Archive am Oberrhein werden digital

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45 Das Stadtarchiv Speyer kann ab Januar 2013 in einem großen deutsch-französi- schen Projekt mitwirken. Das über die Dauer von zweieinhalb Jahren von der Europäischen Union (EU) mit insge- samt 156.000 geförderte Projekt „Grenzüberschreitendes Netzwerk di- gitaler Geschichtsquellen: Archive als Gedächtnisse der historisch gewachse- nen Landschaft Oberrhein“ (kurz: Ar- chives digitales) stellt sich der Aufgabe, die großen und kleinen Archive am Oberrhein in der digitalen Welt „sicht- barer“ zu machen. Hier haben derzeit Museen und Bibliotheken eindeutig „die Nase vorn“. Grenzenlose Zusammenarbeit Projektpartner (sogenannte „Kofinan- zierer“) sind neben dem Speyerer Kommunalarchiv die Archives départe- mentales du Haut-Rhin (Colmar), die Archives départementales du Bas-Rhin (Straßburg), das Generallandesarchiv Karlsruhe und das Stadtarchiv Frei- burg (als offizieller „Projektträger“). Sie repräsentieren die im Interreg-Pro- gramm der EU am Oberrhein invol- vierten Regionen Baden, Pfalz und das Elsass. Über zwei Dutzend weitere Ver- eine, Institute und Archive in Deutsch- land und Frankreich, aber auch in Österreich und der Schweiz, unterstüt- zen das Projekt als zusätzliche Partner. Zu den Unterstützern vor Ort gehören das Bistumsarchiv Speyer, das Landes- archiv Speyer und der Historische Ver- ein der Pfalz. Ein wichtiger „kurpfälzi- scher“ Projektpartner ist das Heidel- berger Institut für fränkisch-pfälzische Geschichte und Lan deskunde unter der Leitung des bekannten Mittelalter- historikers Prof. Dr. Bernd Schneid- müller. Archive am Oberrhein werden digital Stadtarchiv Speyer nimmt an grenzüberschreitendem Projekt teil Auf dem Foto von links: Eric Syssau (Straßburg), Laetitia Brasseur-Wild (Colmar), Wolfgang Zimmermann (Karlsruhe), Joachim Kemper (Speyer), Reingard Wagner (SGD Süd, Neustadt), Bürgermeisterin Monika Kabs, Hans-Peter Widmann (Freiburg), Oliver Bentz (Speyer). Foto: Stadtarchiv Speyer

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Das Stadtarchiv Speyer kann ab Januar2013 in einem großen deutsch-französi-schen Projekt mitwirken. Das über dieDauer von zweieinhalb Jahren von derEuropäischen Union (EU) mit insge-samt 156.000 € geförderte Projekt„Grenzüberschreitendes Netzwerk di-gitaler Geschichtsquellen: Archive alsGedächtnisse der historisch gewachse-nen Landschaft Oberrhein“ (kurz: Ar-chives digitales) stellt sich der Aufgabe,die großen und kleinen Archive amOberrhein in der digitalen Welt „sicht-barer“ zu machen. Hier haben derzeitMuseen und Bibliotheken eindeutig„die Nase vorn“.

Grenzenlose ZusammenarbeitProjektpartner (sogenannte „Kofinan-zierer“) sind neben dem SpeyererKommunalarchiv die Archives départe-mentales du Haut-Rhin (Colmar), die

Archives départementales du Bas-Rhin(Straßburg), das GenerallandesarchivKarlsruhe und das Stadtarchiv Frei-burg (als offizieller „Projektträger“).Sie repräsentieren die im Interreg-Pro-gramm der EU am Oberrhein invol-vierten Regionen Baden, Pfalz und dasElsass. Über zwei Dutzend weitere Ver-eine, Institute und Archive in Deutsch-land und Frankreich, aber auch inÖsterreich und der Schweiz, unterstüt-zen das Projekt als zusätzliche Partner.Zu den Unterstützern vor Ort gehörendas Bistumsarchiv Speyer, das Landes-archiv Speyer und der Historische Ver-ein der Pfalz. Ein wichtiger „kurpfälzi-scher“ Projektpartner ist das Heidel-berger Institut für fränkisch-pfälzischeGeschichte und Lan deskunde unterder Leitung des bekannten Mittelalter-historikers Prof. Dr. Bernd Schneid-müller.

Archive am Oberrhein werden digitalStadtarchiv Speyer nimmt an grenzüberschreitendem Projekt teil

Auf dem Foto von links: Eric Syssau (Straßburg), Laetitia Brasseur-Wild (Colmar),

Wolfgang Zimmermann (Karlsruhe), Joachim Kemper (Speyer), Reingard Wagner

(SGD Süd, Neustadt), Bürgermeisterin Monika Kabs, Hans-Peter Widmann (Freiburg),

Oliver Bentz (Speyer). Foto: Stadtarchiv Speyer

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Grenzen abbauen – Geschichte pflegenWelche Ziele verfolgt das EU-Projekt?In den deutschen und französischenArchiven am Oberrhein werden singu-läre und bis weit in das Mittelalter zu-rückreichende handschriftliche Unter-lagen zur Geschichte unserer Regionverwahrt. Ebenso können grundle-gende wirtschaftliche, soziale und kul-turelle Entwicklungen nachvollzogenwerden. Vereinfacht gesagt müsste dasKulturgut der Archive „Gedächtnis“und „Rückgrat“ jeder touristischenund kulturellen Präsentation und Ver-marktung der Region am Oberrheinsein. Aufgrund verschiedener Barrieren wa-ren diese Dokumente bislang zumeistnur einem kleinen Kreis von Histori-kern und anderen Experten zugänglich:Fehlende Lesekenntnisse der altenSchriften und die Verteilung der Doku-mente auf zahlreiche Archive dies- undjenseits der Grenze stellen bis heute er-hebliche Hindernisse dar. Besondersgravierend wirkt sich die jahrhundertelange Trennung des Kulturguts auf diebeiden Staaten Deutschland undFrankreich aus. Es entstanden „Gren-zen“ in den Köpfen der Historiker undForscher sowie vor allem bei der Be-völkerung der Region, die so gar nichtmehr in die heutige politische Realitätzu passen scheinen, denn historischeGrenzen existierten in unserer Regionerheblich weniger, als wir heute vermu-ten!

Sprachbarrieren abbauenEin grenzüberschreitendes Internet-Portal soll die genannten Hindernisseüberwinden helfen: Die Projektpartnerwollen das historische Gedächtnis desOberrheingebiets virtuell wiederher-stellen und rekonstruieren. Der Öffent-lichkeit soll durch die Verwendung derneuen Medien, moderne Erläuterun-gen zu den Quellen und vor allemdurch eine konsequente Zweisprachig-

keit ein neuer Zugang zu ihrem „Ge-dächtnis“ geschaffen werden. Voraus-setzung hierfür ist eine umfangreicheDigitalisierung von Archivalien, die(natürlich kostenfrei) über ein gemein-sames Online-Portal präsentiert wer-den.

Interaktiv und mit „Blogs“Zentrales Medium für das gesamte Pro-jekt und für dessen Vermittlung in derBevölkerung wird eine zweisprachigeKommunikationsplattform sein: DerInternetauftritt wird in Form einesinteraktiven und für Kommunikationoffenen „Blogs“ vermutlich ab Jahres-beginn 2013 zur Verfügung stehen. Dasdeutsch-französische geisteswissen-schaft liche Blogportal „hypotheses.org“wird den perfekten Hintergrund fürden Internetauftritt des Projekts bilden.

Vom Mittelalter bis zur NeuzeitDie Projektarbeit der Partner wird zu-nächst einen zeitlichen Schwerpunktauf dem Mittelalter sowie in der begin-nenden Frühen Neuzeit (16. Jahrhun-dert) haben. Dies ist unabdingbar, umdie Arbeitsvorhaben nicht zu „beliebig“zu machen. Gerade die mittelalter-lichen Quellen und diejenigen der Re-formationszeit zeigen deutlich, wie we-nig damals Grenzen in den Köpfen derMenschen existierten und Grenzen wieder Rhein „durchlässig“ waren. Dergrenzüberschreitende Aspekt ist sehrstark. Und: Diese historischen Quellensind die wertvollsten Bestände der Ar-chive, sie sind aber gleichzeitig be-sonders schwer zu entziffern und warenbislang nur wenigen Experten zugäng-lich. Eine Ausweitung auf spätere Zeit -räume, also bis zu den großen deutsch-französischen Konfliktlinien des 19. undder ersten Hälfte des 20. Jahrhundertsist vorgesehen. Sie wäre auch eine wich-tige Perspektive, um die Gesamtheitdes Grenzraums in allen Höhen und

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Tiefen, Schwierigkeiten und „Verdrän-gungen“ abzubilden und umfassend zu-gänglich zu machen!

Geschichtlich enge Beziehungen Das Stadtarchiv Speyer verfügt übereine geschlossene, reiche Überliefe-rung der Zeit, als Speyer als Reichs-stadt, aufgrund der dort abgehaltenenReichstage und des Reichskammerge-richts einer der „Zentralorte“ des Hei-ligen Römischen Reiches war. Die Be-deutung seiner Quellen reicht dahererheblich über Speyer hinaus, die Be-ziehungen der Stadt besonders zu denvielen Reichsstädten des Elsass warenerheblich. Das Stadtarchiv wird aus den Archiv-beständen der reichsstädtischen Zeitdiese Archivquellen auswählen, digita-lisieren und über das Portal bereitstel-len. Besonders relevant erscheinenzum Beispiel die für den regionalenHandel, für Wirtschaft, Politik und die„Außenbeziehungen“ der Stadt wichti-gen Verwaltungsbücher und spätmittel-alterlichen Akten des Speyerer Rates.In diesen finden sich etwa oft unbe-kannte Briefwechsel zwischen Speyerund der elsässischen Metropole Straß-burg. Hinzu kommen Archivquellen zuden Reichstagen, zum Reichskammer-gericht sowie zur Reformation. Geplant ist durch die anderen Archivedie umfassende Verfügbarmachungvon Dokumenten zu den BistümernSpeyer, Basel und Straßburg oder auchder „Landvogtei“ Hagenau im unterenElsass. Der aus heutiger Sicht grenzüber-schreitende Aspekt kann gut an denPlänen des Archivs von Colmar ver-deutlicht werden: Hier soll die Herr-schaft Ensisheim präsentiert werden.Ensisheim war lange Zeit Hauptstadtdes habsburgischen „Vorderöster-reich“, das Gebiete auf beiden Seitendes Rheins umfasste. Hier, wie in vie-len anderen Fällen, sind für die jeweils

„andere“ Seite des Rheins wichtigeNeuentdeckungen in den Quellen zuerwarten!

Von der Idee zum ProjektVon der ersten Idee bis zur Antragstel-lung verging nur sehr wenig Zeit: ImDezember 2011 entwickelten der Ver-fasser und der aus dem Elsass stam-mende Historiker Dominique Stutz-mann in Wien am Rande einer Buch-präsentation eine erste Projektskizze.Diese wurde dann im engen Austauschmit weiteren Archiven im Frühjahr2012 zu einem umfangreichen zwei-sprachigen Antrag ausgebaut, der (miteinem gewissen Zeitdruck) im Pro-gramm „Interreg IV Oberrhein (2007-2013) eingereicht und von den Gre-mien bewilligt wurde. Ein erstes Tref-fen der Projektkoordinatoren fand imOktober im Speyerer Stadtarchiv statt.Zum Auftakt des Projekts sind zwei öf-fentliche Veranstaltungen in Straßburgund Freiburg vorgesehen (Februar2013). Weitere grenzüberschreitendeöffentliche Veranstaltungen und ge-meinsame Arbeitstreffen stehen an.Das Stadtarchiv Speyer freut sich, Teileines großen kulturell-historischenNetzwerks am Oberrhein zu sein undist auf den Fortgang des Projekts ge-spannt!

Joachim Kemper

Das Stadtarchiv Speyer ist das ältestekommunale Archiv der Pfalz und zu-gleich eines der ältesten Ämter derStadt Speyer. Es ist seit Mai 2012 Teilder Abteilung „Kulturelles Erbe“(Stadtarchiv, Museen, Gedenkstätten)der Stadtverwaltung Speyer. Die Tradition des Archivs geht bis insMittelalter zurück. Dr. Joachim Kem-per ist seit gut einem Jahr Leiter desStadtarchivs und hat die Digitalisie-rung alter Dokumente vorangetrieben.