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ENTWICKLUNG Kurbeltrieb 896 MTZ 11/2004 Jahrgang 65 Verwendung von Mehrkörperdynamik zur Kurbelwellenauslegung in der Konzeptphase AVL will die Aussagekraft der Kurbeltriebsberechnung während der Konzeptphase erhöhen und damit die Motorenentwicklung beschleunigen. Die Verwendung von Mehrkörperdyna- mik ist zwar mehrheitlich im Motorenentwicklungsprozess etabliert, die hierfür erforder- lichen Eingabedaten sind aber recht umfangreich. Des weiteren sind lange Rechenzeiten in Kauf zu nehmen. Diese Nachteile beschränken einen Einsatz in einer frühen Phase der Ent- wicklung und bei der Untersuchung von vielen Varianten. Der vorliegende Artikel beschreibt die Erweiterung und Verbesserung der analytischen Kurbeltriebsberechnung sowie die Inte- gration der Mehrkörperdynamik in die Konzeptphase der Motorentwicklung.

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ENTWICKLUNG Kurbeltrieb

896 MTZ 11/2004 Jahrgang 65

Verwendung von Mehrkörperdynamik zur

Kurbelwellenauslegungin der KonzeptphaseAVL will die Aussagekraft der Kurbeltriebsberechnung während der Konzeptphase erhöhenund damit die Motorenentwicklung beschleunigen. Die Verwendung von Mehrkörperdyna-mik ist zwar mehrheitlich im Motorenentwicklungsprozess etabliert, die hierfür erforder-lichen Eingabedaten sind aber recht umfangreich. Des weiteren sind lange Rechenzeiten inKauf zu nehmen. Diese Nachteile beschränken einen Einsatz in einer frühen Phase der Ent-wicklung und bei der Untersuchung von vielen Varianten. Der vorliegende Artikel beschreibtdie Erweiterung und Verbesserung der analytischen Kurbeltriebsberechnung sowie die Inte-gration der Mehrkörperdynamik in die Konzeptphase der Motorentwicklung.

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1 Einleitung

Die Berechnung des Kurbeltriebs und spe-ziell der Kurbelwelle unterteilt sich im Mo-torentwicklungsprozess bei AVL im We-sentlichen in zwei Phasen: in die am Be-ginn angesiedelte Konzeptphase und in diedarauf folgende Layoutphase. Das wesent-liche Ziel einer Konzeptphase ist die Festle-gung der Hauptabmessungen sowie einerBasisuntersuchung der Festigkeit, einer Be-urteilung der Lager und des dynamischenVerhaltens der wesentlichen Komponen-ten. In der Layoutphase wird die finale, de-taillierte Analyse der Dynamik, der Lagerund der lokalen Festigkeit durchgeführt.Dabei sollen alle in der Realität auftreten-den Phänomene berücksichtigt werden.

Durch die unterschiedlichen Anforde-rungen der zur Verfügung stehenden Zeitund dem unterschiedlichen Umfang an ver-fügbaren Eingabedaten kommen in denzwei Phasen verschiedene Methoden undWerkzeuge zur Anwendung. Zusätzlich istin der Konzeptphase eine weit größere Zahlan Varianten zu untersuchen. Hierbei wer-den hauptsächlich analytische Methodensowie 1-dimensionale Drehschwingungsbe-rechnung eingesetzt, wogegen in der Lay-outphase 3-dimensionale Mehrkörperdyna-mik (MKS) für das dynamische Verhaltenunter gekoppelten Dreh- und Biegeschwin-gungen und die daraus resultierenden Bau-teilspannungen angewandt wird. Die fach-lichen Anforderungen für die Ingenieure inder konstruktionsbegleitenden Berechnungeiner Konzeptphase und der MKS- sowieFEM orientierten Berechnung einer Layout-phase sind dabei unterschiedlich.

Die MKS-Berechnungen verwenden fle-xible FEM-Modelle sowie detaillierte Lager-modelle, die durch umfangreiche Messun-gen valutiert wurden. Nachteil dieser Me-thode ist die Notwendigkeit einer großenAnzahl abgesicherter Eingabedaten sowiedie relativ langen Durchlaufzeiten für Mo-dellerstellung, Berechnung und Auswer-tung. Weiterhin ist die Untersuchung desgesamten Last- und Drehzahlbereiches not-wendig. Aus diesen Gründen wird dieseMKS-Methode noch nicht in der Konzept-phase eingesetzt.

Aufgrund der hohen Leistungsdichteheutiger Motoren ergibt sich die Anforde-rung, bereits in der frühen Phase auch mitweniger Daten mit ausreichender Genauig-keit das dynamische Verhalten rasch be-rechnen zu können. Auch müssen die ein-gesetzten Modelle einfach veränderlichsein, um unterschiedliche Konzepte undVarianten analysieren zu können.

Ziel der hier vorgestellten Untersuchungist es, die MKS-Methode für die Kurbel-triebsauslegung bereits in der Konzeptpha-

se zur Anwendung zu bringen und da-durch die Qualität der Berechnungsergeb-nisse wesentlich zu steigern und die Ge-fahr von eventuellen Berechnungs- undKonstruktionsschleifen stark zu verrin-gern.

Die Aufgabe dieser Arbeit war, heraus-zufinden, wie man die komplexen MKS-Methoden und ihre Modelle in die frühePhase der Entwicklung bringen kann.Weiterhin sollte herausgefunden werden,inwieweit diese Modelle mit akzeptablenModellierungseinschränkungen zu verein-fachen sind, um mit den beschränkt ver-fügbaren Daten angewendet werden zukönnen. Es ist zu beachten, dass nicht al-lein die Vereinfachung das Ziel dieser Ar-beit ist, sondern es sollen damit für die Be-rechnung neue Möglichkeiten eröffnetwerden, welche mit komplexen Modellenund Methoden nicht oder noch nichtdurchführbar sind. Dies ermöglicht in Fol-ge die Anwendung von mathematischerOptimierung anstelle der üblichen Para-metervariation. Die hier vorgestellten Me-thoden gelten somit nicht nur für die Aus-legung von Hauptabmessungen in einerKonzeptphase, sondern auch für Varian-tenuntersuchungen bezüglich Hauptpara-meter.

Es zeigt sich, dass die 1D-Simulation,speziell in Kombination mit Optimierung,weiterhin ihre Berechtigung im Entwick-lungsprozess hat. Sie wurde daher nichtdurch die neue Methode ersetzt, sondernvielmehr für die neue Methodik weiterent-wickelt. Gleichzeitig wurde der 3D-Ansatz,soweit möglich und sinnvoll, vereinfacht,um diese Berechnung in der frühen Phaseder Entwicklung zu ermöglichen.

Als Nebenbedingungen soll die Not-wendigkeit detaillierten FEM-Wissens fürden Anwender ausgeschaltet oder redu-ziert werden. Weiterhin soll für die 1D- alsauch die 3D-Simulation im Sinne derDurchgängigkeit dasselbe Berechnungs-tool und Berechnungsmodell verwendbarsein.

2 Die Kurbeltriebsauslegung inder Konzeptphase

An dieser Stelle wird ein Überblick überden aktuellen und den neuen Ablauf undInhalt sowie die erzielten Ergebnisse derKonzeptphase in der Kurbeltriebsentwick-lung bei AVL gegeben. Dabei wird im We-sentlichen auf die Baugruppen und Bautei-le wie Kurbelwelle, Schwungrad, Dreh-schwingungsdämpfer, Pleuelstange, Kol-ben und Kolbenbolzen, die Hauptlager so-wie die Pleuellager näher eingegangen.Ziel ist die Festlegung deren Hauptabmes-sungen.

Die so definierten Hauptabmessungenwerden als Randbedingungen in der wei-teren Konstruktionsphase verwendet, dasheißt, die nächsten Konstruktionsschrittebasieren auf diesen Hauptabmessungen.Änderungen sind zwar nach wie vor mög-lich, führen aber meist zu Verzögerungengegenüber dem Zeitplan.

3 Aktueller Berechnungsablauf

Die Konzeptphase beginnt mit der Basis-auslegung, in welcher die Basisgeometrievon Kolbenbolzen, Pleuelstange, Zapfen-durchmesser, Zapfenlängen der Kurbel-welle und Hauptlagerwand sowie Schrau-bendimensionen analytisch und durchVergleich mit vorhandenen Konzeptenvordimensioniert werden. Anschließenderfolgt die analytische Berechnung desMassenausgleichs und die hydrodynami-sche Auslegung der Gleitlager unter sta-tisch bestimmten Lasten. Ergebnis sindGeometrie und Masse der Wangen undGegengewichte sowie die Lagerdimensio-nen. Aus der anschließenden Drehschwin-gungsuntersuchung resultieren die Basis-

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Die Autoren

Dipl.-Ing. OliverKnaus ist Supportma-nager im Bereich Ad-vanced SimulationTechnologies bei derAVL List GmbH inGraz.

Dipl.-Ing. ThomasResch ist Fachteam-leiter für Methoden-entwicklung, Verifika-tion und Support imBereich Advanced Si-mulation Technolo-gies bei der AVL ListGmbH in Graz.

Sepp Mlinar ist Be-rechnungsingenieurfür konstruktionsbe-gleitende Berechnungim Bereich ProductionEngineering bei derAVL List GmbH inGraz.

Georg Pogatsch istSenior Design Engi-neer im Bereich De-sign Engine Architec-ture & Production En-gineering bei der AVLList GmbH in Graz.

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konfiguration von Drehschwingungs-dämpfer und Schwungrad. Abgeschlossenwird diese Phase mit der ebenfalls analyti-schen Festigkeitsanalyse jeder Einzelwan-ge der Kurbelwelle, basierend auf statischbestimmten Wangenquerkräften und –moment, kombiniert mit lokalen Drehmo-menten aus der Drehschwingungsberech-nung. Als Ergebnisse werden detaillierteWangengeometrie, minimale Geometrieder Kerbradien sowie Materialwahl undOberflächenbehandlung der Kurbelwellegeliefert. Dieser gesamte Ablauf erfolgtüblicherweise in mehreren Durchgängen.

Die Methoden, die derzeit in der Kon-zeptphase zur Auslegung des Kurbelwelleverwendet werden, haben einige entschei-dende Einschränkungen:■ Durch die statisch bestimmte Lagerungkönnen keine dynamischen und elasti-schen Effekte wie Biegeschwingung,Schwungradtaumeln, Strukturdeforma-tion und Lagerstützwirkung mit berück-sichtigt werden. Diese beeinflussen die Be-lastung der Hauptlager sowie die Bean-spruchung der Wangenstruktur und ha-ben wiederum große Auswirkungen aufdie Auslegung der Gleitlager und die Di-mensionierung der Wangengeometrie.■ Die Steiffigkeitsdaten für Drehschwin-gungsmodelle werden üblicherweise fürEinzelkröpfungen ermittelt. Diese könnenanhand von empirischen Formeln(B.I.C.E.R.A. Methode) oder mittels FEA er-mittelt werden. Dabei hat die Wahl derEinspannung sehr großen Einfluss.■ Die Spannungsberechnung in den Kerb-radien der Wangen wird für Amplitudenund Mittelwerte der Einzelbelastungen er-mittelt. Bei der Addition wird das gleich-zeitige maximale Wirken von Biege- undTorsionsbelastung angenommen.■ Das Fehlen der obengenannten Einflüs-se, die in der heutigen Kurbelwellenausle-gung nicht berücksichtigt werden, stelleneinen Unsicherheitsfaktor dar. Dieser spie-gelt sich in höheren Sicherheitsfaktorenwider, die wiederum zur Überdimensionie-rung führen können.■ Die bisherigen analytischen Methodenerfordern die manuelle Eingabe von Geo-metriedaten in die Berechnungsprogram-me. In der modernen Motorenkonstruktionliegen Geometrieinformationen meist als3D-CAD-Modelle vor, aus denen die not-wendigen Daten erst extrahiert werdenmüssen.■ Die Auslegungsschritte der Kurbelwelleerfolgt in mehreren Durchläufen. Diese er-lauben nur die Untersuchung einer be-schränkten Anzahl von Geometrievarian-ten.

Der Nachteil ist, dass in dieser Phasewesentliche Einflüsse auf die Ergebnisge-

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4 Neuer, verbesserter und erweiterter Berechnungsablauf

4.1.1 Automatische Erstellung des Kurbelwellenmodells

Bild 1: Workflow einst und jetztFigure 1: Workflow old and new

Bild 2: Ableitung des 1D-Torsionsschwingungsmodells aus der 3D-StrukturFigure 2: Derivation of the 1D torsional vibration model from the 3D structure

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Eine erfolgreiche Motorentwicklung zeichnet sich durchden Einsatz von Simulationswerkzeugen aus, die schon ineinem frühen Stadium des Entwicklungsprozesses eineAussage über die Belastungszustände ermöglichen.

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kürzeren Projektzeiten durch transiente Hochlaufsimulation

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4.4 Gekoppelte Torsions- und Biegeschwingungen

Bild 4: Vergleich 1D- zu 3D-Modellierung eines Reihen-VierzylindermotorsFigure 4: Comparison of 1D and 3D Modelling of an inline 4 engine

4.3 Parameteroptimierung 1-dimensional

Bild 3: Ergebnisse Sensitivität und Optimierung von DesignparameternFigure 3: Result sensitivity and optimisation of design parameters

nauigkeit wie die Biegeschwingungen derKurbelwelle, die statisch unbestimmte (fle-xible) Lagerung sowie Lagerstützmomenteund -spiele nicht berücksichtigt werdenkönnen. Die Unsicherheiten in der Ausle-gung werden durch Einrechnung zusätz-licher Einflussfaktoren und Ingenieurser-fahrung kompensiert. Dies kann zu konser-vativer Auslegung oder gravierenden Pro-blemen führen, falls Effekte wie Schwun-gradtaumeln erst in der Layoutphase auf-gedeckt werden, die nur durch aufwendigeMaßnahmen oder eine deutliche Verzöge-rung der Entwicklung behoben werdenkönnen. Eine Änderung an der Kurbelwel-le betrifft dabei nicht nur die Berechnung,sondern in großem Maße auch die Kon-struktion, was meist eine Projektverzöge-rung bedeutet.

4 Neuer, verbesserter underweiterter Berechnungsablauf

Die oben genannten Einschränkungen undSchwächen der heutigen Kurbelwellenbe-rechnung in der Konzeptphase führen da-zu, dass versucht wird, neue Methoden fürdiese Auslegung zu entwickeln.

Die Konzeptphase unterteilt sich wiegehabt in die Basisauslegung (Vordimen-sionierung) des Kurbeltriebs und in dieanalytische Berechnung von Massenaus-gleich, Gleitlager, Drehschwingung undKurbelwellenfestigkeit.■ Phase 1: Massenausgleich, Drehschwin-gungsanalyse, Lagerauslegung und Kur-belwellenfestigkeit (basierend auf statischbestimmter Lagerung der Einzelkröpfun-gen)■ Phase 2: Mathematische Optimierung■ Phase 3: 3D-Kurbelwellendynamik, La-gerauslegung und Kurbelwellenfestigkeit(basierend auf dynamischen Lasten derstatisch unbestimmt gelagerten Kurbel-welle)■ Phase 4: Mathematische Optimierung

Um diesen neuen Workflow umzuset-zen, bedarf es einiger Modifikationen inden bestehenen Arbeitsschritten der Kon-zeptphasenberechnung sowie eine gene-relle Überarbeitung der Modellierung undHandhabung des MKS-Systems, Bild 1.

4.1 Verbesserung der Modell-erstellung4.1.1 Automatische Erstellungdes KurbelwellenmodellsDurch den parametrisierten Aufbau derKurbelwelle im CAD-Modell und die auto-matisierte Überführung in ein FEM-Modellund in ein Massen-Steifigkeits-Modellwird der Modellierungsaufwand verrin-gert [2, 3].

Bei dieser Methode wird die Kurbelwel-

lengeomertie in Form von CAD-Daten (STL-Datei) an die AVL Autoshaft-Softwareübergeben. Diese analysiert den Aufbauder Kurbelwelle inklusive vorhandenerAnbauten wie zum Beispiel das Schwun-grad. Die Einzelteile werden anschließendvernetzt. Für diese FE-Modelle werden dieMassenanteile sowie die Steifigkeiten inalle Richtungen ermittelt. Diese Informa-tionen werden abschließend zu einem

strukturdynamisch äquivalenten Massen-Steifigkeits-Modell zusammengefügt. Die-ses Modell kann nun einerseits direkt fürdie 3D-Dynamikberechnung mit AVL Exci-te verwendet werden oder in ein 1D-Modellfür analytische Berechnungen übergeführtwerden.

Die Überführung des 3D-Kurbelwellen-modells in ein 1D-Modell, Bild 2, erfolgt indrei Schritten [4]:

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■ Zusammenfassung von Knotenmassenund -trägheitsmomenten in Wangen- undGegengewichtsmassen und deren Schwer-punktslage■ Ermittlung der Wangen- und Zapfenst-eifigkeiten durch statische Momentenbe-lastung des gesamten 3D-Modells, welchesdarüber hinaus an den Hauptlagerstellenelastisch gelagert ist.■ Auswertung der Verdrehwinkel an deneinzelnen Zapfenmittelpunkten.

Das automatische Extrahieren des Tor-sionsschwingungsmodells vom 3D-Struk-turmodell ermöglicht ein genaueres Be-rechnungsmodell und erspart den manuel-len Aufwand für die Ermittlung der Wan-gen- und Zapfensteifigkeiten. Zusätzlichwird der Fehler in der Ermittlung der Tor-sionssteifigkeiten durch künstliche Ein-spannungen vermieden und die Steifigkeitder Lagerung miteinbezogen.

Am Beispiel eines Reihenvierzylinder-motors mit 1,4 l Hubraum, Drehschwin-gungsdämpfer und Einmassenschwun-grad resultieren die ersten zwei Torsions-frequenzen nach der neuen Methode zu266 und 626 Hz (zum Vergleich: 255 Hz und600 Hz im gelagerten 3D-Modell), woge-gen die alte Vorgangsweise Frequenzenbei 245 und 538 Hz liefert.

4.2 Transiente Festigkeits-untersuchung

Bei der Festigkeitsberechnung werden an-hand von nominellen Spannungen undSpannungskonzentrationsfaktoren dieauftretenden Spannung in den Hohlkeh-len bestimmt. In der überarbeiteten Festig-keitsberechnung wird die Spannungser-mittlung nicht mehr wie bisher für Ampli-tuden und Mittelwerte der einzelnen Be-lastungen (Torsion, Biegung, Querkraft)während eines Motorzyklus‘ ermittelt,sondern transient für jeden Zeitschritt dieaktuellen Spannungenkomponenten unddaraus eine Vergleichspannung berechnet.Hauptvorteil ist, dass die Phasenverschie-bung der einzelnen Belastungen in die Be-rechnung der Spannungen mit einbezogenwird. Zusätzlich zu den bisher berücksich-tigten Biege-/Querkraft- und Zapfentor-sionbeanspruchungen wird bei Verwen-dung der Lasten aus der 3D-Berechnungdie Wangentorsion mit eingebunden, diespeziell für V-Motoren und weiche Kurbel-wellen einen wesentlichen Einfluss auf dieFestigkeit hat.

Die weiterführende detaillierte transi-ente Spannungsberechnung mittels FEMkann in analoger Weise zur Layoutphasedurchgeführt werden. Dabei werden De-tailmodelle der einzelnen Wangen mit denberechneten Verschiebungen und Verdre-

4.5 Transiente Hochlaufsimulation (Run-up)

Bild 5: Ergebnisse einer Hochlaufsimulation für einen V6-MotorFigure 5: Results of a run up simulation for a V6 engine

4.7 Parameteroptimierung 3-dimensional

Bild 6: Parameteroptimierung 3-dimensionalFigure 6: 3D Parameter Optimisation

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hungen zu jedem ausgewerteten Kurbel-winkel an den Schnittufern belastet.

4.3 Parameteroptimierung 1-dimensionalAls weitere Maßnahmen zur Verbesserungder Produktivität wird die Unterstützungder automatisierten mathematischen Op-timierung in der Kurbelwellenauslegunggenannt. Im Rahmen dieser Arbeit wurdendie Möglichkeiten und Sinnhaftigkeit vonmathematischer Optimierung in der Kon-zeptphase zur Ermittlung der Hauptpara-meter und der verschiedenen Zielfunktio-nen geprüft. Die Optimierung beschränktsich hier auf Parameteroptimierung. Eineeventuelle Topologie- und Geometrieopti-mierung ist Gegenstand eigener Untersu-chungen und wird zur Zeit als nicht sinn-voll für die Konzeptphase angesehen.

In einem Optimierungslaufs wird einer-seits der Einfluss der Designparameter aufdie Beurteilungskriterien untersucht. Eskann genau abgelesen werden, wie starksich deren Änderungen in den Ergebnissenauswirken. Hierbei kommen die ParameterStudie (1-dimensional) und voll faktorisier-te Analyse (n-dimensional) zum Einsatz.

Beim wirklichen Optimierungslauf ver-sucht das Optimierungsprogramm anhandmathematischer Verfahren die Designpa-rameter so zu verändern, dass die Summeder Beurteilungskriterien ein Optimum er-gibt. Dabei sind eventuell definierte Rand-bedingungen zu erfüllen.

Im Rahmen dieses Projekts wurde eineOptimierung der Zapfenlängen bei vorge-gebenen Hauptlagerabständen durchge-führt. Als Optimierungstool wurde Isightverwendet, zu dem es eine Schnittstellevon Excite aus gibt. Diese Schnittstelle er-zeugt automatisch ein Isight-Modell mitden in Excite definierten Parameterwertenund den im Excite-Postprozessor ausge-wählten Ergebnisgrößen.

Optimierungsziel war, die Zapfenlän-gen (Hub- und Grundzapfen) gegenüberder Wangenbreite derart zu optimieren,dass die notwendigen Sicherheiten für dieKurbelwellenfestigkeit jeder Wange einge-halten werden (Randbedingunegen) unddabei die minimalen Schmierfilmdicken inden Lagern möglichst groß bleiben.

Es hat sich gezeigt, dass die minimalenSchmierfilmdicken für die großen Pleuella-ger um 15 % und für die Hauptlager um 10% erhöht werden konnten, ohne dabei dienotwendigen Mindestsicherheiten bezüg-lich Wangenfestigkeit zu unterschreiten,Bild 3.

4.4 Gekoppelte Torsions- undBiegeschwingungenDie gekoppelte Berechnung der Torsions-

und Biegebelastung wird in analogerWeise wie für die detaillierte Berechnungder Komponentenfestigkeit oder Akustikin der Layoutphase durchgeführt [1], wobeiaber ein vereinfachtes Modell zur Anwen-dung kommt. Hierbei werden flexible Kör-per über nichtlineare Koppelungselemente(Kraftkoppelungen) verbunden und die Be-wegungsgleichungen im Zeitbereich ge-löst. Die Berechnung der Bewegungen, Ge-schwindigkeiten und Beschleunigungenerfolgt transient für mehrere Motorzyklen.Äußere Kräfte, nichtlineare Koppelungen,Masseneffekte, gyroskopische Kräfte undLagerspiele werden berücksichtigt.

Für die Kurbelwelle wird das in Kapitel4.1 beschriebene 3D-Modell verwendet. Diewesentlichen Vereinfachungen betreffendie Koppelungen, wo einfache Feder-Dämpfermodelle mit nichtlinearer Ken-nung über dem Lagerspiel und Berücksich-tigung des Lagerstützmoments verwendetwerden. Der Motorblock wird über simpli-fizierte Steifigkeits- und Massenmatrizenohne die Hinterlegung von FEM-Modellenabgebildet.

Die Verwendung der automatisch er-stellten Ersatzmodelle ermöglicht es, dieSimulation von gekoppelten Torsions- undBiegebelastungen über den Drehzahlbe-reich auch in der frühen Phase anzuwen-den. Dafür wurden die MKS-Methoden indie Richtung vereinfachter Modelle weiter-entwickelt. Parallel wird an einer Weiter-entwicklung in Detaillierung und Genau-igkeit der komplexen Methodik gearbeitet.Diese vereinfachten Methoden stellen da-bei keinen Rückschritt in die Anfangspha-se der MKS-Berechnung dar, sondern eineErweiterung, die durch die Automatisie-rung der Modellerstellung und die wesent-

lich genaueren Berechnungsmodelle derKurbelwellen sowie die Absicherung dererzielten Ergebnisse durch die mittlerweilebestens validierten komplexen Modelle er-möglicht wird. Der durch die getroffenenVereinfachungen bedingte Genauigkeits-verlust wird über die Validierung der kom-plexen Modelle bestimmt und ist für diespezifische Anwendungen akzeptabel.

Ein wichtiges, übergeordnetes Ziel ist,dass für alle Stufen der Dynamikberech-nungen in der Motorentwicklung, von derDrehschwingungsberechnung bis zurAkustikberechnungen, nur ein Dynamik-modell verwendet wird, das abhängig vonden verfügbaren Daten und dem Berech-nungsziel in der jeweiligen Komplexitäts-stufe verwendet wird (Modular Approach[6]).

Bild 4 zeigt Ergebnisse aus einem Ver-gleich einer Drehschwingungsberechnungund einer gekoppelten Torsions- und Bie-geberechnung für den in den vorigen Kapi-teln beschriebenen Vierzylinder-Reihen-motor. Die Basis für das 1D-Modell ist das3D-Modell. Verglichen sind Lagerkräfte,Drehschwingungen, interne Torsionsmo-mente und Biegemomente (In-plane undOut-of-plane) in den Wangen sowie eintransienter Verlauf der Vergleichspan-nung in der schwungradseitigen Wange.Für die 3D-Berechnung sind darüberhinausdie Lagermomente sowie die Schwungrad-bewegungen dargestellt.

Der Einfluss der statisch unbestimmtenLagerung und der Steifigkeit der Lagerungist bei den Lagerkräften deutlich zu erken-nen. Die maximalen Lagerkräfte sind umbis zu 15 % höher als bei der analytischenBerechnung. Die Biegeschwingung desSchwungrads bei 4000/min (246 Hz Eigen-

Tabelle: RechenzeitenTable: Time table

1D derzeit 1D neu 3D

Modellaufbau

Kurbelwellenmodell 2D 1D ⇐Berechnungsmodell 0,5 D 0,5 D 0,5 D

Rechenzeiten inklusive 15 min 15 min 1 hErgebniserzeugung (Drehzahlband für 20 Drehzahlen)

Rechenzeiten (Hochlauf – – – 1.5 h80 Zyklen)

Auswertung 1D (Plots unmittelbar 2 h(Standardergebnisse) erstellen)

Optimierung – 0,5 D 2 D

5 Durchlaufzeiten

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frequenz mit 4. Ordnung im mitdrehendenKoordinatensystem) führt zusätzlich zu ei-ner höheren Belastung des schwungrad-seitigen Lagers. Die Biegung ist der erstenTorsion (255 Hz) bei 4000/min überlagert.Dabei ist die schwungradseitige Wange 8am höchsten belastet. Aus dem dynami-sches Verhalten resultiert eine Änderungder Belastung in den Wangen, die eine ge-nauere Auslegung in Bezug auf Festigkeitermöglicht.

4.5 Transiente Hochlauf-simulation (Run-up)Die im Kapitel 4.4 beschriebene 3-dimen-sionale Berechnung wird üblicherweise füreine Anzahl von Einzeldrehzahlen oderLasten durchgeführt. Die Ergebnisse fürden gesamten Drehzahl- und Lastbereichwerden aus diesen Ergebnissen zu-sammengesetzt. Dies bedeutet, dass jederLastpunkt transient, aber quasistatisch be-rechnet wird und zwischen den gerechne-ten Lastpunkten keine Ergebnisse vorhan-den sind. Eine wesentliche Erweiterungund Verbesserung stellt die Berechnung ei-nes Drehzahl- und Lasthochlaufs dar, wo-bei in einem Berechnungslauf entspre-chend einer vorgegebenen Rampe tran-sient der gesamte Bereich durchfahrenwird und die Lasten entsprechend interpo-liert werden [5].

Bild 5 zeigt Ergebnisse aus einer Berech-nung eines linearen Hochlaufs in 80 Mo-torzyklen von 1000 bis 6000/min für einenV6-Dieselmotor mit Zwischenwangen undEinmassenschwungrad. Die Schwingungs-überhöhungen durch die erste und zweiteTorsionsmode bei 367 Hz respektive 584 Hzsowie die ersten schwungradseitigen Bie-gemoden des Schwungrads bei 256 und263 Hz ist in den Ergebnissen deutlich er-sichtlich und führt zu einer starken Reduk-tion der Festigkeit in der höchstbelastetenWange 5 (mittige Zwischenwange). Dasabsolute Minimum der Sicherheit tritt imHubzapfen bei Höchstdrehzahl auf.

4.6 Automatische Ergebnis-auswertungWichtig für eine rasche Beurteilung von Er-gebnissen sowie die Reduktion von Aus-wertefehlern, die bei der sehr großen Men-ge an Ergebnisdaten wahrscheinlich ist, istneben einer vertretbaren Rechenzeit aucheine automatische Ausgabe der Berech-nungsergebnisse in einer anschaulichenDarstellung als Kurven- oder Farbplots.Speziell für die Berechnung des Hochlaufsist es wichtig, dass Standardauswertungenzur Verfügung stehen, da dies manuell zuaufwändig wäre und die Auswertung imallgemeinen einen wesentlichen Zeitanteilam gesamten Workflow ausmacht. Diese

Automatisierung und Standardisierungvereinfacht den Vergleich mehrerer Vari-anten und Konzepte untereinander oderzu Referenzmotoren sowie die Dokumen-tation. Die Auswertung soll dabei im Zeit-und Frequenzbereich erfolgen, um die be-rechneten Phänomene sowohl den einzel-nen Moden direkt zuordnen zu können alsauch über dem Last- und Drehzahlbereich,um eventuelle Frequenzverschiebungenoder Resonanzen zu ermitteln.

4.7 Parameteroptimierung 3-dimensionalDie heutige Leistungsfähigkeit der Rechnerlässt die Möglichkeit einer Optimierungmit einem 3D-Modell in Excite bereits inder kurzen Konzeptphase prinzipiell zu.Dabei kann sowohl über Cases als auch alsHochlauf gerechnet werden. Die Rechen-zeiten sind bei beiden Verfahren jedochhoch. Weiter ist es erforderlich, dass Kon-struktionsparameter direkt ohne Anpas-sung eines FEM-Modells modifiziert wer-den können. Diese Voraussetzung ist durchdie Verwendung des dynamisch äquiva-lenten Strukturmodells gegeben. Hier kön-nen zum Beispiel die Zapfendimensionender Kurbelwelle direkt verändert werdenund somit deren Einfluss auf die Struktur-dynamik bei Variantenrechnungen mit be-rücksichtigt werden, Bild 6.

5 Durchlaufzeiten

Die Tabelle zeigt einen Überblick über diezu erwartenden Zeiten für Modellierungund Rechnung sowie Auswertung der Er-gebnisse. Die angegebenen Werte stellenRichtwerte dar bei vorliegenden Eingabe-daten und einem vorhandenen CAD-Mo-dell der Kurbelwelle für den in diesem Ar-tikel beschriebenen Vierzylindermotorund einen Drehzahlbereich zwischen 1000und 5500/min dar (Plattform PC).

6 Zusammenfassung

Die Autoren haben gezeigt, dass durch ge-eignete Modellvereinfachung, Automati-sierung der Modellerstellung und die An-wendung von durchgängigen und mög-lichst automatisierten Workflows die Er-gebnisqualität durch die MKS-Simulationin der Konzeptphase signifikant verbessertwerden kann. Es wurde eine neue Methodeentwickelt und untersucht sowie die not-wendigen Softwareerweiterung im MKSTool AVL Excite implementiert. Die 1D-Si-mulation wurde verbessert und mit Para-meteroptimierung erweitert. Der Berech-nungsablauf wurde durch die Berücksich-tigung der gekoppelten Torsions- und Bie-gebelastung ergänzt und damit die Gefahrvon eventuellen Berechnungs- und Kon-struktionsschleifen verringert. Die damitverbundenen Rechenzeiten sind in einerakzeptablen Größenordnung, die die An-forderung in der Konzeptphase hinsicht-lich der Untersuchung vieler Varianten er-füllt. Die Verwendung von mathemati-schen Optimierungstools ist aufgrund vonautomatisierten Schnittstellen für den Be-rechnungsingenieur in der Konzeptpasemöglich. Die Rechenzeiten sprechen aberprimär für den Einsatz in der 1D-Berech-nung, auch wenn es prinzipiell für die 3D-Berechnung möglich ist.

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Literaturhinweise

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[3] Todorovic, G.; Parikyan, T.: AutomatedGeneration of Crankshaft Dynamic Mo-del to Reduce Engine Development Ti-me. SAE Paper No. 2003-01-0926

[4] Parikyan, T.: Unified Approach to Gene-rate Crankshaft Dynamic Models For3D and Torsional Vibration Analysis; AS-

ME Spring Technical Conference for theASME Internal Combustion Engine Divi-sion, Salzburg 2003

[5] Resch, T.; Klarin, B.: Analysis of EngineDynamics under Transient Run-up Con-ditions; SAE Conference, 2003 Detroit

[6] Priebsch, H. H.; Resch, T.: Simulationand Optimisation of Engine Noise – Pre-dictive Input for the Development Pro-cess; Rieter NVH Congress, Winterthur2003

[7] Offner, G.; Priebsch, H. H.; Loibnegger,B.: Engine Vibro-Acoustics – Theory andApplication Based on Linear Elastic Mul-ti-body Dynamics; Journal of Sound andVibration, Southampton (in review, to bepublished 2004)