbe Farbräume ein, die sich an den Übergän-
gen zu neuen Farben mischen. Vor allem der Übergang von
kalten zu warmen Farben erzeugt eine hohe Spannung. Die
Lichtquellen schaffen Farbe als räumliche Volumina. «Für
mich war Licht stets eine Möglichkeit, volumetrische Räu-
me innerhalb eines schon bestehenden Raumes zu schaf-
fen.»3
Der geschliffene und mehrfach lackierte Industrieboden
öffnet den Raum optisch nach unten hin und reflektiert
1 Die Lichtinstal-lation «BA-O-BA» in der Neuen Natio-nalgalerie Berlin im Winter 2003/03beschränkte sichauf die Primärfar-ben Rot, Gelb undBlau. Keith Sonnierinterpretiert das von Mies van derRohe erbaute Gebäu-de mit einem redu-zierten, strenggegliederten Licht-gitter. Bei Däm-merung entsteht derDialog zwischen der nüchternen Stahl-architektur und denleuchtenden Neon-farben. Die an denFenstern angebrach-ten Neonröhrenspiegeln sich in die-sen wider underleuchten den In-nenraum von aussenher. (Foto: Christian Gahl)
86 archithese 5.2003
A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Architektur als Alchimie
SMARCH: BAHNHOFSHALLE WORB DORF, BE, 2000 – 03Bahnhof, Remise und Parkhaus zugleich,
lässt sich die neue Bahnhofshalle in Worb als
Zweckbau verstehen. Doch sie ist mehr als
dies: ein Gebäude, an dem sich der Übergang
eines Dorfes zu einer suburbanen Vorort -
gemeinde kristallisiert.
Der Umgang mit Bahnhöfen unterliegt heutzutagedem Primat ökonomischer Verwertbarkeit. GrosseBahnhofskomplexe, und seien sie auch so un-glücklich konzipiert wie der Hauptbahnhof Bern,werden zu «Railcities» umgerüstet, und die Wegezu den Bahnsteigen verwandeln sich in Zentrifu-gen zur Auspressung von Kaufkraft. RäumlicherLuxus – wie man ihn in der neuen Passerelle desBahnhofs SBB in Basel erahnen mag – finanziertsich durch die Vergrösserung von Geschäfts -flächen. Die historischen Baulichkeiten wie Emp-fangsgebäude oder Güterschuppen hingegenwerden gemäss dem neuen Regionalbahnkonzepteher als Last empfunden, welche man gerne in lo-kale Trägerschaft übergibt, falls nicht der Abrissdie kostengünstigere Variante darstellt.
Hybrid und pragmatisch
Auch die neue Bahnhofshalle des RegionalverkehrsBern-Solothurn (RBS) verdankt ihr Entstehen zu-nächst einmal wirtschaftlichen Überlegungen.Ausgangspunkt war eine Kapazitätserhöhung derWorblentalstrecke zwischen Hauptbahnhof Bernund Worb: Die Zugtraktionen sollten bis 2002durch vereinfacht zu betretende Niederflur-Mittel-wagen ergänzt und somit von vierzig auf sechzigMeter verlängert werden. Züge dieser Länge aberkonnten im Depot Worbboden nicht mehr ein-gestellt werden. Schliesslich entschied sich die Leitung des RBS gegen eine Vergrösserung der vorhandenen Zugremise und stattdessen für die Errichtung einer Halle an der Endstation WorbDorf. Diese dient während der Betriebszeiten als
Bahnhof, abends aber als Schuppen, der durchRolltore verschlossen ist, die Züge somit vor po-tenziellem Vandalismus bewahrt und überdiesauch noch Leerfahrten ins Depot überflüssigmacht. Um Pendler zum Umsteigen auf die Bahnzu animieren, mussten zudem insgesamt achtzigAutostellplätze integriert werden, die dann zur Ko-finan-zierung des Vorhabens durch die «Park-and-Ride Region Mittelland AG» führten. Zu konzipie-ren war mithin ein hybri des, von seiner Konzeption her überaus pragmatisches Gebäude: Bahnhof,Parkhaus und Remise zugleich. Die Komplexitätder Entwurfsaufgabe indes bestand weniger in derAggregierung von Funktionen als in der Frage derIntegration des durchaus nicht unerheblichenBauvolumens in das Ortsbild.
Das Projekt des Berner Architekturbürossmarch von Ursula Stücheli und Beat Mathys, prä-miertes Resultat des Gutachterverfahrens ausdem Jahr 2000, überzeugt, weil es dem Pragma-tismus der Entwurfsaufgabe gerecht wird, als Low-budget-Projekt realisiert wurde und doch zu einerformalen Kraft gefunden hat, welche die Kontin-genzen einer Ökonomie der Mittel hinter sich zulassen vermag. Mathys und Stücheli gelang hierein nachgerade alchimistischer Prozess: Ein tech-nisches Funktionsgebäude wurde in ein Bauwerktransformiert, das die Identität des Ortes mass-geblich mitbestimmt. In ihrer städtebaulichen Prä-senz ist die Bahnhofshalle Worb zu einer Architek-tur der Gemeinschaft geworden. Unübersehbarsteht sie für einen grossen Massstab, ist mit ihrertechnoiden Anmutung Zeichen eines Aufbruchsund einer Neudefinition von Worb. Dass man sichvor Ort vorbehaltlos auf dieses Wagnis eingelas-sen hat, kann keineswegs als selbstverständlichbewertet werden und verdient Anerkennung.
Schnittstelle zwischen Stadt und Vorort
Als Agglomerationsgemeinde von Bern hat sichWorb seit den Sechzigerjahren kontinuierlich ent-
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1 Luftbild Worb Rot markiert sind die Worblentallinie des RVB(oben) sowie die Trasse des Stadtberner Trams, die am Bahnhof Worbzusammenkommen
2 Blick entlang derSchmalseite mit Einfahrtzum Parkdeck