Artikel Qualität und Effiziens in Holland · struktur und Umwelt, das Bildungs-ministerium, das...

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32 gesundesösterreich WISSEN B eginnen wir mit einem Klischee: die Holländer, so heißt es, hätten die schönsten Tulpen und Cam- pingwagen, seien geschäftstüchtig und tolerant. Auch die Gesundheits- förderung in den Niederlanden hat international einen guten Ruf. Zu Recht? „Unsere Strukturen und Maß- nahmen für Gesundheitsförderung sind in Relation zu vielen anderen eu- ropäischen Ländern gut entwickelt“, meint dazu Djoeke van Dale vom „Zen- trum für gesundes Leben“ des Nie- derländischen Instituts für Public Health and the Environment (Rijksins- tituut voor Volksgezondheid en Milieu – RIVM). Das RIVM beschäftigt ins- gesamt rund 1.500 Mitarbeiter/innen. 500 Millionen für Gesundheitsförderung Die Forscherin muss es wissen, ist sie doch Co-Autorin des im Juli 2014 er- schienenen Berichtes „Health Promo- tion and Chronic Diseases Prevention in the Netherlands“. Diesem ist zu entnehmen, dass 2012 für Prävention und Gesundheitsförderung insgesamt zweieinhalb Milliarden Euro ausge- geben wurden. Das sind drei Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben der Niederlande. Für 2007 liegen sogar Zahlen vor, bei denen zwischen Aus- gaben für Prävention und solchen für Gesundheitsförderung unterschieden wurde – also zwischen Maßnahmen, um Krankheiten zu vermeiden, und Maßnahmen, die Gesundheit fördern sollen. 2007 wurden allein für Ge- sundheitsförderung bereits 500 Mil- lionen und insgesamt drei Milliarden Euro aufgewendet. Effizienter Einsatz der Mittel Doch die Niederländer investieren nicht nur relativ hohe Summen. Sie wollen auch genau wissen, wofür das Geld verwendet wird. Wer finanzielle Unterstützung erhalten will, muss zu- erst eine Analyse der bestehenden Projekte durchführen und belegen, mit welchen Organisationen er ko- operieren will. Auf der Online-Platt- form www.loketgezondleven.nl des RIVM ist eine Datenbank mit Beispie- len guter Praxis in der Gesundheits- förderung zugänglich. 1.900 Interven- tionen sind hier erfasst. Für rund 250 wurde durch eine Grup- pe von Expert/innen auch schon be- wertet, ob sie gut beschrieben und theoretisch fundiert sind, sowie ob „erste“, „gute“ oder „starke Beweise“ für die Effektivität vorliegen. Letzteres gilt zum Beispiel für „Taakspel“, eine Maßnahme, die das soziale Klima in Schulklassen verbessert oder für „In de put, uit de put 55+“, ein Kurspro- gramm, das älteren Menschen dabei helfen soll, Depressionen zu überwin- den. „Die Datenbank soll Verantwort- liche auf lokaler und regionaler Ebene unterstützen, geeignete Projekte aus- zuwählen“, erklärt Van Dale. Die Gemeinden sind zuständig Für die praktische Umsetzung sind per Gesetz die 403 niederländischen Gemeinden zuständig, nachdem vor rund 15 Jahren mit einem „Prozess der Dezentralisierung“ begonnen wurde, wie das Jan Jansen formuliert. Er ist Berater beim Dutch Institute for Healthcare Improvement, das rund 50 Mitarbeiter/innen hat und sich mit Qualitätssicherung in der Gesund- heitsversorgung beschäftigt. Seit 2012 hat diese Einrichtung auch die Auf- gaben des niederländischen Instituts für Health Promotion (NIGZ) über- nommen. In den Niederlanden wird auch in der Gesundheitsförderung viel Wert auf Effizienz und Qualität gelegt. Neue Initiativen sollen sich an den bereits vorhandenen „Modellen guter Praxis“ orientieren. Text: Dietmar Schobel Qualität und Effizienz in Holland

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Beginnen wir mit einem Klischee:die Holländer, so heißt es, hättendie schönsten Tulpen und Cam-

pingwagen, seien geschäftstüchtigund tolerant. Auch die Gesundheits-förderung in den Niederlanden hatinternational einen guten Ruf. ZuRecht? „Unsere Strukturen und Maß-nahmen für Gesundheitsförderungsind in Relation zu vielen anderen eu-ropäischen Ländern gut entwickelt“,meint dazu Djoeke van Dale vom „Zen-trum für gesundes Leben“ des Nie-derländischen Instituts für Public Health and the Environment (Rijksins-tituut voor Volksgezondheid en Milieu– RIVM). Das RIVM beschäftigt ins-gesamt rund 1.500 Mitarbeiter/innen.

500 Millionen für GesundheitsförderungDie Forscherin muss es wissen, ist siedoch Co-Autorin des im Juli 2014 er-schienenen Berichtes „Health Promo-tion and Chronic Diseases Preventionin the Netherlands“. Diesem ist zuentnehmen, dass 2012 für Präventionund Gesundheitsförderung insgesamtzweieinhalb Milliarden Euro ausge-geben wurden. Das sind drei Prozentder gesamten Gesundheitsausgabender Niederlande. Für 2007 liegen sogarZahlen vor, bei denen zwischen Aus-gaben für Prävention und solchen fürGesundheitsförderung unterschiedenwurde – also zwischen Maßnahmen,um Krankheiten zu vermeiden, undMaßnahmen, die Gesundheit fördernsollen. 2007 wurden allein für Ge-sundheitsförderung bereits 500 Mil-lionen und insgesamt drei MilliardenEuro aufgewendet.

Effizienter Einsatz der MittelDoch die Niederländer investieren

nicht nur relativ hohe Summen. Siewollen auch genau wissen, wofür dasGeld verwendet wird. Wer finanzielleUnterstützung erhalten will, muss zu-erst eine Analyse der bestehendenProjekte durchführen und belegen,mit welchen Organisationen er ko-operieren will. Auf der Online-Platt-form www.loketgezondleven.nl desRIVM ist eine Datenbank mit Beispie-len guter Praxis in der Gesundheits-förderung zugänglich. 1.900 Interven-tionen sind hier erfasst.Für rund 250 wurde durch eine Grup-pe von Expert/innen auch schon be-wertet, ob sie gut beschrieben undtheoretisch fundiert sind, sowie ob„erste“, „gute“ oder „starke Beweise“für die Effektivität vorliegen. Letzteresgilt zum Beispiel für „Taakspel“, eineMaßnahme, die das soziale Klima inSchulklassen verbessert oder für „Inde put, uit de put 55+“, ein Kurspro-

gramm, das älteren Menschen dabeihelfen soll, Depressionen zu überwin-den. „Die Datenbank soll Verantwort-liche auf lokaler und regionaler Ebeneunterstützen, geeignete Projekte aus-zuwählen“, erklärt Van Dale.

Die Gemeinden sind zuständigFür die praktische Umsetzung sindper Gesetz die 403 niederländischenGemeinden zuständig, nachdem vorrund 15 Jahren mit einem „Prozessder Dezentralisierung“ begonnenwurde, wie das Jan Jansen formuliert.Er ist Berater beim Dutch Institute forHealthcare Improvement, das rund50 Mitarbeiter/innen hat und sich mitQualitätssicherung in der Gesund-heitsversorgung beschäftigt. Seit 2012hat diese Einrichtung auch die Auf-gaben des niederländischen Institutsfür Health Promotion (NIGZ) über-nommen.

In den Niederlanden wird auch in der Gesundheitsförderung viel Wert auf Effizienz und Qualität gelegt. Neue Initiativen sollen sich an den bereits vorhandenen „Modellen guter Praxis“ orientieren. Text: Dietmar Schobel

Qualität und Effizienz in Holland

GOE_15_36_WISSEN_03_2014.qxp_3+4 spaltig 24.11.14 19:46 Seite 18

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Konkret werden die Gemeinden übereine Struktur von 28 regionalen Ge-sundheitsdiensten versorgt. Diese be-treuen jeweils mehrere Gemeinden inihrem Gebiet und ihr Aufgabenspek-trum reicht von Primärpräventionüber sozial-medizinische Beratung biszur Gesundheitsversorgung für Asy-lant/innen. Die Gesundheitsdienstesollen auch auf den Bedarf der Ort-schaften abgestimmte gesundheits-förderliche Maßnahmen durchführen.„Das umfasst etwa Aktivitäten für ge-sunde Ernährung an Schulen oderAngebote für gesunde Bewegung inden Gemeinden, um nur zwei Bei-spiele zu nennen“, erklärt Jansen.

Strategien für vier JahreDie Gemeinden sind ebenso wie dienationale Regierung durch den „Public Health Act“ aus dem Jahr 2008verpflichtet, alle vier Jahre eine Stra-tegie für den Bereich der öffentlichenGesundheit festzulegen. Im Jänner2014 wurde zudem ein nationales Prä-ventionsprogramm namens „Alles isGezondheid“ gestartet, an dem sichsechs Ministerien beteiligen. Es hatdrei zentrale Ziele, nämlich Gesund-heitsversorgung in der Nähe anzu-bieten, den Gesundheitsschutz auf-rechtzuerhalten und Prävention imGesundheitssystem eine zentrale Rollezu geben. Zu den konkreten Vorgabenzählt etwa, dass es bis Ende 2015 min-destens 850 „gesunde Schulen“ gebensoll, damit weniger Kinder überge-wichtig sind oder rauchen und mehrKinder körperlich aktiv sind.Niederländer/innen mit niedrigerAusbildung haben im Durchschnitteine um sechs Jahre geringere Lebens-erwartung als jene mit hoher Ausbil-dung und die Lebenserwartung beiguter Gesundheit differiert sogar um19 Jahre. Diese Ungleichheit wird sichin den kommenden Jahren laut wis-senschaftlichen Prognosen sogar nochvergrößern. Durch „Alles is Gezond-heid“ soll deshalb speziell auch dieUngleichheit bis 2030 verringert wer-den oder zumindest gleich bleiben.Im Rahmen des nationalen Program-mes werden daher bis 2018 insgesamt

44 Millionen Euro speziell für die Ini-tiative „Healthy Cities“ zur Verfügunggestellt. Dieses Programm setzt in so-zial benachteiligten Nachbarschaftenin insgesamt 100 Gemeinden an undsoll dort unter anderem für mehr En-gagement der Bürger/innen und einegesündere „gebaute Umwelt“ sorgen.

Ein Thema für alle RessortsAuf nationaler Ebene ist das Ministe-rium für Gesundheit, Soziales undSport für die öffentliche Gesundheitund im Speziellen auch für Präventionund Gesundheitsförderung verant-wortlich. Gesundheit wird jedoch inden Niederlanden schon seit Länge-rem als Thema betrachtet, das alleRessorts betrifft. Das zeigt sich auchdarin, dass die Ministerien für Infra-struktur und Umwelt, das Bildungs-ministerium, das Ministerium für So-zialfürsorge und Arbeit sowie dasWirtschaftsministerium ebenfalls da-ran beteiligt sind, Gesundheitsförde-rung in den Niederlanden zu finan-zieren und umzusetzen. Forschung für Gesundheitsförderungwird von der Organization for HealthResearch and Development und ver-schiedenen Universitäten durchge-führt. Ein Schwerpunkt liegt auf an-wendungsorientierten Erkenntnissenund die Forschungsarbeiten werdenhäufig in Kooperation mit den Ge-sundheitsdiensten der Gemeindendurchgeführt. Von mehreren Univer-sitäten, darunter etwa jene in Maas-tricht, werden Master-Studien im Be-reich Public Health und speziell auchfür Health Promotion angeboten.

Hohe Qualität der Ausbildung„Die Qualität der Ausbildung für Pu-blic Health ist in den Niederlandenhoch“, betont Jan Jansen. Dennoch istin den vergangenen Jahren die Zahlder Stellen für Gesundheitsför-derer/innen in Wissenschaft und Pra-xis reduziert worden. Aus Sicht dervon „Gesundes Österreich“ befragtenExpert/innen ist auch manches anderein der Gesundheitsförderung in denNiederlanden noch verbesserungs-würdig. „Wir benötigen mehr finan-

zielle Mittel, speziell auch für Maß-nahmen für Kinder und Jugendliche“,kritisiert etwa Jan Jansen und ergänzt:„Doch dafür wäre es notwendig, dasssich ähnlich wie in Deutschland auchin den Niederlanden endlich die An-sicht durchsetzt, dass Investitionen inGesundheitsförderung letztlich dazuführen, dass in der Gesundheitsver-sorgung Geld gespart werden kann.“

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In den Niederlanden wohnen rund 16,7Millionen Menschen auf einer Gesamtflä-che von rund 42.000 Quadratkilometern.Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf be-trägt 50.355 US-Dollar und kaufkraftbe-reinigt 42.183 US-Dollar. Das sind umge-rechnet 39.634 und 33.202 Euro, was je-weils unter den Ländern der Welt denzehnten Platz bedeutet. Die gesamtenGesundheitsausgaben haben 2011 einenAnteil von 11,9 Prozent des Bruttoin-landsprodukts betragen. Die Lebenser-wartung von Männern in den Niederlan-den wird von derzeit 79 Jahren bis 2030auf 82 Jahre steigen. Für Frauen wird siesich im selben Zeitraum von 83 auf 85Jahre erhöhen. Die Zahl der Menschenmit einer chronischen Erkrankung wirdvon 5,3 Millionen auf sieben Millionen imJahr 2030 ansteigen.

Quellen: Public Health Status and Forecast Report 2014, Wiki-pedia und „Health at a Glance 2013“ der OECD.

DATEN UND FAKTEN

Djoeke van Dale:„Unsere Strukturen fürGesundheitsförderungsind in Relation zu vie-len anderen europäi-schen Ländern gut ent-wickelt.“

Jan Jansen: „DieQualität der Ausbil-dung für Public Healthist in den Niederlandenhoch.“

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