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Ulrich Hammerschmidt Wie können Schulleiter die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lehrer unterstützen? – Verantwortung und Möglichkeiten des Schulleiters bei der Führung des Kollegiums Die Eigenverantwortung des Lehrers ist eine wesentliche Grundlage für das Gelingen von Schulqualität, insbesondere von gutem Unterricht. Der Schulleiter hat als Führungskraft die Verantwortung für die Führung der, jeder für sich, weitgehend eigenständig handelnden Lehrer. Daraus ergibt sich eine Spezifik des Schulleiters als Führungskraft, die sich zwar im europäischen Rahmen durchaus unterscheidet, jedoch hinsichtlich der Sicherung der Unterrichtsqualität große Gemeinsamkeiten aufweist. Im folgenden Beitrag werden folgende Aspekte bearbeitet: - Länder übergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der institutionellen Festschreibung der pädagogischen Verantwortung - Historische Entwicklung des Verständnisses der pädagogischen Verantwortung des Lehrers - Eigenverantwortung als wesentlicher Aspekt einer systemischen Beschreibung von „Schule“ - Konsequenzen für die Führung von Schule durch den Schulleiter - Förderung der pädagogischen Verantwortung des Lehrers durch den Schulleiter im Spannungsfeld Kultur – Struktur – Strategie 1. Institutionelle Kodifizierung der „pädagogischen Verantwortung des Lehrers“ im historischen und europäischen Kontext Historisch ist insbesondere für Deutschland hinsichtlich der sozialen und beruflichen Stellung von Lehrern sehr deutlich zwischen Volksschullehrern und Lehrern des höheren Lehramtes zu 1

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Ulrich Hammerschmidt

Wie können Schulleiter die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lehrer unterstützen? – Verantwortung und Möglichkeiten des Schulleiters

bei der Führung des Kollegiums

Die Eigenverantwortung des Lehrers ist eine wesentliche Grundlage für das Gelingen von Schulqualität, insbesondere von gutem Unterricht. Der Schulleiter hat als Führungskraft die Verantwortung für die Führung der, jeder für sich, weitgehend eigenständig handelnden Lehrer. Daraus ergibt sich eine Spezifik des Schulleiters als Führungskraft, die sich zwar im europäischen Rahmen durchaus unterscheidet, jedoch hinsichtlich der Sicherung der Unterrichtsqualität große Gemeinsamkeiten aufweist. Im folgenden Beitrag werden folgende Aspekte bearbeitet:

- Länder übergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der institutionellen Festschreibung der pädagogischen Verantwortung

- Historische Entwicklung des Verständnisses der pädagogischen Verantwortung des Lehrers

- Eigenverantwortung als wesentlicher Aspekt einer systemischen Beschreibung von „Schule“

- Konsequenzen für die Führung von Schule durch den Schulleiter- Förderung der pädagogischen Verantwortung des Lehrers durch den Schulleiter im

Spannungsfeld Kultur – Struktur – Strategie

1. Institutionelle Kodifizierung der „pädagogischen Verantwortung des Lehrers“ im historischen und europäischen Kontext

Historisch ist insbesondere für Deutschland hinsichtlich der sozialen und beruflichen Stellung von Lehrern sehr deutlich zwischen Volksschullehrern und Lehrern des höheren Lehramtes zu unterscheiden. Der Lehrauftrag war schichtenspezifisch, d.h. der Volksschullehrer hatte in erster Linie die Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Gottesfürchtigkeit und Staatstreue zu vermitteln, während der Gymnasialprofessor die Kinder der bürgerlichen und adligen Schichten neben der Vermittlung von Kulturtechniken sowie der Ethik und des gesellschaftlichen Bewusstseins der jeweiligen Epoche auf ihre künftige soziale Stellung und politische und wirtschaftliche Verantwortung vorzubereiten hatte. An die Gymnasialausbildung schloss sich somit folgerichtig das Universitätsstudium an. Ein Spezifikum stellt in diesem Zusammenhang der Beamtenstatus der Lehrer in vielen Bundesländern Deutschlands (außer Sachsen) dar1. Historisch entwickelte sich eine mehrstufige, streng hierarchische und am Vorbild einer Behörde ausgerichtete Schulaufsicht. Darin widerspiegelt sich das Bewusstsein der staatstragenden Bedeutung des Lehrerberufs. Die „Angst vor der Inspektion“ ist eine bis weit in die 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts

1 Der Beamtenstatus der Lehrer wird sehr wohl kontrovers diskutiert. Einerseits sichert er ei n hohes Maß an Verlässlichkeit in der Unterrichtsversorgung, andererseits wird eine aus dem Gefühl sozialer Absicherung folgende „Innovationunlust“ beklagt. (vgl. Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern, Länderbericht Deutschland, OECD – Abteilung für Bildungs- und Ausbildungspolitik, 09/2004)

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hineinreichendes Steuerungsprinzip der Institution Schule auf allen ihren Ebenen. Damit hatte sich die Hospitation durch den Schulleiter (und, noch schlimmer, durch den Schulrat) als scheinbar „scharfes Schwert“ der Disziplinierung von Lehrern entwickelt. Die Angst davor, dass „Fehler“ aufgedeckt werden war über 200 Jahre ein unheilvolles Instrument in der Steuerung der Institution Schule, das auch heute noch nicht ihre völlig ihre Wirkung verloren hat. Der Lehrer wird in diesem System als „letztes Glied“ in einer feingestuften Linienstruktur gesehen2. Der institutionelle Blick auf das Lehrerhandeln ist somit in starkem Maße von der Logik einer öffentlichen Verwaltung geprägt, die durch eine enge Kopplung ihrer Elemente und Ebenen sowie eine hohe Berechenbarkeit ihrer Abläufe gekennzeichnet ist.Die „innere“, gleichwohl zentrale Steuerung dieses Systems erfolgt im Wesentlichen durch Gesetze und Vorschriften sowie inhaltliche Fixierungen in Lehrplänen3 und durch ein ursprünglich auf HERBART zurückgehendes Unterrichtsszenario. Vor allem WILHELM REIN schuf ein stark trivialisiertes und formalisiertes Szenario, das die Stufen „Vorbereitung – Darbietung – Verknüpfung – Zusammenführung – Anwendung“ als Standard für jede Unterrichtsstunde im Rahmen von 45 Minuten festschrieb. Generationen von Lehrern in Deutschland haben dieses Schema in ihrer Ausbildung und in ihrer Berufspraxis verinnerlicht, für Generationen von Schulleitern, Inspektoren und Schulräten war dieses Schema die Grundlage der Bewertung von Lehrern bei Hospitationen. Beide Steuerungsinstrumente, die Konstruktion von Schule als Behörde einerseits und die gut kontrollierbare Trivialisierung von hochkomplexen Unterrichtsprozessen andererseits bedingten somit eine „institutionelle Schizophrenie“ der Stellung des Lehrers und der Sicht auf seine pädagogische Verantwortung: die Organisation, in der er tätig ist, hat Strukturen geschaffen, die eine weitgehende Steuerung des Lehrerhandelns anstreben bzw. wenigstens suggerieren. Andererseits vollziehen sich mehr als 99% seiner Tätigkeit faktisch ohne äußere Kontrolle und direkte Einflussnahme.

Vergleichen wir den gegenwärtigen Status der pädagogischen Verantwortung von Lehrern im europäischen Rahmen, so erkennen wir, dass die pädagogische Verantwortung und damit die didaktisch-methodische Entscheidungsautonomie des Lehrers in allen europäischen Staaten weitgehend festgeschrieben sind4. Dabei ist die Auswahl der Lehrmethoden in allen europäischen Ländern vollständig in Verantwortung der Lehrer. Graduelle Unterschiede gibt es hinsichtlich der Möglichkeit der Einflussnahme der Schulleitungen und der kollektiven bzw. individuellen Entscheidungsfindung über die in einer Klasse oder der Schule grundsätzlich zu praktizierenden Methoden. In Deutschland kommt hier den Fachschaften im Bereich der Sekundarschulen eine große Bedeutung bei der fachlichen Steuerung des Unterrichts einer Schule zu. Es werden sehr konkrete und weitgehende Festlegungen zur

2 Das „soldatische“ dieser Struktur mag seinen Anfang im preußischen Volksschulwesen unter Friedrich II gehabt haben, dessen Lehrkräfte zu einem großen Teil dienstunfähige und pensionierte Unteroffiziere waren.3 Hier hat sich in den letzten 20 Jahren in allen deutschen Ländern eine gewisse Öffnung und Flexibilisierung im Zusammenhang mit Schritten zur Autonomisierung von Schule ergeben. Historisch ist die Liste der Versuche, über das Curriculum Einfluss auf das Lehrerhandeln zu nehmen, lang. Insbesondere die auf behavioristischen Theorien basierende „Lernzielorientierte oder auch kybernetische Didaktik“ konstruierte „geschlossene“ Curricula, die minutiös das, was im Klassenzimmer stattfinden sollte, vorschrieben. Dieser Versuch, „lehrersichere“ Curicculae zu erstellen, hatte sich als teurer Irrweg erwiesen und wurde Mitte der 70-er Jahre korrigiert.4 vgl. Levels Of Autonomy and Responsibilities of Teachers in Europe. Eurydice, European Unit 2008 , S. 27ff

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Bewertung und Benotung, z.T. auch bei der Festlegung optionaler Inhalte getroffen. Es muss allerdings beachtet werden, dass die sehr weitgehende pädagogische Verantwortung des Lehrers in den Ländern der EU sich in einem sehr unterschiedlichen Rahmen von Schulautonomie in Bezug auf die zentrale Steuerung des Schulwesens bewegt. Die Spannweite reicht von Griechenland mit eher gering ausgeprägter Autonomie der einzelnen Schulen bis zu Schottland mit hoher Autonomie. Polen und die deutschen Länder bewegen sich etwa im Mittelfeld der Graduierung der Schulautonomie5.

2. Systemtheoretische Begründung der pädagogischen Verantwortung des Lehrers

Auf das Konstrukt des Schulsystems als Behörde wurde bereits im ersten Abschnitt eingegangen. Betrachten wir nun die einzelne Schule aus systemtheoretischer Sicht, so wird deutlich, dass sie im Unterschied zur Linienhierarchie der Schulverwaltung eine komplexe Struktur mit flacher Hierarchie bildet. Die grundlegenden Unterschiede beider Strukturen bestehen in der Unterschiedlichkeit ihrer Logiken (Verwaltungshandeln versus Lehren/Lernen) und darin, dass in der Schule Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nicht nur von der höheren Hierarchieebene zur niedrigeren ablaufen, sondern auch von unten nach oben und vor allem horizontal (und zwar formell auf der Ebene von Konferenzen als auch informell).6 Das Handeln jedes einzelnen Lehrers wird wesentlich aus sich selbst heraus (seinem Wissen, seinen Erfahrungen, eigener Prägung, seinen mentalen Modellen) gesteuert. Er schafft im Sinne des Konstruktivismus seine eigene professionelle Realität und handelt danach7.Das zweite wesentliche systemtheoretische Merkmal des Handelns des Lehrers ist die hohe Komplexität seines Tätigkeitgegenstandes. Das Geschehen im Unterricht wird einmal durch die Ziele, Inhalte, Methoden, außerdem durch die individuellen und sozialen Bedingungen einer Klasse und des jeweiligen aktuellen Willens der Akteure bedingt. Dadurch ist das Geschehen vielschichtig und in seinem Verlauf grundsätzlich unsicher.Das dritte Merkmal ist die lose Kopplung8 des Handelns des Lehrers im Unterricht mit anderen Bereichen der Schule (Kollegen, Schulleiter). Das unterrichtliche Handeln des Lehrers geschieht weitgehend ohne äußere Kontrolle und sie arbeiten auch außerhalb des Unterrichts meistens allein9. Diese systemtheoretischen Besonderheiten des Lehrerberufes haben weitreichende Konsequenzen für das Führungshandeln des Schulleiters, da eine Reihe „klassischer“ Führungsprinzipien und –instrumente wirkungslos sind. „Verantwortung“ in seiner zweifachen Bedeutung, nämlich einerseits „Verantwortung“ von einem Vorgesetzten oder per Gesetz „übertragen“ zu bekommen und andererseits „Verantwortung wahrnehmen“,

5 vgl. a.a.O., S.826 vgl. Rosenbusch 2005, S.67ff.7 Inwiefern ein einzelner Mensch als System begriffen werden kann, ist in der Literatur umstritten. Jedoch sind Phänomene der Selbstreferenz und operationaler Geschlossenheit deutlich, die immerhin die Auffassung des Menschen als System zweckmäßig erscheinen lassen.8 Vgl. Weick 19769 Höchstens 0,1 – 0,2% aller Stunden werden vom Schulleiter hospitiert. Kollegiale Hospitationen sind ebenfalls marginal im Vergleich zur Gesamtheit der Stunden. Der Anteil kollektiver Vorbereitung und von Absprachen dürfte sich auf etwa 1 bis 5 Stunden pro Woche, je nach Schulart und je nach Spezifik der Arbeitsweise der Schule beschränken.

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„verantwortungsbewusst“ handeln als ethisches und moralisches Prinzip des einzelnen Lehrers, wird in diesem systemischen Verständnis zum unverzichtbaren, zentralen Prinzip, zum kategorischen Imperativ im KANT’schen Sinne.

3. Konsequenzen für die Führung von Schule

Daraus ergib sich für die Führung von Schule, dass das Handeln der Lehrer durch den Schulleiter grundsätzlich nicht direkt beeinflusst werden kann, jedoch hat der Schulleiter stets die Gesamtverantwortung für das Handeln der Lehrer seiner Schule. Das erfordert, dass Schulleiter Instrumente und Prinzipien der Führung einsetzen, die die systemischen Besonderheiten von Schule und des Handelns der Lehrer nicht nur berücksichtigen, sondern bewusst nutzen.Das Prinzip „Verantwortung“ ist dabei nicht nur, von Lehrern und ihren Berufsverbänden oft heftig verteidigtes, berufliches Privileg sondern die Basis der Führung von Schule, Lehrern und Unterricht durch den Schulleiter. Dabei ist es wichtig, dass Schulleiter sich ihrer Stellung im Gesamtsystem bewusst sind. Sie sind einerseits Teil des hierarchischen Schulsystems als Behörde10 und andererseits Chef eines hochkomplexen, faktisch in vielen Belangen praktischen Handelns autonom agierenden Systems „Schule“ mit seinerseits weitgehend autonom handelnden Akteuren, einem System also, das prinzipiell nicht „beherrscht“ werden kann im Sinne stringenter Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit. Dabei hat der Schulleiter mit oftmals kontroversen Erwartungen der „Hierarchie“ auf der einen Seite und seiner Kollegen und der Schüler und ihrer Eltern andererseits zu tun. Es ist wichtig sich dieser „systemischen Schizophrenie“ bewusst zu sein und sein Handeln klar auszurichten11. Es ist entscheidend, ob der Schulleiter seine Führungsaufgaben in erster Linie als Aufgabe der Führung der Akteure in seiner Schule, der qualitativen Gestaltung ihrer Prozesse und sich selbst auch als „Schutzschild“ für seine Organisation versteht oder in erster Linie als derjenige, der Weisungen und Verordnungen „von oben nach unten“ durchsetzt. Auf die Differenz der mentalen Modelle im „Wollen“ und „Handeln“ weist MAZURKIEWICZ mit drastischen Worten hin:

„Przywódzy edukacyjni, których sylwetki wyłaniają się z przeprowadzonych wywiadów, to osoby w teorii pełniające funkcje inspiratorów i wizjonerów, o sporej formalnej władzy, a praktyce będące kontrolerami nauczycieli i organizatorami procesu uzupełnienia braków sprzętowych i poprawiania szkolnej infrastruktury, odpowiedzialne za bezpieczeństwo, ale raczej nie za intelektualny rozwój. Właściwie nie widać ani chęci , ani potencjalu dla inicjowania lub prowadzenia procesu rozwoju.” 12 13

10 In den meisten Schulgesetzen der deutschen Länder ist der Schulleiter als „unterste Ebene der Schulaufsicht“ juristisch kodifiziert.11 Vgl. Rosenbusch 2005, S. 69ff und 2009, S. 217ff 12 Mazurkiewicz 2012, S. 8013 Bezeichnend für die mentale Orientierung vieler Schulleiter ist die Erfahrung des Autors aus Fortbildungen für Schulleiter, die mit ihren „Wunschthemen“ in einem hohen Maße nach „Rechtssicherheit“, „Schulorganisation“ und dem fehlerfreien Umgang mit „schwierigen Kollegen“ streben.

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Die Klarheit über eigene mentale Modelle, über die Grundrichtung des eigenen Handelns ist der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zum Führungshandeln.

4. Ansätze zur Förderung der Wahrnehmung und Gestaltung der pädagogischen Verantwortung des Lehrers durch den Schulleiter

4.1. Förderung von Professionswissen und Handlungsroutinen der Lehrer

Die Wahrnehmung von Verantwortung kann effektiv nur dann erfolgen, wenn der Lehrer, dem die Verantwortung übertragen wird, die für diese Tätigkeit notwendigen professionellen Voraussetzungen hat. Schulleiter finden bei Aufnahme ihrer Tätigkeit i.d.R. ein Kollegium vor, das bereits über mehrere Jahre mit weitgehend stabiler Zusammensetzung existiert. Bei der Rekrutierung von neuem Personal haben Schulleiter nahezu keinen Einfluss auf die Personalauswahl (das scheint in dieser Ausprägung allerdings ein besonderes deutsches Phänomen zu sein).

Umso wichtiger ist das Ermöglichen und Fördern individueller beruflicher Entwicklung in der Schule selbst, denn immerhin währt die aktive Berufsphase eines Lehrers bis zu vierzig Jahre. Dabei fällt auf, dass Lehrer eine große Bereitschaft zeigen, sich in ihren Fächern fortzubilden. Ähnlich hoch ist die Bereitschaft, neue fachspezifische Methoden kennenzulernen. Hier ist vermutlich auch der größte Effekt im Hinblick auf die Übernahme in das eigene Handeln. Systemisch hat dies offenbar damit zu tun, dass es auf der Ebene des „Handelns“ am leichtesten fällt, Veränderung in die eigenen Handlungsroutinen zu integrieren14. Deutlich geringer ist die Bereitschaft, sich mit allgemeineren pädagogischen, didaktischen, psychologischen Fragen auseinanderzusetzen. Fortbildungen, die eine gründliche Reflexion des eigenen Handelns erfordern und damit in der Selbststeuerung die Ebene der eigenen Geschichte betreffen, berühren unter Umständen existenzielle Fragen der eigenen Profession, die inneren Widerstände dagegen sind entsprechend ausgeprägter. Fortbildungen dieser Themenbereiche werden häufig als „sinnlos“ reflektiert, dagegen ist das Streben nach Rezepten für das eigene Handeln ein verbreiteter Fortbildungswunsch. Aufgabe des Schulleiters ist, den Fortbildungsbedarf und das Fortbildungsinteresse mit dem Lehrer zu kommunizieren und in einen langfristigen persönlichen Plan zur Professionalisierung zu bringen15.

Ebenso ist die Überführung neuen Professionswissens in Handlungsroutinen ein wesentlicher Ansatz unterstützender Führungstätigkeit. HAENISCH nennt folgende Möglichkeiten:

- Kollegiale Unterstützung und schulinterne Kooperation- Materielle und schulorganisatorische Unterstützung zur Umsetzung

14 Dies folgt offenbar Steuerungsmustern einer „trivialen Maschine“ vgl. Willke 1999, S.34. Dies vergleichbar mit dem Erlernen neuer Technologien und Verfahren in anderen Berufen, es macht Mühe, tut aber nicht „weh“. Pädagogisches Handeln des Lehrers jedoch berührt ihn häufig in seinem Innersten und kann mit tiefgreifenden „Sinnkrisen“ verbunden sein. 15 Inwiefern die seit 2004 in Sachsen verbindlich von Schulleitungen verlangten und in der externen Evaluation bewerteten Fortbildungskonzeptionen einen wesentlichen Effekt auf die Entwicklung des Professionswissens von Lehrern haben und inwieweit sie die Entwicklung nachhaltig wirkender Handlungsroutinen unterstützen ist bisher in der einschlägigen deutschsprachigen Literatur nicht hinreichend untersucht.

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- Übertragen spezifischer Aufgaben nach einer Fortbildungsmaßnahme- Wenn möglich, zwei Kollegen die gleiche Fortbildung besuchen lassen16

Eine besondere Form schulinterner Professionalisierung stellt die Bildung von Lerntandems dar. Dabei handelt es sich um eine von den Partnern selbst initiierte, vereinbarte und gesteuerte Zusammenarbeit für einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren. Die beiden Tandempartner vereinbaren Inhalte und Ziele der professionellen Entwicklung und besuchen sich im Schulhalbjahr zwei- bis dreimal. Die vom Tandempartner gegebene Rückmeldung soll dem Besuchten helfen, seine eigene berufliche Praxis zu reflektieren. Dies soll helfen, die Fähigkeiten zur Reflexion zu entwickeln (reflektieren statt grübeln) und die Souveränität des eigenen beruflichen Handels des Lehrers zu stärken.17 18

4.2. Vereinbarung von individualisierten Aufgabenstellungen

Die Unterstützung persönlicher Ziele und das Stärken der eigenen Professionalität des Lehrers ist der aus Sicht des Autors wichtigste Ansatz zur Unterstützung der Verantwortung des Lehrers. Wenn es gelingt, Aufgaben so zu formulieren, dass sie sowohl an den individuellen Zielen des Lehrers als auch an den Zielen der Schule anknüpfen, ist bereits ein wichtiger Schritt getan, verantwortungsbewusstes Handeln zu fördern19. Eine wertschätzende Delegation ist ein wesentliches Instrument der Partizipation der Lehrer an der Schulentwicklung. Dabei sollten folgende Grundsätze beachtet werden:

- Überlege vorher genau, wem du eine Aufgabe übertragen möchtest! Er muss grundsätzlich am Thema interessiert sein, er muss von seinen Fähigkeiten dazu in der Lage sein, er muss Zeit dafür haben (auch private Belastungen wie Kinder oder Pflegefälle in der Familie sollten berücksichtigt werden).

- Vereinbare eine Aufgabe genau, formuliere die Erwartungen als Schulleiter deutlich!

- Lege den zeitlichen Rahmen zur Aufgabenerfüllung und den Entscheidungsspielraum des Kollegen fest.

- Stelle Ressourcen (Zeit, Geld) und Kompetenzen (z.B. das Recht, selbstständig weitere Kollegen einzubeziehen sowie Teamberatungen einberufen zu dürfen) zur Verfügung!

- Lass‘ den Kollegen ungestört arbeiten! Kontrolliere nur an vorher vereinbarten Zeitpunkten! Mische dich nur ein, wenn du von dem Kollegen darum gebeten wirst!

16 Vgl. Haenisch, Hans 1994, S.6ff.17 Vgl. http://www.bics.be.schule.de/son/wir-in-berlin/quigs/tandem/index.htm18 Maßgeblich ist mit diesem Herangehen der Schweizer Pädagoge HANS RUDOLF LANKER in Verbindung zu bringen. In diesen Zusammenhang gehört auch das Konstanzer Trainingsmodell (KTM) nach HUMPERT und DAUN.19 In diesem Zusammenhang ist in der Managementliteratur von „Delegation“ von Aufgaben die Rede. In der Vergangenheit wurde damit häufig eine Entlastung der Führungskraft angestrebt. Der Autor erlebt auch heute noch in Fortbildungen häufig, dass Schulleiter im Zusammenhang mit unliebsamen Aufgaben stolz verkünden, diese hätten sie längst „abdelegiert“. Diese Art von „Aufgabenverlagerung“ ist hier nicht gemeint, im Gegenteil. Der Autor vertritt den Standpunkt, „delegiere das, was du selbst am liebsten getan hättest und mache es deinem Mitarbeiter zum Geschenk.“

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- Gib dem Kollegen die Möglichkeit, im Kollegium über seine Aufgabe zu berichten und sorge bei einem erfolgreichen Abschluss für eine wertschätzende Auswertung.

Nicht immer gelingt es, für eine Aufgabe genau den bestmotivierten Lehrer zu finden. Es ist für manche Routineaufgaben auch nicht nötig. Aber Schulleiter sollten bedenken: Das kostbarste, was sie zu vergeben haben, sind interessante Aufgaben. „Helfen Sie jeder Person, die für sie passende Aufgabe zu finden. Das ist gelebter Respekt vor der Individualität des Einzelnen.“20 Talente sollten so eingesetzt werden, dass sie sich entfalten können, alles, was ein Lehrer nicht so gut kann, sollte möglichst anderen gegeben werden.21

4.3. Verringerung von Komplexität

Schulische Prozesse sind sehr häufig nicht vorhersagbar und unsicher in ihrem Verlauf und ihrem Ergebnis. Deshalb ist es wichtig, Verlässlichkeit und Klarheit dort zu schaffen, wo es möglich ist und durch das Schaffen von Handlungsroutinen, insbesondere im Bezug auf Verwaltungsprozesse, Fehler und unnötigen Aufwand zu vermeiden. Sicherheit in diesem Bereich von Lehrerhandeln ermöglicht es den Akteuren, Routineaufgaben effizient zu erledigen und dadurch Zeit und Energie für Prozesse der Bildung und Erziehung zu gewinnen.

Dazu dient ein klares Reglement (z.B. die Hausordnung), das Rechte und Pflichten der Akteure sowie grundlegende Abläufe beschreibt sowie Tabus benennt. Darüber hinaus sollten Verfahren und Veranstaltungen in einer Schule, soweit sie sich bewährt haben, schriftlich festgehalten werden und allen Lehrern zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren haben eine Reihe deutscher Schulen mit der Erarbeitung von „Schulhandbüchern“ begonnen, in denen die wesentlichen Abläufe und Festlegungen mit langfristiger Gültigkeit aufgeschrieben sind22.

4.4. Förderung von Wissensmanagement und organisationalem Lernen

In zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Publikationen wird immer wieder und zunehmend die Begriffe „Wissensgesellschaft und „Wissensmanagements“ verwendet. SENGE schreibt dazu, soziale Gemeinschaften (wie z.B. Schulen) seien Systeme, die durch unsichtbare Fäden von Interaktionen und Kommunikation miteinander verbunden seien, wobei es vieler Jahre bedürfte, sie in ihren Effekten vollständig zu verstehen 23. Schulen sind per se Organisationen, in denen Wissen und Kommunikation die zentrale Rolle spielt. Es gibt wohl nur wenige Betriebe, in denen der Anteil von Akademikern unter den Mitarbeitern so hoch ist wie an Schulen (meist mehr als 90%).WILLKE betont, dass die Kommunikationsstrukturen sich von den kommunizierenden Personen lösen und „ein freischwebendes Netz hoch über den Köpfen der einzelnen

20 Sprenger 2000, S. 21721 Vgl. a.a.O.S.22022 Eine brauchbare Grundlage stellt die Familie der Qualitätsnorm ISO 9000 dar, die einerseits Kernprozesse in ihrem Verlauf und ihrer Qualität beschreibt und gleichzeitig Festlegungen zur ständigen Qualitätsentwicklung beinhaltet. Schwierig ist die Applikation von ISO auf Lehr- und Lernprozesse. Hier können immerhin Rahmenprozesse wie Organisation von Projekten, Evaluationen etc. beschrieben werden. 23 Vgl. Senge, 1990, S.7

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Personen“24 bilden. Es ist nicht in den Köpfen der Menschen gespeichert, „sondern in den Operationsformen eines sozialen Systems. Organisationales oder institutionelles Wissen steckt in den personal-unabhängigen, anonymisierten Regelsystemen, welche die Organisationsformen eines Sozialsystems definieren.“25 Dazu gehören im besonderen Leitlinien, Verfahren, standardisierte Abläufe 26. Der Bezug zu Abschnitt 4.3 dieses Beitrages ist augenfällig. Wissensmanagement erfordert Wissensarbeit.

Dieser Begriff „kennzeichnet Tätigkeiten …, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das erforderliche Wissen nicht einmal im Leben durch Erfahrung, Initiation, Lehre, Fachausbildung oder Professionalisierung erworben und dann angewendet wird. Vielmehr erfordert Wissensarbeit im hier gemeinten Sinn, das das relevante Wissen (1) kontinuierlich revidiert, (2) permanent als verbesserungsfähig angesehen wird, (3) prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und (4) untrennbar mit Nichtwissen gekoppelt ist …“27

Die Fülle des in einer Schule versammelten, aber eben oft nicht gesammelten und noch seltener systematisierten Wissens ist enorm. Während die Festschreibung von Verwaltungsprozessen oder Regularien noch recht gut gelingt, fehlen oft Instrumente, pädagogisches Wissen und Erfahrungen für andere nachvollziehbar zu dokumentieren. Erfahrungen werden i.d.R. mündlich ausgetauscht und, wenn überhaupt, spontan dokumentiert. Dabei kommt es zu Wissensverlusten einerseits und zu Redundanzen andererseits. Gute Erfahrungen wurden in vielen Schulen, insbesondere aber in der Sozialarbeit mit Fallstudien gemacht. Dabei werden, ausgehend von einem konkreten Fall (z.B. ein Erziehungsproblem in einer Klasse) kollegial mögliche Lösungsansätze und –strategien erarbeitet. Wichtig ist, im Nachgang den Erfolg der jeweiligen Strategien zu prüfen und ggf. vom konkreten Fall zu abstrahieren und dies als Organisationswissen zu dokumentieren. Die letzten beiden Arbeitsschritte entfallen häufig. Nachdem die Akteure froh sind, ein Problem gelöst zu haben, verpufft die Motivation zur Verallgemeinerung meist sehr schnell. Damit jedoch bleiben Erfahrungen auf Einzelfälle bezogen und gehen für das Organisationswissen verloren. Einen interessanten Ansatz finden wir bei WILLKE mit einem in der Unternehmensberatung erfolgreich erprobten Verfahren „MikroArt“. Dabei handelt es sich um formalisierte und vorstrukturierte Mikroartikel (ca. ½ bis 1 Seite), in denen individuelle Lernerfahrungen, Erkenntnisse, Ideen, Expertisen, Reflexionen schriftlich festgehalten werden. Als digitale Datei ermöglicht der Mikroartikel allen Mitarbeitern über das Intranet der Schule den Zugriff, ggf. verbunden mit einer alphabetischen Datenbank und einer Suchfunktion. WILLKE betont einerseits die motivierende Wirkung für Mitarbeiter, ihr persönliches Wissen der Organisation zur Verfügung zu stellen (ein schon fast transzendentes Motiv), andererseits jedoch auch die mit dem Schreiben verbundene Überwindung28. Hier bedarf es sicher einer Einflussnahme des

24 Vgl. Willke 2001(2), S. 5325 Willke 2001(2), S.16, Hervorhebung im Original26 Vgl. Willke 2001(2), S. 1627 Willke 2001(2), S. 2128 Vgl. Willke 2001(2), S.107ff.

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Schulleiters, der einerseits zum Schreiben ermutigt, andererseits durch entsprechende Aufmerksamkeit und Bezugnahme auf die Erfahrungen der Kollegen für Wertschätzung sorgt. Für die Strukturierung dieser Mikroartikel schlägt WILLKE ein „Basisdesign“ vor:

1. Thema, Problemdarstellung2. Geschichte und Kontext der gemachten Erfahrung 3. Gewonnene Einsichten als Folge der Reflexion der Erfahrungen4. Folgerungen für künftiges Handeln5. Anschlussfragen (Fragen, die im Zusammenhang mit dem MikroArt nicht geklärt

werden konnten, jedoch für die Schule in Zukunft wichtig sein könnten; hierin drückt sich auch das Nichtwissen der Organisation aus)

Weitere vergleichbare Instrumente sind z.B. das Logbuch eines Projektes oder aber Instrumente der Aktionsforschung. ROTH schreibt hierzu von „Lerngeschichten“, die die Fähigkeit einer Organisation zur Selbstevaluation und Selbstreflexion entwickelt29. Das Wissensmanagement einer Schule hängt aber auch wesentlich von den Strukturen und Qualitäten der Zusammenarbeit in einer Schule ab. Dazu mehr in den folgenden Abschnitten.

Ein wesentlicher weiterer Aspekt des organisationalen Lernens ist der Umgang mit Ergebnissen externer Evaluationen und der Sicherung interner Evaluation. Die Rückbindung der externen Evaluationsergebnisse in die Entwicklung der Schule soll hier nicht eingehender behandelt werden, da hierzu bisher wenig gesicherte empirische Daten in der deutschen Literatur vorliegen. Hinsichtlich der internen Evaluation scheint es wesentlich, Instrumente und Abläufe schnell zu standardisieren und für ihre Anwendung eine hohe Verbindlichkeit (z.B. durch Beschluss der Lehrerkonferenz oder Schulkonferenz) herzustellen. Die inhaltliche Struktur der externen Evaluation kann hier hilfreich sein, weniger jedoch deren Instrumente und Abläufe.

4.5. Unterstützung von Netzwerken

In Schulen existieren formelle, dauerhafte Netzwerke (Lehrerkonferenzen, Klassenkonferenzen, Fachkonferenzen, Kooperationspartner der Schule) neben temporären (Projektgruppen, Teams, Arbeitsgruppen, Kontakte zu Außenpartnern) und informellen Netzwerken (befreundete Kollegen, spontane Teams mit selbstgestellten Aufgaben, Verbindungen von Lehrern zu Kollegen in anderen Schulen und Institutionen etc.). Netzwerke, insbesondere solche „von oben“ initiierte Netzwerke, sind arbeitsaufwendig, bedürfen vieler Ressourcen und müssen gepflegt werden, um nicht zu „verfilzen“. Andererseits bieten Netzwerke die Chance interpersonaler Synergien, der gegenseitigen Bestärkung und des unkomplizierten Feedback. Die individuelle pädagogische Verantwortung des Lehrers wird dabei „kollektiviert“ und in einen Prozess organisationalen Lernens (des Teams oder des Netzwerkes) eingebunden. Auf einige Probleme insbesondere der Teamarbeit sei hier jedoch verwiesen:

- Teams arbeiten i.d.R. „quer“ zur bestehenden Organisation und lösen in dieser Unsicherheiten aus.

- Teams mit unklarem Auftrag verunsichern sich und verunsichern andere. - Teammitglieder werden oft zu Konkurrenten.

29 Vgl. Roth 1996, S.269

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- Teams verlangen von ihren Mitgliedern hohe kommunikative Fähigkeiten und die Einhaltung von Ritualen.

- Teamarbeit schränkt die Freiheit des Einzelnen (oft erheblich) ein.- Teams schaffen selten Spitzenleistungen, sondern einigen sich häufig auf den

kleinsten gemeinsamen Nenner. 30

Grundsätzlich kann gesagt werden: so viel Vernetzung wie nötig (und nützlich!), aber so wenig wie möglich! Netzwerke und Teams schaffen Kopplungen im lose gekoppelten System „Schule“, die Wirkungen verstärken können und Prozesse der Selbststeuerung unterstützen. Wenn sich der Schulleiter für die Schaffung von Teams oder Netzwerken entschließt, muss er sich der Zweischneidigkeit seines Vorhabens bewusst sein.

4.6. Einbindung individueller mentaler Modelle in ein mentales Modell der Organisation

Die Frage, wie es gelingt, die individuell unterschiedlichen mentalen Modelle, Zielstellungen, Erfahrungen und Prozesse in der Organisation „Schule“ zu einem kollektiven Selbstverständnis und Wollen zu vereinen ist wohl eine der Grundfragen von Führung. Es geht darum, die individuelle (pädagogische) Verantwortung des Lehrers und sein Handeln in eine kollektive, von der Person abstrahierte Verantwortung der jeweiligen Organisation einzubinden. Die dabei ablaufenden Prozesse können sehr wohl Bestandteil des organisationalen Lernens sein.Typischerweise werden diese Prozesse mit den Modellen und Methoden der Organisationsentwicklung vorangebracht31. Empfehlenswert ist es, für die Begleitung und Beratung dieses Prozesses einen souveränen Prozessberater zu verpflichten32. Ein erster Schritt kann die Erarbeitung eines Leitbildes sein. Hier ein typischer Ablauf:

1. Die individuellen Modelle, Erfahrungen, Interessen werden artikuliert (z.B. in Gruppenarbeit) und anschließend präsentiert. Eine typische Einstiegsfrage ist, was an Werten in der eigenen Schule als besonders wertvoll und wichtig angesehen wird. Diese Phase wird oft und sehr erfolgreich unter Beteiligung von Eltern und Schülern durchgeführt.

2. Die zweite Frage ist die nach dem künftigen Ideal der Schule, die Frage nach den individuellen Visionen. Auch diese Gruppenergebnisse werden visualisiert.

3. Es erfolgt eine gemeinsame Verständigung über die Ergebnisse und ggf. eine Gewichtung der Ergebnisse.

4. Eine Arbeitsgruppe (Schulleitung, Lehrer, oft auch Eltern und Schüler) erarbeiten redaktionell das Leitbild der Schule.

5. Das Leitbild wird in den demokratischen Gremien der Schule verhandelt und beschlossen.

Auf dieser Grundlage können weitere Schritte, z.B. der Arbeit am Schulprogramm, das Kreieren gemeinsamer Projekte etc. gegangen werden. Der bewusste und, häufiger wohl

30 Vgl. Sprenger 2000, S. 128ff.31 Vgl. Schein 2000 und Fatzer 1996, S. 28332 Vgl. Hammerschmidt 2003

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unbewusste, Rückgriff auf das Leitbild und die gemeinsamen Ideen sichert, dass auf der Ebene des konkreten Handelns eine Anbindung an die gemeinsamen Werte und Ideen gelingt.Der Schulleiter hat die Aufgabe, die im Leitbild formulierten Grundsätze immer wieder erlebbar zu machen und vorzuleben.

4.7. Unterstützung von Verantwortung durch Führungskultur und Führungsethos

Die Art und Weise, wie Schule geführt wird, beeinflusst in entscheidendem Maße die Bereitschaft und die Fähigkeit der Lehrer, ihre pädagogische Verantwortung beherzt und, ihrer Verantwortung bewusst, wahrzunehmen. Lehrer reagieren äußerst sensibel auf Veränderungen im Führungsverhalten. Die Schaffung einer humanistisch geprägten Führungskultur ist eine Aufgabe, für die der Schulleiter die alleinige Verantwortung trägt. Die in der Schule geltenden Führungsgrundsätze können auch im Leitbild der Schule verankert sein.Welche Faktoren der Führungskultur haben Einfluss auf die Wahrnehmung der pädagogischen Verantwortung der Lehrer?

1. Vertrauen schenken und Vertrauen schaffenVertrauen ist der Humus, auf dem die Verantwortung gedeihen kann. Vertrauen ist grundsätzlich gegenseitig. Vertrauen ist ein Geschenk, das man sich nicht erst erarbeiten muss. Es gibt auch ein Recht auf Vertrauensvorschuss. Auf Dauer kann Vertrauen aber nur bestehen bleiben, wenn es mit Zuverlässigkeit im Handeln, Vertraulichkeit in persönlichen Fragen, Unbedingtheit in Krisensituationen und dem Ausschluss jeder Form von Intrige und Betrug verbunden ist.

2. Wertschätzung zeigenJeder Lehrer hat ein Recht auf Wertschätzung. Die Erfolge eines Kollegen gehören diesem selbst. Die Erfolge des Chefs gehören allen. Gute Schulleiter stehlen ihren Kollegen nicht den Erfolg, sondern sorgen dafür, dass diese ihrer Leistung gemäß auch öffentliche Anerkennung (z.B. bei Schulveranstaltungen) erhalten. Wertschätzung fängt damit an, Zeit zu haben und ansprechbar zu sein und reicht zur Zurückhaltung, wo der eigene Schatten die Leistung des Lehrers überdecken könnte. Auch Kontrolle ist eine Form der Wertschätzung. Ergebnisse nicht wahrzunehmen und nicht zu bewerten bedeuten eine Abwertung der Leistung des Lehrers. Allerdings: Kontrolle soll berechenbar sein und auf das Ergebnis gerichtet.

3. Direkte Kommunikation pflegenEs macht einen wesentlichen Unterschied, eine Mitteilung persönlich und mündlich zu erhalten oder per Telefon oder e-mail. Es macht ebenfalls einen wesentlichen Unterschied, ober der Lehrer ins Direktorat „einbestellt“ wird (z.B. durch einen Anruf der Sekretärin) oder ob er den Lehrer in seinem Arbeitszimmer aufsucht. „Management by walking“ ist ein hervorragendes Mittel, Präsenz und Aufmerksamkeit zu zeigen, kleine Probleme sofort klären zu können und – Wertschätzung zu zeigen.

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4. Stärken nutzen – Fehler kultivierenEin wesentlicher Aspekt der Ermutigung zur Übernahme von Verantwortung ist die grundsätzliche Orientierung auf die Stärken des Einzelnen und dessen Nutzung für die Schule33. Von außerordentlicher Bedeutung ist die Kultur des Umgangs mit Fehlern. Die Behörde „Schule“ kennt keine Fehler und duldet keine. Schulaufsichtsbeamte handeln streng nach Gesetz und Vorschrift. Im Abschnitt 1 wurde bereits auf die systemische Bruchstelle Schulbehörde – Schule hingewiesen. In der jeweiligen Fehlerkultur kommt der Unterschied zwischen beiden Systemen deutlich zum Tragen. Eine Übernahme der „bloß - keine – Fehler – machen“ – Kultur der Behörde wirkt sich für die Schule fatal aus: die Bereitschaft zur Reflexion, zur kollegialen Hospitation, zum Einholen eines Feedback von den Schülern, die Lust an Innovationen gehen unter solchen Umständen gegen null und werden durch Angst verdrängt. Hier ist es die Aufgabe des Schulleiters, einerseits den Systembruch auszuhalten und in der eigenen Schule den Fehler als Freund der Innovation zu behandeln und andererseits die Lehrer seiner Schule gegenüber „Durchgriffen“ der Schulaufsicht zu schützen. Gleichzeitig müssen in der Schule Regularien gefunden werden, die unnötige oder gar gefährliche Fehler vermeiden und andererseits das rechtzeitige Wahrnehmen von Fehlentwicklungen und deren Korrektur zu gewährleisten. Maßnahmen der schulinternen Evaluation sind dabei von großer Bedeutung.

5. Positiv denken, Demotivation vermeidenSchule stellt alle Beteiligten täglich vor höchste Anforderungen, kaum ein Tag verläuft wie geplant und die überraschenden Ereignisse sind häufig die weniger erfreulichen. Das stärkste Motiv für Berufszufriedenheit von Lehrern ist die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen34. Das Ermutigen in schwierigen Situationen und die Konzentration auf die Arbeit mit den Schülern ist eine wichtige Seite der Führungstätigkeit des Schulleiters. Unnötigen Ballast von den Lehrern abhalten, für klare Strategien und auf Wesentliches begrenzte Aufgaben sorgen sind der Schlüssel für „konzertiertes“ kollegiales Handeln eines Lehrerkollegiums. Aufgabe des Schulleiters ist es dabei nicht, die Lehrer zu motivieren (was auch grundsätzlich nicht möglich ist), sondern die im Berufsalltag lauernden Fallen der Demotivation zu vermeiden.

5. Zusammenfassung

Die pädagogische Verantwortung des Lehrers ist eine Basis für das Funktionieren von Schule als Einrichtung des Lehrens und Lernens. Der Schulleiter hat als Führungskraft vielfältige Möglichkeiten, die Wahrnehmung dieser Verantwortung durch die Lehrer seiner Schule zu unterstützen. Dabei ist sein eigenes systemisches Verständnis von „Schule“ und „Schulbehörde“ ausschlaggebend für die von ihm anzuwendenden Prinzipien der Führung. Im Bewusstsein der systemischen Autonomie von Schule ergeben sich grundsätzlich andere Prinzipien und Methoden der Führung. Der Umgang des Schulleiters mit den drei für Schule charakteristischen systemischen Merkmalen „Komplexität“, „lose Kopplungen“ und

33 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2 dieses Beitrages34 Vgl. Rosenbusch 2005, S. 121

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“operationale Geschlossenheit“ hat Bedeutung für die Lehrer und die Effektivität der Wahrnehmung ihrer eigenen Verantwortung. Letztlich ist die vom Schulleiter praktizierte Kultur der Führung ausschlaggebend dafür, wie Lehrer ihre pädagogische Verantwortung praktizieren können. Schulleitung kann nicht alles möglich machen und schon gar nicht alles erreichen, aber sie kann nahezu alles unmöglich machen. Dieser Verantwortung sollten sich Schulleiter stets bewusst sein.

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