Artenvielfalt in der Landwirtschaft neue Arten nach Mitteleuropa ein. Seit dieser Zeit spricht man...

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Die Natur hat es nicht leicht. Überall dort, wo der Mensch das Land besie- delt, drängt er sie zurück. Es werden Straßen und Häuser gebaut und Gewerbegebiete in die Landschaft gesetzt. Täglich gehen dadurch ca. 120 Hektar Natur und landwirt- schaftliche Flächen verloren. Umge- rechnet sind das in jedem Jahr etwa 120 Fußballfelder. Über die Hälfte der Bodenfläche in Deutschland wird aber nach wie vor landwirtschaftlich und zu einem Drit- tel forstwirtschaftlich genutzt. Land- wirtschaft und Wald prägen auch unsere heutige Kulturlandschaft. Unberührte Natur gibt es bei uns nicht mehr. Nur auf stillgelegten landwirt- schaftlichen Flächen und in manchen unbeachteten Ecken und Winkeln in Stadt und Land siedeln sich noch Pflan- zen und Tiere an, die sonst in unserer Kulturlandschaft selten zu sehen oder ganz aus einer Region abgewandert sind. In der Öffentlichkeit wird deshalb die Frage nach der Vielfalt der heimi- schen Pflanzen und Tiere diskutiert. Leider gibt es keine genauen Ver- zeichnisse der Pflanzenarten, die im Mittelalter oder noch früher bei uns vorkamen. Deswegen kann in vielen Fällen nur vermutet werden, welche Pflanzen Alteinwanderer und welche Neuankömmlinge sind. Die letzten großen Einschnitte in Mit- teleuropa verursachten die Eiszeiten. Sie vernichteten praktisch die gesam- te Flora und Fauna in der Mitte und im Norden. Die Rosskastanie bei- spielsweise war im Zuge der Eiszeiten, die vor 18 000 Jahren zu Ende gingen, diesseits der Alpen ver- schwunden, hatte aber in Restarealen des Bal- kans überdauert. Von dort kam sie 1576 nach Wien und wurde über ganz Europa verbreitet. Der Ginkgo erlebte be- reits vor 65 Millionen Jahren, als die Dinosau- rier noch auf der Erde zu Hause waren, seine Blü- tezeit. Heute wächst der Baum in freier Natur nur noch in China. Auch der Ginkgo verdankt sein heutiges weltweites Vorkommen sei- ner Beliebtheit bei den Menschen. Bis zur Jungsteinzeit, die vor 7 000 Jahren begann, war das Land fast ausschließlich mit Wald bedeckt. Artenvielfalt in der Landwirtschaft Nur Moore, Seen und hohe Felsen waren baumfrei. Entsprechend arten- arm war die Landschaft. Mit der Ausdehnung des Ackerbaus wander- ten viele Pflanzenarten ein, einige als Begleitpflanzen der ins Land geholten Kulturpflanzen. Man be- zeichnet diese Alteinwanderer als Archäophyten. Sie kamen vor allem aus den angrenzenden Gebieten Süd- und Osteuropas und Westasiens. Viele bilden noch heute einen beachtlichen der Teil der Vegetation, andere sind inzwischen vom Acker verschwunden, z. B. die gelegentlich schon in der Jungsteinsteinzeit nach- weisbare Kornrade. Vor allem mehr- jährige Trockenrasenpflanzen, z.B. Arbeitsblatt 4 1 Früher begleitete die Kornrade, Agrostemma githago, als Unkraut das Winter- und Sommergetreide. Ver- mutlich aus dem Vorderen Orient stammend, wurde sie mit schlecht gereinigtem Saatgut in die Getreide- anbaugebiete der ganzen Welt ver- schleppt. Als Unkraut verschwand sie mit der verbesserten Saatgutrei- nigung. Außerhalb der Getreideäcker konnte sich die Kornrade auf Dauer nicht halten. Auch andere Pflanzen mit großen, kurzlebigen Samen gelangten nicht mehr mit dem Getreide auf die Äcker. Heute steht eine neue Sorte der Kornrade ' Asko' für den Anbau zwischen verschiede- nen Kulturen (Zwischenfrucht) zur Verfügung. Pollen – botanische Zeugen der Jungsteinzeit Die ökologische Situation vor 5 000 Jahren in einigen Gebieten Großbritanniens haben zwei engli- sche Forscher anhand von Pollen ana- lysiert. Sie sehen in der Zunahme von Unkräutern wie Wegerich und Echtem Beifuß ein untrügliches Zeichen für den Beginn der Landwirtschaft. Auch die Abnahme bestimmter Baum- pollen ist für sie ein wichtiges Indiz für die Ausbreitung der Landwirt- schaft in dieser Zeit. Die Chronologie der im Torf gefundenen Pollen spricht nach Ansicht der Wissenschaftler dafür, dass die ersten englischen Bau- ern nach wenigen Jahrzehnten wieder ihre Felder verlassen mussten, weil die Böden nach einiger Zeit aus- gelaugt und die Ernten schlecht wa- ren . Frankfurter Allgemeine Zeitung, Natur und Wissenschaft, 23.10.96 Nach den Eiszeiten – Neuaufbau der mitteleuro- päischen Vegetation Quelle: Statistisches Bundesamt 2002 Viele Kräuter sind Alteinwanderer Nutzungsarten der Bodenfläche in Deutschland 2001 in ha in % Gesamtfläche Deutschland 35 703 100 100,0 Gebäude- und Freifläche 2 308 100 6,8 Unbebaute Betriebsfläche einschl. Abbauland 252 800 0,7 Verkehrsfläche einschl. Hafenanlagen 1 711 800 4,8 Landwirtschaft 19 102 800 53,5 Wald 10 531 400 29,5 Wasser 808 500 2,3 Fläche anderer Nutzung (einschl. Öd- und Unland) 721 900 2,0 Erholungsfläche 265 900 0,7

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Die Natur hat es nicht leicht. Überalldort, wo der Mensch das Land besie-delt, drängt er sie zurück. Es werdenStraßen und Häuser gebaut und Gewerbegebiete in die Landschaft gesetzt. Täglich gehen dadurch ca. 120 Hektar Natur und landwirt-schaftliche Flächen verloren. Umge-rechnet sind das in jedem Jahr etwa120 Fußballfelder.Über die Hälfte der Bodenfläche inDeutschland wird aber nach wie vorlandwirtschaftlich und zu einem Drit-tel forstwirtschaftlich genutzt. Land-wirtschaft und Wald prägen auch unsere heutige Kulturlandschaft.Unberührte Natur gibt es bei uns nichtmehr. Nur auf stillgelegten landwirt-schaftlichen Flächen und in manchen

unbeachteten Ecken und Winkeln inStadt und Land siedeln sich noch Pflan-zen und Tiere an, die sonst in unsererKulturlandschaft selten zu sehen oderganz aus einer Region abgewandertsind. In der Öffentlichkeit wird deshalbdie Frage nach der Vielfalt der heimi-schen Pflanzen und Tiere diskutiert.

Leider gibt es keine genauen Ver-zeichnisse der Pflanzenarten, die imMittelalter oder noch früher bei unsvorkamen. Deswegen kann in vielenFällen nur vermutet werden, welchePflanzen Alteinwanderer und welcheNeuankömmlinge sind.

Die letzten großen Einschnitte in Mit-teleuropa verursachten die Eiszeiten.Sie vernichteten praktisch die gesam-te Flora und Fauna in der Mitte undim Norden. Die Rosskastanie bei-spielsweise war im Zuge der Eiszeiten,die vor 18 000 Jahren zu Ende gingen,

diesseits der Alpen ver-schwunden, hatte aberin Restarealen des Bal-kans überdauert. Vondort kam sie 1576 nachWien und wurde überganz Europa verbreitet.Der Ginkgo erlebte be-reits vor 65 MillionenJahren, als die Dinosau-rier noch auf der Erde zuHause waren, seine Blü-tezeit. Heute wächst derBaum in freier Natur nurnoch in China. Auch derGinkgo verdankt sein

heutiges weltweites Vorkommen sei-ner Beliebtheit bei den Menschen.

Bis zur Jungsteinzeit, die vor 7 000 Jahren begann, war das Land fast ausschließlich mit Wald bedeckt.

Artenvielfalt in der Landwirtschaft

Nur Moore, Seen und hohe Felsen waren baumfrei. Entsprechend arten-arm war die Landschaft. Mit der Ausdehnung des Ackerbaus wander-ten viele Pflanzenarten ein, einige als Begleitpflanzen der ins Land geholten Kulturpflanzen. Man be-zeichnet diese Alteinwanderer als Archäophyten. Sie kamen vor allemaus den angrenzenden Gebieten Süd- und Osteuropas und Westasiens.Viele bilden noch heute einen beachtlichen der Teil der Vegetation,andere sind inzwischen vom Ackerverschwunden, z. B. die gelegentlichschon in der Jungsteinsteinzeit nach-weisbare Kornrade. Vor allem mehr-jährige Trockenrasenpflanzen, z.B.

Arbeitsblatt 4

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Früher begleitete die Kornrade, Agrostemma githago, als Unkraut dasWinter- und Sommergetreide. Ver-mutlich aus dem Vorderen Orientstammend, wurde sie mit schlechtgereinigtem Saatgut in die Getreide-anbaugebiete der ganzen Welt ver-schleppt. Als Unkraut verschwand sie mit der verbesserten Saatgutrei-nigung. Außerhalb der Getreideäckerkonnte sich die Kornrade auf Dauernicht halten. Auch andere Pflanzenmit großen, kurzlebigen Samen gelangten nicht mehr mit dem Getreide auf die Äcker. Heute stehteine neue Sorte der Kornrade ' Asko'für den Anbau zwischen verschiede-nen Kulturen (Zwischenfrucht) zurVerfügung.

Pollen – botanische Zeugen der JungsteinzeitDie ökologische Situation vor 5 000 Jahren in einigen GebietenGroßbritanniens haben zwei engli-sche Forscher anhand von Pollen ana-lysiert. Sie sehen in der Zunahme vonUnkräutern wie Wegerich und EchtemBeifuß ein untrügliches Zeichen fürden Beginn der Landwirtschaft. Auchdie Abnahme bestimmter Baum-pollen ist für sie ein wichtiges Indizfür die Ausbreitung der Landwirt-

schaft in dieser Zeit. Die Chronologieder im Torf gefundenen Pollen sprichtnach Ansicht der Wissenschaftlerdafür, dass die ersten englischen Bau-ern nach wenigen Jahrzehnten wiederihre Felder verlassen mussten, weildie Böden nach einiger Zeit aus-gelaugt und die Ernten schlecht wa-ren.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Natur undWissenschaft, 23.10.96

Nach den Eiszeiten –Neuaufbau der mitteleuro-päischen Vegetation

Quelle: Statistisches Bundesamt 2002

Viele Kräuter sind Alteinwanderer

Nutzungsarten der Bodenflächein Deutschland 2001 in ha in %Gesamtfläche Deutschland 35 703 100 100,0Gebäude- und Freifläche 2 308 100 6,8Unbebaute Betriebsflächeeinschl. Abbauland 252 800 0,7Verkehrsfläche einschl.Hafenanlagen 1 711 800 4,8Landwirtschaft 19 102 800 53,5Wald 10 531 400 29,5Wasser 808 500 2,3Fläche anderer Nutzung(einschl. Öd- und Unland) 721 900 2,0Erholungsfläche 265 900 0,7

Drüsiges Springkraut

Die meisten Pflanzen haben sich längst von ihremBlütenflor verabschiedet, wenn im Spätsommer die Blü-tezeit des Drüsigen Springkrauts, Impatiens glandulifera,beginnt. Die oft über 2 m hohen Pflanzen sind bis in denOktober hinein mit ihren orchideenartigen Blüten übersät,mal violett-purpur, mal pink, auch zart orangefarben oder seltener weiß. Sie stehen in mehreren langgestielten Traubenund sind vor allem in den Herbsttagen beliebte Futterplätzefür Hummeln und Bienen. Die einjährige Pflanze aus dem Himalaya-Gebiet bildet in kürzester Zeit große Bestände, wobei ihr an reichlich Feuchtigkeit gelegen ist. Manche Menschen ärgern sich über das häufige Vorkommen desSpringkrauts, weil es an Böschungen die Grasnarbe verdrän-ge, so dass im Winter verstärkt Erosion auftreten könne.

Glatthafer, Quecke undHirsearten, die Licht undWärme lieben, traten an ihreStelle. Kurzlebige „Saatgutun-kräuter“ verschwanden dagegen mitder seit Jahrzehnten üblichen Saat-gutreinigung wieder: Neben der Korn-

rade, der Taumellolch, Lolium temulentum, und die Roggentrespe,Bromussecalinus.

Aber auch in der neueren Zeit, nachder Entdeckung Amerikas durch Columbus (1492), wanderten immerwieder neue Arten nach Mitteleuropaein. Seit dieser Zeit spricht man vonNeueinwanderern, von Neophyten. Der größte Teil der Neophyten erschien im 18. und 19. Jahrhundert.

Vor allem in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts setzte eine verstärk-te Zuwanderung ein. Es begann dieZeit des zunehmenden Handels undVerkehrs. Mit Ladegütern kamenPflanzen und Pflanzenteile vermehrtaus Übersee und Asien nach Europa.Die Einwanderung hält bis heute an.

Einflüsse auf die Artenvielfalt

Etwa um 800 n. Chr. hatte eine umfang-reiche Rodung des Waldes eingesetzt.Die Bodenbearbeitung nahm zu, diePflanzengesellschaften wechselten,und die Erntemaßnahmen störten denLebensraum der mehrjährigen Gräser.Verstärkt stellten sich in den Agrar-ökosystemen Arten ein, die auch mitkleinen Populationen überleben. Sievermehren und verbreiten sich dannimmer wieder schlagartig, sobald dieLebensbedingungen erneut günstigsind. Das trifft auf die einjährigen Sa-menpflanzen zu. Sie fanden deshalb inder mittelalterlichen Dreifelder-wirtschaft günstige Voraussetzungen,da der Kulturpflanzenanbau immerwieder durch Brachen unterbrochenwurde. Die Bodennutzung wurde zunehmendintensiver, ermöglicht durch die von Justus von Liebig (1803 – 1878) begrün-dete Mineraldüngung (s. AB2, Warumdüngen?). Eine regelmäßige Kalkungkam hinzu. Manche Pflanzenart, die sichnur auf sauren und nährstoffarmen Bö-

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den wohlfühlt, wurde zurückgedrängt. Das Klettenlabkraut und der Acker-fuchsschwanz zeigen an, dass ein Boden ausreichend mit Stickstoff versorgt ist.Da es zur Anpassungsstrategie vielerWildpflanzen gehört, sich auf den Entwicklungsrhythmus bestimmterKulturpflanzen einzustellen, gehen mitder Aufgabe ganz bestimmter Kulturen auch Lebensgrundlagen fürWildpflanzen verloren, so für den Lein-lolch, der nur auf Leindotter-Äckernwächst. Leindotter wurde als Ölpflanzenoch nach 1945, z. B. in Südbaden, an-gebaut. Diese Anpassungsfähigkeit istaber nur eine Säule des Überleben derUnkräuter. Eine andere ist ihre hoheReproduktionsfähigkeit, die in einerenormen Samen- bzw. Früchte-produktion zum Ausdruck kommt. Aufeinem Quadratmeter Ackerfläche kön-nen sich bis zu einer halben Million Samen finden, die teilweise bis zu fünf Jahrzehnte lebensfähig bleiben.

Klettenlabkraut, Galium aparire, hübsch anzusehen, aber ein gefürch-tetes Samenunkraut, das die Kultur-pflanzen überwuchert und nach un-ten zieht. Dabei werden Krankheitenund Schädlinge übertragen. Eskommt zu erheblichen Ertrags- undQualitätsverlusten bei den Kultur-pflanzen.

Name Samen je Pflanze / Jahr

Weißer Gänsefuß 200 – 20 000

Vogelmiere 10 000 – 20 000

Echte Kamille 1 000 – 10 000

Windhalm 1 000 – 12 000

Neueinwanderer nach der Entdeckung Amerikas

Standraum konkurrieren, als Unkrautbezeichnet. Das kann eine Kartoffel-pflanze in einem Rübenfeld ebensosein, wie das Klettenlabkraut in einemGetreidefeld. Man bekämpft Unkräuter, weil sie das Wachstum und den Ernteertragder Nutzpflanzen beeinträchtigen. Sie können die Wachstumsfaktorenauf dem Feld häufig besser undschneller nutzen als die Nutzpflanzen. So beansprucht z. B. der Ackersenf die 2,6- bis 1,2 fache Wassermenge wie Gersten- bzw. Haferpflanzen. ImVergleich zu Nutzpflanzen haben Unkräuter oft ein stärker verzweigtesWurzelwerk, mit dem sie dem Bodendie Nährstoffe besser entziehen kön-nen. Die meist schnellwachsendenKräuter können zu einer starken Be-schattung der Kulturpflanzen führen.In stark verunkrauteten Beständenlassen sich keine Erntemaschinen einsetzen. Nicht nur auf landwirt-

schaftlich genutztenFlächen können Pflan-zen den Funktions-wert der Flächenstören, sondern auchim Verkehr, in der

Wasserwirtschaft, auf sportlich genutz-ten und der Erholung dienendenFlächen oder selbst in Biotopen fürschützenswerte Pflanzen- und Tierge-sellschaften.Unbestritten ist, dass von diesenAckerbegleitpflanzen auch positiveWirkungen auf das Agrarökosystemausgehen. Zum Beispiel bieten siezahlreichen Nützlingen eine wichtigeLebensgrundlage. Sie überwintern anihnen und finden hier Nahrung zurVervollständigung ihrer Entwicklung.Wissenschaftler haben beispielsweisean der Ackerkratzdistel über 80 Insek-ten nachgewiesen. Dabei sind beson-ders doldenblütige Gewächse wie dieWilde Möhre oder Korbblütler wie dieGeruchlose Kamille oder die Acker-Gänsedistel bei den Blüten besu-chenden Insekten besonders gefragt. Solche Biotope bieten z.B. auch Reb-hühnern optimale Lebensbedingun-gen. Die Küken ernähren sich in denersten Lebenswochen fast zu 100 Pro-zent von eiweißreichen Insekten. Spä-ter kommen grüne Pflanzenteile wieu.a. Grasspitzen und Wildkräuter so-wie Körner, Samen und Beeren hinzu.

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Herkulesstaude

Die imposante Herkulesstaude, Heracleummantegazzianum, ist mit ihren riesenhaftenBlütendoldentellern ein beliebter Nah-rungsplatz für Insekten. Die Dolde dieser ro-busten und anspruchslosen Pflanze kannsich aus 30 000 Blüten zusammensetzen, diebis zum September blühen. Vor Berührungder über 3 m hoch wachsenden Pflanze wirdgewarnt, weil in ihrem Saft der Stoff 6,7-Furanocumarine enthalten ist, der beiBerührung und gleichzeitiger Sonnenein-wirkung zu Hautrötungen, -schwellungenoder -bläschen führen kann.

1794 Paris

1797

18121890

1866

1807

1821

18051904

1885

1907

18421852

1869

1846

1880

Ausbreitung des Franzosenkrauts,Galinsoga parviflora. Heimat Peru,aus botanischen Gärten in Europaverwildert

Begrenzte Landflächenfür die wachsende Bevölkerung

Die Landwirtschaft inder Frühgeschichtewar, ökologisch gese-hen, weder vernünftignoch effizient. Sie waraus heutiger Sicht eineAusbeutungs-, ja Raub-bauwirtschaft. Der Waldlieferte Viehfutter undStalleinstreu, die, so-weit sie reichte, als or-ganischer Dünger

diente. Die einseitige Ausbeutung derWälder führte im 18. Jahrhundert zu ih-rer weitgehenden Zerstörung. DieProduktivität der Äcker sank infolgeNährstoffmangels dramatisch. Es warunumgänglich geworden, die Land-wirtschaft zu modernisieren. Die wachsende und anspruchsvollerwerdende Stadtbevölkerung wollteernährt werden. Der Staat ermutigte die Landwirtschaft zur Intensivierungihrer Produktion.

Diskussion

Genauso wie der an bestimmten Standorten beobachtete Rückgangder Arten diskutiert wird, ruft die „Invasion“ einiger NeueinwandererKritik hervor. Der Vorwurf lautet, dasssie einheimische oder einheimischgewordene Pflanzen verdrängen. Da-bei geht es z. B. um die Herkules-staude und das Drüsige Springkraut,aber auch um den Faden-Ehrenpreis,die Kanadische Goldrute, den Chine-sischen Sommerflieder u. a. WeitereNeophyten, die in der Feldflora anzutreffen sind, wie das Franzo-senkraut oder der Persische Ehren-preis, sind aus der heimischen Sege-talflora* nicht mehr wegzudenken. Allen gemeinsam ist, dass sie sich anden neuen Standorten ohne Konkur-renz üppig entwickelten. Dabei ist Mitteleuropa nicht nur ein Zielland für solche Zuwanderer, sondern auchin vielen Fällen ein Ausgangsland.Die Gesamtflora Deutschlands um-fasst heute knapp 2 700 Arten, von denen rund 300 der Ackerbegleitflorazuzurechnen sind.* Einjährige Samenpflanzen der

Getreidebegleitflora

Wildkraut oder Unkraut?

Dort, wo auf einem Feld Nahrungs-pflanzen die Hauptrolle spielen, wer-den alle anderen Pflanzen, auch Wild-kräuter, die mit ihnen um den

und zu großen Tei-len hungernde Welt-bevölkerung (800Millionen Men-schen) künftig aus-reichend zu ernäh-ren, dahinter zu-rückstehen müsste.Da die Ansprücheder Menschen anRaum und Nahrungentsprechend zu-nehmen, bedeutetdies allerdingsauch, dass eine in-tensive Landwirt-schaft nach den Re-geln des Integrier-ten Pflanzenbaus –

der Biodiversität von Rio de Janeiro,1992 umzusetzen.Die Artenschutz-Vorschrift dürfe je-doch, so Prof. Haber, nicht so ausge-legt werden, dass keine einzige Artmehr durch menschliche Einwirkungaussterben darf. Das würde bedeuten,dass das Ziel, die derzeit jedes Jahr um81 Millionen Menschen zunehmende

Feldraine, Hecken, Krautstreifen undBüsche sind wichtige Biotope, in de-nen viele Tiere ihre Heimat findenkönnen.

Das Projekt "Lebendige Natur durchLandwirtschaft" des Kölner Büros fürFaunistik, hat sich mit den Tieren inunserer Agrarlandschaft beschäftigt. Inmehrjährigen Studien wurden 22 sehr unterschiedliche Flächen un-tersucht und die auf den Feldern,Äckern und Ackerbegleitstrukturengefundenen Tierarten gezählt. "Wir fanden über 600 Tierartenaus den Gruppen der Vögel, Tag-falter, Wanzen, Heuschrecken,Schwebfliegen, Laufkäfer undSpinnen", berichtete Dr. ClausAlbrecht, Gesellschafter desBüros. "Dies entspricht knapp ei-nem Viertel der Artenvielfalt dergenannten Tiergruppen für dieBundesrepublik Deutschland." Der Forscher hebt hervor, dass nichtnur "Allerweltsarten" gefunden wur-den, sondern auch viele Arten, die inden "Roten Listen" aufgeführt sind."Aus Sicht der Tierwelt ist also weniger die Bewirtschaftung derFlächen selbst entscheidend für dieArtenvielfalt, sondern es sind viel-mehr die Anteile und die Strukturnicht regelmäßig bewirtschafteterFlächen”. Mit anderen Worten:

dem System einer nachhaltigen undnaturschonenden Landwirtschaft – folgen muss.

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Nachhaltige Landwirt-schaft

Auf der internationalen Konferenzfür Umwelt und Entwicklung in Riode Janeiro (l992) wurde das Leitbild einer nachhaltig zukunftsverträgli-chen Entwicklung – Sustainable Development – als gemeinsames Ziel der internationalen Völker-gemeinschaft verabschiedet. Da-nach müssen die natürlichen Res-sourcen soweit geschont werden,dass die Grenzen der Belastbarkeitder Umwelt nicht überschritten wer-den und die natürlichenLebensgrundlagen und Kreisläufeerhalten bleiben. In der Landwirt-schaft wird auf dieser Grundlage derIntegrierte Pflanzenbau betrieben,mit dem z. B. die Vielfalt der Pflan-zen- und Tierarten sowie die Frucht-barkeit des Bodens erhalten und gefördert werden.

Über 600 Tierarten Wenn die landwirtschaftlicheNutzung aufhört ...,

untersucht in einem Gebiet des Lahn-Dill Kreises auf Acker mit Wildkräutern,

Grünland und Ginsterbrache

Bei landwirtschaftlicher Nutzung: 687 Arten Ohne landwirtschaftliche Nutzung: 213 Arten

Quelle: Institut für Agrarpolitik und Marktforschung, Tobias C. Wronka, Justus-Liebig-Universität Giessen

Landnutzung und Naturschutz –Gibt es eine Lösung?Schon in den 9oer Jahren trat der Land-schaftsökologe Prof. Dr. WolfgangHaber der Auffassung entgegen, dasseine allgemeine Extensivierung derLandwirtschaft die Lösung wäre. Erforderte eine dem Standort angepass-te Nutzung mit den Zielen

1. einer nachhaltigen Landbewirt-schaftung und

2. der Erhaltung der Biodiversität.

Eine nachhaltige Landbewirtschaf-tung sei vor allem in ökologisch gut ge-eigneten Gebieten möglich. Sie liegenmeistens in unseren gemäßigten Kli-mazonen. Weltweit sieht dies ganz an-ders aus. Nur 11 Prozent der Festland-oberfläche sind für eine intensivelandwirtschaftliche Nutzung geeignet.Alle anderen Gebiete sind zu nass, zutrocken, zu flachgründig, zu salzhaltigoder ständig gefroren. Um solche Stan-dorte zu verbessern, müssten, so Prof.Haber, meistens nicht tragbare Um-weltbelastungen in Kauf genommenwerden.So geht die weltweite Steigerung derlandwirtschaftlichen Produktion seit1950 nur zu 8 Prozent auf eine Flächen-ausdehnung, aber zu 92 Prozent aufeine höhere Flächenproduktionzurück. Daraus folgt, dass es sowohlökonomisch als auch ökologisch vor-teilhafter ist, auf einem Hektar 80 dtGetreide zu erzeugen, statt dafür 2 Hektar Natur zu verbrauchen. Dieeingesparten Hektare könnten demArten- und Biotopschutz überlassenwerden. Das wäre ein Weg, die inter-nationale Konvention zur Erhaltung

Quellen: D. T. Avery, US-Hudson-Institute, FAO 1 Hektar (ha) = 10 000 m2

Flächenbedarf an Ackerland

zur Nahrungsmittelerzeugung

mit und ohne Agrarchemie

2000

6,0 Mrd. Menschen

2025

8,5 Mrd. Menschen

Ist-Situation1,502 Mrd. ha

mit Agrarchemie

4,0 Mrd. haohne Agrarchemie

5,9 Mrd. haohne Agrarchemie

theoretisches Potenzial

Erdoberfläche: 13 Mrd. ha

4,3 Mrd. haWüste, Gletscher,Gebirge u.a.

3,8 Mrd. haWald, Steppe

3,4 Mrd. haGrünland,Prärie

1,5 Mrd. haAckerland/Dauerkulturen

durch die Auswei-

tung des Rapsan-baus und durchdie Einwande-rung aus Stillle-gungsflächen seiteinigen Jahrenregional stärkerauf, wie die Be-senrauke, dieWeiße Lichtnel-ke, die Weg-rauke und derAckerkrummhals,Lycopsis arvensis.Besonders vonden Stilllegungs-flächen breitensich diese Pflan-zen auf benach-barte Felder ausund werden dortmit ihrer gewalti-gen Samenpro-

zen je Quadrat-meter im Rapssind dabei keineSeltenheit. Wie-viel Platz bleibt danoch den Raps-pflanzen, von de-nen der Landwirtletztlich sein Ein-kommen bestrei-ten muss?Aber auch andereUnkräuter treten

Unkraut bekämpfen – warum?

Wie notwendig die Bekämpfung derUnkräuter auf den Ackerflächen ist,auch im Rahmen des IntegriertenPflanzenbaus, zeigt ein Vergleich derkeimenden Unkrautsamen und Kul-turpflanzen. Während sich von rund40 000 Klatschmohn-Keimlingen jeQuadratmeter trotz gegenseitigerKonkurrenz immerhin noch 2 000 bis3 000 Keimlinge bis zur Samenreifeentwickeln, dürfen nur 300 bis 400 Ge-treidepflanzen, bei Rüben sogar nur7 bis 8 Pflanzen heranwachsen. Regional haben „Rot blühende“Rapsfelder zuge-nommen, z.B. aufden anmoorigenStandorten im Ha-velland. 150 bis200 Mohnpfla-

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Ackerkratzdisteln inGetreide

Bingelkraut in Zuckerrüben(größere helle Blätter)

Blühende Kamille inZuckerrüben

duktion oder ihrem Wurzelwerk zumUnkraut.Auch in Österreich stellt man in letz-ter Zeit viele alte „neue“ Unkräuterfest, die sich zu Problemen ent-wickeln. Es sind Pflanzen, die durchveränderte (Umwelt-) Bedingungenvon den für sie günstigeren Lebens-bedingungen profitieren. Dies kön-nen z. B. mehrere lange, heiße undtrockene Sommer sein, wie sie für dieSamenreife der beifußblättrigen Ambrosie, Ambrosia arthemisiifolia,besonders günstig sind oder der An-bau neuer Kulturen, wie z. B. Hanf, derdann in später nachfolgenden Kultu-ren zum Unkraut wird. Seit drei Jahrentritt in Deutschland vor allem in Rü-benfeldern ein neues Unkraut auf: Diebis zu 2,5 m hoch wachsende Samt-pappel, Abutilon theophrasti. Sie istin den USA vor allem im Soja-Anbau gefürchtet.

Wenn auf einer intensiv genutzten Ackerfläche ein hoherGetreideertrag erzielt wird, können Naturflächen un-berührt bleiben.

Saumbiotope – ein Beitragzum Naturschutz

In Kooperationsmodellen zwischenLandwirtschaft und Bundesländernlegt der Landwirt Ackerschonstreifenoder Ackerrandstreifen an. Für diese 3 bis 8 m breiten Saumbiotope werdenvon den Bundesländern Ausgleichs-zahlungen geleistet. Während auf Ackerkrautstreifen gezieltblühende Kräuter ausgesät werden,wachsen auf Ackerrand- bzw. -schon-streifen nur einjährige Wildkräuter desStandorts. Durchschnittlich finden sichPflanzengesellschaften mit 5 – 10 Ar-ten der Ackerflora ein. Diese Streifenbieten im Vergleich zu landwirtschaft-lich genutzten Flächen eine größereBodendeckung. Wesentlich ist, dasssie weder mit einer Düngung noch mitPflanzenschutzmitteln in Berührung

kommen. Solche Saumbiotope lockenInsekten und andere Tierarten an undbieten ihnen Rückzugsmöglichkeiten.Allerdings können sich auf den Acker-schonstreifen gefährdete Arten meistnicht behaupten. Diese Streiffen wer-den in der Regel gleichzeitig mit derGetreideernte, allerdings separat,gemäht. Da von ihnen ein Unkraut-druck ausgehen kann, wird die Förde-rung von den Landwirten in unter-schiedlichem Umfang angenommen.Ähnlich sieht es mit Stilllegungs-flächen aus, auf denen sich gerade diePflanzen wieder durchsetzen, die auchsonst in ihrem Wachstum kaum zubremsen sind, z. B. Disteln und Amp-fer. Man schätzt, dass das Netz vonAckerschonstreifen bzw. -randstreifenin unserer Landschaft etwa 2 MillionenKilometer lang ist.

Getreidefeld mit Ackerkrautstreifenauf rekultiviertem Braunkohletage-bau im Raum Jülich

Die Vegetation, die Natur und dieLandschaft verändern sich unaufhör-lich, und zwar auch dann, wenn sichdas Klima nicht wandelt. Eine Pflan-zenart kann sich durch Zufall ausbrei-ten, eine andere nicht. Kommt es ineiner Pflanze zu einer Mutation*, kanndies zu besseren oder weniger gutenExistenzmöglichkeiten für eine Artführen. Die Konkurrenz zwischenPflanzenarten fördert bei der einendie "durchschnittlichen" Individuen;eine solche Pflanzenart, verändert sichim Lauf der Zeit wenig. Bei einer an-deren Art werden die "extremen" Typen bevorzugt. Diese Pflanzenartwandelt sich stärker. Die Konkurrenz-verhältnisse zwischen den Pflanzen-arten werden dadurch insgesamt ver-ändert.In der Natur ist es ganz "natürlich",dass immer wieder neue Pflanzenar-ten entstehen und andere aussterben,dass einzelne Pflanzenarten sich aus-breiten und andere dazu nicht in derLage sind. Alle Arten verändern sichständig, die einen schneller, die an-deren langsamer. Aus naturwissen-schaftlicher Sicht gibt es keinenGrund, den Wandel aufzuhalten. Auch

die gezielte Bekämpfung von Neo-phyten kommt nicht in Frage, wennman sich naturwissenschaftlichen Ge-gebenheiten strikt verpflichtet fühlt.Aber aus kultureller Sicht kann eswichtig sein, einzelne Arten zu erhal-

ten und andere an ihrer weltweitenAusbreitung zu hindern: Arten von Lebewesen und Regionen der Erdesollen bewahrt werden, weil sie Teileunserer Identität sind.

Dr. Hansjörg Küster ist Professor fürPflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Universität HannoverAuszug erschienen im PROFIL 1/2002

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Landschaften verändern sich ständig:

Pflanzenarten kommen und gehen

Arbeitsaufgaben

Beantworte!

Aus welchen Gründen begannen dieBewohner Mitteleuropas, den Wald zuroden?

Nenne die Faktoren, die seit dem Mit-telalter die Artenvielfalt beeinflussen.

Beobachte und beantworte!

Wie unterscheidet sich die Natur- vonder Kulturlandschaft?

Kennst du Beispiele, wo die Arten-vielfalt von Pflanzen und Tieren be-droht ist?

Wieso beschäftigt sich die Öffentlich-keit deiner Meinung nach mit demThema Artenvielfalt?

Recherchiere und beantworte!

Was versteht man unter Reproduk-tion?

Erläutere die Reproduktionsfähigkeitder Kamille.

Informiere dich!

Was wurde auf dem Umweltgipfel inRio de Janeiro, 1992, gefordert?

Beantworte!

Erkläre den Begriff der „Ackerbegleit-flora“.

Definiere den Begriff „Unkraut“.

Wie wird bei dir zu Hause üblicher-weise mit „Unkraut“ umgegangen?

Liste negative und positive Wirkungenvon Unkräutern auf.

Zum Nachdenken!

Warum kann die Ausbreitung von Un-krautpflanzen bedrohlich für dieLandwirte werden?

Mache Vorschläge, wie die Artenviel-falt der Pflanzen und Tiere gesichertwerden kann.

Zur Diskussion!

Diskutiere mit deinen Mitschülernden Beitrag von Prof. Küster „Pflan-zenarten kommen und gehen“

*Mutation = spontane oder künstlicherzeugte Veränderung im Erbgut

ImpressumHerausgeber: Industrieverband Agrar e.V.Karlstr. 21 · 60329 Frankfurt am MainFax: 069/ 23 67 02 · e-mail: [email protected]: www.iva.de

Bildnachweis:S. 1, 2,3 (jeweils oben); S. Meyerinck;S. 2 , S. 3 F&H; S. 4 IVA;S. 5 IVA, H.-P Oetelshofen u.a., FNL;S. 6 Prof. Dr. Schumacher(2003)

Ackerrand- bzw. -schonstreifen mit Geruchloser Kamille, aufgenommen in der Eifel.