archithese 6.09 - Nachhaltigkeit / Sustainability

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archithese Strategies for the Sustainable Turn Minergie – Superlabel in Erklärungsnot Masdar City Energetische Sanierung von Altbauten Regimes of Waste Anzeichen einer «Physiologischen Architektur» «Tropical Architecture» Klimakapseln Minimum Impact House Medienhaus Marburg Thomas Schütte Haus in Südfrankreich Wiedemann /Mettler Wohnhaus Campodels, Chur 6.2009 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Nachhaltigkeit Sustainability

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ZZEITLOS Wenn ein Teppich nicht nur schmuckes Accessoire, sondern modernes Design ist. Wenn seine Ästhetik Räume durchflutetund ein Gefühl von stiller Intimität schafft. Dann steht gewiss der Name TISCA TIARA dahinter. Mit aussergewöhnlichen Materialien undfaszinierenden Strukturen. Für Teppich- und Stoffkreationen von bleibender Schönheit. www.tisca.ch TTHE TOTAL TEXTILE COMPANY

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Minergie – Superlabel in Erklärungsnot

Masdar City

Energetische Sanierung von Altbauten

Regimes of Waste

Anzeichen einer «Physiologischen Architektur»

«Tropical Architecture»

Klimakapseln

Minimum Impact House

Medienhaus Marburg

Thomas Schütte Haus in Südfrankreich

Wiedemann /Mettler Wohnhaus Campodels, Chur

6.2009

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

Nachhaltigkeit

Sustainability

Leserdienst 106

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2 archithese 6.2009

E D I T O R I A L

Nachhaltigkeit

Seit der Klimakonferenz von Kyoto ist der Begriff der sustainability – zu deutsch

Nachhaltigkeit – aus dem Architekturdiskurs nicht mehr wegzudenken. Kaum ein

Haus, kaum eine Siedlung, kaum eine Stadtplanung, die nicht mit dem Label der

Nachhaltigkeit versehen wäre. In der Schweiz setzt man auf Minergie, einen Stan-

dard, der ursprünglich von der Lüftungsindustrie erfunden wurde, inzwischen aber

beinahe zu einer offiziellen Norm avanciert ist. Langfristiges Ziel in Zürich und

anderswo ist darüber hinaus die 2000-Watt-Gesellschaft; erste Projekte wurden

im November im Rahmen der Ausstellung Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft

in Zürich vorgestellt.

Konzepte wie Minergie oder 2000-Watt-Gesellschaft werden mitunter vor-

schnell auf die Frage des energetischen Einsparungspotenzials reduziert. Dabei

muss Nachhaltigkeit komplexer, man könnte auch sagen ganzheitlicher gedacht

werden. Nimmt man die berühmte Trias von Vitruv – utilitas, firmitas, venustas –

als Grundlage, so liegen die Aufgaben einer zukünftigen Architektur auf der Hand:

Es geht um nachhaltige Nutzungen, nachhaltige Baustoffe und Ressourcen, aber

auch um eine nachhaltige Ästhetik.

Daher widmet sich archithese in diesem Heft dem Thema Nachhaltigkeit aus

verschiedenen Blickwinkeln. Konzepte wie Minergie werden ebenso einer kri-

tischen Betrachtung unterzogen wie die vorgebliche Öko-Stadt Masdar; Ideen

der «Tropical Architecture» oder von Klimakapseln zeigen, dass das Postulat der

Nachhaltigkeit keineswegs so neu ist, wie zuweilen behauptet wird. Schliesslich

gelingt es zeitgemässer architektonischer Forschung – etwa von R&Sie(n) – Fragen

der Nachhaltigkeit auf ungewohnte Weise neu zu stellen.

Redaktion

In eigener Sache: Seit Anfang Oktober ergänzt Hannes Mayer das Redaktionsteam.

Hannes Mayer studierte Architektur an der TU Cottbus, TU Eindhoven und der

Bartlett School of Architecture in London, wo er sowohl sein Diplom wie auch sei-

nen Master of Architecture erwarb. Er gründete M-A-O architecture and optimism

in London und hat bereits mehrfach in archithese publiziert.

Ausstellung Bauen

für die 2000-Watt-

Gesellschaft,

Zürich, November

2009, in einer Aus-

stellungsinstalla-

tion von Holzer Kob-

ler Architekturen

(Foto: Stadt Zürich)

121904_225x297_d_K_S1_Arc 1 29.9.2009 11:38:11 Uhr

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A R C H I T E K T U R A K T U E L L

Balanceakt zwischen Kunst und Architektur

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WIEDEMANN / METTLER: WOHNHAUS

CAMPODELS, CHUR

In der unmittelbaren Nähe des Spitals Chur steht

inmitten einer heterogenen, lockeren Überbauung

auf einem steil abfallenden Grundstück ein monoli-

thischer Körper aus Beton.

Das Künstler- und Architektenpaar Pascale Wie-

demann und Daniel Mettler hat sich mit dem Ge-

bäude an die schwierige Symbiose zwischen Kunst

und Architektur gewagt – für eine Bauherrschaft

mit einem hohen Gespür für Ästhetik und grosser

Erfahrung im Bauen und Einrichten. Eine banale Lö-

sung kam zu keiner Zeit infrage; vielmehr sollte das

geplante Haus das Resultat einer ungewöhnlichen

Zusammenarbeit sein: ein wagemutiges Experiment.

Anfänglich bestand die Idee eines Hauses mit

zwei Wohnungen, die über einen von zwei ineinander

verschachtelten Treppen gerahmten Lichtschacht

verbunden sein sollten. Die geplanten Räume waren

offen gestaltet, die Nasszellen mit Ledervorhängen

von den Zimmern abgetrennt; das Konzept scheiter-

te an der Durchführbarkeit hinsichtlich Grösse und

Schallübertragung. Grundrisse und Fassaden waren

eher von visuellen denn von praktischen Aspekten

bestimmt, und so musste das Projekt mehrmals

überarbeitet werden, bis es in seiner heutigen Form

gebaut werden konnte.

Geblieben sind immer noch zwei unabhängige

Geschosswohnungen, die sich um einen unsicht-

baren Mittelpunkt drehen, auch wenn sich das an

Grundriss und Fassade nicht direkt ablesen lässt.

Es handelt sich um ein Haus, das auch an einem

beliebigen anderen Ort stehen könnte; entscheidend

war der Wille zur Form, während der unmittelbare

Kontext, die Topografie und die Orientierung des

Gebäudes eher als nachrangig gewertet wurden. In

einem nur bedingt spezifischen Umfeld besteht eine

denkbare Lösung darin, sich von der städtebauli-

chen Umgebung bewusst zu distanzieren. Hinzu

kam hier eine künstlerische Herangehensweise: die

Gestaltung eines Objektes, das nur für sich alleine

steht und auf nichts Rücksicht zu nehmen hat.

Eine eigentliche Hauptfassade existiert nicht,

Flächen und Fenster wechseln einander ab und

1 Wohnbereich und

Terrasse im 2. OG

(Fotos: Wiedemann/Mettler)

2 Schlafzimmer

3 Aussenansicht

4 Schnitt

verschieben sich zueinander. Die Öffnungen lassen

keinerlei Rückschlüsse auf die innere Raumauftei-

lung zu, das Sichtbetonvolumen wirkt körperhaft und

strahlt eine gewisse Anonymität aus. Der expliziten

Neutralität widersetzt sich allerdings der polygonale

Grundriss – und der offene Abstellplatz mit den bei-

den Eingangstüren, die sich farblich von der zurück-

haltenden Gestaltung absetzen.

Über zwei gegenläufige, miteinander verschränk-

te Treppen gelangt man von der Eingangsebene

aus in die Wohnungen im ersten und zweiten Ober-

geschoss. Nichts wurde dabei dem Zufall überlas-

sen. Vier gleichwertige Räume bilden jeweils eine

Wohneinheit. Der eigentliche Wohnraum öffnet sich

zur Treppe. Das Schlafzimmer, zur Strasse hin ori-

entiert, besitzt direkten Zugang zum Bad, das der

Eingangszone gegenüberliegt. Die Küche zeigt sich

grosszügig und weist im ersten Obergeschoss einen

direkt angegliederten Gartensitzplatz auf. Ein weite-

res Zimmer, über die Küche erschlossen, dient als

Arbeits- oder Kinderzimmer. Im zweiten Geschoss

ist der Wohnraum zugunsten einer introvertierten

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Verwaltungsgebäude der Stiftung Marburger Medien Die Stiftung Marburger Medien wünschte sich für ihr

neues Domizil ein in jeder Hinsicht nachhaltiges Gebäude. In parkartigem Ambiente gelegen, überzeugt das

Medienhaus nicht nur durch ein ausgeklügeltes energetisches und haustechnisches Konzept, sondern auch eine

zeitgemässe Ästhetik, die weder Richtung Öko noch Richtung Hightech tendiert.

MISSION ERFÜLLT

1 Südwestfassade

(Fotos: Walter Mair)

2 Gesamtansicht

3 Büro mit Aussen-

raum

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Text: Hubertus Adam

Mit der Zeit gehen, aber nicht blindlings dem Zeitgeist fol-

gen – so könnte man die Haltung der Stiftung Marburger

Medien umreissen. Vor knapp hundert Jahren als Marburger

Blätter-Mission gegründet, erhielt die Organisation 2001 ei-

nen neuen Namen. Billige Traktate unter die Leute zu brin-

gen – mit diesem Image möchten die heutigen Verantwort-

lichen nicht mehr viel zu tun haben. «Verteilschriften» und

Karten, kleine Präsente, Broschüren und Losungshefte sind

die Produkte, welche über die Stiftung bezogen werden kön-

nen und christliche Werte im Alltag vermitteln. Der Verlag

ist der evangelischen Kirche verbunden, bedient aber auch

katholische oder freikirchliche Auftraggeber. Die Verteilung

erfolgt nach dem Solidarprinzip: Wer Artikel erhalten möchte,

erhält sie gratis, wird aber entsprechend seinen finanziel-

len Möglichkeiten um eine Spende gebeten. Dieses Prinzip

funktioniert offenkundig gut; in den vergangenen Jahren ist

die Zahl der Produkte und daher auch diejenige der Mitar-

beiterInnen gewachsen. Die stiftungseigene Liegenschaft

in der Marburger Südstadt erwies sich als zu klein, und so

entschied man sich zu einem Neubau, der durch den Verkauf

des bisherigen Grundstücks sowie durch Spenden finanziert

wurde. In der Strasse Am Schwanhof, unweit des bisherigen

Domizils, hatte die Stiftung ein Grundstück erworben und

von einem ortsansässigen Architekten ein Bauprojekt erar-

beiten lassen. Als Zweifel an dessen Qualität laut wurden,

begann die Stiftungsleitung, Gespräche mit dem Luzerner

Architekten Luca Deon aufzunehmen, zu dem persönliche

Kontakte bestanden. Und man entschied sich, mit Deon wei-

terzuarbeiten, was ohne Zweifel als ein Glücksfall zu wer-

ten ist. Eines war den Verantwortlichen klar: Ein beliebiges

Renditeobjekt, das nach 25 Jahren abgeschrieben ist, sollte

auf dem Grundstück nicht entstehen. Die christliche Orien-

tierung der Stiftung führte zu einem nachhaltigen Konzept:

Ziel war ein langlebiges Gebäude mit adäquaten Materialien,

niedrigen Unterhaltskosten und minimalen Energieaufwen-

dungen. Ausserdem wünschte man sich ein Bauwerk, wel-

ches das Selbstverständnis der Stiftung auch nach aussen

kommuniziert: Offenheit, Modernität und Transparenz. Als

Christ in der heutigen Gesellschaft zu agieren, so formuliert

es der Geschäftsführer der Stiftung, Jürgen Mette, bedeute,

sich nicht abzuschotten, sich der Gesellschaft gegenüber zu

öffnen und zeitgemäss zu sein.

Innen und aussen

Das Grundstück, das Deon vorfand, zeichnete sich durch ei-

nen parkartigen Charakter aus, und so bildete der Gedanke

eines «Hauses im Park» den Ausgangspunkt seines Entwurfs.

Mit seinen unterschiedlich weit auskragenden Vordächern

und mit seiner zurücktretenden Verglasung – sämtliche

Fassaden sind in Glas aufgelöst – wirkt das dreigeschos-

sige Gebäude, dessen Sockelgeschoss zu zwei Dritteln im

Boden versenkt ist, eher wie ein Pavillon als ein klassisches

Bürogebäude. Dazu passt, dass die Unterseiten der Dach-

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46 archithese 6.2009

Text: Norman Foster

Masdar has far reaching significance in global terms, in that

it tackles design in a holistic sense. It is not specific in terms

of individual buildings, important though they may be. In-

stead it looks at the bigger picture. If energy consumption

is a consequence of demand, then you could argue that de-

mand is a consequence of design – and that everything in our

world is the result of a conscious act of design. In that sense,

you cannot divorce the issue of energy from architecture

and urban planning. But really architecture comes down to

buildings, and urban planning comes down to infrastructure.

Those two elements are normally considered separately, but

Masdar brings them together as its central thesis – and you

can only do that at the level of community planning. That is

what makes Masdar so critically important and progressive

in a global context. Another way of describing this process is

‘urbanisation’. If we look at what urbanisation really means,

The City of the Future Like many Middle-Eastern states, Abu Dhabi built its modern economy on oil production.

However, it has recognized that we must develop alternative energy models if we are to reduce the environmental

impact of our contemporary lifestyles. The Masdar Initiative was established in order to create a model for future

energy security within a wholly sustainable framework.

MASDAR

in an industrialised society, and look at energy consumption,

you find that transport represents some 35 per cent of the

total and buildings 44 per cent. There is a critical interac-

tion between the two in design terms. As we look at global

population and its redistribution, it is also important to note

that that process of urbanisation is changing rapidly. Today,

more people live in cities than in the whole history of civil-

isation and that pattern is accelerating. What took two hun-

dred years in Europe or North America is now taking twenty

years in countries such as China – acceleration by a factor of

ten. It was not that long ago, in 1939, that London was the

most populous city in the world, with a population of 8.6

million, but it has been overtaken by a number of megacities

around the world, with populations in excess of 15 million.

That raises several questions: what are the models for these

new cities; and how do we adapt existing communities to

accommodate rising populations?

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A better world

First, as an optimist, I would say that to believe in a sustain-

able future is to trust that it will result in a better world. The

city of the future has to be a more attractive place in which

to live and work. If Masdar or any sustainable initiative does

not result in a great place to be, if it isn’t a city that you real-

ly want to live in or visit, if it does not lift the spirits, then it

is not fulfilling a central part of its function. Second, to be

sustainable, we have to build for the long term. Flexibility

is a key consideration. Masdar is being planned in 2008 and

will be finished in 2018, so it has to be able to respond to new

technologies that will have an impact on the way we live in

the next ten years and beyond – things which have yet to be

invented and that we can only dream about now.

It would be wrong, however, to focus wholly on technol-

ogy in this context. There is a very simple pyramid diagram

that says the biggest environmental gain really comes from

the least financial investment: it rests on primary decisions

about the city’s orientation and form. This is equally true of

the buildings that separately comprise the city. As you move

closer to the apex of the pyramid – to more active controls –

the environmental gains reduce. However, somewhere in the

middle through passive controls such as responsive shading,

the use of daylight and natural ventilation, you will find very

good value for money. Currently the smaller contributions for

the higher cost are coming from emerging systems such as

photovoltaics. That situation will change of course. In five or

ten years this diagram may very likely be described in differ-

ent terms. However, even if we could reach the point where

we could design a building that consumed zero energy, we

would still have a problem. This is because we also have to

look at transport. If you analyse that energy figure of 35 per

cent, you find that a large majority of it – some 26 per cent

of the energy total – is consumed by people commuting on a

daily basis. Add that to the 44 per cent figure for buildings

and you see that some 70 per cent of all the energy we use is

accounted for by the daily interaction between buildings and

transport systems. Obviously we have to look at this pattern

of consumption in an integrated way if we are to shrink that

figure. (There are complicating factors at play too: you can

have a beautifully designed car that operates on a thimble

full of petrol, but you can still be stuck in a traffic jam.)

Density

There is a crucial relationship in urban terms between energy

consumption and density. The lowest density cities, those

that sprawl, are huge per capita energy consumers. At the

other end of the scale, very high density cities have low levels

of energy consumption. Somewhere in the middle there is an

interesting balance – a city that is high density, economical

and civilised. That city has a mixture of uses; it is socially

diverse; people live and work in the same environment; it

is well served by public transport and the pedestrian experi-

ence is enjoyable. Such cities – Zurich, Geneva, Copenhagen –

become destinations or tourist attractions. In any quality-of-

life survey they come out on top. Interestingly, Hong Kong, one

of the highest density cities, has the greatest life expectancy

of any city. Monaco, which is very high density, also sustains

one of the most affluent communities in the world, even if a

significant proportion of its residences are second homes.

You could polarise it and say that there are traditional cit-

ies that have taken one thousand years to evolve and newer

cities that are perhaps less than one hundred years old –

roughly the same age as the car. What can we learn from

these models? If you take a new city like Detroit and compare

it with an old one like Copenhagen, you find that the old

is twice the density of the new, and the difference in fuel

consumption is a factor of ten. You also have to factor in the

quality of life in terms of downtown Detroit and downtown

Copenhagen.

Interestingly, if you look at densities you find that Monaco

has just over 16,000 people per square km; Hong Kong has

17,000. The most desirable areas of London – Mayfair, Chel-

sea, Knightsbridge – are of remarkably similar densities. Yet,

if one says that the answer is high density, people tend to

assume that they are going to have to make sacrifices, that it

is a poverty driven future scenario. That is why it is critical to

learn lessons from the past. Look at the most desirable areas

of London and you find that they are built to higher densities

than the poorer parts of the city and significantly higher than

typical modern developments. People that live there have

access to public transport; they can walk to a restaurant or

theatre; there are parks and generous public spaces. These

attributes have a value, which is reflected in property prices.

1 Visualisierung

Masdar

(Foster + Partners)

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62 archithese 6.2009

Text: Hannes Mayer

Seit jeher überwältigt die Natur die Menschheit und zieht

sie in ihren Bann. Das Streben, ihre Phänomene verstehen

zu wollen, führte zur Entwicklung der Naturwissenschaften,

das Streben, dieses Wissen zu nützen und von Menschen-

hand auf die Welt zu übertragen, zur Technik. Die Technik

wurde das menschliche Imitat von Natur, jedoch kein auto-

Anzeichen einer «Physiologischen Architektur» Nachhaltigkeit wird als das Wirtschaften im Hinblick auf zukünftige Ge-

nerationen definiert. Der Begriff steht für die Akzeptanz der natürlichen Gesetze und damit für einen Wandel unseres Tech-

nikverständnisses als Gestalter des Fortschritts. Eine Betrachtung möglicher und erster Auswirkungen auf die Architektur.

NATÜRLICHE FASZINATIONEN

nomes, sondern ein im höchsten Masse von der Natur abhän-

giges; eine zumeist zweitklassige Verlängerung mit schlech-

tem Energie- und Kräftefluss. Über lange Zeit schien man

dennoch, geblendet durch den von der Natur geborgten und

in doppelter Hinsicht von ihr angetriebenen Erfindungsreich-

tum, die Technik der Natur als ebenbürtig, wenn nicht gar

als besser gegenüberzustellen. Vorhandene Abhängigkeiten

traten angesichts dieses Fortschritts in den Hintergrund, und

es galt die Welt entsprechend menschlicher Imitate umzuge-

stalten – man wähnte sich autonom. Dennoch ist die Mensch-

heit weit davon entfernt, die natürlichen Prozesse in ihrer

Komplexität und ihren Wirkungsebenen vollständig zu durch-

dringen, und es ist noch stets die Natur, welche das Handeln

des Menschen lenkt und seine Innovationskraft speist. In

diesem Sinne ist das Thema der Nachhaltigkeit weniger ein

Paradigmenwechsel als vielmehr eine neue Stufe von integ-

rierter Intelligenz, ein Fortschritt auf dem Weg, die Technik

als menschliches Imitat wahrlich natürlich zu machen.

Mit dem Nachdenken über das Wirtschaften für zukünf-

tige Generationen verliert das Autonomieprinzip seine Legi-

timität und die Natur wird der Technik wieder als Autorität

und Korrektiv übergestellt. Die damit einhergehenden Unter-

suchungen zur Rohstoffknappheit und der Klimaerwärmung

durch Emissionen verdeutlichen die Grenzen eines linear-

akkumulativen Denkens und des Ideals einer Unveränderlich-

keit auf Basis eines fiktiven autonomen Wirtschaftens.

In Reaktion auf die Auflösung genannter Prinzipien ge-

winnen Konzepte der Lebensdauer, Zersetzung, zu Verfall

und Spaltung sowie Mutation und Veränderung an Bedeu-

tung und untergraben die Relikte einer klassizistisch–mo-

dernen Weltvorstellung. Dessen Stelle nimmt ein Konzept

ein, welches bereits im frühen 19. Jahrhundert mit dem Auf-

kommen der Biologie als Wissenschaftsgebiet beschrieben

wurde: die Ökologie (ecology). Bereits im Jahr 1800 schrieb

1

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2

3

der Naturforscher Georges Cuvier hierzu: «tout être organisé

forme un ensemble, un système unique et clos, dont les par-

ties se correspondent mutuellement, et concourent a la même

action définitive par une réaction réciproque. Aucune des ces

parties ne peut changer sans que les autres changent aussi;

et par conséquent chacune d’elles, prise séparément, indique

et donne toutes les autres.»1 Noch heute gilt die Ökologie im

Kern als das Feld der Wissenschaft, welches die Strukturen

der Beziehungen zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen

zueinander und zur Umwelt untersucht. Grundlage ist also

ein dynamisches System poly-direktionaler Wechselwir-

kungen (Abhängigkeiten), das die statische, klassizistische

Idee einer linearen Verkettung (Konkatenation) ablöst. In der

Folge verlor im 19. Jahrhundert die reine Naturbeobachtung

an Bedeutung und man begann die Funktionsweise von Orga-

nismen zu studieren. Innere Prozesse wurden in Beziehung

zu den äusseren Wechselwirkungen im Lebensraum, dem

Habitat oder Milieu, gesetzt – gemäss dem romantischen Dik-

tum des Mikrokosmos, welcher den Makrokosmos reflektiert.

Mit den Ausweitungen der Analyse, angetrieben durch

die Wissensfortschritte in Chemie und Physik, wurden die in-

neren Gesetzmässigkeiten der Organismen zum Gegenstand

der Physiologie.

Von der Ökologie zum Oikos

In der Architektur tut man sich schwer mit dem Epheme-

ren und Veränderlichen. Die für die Natur kennzeichnenden

Kreisläufe, Wechselwirkungen und Umwandlungen sind

der Architektur weitgehend fremd. Im Bauen sind Zerset-

zung und Verrottung unerwünschte Erscheinungen, deren

Werk es mit Lacken und Pestiziden zu verhindern gilt. Die

Architektur der Romantik zelebrierte zwar die Ruine, doch

sie war als perfekt inszeniertes Ideal eines Stimmungsbildes

keineswegs dem Verfall bestimmt. Cedric Prices mittlerweile

abgerissenes Inter-Action Centre in Londons Kentish Town

von 1976, das als kleiner Bruder des Fun Palace von 1961 und

veränderliche Spielwiese die englische Tradition der Kyber-

netik abbildete, kommt dem Ephemeren und Transformati-

ven nahe. Doch eigentlich widerspricht zuviel gestalterische

Selbstverwaltung der Profession der Architektur.

Mit den Möglichkeiten des Computers und damit einher-

gehenden Steuerungsmechanismen eigneten sich die Archi-

tekten im ausgehenden 20. Jahrhundert jedoch ein Mittel an,

das Gestaltungshoheit über mutative Systeme versprach.

Gleichzeitig entstanden Schnittstellen mit den Natur- und

Ingenieurswissenschaften, denn Daten und digitale Modelle

waren plötzlich austauschbar. Simulationsprogramme für

Wind, Wasser, Kräfte und Strömungen, welche die Erkennt-

nisse der Naturwissenschaften zusammenfassen, bilden

überschaubare Erweiterungen zur herkömmlichen Zeichen-

software. Diese selbst verabschiedet sich langsam von ko-

ordinatenbasierten Systemen (Linie von x/y/z zu x/y/z) und

erlaubt namens- und relationsbasierte, also koordinatenun-

abhängige, dynamische Arbeitsweisen (Linie AB). Mathe-

matisch, physikalisch und geometrisch fassbare Phänomene

lassen sich auf diese Weise direkt in den Entwurf integrieren.

1 R&Sie(n), Things

which Necrose,

Louisiana Museum

of Modern Art,

Humlebæk,

Dänemark 2009

2 R&Sie(n), Things

which Necrose,

Stockholm 2010.

Visualisierung des

geplanten Pavillons

3 R&Sie(n), Things

which Necrose,

Louisiana Museum

of Modern Art,

Humlebæk,

Dänemark 2009 und

Stockholm 2010.

Zersetzungstest des

Biopolymers aus

Maisstärke

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72 archithese 6.2009

Text: Friedrich von Borries

1. Die Rhetorik des Verzichts: Die Mitigationsblase

Fast immer, wenn es heute um Klimawandel geht, reden wir

über Einsparungen – im Fachdiskurs Mitigation bezeich-

net. Meistens sollen die CO2-Emissionen reduziert, manch-

mal auch Baumaterial eingespart, zumindest aber recycelt

werden. Aber wenn wir ehrlich sind, geht es nicht nur ums

Einsparen, sondern auch um etwas anderes: Geldverdienen.

Schliesslich ist nachhaltige Architektur ein Wachstumsmarkt,

und bei steigenden Energiepreisen kann natürlich durch Op-

timierung von Wärmeverbrauch auch Geld verdient werden.

2. Adaptation: Worüber zu wenig geredet wird

Doch ist Mitigation wirklich der Königsweg im Umgang mit

dem Klimawandel? Liest man die Zeitungen, wachsen die

Zweifel, ob in Kopenhagen tatsächlich ein tragfähiger Ent-

schluss über Klimaziele erreicht wird. Und selbst wenn – ob

im Kontext globaler ökonomischer Entwicklungen tatsächlich

die vielfach beschworenen zwei Grad maximale Erwärmung

bis zum Jahr 2050 eingehalten werden können, steht in den

Sternen. Nun könnte man sich den sogenannten Klimaskep-

tikern anschliessen und der Meinung sein, der Klimawandel

werde ohnehin überschätzt. Ist man aber etwas vorsichtiger,

stellt sich die Frage, was passiert, wenn die vorhergesehe-

nen Folgen des Klimawandels tatsächlich eintreten, und wie

man darauf reagieren muss. Denn dann reden wir nicht mehr

nur über Einsparung, sondern über Anpassung – für Archi-

tekten übrigens auch ein attraktiver Wachstumsmarkt.

Fünf Thesen zu Architektur und Klimawandel Wenn Einsparen nicht mehr hilft,

heisst es Anpassen. Anpassungsmassnahmen führen in letzter Konsequenz zu Kapselräumen,

in denen strikt zwischen drinnen und draussen getrennt wird. Ist der Preis für die Klima-

adaptation am Ende die Aufgabe der eigenen Freiheit?

KLIMAKAPSELN

Und auch wenn im öffentlichen Diskurs nur wenig über

Anpassung gesprochen wird – in Forschung und Politik wird

daran gearbeitet. In Deutschland möchte das Umweltminis-

terium bis 2011 einen «Aktionsplan Anpassung» entwickeln,

«um Risiken für die Bevölkerung, die natürlichen Lebens-

räume und die Volkswirtschaft vorzubeugen». Bereits 2006

wurde Kompass, das Kompetenzzentrum Klimawandel und

Anpassung eingerichtet. Ziel ist es, «rechtzeitig und aktiv

auf Klimaänderungen zu reagieren, die bereits nicht mehr

vermeidbar sind». Letztlich hat man in unserer Gesellschaft

mit Anpassungsmassnahmen mehr Erfahrungen als mit Ein-

sparungen. Jeder Deichbau ist nichts anderes als eine Anpas-

sungsmassnahme an eine klimatisch «feindliche» Umgebung.

Dementsprechend wird gerade in europäischen Küstenre-

gionen intensiv an adaptativen Strategien gearbeitet, da hier

die Gefahren des Klimawandels aufgrund von Überschwem-

mungen besonders präsent sind. So forscht beispielsweise

das Projekt Klimzug-Nord disziplinen- und institutsübergrei-

fend an Lösungsansätzen, mit denen künftig Folgen des Kli-

mawandels in der Metropolregion Hamburg begegnet wer-

den kann.

Auch in den USA wird über Adaptationsmassnahmen

nachgedacht; die US Environmental Protection Agency

schreibt: «Adaptation to environmental change is not a new

concept. Human societies have shown throughout history a

strong capacity for adapting to different climates and envi-

ronmental changes. For example, farmers, foresters, civil en-

gineers, and their supporting institutions have been forced

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to adapt to numerous challenges to overcome adversity or

to remove important impediments to sustained productivity.

Examples of adaptation and coping strategies with current

climate fluctuations include farmers planting different crops

for different seasons, and wildlife migrating to more suitable

habitats as the seasons change.»

Dementsprechend werden auch in den USA Anpassungs-

strategien entwickelt. Sie reichen von (praktischen) Ideen

für eine bessere Gesundheitsversorgung bis hin zu Mass-

nahmen zur Sicherung wichtiger Infrastrukturen gegen Zer-

störung durch extreme Klimaereignisse, also Stürme, Über-

schwemmungen, Hitzewellen.

Da wir in einem wirtschaftlichen System leben, in dem

alle Handlungen in finanzielle Werte übersetzt werden, wird

hierbei auch der ökonomische Aspekt des Klimawandels

betrachtet: «For humans, adaptation is a risk-management

strategy that has costs and is not foolproof. The effective-

ness of any specific adaptation requires consideration of the

expected value of the avoided damages against the costs of

implementing the adaption strategy.»

3. Die Ökonomie des Klimawandels: Klimasegregation

Genau so, wie die Vermeidungsstrategien einer wirtschaft-

lichen Logik folgen – wir können weitermachen wie bisher,

nur etwas grüner – haben auch die Anpassungsstrategien

einen ökonomischen Hintergrund: Wir müssen aufpassen,

dass die Schäden nicht teurer sind als die vorauseilenden

Anpassungen. Eine entscheidende Frage bleibt dabei aber

ausgeklammert: Wer kann sich Anpassungsmassnahmen ei-

gentlich finanziell leisten?

Vermeidungsstrategien folgen einem globalen Ansatz.

Denn dem Klima ist es relativ egal, wo das CO2 eingespart

oder nicht eingespart wird. Deshalb sind Vermeidungsstra-

tegien abhängig von Vereinbarungen der Weltgemeinschaft.

1–3 Klimakapseln

in China

(Fotos: Flickr / Ar-chiv von Borries)

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1