Aristoteles - Rhetorik - Anm.4

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IV. Aristoteles' frühe Beschäftigung mit der Rhetorik Nach einer in der Antike verbreiteten Überlieferung hat Aristoteles in der Platonischen Akademie Nachmittagsvorlesungen über die Rhetorik aufge- nommen, mit der Begründung, man könne dem Isokrates dieses Feld nicht einfach überlassen; so heißt es bei Quintilian: „Hier nun begannen die Wege gleichsam auseinander zu gehen. Denn einer- seits hatte Isokrates vortreffliche Schüler in jeder Gattung der Kunst, ande- rerseits aber begann Aristoteles, als Isokrates schon betagt war - brachte er es doch auf volle 98 Jahre -, in seinen Nachmittagsvorträgen, Rhetorik zu lehren, wobei er, wie es heißt, häufig den bekannten Philoktet-Vers ver- wandte: ,es sei schändlich, selbst zu schweigen und einen Isokrates reden zu lassen'. Von beiden gibt es Lehrschriften, jedoch hat Aristoteles seine Lehre in mehreren Büchern niedergelegt. In dieselbe Zeit gehört Theodektes, von dessen Werk oben die Rede war."1 Dass Aristoteles persönlich in die Auseinandersetzung zwischen Isokrates und der Platonischen Akademie verwickelt war, geht auch aus anderen Quellen, wie dem Aristotelischen Protreptikos, hervor.2 Dass die Aristoteli- sche Theorie der Lehre des Isokrates gegenüber polemisch eingestellt war, steht ebenfalls fest. Dass es aber just die Konkurrenz zu Isokrates war, die Aristoteles veranlasste, sich mit der Rhetorik zu befassen, dürfte der Legen- denbildung zuzurechnen sein. Dabei handelt es sich um eine zu durchschau- bare Personalisierung und Psychologisierung; denn um ausgehend von den Platonischen Vorbehalten gegenüber der Rhetorik die Ausarbeitung eines 1 Quintilian, Institutio III 1, 14; der von Aristoteles angeblich verwendete Ausspruch hieß: „cciaxQÔv atcojtäv, 'Iaoxpáxriv ô' èàv Xèyeiv" (turpe ess tacere et Isocratem pati dicere); vgl. u.a. Cicero, De Oratore III 141, Philodem, PériRhetorikês II 50f., Diogenes Laërtios V 3; bei letzterem muss jedoch „Xenokrates" durch „Isokrates" ersetzt werden. Philodems Zeugnis ist Teil einer längeren Polemik gegen Aristoteles' Beschäftigung mit der Rhetorik; vgl. zu den Epikureisch-Philodemischen Aristoteles-Darstellungen Sudhaus (1893) und Dorandi (1994). 2 Vgl. dazu auch P. von der Mühll, „Isokrates und der Protreptikos des Aristoteles", in: Philo- logus 94 (1940/41), 259-265. Unangemeldet | 188.98.182.252 Heruntergeladen am | 09.08.13 11:09

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Rhetorik Anmerkungen 4

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  • IV. Aristoteles' frhe Beschftigungmit der Rhetorik

    Nach einer in der Antike verbreiteten berlieferung hat Aristoteles in derPlatonischen Akademie Nachmittagsvorlesungen ber die Rhetorik aufge-nommen, mit der Begrndung, man knne dem Isokrates dieses Feld nichteinfach berlassen; so heit es bei Quintilian:

    Hier nun begannen die Wege gleichsam auseinander zu gehen. Denn einer-seits hatte Isokrates vortreffliche Schler in jeder Gattung der Kunst, ande-rerseits aber begann Aristoteles, als Isokrates schon betagt war

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    brachte eres doch auf volle 98 Jahre -, in seinen Nachmittagsvortrgen, Rhetorik zulehren, wobei er, wie es heit, hufig den bekannten Philoktet-Vers ver-wandte: ,es sei schndlich, selbst zu schweigen und einen Isokrates reden zulassen'. Von beiden gibt es Lehrschriften, jedoch hat Aristoteles seine Lehrein mehreren Bchern niedergelegt. In dieselbe Zeit gehrt Theodektes, vondessen Werk oben die Rede war."1

    Dass Aristoteles persnlich in die Auseinandersetzung zwischen Isokratesund der Platonischen Akademie verwickelt war, geht auch aus anderenQuellen, wie dem Aristotelischen Protreptikos, hervor.2 Dass die Aristoteli-sche Theorie der Lehre des Isokrates gegenber polemisch eingestellt war,steht ebenfalls fest. Dass es aber just die Konkurrenz zu Isokrates war, dieAristoteles veranlasste, sich mit der Rhetorik zu befassen, drfte der Legen-denbildung zuzurechnen sein. Dabei handelt es sich um eine zu durchschau-bare Personalisierung und Psychologisierung; denn um ausgehend von denPlatonischen Vorbehalten gegenber der Rhetorik die Ausarbeitung eines

    1 Quintilian, Institutio III 1, 14; der von Aristoteles angeblich verwendete Ausspruch hie:cciaxQv atcojtv, 'Iaoxpxriv ' v Xyeiv" (turpe ess tacere et Isocratem pati dicere); vgl.u.a. Cicero, De Oratore III 141, Philodem, PriRhetoriks II 50f., Diogenes Lartios V 3; beiletzterem muss jedoch Xenokrates" durch Isokrates" ersetzt werden. Philodems Zeugnisist Teil einer lngeren Polemik gegen Aristoteles' Beschftigung mit der Rhetorik; vgl. zu denEpikureisch-Philodemischen Aristoteles-Darstellungen Sudhaus (1893) und Dorandi (1994).

    2 Vgl. dazu auch P. von der Mhll, Isokrates und der Protreptikos des Aristoteles", in: Philo-logus 94 (1940/41), 259-265.

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  • 1. Die Theodekteia 225

    rhetorischen Handbuches fr gut zu heien, ist in erster Linie eine sachlicheNeueinschtzung der Rhetorik erforderlich, die sich durch den Hinweis aufeinen ueren Anlass, die Konkurrenzsituation verschiedener Schulen inAthen, nicht ersetzen lsst.

    Wie auch immer man die Zuverlssigkeit dieser Berichte im Einzelnen ein-schtzt, gibt die Nachricht von den frhen Nachmittagsvorlesungen ber dasThema Rhetorik Anlass zu der Frage, inwiefern sich diese in namentlich be-kannten oder berlieferten Werken des Aristoteles niedergeschlagen haben.Dabei sind folgende Mglichkeiten zu bercksichtigen: (i.) Die frhen Rhe-torikvorlesungen knnten mit den von Aristoteles selbst im dritten Buch derRhetorik zitierten Theodekteia identisch sein; jedoch ist umstritten, ob Aris-toteles selbst der Autor dieser Schrift gewesen ist. (ii.) Knnten die frhenVorlesungen ber Rhetorik dem Standpunkt entsprechen, der auch in demverlorenen Dialog Gryllos entfaltet wurde? Die Nachricht ber die Thesendieses Dialogs sind jedoch nicht eindeutig, so dass sich von dieser Seite herkeine gehaltvollen Schlussfolgerungen ber den Charakter der Aristoteli-schen Nachmittagsvorlesungen ziehen lassen, (iii.) Die frhen Vorlesungenknnten das Material wiedergegeben haben, das Aristoteles in der TechnnSynagoge ber ltere Rhetoriklehrer zusammengetragen hat. Dass der unserhaltenen Rhetorik frhere Auseinandersetzungen mit den Lehren voraus-gegangen sein knnten, scheint auch deshalb plausibel, weil Aristoteles in derRhetorik selbst

    -

    ganz gegen seine sonstigen Gepflogenheiten-

    auf die Lehrender Vorgnger nicht weiter eingeht bzw. sie als bekannt voraussetzt, (iv.)Schlielich bleibt aber auch die Mglichkeit zu bercksichtigen, dass die unserhaltene Schrift Rhetorik in bestimmten Teilen Auszge aus den frhen Rhe-torikvorlesungen wiedergibt oder dass die uns erhaltene Schrift aus der ber-arbeitung oder Ergnzung dieser Vorlesungen entstanden ist.

    1. Die TheodekteiaAm Ende seiner Ausfhrungen ber die Periode in III 9, 1410b2-3, verweistAristoteles auf ein rhetorisches Lehrbuch mit dem Titel Theodekteia: DieAnfnge der Perioden sind so beinahe vollstndig in den Theodekteia aufge-zhlt." Die Urheberschaft dieser Schrift ist schon in der Antike ungewiss,wie u. a. die folgende Bemerkung des Quintilian zeigt:

    ...Auch Theodektes weicht von dieser Ansicht nicht ab, sei es, dass das

    Werk ber Rhetorik, das seinen Namen trgt, sein eigenes ist, oder sei es,dass es, wie man glaubte, (ein Werk) des Aristoteles ist."3

    3 Quintilian, Institutio II 15, 10.

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  • 226 IV. Aristoteles' frhe Beschftigung mit der RhetorikAuch in der modernen Forschung ist unklar, wessen Schrift sich hinter die-sem Titel verbirgt.4 Theodektes, der mit Sicherheit zunchst unter dem Ein-fluss des Isokrates stand und eine der Isokrateischen Auffassung verwandteLehre ber die Einteilung der Rede vertrat, war in einer spteren Lebens-phase offenbar dem nheren Umkreis des Aristoteles zuzurechnen.5 Soknnte es sein, dass Aristoteles eine Schrift des Theodektes als die Material-vorlage eines befreundeten Rhetorik-Experten ansah und als solche aus-drcklich anfhrte oder auch stillschweigend als Vorbild nahm. Mglichwre aber auch, dass er einer eigenen Schrift ber Rhetorik diesen Titel gab,um damit einen befreundeten Rhetorik-Lehrer zu ehren. Wre Letzteres derFall, dann wrde Aristoteles in III 9 ein frher verfasstes eigenes Werk an-fhren, und ein solches Frhwerk ber Rhetorik wrde man plausiblerweisemit den oben angefhrten rhetorischen Nachmittagsvorlesungen in Verbin-dung bringen.

    Der vehementeste Vertreter der Auffassung, bei den Theodekteia handlees sich um ein frhes rhetorisches Werk des Aristoteles ist Diels6. Dabeisttzt er sich auf eine antike Tradition, die sich beim Verfasser des (geflsch-ten) Widmungsschreibens der Rhetorik fr Alexander sowie bei ValeriusMaximus findet. Ersterer betont im Namen von Aristoteles, er selbst habeeine Schrift ber Rhetorik fr Theodektes verfasst.7 Letzterer berichtet,8Aristoteles habe seinem Schler Theodektes eine Schrift ber Rhetorik zurEdition anvertraut und spter zu seinem Missfallen festgestellt, dass sie demTheodektes selbst zugeschrieben wurde.9 Diels bekennt sich ausdrcklich(mit nur einer Einschrnkung) zu dieser Tradition, und schmckt die ber-lieferung dahingehend aus, dass Aristoteles bei seinen Rhetorikvorlesungenzunchst groen Nutzen von dem ehemaligen Isokrates-Schler Theodekteshatte und ihm dann den Text seiner frhen Rhetorik berlie, als er Athenverlassen msste. Zu Beginn von Aristoteles' zweitem Athenaufenthalt stirbtTheodektes; Aristoteles beginnt jetzt wieder mit Rhetorik-Vorlesungen, legt4 Zu einer ausfhrlichen Diskussion der Forschungslage vgl. Chroust (1964).5 Zum Leben und zur Schulzugehrigkeit des Theodektes vgl. Blass (ND 1979, II 441-447).

    Theodektes drfte um 380 v. Chr. geboren sein und starb vor 334 v. Chr. Wie sein erster LehrerIsokrates trat auch Theodektes als Verfasser epideiktischer Reden auf. Bekannt wurde er aberdurch seine Tragdien. Aristoteles zitiert diese in Poetik 16, 1455a8-10 (Tydeus), 18,1455b29-31 (Lynkeus), Rhetorik II 23, 1397b3-5 (Alkmeori), 1399b28f. und 1400a27-29(Aias), II 24, 1401a35-bl (Orest). Der in 1398b5 erwhnte Nomos drfte dagegen eine Redesein, der in 1395a7-9 erwhnte Sokrates eine fingierte Verteidigungsrede des Sokrates.

    6 Vgl. H. Diels (1886, 9ff.).7 Vgl. Rhetorik fr Alexander, 1421a38ff.8 Valerius Maximus VIII 14, 3.9 Der Wortlaut des Valerius-Berichtes lautet: is (Aristoteles; se.) Theodecti discpulo oratoriae

    artis libros quos pro suis ederet donaverat molesteque postea ferens titulum eorum sic aliicessisse, proprio volumine quibusdam rebus insistens, planius sibi de his in Theodectis librisdictum esse adiecit."

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  • 1. Die Theodekteia 227

    aber nicht das von Theodektes inzwischen weiter bearbeitete Frhwerk zu-grunde, sondern beginnt mit dem uns berlieferten Text der Rhetorik, je-doch nicht aus Missmut ber den Ruhm des im Namen des Theodektes ver-breiteten Frhwerks (wie Valerius meint), sondern aus Unzufriedenheit berseine jugendlich unreife Lehre.

    So schn die Geschichte von Diels auch ist, sie ist-

    wie alle anderen Er-klrungen, die die Theodekteia mit Aristoteles' frher Rhetorik gleichsetzen-

    unhaltbar, was Solmsen10 schlssig gezeigt hat. Solmsen bringt dafr imWesentlichen zwei Argumente. Erstens sei Diels Erklrung unmglich,weil er mit einer Edition der Theodekteia rechnet und diese durch den Titel,den sie im Aristotelischen Schriftenkatalog tragen, ausgeschlossen wird:x/vq xq Eoxxou cruvaYCOYq bieten Hesych (74) wie Diogenes (82).Eine auvaYOOYq also der Theodekteischen xxvq hat Aristoteles veranstaltet;ouvYEaffai aber knnen nur LEOJtaQLiva. Der Titel fhrt uns auf einex^vq des Theodektes selbst, die sich in den Hnden verschiedener Leute ...befand und von Aristoteles gesammelt wurde."11 Der Hinweis der Schrif-tenkataloge auf eine Sammlung von Theodektes' Kunst" reicht auch aus frdas einfachere Argument, dass Aristoteles keine Sammlung eines eigenenTextes veranstaltet haben kann, weswegen es bei dem Hinweis auf die Theo-dekteia in III 9 nur entweder um eine fremde Kunst oder um die eigeneSammlung von Bestandteilen einer fremden Kunst gehen kann. Nur mit die-ser Erklrung ist auch der Umstand vereinbar, dass Aristoteles in III 12,1414al9, Lehrstcke der Theodekteia (wenn auch ohne Namensnennung)kritisiert.12 Solmsens zweites Argument gegen Diels besagt, dass die berlie-ferten Nachrichten ber die Aufgabe des Redners und der Rhetorik13 nichtmit der Auffassung von Aristoteles' frher Rhetorik bereinstimmt. Selbstwenn man nicht wie Solmsen zu wissen meint, worin genau die frhe Rheto-rik des Aristoteles bestanden hat,14 bleibt das Argument brauchbar, denn esscheint uerst unwahrscheinlich, dass die frheste Version der Aristoteli-schen Rhetoriklehre einen von Isokrates inspirierten Standpunkt vertretenhaben knnte.

    Die Theodekteia waren also nicht das Werk des Aristoteles, aber eine engeVerwandtschaft zu Teilen der uns erhaltenen Rhetorik gibt es doch; was viel-leicht

    -

    neben der falsch verstandenen Nachricht ber Aristoteles' Samm-

    10 Vgl. F. Solmsen (1932, 144 ff.). (a.a.O., 145).12 Vgl. dazu im Kommentar die Anm. zu 1414al9.3

    EQyov xo qt|xoqo...

    JiQooi[uoaarai jiq Eiivoiav, oiriYfiaaa-frai jiq jnv)avxr|xa,jtiaxwoaodai jiq jiEtfrr, jtiXoyioaoflaL jiq Qyf|v fj 'Xeov" (Prolegomenon Syllog216 (Rabe)).

    '4 Hier bernimmt Solmsen seine schichtenanalytische Erklrung der Rhetorik aus Solmsen(1929).

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  • 228 IV. Aristoteles' frhe Beschftigung mit der Rhetoriklung von Theodektes' Kunst"

    -

    der Grund dafr war, dass in der Antikeber eine Aristotelische Urheberschaft spekuliert wurde. Diese Verwandt-schaft besteht

    -

    ausschlielich-

    fr die Kapitel III 13-19, wo Aristoteles, derselbst der Behandlung dieses Themas zurckhaltend gegenbersteht, offen-bar in groem Umfang von einer ausgearbeiteten Lehre ber die Einteilungder Rede Gebrauch macht. Dass die Quelle fr diese Kapitel des dritten Bu-ches die Lehre des Theodektes gewesen sein knnte, wurde schon von Bar-wick begrndet und von Solmsen im Einzelnen belegt15. Ob dagegen diebereinstimmung dieser Kapitel zur Kunst des Theodektes so weit geht,dass Aristoteles, wie Solmsen meint, aus ihr sogar die Imperativ-Formulie-rungen in III16 und die in der 2. Person formulierten Aufforderungen ber-nimmt,16 ist eher fraglich,17 denn auch wenn diesen Kapiteln offenbar einefremde Theorie zugrunde liegt, zeigen sie durchaus eine kritische und eigen-stndige Durchdringung des Stoffes sowie unverkennbare Indizien fr dieAristotelische berzeugungslehre aus Rhet. I & II. Hinsichtlich einigermangelhaft eingearbeiteter oder geistlos aufzhlender (vgl. III 15) Passagenist aber tatschlich in Betracht zu ziehen, ob nicht die Abhngigkeit dieserKapitel stellenweise sogar die Form reiner Abschrift angenommen hat.

    2. Die Technn SynagogeAm Ende der Sophistischen Widerlegungen hebt Aristoteles hervor, dass dieDialektik eine neu geschaffene Disziplin sei, und fhrt zum Kontrast dieRhetorik als eine Disziplin an, in deren allmhlicher Entwicklung schon ei-niges Material zusammen gekommen sei.18 Gerade vor dem Hintergrunddieser Einschtzung fllt die Auseinandersetzung mit den frheren Lehrernder Redekunst in der Rhetorik berraschend drftig aus; zwar gilt das Kapi-tel Rhet. I 1 zu greren Anteilen der Kritik an den Vorgngern, doch flltdiese Kritik rein summarisch aus. Die entsprechende Lcke wrde geschlos-sen werden durch eine selbststndige Sammlung ber Lehrmeinungen derRhetoriklehrer.19 Dass es eine solche Sammlung gegeben hat, bezeugen die

    15 Vgl. K. Barwick (1922,12): Aristoteles scheint in der Hauptsache die xxv| eines Isokrateersbenutzt zu haben." und (a.a.O., 26): ... wir drfen nun hinzufgen, da dies der von Theo-dektes verfasste Teil (xa|i) der Theodekteia war"; zu Solmsen vgl. (a.a.O., 147ff.), vgl. insbe-sondere (a.a.O., 147): Also zum Nutzen seiner eigenen xxvr| hat Aristoteles die seinesFreundes gesammelt; die Absicht war, sich mir ihr positiv und negativ auseinanderzusetzen."

    16 Vgl. 1417a36ff., 1417b7ff., 1417al und 2 sowie bei Solmsen (a.a.O., 149).17 Noch weniger berzeugend ist dieselbe Vermutung Solmsens fr den Abschnitt I 9,

    1367b36-1368a37.18 Vgl. Soph. el. 34, 183bl7-34.19 Die bei Aristoteles bliche Auseinandersetzung mit den Vorgngern ist durchaus nicht im-

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  • 2. Die Technn Synagoge 229antiken Schriftenverzeichnisse aus Diogenes Lartios und der Vita Hesychii,die auf Position 77 bzw. 71 ein Werk mit dem Titel Texvtv auvaYtOY1)(Sammlung der Knste bzw. der rhetorischen Anleitungen/Handbcher)"anfhren. Auch Cicero bezieht sich in De Inventione auf dasselbe Werk, vondem er sagt, Aristoteles habe darin die Werke der frheren Technographen(scriptores artis) zusammengestellt und kommentiert. Angefangen habe erseinen geschichtlichen Abriss mit Teisias.20

    Einen ersten Eindruck vom Inhalt der Technn Synagoge und der darinentwickelten Genealogie der Rhetoriklehrer erhlt man aus der schon er-whnten Soph. el. -Stelle, wo es mit Blick auf die Entwicklung der Rhetorikheit:

    ... die, die nmlich die Anfnge erfunden haben, sind nur ganz wenig vo-rangeschritten; die aber, die heute berhmt sind, haben es von vielen (Vor-gngern) wie ein Erbe bernommen und haben es, nachdem sie Schritt frSchritt vorangekommen sind, auf diese Weise ausgebaut: Teisias nach denersten, Thrasymachos nach Teisias, Theodoros nach diesem, so haben vieleviele Teile beigesteuert."21

    Nhere Anhaltspunkte ergeben sich, wenn man zwei Textpassagen aus Ci-cero22 und Quintilian23 ber die geschichtliche Entwicklung der Rhetorikheranzieht, die mit groer Wahrscheinlichkeit die Aristotelische Sammlungals Vorlage benutzt haben. Allerdings scheinen auch diese beiden Abrisse derbisherigen Rhetorik neben Aristoteles' Technn Synagoge noch jngere Vor-lagen benutzt zu haben, und auerdem ist fraglich, ob sie Einsicht in dieAristotelische Sammlung selbst hatten oder eine nacharistotelische Bearbei-tung derselben benutzten.24

    Ciceros Abriss der Rhetorikgeschichte25 lassen sich im Wesentlichen fol-gende Punkte entnehmen:

    mer, wie z.B. in Met. I, in den Kontext des Werkes eingearbeitet; so scheint zum Beispiel auchdie Vorgnger-Kritik in Pol. II eine durchaus selbststndige Arbeit zu sein.20 Vgl. Cicero, De Inventione II 6: veteres quidem scriptores artis usque a principe illo atqueinventore Tisia repetitos unum in locum conduxit Aristoteles et nominatim cuiusque prae-

    cepta magna conquisita cura perspicue conscripsit atque enodata diligenter exposuit." Vgl.auerdem Cicero, De Oratore II 160: ... hunc Aristotelem, cuius et ilium legi librum, in quoexposuit dicendi artis omnium superiorum, et illos, in quibus ipse sua quaedam de eadem artedixit".

    21 Aristoteles, Soph. el. 34,183b28-33.22 Vgl. Cicero, Brutus 46-48.23 Vgl. Quintilian, Institutio III 1, 8-14.24 Vgl. Fortenbaugh (1989, 46), Schpsdau (1994, 198).25 Cicero, Brutus 46^48: Itaque ait Aristoteles, cum sublatis in Sicilia tyrannis res privatae

    longo intervallo iudiciis repeterentur, turn primum, quod esset acuta lia gens et controvers(i)anatura, artem et praecepta Siculos Coracem et Tisiam conscripsisse

    -

    nam antea neminemsolitum via nee arte, sed accurate tarnen et descripte plerosque dicere -; scriptasque fuisse etparatas a Protagora rerum illustrium disputationes, qui nunc communes appellantur loci;

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  • 230 IV. Aristoteles' frhe Beschftigung mit der Rhetorik1. Erwhnt werden neben Korax und Teisias: Protagoras, Gorgias, Anti-

    phon, Theodoros, Lysias und Isokrates.2. Die Rhetorik als ars wurde von Korax und Teisias auf Sizilien begrn-

    det, nachdem der Sturz des Tyrannen Prozesse um die Eigentumsver-hltnisse nach sich gezogen hatte.

    3. Es werden auch Autoren aufgefhrt, die selbst keine ars verfasst haben,sondern ihre Redekunst in Form von Musterreden weitergegebenhaben.

    4. Protagoras und Gorgias wird die Entwicklung von spter so genanntenloci communes" zuerkannt, Gorgias besonders solche, die sich auf dasLoben und Tadeln beziehen.

    Der komprimierte Charakter dieser Darstellung lsst natrlich nur wenigRckschlsse auf Einzelheiten der Aristotelischen Vorlage zu. Immerhin je-doch wird einigermaen klar, welche Autoren die Technn Synagoge gesam-melt haben mag. Es zeigen sich hier aber auch Unterschiede zur Genealogieder oben zitierten Soph. el. -Stelle, denn bei Cicero fehlt Thrasymachos, wh-rend in Soph. el. Gorgias berhaupt keinen Platz in der Genealogie der Rhe-torik einnimmt.26 Welche Rckschlsse daraus genau zu ziehen sind, istnicht ganz einfach zu sagen; denn einerseits spricht Aristoteles in Soph. el.so, als gebe er eine lckenlose Abfolge der ersten Rhetoriklehrer, anderer-seits scheint auch ein andersartiger Stammbaum der Rhetorik-Schulen mitEmpedokles an der Spitze auf Aristoteles zurckzugehen: Aristoteles sagtnmlich, Empedokles habe als erster die Rhetorik angestoen".27 Wenn aberEmpedokles in die Geschichte der Rhetorik mit einbezogen wird, dann istauch der Hinweis auf Gorgias, der Schler des Empedokles gewesen seinsoll, nur nahe liegend.28

    Quintilians Bericht bercksichtigt im Unterschied zu Cicero auch dieEmpedokles-Tradition sowie Thrasymachos; erstere fhrt er mit einemKunstgriff an die Korax/Teisias-Tradition heran. Wie bei Cicero

    -

    und an-ders als in Soph. el.

    -

    wird die Rolle des Gorgias gewrdigt. Die Erfindung(47) quod idem fecisse Gorgiam, quem singularum renim laudes vituperationesque conscrip-sisse, quod iudicaret hoc oratoris esse maxime proprium, rem augere posse laudando vitupe-randoque nirsus affligere; huic Antiphontem Rhamnusium similia quaedam habuisse cons-cripta; quo neminem umquam melius ullam oravisse capitis causam, cum se ipse defenderet, seaudiente, locuples auctor scripsit Thucydides; (48) nam Lysiam primo profiteri solitum artemesse dicendi; deinde, quod Theodorus esset in arte subtilior, in orationibus autem ieiunior,orationes eum scribere aliis coepisse artem removisse; similiter Isocratem primo artem dicendiesse negavisse. scribere autem alliis solitum orationes, quibus in iudiciis uterentur; sed cum exeo, quia quasi committeret contra legem, quo quis iudicio circumveniretur, saepe ipse in iudi-cium vocaretur, orationes aliis destitisse scribere totumque se ad artes componendas transtu-lisse".

    26 Fr eine detaillierte Auswertung des ris-Berichts vgl. Schpsdau (a.a.O., 193-198).27 Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos VII 6; vgl. auch Diogenes Lartios VIII 57.28 Vgl. Diogenes Lartios VIII 58.

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  • 2. Die Technn Synagoge 231der loci communes" stimmt mit derjenigen bei Cicero berein, jedochscheint diese bei ihm nur Teil eines Schemas zu sein, das zustzlich die Erre-gung von Emotionen bercksichtigt. Schlielich beruft sich Quintilian ineiner Streitfrage ausdrcklich auf die Darstellung des Aristoteles, womit klarausgesprochen ist, dass er fr seinen Abriss auf konkurrierende Vorlagen zu-rckgreifen kann. Die Passagen, die am ehesten Material aus der Aristoteli-schen Technn Synagoge verarbeiten, lauten im Zusammenhang:

    (8) Als erster nun nach den beredten Helden, die uns in der Dichtung be-gegnen, soll Empedokles in der Rhetorik gewisse Anregungen gegebenhaben. Die ltesten Fachschriftsteller aber waren die Sizilier Korax und Tei-sias, denen ein Mann von derselben Insel folgte, Gorgias von Leontinoi, wiees heit, ein Schler des Empedokles. (9) Dieser hatte dank seiner langenLebenszeit

    -

    hat er doch 109 Jahre gelebt-

    die Glanzzeit vieler anderer mit-erlebt. So war er zwar ein Schler derer, die ich eben genannt habe, ber-lebte aber auch noch den Sokrates. (10) Seine Zeitgenossen waren Thrasym-achos von Chalkedon, Prodikos von Keos, Protagoras von Abdera

    -

    derMann, von dem Euathlos fr zehntausend Denare die Kunst gelernt habensoll, die er (als Lehrbuch) herausgegeben hat -, Hippias von Elis und Alki-damas von Elaia, den Piaton den Palamedes nennt. (11) Ferner Antiphon,der als erster fr andere schriftlich Reden ausgearbeitet hat. Dessen unge-achtet hat er aber auch selbst ein Lehrbuch verfasst und galt auch in eigenerSache als vorzglicher Redner. Auch Polykrates, von dem wir die Redeschon erwhnt haben, die er gegen Sokrates verfasst hat, und Theodorosvon Byzanz, auch er einer von denen, die Piaton logodaidaloi (Wortakroba-ten) nennt. (12) Von diesen haben, wie es heit, Protagoras und Gorgias zu-erst die loci communes, die Affekte Prodikos, Hippias, ebenfalls Protagorasund Thrasymachos behandelt. ... (13) Die genannten Redelehrer hattenviele Nachfolger, jedoch der berhmteste war ein Hrer des Gorgias, Iso-krates. Freilich besteht in der Frage seines Lehrers unter den Gewhrsleutenkeine Einstimmigkeit; wir jedoch folgen dem Aristoteles". 29Die Wirkung der Aristotelischen Technn Synagoge und ihrer peripateti-

    schen berarbeitungen lsst sich nicht nur in den beiden behandelten Be-richten von Cicero und Quintilian, sondern auch in verschiedenen sptanti-ken bzw. griechisch-byzantinischen Prolegomena zur Rhetorik studieren.30Natrlich kommen diese Prolegomena dem Aristotelischen Original keines-wegs nher, weswegen sie im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter be-rcksichtigt werden mssen. Aufschlussreich dagegen sind einige Bemer-kungen aus der Aristotelischen Rhetorik selbst, die offenbar auf Ergebnisseder Technn Synagoge zurckgreifen; dazu gehren:29 Quintilian, Institutio. III 1, 8-13; bersetzung von H. Rahn.30 Vgl. dazu Schpsdau (1969) und Schpsdau (1994, 205-215).

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  • 232 IV. Aristoteles' frhe Beschftigung mit der RhetorikDieser Topos (nach dem man sich auf die guten und schlechten Folgen ei-ner Sache berufen soll; d. Verf.) macht zusammen mit dem Begriff des Mg-lichen und den brigen derartigen, die angefhrt worden sind, die Kunstdes Kallippos aus."31Dieser Topos (nach dem man die zu einer Handlung veranlassenden oderdavon abhaltenden Faktoren prfen soll; d. Verf.) macht (die) gesamteKunst des Pamphilos und des Kallippos aus."32Dieser Topos (nach dem man jemanden aufgrund begangener Fehler an-klagen oder verteidigen soll; d. Verf.) des Enthymems und diese Form istdie gesamte Kunst vor Theodoros."33Aus diesem Topos (nach dem man das in einer bestimmten Hinsicht Wahr-scheinliche als schlechthin wahrscheinlich hinstellen soll; d. Verf.) bestehtdie (ganze) Kunst des Korax. Wenn nmlich einer der Anklage nicht ent-spricht, wie zum Beispiel, wenn ein krperlich schwacher Mensch der bru-talen Misshandlung angeklagt ist, (kommt der Topos in Anwendung); dennes ist nicht wahrscheinlich, (dass er es getan hat)."34

    3. Der GryllosDie Evidenzen, auf deren Grundlage die Debatte ber den verlorenen Dia-log Gryllos gefhrt wird, sind geradezu lcherlich drftig. Das Schriftenver-zeichnis des Diogenes Lartios nennt auf Position 5 eine Schrift mit demTitel ber Rhetorik oder Gryllos (IIeq Qqxooixqc q roulo;)35, dasSchriftenverzeichnis aus der Vita Hesychii nennt auf derselben Position dieSchrift ber Politik oder Grylos (IIeq JXoXxxtxq q Fq.o)36. Der wich-tigste inhaltliche Hinweis stammt von Quintilian; dieser diskutiert in Insti-tutio II, Kapitel 17, die Frage, ob Rhetorik eine Kunst sei. Sein eigenes Urteilsteht von Beginn an fest, doch listet er verschiedene Argumente auf, diegegen den Kunst-Charakter der Rhetorik vorgebracht worden waren; dieErwhnung von Aristoteles in dieser Aufzhlung nimmt einen besonderenPlatz ein: Aristoteles hat sich im Gryllos, wie es seine Art ist, der Untersu-chung zuliebe (quaerendi gratia) einige seiner scharfsinnigen Argumenteausgedacht (excogitavit) (dafr dass die Rhetorik keine Kunst ist sc); jedoch31 Rhet. II 23, 1399al5-17.32 Rhet. II 23, 1400a4-5.33 Rhet. II 23, 1400M4-16.34 Rhet. II 24, 1402al7-19.35 Diogens Lartios, V 22; Der Name ru^Xo" wird auch als FoCXoc," oder FqtjXo" buch-

    stabiert.36 Vgl. Vita Hesychii 10; vgl. Moraux (1951, 195 ff.).

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  • 3. Der Gryllos 233hat er auch drei Bcher ber die Redekunst geschrieben in deren erstemBuch sie nicht nur als Kunst anerkannt, sondern ihr auch einen Anteil an Po-litik und Dialektik zugesprochen wird".37 Schlielich ist noch durch Dioge-nes Lartios berliefert, Aristoteles sage (im Gryllos), es seien zahllose Lob-lieder und Grabreden auf Gryllos verfasst worden, zum Teil auch, um demVater des Gryllos (Xenophon) zu schmeicheln.38

    Das ist bereits alles, was man zuverlssig ber den Gryllos wei. Allesweitere muss erschlossen werden; nicht einmal die

    -

    aufgrund des Titels undder Einordnung unter den Frhschriften angenommene

    -

    Dialogform derSchrift ist unbestritten geblieben39. Die aufgrund von Quintilians Zeugnisnchstliegende Vermutung ist die, dass Aristoteles in seinen frheren Akade-miejahren Piatons Kritik an der Rhetorik geteilt hat und mit dem Gryllos einWerk verfasst hat, das durch Zielsetzung und Art der Argumente am ehestenPiatons Gorgias entspricht. Demnach msste man annehmen, dass Aristote-les nach dem Gryllos und vor der Abfassung von Rhetorik I 1 seine Einscht-zung der Rhetorik

    -

    vor allem, was die Frage angeht, ob Rhetorik eine xxvqsei

    -

    grundlegend gendert hat. Eine derartige Unterstellung hat-

    auch un-abhngig von der berlieferung zum Gryllos

    -

    sogar eine gewisse Plausibili-tt; denn die berwindung des Platonischen Arguments gegen den xxvq-Charakter der Rhetorik, dass nmlich jede Wissenschaft oder Kunst ihreneigenen Gegenstandsbereich habe, die Rhetorik aber keinen Gegenstand hat,der nicht allen Wissenschaften und Knsten gemeinsam wre, ist an be-stimmte philosophische Voraussetzungen geknpft; dazu gehrt der Ge-danke, dass Rhetorik als Gegenstck zur Dialektik aufgefasst werden kann,und dies wiederum setzt eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe des Aristo-telischen Dialektikkonzepts voraus, so dass der Standpunkt aus Rhetorik 1 1mglicherweise eine philosophische Entwicklung gegenber den erstenAkademiejahren zum Ausdruck bringt.

    Diese allgemeine Einschtzung der Schrift wird nun zustzlich unter-sttzt durch eine Beobachtung, die von Solmsen und Chroust40 in den Vor-dergrund gestellt wurde: Wenn Aristoteles nach dem Zeugnis des DiogenesLartios davon spricht, dass bereits zahllose Enkomien und Grabreden aufden Gryllos verfasst worden seien, die dem Vater des Gryllos schmeichelnsollten, scheint es unwahrscheinlich, dass er selbst mit dem Titel Gryllos inden Reigen der Gryllos-Verehrer einstimmen wollte, zumal auch Isokrateszu den Verfassern von Gryllos-Enkomien gehrt haben soll.41 Nher liegen

    37 Quintilian, Institutio II 17, 14; = Ross, Fragment 2, S. 7-8, = Fragment 69 (Rose3).38 Diogenes Lartios II 55 = Ross, Fragment 1, S. 7, = Fragment 68 (Rose3).39 Vgl. P. Thillet (1957, 352ff.); dagegen Chroust (1965, ND 1974, 38 mit Fun. 11 ff.).40 Vgl. F. Solmsen (1929, 196 ff.) und Chroust (1965).41 Vgl. Diogenes Lartios II 55.

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  • 234 IV. Aristoteles' frhe Beschftigung mit der Rhetorikwrde dann die Annahme, dass die Schrift eine gegen die einschmeichelnde(XdQ^EOflai)" Praxis der zeitgenssischen Redner gerichtete Polemik war:

    The realization that the Gryllos is primarily a polemic against certain rhe-toricians would also explain the otherwise puzzling title of this dialogue:the Gryllos was not written, as some scholars insist, to honor the memory ofGryllus, but to chastise those rhetoricians who, in a spirit of abject flattery,had composed many epitaphs and eulogies commemorating the heroicGryllus. ... These eulogies drew the ire of Aristotle and induced him toattack their composers and the kind of rhetoric they were employing. Thisis the only connection between the title of this dialogue and its real subjectmatter

    -

    between Gryllus and rhetoric."42Dies passt nun alles allzu gut in das Bild von dem jungen Aristoteles als

    resolutem Platoniker, der in spteren Jahren weniger platonfreundlich, dafrder Rhetorik gegenber vershnlicher gestimmt war. Deswegen wurde dieRhetorik-Feindlichkeit des jungen Aristoteles von Jaeger43, dem es auf dieEntwicklung von der platonnahen zur platonkritischen Haltung des Aristo-teles gerade ankam, und von seinem Schler Solmsen44 nach Krften heraus-gestellt. Aber auch gegen diese allgemeine Einschtzung ergeben sich Beden-ken: Lossau hat darauf hingewiesen, dass die Worte quaerendi gratia ...excogitavit" in Quintilians Bericht offen lassen, ob die betreffenden Argu-mente gegen den x/vq-Charakter der Rhetorik wirklich die Position des(frhen) Aristoteles wiedergeben.45 Tatschlich kann Quintilians aufflligeFormulierung so verstanden werden, dass die betreffenden Argumente vonAristoteles nur angefhrt, aber nicht wie eine eigene Position vertreten wur-den. Dies knnte etwa dann der Fall sein, wenn es sich beim Gryllos um eingewissermaen dialektisch verfahrendes Werk gehandelt htte, in dem Argu-mente fr und wider den xe/vq-Charakter der Rhetorik angefhrt werden.Trfe diese Schlussfolgerung zu, dann knnte man ber den Standpunkt derSchrift Gryllos nicht einmal mehr sagen, dass er gegen die Rhetorik odergegen den xe^vq-Charakter derselben gerichtet wre. Damit entfiele auchjeder Anhaltspunkt fr eine Rhetorik-Feindlichkeit des jungen Aristoteles.

    Lossaus Hinweis auf den Klrungsbedarf hinsichtlich der Wortwahl inQuintilians Bericht ber den Gryllos ist in jedem Fall berechtigt; jedoch sindauch andersartige Schlussfolgerungen aus dieser Beobachtung mglich:Quintilian hlt die Auffassung, die Rhetorik sei keine ars oder xxvq, fr soabwegig, dass er sein Zgern bekundet, eine solche Debatte berhaupt zur

    42 Chroust (1965, ND 1974, 39f.).43 Vgl. W Jger (1923, 28ff.).44 Vgl. F. Solmsen (1929, 196 ff.).45 Vgl. M. Lossau (1974, 13ff.).

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  • 3. Der Gryllos 235Sprache zu bringen.46 Jedoch soll das insgesamt gnstige Aristoteles-Bild,das Quintilian vermitteln will, nicht darunter leiden, dass Aristoteles in die-ser Debatte zeitweise auf der falschen Seite gestanden hat, so dass er gleich-sam zur Ehrenrettung des Aristoteles gleich nach der Erwhnung des Gryl-los auf den Rhetorik-freundlichen Standpunkt der Aristotelischen Rhetorikverweist.47 Bei einem solchen Anliegen wre es verstndlich, wenn Quinti-lian durch die Worte quaerendi gratia ... excogitavit" die Rhetorik-kriti-schen Argumente des Gryllos htte dahingehend relativieren wollen, dasssich (der jngere) Aristoteles aus purer Freude an subtiler Argumentationzeitweise zu solchen Argumenten verstiegen hat, whrend sein wohl erwo-gener Standpunkt erst in der Rhetorik zum Ausdruck kommt. Wre sichQuintilian nmlich vollkommen sicher gewesen, dass die betreffenden Argu-mente von Aristoteles nur erwhnt, aber nicht vertreten wurden, dann htteer es erstens deutlicher zum Ausdruck bringen knnen, htte zweitens aufdie

    .Ehrenrettung' des Aristoteles verzichten oder htte sogar drittens des-sen Namen ganz aus dem Spiel lassen knnen.Fasst man zusammen, so haben also die Evidenzen fr die herkmmlicheAuffassung, dass Aristoteles im Gryllos Argumente gegen den xxvq-Cha-rakter der Rhetorik selbst vertritt, ein geringfgiges bergewicht; diesesbergewicht fllt aber bei weitem nicht so deutlich aus, wie es Solmsen nochannahm.

    46 Vgl. Quintilian, Institutio II 17, 3.47 Vgl. das oben angefhrte Zitat aus II 17, 14.

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