Art Magazin - Artikel: "Graffiti - Von der U-Bahn ins Museum" 02.1984

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Das Kunsfmagazin C 1084 E NR. 2/ F EBRUA R 198L EINZELPREI S 15 ,00 D SCHWEIZ si r 15 OSTERREICH öS 110 USA $ 6. 00 Graffiti-Kunst: Bilder aus dem Untergrund Plastik Die harten Hiebe des Alfred Hrdlicka Affären Max Beckmann Wie die DDR den privaten Der Maler-Fürst Kunstbesitz enteignet als Mystiker

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Das Kunsfmagazin

C 1084 E NR. 2/ FEBRUAR 198L

EINZELPREIS 15,00 D SCHWEIZ si r 15

OSTERREICH öS 110 USA $ 6.00

Graffiti-Kunst: Bilder aus dem Untergrund Plastik Die harten Hiebe des Alfred Hrdlicka

Affären Max Beckmann Wie die DDR den privaten Der Maler-Fürst Kunstbesitz enteignet als Mystiker

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E IN BERlCHT VON MARIE HüLLENKREMER

Z um erstenmal treffe icb Keith Haring in der U-Bahn. Er steht

an die Tür gelehnt in T­Shirt, Jeans und Turnschu­hen. Wippend , wie auf dem Sprung äugt e r durch die Scheiben des Wagens, die weiße Kreide in der Hand , auJ der Suche nach einem neuen Arbeitsfeld . Er zieht e in paar rote , gelbe und wei­ße Buttons aus de r e ngen Hosenta ehe , re icht ie mir freundlich, äußert e in paa r Worte mit de r Höflichkeit e ines Oberschüler der weiß, was sich gehört, e nt­schuldigt ich für e ine Hast und 'pringt an der 33. Stra­ße au dem Zug.

Die U-Bahn-Sta tione n Manhattans sind ei.n Ar­beitsplatz. Alle dre i, vier Wochen geht Keith Haring für ei n paar Tage in den U n­te rgrund und hält an elen Haltestellen Ausschau nach freien Werbefläche n : Was crerade nicht kommerziell genutzt wird, i t mit schwar­ze m Papie r überk lebt. Diese großen Vierecke verwan­d · Ir e r blitz chnell in quick­I be ndige Kunstwerke mit krabbelnde n Babys, kläf­fenden Kötern , tanzenden Schwangeren. fliegenden Untertassen und schweben­den E nge ln . Zuweilen kann er auch e iner vollbusigen Re klameschönh eit nicht wi­der. tehen und fügt ihrem De koll te e in paar Kreide­rundungen hinzu.

An Orte n zu a rbeite n, wo er Menschen treffen kann, die " Museen oder Galerien kaum je betreten würden und noch nie etwas von mir gehört haben' , ist für den 25jährigen , immer noch e i­ne meiner Lieblingsbeschäf­tigungen ' . Dabei bätte er es gar nicht mehr nötig im Un­tergrund zu wirken. Seine flinken Wand-Arbeiten ha­ben Haring innerhalb der letzten zwei Jahre zum Star der New Yorker Graffiti­Szene gemacht, den längst auch die Galerien entdeck­ten. Um deren Bedarfzu be­friedigen, bat Haring sich

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inzwischen ein Atelier e in­gerichtet in dem ich ihn ein paar Wochen nach unsere m ersten Treffen besuche.

Schon an der Wohnung -tür im mächtigen Cable­Building am Broadway Ek­ke Houston Street, ist aus­zumachen , wer dahinte r ar­beitet: über der Klingel tanzt ein kle ines Strich­männche n unterm Spion kleben Bildehen von Ha­rings Hand . Laute Musik macht die Schelle unhörbar aber sie i t eh überflüssig die Tü r nur angelehnt.

An de n Wänden hängen riesige Vinyl-Vierecke mit grellen U nte rgründe n, auf denen sich bunte Figuren mit schwarzen Konture n tummeln. Drei, vier Stun­den arbeitet Haring an die­sen Bildern , die er ste ts da­mit beginnt, daß e r ihnen ei­nen Rahme n gibt. "Wenn man die e rsten Strich zieht , ist da meist schon der Schlüssel zum R est des Ge­mäldes", erk lärt e r seine zü­gige Malweise, "außerdem arbeite ich gern bei Tages­licht und beende Dinge am liebsten in e ine m Rutsch. '

An die Wand des Ateliers ist e ine verb ulte Autotür g le hnt übe rsä t mit Silber­krakeln. Zwei Büsten schei­nen gerade e ine m Gemälde von Gainsborough ent­schlüpft zu sein doch i.hre Rokoko-Häupt er aus Fi-

er Künst­ler mit der Kinderstirn -hier posiert Keith Haring in seinem Atelier am Broadway, Ecke Houston Street - mißtraut sei­nem Erfolg und kann ihm doch nicht entkom-men. "Halte ich meine Bil­derpreise niedrig ", be­fürchtet er, "dann berei­chern sich beim Wei­terverkauf die anderen auf meine Kosten : ' Also kassiert er, was ihm zu­kommt und setzt die Erlöse auch politisch ein . Haring gehört zur Friedensbewegung

berglass sind in schrilles Pink getaucht. Eine dünne Wand trennt e in Arsenal ab. in de m sich Bilder stapeln: Auf dem Bode n sind Papp­kartons geschichtet auf de­nen ein Baby in le uchten­d m Orange strablt.lm zim­me rhohen Regal gegenüber sind säuberlich Kreiden, Filzstifte, Button und T­Shirts geordnet.

Wäh_rend wir uns am kar­gen Holztisch unte rhalten, gibt Haring drei Farbigen, die in se inem Atelier allerlei Aushilf arbeiten übernom­men haben, kurze Anwei­sungen. E r erklärt mir seine Geschäftigkeit bittet um Ve rständnis: Ausstellungen in Mailand, London, Ma­drid , Säo Paulo und ew York stehen bevor.

Se il Keith Haring einen Stift halten konnte , hat er gezeichnet. Da er der einzi­ge in de r Familie war, der kün tierische B egabung zeig te ( ,worüber meine EI­tern sehr fro h waren ) und schon in der Schule mit sei­nem fl otten Strich auffiel, schickte ihn der Vate r auf die Comm rcial Art School in der Industriemetropole Pittsburgh, nicht weit ent­fernt vom H e imato rt Kutz­t wn, Pennsylvania. Doch weil e r me rkte, daß ich da nicht hingehörte" verließ er da Institut sechs Monate später, hing zwei Jahre in

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der tristen ladt herum un I bestiegschli ßlich 197 .. an ein m to ten Punkt ange­langt" . den Zug in Rich tung

ew York. o rt chreibt Kcith Ha­

rine ich an u 'r choo l of iS~l al Arts ein, bcgc i ·terl

ich für Picrrc A I chi n: kys abstrak t-e,xprc.:ssioni ·ti 'ehe Maler i. hört Vorlesungen bei den Konz ptkünstlcrn Jo eph Ko uth und K ith Sonni r. st udi ' 1'1 äg ptische und me ·ikani. ehe Zeich · n. Er Ib t malt r\Vi oend ab traktunu b 'ucht tu c­eo. Galericn. Performances, doch lie b · ste Kun. t 'ah

ich in d n Subwa 5, an den Zügen " .

Die U-Bahn ist damals ehon ein 1 unstobjekt : In achtei n ätzen verwandelt

eine ganz Armee on ie­gend junger chwarze r die Wagen mit de r prühd c in rollend raffiti . K ith J-I a­ring lernt cw ork aufre­gende ubkultur kenn n.

m Icben zu können. nimmt C I' einen Aushilf:job in der kl incn .Jaleri von Tony hafrazi an. tapeziert dort die Wänd', packt cin und aus. ist ·tets zur teile . Der alcrist, ein. t klinst le­rischer Berat 'r on Farah Diba b im lIfball des n u-nMu 'eum ' flirzeitgenö ' i­ehe Kunst in Teheran , i -t

von d r .. auß~rordentli ch n Disziplin " cl . 'chclI n Jun­een ange tdll. dcr k in einzi­ges Wort üb ' r seine eigene Arbeit ver li rt . ur zufällig hört Sha frazi davon . . iehl ich die Biller im ~vtudd

Club an und ist bCl!ci -ter!. ber auf Bill n, cin paar

der L im iinde in dic Gal -rie mitzubring n. reagicrt Keith Haril1 ~ nicht.

.. Mit der Zeit \ urdc mi r klar". rk I1nt hafrazi. "daß dies typisch für ihn war. Während di mcisten Künstler st ts Geld . Mate­rial. Anerk cnnung und mo­rali sche U n tcrst ützung brauchen. hat Kci th ni um etwas gcbct n. r hat cin­fach etwas gcmacht:'

Nicht nur, hafrazi lern t den ern: thaft cn Jungcn chätzcn. auch Harin u cmp­

fi ndet Sympathie: .. Tony

war eier einzige, dem ich wirklich vertraute, der ein­zige. von dem ich wußte, wie crnst eS ihm mi t dem war, was r tat."

preund 'chaft n ind für K ith Haring bi heute wichtig: B im Brötchenho­len lern t C I' len Fotografen Tseng Kwong hi kennen , tl I' fortan seinen U-Bahn­Spurcn fo lgt lind . ie doku­mentiert. Kenny Scharf. der langw ilige Te lefone und dicke Rad ior corder mit Pelzr ten Gl itz I' ·teinen und Farbe in . chillemd-arti-ti che pi Iz uge verwan­

delt. wird ein be tel' Frcund ; mit LA II dem 'cl" arl.cn raffiti - Künst­leI'. verbind t ihn eine inten­sive Arbci tsg meinschaft. Und And Warhol ist für ihn nicht nur .. s it langem ein preund". sondern "eine eh lü:. el fi gur. \ eil er die

Rcg In g bro h n hat". Doch ander. al - der

tr hbl nd Popstar, der st ts " möglich t viele D inge machen wo ll te". möcht K ith Hari ng, der ich selbst als "Pro lukt der Pop Art" empfindet, .,möglich. t vie le v rschiedene D inge ma­chcn". nel aneler als War­hol. d r brauch gegen-tände cl s ll tag \ ie Sup­

pen 10. en lind Wa chmittel zum T h m<1 einer Sieb­drucke erh bt o entwickel t Kcith Haring sc ine eigene Bildw It : in int m ational ve rstänclliche. leicht repro-<hlzierbar Sprache aus Kürze ln unu mbolen, die der nüchtcrn- technologi­'ch n Welt mit poeti. cher Phanta ie begegnet. Haring b zieht ·ein R p rtoire or ;l 11cm au. Icn t1cdien: Ge­b r n in dem Jahr. al der

I .. te amerikani che Erdsa­tellit ins 11 g schossen wur­d . ist CI' aurgewachsen mit den T -, [ars Bug. Bunny und 13atman, c.roßgewordcn mit Viel 0 1' co rdern und -spie lcn. omputcrn und Mikroprozc . orcn.

I n die . . b 'droh tc und be­droh liche Welt 'endet er ei­ne Bol. chaften . zeichnet : ich I nflikte und B lro f­fenhcit von der Seele: Am Tag, als J hn Lenn()n ~ r-

scho " n wurde er fand er den Hund, der durch den K örper eine Menschen 'pringt, ,.Z ichen für da L ch im Gei [ der Men­sch n. für da. Loch in deren Gedanken und Hoffnun­gen". Er 'etzt in eine Bild r Krcuz , um dagegen zu pro­tes ti eren daß " Religion oft perv rtiert wird '. E r zeich­net imm r wieder gegen die Gefahr n I r Kernkraft, die ihn eit j ung n Jahren be­schäftig n : ahe seincr Heimat ·tadt liegt Harris­burg. r engagiert ich ma-lend in eier nti- uklear-B \ egung' denn ,.der Kün tIer war in der Ge­schichte d r M enschheit nie \ ich tiger al heute. M n 'chliche Imagination kan n nichL von einem Com­put r programmi rt \ er­den. ie i. t un -ere größte Überleben-hoffnung."

D eh nicht nur die Furcht or d n Gefahren diescs

Jahrhundert treibt ihn an Häu. erwände, Abbruch­mauern. Reklametafeln und in D iskotheken. A uch die A ngst vor d m leeren Raum läßt ihn nicht rasten. Die j üngst Ausstellung bei To­ny hafrazi zeugt davon. Bi ' zum letzten Winkel i ·t di Gal rie miL großen ro t n

hiffr n bedeckt. Meterho­he 'chwarz Totempfähle. in di typische Haring- Figu­ren ro t, g Ib und grün einge­kerb t ind. ragen bis unter die Dcckc. Ein Roboter gibt BotschafLen von sich die auf 'ein r meta llenen Bru ·L in omput · rlellern entlang­laufen. n der Decke hüp­fen klein Männlein. elb I di Fußlei 'Ien ind mit Kring In v r ehen.

Damit aber nicht genug: D r Kellerraum i. t mit gro­ßen in I-Tüchern ausg · ­hängt, auf d · nen - aggr; 'i­ver denn j bci Haring -Köp f ,xplodieren. wild Tier ihre Zähne fletsch en, Kämpf ·tattfinden. Da nimmt . ich Mickymau . . die cr cinst vergnügt onanic­r nd porträ tierte, mit ihrem

·tentativ entblößtcn. dem Z uschaucr en tgegeng -streckt n H intert ei l gerade­zu versöhnlich aus.

D aß Cl' ·ti li ti ch zuwcil n mit dem Deut 'chen A. R. P nck vcrglichen wird - die o' \V Y rk T im "unter­st Iit ihm ogar heftige An­leih n -, etrübt ihn : . .lch hab Pcnck Arbeit bi 1981 nicht \ irk lich gesehen" mint cr. Doch davon abge­s hen stammt Keith Haring Kunst auch aus eincr ande­ren g . istigen Welt: Er ist ein '0 (Im rikani ches Gewäch wi der schwerblütige Penck ein d ut. che: eingängig S mbol g gen tief innig Kürzel. glalle ·. chn llc

okabuhr g gen ein h r p rrig- prödc . Zeichnung

geg n Malerei. denn selbst da , wo Haring mit Fa rben arb it t. bleibt die Lini do­minant. Und schließlich -auch da völlig ve rschied n on Pcnck - beherrscht

Kcith Haring. wa ' di New Yorker Sz ne verlangt : Kunst al. bri llantes En tcr­ta inm nt.

Do h : in Erfolg am Huds n hat dem Jungen au Kut zlOwn ebcns wenig dcn Kopf verdr · ht wie ein wachsender intern ationalcr Ruhm . In Tokio, wo CI' eine D i ko thek au. malte ist er so populär wie in Kasse l, w er 19 '2 cin r der jüng-t n Tei lnehmer der docu­

menta 7 \ ar. alerist 'hafrazi wci ·t

auf ine Warteli t v n al11ml 1'11. die gern ein Bild

von Haring Hand hätten ' und obwohl der Künstler für jeel s. s dcr Händler spie­lend -0000 Dollar bekom­m n könnte. begnügt r ich mit rund der Hälfte. Haring möcht nicht , daß cine Bil­d r zu teu r werden.

r ist bescheiden geblie­b n. hat sich kaum erän­cl rt. Zwar i t für ihn mit d 111 Ruhm auch .. di er­antwol'lung gestiegen". aber größere A nsprüche stcllt er deswcgen nich l. Bill tel­ling. Mitb sitz I' der Fun

aller)' . wo ei ne kl in Ha­ring- rbeit vor ein paar Jahrcn noch 100 Dollar ko­·tet : "Früher hat Keith ein inzigc. Paar Turn 'chu h

beses. en. heUTe hingegen hat CI' i · llcicht 50. Doch das ist auch <1 11 ."

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lee Quinones: " Geld verschafft einem einen falschen Respekt", (1983, 218 x 270 cm)

Sammler PearLudwis

SriHzu Daze (Chris Ellls) : "Daze

mit zwei Gesichtern", 1983 (46 x 61 cm). Abbil­

dung rechts : "Allgemeine Betrachtungen", 1983

(180 x 300 cm) von Futura 2000 (Leonard McGurr).

Daze und Futura gefielen dem deutschen Kunsl­

sammler Peler ludwig. Im Dezember kaufte er

beim New Yorker Galeri­sten Sidney Janls für

zusammen 7000 Dollar von belden ein Bild

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eil sie nicht mehr U-Bahnen, sondern Leinwände be­sprühen, haben die GraHiti­Schreiber neue Themen gefunden. Ouik und Daze sind den im Untergrund üblichen Bilderschrif-ten noch einigermaßen treu geblieben. Lee Ouinones und Zephyr er­proben Varianten der Pop Art an bekannten Mo­tiven wie Banknote und Sternenbanner In emblematischen Bil-dern . Futura 2000, der als "Kandinsky" der Graffiti-Welle bezeichnet wurde, wagt sich an ungegenständliche Kompositionen heran

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ondl White , inzwischen 22

Jahre alt, hat sich den ART-Lesern im Früh­

jahr 1981 mit Skiuen­buch und Sprühdose als

U-Bahn-Aktivist prä­sentiert. Heute ist er von

der Kunslszene ent­deckt und arbeitet an­

ders - "kontroll ierter", wie er sagt. Er mall

Erinnerungen an die Zei t im Untergrund -

durchaus anrührend, wie sein 1983 entstande­

nes Bild " Rebel rocking the blind light" (142

x 102 cm) , beweist. Sein Ko"ege Melvin Samu­

eis jr., der sich NOC 167 nennt, sprüht noch

immer Pop-Schönheiten wie einst im Subway­

Schacht. Rechts : ,.Blondie 1982" (128

x 151 cm)

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Wer lürc~sich

woreinerneuen tIocIe1

A Uch dic r nommier­tc C\l Yorkcr Ga­I ri Sidnc Jani ' ist

nicht jcd smal üb rfüllt. \ enn ein n 'uc eröffn t wirtJ.

r n crst mals in • c riös r Um­g buna zu z 'ia n '. Wenn e denn einL: cn 'mion und kein erbrechen ist. daß ich d ic offizi 11 Kultur der

Rc ich n und bi ldeten in Ge: talt d Kunstbetricb ein Stück Subkultur ein vc rl 'ibt dann kamcn die Besucher an diesem Abend wohl auf ihre K ost n.

Zei tung. I s r wi en: Es gibt rbr ch n, die werden in be ter Absi ht gangen. D aru m : 11 niemand ange­klagt od r gar en cufe lt wcrden, bc or di Vorg­'chichtc mitgct 0 ilt i ·1.

Sie b~ginn t um das Jahr 1970 mit c in r Art Kinder­spi I. Die Farbsprühdose ist erfundcn : T c nager <tu ' den

e\ orker Stad tteilen Bronx und ßrookl n durdl\ cg , 11\ arze und Pu-

norican r, nutzen den Strahl au d r Dii , um ihre

mg bUl1g inzufär­ben. ie . prüh n au f H äu­. en ~ind , st ' lI cn ,raffiti her, wie si, mit politi o'chen

Paro l n und Üb rlebensfor­rndn ("Wehrt euch !") Z \ i-ch n ardi nien und der

Bcrlin r Mau r weltweit an­zu trerf n ·ind .

in s Tag kommt einer auf d n edank n, 'einen Nam~n auf ein n U-Bahn­Wag'on Z lI • prühen. Und immer w nn " sein' Zug vorbcikommt fr ul er sich. Andcr mach n es ihm na h ; da. -Bahn-Sprühen \ ird zum port. Ba ld ind mehr al: 1000 Jugendliche mit ihr n (e ft gestohlenen)

pra an ' au f Ab tellglei-s n lind in Z uo-D P!..lts un­tcn e 's. Di' Bahnpolizei -Delikt: Sachbeschädigung - setzt Spürhunde gegen sie ein. Wer ge faßt wird, be­kom mt Jugendarrest.

D cnno h machen sie wei­tcr. tagtäglich und jahre­lan '. AlIm ~i hl ich wird di >

prühnäch knapp - bald hat fast j cl r cl r ru nd 6700 Wagen cl s \ Yo rkcr

s in Farbbad nd die Kon-

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e inande r wächst. Läng t fä llt e in sch lichtes Auto­gramm a n de r Wagentü r nicht mehr auf. Es wird we­gen der Po lizei, a uch immer gefährl icher, sei nen ame n zu ne nnen. D ie Gra ffiti -

chreiber lege n sich Deck­na me n zu wi e Taki C rash. Dash, D ondi , OC 167 LA 11 oder Zcphyr.

Um 'ich im praye r-Mi­lie u zu profili ren. erfi nde n 'ie für ihre Pseudo nyme op­tisch auffä ll ige " tags" , a lso Signets. Nach Vorbilde rn au de r We rbu ng aktivieren sie Buchstaben zu plasti­schen Schriftbildern , fügen Figuren a u ~ o mic ·trips hinzu kre ier n Stile un d Mythen. War e nicht Lee , de r als er te r mit 11000 en Farbe und wenigen Helfern einen ganzen, zehn Wagen langen Zug in ein Kunst­werk verwande lt hat ? War es nicht Fut ura 2000, der e zuerst gewagt hat e in ab­. traktes Bild auf die R i e zu schicken ? Brachte nicht Lee 163 chon früh ein kle i-

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ne G ed icht 111 Um la uf? (" rm Love r Lee a n' t Yo u Sec.")

Währe nd im Unte rgrund d ie Bildersprache immer kunst voller wurde . die Form e indeutig den In halt do mi­nierte und sogar e in friedli ­che r " Krieg de r Stil " a us­brach " e tzte n übe r de r Ercle d ie er. te n A n trengu ngen e in . d i ne ue Subkultur in den Griff de Establi h­ments zu ne hme n. D ie er­ste n Schritte erforderten so­ga r Zivilcourage; de nn fü r die Ne\ Yorker Stad tve r­waltung waren und sind d ie Graffiti -Schreiber Krim i­nelle. och heute zahlt d ie Stadt rund sechs Million e n Dollar jährlich , um d ie De­pots zu siche rn. Sprayer zu jagen und Wagen von den

Schm ie rere ie n' zu säu­bern. Bürge rmeister d Koch ist der Meinung daß Gra ffiti d ie Fahrgäste ei n­schüchtern und zu Millionen vom G e brauch der hn hin defizitären U-Bahn abhalten. Mutig sam melte de r junge

ür den Erfolg eines Graffiti-Künstlers auf der New Yorker Kunstmarkt-Szene ist die Qualität des einzelnen Bildes oft nebensächlich , wenn nur der Mythos stimmt. Ob einer der erste war, der nicht nur ei-nen Wagen . sondern einen ganzen U-Bahn-Zug besprüht hat. ob einer nicht nur seinen Namen ver­breitet und Comics nachge­ahmt, sondern abstrak-te Bilder riskiert hat - das zählt. Anthony Clark (Untergrund-Deckname A-One) hat sich früh einer Buchstaben-Mystik verschrieben und dar-aus bizarre Bild-Muster abgeleite t. Heute loh-nen es ihm die Käufer

Soziologe Hugo Martinez, studie nh albe r mit den Pro­ble me n jugend liche r Puer­toricaner befaßt, e ine H and­voll Graffi ti-Sehr iber in ei­ner Uni red Graffiti Artists" be tite lte n Organisation und ve ra nsta ltete schon 1972 im Ci ty o llege eine Au, stellung ihre r Arbeite n. Für 600 Dol­la r G age ließer 'eine ch ütz­linge in e inem Ba lle tt der Cho reografi n Twyla Tharp mi tw irk e n : Währe nd der Tanzdarbietung sprü hte n sie im Hinte rgrund Bilde r.

U nd das macht wieder­um d ie Medien n ugie rig. Die.. ew York Ti mes" be­richtete das Fernsehe n kam - lind mittle rwe il e gibt es sogar zwei Do kume ntar­spie lfi lme: Wi ld ' tyle ' von

ha rli Ahearn und Style War" von Henri ha lfo nt.

Durch d ie Publicity a ni­mie rt kamen nun a uch kom­me rzie lle Galeri ·te n a uf den G esch mack. Imm r mehr Graffiti-Schreiber ließen sich von ihne n zum Um­und A ufs te igen e rmunte rn

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- vom Wag 'n auf di Wand (da gab es ein n achtclub in H ongkong auszumalen). von der and auf die L in ­wand, on der 111 ga li tät im Tunnel aur l ie gl:setzlich ge­schützte Freiheit d e~ Kun. t­betri bs.

Daß sie d ie hance nutz­ren, ist ihnen nicht zu ver­danken, zuma l d ie Illei ten ich wahrl ich durch Lei ­tung für cl n Künstkr-Sta­

tu. qualifiziert haben. Ein pra cr \ ie Mdvin amuel.

jr. alia. . 167 hat mit elf Jahren angl.:fang n, k ann al­'o - Traum ' in ' j ed n Per­onalchcfs - mit __ heute ozu ag\.: 11 zehn Jahre Be­

ruf rfahrung nachweisen. AlsJohn Matos Deckname Cra h) bei der cw York

niversit c inen Malkurs belegen \ 111 , wurde der 22jährig gebet -n. stall des­en Ib\.: r \.:incn abzuha l ten.

ra. h geh " rt zum ' tall on D I res cumann . ei-

ner icht l: des D irigenten Eugene rm 'lI1dy, d i Graf:­Citi -Bildcr v ' rk auft , um elen Kün 'lIern b ' im Weg ins Establi. hmcnl zu helfen. ie hat nlhony lLirk A-One beim Drogcn- - n lzug beige-tanden, andere mil ihren

Familien zu einern Feste -cn eingcla Icn. bei d 111 50

Hühneh n gd>raten wur­den, und il: hat dic , üel ­am rikaneri n Lad Pin k enrd Ck l , tlie ein7. ige Fra u unterd ' 11 In lffi li -Sla rs. 111

Engel also - wie Pani A tor, 3 . . und Bil l Stell i ng. 31. di l nhaher der auf Graffili . pe7ialisiencn ,.Fun Gallery" od ' r Kunsthändft::r Ton Shafrazi , der unter an­derem K ei lh H uring ve r­marktet. ie all k mbini -ren G sch äfts- Inl cresse mi r Lebenshilfe.

Dolores NClIl11ann iS I ge­meinsa m mil arml Janis, dem S hn des Besitze rs für die chau " I'usl - raffiti Ar­li t .. in cl I' al ' rie Sidnc Jani veranlwo rtli ch ein Ereignis, das zählt .

Er.trnal. in den \ urde die raffi li - Kun t nichl im Itcrnati -Gello am Rand on l anhattan sondern miltcn in der tadt und unt r d r b\.:sten Adres-

'e angel Ol ' n : IJQ We l. 57. traß . Die -Bahn-Kun I

\ ar allfg tauchl, endgültig m Kun ·tb lri -b a. imi­

li rt. Preis ' kala 2 0 bi 'OUO o llar. Ocr Deutsche

Peler Ludwig kaufte ein ba ld w rden auch die bis­lang zurück hall enden US­Mu 'cen zugreifen. Die Eh zwischen ubkullur und Ka­pilalisl11us ist geschlo. sen -Sen. ati n und wirk lich kein

rI rl.:ch n '. ewiß. ein chauplatz

ht kaputt. da Ik ' c r-mög n \ ird korrumpiert durch bzug der bes ten Kräfte - aber \ i.ire die Szc­ne nichl ohnt:hin ge torben ? M an k' lI111 z hn. aber wohl kaum _0 Jahr ' lang im n­tcr o ru ll .1 sprü hen. A ußer­dem : it 18 wird man im ' all des Falles härter b e­

strafl als mit I . nd - be-

· t s rgumcnl der Kultur­verwalter : Zum er t nmal • il r ndma M ose emp­fängl d ie amcrikani 'ch Kun. l Impulse on nicht akademi 'ch geschul t n Amat uren - und zum er-ten mal haben Schwarze

und Puerto ri ca ner von An ­fang an l ei iner neuen Ku nslrichtung den Fuß in der Tür. Zumi ndesl im Prin­zip : In Wirklichkeit geben W ißc mit orbildung \ ie K \.: i th Haring und K nn.

charf den Ton an. ie be­·timm n auch di Prei e.

bel' ist da d nn üb r­haupl Kun. t. was da von den T eens untl Twen aus Über­see im.wischen auch in Eu­ropa ange l oten, bei eier Kas. eier documenta 7 (Teil ­nehmer K ith Haring und L ee Qu in ne ') au ge ·tellt und v n h lIändi. ehen u-

Imtner höhere Preise

Die amerikanischen Museen hal­ten sich vorerst zurück. Solange offizielle SIelIen die Sprüherei in der New Yorker U-Bahn noch als .. Vandalismus" verfolgen, ist den Aufsichtsräten der Ankauf auch solcher Graffiti-Kunst suspekt, die in Ateliers entstanden ist. Dennoch floriert der Handel mit Privatsammlern und -firmen , steigen die Preise schnell an.

Binnen 14 Wochen hat die New Yorker Händlerin Dolores Neu­mann von Ihrer Wohnung am Central Park West aus 112 Arbei­ten von Daze, Crash, NOC 167, A-One, Lady Pink, Rammel/zee und anderen verkauf1 - zu Prei­sen von (umgerechnet) rund 270 Mark für eine Zeichnung und 4000 Mark für ein Gemälde. In· zwischen hat sie aber auch Wer­ke auf Lager, die zwischen 13500 und knapp 20000 Mark kosten.

Moderat waren anfangs auch die Preise in der Fun Gallery. die sich auf die neue Richtung spe­zialisiert haI. Ihre Inhaber Patti Astor und Bill Stelling boten die Bilder von Futura 2000 im Jahre 1980 für 800 bis 5400 Mark an . 1982 kosteten größere, auf Me­tall gesprühte Formate schon über 8000 Mark, und im Herbst 1983 waren mehr als 10000 Mark dafür fällig. Spray-Werke von Dondi, 1981 zwischen 1600

und 2100 Mark zu haben, müs­sen mittlerweile mit 4000 Mark bezahlt werden.

Der mit Graffiti-Kunst erfolg­reichste New Yorker Galerist To­ny Shafrazi hat unter anderem die Stars Keith Haring und Kenny Scharf in seinem Programm. Ha­ring erzielt inzwischen Preise bis zu 67000 Mark, Scharf bleibt nur wenig dahinter zurück.

In der Ausstellung .. Post-Grat· fiti Artists " bel Sidney Janis war aber jüngst ein 152 mal 152 Zen­timeter großes Scharf-Bild für 21000 Mark zu haben ; Lee Qu i­nones kostete rund 16000 Mark, Rammellzee 13500 Mark - ein Preisrahmen, der auch für Daze und Crash gill.

Zu den Kunden der New Yor­ker Graffiti-Galerien zählen Insti­tute wie die Patrick Lannon Foun­dation, Kunstberater wie Estelle Schwartz, Firmen wie die Chase Manhattan Bank, aber auch Eu­ropäer wie der Aachener Peter Ludwlg oder der Schweizer Sammler und Galerist Bruno Bi­schofberger.

Europäische Interessenten finden Graffiti-Kunst inzwischen bei den Amsterdamer Galerien Yaki Kornblit und American Graffiti , bei Art in Progress (Düs­seldorf) und in der Galerie von Rudo/f Zwirner (Köln) .

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