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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: ArzneimForschDrugRes Anspruch und Wirklichkeit PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality Inhalt Wehling, M., Scriba, P. C. Vorwort 891 Epidemiologie und Mechanismen Brenner, H. Epidemiologie geriatrischer Erkrankungen: Multimorbidität im Fokus 892 Wehling, M. Klinisch-pharmakologisch wichtige, altersabhängige Veränderungen: Dimensionierung der Probleme der Pharmakotherapie im Alter 894 Fauler, J. Probleme klinischer Studien bei alten Patienten 896 Blume, H. Arzneimitteltherapie beim alten Menschen Optimierung durch spezielle Darreichungsformen? 897 Systemspezifische Therapie im Alter I: ZNS Herz-Kreislauf Lunge Hirsch, R. D. Pharmakotherapie demenzieller Erkrankungen 898 Stiens, G. Pharmakotherapie psychiatrischer Erkran- kungen unter besonderer Berücksichtigung der atypischen Neuroleptika 900 Wiegand, M. H. Schlaf und Schlafstörungen im Alter 902 Reichmann, H. Pharmakotherapie des Parkinson- Patienten im Alter 904 Tölle, T. Schmerztherapie im Alter 905 Ukena, D. Pharmakotherapie pulmonaler Erkrankungen im Alter 907 Kolloch, R. E. Pharmakotherapie kardiovaskulärer Erkrankungen im Alter: arterielle Hypertonie 909 Hoppe, U. C. Pharmakotherapie kardiovaskulärer Erkrankungen im Alter: Herzinsuffizienz 910 Systemspezifische Therapie im Alter II: Stoffwechsel Fuhrmann, U. Hormontherapie der Frau im Alter: Lifestyle Drugs 911 Ringe, J. D. Therapie der Osteoporose 913 Hauner, H. Therapie des Diabetes mellitus im höheren Lebensalter 916 Gesundheitspolitische Aspekte der Pharmakotherapie älterer Menschen Schwartz, F. W. Qualitätsaspekte der Versorgung älterer Patienten aus sozialmedizinischer und sozialrechtlicher Sicht 917 Gericke, C., Busse, R. Gesundheitsökonomische Aspekte der Pharmakotherapie älterer Menschen 918 Oswald, W. D. In Würde altern selbständig und ohne Demenz 921 After Dinner Lecture Grune, T. Warum altern wir? 924 Autorenverzeichnis 925 Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 890 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) 890 Inhalt

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter:ArzneimForschDrugRes Anspruch und Wirklichkeit

PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly:Demands and Reality

Inhalt

Wehling, M., Scriba, P. C.Vorwort 891

Epidemiologie und Mechanismen

Brenner, H.Epidemiologie geriatrischer Erkrankungen:Multimorbidität im Fokus 892

Wehling, M.Klinisch-pharmakologisch wichtige,altersabhängige Veränderungen:Dimensionierung der Problemeder Pharmakotherapie im Alter 894

Fauler, J.Probleme klinischer Studien bei altenPatienten 896

Blume, H.Arzneimitteltherapie beim altenMenschen − Optimierung durch spezielleDarreichungsformen? 897

Systemspezifische Therapie im AlterI: ZNS − Herz-Kreislauf − Lunge

Hirsch, R. D.Pharmakotherapie demenziellerErkrankungen 898

Stiens, G.Pharmakotherapie psychiatrischer Erkran-kungen unter besonderer Berücksichtigungder atypischen Neuroleptika 900

Wiegand, M. H.Schlaf und Schlafstörungen im Alter 902

Reichmann, H.Pharmakotherapie des Parkinson-Patienten im Alter 904

Tölle, T.Schmerztherapie im Alter 905

Ukena, D.Pharmakotherapie pulmonalerErkrankungen im Alter 907

Kolloch, R. E.Pharmakotherapie kardiovaskulärerErkrankungen im Alter: arterielleHypertonie 909

Hoppe, U. C.Pharmakotherapie kardiovaskulärerErkrankungen im Alter: Herzinsuffizienz 910

Systemspezifische Therapie im AlterII: Stoffwechsel

Fuhrmann, U.Hormontherapie der Frau im Alter:Lifestyle Drugs 911

Ringe, J. D.Therapie der Osteoporose 913

Hauner, H.Therapie des Diabetes mellitus im höherenLebensalter 916

Gesundheitspolitische Aspekteder Pharmakotherapie älterer Menschen

Schwartz, F. W.Qualitätsaspekte der Versorgung ältererPatienten aus sozialmedizinischer undsozialrechtlicher Sicht 917

Gericke, C., Busse, R.Gesundheitsökonomische Aspekte derPharmakotherapie älterer Menschen 918

Oswald, W. D.In Würde altern − selbständig und ohneDemenz 921

After Dinner Lecture

Grune, T.Warum altern wir? 924

Autorenverzeichnis 925

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 890 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)890 Inhalt

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Vorwort

Martin Wehlinga und Peter C. Scribab

Universitätsklinikum Mannheima und Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität b, München

Die Arzneimitteltherapie ist die wichtigste therapeuti-sche Maßnahme des Arztes und wird in ganz überwie-gendem Umfang an älteren Patienten durchgeführt.Ausgerechnet diese Hauptempfänger unserer moder-nen (und nicht so modernen!) Arzneimittel sind imHinblick auf die Pharmaka-Anwendung im Vergleich zujüngeren Erwachsenen schlecht untersucht. Empfeh-lungen und Leitlinien zur Arzneimitteltherapie sindhäufig in bezug auf Sinn oder Unsinn einer Therapiebei Hochbetagten wenig ergiebig und so ist der prak-tisch tätige Arzt in seinen therapeutischen Überlegun-gen und Entscheidungen gerade beim älteren Patientenoft auf sich selbst gestellt. Nun wird die Anwendung vonArzneimitteln im Alter keineswegs einfacher, sondernaufgrund der meist gleichzeitig existierenden Vielzahlvon Erkrankungen (allein schon zahlenmäßig) aufwen-diger, wobei klar ist, daß hiermit auch Nebenwirkungs-und Interaktionsmöglichkeiten exponentiell ansteigen.Ein instinktives Verhalten ist denn auch die therapeuti-sche Vermeidungshaltung, die in vielen Fällen sogarnützlich erscheint. So wurde die eigene (M. W.) Groß-mutter viele Jahre lang gegen eine arterielle Hypertoniemit Digoxin in konstanter Dosis behandelt. Zunehmendstellten sich Symptome wie Übelkeit, Verwirrtheit,Schwindel und andere ein, die wiederum pharmakothe-rapeutisch angegangen wurden. Das Problem löste sicherst mit vollständiger Wiederherstellung des Wohlbefin-dens, als die Unterlassung der Arzneimitteltherapiedurch den Tod des Kollegen erzwungen wurde.

Daß diese Haltung der Vermeidung sicher subopti-mal ist, leuchtet ein, insbesondere, wenn man die er-sten z. B. auf dem Gebiet der Hypertoniebehandlungvorgelegten Resultate zur therapeutischen Beeinflus-sung von Krankheiten bei älteren Patienten betrachtet,die sehr optimistisch stimmen. Bei den an älteren Pa-tienten durchgeführten Studien (z. B. SHEP oder SYST-EUR, im Bereich der Lipide jetzt die PROSPER-Study)profitierten diese mindestens ebenso wie die Jüngeren.Von einem therapeutischen Nihilismus kann also in derRegel gar keine Rede sein, wir müssen uns einfach dem

Thema der „Arzneimitteltherapie im Alter“ ausführ-licher und vor allem wissenschaftlicher widmen.

Das Paul-Martini-Symposium 2003 „Pharmakothera-pie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit“ soll allge-meine Prinzipien der Pharmakotherapie beim älterenMenschen neben konkreten Therapiehinweisen beispeziellen Erkrankungen behandeln. Daß hierbei großeLücken bleiben, die auch durchaus den gegenwärtigenStand der Beschäftigung mit dem Thema reflektieren,ist offensichtlich.

Die Versorgungsforschung, die Politik, Berufsver-bände und Hilfsorganisationen sind dringend aufgefor-dert, sich dieses entscheidend wichtigen Themas anzu-nehmen und in einer alternden Gesellschaft nach Mög-lichkeiten und Wegen einer altersgerechten, z. T. sehrintensiven, z. T. natürlich aber auch zurückhaltendenPharmakotherapie zu suchen.

Unter Berücksichtigung des Leitsatzes, daß jede Arz-neimittelanwendung am Menschen ein nur durch ge-naue Beobachtung erfolgversprechendes Experimentist, soll dieses Symposium zum rationaleren und siche-reren Umgang mit Arzneimitteln im Alter beitragen.

Die Mainzer Akademie ist traditionell der Interdiszi-plinarität verpflichtet. Zwei Tage lang darf die Paul-Mar-tini-Stiftung zu Gast sein. In diesem Jahr kommt dasGebiet der Gerontopharmakologie zu Wort, welchesschon in sich Interdisziplinarität bietet. Die Paul-Mar-tini-Stiftung versteht sich als Mittler und bietet die Dis-kussion zwischen universitärer und industrieller For-schung an. Daher werden auch in diesem Jahr an derMainzer Tagung Wissenschaftler aus den Universitätenund aus der Industrie sowie Sachverständige aus Mini-sterien, Behörden und Verbänden teilnehmen. In die-sem Sinne wünschen wir dem Auditorium zwei anre-gende Tage.

Wir danken Frau Schwalbach und Herrn Throm fürihren großen Einsatz bei der Vorbereitung des Symposi-ums sowie dem Vorstand der Paul-Martini-Stiftungebenso wie dem Verband Forschender Arzneimittelher-steller (VFA) für die großzügige Unterstützung.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 891 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Wehling et al. − Vorwort 891

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Epidemiologie und Mechanismen

Epidemiologie geriatrischer Erkrankungen:Multimorbidität im Fokus

Hermann Brenner

Deutsches Zentrum für Altersforschung an der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg

Demographische EntwicklungDie deutsche Bevölkerung wird in den kommendenJahrzehnten dramatisch schrumpfen und altern: EinemRückgang der Gesamtbevölkerungszahl, der in erster Li-nie aus den niedrigen Geburtenraten resultiert, wird eindeutlicher Anstieg der Zahl älterer Mitbürger entgegen-stehen. Die Zunahme ist besonders ausgeprägt für dieGruppe der Hochaltrigen (80 Jahre und älter), derenZahl sich binnen 50 Jahren mehr als verdoppeln, undderen Anteil an der Gesamtbevölkerung sich mehr alsverdreifachen wird. Im Jahr 2050 wird mehr als jeder 11.Einwohner Deutschlands 80 Jahre oder älter sein, auf100 20- bis 59jährige werden fast 75 Personen im Altervon 60 oder mehr Jahren kommen (gegenüber 41,3 imJahre 2000) [1].

Spezifische Aspekte der Epidemiologiechronischer Erkrankungen im höherenLebensalterMultimorbidität

Neben der mit dem Alter zunehmenden Inzidenz undPrävalenz vieler chronischer Erkrankungen ist dasgleichzeitige Auftreten verschiedener chronischer Er-krankungen, die Multimorbidität, ein wichtiges Charak-teristikum des älteren Menschen, das im Rahmen derzumeist auf eine „Hauptdiagnose“ fokussierten medizi-nischen Betreuung oft nicht ausreichend berücksichtigtwird. So fanden sich bei 96 % aller Studienteilnehmerder Berliner Altersstudie (Alter 70+) mindestens eineund bei 30 % fünf oder mehr behandlungsbedürftige in-ternistische, neurologische, orthopädische oder psychi-sche Erkrankungen [2]. Charakteristisch ist zugleich je-doch die teilweise sehr starke Diskrepanz zwischen ob-jektiven Diagnosen und subjektiven Beeinträchtigun-gen. Während beispielsweise unter den objektiven Dia-gnosen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Risi-

kofaktoren im Vordergrund stehen, sind unter den Ur-sachen schwerer subjektiver Beeinträchtigungen Er-krankungen des Bewegungsapparates (insbesondereArthrosen, Dorsopathie und Osteoporose) am häufig-sten.

Gleichzeitiges Auftreten körperlicher undpsychischer Erkrankungen

Das häufig zu beobachtende gleichzeitige Auftretenkörperlicher und psychischer Erkrankungen (hierbeiinsbesondere demenzieller und depressiver Erkrankun-gen) ist für die medizinische Versorgung älterer Men-schen von größter Bedeutung. Es geht oft mit einer er-schwerten Diagnosestellung somatischer Erkrankun-gen, einer verminderten Compliance im Rahmen derTherapie sowie beträchtlich erhöhtem Bedarf an medi-zinischen und pflegerischen Behandlungsressourceneinher.

Erkrankungen und funktionelle Beeinträchtigungen

Chronische Erkrankungen im höheren Lebensalter ge-hen häufig mit funktionellen Defiziten einher, deren Artund Ausprägung für die Lebensqualität der Betroffenenund die Inanspruchnahme von medizinischen undpflegerischen Leistungen vielfach sehr viel entschei-dender ist als die genaue medizinische Diagnose, diebei der Ermittlung medizinischen und pflegerischenVersorgungsbedarfs jedoch vielfach keine adäquate Be-rücksichtigung finden [3−5].

Selektives Überleben

Nicht bei allen chronischen Erkrankungen ist eine Zu-nahme der Prävalenz bis in die höchsten Altersstufenzu verzeichnen. So nimmt beispielsweise die Prävalenzder Hyperlipidämie oder der arteriellen Hypertonie inden höchsten Altersstufen wieder ab, was zumindestteilweise durch einen selektiven Überlebensvorteil vonPersonen ohne diese Erkrankungen zu erklären ist.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 892-893 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)892 Brenner − Multimorbidität

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Mangel an Daten

Ein vor dem Hintergrund der demographischen Ent-wicklung besonders gravierendes Problem ist jedochder generelle Mangel aussagekräftiger epidemiologi-scher Daten für die ältere Bevölkerung. So existieren inDeutschland, anders als in anderen Ländern, aussage-kräftige epidemiologische (bevölkerungsbezogene)Krankheitsregister nur für einzelne wenige chronischeErkrankungen des höheren Lebensalters. Selbst woKrankheitsregister in größerem Umfang bestehen (wiez. B. für Krebserkrankungen), stehen vielfach die recht-lichen Rahmenbedingungen, insbesondere die im inter-nationalen Vergleich sehr restriktiven Datenschutzbe-stimmungen, einer für die Erfüllung der Registerfunk-tionen erforderlichen Vollständigkeit der Registrierungentgegen, so daß aussagekräftige Analysen zu Inzidenz,Prävalenz und Prognose häufig nur für sehr einge-schränkte Regionen oder auf der Basis entsprechenderDaten aus andern Ländern möglich sind (z. B. [6, 7]).Oft jedoch ist die ältere Bevölkerung aus epidemiologi-schen Erhebungen ganz ausgeschlossen.

Versorgungsepidemiologische DatenAufgrund des weitgehenden Fehlens epidemiologischerPrimärdaten zur Inzidenz und Prävalenz chronischerErkrankungen des höheren Lebensalters sowie wegenihres unmittelbaren Bezugs zu den derzeitigen undkünftigen Herausforderungen der medizinischen Ver-sorgung sind versorgungsepidemiologische Sekundär-daten für die Charakterisierung der epidemiologischenSituation älterer Menschen von großer Bedeutung. Da-her werden entsprechende Daten exemplarisch für jeeinen besonders wichtigen Sektor aus dem ambulantenund dem stationären Bereich der medizinischen Versor-gung dargestellt.

Ambulante medizinische Versorgung

Exemplarisch für den ambulanten Bereich der medizi-nischen Versorgung seien Daten zum Arzneiverbrauchder Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversiche-rung im Jahre 2001 genannt. Danach steigt der Arznei-mittelverbrauch im höheren Lebensalter drastisch anund liegt bei den über 60jährigen ca. 3- bis 12mal sohoch wie bei den unter 45jährigen. Oberhalb des 75.Lebensjahrs liegt der durchschnittliche tägliche Arznei-mittelverbrauch bei mehr als drei definierten Tagesdo-sen verschreibungspflichtiger Medikamente [8].

Schlüsselt man den Arzneimittelverbrauch der über60jährigen nach den häufigsten Indikationsgruppenauf, so findet man die höchsten Verordnungen für Herz-Kreislauf-Medikamente, insbesondere die Indikations-gruppen, Betablocker / Calciumblocker / Angiotensin-Hemmstoffe und Antihypertonika. In den höchstenAltersgruppen nehmen darüber hinaus die Verordnungvon Koronarmitteln und Diuretika stark zu. Eine stetigeZunahme der Verordnungshäufigkeit mit dem Alter fin-det sich auch für Anagetika / Antirheumatika, Hypnot-ika / Sedativa, Laxantia, Magen-Darm-Mittel, Psycho-pharmaka und, mit Ausnahme der höchstenAltersgruppe, Antidementiva, Ophthalmika und Throm-bozytenaggregationshemmer.

Stationäre medizinische Versorgung

Exemplarisch für den stationären Bereich der medizini-schen Versorgung seien Daten zu den Krankenhaus-tagen der älteren Bevölkerung genannt. So wäre (beigleichbleibender Behandlungsdauer) im Zeitraum von1998 bis 2050 mit einer Zunahme der Gesamtzahl derKrankenhaustage um etwa ein Drittel zu rechnen [9].Diese Zunahme geht fast ausschließlich auf dieAltersgruppe der über 75jährigen zurück, für die auf-grund des starken Anwachsens dieser Bevölkerungs-gruppe eine Zunahme der Krankenhaustage um fastdas 3fache zu erwarten ist. Betrug der Anteil der Kran-kenhaustage, der auf die über 75jährigen entfiel, im Jahr1998 noch weniger als ein Viertel, so wird dieser Anteilim Jahr 2050 auf fast die Hälfte ansteigen.

Betrachtet man das Spektrum der für die stationäreBehandlung der älteren Bevölkerung primär verant-wortlichen Diagnosehauptgruppen, so liegen sowohlbei den Frauen als auch bei den Männern die Krankhei-ten des Kreislaufsystems an erster, die Neubildungen anzweiter Stelle. Vergleichsweise hohe Anteile mit Wertenum 10 % entfallen bei den Frauen noch auf Krankheitendes Nervensystems und der Sinnesorgane, Krankheitender Verdauungsorgane, Krankheiten des Skeletts, derMuskeln und des Bindegewebes sowie Verletzungenund Vergiftungen, bei Männern ebenfalls auf Krankhei-ten der Verdauungsorgane und, in der Altersgruppe ab75 Jahren, auf Krankheiten der Atmungsorgane.

Literatur[1] Bevölkerungsentwicklung Deutschlands bis zum Jahr 2050.Ergebnisse der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberech-nung. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (2000)

[2] Steinhagen-Thiessen, E., Borchelt, M., Morbidität, Medi-kation, und Funktionalität im Alter. In: P. B. Baltes, K. U. Mayer(Hrsg.): Die Berliner Alternsstudie. Akademie-Verlag, Berlin(1996)

[3] Brenner, H., Kliebsch, U., Siebert, H., Empirische Analy-sen zur sozialmedizinischen Begutachtung von Pflegebedürf-tigkeit vor dem Hintergrund eines Urteils des Bundessozialge-richts. Gesundheitswesen 58, 272 (1996)

[4] Kliebsch, U., Stürmer, T., Siebert, H et al., Risk factors forinstitutionalization in an elderly disabled population. Eur. J.Public Health 8, 106 (1998)

[5] Kliebsch, U., Siebert, H., Brenner, H., Extent and deter-minants of hospitalization in a cohort of older disabled people.J. Am. Geriatr. Soc. 48, 289 (2000)

[6] Brenner, H., Stegmaier, C., Ziegler, H. Projektion derKrebsneuerkrankungen bis zum Jahr 2002. Ein Beitrag zur Be-darfsplanung im Gesundheitswesen aus dem SaarländischenKrebsregister. Gesundheitswesen 55, 648 (1993)

[7] Brenner, H., Long-term survival rates of cancer patientsachieved by the end of the 20th century: a period analysis. Lan-cet 360, 1131(2002)

[8] Nink, K., Schröder, H. Der Arzneimittelmarkt in der Bun-desrepublik Deutschland. In: U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.).Arzneiverordnungsreport 2002. Springer Verlag, Berlin−Heidel-berg etc. (2002)

[9] Schulz, E., Leidl, R., Koenig, H.-H., Auswirkungen derdemographischen Alterung auf den Versorgungsbedarf imKrankenhausbereich. Modellrechnung bis zum Jahre 2050.Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Wochen-bericht 67, 739(2000)

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Klinisch-pharmakologisch wichtige, altersabhängigeVeränderungen: Dimensionierung der Problemeder Pharmakotherapie im Alter

Martin Wehling

Institut für Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Mannheim

Die Anwendung von Arzneimitteln ist die am häufig-sten geübte therapeutische ärztliche Maßnahme. JederArzt (einzige dem Autor bekannte Ausnahme: einzelnePsychotherapeuten) verordnet Arzneimittel; in den sogenannten konservativen Fächern, insbesondere derInneren Medizin, ist dies sogar mit Abstand die wichtig-ste therapeutische Maßnahme. In den Industrienatio-nen sind die alten Menschen (> 65 Lebensjahre) die amstärksten anwachsende Bevölkerungsgruppe. Am geria-trischen Patienten manifestieren sich dabei häufigmehrere überlappende, oft chronische Krankheits-Pro-zesse, die Indikationen zu z. T. lebensbegleitender Arz-neimitteltherapie darstellen (vor allem Herzinsuffi-zienz, arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus, aberauch psychiatrische Krankheitsbilder wie Demenz).

Am Zustandekommen von unerwünschten Neben-wirkungen ist eine Fülle von Faktoren netzwerkartig be-teiligt, die altersbedingt zunehmen, wie Organfunk-tionsstörungen (z. B. Nierenfunktion), Polypharmazie,Therapietreuestörungen und andere.

Arzneimittel-induzierte Symptome sind ein häufiger,wenn nicht sogar der häufigste Grund für Krankenhaus-einweisungen in der Geriatrie. Problematischerweisekönnen diese Symptome als neue Erkrankungen fehlin-terpretiert werden und zu einer Ausweitung der Medi-kation führen. Beispielsweise wurde bei älteren Patien-ten unter Metoclopramid-Therapie (antidopaminerge,daher Parkinson-fördernde Nebenwirkung) dreimal sohäufig eine Parkinson-Therapie begonnen wie in einemVergleichskollektiv ohne Metoclopramid.

Eine Reihe von Medikamenten wird zur Anwendungam alten Patienten als ungeeignet beurteilt bzw. erfor-dert eine besondere Vorsicht. Dazu gehören z. B. lang-wirksame Benzodiazepine (z. B. Diazepam) und Antide-pressiva vom Amitriptylin-Typ. Derartige Empfehlun-gen können eine Entscheidungshilfe im praktischen All-tag darstellen. Grundsätzlich beruhen aber Einschrän-kungen in der geriatrischen Arzneimitteltherapie nichta priori auf dem Alter, sondern v. a. auf den begleiten-den Umständen (veränderte Organfunktion, Morbidi-tät, Therapietreue) des Patienten.

Das ungeheure Ausmaß der positiven Möglichkeiten,aber auch der „Bedrohung“ durch unsachgemäße An-wendung durch eine Arzneimitteltherapie, soll nur grobdurch folgende Zahlen belegt werden. Es werden proJahr in Deutschland Arzneimittel im Wert von fast 20Milliarden Euro verkauft; jeder über 60jährige wird imDurchschnitt mit 3 Arzneimitteln dauertherapiert. Dieüber 60jährigen machen 22 % der Bevölkerung aus, ver-brauchen aber 54 % der Arzneimittel, sind also um denFaktor 2,4 überrepräsentiert. Dies zeigt neben der Be-deutung der Arzneimitteltherapie allgemein vor allemdie Zuspitzung aller Probleme im Alter.

Der besonderen Bedeutung der Arzneimitteltherapiekann nur gerecht werden, wer sowohl Nutzen als auchRisiko in ihrem Verhältnis zu einander richtig einschät-zen kann. Wenn Zahlen genannt werden, nach denenallein in Deutschland jährlich bis zu 20 000 Patienten„an“ Pharmaka sterben, 7 % aller Todesfälle in mehroder weniger kausalem Zusammenhang mit deren Ein-nahme stehen, 20 bis 25 % aller Krankenhausaufnah-men aufgrund von Arzneimittelnebenwirkungen zumin-dest mitverursacht sind, dann zeigt dies die Komplexi-tät der Anwendung mit ihren diesbezüglichen Folgen.

Daß viele der Nebenwirkungen (bis zu 50 %) ver-meidbar wären, liegt auf der Hand. Allerdings fehlt esals wahrscheinlich wirksamster Maßnahme zur Errei-chung dieses Zieles an Aus-, Weiter- und vor allem Fort-bildung in diesem leider überall nur unterrepräsentier-ten Bereich. Nach eigenen Schätzungen beträgt derAnteil der pharmakotherapeutischen am allgemeinenCurriculum des Medizinstudiums nur 6 bis 10 % undstellt somit eine massive Mangelversorgung dar. In derFörderung dieser Lehrinhalte, aber auch der klinischenPharmakologie als therapeutischem Querschnittsfachsollte daher eine vordringliche gesundheitspolitischeAufgabe gesehen werden, wenn sich an den oben ge-schilderten Zahlen etwas ändern soll.

Auf der anderen Seite lassen derartige Darstellungenleicht einen therapeutischen Nihilismus entstehen, dervöllig unberechtigt ist. Die positiven Möglichkeiten desgroßen Arzneimittelschatzes, den wir heute besitzen,

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

waren noch nie so eindrucksvoll, so gut belegt und viel-seitig wie heute. Gerade hat einmal wieder ein ver-meintlicher oder echter Pharmaskandal das Vertrauenin die Sicherheit von Arzneimitteln erschüttert, in demfür eines der Cholesterin-senkenden Statine, das Ceri-vastatin, eine Häufung von gravierenden und z. T. töd-lichen Rhabdomyolysen beschrieben wurde. Gleichwurde der zu weitgehende Einsatz der anderen, lang-jährig an vielen Millionen Patienten erprobten Statinegerügt, eine Verunsicherung der Ärzte und Patientenwar die Folge. In dieser emotionalen Diskussion war al-lerdings der großartige Fortschritt übersehen worden,der mit der Einführung dieser Substanzgruppe in dieLipid-senkende Therapie erzielt werden konnte, übri-gens in besonderem Maße auch beim geriatrischen Pa-tienten. In einer einfachen Zahlenabschätzung lässtsich zeigen, daß diese Substanzen höchstens bei 1:100000 Behandlungsjahren eine tödliche Nebenwirkungauslösen, wahrscheinlich nur in einer Frequenz von 1:1Million. Die sog. 4S-Studie zeigte jedoch, daß genau mitdieser Therapie in der Sekundärprävention (also nachHerzinfarkt oder bei sicheren Zeichen der koronarenHerzerkrankung) auf 100 000 Behandlungsjahre 700 Pa-tientenleben zu retten waren. Eine derartig günstige Ri-siko-Nutzen-Relation (schlechtestenfalls 1:700) kannsonst fast keine Intervention der gesamten Medizin auf-weisen, nicht einmal eine einfache Blinddarmopera-tion.

Bei konsequenter Anwendung dieser Erkenntnissekönnten in Deutschland allein 100 000 Todesfälle proJahr verhindert werden, aber diese Umsetzung vonEmpfehlungen auf der Basis solider Daten findet leidergerade bei alten Patienten nicht statt. In einer eigenenStudie war der Zielwert der Cholesterin-senkendenTherapie bei schon bestehender koronarer Herzkrank-heit (LDL-Cholesterin unter 100 mg/dL) nur bei 4 % derPatienten erreicht, die anderen nahmen nicht oder nurteilweise am medizinischen Fortschritt teil. Ähnliche

Zahlen gibt es für die Umsetzung von Therapieempfeh-lungen oder Leitlinien für alle häufigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und den Diabetes mellitus.

Daher könnten wir die Särge dieser nichtgerettetenPatienten auf einer Länge von über 200 km aneinander-reihen, entsprechend der Strecke von Frankfurt nachDüsseldorf.

Die Notwendigkeit dieser drastischen Verdeutlichungeines der größten Versorgungsskandale ist beklemmen-der Ausdruck der Sprachlosigkeit, der Ignoranz odereinfach Hilflosigkeit verantwortlicher Stellen, dennohne diese Veranschaulichung scheint kein für eine Än-derung notwendiger Druck zu entstehen.

Nur stete Aufklärungsarbeit, Appelle an alle beteilig-ten Personen, vor allem die Politiker, aber auch die Pa-tienten, ihre Rechte einzufordern, können hier etwasändern.

Daß dies wiederum viel Geld kostet, ist sicher eingroßes Problem. Zunächst sollte aber durch einen ratio-nalen Einsatz vorhandener Mittel Geld für diese ethi-schen Therapien freigesetzt werden. Es gibt ein großesEinsparpotenzial im Arzneimittelbudget selbst, wennman z. B. die vielen unwirksamen, aber nebenwir-kungsträchtigen Medikamente wegließe. Noch größerist das Einsparpotenzial allerdings für eine Reduktionder gerade im Herz-Kreislaufbereich oft überbordendenDiagnostik. In unserem Gesundheitssystem werdenetwa 80 % für Diagnostik, nur 20 % für Therapie ausge-geben. Letztere ist aber der eigentliche Grund, das Sy-stem in Anspruch zu nehmen. Hier ist sicher ein Um-denken erforderlich.

Die Arzneimitteltherapie gerade des älteren Patien-ten ist eine große Herausforderung; sie bietet aber beibeherrschbaren Risiken große Chancen für ein nichtnur einfach längeres, sondern auch aktives und vonKrankheiten unbeschwertes Leben − Chancen, die lei-der oft ungenutzt bleiben.

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Probleme klinischer Studien bei alten Patienten

Joachim Fauler

Institut für Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden

Ältere Menschen sind trotz der zunehmenden Überalte-rung unserer Bevölkerung in klinischen Arzneimittel-studien eine Rarität. Diese Tatsache ist insofern sehrproblematisch, als der Arzneimittelverbrauch nach dem50. Lebensjahr stetig ansteigt. Unerwünschte Arznei-mittelwirkungen bedingt durch die falsche Wahl desArzneimittels oder nicht adäquate Dosierung durcheine fehlende Dosisanpassung sind häufig die Ursachefür Krankenhauseinweisungen bei alten Menschen. Fürviele Arzneimittel liegen jedoch diese Informationennicht vor oder die Studien wurden an 50- bis 65jährigenPatienten durchgeführt, also einer Population, die nichtdie speziellen Belange der alten Patienten ausreichendberücksichtigt. Für die Zulassung von Arzneimittelnsind in Deutschland keine speziellen klinischen Studienmit geriatrischen Patienten erforderlich, es sei denn, dieAnwendung des Arzneimittels ist explizit für alte Men-schen vorgesehen.

Bei klinischen Studien mit alten Menschen mußgrundsätzlich zwischen den Veränderungen durch denAlterungsprozeß und den Veränderungen durch Krank-heiten unterschieden werden. Das Altern ist ein irrever-sibler physiologischer Prozeß, der mit dem Tod endet.Er unterliegt einer erheblichen Schwankungsbreite undgeht einher mit Veränderungen der Körpergewebe undFlüssigkeitsverteilung sowie einer Einschränkung derNieren- und Leberfunktion und hat deshalb einen gro-ßen Einfluß auf die Pharmakokinetik von Arzneimitteln.Die große Streubreite dieser Veränderungen erfordertklinische Studien mit hohen Patientenzahlen. Außer-dem ist bei diesen Studien die ständig steigende Le-benserwartung zu berücksichtigen, so ist die durch-schnittliche Lebenserwartung in den letzten 50 Jahrenum mehr als 9 Jahre gestiegen. Durch Patienten überdem 80. Lebensjahr nimmt die Heterogenität bezüglichder Mobilität im Vergleich zu den 60jährigen noch ein-mal erheblich zu. Aus dieser enormen Streuung ergibtsich auch das bis heute völlig unbefriedigend gelösteProblem, was als altersentsprechender „Normalzu-stand“ zu betrachten ist. Neben der Beeinflussungpharmakokinetischer Daten durch das Altern sind Un-tersuchungen zur pharmakodynamischen Wirkung vonArzneimitteln bei alten Menschen die Ausnahme. UnserWissen, warum die Verträglichkeit eines Arzneimittelsbei alten Patienten sich erheblich von der bei jüngerenPatienten unterscheidet, ist fragmentarisch und kannnicht nur durch klinische Studien, sondern muß auchdurch Grundlagenforschung begleitet werden. Die Un-

terschiede in der Verträglichkeit von Arzneimitteln sindfür die Compliance des Patienten von entscheidenderBedeutung. Für eine effektivere Arzneimitteltherapiebenötigen wir daher dringend große klinische Studien,in denen Patienten mit einem Alter von 70 − 80 Jahrendie Hauptpopulation darstellen.

Die Gründe für die geringe Berücksichtigung alterMenschen in klinischen Studien sind vielfältig. Die Mul-timorbidität und die eingeschränkte Kompensationsfä-higkeit des alten Menschen erhöhen das Risiko für un-erwünschte Arzneimittelwirkungen und schränkengleichzeitig die Aussagekraft klinischer Studien bei neuentwickelten Arzneimitteln erheblich ein. Nicht nur dieMultimorbidität sondern auch deren Behandlung stelltein wichtiges Problem für die Beurteilung eines zu un-tersuchenden Arzneimittels dar, da sowohl erwünschtewie auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen durchdie Vielzahl von Arzneimittelinteraktionen beeinflußbarsind, so daß die kausalen Wirkungen und unerwünsch-ten Wirkungen des zu untersuchenden Arzneimittelsnur schwer oder gar nicht ermittelbar sind.

Die beschränkte Lebenserwartung alter Patientenmuß bei Endpunktstudien berücksichtigt werden, dader physiologische Prozeß des Sterbens von dem Prozeßder Erkrankung und einer möglichen Beeinflussungbeider durch das Arzneimittel überlagert wird.

Ein weiteres zentrales Problem für die Durchführungvon klinischen Studien an alten Patienten ist die Einwil-ligungsfähigkeit des Patienten. Der Patient muß in derLage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klini-schen Prüfung einzusehen und seinen Willen hiernachzu bestimmen, und er muß sein Recht, die Einwilligungjederzeit widerrufen zu können, wahrnehmen können.Dieses Recht auf Selbstbestimmung kann nur gewähr-leistet werden, wenn bei Einschluß und auch währenddes Studienverlaufs diese Fähigkeit einer Überprüfungunterliegt. Insbesondere bei solchen Patienten ist esvon erheblicher Bedeutung, bei denen in klinischenStudien z. B. eine antidementive Therapie untersuchtwerden soll und es absehbar ist, daß sich die kognitivenFähigkeiten reduzieren werden. Es stellt sich die Frage,ab wann der gesetzliche Vertreter diese Rechte über-nehmen muss.

Das Altern ist ein irreversibler Prozeß, der mit demTod endet. Ethisch ist die Forderung zu stellen, daß kli-nische Studien bei alten Patienten hauptsächlich derErhaltung der Selbstständigkeit und der Verbesserungder Lebensqualität dienen sollten und nicht der Verlän-gerung der allgemeinen Lebensdauer.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 896 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)896 Fauler − Klinische Studien

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Der Erfolg einer medikamentösen Behandlung kann inmanchen Indikationsbereichen durch Arzneiformen,die gezielt für die jeweilige therapeutische Zielgruppesowie das betreffende Anwendungsgebiet optimiertwurden, wirksam unterstützt werden. Eine wichtigeVoraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung solcherPräparationen ist dabei, daß im ersten Schritt zunächsteine medizinische Rationale für die Festlegung des ge-eigneten biopharmazeutischen Profils der Arzneiformentwickelt wird. Als Basis hierfür sind bestimmtegrundlegende Informationen zu den Eigenschaften desjeweiligen Arzneistoffs bzw. der angestrebten Darrei-chungsform unerläßlich.

In diesem Zusammenhang müssen die speziellenGegebenheiten beim älteren Menschen berücksichtigtwerden. Dies gilt für die veränderten physiologischenBedingungen, vor allem die Verhältnisse im Magen-Darm-Trakt, ebenso wie für die Anwendung der Arznei-formen selbst, z. B. hinsichtlich Schluckbarkeit sowiegenauer Dosierung. Ein Blick auf die am Markt derzeitangebotenen Produkte zeigt, daß dieser Frage bislangeher nur eine untergeordnete Bedeutung zugemessenwurde.

Drug Delivery und Resorptionvon ArzneimittelnDie physiologischen und molekularbiologischen Pro-zesse, die für die Resorption von peroral appliziertenArzneimitteln von Bedeutung sind, stehen seit mehre-ren Jahren im Zentrum pharmazeutischer Forschungs-aktivitäten weltweit. Aktuelle Forschungsergebnisse ha-ben unser Verständnis für die beteiligten aktiven undpassiven Mechanismen grundlegend erweitert und mo-difiziert. Diese Erkenntnisse sind für die Entwicklungoptimierter Arzneimittel von fundamentaler Bedeu-tung. Dabei geht es nicht nur um die zellulären Pro-zesse, z. B. die Beteiligung von Transportern oder meta-bolisierenden Enzymen, sondern vor allem auch um dieFrage, aus welchen Bereichen des Gastrointestinaltrak-tes die jeweiligen Arzneistoffe vorrangig resorbiert wer-den.

In diesem Zusammenhang ist unser Kenntnisstandhinsichtlich möglicher Unterschiede zwischen jungen

Arzneimitteltherapie beim alten Menschen −Optimierung durch spezielle Darreichungsformen?

Henning Blume

SocraTec R&D GmbH, Oberursel

gesunden Personen, die in vielen klinischen Untersu-chungen der Phase I die normale Studienpopulationbilden, und älteren Patienten, die in der Regel die ei-gentliche Zielgruppe für therapeutische Maßnahmendarstellen, noch wenig umfassend. Die allgemein be-kannten Fakten, z. B. bezüglich der pH-Verhältnisse imMagen und der Motilität des Gastrointestinaltraktes,müssen jedoch bei der Konzeption optimierter Darrei-chungsformen adäquat berücksichtigt werden, vor al-lem wenn es sich dabei um Produkte mit modifizierterWirkstoffreisetzung handelt.

Bisher ist diesen Fragen nicht generell die erforder-liche Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Un-tersuchungen zu den Eigenschaften bestimmter Darrei-chungsformen wurden nur in Ausnahmefällen auch ge-zielt an Populationen älterer Probanden durchgeführt.Um dieses Manko zu beheben, müßten ähnlich wie beiArzneimitteln für Kinder ggf. spezielle Anreize geschaf-fen und diesen Fragen bei der Zulassung besondereAufmerksamkeit gewidmet werden.

Optimierung der AnwendbarkeitÄltere Menschen haben bisweilen Probleme mit der An-wendung bestimmter Arzneimittel. Diese können dieApplikation unmittelbar betreffen, wie z. B. bei der Ein-nahme von Kapseln, die mit größeren Mengen Flüssig-keit erfolgen soll, oder auch deren Vorbereitung, z. B.durch Zerteilen von Tabletten mit Bruchkerbe oder Ab-zählen bestimmter Tropfmengen.

Diesen Schwierigkeiten kann oftmals mit relativ ein-fachen Maßnahmen wirksam begegnet werden. Voraus-setzung ist jedoch, daß man sich diesen Fragen mit dererforderlichen Aufmerksamkeit widmet und bereit ist,in entsprechende Entwicklungen zu investieren.

AusblickNachdem in den 90er Jahren der gezielten Entwicklungoptimierter Darreichungsformen in der pharmazeuti-schen Industrie eher eine weniger große Bedeutungbeigemessen worden ist, scheint dieser Aspekt in jüng-ster Zeit wieder verstärkt in den Fokus zu kommen.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 897−898 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Blume − Spezielle Darreichungsformen 897

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Diese Tendenz ist im Interesse der Zielgruppen für diemedikamentöse Therapie, seien es Kinder oder ältereMenschen, nachdrücklich zu begrüßen.

Erfolge sind dabei auf dem Weg zur Optimierung derAnwendbarkeit einfacher zu erreichen. Hier bedarf esder Zuwendung zu solchen Fragestellungen sowie derkreativen Potenz bei der intelligenten Lösung der er-kannten Problemstellungen. Dagegen sind Verbesse-rungen der therapeutischen Möglichkeiten bestehender

Systemspezifische Therapie im Alter

I: ZNS − Herz-Kreislauf − Lunge

Pharmakotherapie demenzieller Erkrankungen

Rolf D. Hirsch

Abteilung für Gerontopsychiatrie und Gerontopsychiatrisches Zentrum, Rheinische Kliniken, Bonn

Die Demenzen, ein Sammelbegriff für unterschiedlicheKrankheitsbilder, sind eine der häufigsten und folgen-reichsten psychischen Erkrankungen im höheren Le-bensalter, die neben den außergewöhnlichen Belastun-gen für Betroffene und Pflegende mit hohen gesell-schaftlichen Kosten verbunden sind. Sie sind zu einemder größten Gesundheitsprobleme geworden.

Entscheidend für den alten Menschen, dessen Ange-hörige und auch die Gesellschaft, ist, daß bei auftau-chendem Verdacht einer Demenz eine möglichst sorg-fältige sowie ausreichende Diagnostik und darüber hin-aus auch ein mehrdimensionales Assessment stattfin-det. Ist die Diagnose gesichert, bedarf es eines einfühl-samen und aufklärenden Gespräches mit dem Krankenund seinen Angehörigen. Informationen über dieKrankheit, ihren Verlauf, Behandlungsmöglichkeitenund lokale Hilfsstrukturen sind ebenso wichtig wie Fra-gen zum Umgang der Angehörigen mit dem Kranken,soziale Unterstützung der Angehörigen und Vermitt-lung von Angehörigengruppen. Zudem sollten recht-liche und finanzielle Fragen angesprochen werden.

Die Behandlung eines Menschen mit einer Demenzist mehrschichtig und erfordert eine multidisziplinäre

Arzneimittel, z. B. in Form eines günstigeren Nutzen-Risiko-Potentials oder eines vereinfachten Einnahme-schemas, generell schwieriger zu realisieren. Hier be-darf es oftmals umfangreicherer Grundlagenstudien,die nur bei einem entsprechenden Marktpotential inAngriff genommen werden. Um hier geeignete Anreizezu schaffen, müßten spezielle Rahmenbedingungen fürdie Zulassung festgelegt und ggf. auch gezielte Förder-maßnahmen eingeleitet werden.

sowie oft auch eine institutionsübergreifende Arbeits-weise. Entscheidend ist nicht die Vielzahl der Interven-tionen, die eingesetzt werden, sondern die Erstellungeines individuellen multimodalen Behandlungs- undPflegeplans, in welchem qualitätsorientiert und effi-zient die verschiedenen Interventionen eingesetzt und,wenn erforderlich, im Verlauf verändert werden. Die ge-meinsame Zielvorstellung der Beteiligten soll sein, (ko-gnitive und nicht-kognitive) Kompetenzen sowie Selbst-bestimmung und Selbständigkeit der kranken Men-schen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und al-les zu tun, um dessen Lebensqualität und Würde zu ge-währleisten.

Die pharmakologische Behandlung alter Patientenbedarf einer genauen Kenntnis der Pharmakokinetikund -dynamik sowie der physiologischen, psychischenund sozialen Besonderheiten alter Menschen. Zu be-rücksichtigen ist auch die sehr große inter- und intrain-dividuelle Schwankungsbreite der verschiedenen Fähig-keiten und Fertigkeiten des alten Menschen. Die Risi-ken, die durch Über-, Unter- und Fehlmedikation ent-stehen, sollten nicht unterschätzt werden. Die Interak-tion von mehreren gleichzeitig verordneten Medika-

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 898−899 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)898 Hirsch − Demenzielle Erkrankungen

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

menten ist meist unbekannt. Manche Verhaltensauffäl-ligkeiten von Menschen mit Demenz sind ursächlichbeziehungs- oder umweltbedingt. Es wäre ein Kunstfeh-ler, hierbei sofort Psychopharmaka einzusetzen, ohnedie Entstehung zu klären und zunächst Verhaltensmo-difikationen zu versuchen.

Die Pharmakotherapie eines Menschen mit einer De-menz muß individuell und stadiengerecht durchgeführtwerden. Neben der Beeinflussung der kognitiven Stö-rungen ist es von besonderer Bedeutung, die „Psycholo-gical and Behavioral Signs and Symptoms of Dementia“(BPSSD) adäquat neben nichtmedikamentösen Inter-ventionen auch medikamentös zu behandeln. DieseStörungen sind die sozioökonomisch bedeutsamstenSymptome von Demenzkranken, da diese die Hauptbe-lastungen für Pflegende sowie entscheidende Ursachenfür Klinikeinweisung und Heimübersiedlung sind.

Da bekannt ist, daß ein Teil der Menschen mit De-menzen auch häufiger als Nicht-Demenzkranke körper-liche Erkrankungen (Multimorbidität) oder Behinde-rungen (Polypathie) haben sowie manche Demenzendurch körperliche Erkrankungen mitverursacht oderderen Symptomatik verschlechtert werden können, isteine adäquate medikamentöse Behandlung dieser orga-nischen Störungen ein wichtiger Bestandteil einer Phar-makotherapie von Menschen mit Demenzen.

Zur Beeinflussung von kognitiven Störungen wurdenfrüher zahlreiche Medikamente unterschiedlichsterPharmakologie eingesetzt, die als „Nootropika“ be-zeichnet wurden. Erst seit einigen Jahren hat sich derBegriff „Antidementiva“ eingebürgert, der verdeut-lichen soll, daß diese Gruppe der Medikamente spezi-fisch gegen demenzielle Symptome wirkt. Allerdingswerden beide Begriffe häufig synonym gebraucht. Z. T.werden als Antidementiva nur die bezeichnet, die nachaktuell gültigen Kriterien für die Indikation Demenz,meist Alzheimer Demenz, klinisch geprüft und als wirk-sam befunden wurden.

Nootropika/Antidementiva sind zentral wirksameArzneimittel, die höhere integrative Hirnfunktionenverbessern sollen. Hauptindikationsgebiet sind die zer-ebralen Leistungsstörungen bei demenziellen Prozes-sen. Ziel ist eine symptomatische Verringerung der ko-gnitiven Leistungseinbußen und eine Verbesserung derLebensqualität. Zudem soll eine Verzögerung des Ver-laufs des Krankheits-Prozesses erreicht werden. Beein-flußt werden sollen aber auch nichtkognitive Sym-ptome.

Sowohl für die Behandlung der Alzheimer Demenzwie auch für die Behandlung der vaskulären Demenzgibt es diesbezügliche Medikamente. Die wichtigstensind:� Acetylchonlinesterase-Hemmer: Deren Wirkung ist für

leichte bis mittelgradige Alzheimer-Demenzen nach-gewiesen. Zu fortgeschrittenen Demenzen gibt esbisher nur wenige Untersuchungen. Erste Studiener-gebnisse zeigen aber, daß AchE-Hemmer auch beider Behandlung anderer demenzieller Erkrankungenwie z. B. vaskuläre Demenzen und der Demenz mitLewy-Körpern effektiv sein können.

� Glutamatmodulator Memantin: Zahlreiche Untersu-chungen, insbesondere neueren Datums, den EU-

Leitlinien entsprechend, belegen die Wirksamkeitvon Memantin auch bei mittelschwerer bis schwererAlzheimer-Demenz sowie bei vaskulären Demenzfor-men.

� Ginkgo biloba-Spezialextrakt Egb 761: In zahlreichenklinischen Studien wurden positive Wirkungen diesesPräparates auf die mentale Funktion von Demenz-Patienten in den letzten 25 Jahren nachgewiesen. Dadie bei den früheren Studien durchgeführten Unter-suchungsmethoden nicht den modernen EU-Leitli-nien genügen, bleibt deren spezifische Wirksamkeitumstritten. Neuere Untersuchungen sollen jetzt dengeforderten Wirksamkeitsnachweis bringen.

� Andere Nootropika: Pyritinol, Dihydroergotamin, Ni-cergolin und Piracetam sind als wichtigste Medika-mentengruppen zu nennen. Bei den meisten Sub-stanzen ist deren Wirkmechanismus noch nicht aus-reichend bekannt. Mögen sie auch nicht mehr „1.Wahl“ sein, wie aus den Therapieempfehlungen derArzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschafthervorgeht, so wäre es nicht sinnvoll, diese ganz aus-zugrenzen.

Für die vielfältigen sowie unterschiedlichen emotiona-len und Verhaltensstörungen, die im Verlauf eines De-menz-Prozesses in mannigfacher Ausprägung auftretenkönnen, gibt es eine Reihe von spezifisch wirksamenPsychopharmaka. Bekannt ist, daß auch die Antide-mentiva/Nootropika eine positive Wirkung auf nichtko-gnitive Störungen haben. Psychopharmaka sollten inder Regel − mit Ausnahme von Akutsituationen − erstdann eingesetzt werden, wenn die Symptomatik übermehrere Tage oder Wochen anhält. Begonnen werdensollte mit einer niedrigen Dosis mit langsamer Steige-rung. Häufig reicht eine niedrige Erhaltungsdosis aus.Absetzungsversuche sind immer wieder notwendig. Zu-dem können diese Medikamente auch die kognitivenRessourcen eines Patienten beeinträchtigen. Dahersollte die Auswahl sehr sorgfältig und deren Überprü-fung auf Effizienz und Notwendigkeit sehr engmaschigsein. „Sedierungen“ sollten vermieden werden. Zu be-vorzugen sind nebenwirkungsarme und nicht cholinde-fizit-steigernde Psychopharmaka wie z. B. atypischeNeuroleptika oder selektive Serotonin-Wiederaufnah-mehemmer. Benzodiazepine sollten nach Möglichkeitnicht verabreicht werden.

Während des Behandlungsverlaufes sind kontinuier-lich kognitive und nicht-kognitive Symptome und de-ren Veränderungen zu überprüfen und zu dokumentie-ren. Neben dem klinischen Bild und ergänzender neu-ropsychologischer Diagnostik sowie weiterer medizini-schen Untersuchungsmethoden ist eine Therapiebe-wertung durch den Kranken und seiner Angehörigennotwendig.

Vielfältig und auch ermutigend sind die modernenBehandlungsmöglichkeiten. Eine auch heute noch an-zutreffende Haltung, einem diagnostischen Fatalismusund einem therapeutischen Nihilismus zu frönen, istdaher nicht mehr zu vertreten. Notwendig ist, den altenMenschen in seiner Krankheit wahrzunehmen sowieseine Not und die der Angehörigen zu begreifen, umeffizient helfen zu können.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 898−899 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Hirsch − Demenzielle Erkrankungen 899

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Die Verordnung von Psychopharmaka nimmt mit demAlter der Patienten zu. So steigt der Arzneimittelver-brauch in definierten Tagesdosen von 8,3 pro Versicher-tem bei 30jährigen stetig bis auf 45,8 bei 90jährigen an(Nink und Schröder 2003). Werden Untergruppen ver-glichen, nehmen Frauen im Vergleich zu Männern etwadoppelt so häufig Psychopharmaka ein, dasselbe giltauch für Patienten mit somatischen Vorerkrankungen(Nink und Schröder 2003, Jones 1992). Besonders hochsind die Verordnungen von Psychopharmaka, vorwie-gend von Antipsychotika und Benzodiazepinen, für Be-wohner von Alters- und Pflegeheimen. Gestützt wirddieser Befund durch verschiedene Untersuchungen, indenen gezeigt wurde, daß jeder vierte ältere Menscheine psychotrope Medikation erhält, auch in deutschenHeimen jedoch mindestens die Hälfte der Bewohner(Riedel-Heller et al. 1999, Damitz 1997, Weyerer et al.1996, Lasser und Sunderland 1998).Die psychopharmakologische Behandlung alter Men-schen bringt besondere Anforderungen mit sich. ImVergleich zu jungen Menschen sind Veränderungen derPharmakokinetik und Rezeptordichte und -funktion zubeachten. Durch Komorbidität und die Behandlung mitanderen Medikamenten ist besondere Vorsicht hin-sichtlich unerwünschter Arzneimittelwirkungen undInteraktionen geboten. Zudem sind vermehrt Folge-erkrankungen zu beachten, die die Lebensqualität ent-scheidend beeinflussen, beispielsweise Femurfrakturenals Folge Sedativa-assoziierter Stürze. Ursache einer er-höhten Sensitivität gegenüber unerwünschten Wirkun-gen der Psychopharmaka, wie z. B. Parkinsonoid undDelir ist ein veränderter Neurotransmitterhaushalt deszentralen Nervensystems (v. a. Dopamin, Acetylcholin,Noradrenalin).Studienergebnisse zu Psychopharmaka können dahernicht ohne weiteres auf ältere Menschen übertragenwerden. Die üblichen Dosierungen können wegen derveränderten Pharmakokinetik nicht regelhaft übernom-men werden, sondern müssen vielmehr den zu erwar-tenden und beobachteten Nebenwirkungen angepaßtwerden. Einer psychopharmakologischen Therapiemuß daher eine genaue Evaluation aller relevanten Fak-toren und des individuellen Patientenprofils vorausge-hen.

Pharmakotherapie psychiatrischer Erkrankungen unterbesonderer Berücksichtigung der atypischen Neuroleptika

Gerthild Stiens

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Georg-August-Universität, Göttingen

Indikationen für eine psychopharmakologische Be-handlung älterer Patienten sind die klassischen psych-iatrischen Krankheitsbilder wie Psychosen, Depressio-nen, Angst- und Schlafstörungen. Bei älteren Patientensind jedoch auch chronische Schmerzen, Unruhezu-stände oder aggressive Verhaltensstörungen häufigGrundlage einer Therapie mit Psychopharmaka. Diesteigende Lebenserwartung bringt es mit sich, daß Pa-tienten mit chronischen psychiatrischen Erkrankungenhäufiger ein hohes Alter erreichen. Im Verlauf der„Alterskrankheit“ Demenz können psychiatrische Stö-rungen, also Depressionen, Ängste, Unruhezuständeund aggressive Verhaltensstörungen auftreten. Dement-sprechend werden die Verordnungen von Psychophar-maka in der Gruppe der geriatrischen Patienten weiteransteigen. Eingesetzt werden Benzodiazepine, Antide-pressiva, Antipsychotika, aber auch Antiepileptika undLithium.Mit dem Gebrauch von Benzodiazepinen ist für ältereMenschen ein erhöhtes Risiko für Sedierung, orthostati-sche Dysregulation und Delir verbunden. Die Halb-wertszeit der Substanzen kann bei älteren Menschenwegen pharmakokinetischer Veränderungen deutlichverlängert sein. Benzodiazepine werden häufig alsDauermedikation eingenommen, so daß eine erhöhteSuchtgefahr besteht (Helmchen et al. 1996). Immernoch werden Benzodiazepine zu wenig indikationsge-leitet und unkritisch, also auch immer noch zu häufig,verordnet.In der Gruppe der Antidepressiva werden verschiedeneGruppen unterschieden, zu denen trizyklische Antide-pressiva, selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wie-deraufnahmehemmer und Monoaminoxidase-Inhibito-ren gezählt werden. Die verschiedenen Substanzen un-terscheiden sich zwar − bis auf unterschiedliche Gradeder Sedierung bzw. Antriebssteigerung − wenig in ihrerWirkung, differieren aber im Nebenwirkungsprofil. Tri-zyklische Antidepressiva zeichnen sich, besonders fürältere Patienten, durch das Risiko anticholinerger Ne-benwirkungen aus, die Sedierung, Delir, Harnverhaltund kognitive Beeinträchtigungen beinhalten können.Auch kardiale Nebenwirkungen treten gehäuft auf. Ge-rade für ältere Patienten werden Serotonin-Wiederauf-nahmehemmer, Trazodon, Nefazodon oder reversible

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 900−902 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)900 Stiens − Psychiatrische Erkrankungen

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

MAO-Inhibitoren wegen der geringeren Nebenwir-kungsraten und Interaktionen empfohlen (DGPPN2000). In den letzten Jahren zeigt sich, daß der Anteilder „klassischen Trizyklika“ zwar konstant bleibt, dieVerordnungszahlen der nebenwirkungsärmeren Antide-pressiva aber ansteigen (Lohse et al. 2003).Antipsychotika werden primär zur Behandlung psycho-tischer Symptome bei akuten oder chronischen Psycho-sen, affektiven Erkrankungen und Delirien verordnet,aber auch zur Therapie von Erregungs- und Unruhezu-ständen eingesetzt. In der Gerontopsychiatrie scheintinzwischen das „organische Psychosyndrom“ eineHauptindikation für den Einsatz von Antipsychotika zusein (Woerner et al. 1995). Unterschieden wird zwi-schen konventionellen und den neueren, „atypisch“ ge-nannten Antipsychotika und hoch- und niederpotentenAntipsychotika. In unterschiedlicher Ausprägung habendie Substanzen antidopaminerge, und zwar vorwiegendD2-antagonistische, anticholinerge, antihistaminergeund antiadrenerge Wirkungen. Dabei zeichnet sich dasProfil der atypischen Antipsychotika aus klinischerSicht durch weniger oder fehlende extrapyramidalmo-torische Wirkungen, eine verbesserte Wirkung auf diesogenannte „Negativsymptomatik“ sowie auf kognitiveund affektive Symptome und hinsichtlich des Rezeptor-profils durch eine geringere D2-antagonistische Wir-kung und eine Blockade von 5HT2A- Rezeptoren aus.Zudem finden sich unterschiedliche Profile uner-wünschter Arzneimittelwirkungen, wobei besonders ex-trapyramidalmotorische Störungen, Sedierung, kogni-tive Beeinträchtigungen, kardiotoxische Effekte, ortho-statische Dysregulation und metabolische Veränderun-gen zu beachten sind. Das Risiko extrapyramidaler Ne-benwirkungen ist gerade für ältere Patienten bedeut-sam, da die Vulnerabilität gegenüber Parkinsonismusund tardiven Dyskinesien mit dem Alter zunimmt. Clo-zapin als Substanz ohne extrapyramidale Nebenwirkun-gen hat wiederum Nachteile, da sedierende Effekte undselten Agranulozytose auftreten können, die eine be-sondere Überwachung der Patienten notwendig ma-chen.Besonders für die Gerontopsychiatrie wird inzwischenempfohlen, die atypischen Antipsychotika der zweitenGeneration den älteren Substanzen vorzuziehen und inmöglichst niedriger Dosierung zu verordnen. Auch hiergilt, daß die Behandlung an den unerwünschten Ne-benwirkungen ausgerichtet werden muß (Neil et al.2003, Caligiuri et al. 2003, Jeste et al. 1999). Bisher liegennur für Risperidon ausreichende Daten und damit eineZulassung für die Indikation von Verhaltensstörungenbei Demenzerkrankungen vor (Brodaty et al. 2003).Auch für andere Atypika werden zunehmend Studienüber die Behandlung älterer Patienten vorgelegt. Atypi-sche Antipsychotika wie Risperidon, Olanzapin, Quetia-pin, Amisulprid, Ziprasidon und bald auch Aripripazolsollten, z. T. im Rahmen von Heilversuchen, angewen-det und die Differentialindikationen verstärkt beachtetwerden.

FazitPsychopharmaka werden bei Patienten im höheren Le-bensalter zunehmend eingesetzt. Die Datenbasis fürdiese (anwachsende) Patientengruppe ist weiterhin un-befriedigend, obwohl inzwischen vermehrt Studien ini-tiiert werden. Ältere Patienten sind wegen ihres höherenRisikos für das Auftreten unerwünschter Arzneimittel-wirkungen und der erhöhten Interaktionsrate beim Ein-satz mehrerer Substanzen auf möglichst nebenwir-kungsarme Medikamente angewiesen. Es gibt jedochHinweise, daß älteren Patienten gerade die „alten“, we-niger kostenintensiven Pharmaka verordnet werden.Mißstände zeigen sich bei multimorbiden und institu-tionalisierten Patienten, denen häufig nach insuffizien-ter Diagnostik und ohne ausreichende Indikation Psy-chopharmaka verordnet werden. NichtmedikamentöseStrategien werden aus Unwissenheit oder wegen Perso-nalmangels nicht genügend genutzt. Zudem werden be-lastende Nebenwirkungen häufig nicht beachtet odermit zusätzlichen Medikamenten behandelt. Problema-tisch ist, daß bereits vorliegende Studienergebnisse hin-sichtlich des Einsatzes von Psychopharmaka bei älterenPatienten nur wenig Auswirkung auf die Verschrei-bungspraxis haben. Die Gründe sind zum einen in fi-nanziellen Restriktionen, zum anderen in einer man-gelnden Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflege-kräften zu suchen. Ausgerechnet multimorbide Patien-ten, bei denen besondere Vorsicht geboten sein müßte,erhalten in unserer Gesellschaft die am wenigsten diffe-renzierte Therapie. Dies sollte Anlass zur Diskussionsein.

LiteraturBrodaty, H., Ames, D., Snowdon, J. et al., A randomized pla-cebo-controlled trial of risperidone for the treatment of aggres-sion, agitation, and psychosis of dementia. J. Clin. Psychiatry64, 134 (2003)

Caligiuri, M. P., Lacro, J. P., Jeste, D. V., Incidence and predic-tors of drug-induced parkinsonism in old psychiatric patientstreated with very low doses of neuroleptics. J. Clin. Psycho-pharmacol. 19, 322 (1999)

Damitz, B. M., Arzneimittelverbrauch älterer Menschen inBremer Alten- und Pflegeheimen unter besonderer Berücksich-tigung von Psychopharmaka. Gesundheitswesen 59, 83 (1997)

DGPPN, Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie,Band 3: Behandlungsleitlinie Demenz. Steinkopff Verlag,Darmstadt (2000)

Helmchen, H., Baltes, M. M., Geiselmann, B. et al., Psychi-sche Erkrankungen im Alter. In: K. U. Mayer, P. B. Baltes (Hrsg.),Die Berliner Altersstudie, S. 185-219. Akademie Verlag, Berlin(1996)

Jeste, D. V., Rockwell, E., Harris, M. J. et al., Conventional vs.newer antipsychotics in elderly patients. Am. J. Geriatr. Psy-chiatry 7, 70 (1999)

Jones, D., Characteristics of elderly people taking psychotro-pic medication. Drugs Aging 2, 389 (1992)

Lasser, R. A., Sunderland, T., Newer psychotropic medica-tion use in nursing home residents. J. Am. Geriatr. Soc. 46,202 (1988)

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 900−902 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Stiens − Psychiatrische Erkrankungen 901

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Lohse, M. J., Lorenzen, A., Müller-Oerlinghausen, B., Psy-chopharmaka. In: U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.), Arzneiver-ordnungsreport 2002, S. 641-678. Springer Verlag, Berlin − Hei-delberg (2003)

Neil, W., Curran, S., Wattis, J., Antipsychotic prescribing inolder people. Age Ageing 32, 475 (2003)

Nink, K., Schröder, H., Arzneimittelverordnungen nach Alterund Geschlecht, In: U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.), Arzneiver-ordnungsreport 2002, S. 894-906. Springer Verlag, Berlin − Hei-delberg (2003)

Der Schlaf verändert sich im Alter. Ältere Menschen er-wachen häufiger (meist nur kurz), und sie haben weni-ger Tiefschlaf; diese Veränderungen sind in der Regelohne Krankheitswert. Erst wenn chronische Ein- undDurchschlafstörungen die Erholsamkeit des Schlafessowie die Tagesbefindlichkeit beeinträchtigen, liegt de-finitonsgemäß eine Schlafstörung im Sinne einer „In-somnie“ vor. Schlafstörungen können sich aber auch inForm übermäßigen Schlafbedürfnisses („Hypersom-nie“) bemerkbar machen.

Schlafstörungen haben bei älteren Menschen häufigkörperliche Ursachen, beispielsweise Herz-Kreislauf-Er-krankungen oder chronische Schmerzsyndrome. Auchdas obstruktive Schlafapnoe-Syndrom sowie das Rest-less-Legs-Syndrom (meist verbunden mit periodischenBeinbewegungen im Schlaf) treten im Alter häufiger aufund können sowohl Insomnie als auch Hypersomniezur Folge haben.

Nicht immer haben jedoch Schlafstörungen im Alterkörperliche Ursachen. Eine chronische Insomnie kannsich entwickeln durch Lebensumstände und „schlafhy-gienisch“ ungünstige Gewohnheiten mancher ältererMenschen: dazu gehört das abendliche „Nickerchen“vor dem Fernseher, aber auch das frühzeitige Zubettge-hen, das speziell bei Patienten in Alters- und Pflegehei-men durch die institutionellen Rahmenbedingungengefördert werden kann. „Psychoreaktive“ Schlafstörun-gen als Reaktionen auf akute oder anhaltende Streßsi-tuationen können fließend übergehen in das Krank-heitsbild der chronischen „psychophysiologischen In-somnie“. Ganz besondere Bedeutung haben im Alter

Schlaf und Schlafstörungen im Alter

Michael H. Wiegand

Schlafmedizinisches Zentrum der Technischen Universität München, Klinik und Poliklinik für Psychiatrieund Psychotherapie, München

Riedel-Heller, S. G., Stelzner, G., Schork, A. et al., Geronto-psychiatrische Kompetenz ist gefragt − Die psychopharmakolo-gische Behandlungspraxis in Alten- und Pflegeheimen. Psy-chiat. Praxis 26, 273 (1999)

Weyerer, S., el-Barrawy, R., Konig, S. et al., Epidemiologiedes Gebrauchs von Psychopharmaka in Altenheimen. Gesund-heitswesen 58, 201 (1996)

Woerner, M. G., Alvir, J. M., Kane, J. M. et al., Neuroleptictreatment of elderly patients. Psychopharmacol. Bull. 31, 333(1995)

die Schlafstörungen auf dem Boden einer psychischenStörung. Depressionen gehen immer mit Schlafstörun-gen einher. Auch bei Demenzerkrankungen treten, oftschon im Frühstadium, Schlafstörungen auf. Charakte-ristisch sind dabei Auffälligkeiten des circadianenRhythmus und nächtliche Verhaltensauffälligkeiten.

Schlafstörungen können auch durch Medikamenteverursacht, verstärkt oder aufrechterhalten werden, zudiesen gehören einige der gerade von älteren Menschenhäufig regelmäßig eingenommenen Medikamente, bei-spielsweise viele Antihypertensiva.

Die Vielzahl möglicher Ursachen von Schlafstörun-gen im Alter verweist auf die Wichtigkeit einer gründ-lichen Diagnostik. Eine primär symptomatische Be-handlung mit Hypnotika ohne ein Minimum an diffe-rentialdiagnostischen Klärungen ist als Kunstfehler an-zusehen.

Im Falle einer sekundären Schlafstörung ist die Be-handlung der Grunderkrankung stets unerläßlich (z. B.spezifische Pharmakotherapie bei Depression oderRestless-Legs-Syndrom, CPAP-Masken-Behandlung beiSchlapanoe-Syndrom, etc.). Bei entsprechendem Lei-densdruck kann zusätzlich eine symptomatische medi-kamentöse Behandlung erfolgen. Eine solche kannauch indiziert sein bei akuten, psychoreaktiven Formender Insomnie sowie (zeitlich begrenzt) bei der psycho-physiologischen Insomnie.

Bei der symptomatischen Behandlung der Insomniemit Hypnotika ist zu beachten, daß aufgrund veränder-ter pharmakokinetischer und metabolischer Parameterim Alter das initiale Einschleichen langsamer erfolgen

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 902−903 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)902 Wiegand − Schlafstörungen

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

und die Dosis insgesamt niedriger sein sollte; als Faust-regel gilt, daß die Dosis etwa die Hälfte der bei jüngerenErwachsenen üblichen betragen sollte. Auch das Abset-zen muß ausschleichend erfolgen; dies gilt speziell fürBenzodiazepine und andere Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten. Die Dauer einer Schlafmittel-Medikationsollte, gemäß Empfehlungen verschiedener Fachgesell-schaften, in aller Regel wenige Wochen nicht über-schreiten.

Für den Einsatz bei älteren Patienten kommen imPrinzip die gleichen Stoffgruppen in Frage wie bei jün-geren. Unter den Benzodiazepin-Hypnotika dürften inerster Linie Substanzen mit mittellanger Halbwertszeitin Betracht kommen. Bei älteren Patienten ist die Ben-zodiazepin-Behandlung mit speziellen Risiken verbun-den, die über das allgemeine Nebenwirkungsprofil (Ab-hängigkeitspotential, Rebound-Insomnie bei plötzli-chem Absetzen, Interaktion mit Alkohol) dieser Stoff-gruppe hinausgehen. Die muskelrelaxierende Wirkungerhöht die Sturz- und damit die Frakturgefahr beimnächtlichen Aufstehen. Häufiger als bei jungen Patien-ten kann es zu paradoxen Reaktionen kommen mit An-triebssteigerungen und Erregungszuständen. Dieses Ri-siko ist bei Demenzpatienten besonders hoch. Dieatemdepressorische Wirkung kann eine bestehende,eventuell unerkannte Atemregulationsstörung (z. B.Schlafapnoe-Syndrom) verstärken. Durch den verän-derten Metabolismus im Alter kann es auch bei Sub-stanzen mit mittellangen Halbwertszeiten zur Kumula-tion und zu Überhangeffekten kommen.

Die neueren Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten Zo-piclon, Zolpidem und Zaleplon sind chemisch nicht mitden Benzodiazepinen verwandt. Gerade bei älteren Pa-tienten weisen sie gegenüber den Benzodiazepineneine günstigere Nutzen-Risiko-Relation auf: bei ver-gleichbarer hypnotischer Potenz sind Muskelrelaxationund Atemdepression geringer ausgeprägt, Abhängigkeitund Rebound-Insomnien nach Absetzen treten selte-ner auf.

Sedierende Antidepressiva kommen bei sekundärenSchlafstörungen auf dem Boden einer Depression, aberauch bei chronischen psychophysiologischen Insom-nien in Betracht. Die schlaffördernde Wirkung dieserMedikamente tritt schon in den ersten Behandlungs-nächten ein, deutlich vor dem antidepressiven Effekt.Speziell bei älteren Patienten ist der Einsatz trizykli-scher Antidepressiva als Schlafmittel jedoch limitiertdurch die ausgeprägten anticholinergen Eigenschaftendieser Stoffgruppe.

Auch niederpotente Neuroleptika haben ihren Platzin der Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Pa-tienten. Neben dem schlaffördernden Effekt ist ihnendie Wirkung auf psychomotorische Erregungszustände,

Verwirrtheit und Agitiertheit gemeinsam. Liegen ausge-prägte nächtliche Verhaltensauffälligkeiten vor, so sindauch hochpotente Neuroleptika indiziert.

In Deutschland werden relativ häufig Phytophar-maka als Schlafmittel verordnet; eine breite Palette sol-cher pflanzlicher Schlafmittel ist im Handel. Die relativspärlichen vorliegenden Untersuchungen zur Wirksam-keit dieser Substanzen zeigen einen vergleichsweiseschwach ausgeprägten Effekt bei weitgehendem Fehlenvon Toxizität oder unerwünschten Wirkungen.

Zum Standard jeder Insomnie-Behandlung solltenauch nicht-pharmakologische Methoden gehören. Da-mit sind nicht in erster Linie die von der Verhaltensthe-rapie entwickelten, spezifischen und relativ aufwendi-gen Verfahren gemeint, sondern einfachere, „psycho-edukative“ Maßnahmen. Oft ist es bereits sehr hilfreich,Informationen über den Schlaf zu geben und damit zur„Entmythologisierung“ so mancher irriger Annahmebeizutragen, von denen gerade ältere Menschen über-zeugt sind: etwa, daß der „Schlaf vor Mitternacht“ dergesündeste sei, oder daß man „auf Vorrat“ schlafenkönne. Das Führen eines Schlaftagebuches kann demPatienten demonstrieren, daß seine Gesamtschlafdauernicht relevant verkürzt ist, wenn man frühes Zubettge-hen und Tagschlafepisoden mit in Rechnung stellt. Da-mit erreicht man oft auch eine „Entkatastrophisierung“,die dazu führen kann, daß der allnächtliche Teufelskreisvon ängstlicher Selbstbeobachtung, krampfhaftemSchlafen-Wollen und Insomnie durchbrochen wird.Auch von der Vermittlung basaler „schlafhygienischer“Regeln sowie von einfachen Entspannungsverfahrenprofitiert der ältere Patient. Speziell die Gewohnheitendes Patienten sollte man durchgehen und ihn hinsicht-lich etwaiger Änderungen beraten (z. B. Beschränkungvon Mittagsschlaf bei Einschlafstörungen).

Nicht nur bei ausgeprägten Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus im engeren Sinne, sondern bei Schlaf-störungen aller Art können auch „chronotherapeuti-sche“ Maßnahmen eingesetzt werden. Dazu gehört be-reits eine gute Tagesstrukturierung, ein ausreichendesMaß an Aktivität im Verlaufe des Tages, Vermeidung zulanger Phasen von Untätigkeit oder „Dösen“, ausrei-chende Stimulationsbedingungen in den Abendstun-den und damit Vermeidung zu früher Bettzeiten. DieseMaßnahmen fördern die Akzentuierung circadianerRhythmen und damit die Abgrenzung von Schlafenund Wachen.

Durch die erwähnten „nicht-pharmakologischen“Verfahren entfällt oft die Notwendigkeit einer sympto-matischen Behandlung mit einem Hypnotikum; in an-deren Fällen kann diese zeitlich deutlich verkürzt wer-den.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 902−903 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Wiegand − Schlafstörungen 903

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Die englische Parkinson-Selbsthilfeorganisation sagt −ins Deutsche übersetzt −: „daß die Parkinson-Krankheiteinen nicht tötet, aber das Leben wegnimmt“. Der Vor-sitzende der Deutschen Parkinson-Vereinigung, Dr.Götz sagt: „Sir James ist täglich bei mir.“, und wir Ärztewissen, daß es keine andere neurodegenerative Erkran-kung gibt, die man besser als die Parkinson-Krankheitbehandeln kann. In diesem Spannungsgefälle sollte sichunsere Therapie entwickeln und möglichst so effektivwerden, daß auch die Patienten von unserer ärztlichenMeinung überzeugt sind. Bei der Therapie von Patien-ten in fortgeschrittenem Stadium stehen Therapie-be-stimmende Faktoren wie das Alter, die Schwere derSymptomatik, die Ausprägung der Kardinalsymptome,die Krankheitsdauer und Progredienz, insbesondereaber die Begleiterkrankungen, die Begleitmedikationsowie die persönliche Situation des Patienten, die Ver-träglichkeit der Medikamente und deren Kosten im Vor-dergrund. Wir haben bei der Parkinson-Krankheit dieerfreuliche Situation, daß wir unter anderem Levodopa,Dopamin-Agonisten, Amantadin, Budipin, Catechol-o-Methyl-Transferase (COMT)-Hemmer, Monoaminooxi-dase B (MAO-B)-Hemmer sowie Anticholinergika alsMedikamente einsetzen können. Dazugekommen sindstereotaktische Operationen, wie z. B. die tiefe Hirnsti-mulation, die unseren Patienten angeboten werdenkönnen. Bei älteren Parkinson-Patienten kann es sichum De-novo-Patienten, aber auch um Patienten han-deln, die bereits ein fortgeschrittenes Krankheitsbildaufweisen. Es handelt sich meist auch um multimor-bide Patienten, bei denen Nebenwirkungen jeglicherArt zu erwarten sind. In diesem Spannungsfeld wirdeine Vielzahl von Patienten mit Levodopa und wohlkünftig mit einem zusätzlich applizierten COMT-Hem-mer therapiert werden. Um Dyskinesien im Alter zu ver-meiden, wird man versuchen, möglichst viele dieserKombinationstherapien mit dem Hinzufügen von Dop-amin-Agonisten zu realisieren. Zu prüfen wird dabei imEinzelfall aber die Verträglichkeit sein, das heißt, es istanzunehmen, daß ältere Patienten z. B. mit Übelkeit biszu Schwindel, Erbrechen oder Halluzinationen auf

Pharmakotherapie des Parkinson-Patienten im Alter

Heinz Reichmann

Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden

Dopamin-Agonisten reagieren, so daß diese zum einensehr langsam und zum zweiten wohl nicht all zu hocheindosiert werden können. Es ist unstrittig, daß Levo-dopa und COMT-Hemmer am wenigsten psychiatrischeund internistische Nebenwirkungen aufweisen, so daßsie insbesondere bei Patienten mit einer schweren Ko-morbidität als geeignet zu bezeichnen sind. TypischeNebenwirkungen von Entacapon sind gelber bis oran-ger Urin, aber auch Vermittlung von dopaminergen Ne-benwirkungen wie Übelkeit, posturale Hypotension,Dyskinesien und Halluzinationen sowie milde gastroin-testinale Nebenwirkungen. Meist wird versucht werdenmüssen, mit vielen kleinen Levodopa-Gaben eine mög-lichst kontinuierliche Rezeptorstimulation zu bewirken,um die Gefahr der Dyskinesien niedrig zu halten. Eineinteressante neue Perspektive für die Dopamin-Agoni-sten beim älteren multimorbiden Parkinson-Patientendürfte die Applikation von Pflastern oder Retard-Präpa-raten darstellen. Solche Präparate würden eine kon-stante Zufuhr des Wirkstoffes mit kontinuierlicher Re-zeptor-Stimulation, eine Umgehung des First-pass-Ef-fektes in der Leber mit besserer Verfügbarkeit, das Ein-maldosieren am Tag und ein gutes Verträglichkeitsprofilgewährleisten. Sollten Nebenwirkungen auftreten,könnte z. B. ein Pflaster auch sehr rasch entfernt wer-den. Bei älteren Patienten wird man mit operativenMaßnahmen zurückhaltend sein. Das Kompetenz-Netz-werk Parkinson hat sich dahingehend verabredet, daßnur in Einzelfällen Patienten, die über 70 Jahre alt sind,durch eine tiefe Hirnstimulation therapiert werden sol-len. Ähnliche Betrachtungsweisen gelten für die Trans-plantation von embryonalen, mesenchymalen dop-aminergen Zellen oder der Transplantation vonmenschlichen Retina-Pigment-Zellen. Wir selbst habeneine Nebenwirkungs- und Interaktionsdatenbank eta-bliert, die im Vortrag vorgestellt werden wird und diedem Neurologen dabei helfen soll, bei Patienten, diebereits ein umfangreiches Medikamentenarsenal auf-weisen, die geeignetsten Antiparkinson-Medikamenteherauszusuchen.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 904 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)904 Reichmann − Parkinson-Patienten

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Chronischer Schmerz ist erst vor kurzem Gegenstandgeriatrischer Forschung geworden. Offensichtlich hatdie häufig bei Patienten und Behandlern anzutreffendeÜberzeugung, Schmerz sei ein unabdingbarer Begleiterdes hohen Lebensalters und daher schicksalhaft zu ak-zeptieren, einen negativen Einfluß auf die diagnosti-schen und therapeutischen Bemühungen genommen.

Vorurteile zum chronischen Schmerz alter Menschen:1. Schmerz gehört zum Alter und muß daher schicksal-

haft akzeptiert werden.2. Ältere Menschen haben im Vergleich zu jüngeren ein

reduziertes Schmerzerleben, was auch bedeutet, daßsie chronische Schmerzen weniger intensiv erleben.

EpidemiologieEpidemiologische Daten zum Auftreten chronischerSchmerzzustände im Alter liegen vorwiegend aus ame-rikanischen und skandinavischen Studien vor. Hiernachschwankt die Zahl älterer Menschen, die über ständigvorhandene oder rezidivierende Schmerzen klagen,zwischen 25 und 50 % (Basler 1999). Es wird bei zahlrei-chen Schmerzzuständen ein Häufigkeitsgipfel im mitt-leren Lebensalter und im Alter ein rückläufiger Trendbeobachtet. Das trifft zu für Kopfschmerz, Migräne undunspezifischen Rückenschmerz, der durch eine Organ-pathologie nicht hinreichend zu erklären ist. Für Ge-lenkschmerzen, für den auf eine Organpathologie zu-rückzuführenden Rückenschmerz, für Fibromyalgieund für schwere Dauerschmerzen wird dagegen eineZunahme mit steigendem Lebensalter berichtet. Es istallerdings zu kritisieren, daß die meisten epidemiologi-schen Studien nur Personen mit eigenem Haushalt ein-beziehen, daß aber Schmerzkranke ein höheres Risikoder Hospitalisierung haben und daher in solchen Stu-dien unterrepräsentiert sind. Unbestritten ist, daß unterHeimbewohnern die Prävalenz chronischer Schmerzendeutlich höher liegt als in der Gemeinde. Von Pflege-heimbewohnern mit chronischen Schmerzen leidenzwei Drittel an intermittierenden und ein Drittel anDauerschmerzen.

Diagnostik bei chronischem SchmerzDie International Association for the Study of Pain(IASP) schlägt vor, das Ausmaß der Chronifizierung des

Schmerztherapie im Alter

Thomas Tölle

Neurologische Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München,Klinikum rechts der Isar, München

Schmerzes über dessen Dauer zu bestimmen. Von chro-nischem Schmerz wird gesprochen, wenn er minde-stens ein halbes Jahr andauert oder in diesem Zeitraumwiederholt auftritt.

Wenngleich chronische Schmerzzustände auch imjüngeren Lebensalter das Risiko psychischer und sozia-ler Beeinträchtigung erhöhen, so sind doch ältereSchmerzpatienten in besonderem Maße gefährdet, inder Folge eines Schmerzproblems ihre soziale Unab-hängigkeit einzubüßen. Insbesondere die häufigen de-generativen Erkrankungen führen zu einer Einschrän-kung der Mobilität und dadurch zu einer Bedrohungder Selbständigkeit. Die erhöhte Prävalenz derSchmerzkrankheiten unter Heimbewohnern weist aufdas gesteigerte Risiko der Hospitalisierung hin, wennnämlich aufgrund des eingeschränkten sozialen Netz-werkes im Alter die schmerzbedingten Funktionsbeein-trächtigungen nicht mehr kompensiert werden können.

Diagnostik des chronischen Schmerzes bezieht sichdaher nicht nur auf die Erfassung der Schmerzparame-ter im engeren Sinne (Intensität, Qualität, Lokalisation),sondern bezieht auch die Wechselwirkungen desSchmerzes mit der psychischen und sozialen Situationein.

Die Schmerzdiagnostik in höherem Alter wird er-schwert, weil viele ältere Menschen Schmerzen für einnormales Phänomen des Alters halten und daher denArzt gar nicht darüber informieren (Nikolaus 1994). Siestellen in ihren Äußerungen stärker die Folgen desSchmerzes, wie z. B. Schlafsstörungen, Lustlosigkeitoder Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen in denVordergrund. Es ist daher wichtig, direkt nach demSchmerz zu fragen. Die Angaben der Patienten sollteninsbesondere dann, wenn bereits kognitive Leistungs-einbußen vorliegen, durch Angaben von Angehörigenergänzt werden.

Pharmakologische TherapieObwohl Menschen über 65 Jahren die häufigsten Kon-sumenten von verschreibungspflichtigen Arzneimittelnsind, liegen kaum klinische Studien vor, die der Verord-nung als Entscheidungsgrundlage dienen könnten. ImRegelfall werden ältere Personen aufgrund der häufig zubeobachtenden Multimorbidität und ihrer im Vergleich

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 905−907 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Tölle − Schmerztherapie 905

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

zu jüngeren Personen veränderten Stoffwechsellage ausklinischen Prüfstudien ausgeschlossen. Vielleicht ist dasein Grund, weshalb unerwünschte Arzneimittelwirkun-gen bei älteren Patienten öfter als bei jüngeren zu beob-achten sind. Die aufgrund der Vielzahl der Diagnosenerforderliche Polymedikation macht es zudem notwen-dig, die Wechselwirkungen der Medikamente zu be-rücksichtigen und eine geeignete Galenik und Dosie-rung auszuwählen, durch die alterstypische Verände-rungen der Pharmakokinetik und Pharmakodynamikberücksichtigt werden.

Für die Titrierung der Schmerzmedikation im Alter giltdie Faustregel: Start low, go slow!

Unter Berücksichtigung des Wissens über Veränderun-gen der Pharmakokinetik und -dynamik im Alter kön-nen grundsätzlich alle Schmerzmedikamente, die sichin klinischen Studien als wirksam erwiesen haben, auchim Alter gegeben werden. Hierbei sollte unabhängigvon der Schmerzdiagnose das Stufenschema der WHOberücksichtigt werden. Dieses wurde ursprünglich fürdie Behandlung von Tumorschmerzen entwickelt, ge-winnt aber zunehmend Anerkennung für die Behand-lung chronischer Schmerzzustände. Auf der ersten Stufestehen die nicht-opioidhaltigen Analgetika. Sie werdenbei unzureichender Schmerzlinderung in der Stufe 2mit schwachen Opioiden kombiniert. Wird auch hier-durch der Schmerz nicht ausreichend gelindert, werdenstarke Opioide wie Morphin eingesetzt. Adjuvant wer-den bei entsprechender Indikation Antidepressiva undAntikonvulsiva verordnet.

Bei der Behandlung chronischer Schmerzen gilt es alsKunstfehler, Medikamente nach Bedarf und nicht nacheinem festen Zeitschema zu verordnen!

Physiotherapie, Trainingstherapie,physikalische TherapieDie Bedeutung körperlicher Inaktivität für den Prozeßder Chronifizierung des Schmerzes ist bekannt.Schmerz führt häufig zu Schonverhalten. Das Schon-verhalten führt zu einem Funktionsdefizit, das die Ge-fahr von Verletzungen und damit weiteren Schmerzenerhöht. Hierdurch bildet sich ein Circulus vitiosus, derein Dekonditionierungssyndrom begünstigt (Liebenson1996). In der Literatur wird auf die Möglichkeiten derphysiotherapeutischen Behandlung von Schmerzen imAlter noch wenig eingegangen. Dabei ist bekannt, daßder mangelnde Trainingszustand im Alter zur Reduk-tion der Muskelkraft, zu Haltungsschwäche, Muskeldys-balancen, zur leichten Ermüdbarkeit und auch zu Stim-mungsschwankungen führen kann.

Psychologische TherapiePsychologische Verfahren streben an, den Patienten voneiner Fremdkontrolle zu einer Selbstkontrolle desSchmerzes zu führen. Sie sind ohne eine aktive Mitar-

beit des Patienten nicht durchführbar. Er wird von ei-nem Empfänger medizinischer Dienstleistungen zu ei-nem aktiven Partner des Therapeuten. Schulungen derPatienten sowie Übungs- und Trainingsprogramme fürdie Umsetzung des Erlernten in den Alltag sind unver-zichtbare Bestandteile einer jeden Therapie (Basler1993). Die Befürchtung, ältere Patienten seien nicht mo-tiviert oder nicht befähigt, erfolgreich in einer aktivie-renden Therapie mitzuwirken, hat sich als grundlosherausgestellt. Voraussetzung für den Therapieerfolg istes allerdings, daß die therapeutischen Strategien denBedürfnissen der älteren Patienten angepaßt werden.

PflegeDie häusliche Pflege des älteren chronischen Schmerz-patienten wird im Regelfall durch den etwa gleich altenPartner oder die eigenen Kinder vorgenommen, wobeigegebenenfalls eine Unterstützung durch soziale Pfle-gedienste erfolgt. Um die Compliance in der Schmerz-therapie zu fördern, ist eine eingehende Informationder Pflegepersonen über das Therapieschema sowieüber die für die Erfolgskontrolle benötigte Schmerz-messung erforderlich. Den Angehörigen müssenSchmerztagebücher, die zur Therapieüberwachung ein-gesetzt werden, ebenso wie die zur Schmerzdiagnostikverwendeten Rating-Skalen erklärt werden. Auch hiergilt die Regel, daß schriftliche Informationen die münd-lich gegebenen ergänzen sollen. Das Therapieschemamuß so verständlich dargestellt werden, daß die Gefahreiner Über- oder Untermedikation vermieden wird.Hilfreich sind zusätzlich Dosierungshilfen in Form vonTablettenschachteln, durch die der Wochenbedarf denEinnahmezeiten zugeordnet wird.

ZusammenfassungIm Alter ist von einem Underreporting des Schmerzesauszugehen. Die Ursache hierfür liegt in der von Thera-peuten und Betroffenen geteilten Überzeugung,Schmerz gehöre zum Alter und müsse daher ertragenwerden. Folglich soll der Behandler von sich aus aufden Schmerz zu sprechen kommen und den Berichtdarüber nicht der Initiative des Patienten überlassen.Hierbei sollten standardisierte Messinstrumente − vor-zugsweise Schmerztagebücher − eingesetzt werden. All-gemeine Behandlungsstrategie ist ein multidisziplinärerAnsatz unter Einbeziehung pharmakologischer, physi-kalisch-medizinischer und psychologischer Maßnah-men. Eine wirksame Schmerzbehandlung unterbleibtoft deshalb, weil Fehlurteile über die Einsetzbarkeit vonPharmaka wegen unterstellter eingeschränkter Organ-funktionen bei Therapeuten und Patienten zu einerUnterdosierung oder gänzlichem Verzicht auf adäquatepharmakologische Maßnahmen führen. Der mangelndeEinsatz von hochpotenten Opiaten erfolgt insbesonderewegen des unterstellten Abhängigkeitspotenzials. Tat-sächlich ist die Gefahr der Abhängigkeit bei einer

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 905−907 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)906 Tölle − Schmerztherapie

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Dauermedikation mit Opioiden gering, sofern ein zeit-kontingentes Einnahmeschema gewählt wird. Bei derVerordnung von Opioiden gilt die Regel „Start low, goslow“, wodurch der veränderten Pharmakokinetik und-dynamik im Alter Rechnung getragen wird. Auch imAlter ist eine multidisziplinäre Behandlung einer aus-schließlichen medikamentösen Therapie überlegen. Diemedikamentöse Schmerztherapie soll daher durch trai-ningstherapeutische und andere den Patienten aktivie-rende Maßnahmen ergänzt werden. Die Steigerung derÜbungsanforderungen muß in sehr kleinen Schrittenerfolgen. Weiterhin ist zu beachten, daß viele PatientenÄngste haben, die Aktivität könne ihnen schaden undden Schmerz verstärken. Eine Aufklärung der Patientenund der pflegenden Angehörigen über den Zusammen-hang zwischen Schmerz und Aktivität sowie über die

Obstruktive AtemwegserkrankungenDie mit Abstand wirksamsten Medikamente zur Thera-pie des persistierenden Asthmas sind inhalative Gluko-kortikoide (ICS) [GINA-Empfehlungen; Global Initiativefor Asthma 2002; www.ginasthma.com]. Aufgrund ihresWirkspektrums können ICS auch als „disease-modi-fying drugs“ bezeichnet werden. Es gibt eindeutige Hin-weise, daß ICS bei Asthmatikern im höheren Lebensal-ter unzureichend eingesetzt werden. So wurden in einerUntersuchung nur 30 % der älteren Asthmatiker mit in-halativen Steroiden behandelt (Enright et al. 2003). Ineiner retrospektiven Kohortenuntersuchung wurden6254 Asthmatiker im Alter � 65 Jahre, die im Zeitraum4/1992 bis 3/1997 in Ontario, Kanada wegen einer aku-ten Exazerbation behandelt wurden, erfasst (Sin u. Tu2001a). 2495 Patienten (=40 %) erhielten kein ICS inner-halb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach Entlassungaus der stationären Behandlung wegen einer akutenAsthma-Exazerbation. Die Wahrscheinlichkeit, kein ICSverschrieben zu bekommen, war besonders hoch− bei den Patienten >80 Jahre (angepaßtes Odds Ratio

(OR) 1,23, [1,05−1,47, 95 % Vertrauensintervall])− bei Patienten mit einem Charlson Komorbiditäts-

index � 3 (OR 3,45 [1,56−7,69])− bei Betreuung durch pneumologisch nicht versierte

Ärzte bzw. allgemeinmedizinisch tätige Ärzte (=family

Pharmakotherapie pulmonaler Erkrankungen im Alter

Dieter Ukena

Medizinische Universitätsklinik, Innere Medizin V, Homburg/Saar

Vor- und Nachteile einer effektiven Schmerztherapiesind unerläßlich, um die Mitarbeit in der Therapie zusichern.

LiteraturBasler, H. D., Psychologische Methoden zur Behandlung chro-nisch Schmerzkranker. In: Lehrbuch der Schmerztherapie, M.Zenz, I. Jurna (Hrsg.), Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft,Stuttgart (1993)

Basler, H. D., Schmerz und Alter. In: PsychologischeSchmerztherapie, H. D. Basler, C. Franz, B. Kröner-Herwig(Hrsg.), S. 185−196, Springer, Heidelberg (1999)

Liebenson, C., Rehabilitation of the Spine. Williams & Wil-kins, Baltimore (1996)

Nikolaus, T., Chronischer Schmerz im Alter. Quelle & MeyerVerlag, Wiesbaden (1994)

physicians/general practitioners) [OR 1,35 (1,10−1,61)].

In der Gruppe der 3759 Patienten, welche innerhalbvon 90 Tagen mindestens eine ICS-Verschreibung er-hielten, trat unter Berücksichtigung von Alter, Ge-schlecht, Komorbidität etc. eine 39 % (20−53 %) Reduk-tion der Mortalität und eine 29 % (20-38 %) Reduktionder Asthma bedingten Rehospitalisation innerhalb ei-nes Beobachtungszeitraumes von 1 Jahr auf. Für beideParameter zusammen betrug die Risikoreduktion 32 %(23−35 %) (Sin u. Tu 2001b).

Die Ergebnisse aus dieser Kohortenstudie sind inÜbereinstimmung mit denjenigen aus anderen epide-miologischen Untersuchungen. Danach ist die regelmä-ßige Anwendung eines inhalativen Glukokortikoids dievielleicht wichtigste präventive Maßnahme, um einenotfallmäßige oder stationäre Behandlung wegen einerAsthma-Exazerbation zu vermeiden (Suissa et al. 2002).Zudem wird durch die ICS-Langzeittherapie die Asthmabedingte Mortalität gesenkt (Suissa u. Ernst 2001). Die-ser therapeutische Benefit wird durch eine niedrig-do-sierte ICS-Behandlung, d. h. mit Tagesdosen im � 500µg-Bereich, erzielt (Sin u. Man 2002). Falls mit niedrig-dosiertem ICS keine ausreichende Asthmakontrolle er-zielt wird, ist die zusätzliche Gabe eines lang-wirksa-men β2-Sympathomimetikums (LABA) die wichtigste

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 907−908 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Ukena − Pulmonale Erkrankungen 907

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Maßnahme. Fixe Kombination wie Budesonid/Formo-terol oder Fluticason/Salmeterol können die Qualitätder Asthmatherapie weiter verbessern.

Die chronisch obstruktive Bronchitis wird unter Ein-schluß des Lungenemphysems entsprechend interna-tionalem Usus als „COPD“ (chronic obstructive pulmo-nary disease) bezeichnet. Zum Management der COPDwurden kürzlich die sog. GOLD-Empfehlungen(GOLD = Global Initiative for Chronic ObstructiveLunge Disease, 2003; www.goldcopd.com) publiziert.Die Anwendung der GOLD-Kriterien für COPD-Schwe-regrade führt zu einer relativen „Überdiagnostik“ derCOPD bei älteren Menschen. Wegen der durch die na-türliche Alterung der Lunge bedingten Lungenfunk-tionsänderung können bis zu 50 % gesunder, nichtrau-chender Menschen im Alter >80 Jahre die Kriterien derCOPD erfüllen. Offensichtlich müssen die verschiede-nen Stufen der Schweregradeinteilung altersspezifischfestgelegt werden (Hardie et al. 2002).

In aktuellen Studien war auch bei der COPD eintherapeutischer Nutzen der ICS-Therapie nachweisbar.Dieser Nutzen wurde durch die Reduktion des Schwere-grades und der Häufigkeit von Exazerbationen unddurch die Verbesserung der krankheitsbezogenen Le-bensqualität evident. Insbesondere Patienten mit einermittelschweren bis schweren COPD (FEV1 <50 % desSollwertes) scheinen von der ICS-Therapie zu profitie-ren. Deshalb ist bei der COPD ein Therapieversuch mitICS immer indiziert (Ukena 2003). Ähnlich wie beimAsthma wird auch bei der COPD eine weitere Verbesse-rung der Krankheitskontrolle durch die Kombinations-therapie ICS und LABA erzielt. Möglicherweise sindauch hierbei die fixen Kombinationen ICS/LABA wirk-samer als die Kombination der Einzelkomponenten.

BronchialkarzinomMehr als 50 % der Lungenkarzinomerkrankungen wer-den bei Patienten im Alter >65 Jahre und ca. 30 % derTumorerkrankungen bei Patienten im Alter >70 Jahrediagnostiziert (Gridelli 2000). Altersadjustierte Inzi-denzraten für den Zeitraum 1990−1994 aus dem SEER

Tumorregister der USA [National Cancer Institute Sur-veillance, Epidemiology and End Results] betrugen26,7/100000 Einwohner in der Altersgruppe <65 Jahreund 346/100000 in der Altersgruppe >65 Jahre (Havliket al. 1994). Aufgrund der steigenden Lebenserwartungund der Auswirkungen des inhalativen Nikotinkonsumsin den 70er und 80er Jahren ist insbesondere bei Fraueneine weitere Steigerung der Inzidenz des Bronchialkar-zinoms zu erwarten.

In therapeutischer Hinsicht existieren für Patientenim höheren Lebensalter (>70 Jahre) nur wenige pro-spektive Untersuchungen. Für chirurgische Therapie-verfahren und für die Radiotherapie gilt, daß das Le-bensalter per se keine Determinante in der Indikations-stellung für die jeweilige Standardtherapie darstellt.Auch die zytostatische Chemotherapie kann bei einementsprechenden Allgemeinzustand des Patienten (Per-formance Status ECOG 0-1) und bei Anpassung der In-tensität der Chemotherapie an die Organfunktion imhöheren Lebensalter einen objektiven klinischen Nut-zen bewirken. Dabei erscheint eine Monotherapie miteinem modernen Zytostatikum eine sinnvolle Thera-pieoption bei älteren Patienten mit fortgeschrittenemnicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) darzu-stellen. Bei entsprechenden klinischen Voraussetzun-gen, insbesondere bei Berücksichtigung der Comorbidi-tät, ist auch bei älteren Patienten mit NSCLC eine sta-dienangepasste Tumortherapie indiziert (Ukena et al.2002).

LiteraturEnright et al., Chest 116, 603 (2003)Gridelli, Crit. Rev. Oncol./Hematology 35, 219 (2000)Hardie et al., Eur. Respir. J. 20, 1117 (2000)Havlik et al., Cancer 74 (7 Suppl.), 2101 (1994)Siin u. Man, Arch. Intern. Med. 162, 1591 (2002)Sin u. Tu, Chest 119, 720 (2001a)Sin u. Tu, Eur. Respir. J. 17, 380 (2001b)Suissa et al., Thorax 57, 880 (2002)Suissa u. Ernst, J. Allergy Clin. Immunol. 107, 937 (2001)Ukena, Internist 44, 995 (2003)Ukena et al., Onkologie 8, 487 (2002)

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 907−908 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)908 Ukena − Pulmonale Erkrankungen

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Pharmakotherapie kardiovaskulärer Erkrankungen im Alter:Arterielle Hypertonie

Rainer E. Kolloch

Krankenanstalten Gilead I, Medizinische Klinik, Bielefeld

Die antihypertensive Therapie ist weltweit besondersbei älteren Patienten unzureichend etabliert. Trotz zu-nehmend differenzierter Behandlungskonzepte wirdder heute als optimal angesehene Zielblutdruck über-wiegend nicht erreicht. Bis vor einigen Jahren wurdenheute als erhöht einzuschätzende Blutdruckwerte imAlter sogar noch als normal angesehen. Es wurde sogarvon einem Alters- oder Erfordernishochdruck gespro-chen, da eine antihypertensive Therapie häufig zu Ab-geschlagenheit, Müdigkeit und Schwindel führen kann.Weiterhin wurde vermutet, daß eine zu starke Blut-drucksenkung gerade im Alter prognostisch ungünstigsein könnte. Zahlreiche Interventionsstudien haben aufder anderen Seite jedoch mittlerweile demonstriert, daßdie Einstellung auf einen optimalen Zielblutdruck Vor-aussetzung für eine wirkungsvolle Reduktion von Mor-bidität und Mortalität auch beim älteren Patienten dar-stellt.Auch wenn beim hochbetagten Patienten eine Verlän-gerung des Lebens nicht unbedingt im Mittelpunktsteht, so kann durch eine gezielte antihypertensive The-rapie beim alten Menschen die kardiovaskuläre Kompli-kationsrate, das ereignisfreie Überleben und somit dieLebensqualität deutlich verbessert werden. Meta-Analy-sen bei Patienten über 80 Jahren zeigten insbesondereeine Reduktion der Schlaganfallrate sowie eine Ab-nahme der Inzidenz der Herzinsuffizienz.Eine besondere Hypertonieform, die bei Älteren häufi-ger vorkommt und die ebenfalls über lange Zeit alsnicht zwingend behandlungsbedürftig angesehenwurde, ist die isolierte systolische Hypertonie. Sie istMitauslöser, aber auch Folge eines strukturellen Gefäß-umbaus, der mit einem Elastizitätsverlust der Aorta so-wie der elastischen Gefäße einhergeht. Die Abnahmeder Windkesselfunktion mit verminderter Dehnbarkeitder Gefäße sowie eine gesteigerte Reflexion der Puls-welle an den peripheren widerstandsbildenden Gefä-ßen führen zu einer Zunahme des systolischen Blut-drucks, die häufig mit einer Abnahme des diastolischenBlutdrucks und somit mit der prognostisch besondersungünstigen Erhöhung des so genannten Pulsdrucks(systolischer minus diastolischer Blutdruck) vergesell-schaftet ist. Insbesondere bei der Gruppe der Patientenmit isolierter systolischer Hypertonie konnte eine deut-

liche Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch eineentsprechende Hochdrucktherapie erreicht werden.Neben der Blutdrucksenkung sind weitere Kriterien füreine antihypertensive Differenzialtherapie herausgear-beitet worden. Begleit- und Folgeerkrankungen im Ein-zelfall, vor allem aber auch Kontraindikationen und Ne-benwirkungen stellen ein Selektionskriterium für denpräferentiellen Einsatz bestimmter Antihypertensiva-klassen dar. Die Multimorbidität der älteren Patientenmacht einen selektiveren Einsatz der pharmakothera-peutischen Möglichkeiten notwendig und kann im Ein-zelfall zu Einschränkungen therapeutischer Optionenbeitragen. Die im Alter häufig verwendete Polypharma-kotherapie erfordert eine genaue Kenntnis möglicherArzneimittelinteraktionen, deren potentielles Auftretendurch die Besonderheiten pharmakokinetischer Verän-derungen im Alter noch wahrscheinlicher wird.Die Prävention bzw. Rückbildung von Organschädenoder Wiederherstellung einer gestörten Funktion mitVerringerung von Morbidität und vor allen Dingen Mor-talität sind das übergeordnete Ziel einer effektiven Blut-drucksenkung. Um dieses Ziel zu erreichen, sind beimälteren Patienten häufig Kombinationsstrategien erfor-derlich, bei denen alle von der Deutschen Hochdruck-liga / Deutschen Hypertoniegesellschaft empfohlenenAntihypertensivaklassen wie Diuretika, Betablocker,Calcium-Antagonisten, Angiotensin Converting En-zyme (ACE)-Hemmer, Angiotensin 1 (AT-1)-Rezeptor-antagonisten und in besonderen Situationen Alpha-Re-zeptorenblocker und Sympathikolytika berücksichtigtwerden müssen.Auch im Alter sind suboptimale Therapieregime häufigdurch Unterdosierung, vor allem jedoch durch unzurei-chende diuretische Therapie sowie eine mangelndeCompliance der Patienten charakterisiert. Die diureti-sche Therapie in Kombination mit anderen Antihyper-tensiva ist bei speziellen Patientengruppen, wie Über-gewichtigen, Diabetikern, Patienten mit leicht einge-schränkter Nierenfunktion oder eingeschränkter Pump-funktion sowie Interaktion mit nicht-steroidalen Anti-phlogistika dringend erforderlich. Durch niedriger do-sierbare sinnvolle komplementäre Kombinationsstrate-gien läßt sich häufig die subjektive Verträglichkeit ver-bessern. Beim älteren Patienten ist es besonders wich-

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 909−910 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Kolloch − Arterielle Hypertonie 909

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Pharmakotherapie kardiovaskulärer Erkrankungen im Alter:Herzinsuffizienz

Uta C. Hoppe

Klinik III für Innere Medizin der Universität zu Köln

Die Inzidenz und Prävalenz der chronischen Herzinsuf-fizienz nimmt mit dem Lebensalter zu. Ab einem Altervon 60 Jahren stellt die Herzinsuffizienz die häufigsteinternistische Krankenhauseinweisungsdiagnose dar.Während in früheren Studien fast ausschließlich diesystolische Pumpfunktionsstörung berücksichtigt wurde,weiß man heute, daß etwa 40 % aller herzinsuffizientenPatienten eine diastolische Dysfunktion haben. DieHäufigkeit der diastolischen Herzinsuffizienz nimmtebenfalls mit dem Lebensalter zu und wird besondersoft bei Frauen beobachtet. Die Prognose einer schwerenHerzinsuffizienz ist vergleichbar mit dem Verlauf vonMalignomen. Die diastolische Herzinsuffizienz hat ten-dentiell eine etwas günstigere Prognose, im höheren Le-bensalter ist die Letalität einer systolischen und diasto-lischen Herzinsuffizienz jedoch vergleichbar.

Bei der Behandlung älterer Patienten besteht generelldie Problematik einer häufigen Comorbidität. Beson-ders oft werden bei älteren herzinsuffizienten Patientenzum Beispiel Vorhofflimmern, ein Diabetes mellitus,eine Nierenfunktionsstörung oder auch rheumatischeErkrankungen beobachtet. Hierdurch bedingt nehmendie Patienten eine Vielzahl von Begleitmedikamentenein. Darüber hinaus muß beim älteren Patienten dieZielsetzung einer Behandlung differenziert beurteiltwerden. Eine Steigerung der Lebensqualität und Sen-kung der Hospitalisationsrate haben bei den meistenälteren Patienten Vorrang vor einer Steigerung der Be-lastbarkeit oder gar einer Verlängerung der Lebens-dauer.

Zur symptomatischen Behandlung einer Herzinsuffi-zienz haben Diuretika einen zentralen Stellenwert. SindThiazid-Diuretika oder Schleifen-Diuretika als Mono-therapie nicht ausreichend wirksam, so kann eine Kom-

tig, den Zielblutdruck langsam anzustreben und bei Ne-benwirkungen insbesondere auch den stehenden Blut-druck für die Bemessung des Zielblutdruckwertes mitheranzuziehen. Eine gute subjektive Verträglichkeit isteine wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte undzuverlässige Medikamenteneinnahme. Auch im höhe-

ren Lebensalter läßt sich nur mit langfristig wirksamenCompliance-fördernden und somit unterstützendenMaßnahmen eine wirkungsvolle Verbesserung der Pro-gnose und der Lebenserwartung, aber auch der Lebens-qualität der behandelten Hochdruck-Patienten errei-chen.

bination im Sinne einer sequentiellen Nephronblok-kade effektiv Ödeme ausschwemmen. Da bei älterenPatienten teilweise durch variable Nahrungseinnahmeneine unterschiedliche Resorption von Diuretika erfolgt,kann der Einsatz von Torasemid mit konstanterer Re-sorption unabhängig von der Nahrungseinnahme zu ei-ner günstigeren Stabilisierung und Symptomverbesse-rung im Vergleich zu Furosemid führen. AngiotensinConverting Enzyme (ACE)-Hemmer stellen entspre-chend internationaler Leitlinien die Medikamente derersten Wahl zur Morbiditäts- und Letalitätssenkung beisystolischer symptomatischer und asymptomatischerHerzinsuffizienz dar. In Subgruppenanalysen konntegezeigt werden, daß dieser Effekt auch im Alter über 60Jahren, sogar über 75 Jahren erhalten bleibt. Betablok-ker können additiv zum ACE-Hemmer die Letalität undHospitalisationsrate weiter senken. In der CIBIS-II-Stu-die und MERIT-HF-Studie fand sich eine vergleichbareWirksamkeit im Alter über 70 Jahren ohne häufigereTherapieabbrüche. Dies konnte auch in einer Kohor-ten-Studie an Patienten mit einem mittleren Alter von79 Jahren und typischen Begleiterkrankungen, wie siein der alltäglichen Praxis gefunden werden, bestätigtwerden. Bei schwerster systolischer Herzinsuffizienz imNYHA (New York Heart Association)-Stadium III-IV re-duziert niedrig dosiertes Spironolacton die Gesamtleta-lität signifikant auch bei Patienten mit einem Alter von� 67 Jahren. In diesem Patientenkollektiv sollten jedochregelmäßig die Nierenfunktion und Kalium-Werte kon-trolliert werden.

Herzglykoside haben einen klaren Stellenwert zurFrequenzkontrolle bei Patienten mit tachyarrhythmi-schem Vorhofflimmern. Darüber hinaus können sie Be-schwerden bei systolischer Herzinsuffizienz vermin-

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 910−911 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)910 Hoppe − Herzinsuffizienz

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

dern. Entsprechend neuerer Ergebnisse scheint jedochmit höheren Serum-Digoxinspiegeln eine Übersterb-lichkeit assoziiert zu sein. Somit sollte speziell beiälteren Patienten mit häufig eingeschränkter Kreatinin-clearance auf niedrige Digoxin-Serumspiegel geachtetwerden. Angiotensin 1 (AT-1)-Antagonisten können alsAlternative bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit zurTherapie der chronischen Herzinsuffizienz eingesetztwerden und führen hier zu einer Abnahme der Kran-kenhauseinweisungen und kardiovaskulären Letalitätauch im Alter. Sartane scheinen darüber hinaus auchadditiv zum ACE-Hemmer eine symptomatische undprognostische Verbesserung zu bewirken. Enttäuschendhingegen sind die Ergebnisse bei herzinsuffizienten Pa-tienten mit erhaltener systolischer Pumpfunktion, beidenen sich in der CHARM-PRESERVED-Studie kein Be-nefit für den AT-1-Antagonisten Candesartan im Ver-gleich zu Placebo belegen ließ.

EinleitungBedingt durch eine älter werdende Bevölkerung stellendie Wechseljahre und die Zeit danach einen immer län-geren Lebensabschnitt für die Frauen von heute dar.Die Hormonersatztherapie bei Frauen bekommt dahereine immer größere Bedeutung. Die Menopause wirddurch die Abnahme der Funktion der Ovarien verur-sacht. Mit der Abnahme der Ovarialfunktion ist einedrastische Abnahme der Produktion von weiblichen Se-xualhormonen, den Estrogenen, verbunden. Mit abneh-mender Estrogen-Produktion werden nicht nur dieklassischen klimaterischen Beschwerden wie Hitzewal-

Systemspezifische Therapie im Alter

II: Stoffwechsel

Hormontherapie der Frau im Alter: Lifestyle Drugs

Ulrike Fuhrmann

Female Health Care Research, CRBA Gynecology and Andrology, Schering AG, Berlin

Somit ist auch beim älteren Patienten für die derzeitetablierte Kombinationsmedikation der systolischenHerzinsuffizienz eine vergleichbare Letalitäts- und Mor-biditätssenkung nachweisbar. Eine leitlinienkonformeBehandlung ist bei diesen Patienten ebenfalls anzustre-ben. Hierbei muß jedoch stets auf Begleiterkrankungengeachtet werden. Begonnen werden sollte mit Medika-menten, die besonders die Symptomatik verbessern wieDiuretika, ACE-Hemmer und bei Vorhofflimmern Digi-talis. Erst in einem zweiten Schritt sollten beim älterenPatienten Betablocker zum Einsatz kommen, die häufigweniger gut vertragen werden. Die Dosierung sollte an-fangs besonders niedrig begonnen und langsam gestei-gert werden. Die Blutdruckwerte sind stets auch im Ste-hen zu kontrollieren wegen einer gehäuften orthostati-schen Dysfunktion. Bei der recht häufigen diastolischenHerzinsuffizienz muß die Behandlung empirisch opti-miert werden.

lungen und Schlafstörungen in Verbindung gebracht,sondern auch cerebrale Veränderungen, Veränderun-gen im Gefäßsystem, negative Auswirkungen auf Se-xualfunktionen und Inkontinenz. Es ist nachgewiesen,daß klassische Wechseljahrsbeschwerden durch die Be-handlung mit Estrogenen alleine oder in Kombinationmit einem Gestagen, das zum Schutz des Endometri-ums bei Frauen mit intaktem Uterus eingesetzt wird,gelindert werden können. Die Hormonersatztherapiehat jedoch nicht nur einen therapeutischen Nutzen beider Behandlung von klassischen Wechseljahrsbe-schwerden, sondern nachgewiesene Langzeitvorteile,

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 911−912 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Fuhrmann − Lifestyle drugs 911

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

wie Prävention von urogenitaler Atrophie und Präven-tion von Knochenschwund und Frakturen. Die vermu-teten positiven Effekte auf Herzkreislauferkrankungensind zur Zeit in einer intensiven Untersuchungsphase.

Dissoziierte HormonwirkungDa Estrogene und Gestagene eine Vielzahl physiologi-scher Funktionen in unterschiedlichen Organen beein-flussen, werden bei der therapeutischen Anwendungklassischer Estrogene und Gestagene neben den ge-wünschten Effekten auch unerwünschte Effekte beob-achtet. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer dis-sozierten Hormonwirkung, d. h. die Suche nach gewe-bespezifischen Sexualhormonen.

Molekularbiologische Untersuchungen haben in denvergangenen zwei Jahrzehnten das Verständnis der mo-lekularen Grundlage der Wirkung von Sexualhormonenrevolutioniert. Ein besseres Verständnis der Mechanis-men ermöglicht es, neue Ansätze für eine gewebespezi-fische Hormontherapie zu entwickeln. Die Mechanis-men der Sexualhormonwirkung sollen vorgestellt undmögliche neue therapeutische Ansätze für eine gewebe-spezifische Hormontherapie an Beispielen diskutiertwerden.

Gewebespezifische Estrogenwirkungüber isotypspezifische Liganden derEstrogen-RezeptorenEstrogene üben ihre physiologische Wirkung über einim Zellkern lokalisiertes Rezeptorprotein, den Estrogen-Rezeptor (ER) aus. Bis vor wenigen Jahren wurde ange-nommen, daß Estrogene über einen einzigen Rezeptorwirksam werden. Kürzlich wurde jedoch ERβ als zweiterSubtyp des Estrogen-Rezeptors entdeckt (Kuiper et al.1996). ERβ besitzt große Ähnlichkeit mit dem klassi-schen Estrogen-Rezeptor (ER), der seitdem als ERα be-zeichnet wird.

Die beiden ERs weisen ein unterschiedliches Expres-sionsmuster auf. So dominiert ERα als Vermittler derEstrogenwirkung in den weiblichen Reproduktionsorga-nen, der Hypophyse, dem Thymus und der Leber. Dage-gen wird ERβ im Gehirn u. a. in Arealen exprimiert, de-nen Bedeutung für kognitive Prozesse und ,Stimmung‘zugewiesen wird. Weitere Organe, die vorwiegend ERβ

exprimieren, sind u. a. der Gastrointestinaltrakt, derUrogenitaltrakt und die Granulosazellen des Ovars. InKnochen und im Gefäßsystem werden sowohl ERα alsauch ERβ exprimiert.

Durch die unterschiedliche Organverteilung der bei-den Estrogen-Rezeptoren ergibt sich die Option einergewebeselektiven Estrogentherapie über isotypspezi-fische ER-Liganden.

Trotz der großen Ähnlichkeit zwischen den beidenERs konnten inzwischen mit Hilfe moderner Methodender Molekularbiologie, Proteinchemie und Strukturbio-logie isotypische Liganden für die beidenEstrogenrezptoren entworfen und hergestellt werden.Entsprechende Substanzen werden zur Zeit pharmako-logisch untersucht.

Gewebespezifische Gestagenwirkungüber isoformspezifische Liganden desProgesteronrezeptorsGestagene vermitteln ihre biologische Wirkung überBindung an die beiden Isoformen des Progesteron-Re-zeptors (PR), PR-A und PR-B, die von demselben Genkodiert werden. PR-A und PR-B sind identisch, der ein-zige Unterschied sind 164 zusätzliche Aminosäuren amN-terminalen Ende von PR-B.

PR-A und PR-B werden beide in allen ProgesteronZielorganen wie z. B. Uterus und Brustdrüse exprimiert.Es gibt jedoch starke Hinweise darauf, daß PR-A undPR-B die biologischen Effekte von Progesteron gewebe-spezifisch vermitteln (Conneely et al. 2000). So zeigenIsoform-spezifische „Knock-Out“-Mäuse unterschied-liche biologische Wirkungen von PR-A und PR-B imgleichen Zielorgan. Basierend auf diesen Studienscheint PR-B in erster Linie für Wachstum und Differen-zierung an der Brustdrüse verantwortlich zu sein undPR-A die antiproliferativen Effekte von Progesteron amEndometrium zu vermitteln.

Isoformspezifische Liganden des PR werden zur Zeitpharmakologisch untersucht.

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Kuiper et al., Cloning of a novel estrogen receptor expressedin rat prostate and ovary. PNAS 93, 5925 (1996)

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 911−912 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)912 Fuhrmann − Lifestyle drugs

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Die Weltgesundheitsorganisation reiht die Osteoporosein die Gruppe der 10 sozioökonomisch wichtigstenchronischen Erkrankungen der Menschheit ein. Zwargibt es Osteoporosen in allen Lebensphasen (z. B. se-kundäre Osteoporose) aber im Prinzip ist die Osteopo-rose eine Erkrankung des älteren Menschen mit expo-nentiellem Anstieg der Inzidenz parallel zum Lebensal-ter. Für Deutschland wird nach Hochrechnungen aufder Basis epidemiologischer Daten eine Prävalenz vonca. 10 % in der Gesamtbevölkerung angenommen, d. h.etwa 8 Millionen Betroffene.

Die Osteoporose ist nicht − wie allgemein angenom-men − eine reine Frauenkrankheit. Etwa 15−20 % derheute beobachteten Fälle betreffen das männliche Ge-schlecht. Die Osteoporose des alten Menschen (sog. se-nile Osteoporose) ist nicht scharf von der postmeno-pausalen Osteoporose bzw. primären Osteoporose beiMännern abzugrenzen, hat aber wichtige pathogeneti-sche und klinische Besonderheiten.

Während zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr Sym-ptomatik und Krankheitsbild durch Wirbelfrakturen,Rumpfdeformität und chronische Rückenschmerzenbestimmt sind, kommt im höheren Lebensalter das Pro-blem gehäufter nicht-vertebraler Frakturen, insbeson-dere der proximalen Femurfrakturen, hinzu. Die Inzi-denz hüftnaher Oberschenkelfrakturen liegt inDeutschland bei 120−150 Tausend pro Jahr und verur-sacht erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem. DieMortalität im ersten Jahr danach liegt ca. 15 % über dereiner gleichaltrigen Population mit entsprechender Ko-morbidität.

Für die Therapie und Prävention der Osteoporosedes älteren Menschen gibt es eine breite Palette wirksa-mer Behandlungsmaßnahmen. Das Therapiekonzept istbei Osteoporosen im Senium wie stets in der Geriatriewesentlich stärker der Gesamtsituation des individuel-len Patienten anzupassen.

Pathogenetische BesonderheitenProgrediente Sturzneigung im Alter und fortschreitendeOsteopenie sind die wichtigsten Komponenten, die zurklinischen Manifestation der Osteoporose des altenMenschen führen. Die multiplen, interagierenden Risi-kofaktoren für Stürze im Alter sind im geriatrischen

Therapie der Osteoporose

Johann Diedrich Ringe

Klinikum Leverkusen, Medizinische Klinik IV, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln

Schrifttum oft diskutiert worden und stellen einenwichtigen Ansatzpunkt für die Frakturprophylaxe dar.

Im Gegensatz zur früheren Lehrmeinung nimmt diejährliche Rate an Knochensubstanzverlust im Alternicht ab, sondern bleibt auf hohem Niveau bzw. steigtsogar weiter an. Neben Sexualhormonmangel bei bei-den Geschlechtern und zunehmender Immobilität istvor allem eine generelle Unterversorgung mit Calciumund Vitamin D als wichtiger pathogenetischer Faktorfür diese progrediente Osteopenie identifiziert worden.In Europa sind bei ca. 90 % der über 80jährigen Bevöl-kerung signifikant erniedrigte Vitamin D-Spiegel nach-weisbar bei gleichzeitig zu geringem Calciumgehalt derNahrung. Durch den Vitamin D-Mangel wird der ohne-hin geringe Calciumanteil der Nahrung ungenügend re-sorbiert (weniger als 10 %). Es folgt eine stets messbareHypokalzurie sowie eine Tendenz zur Hypokalzämie,die der Organismus durch eine vermehrte Parathor-monsekretion zu kompensieren versucht (sog. sekundä-rer seniler Hyperparathyreoidismus). Dieser sekundäreHyperparathyreoidismus bedeutet vermehrten Abbauvon Knochensubstanz zur Aufrechterhaltung der Calci-umhomöostase.

Prävention von Knochensubstanzverlustund FrakturenEntsprechend der dargestellten Pathogenese des seni-len sekundären Hyperparathyreoidismus, der zu pro-gredientem Knochensubstanzverlust führt, sollte beiälteren Patienten eine optimale Versorgung mit Cal-cium und Vitamin D sichergestellt werden. Studien anAltenheimbewohnern (im Mittel 84jährige Frauen) aberauch an selbständig lebenden Männern und Frauen (imMittel 70jährig) haben gezeigt, daß bereits eine Supple-mentation mit 800 Einheiten Vitamin D und 1.200 mgCalcium pro Tag ausreicht, die Knochendichtewerteleicht anzuheben und das Risiko nicht-vertebraler Frak-turen signifikant zu senken. Dies trifft insbesondereauch separat betrachtet für die proximalen Femurfrak-turen zu. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin,daß neben dem hemmenden Effekt auf den Knochen-umsatz auch positive Effekte des Vitamin D auf dieMuskulatur und damit vermutlich auf das Sturzrisikoan der reduzierten Frakturrate beteiligt sind.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 913−915 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Ringe − Osteoporose 913

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Eine adäquate Vitamin D-Versorgung ist im Alter nurin Einzelfällen durch Steigerung des Verzehrs von calci-umhaltigen Milchprodukten, vitaminreichem Seefischund gesteigerter Sonnenexposition zu erreichen. In derMehrzahl der Fälle ist eine regelmäßige orale Substitu-tion mittels kombinierter Calcium/Vitamin D-Präparateanzuraten. Diese Substitution kann generell empfohlenwerden, eine nachgewiesene Osteopenie oder ein er-niedrigter Vitamin D-Serumspiegel sind nicht Voraus-setzung.

Senkung des SturzrisikosVerschiedene kardiologische, neurologische aber auchosteologisch-rheumatologische Erkrankungen bzw. dieMultimorbilität im Alter begünstigen das Sturzrisiko.Daneben sind Medikamente (u. a. Sedativa, Hypnotika,Antihypertensiva, Diuretika) aber auch banale mecha-nische Hindernisse in der Wohnung an der steigendenSturzinzidenz im Alter beteiligt.

Eine Beratung der Patienten aber auch gezielte The-rapien erscheinen hier sinnvoll. Interventionsstudienhaben gezeigt, daß durch intensive Bemühungen dasSturzrisiko und damit das Frakturrisiko gesenkt werdenkann. Bei betagten Patienten mit anamnestisch häufi-gen Sturzereignissen sollte die Versorgung mit beidseiti-gen Hüftprotektions-Polypropylenschalen (Hip-Protek-tor, Safehip) erwogen werden. Bei einem Sturz wird dieAufprallenergie verteilt und trifft nicht direkt den Tro-chanter. Studien belegen eine ca. 50%-ige Senkung derInzidenz proximaler Femurfrakturen bei Patienten, dieden Hüftschutz tragen.

Reduktion der Inzidenz proximalerFemurfrakturenDurch die dargestellten Möglichkeiten der Calcium/Vit-amin D-Substitution, regelmäßige Gymnastik und eineeingehende Patientenberatung bzw. Intervention be-züglich des Sturzrisikos kann das Risiko von proximalenFemurfrakturen signifikant gesenkt werden. Diese ein-fachen Maßnahmen sollten daher sehr großzügig beiälteren Menschen zur Anwendung kommen. Neue um-fangreiche Studien mit den oralen BisphosphonatenAlendronat und Risedronat zeigen, daß durch diesehochwirksame antiresorptive Therapie bereits nach 12−18 Monaten die Häufigkeit proximaler Femurfrakturendeutlich gesenkt wird.

Die bislang umfangreichste je durchgeführte Studiezur Prävention von Schenkelhalsfrakturen mit demBisphosphonat Risedronat umfasste 9331 Patientinnen(HIP-Studie, Mc Clung et al. 2001) und stellt die welt-weit einzige Bisphosphonat-Studie mit dem primärenStudienendpunkt Hüftfraktur dar. In der 3 Jahre dau-ernden Multicenter Studie zeigte sich bei postmeno-pausalen Frauen im Alter von 70−79 Jahren (Mittel 74Jahre) mit erniedrigter Knochendichte (Mittel Schenkel-

hals T-Wert: −2,8) unter Risedronat-Therapie eine stati-stisch signifikant reduzierte Inzidenz von Hüftfrakturenvon 40 % (p = 0,009). Bei den Patientinnen dieserGruppe, die zu Studienbeginn bereits eine Wirbelkör-perfraktur erlitten hatten, zeigte sich sogar eine Sen-kung des Hüftfrakturrisikos um 60 % (p = 0,003). DieZahl der Patienten, die behandelt werden muss, umeine Femurfraktur zu senken (NNT = number neededto treat) ist somit um so kleiner je ausgeprägter dieOsteoporose ist. Daraus kann für die Praxis abgeleitetwerden, daß die Patienten mit geringem bis mäßigemRisiko allein mit Calcium/Vitamin D und Maßnahmender Sturzrisiko-Reduktion behandelt werden sollten,während Patienten mit höherem Risiko bzw. bereits ma-nifester Osteoporose im Alter eher Bisphosphonatebzw. eine Kombination Bisphosphonat plus Calcium/Vitamin D bekommen sollten.

Therapie der manifestenWirbelsäulenosteoporose im AlterDie Behandlung betagter Osteoporose-Patienten mitsymptomatischen Wirbelfrakturen unterscheidet sichim Prinzip nicht von der Therapie der postmenopausa-len oder idiopathischen männlichen Osteoporose. Zu-sätzlich zur Basistherapie mit Calcium/Vitamin D-Sub-stitution, Gymnastik und Schmerztherapie wird ver-sucht, die verbliebene Knochensubstanz durch eineantiresorptive Therapie zu vermehren bzw. in ihrerMikroarchitektur zu verbessern. Aufgrund der konsi-stenten wissenschaftlichen Datenlage sind für diese In-dikation heute die oralen Bisphosphonate die ersteWahl. In der kürzlich erschienenen Evidence based me-dicine-basierten Leitlinie des Dachverbandes Osteolo-gie zur Osteoporose des älteren Menschen (>75 Jahre)werden dementsprechend bei älteren Frauen mit akuteroder älterer (postmenopausal, bei nicht-adäquatemTrauma) Wirbelkörperfraktur Alendronat einmal täglichbzw. einmal wöchentlich und Risedronat einmal täglichbzw. einmal wöchentlich zur Verhinderung weitererFrakturen empfohlen. In der o.g. HIP-Studie mit Rise-dronat (5 mg/d) wurde neben der Senkung des Risikosvon „Hüftfrakturen“ auch die Inzidenz von Wirbelbrü-chen signifikant um 45 % gesenkt. Ältere Patienten, diemit einem potenten stickstoffhaltigen Bisphosphonattherapiert werden, senken ihr Risiko für alle mit Osteo-porose assoziierten Frakturen.

Sekundärprophylaxe nach ersterSchenkelhalsfraktur?Die Botschaft, daß es heute sehr gute Strategien gibt,um das Risiko proximaler Femurfrakturen zu senken, istleider bei den chirurgischen Kollegen noch nicht ange-kommen. Patienten mit erster Schenkelhalsfraktur oderpertrochantärer Fraktur werden heute rasch und gutchirurgisch versorgt und oft erfolgreich rehabilitiert,

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 913−915 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)914 Ringe − Osteoporose

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

aber eine osteologische Konsequenz wird aus dem er-sten Ereignis einer Femurfraktur meist nicht gezogen.D. h. Patienten, die glücklich überlebt haben und in einAltenheim oder sogar nach Hause entlassen werden,bekommen in der Regel keinerlei Empfehlungen undMedikamente mit dem Ziel, eine neuerliche Femurfrak-tur zu vermeiden.

Durch das dargelegte Spektrum von Sturzrisikomin-derung, Gymnastik, Calcium/Vitamin D-Substitution,Bisphosphonatmedikation bis hin zum Hip-Protektorexistieren jedoch gerade für diese Hochrisikogruppehervorragende Möglichkeiten. Eine breite Aufklärungder Chirurgen und der in der Rehabilitation tätigenÄrzte ist hier dringend nötig. Jedem Patienten nach pro-ximaler Femurfraktur sollte individuell ein geeignetesKonzept der Sekundärprophylaxe angepaßt werden.

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Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 913−915 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Ringe − Osteoporose 915

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Der Diabetes mellitus zählt zu den häufigsten chroni-schen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Etwa je-der 4. Deutsche im Alter von 70 Jahren und darüberleidet an einem bekannten Diabetes mellitus. Rund 6 %aller Menschen in dieser Altersgruppe werden inDeutschland mit Insulin behandelt, ca. 15 % erhaltenorale Antidiabetika entweder alleine oder in Kombina-tion mit Insulin. In der Regel handelt es sich um multi-morbide Patienten, die eine Polypharmakotherapie be-nötigen.

Die moderne Pharmakotherapie des Diabetes melli-tus beruht jedoch fast ausschließlich auf klinischen Stu-dien an deutlich jüngeren Patientengruppen, wird aberin der Regel ohne Vorbehalte auch auf Patienten im hö-heren Lebensalter übertragen. Kürzliche Untersuchun-gen der Versorgungsqualität von älteren Menschen mitDiabetes ergaben, daß trotz häufiger Arztkontakte sel-ten ein modernes Diabetes-Management praktiziertwird. Es fällt auf, daß ältere Menschen mit Diabetes be-sonders bei der Insulin-Therapie überfordert sind, sodaß vermeidbare, schwere Hypoglykämien häufig vor-kommen. Dazu trägt sicherlich auch bei, daß Blutzuk-kermessungen wesentlich seltener durchgeführt wer-den als bei jüngeren Patienten. Obwohl ältere Men-schen mit Diabetes in der Regel langsam an Gewichtverlieren, wird die medikamentöse Therapie nicht oderzu spät angepaßt.

Ziel der Behandlung älterer Menschen mit Diabetessollte an erster Stelle der Erhalt der Lebensqualität und

Therapie des Diabetes mellitus im höheren Lebensalter

Hans Hauner

Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München,Klinikum rechts der Isar, München

die Vermeidung von Akutkomplikationen (hyper- undhypoglykämische Stoffwechselentgleisungen) sein. DieVerhinderung langfristiger Diabetes-Komplikationentritt dabei in den Hintergrund, allerdings bedarf die Be-handlung bereits vorliegender chronischer Komplika-tionen einer adäquaten Therapie.

Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Geriatrie ent-wickelt derzeit altersgerechte Schulungsprogramme fürältere Patienten mit Diabetes und eingeschränkter ko-gnitiver Leistungsfähigkeit und deren Pflegekräfte. Par-allel dazu werden evidenzbasierte Behandlungsleit-linien erstellt, um den spezifischen Bedürfnissen dieserPatientengruppe besser gerecht werden zu können.Wichtige Unterschiede im Vergleich zu den Behand-lungsempfehlungen für jüngere Patienten mit Diabetessind:− eine möglichst einfache und sichere Insulin-Thera-

pie,− weitgehender Verzicht auf Metformin,− reduzierte Dosierung von Sulfonylharnstoffen,− Sicherstellung einer bedarfsgerechten, kalorisch aus-

reichenden und schmackhaften Kost.

Somit stellt die problemorientierte, patientenzentrierteBetreuung älterer Menschen mit Diabetes auch ange-sichts der raschen numerischen Zunahme der Betroffe-nen eine große Herausforderung für das Gesundheitssy-stem dar. Ein besseres Diabetes-Management dürfteaber durchaus Kosten einsparen, da viele unnötigeKrankenhausaufenthalte vermieden werden.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 916 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)916 Hauner − Diabetes mellitus

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Gesundheitspolitische Aspekte der Pharmakotherapieälterer Menschen

Qualitätsaspekte der Versorgung älterer Patientenaus sozialmedizinischer und sozialrechtlicher Sicht

Friedrich Wilhelm Schwartz unter Mitarbeit von Ulla Walter

Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover

In diesem Beitrag werden die sozialrechtlichen Rege-lungen in der Bundesrepublik Deutschland und die so-zialmedizinische Praxis bei der Bereitstellung und dertatsächlichen Ausgestaltung der Versorgungsleistungenfür ältere bis alte Patienten dargestellt. Insbesonderewird gefragt, inwieweit der Gesetz- bzw. der Verord-nungsgeber und die zur Ausgestaltung beauftragtenKörperschaften und Gruppen der Selbstverwaltung imdeutschen Gesundheitswesen spezifische Regelungenfür ältere bis hochalte Patienten entwickelt haben, undwie die Qualität der Umsetzung solcher Regelungen imHinblick auf diese besonderen Zielgruppen ist. Dabeistehen die Leistungen nach dem V. Sozialgesetzbuch −Gesetzliche Krankenversicherung − sowie ergänzendLeistungen nach dem IX. Sozialgesetzbuch − Rehabilita-tion und Teilhabe behinderter Menschen − im Mittel-punkt der Betrachtung, nicht jedoch Leistungen derPflegeversicherung. Im einzelnen wird insbesonderenach der Entwicklung und Ausgestaltung gruppenspe-zifischer Leitlinien oder Richtlinien der entsprechendenGremien, nach der zielgruppenbezogenen Entwicklungvon Disease-Management-Programmen, nach der Pla-

nung und Praxis der neuen Vergütungsregelungen imstationären Bereich und nach altersspezifischen Maß-nahmen im Bereich von Prävention und Früherken-nung gefragt. Eine weitere Betrachtung erfährt der Sek-tor der geriatrischen Rehabilitation.

Sowohl bei der Erstellung von Leitlinien, Richtlinienund Empfehlungen sowie daraus abgeleiteten Versor-gungsverträgen und der tatsächlichen Versorgungspra-xis wird deutlich, daß das deutsche sozialrechtlich regu-lierte Gesundheitsversorgungssystem und die daranmaßgeblich mitwirkenden Institutionen der Selbstver-waltung des Gesundheitswesens sich bislang nur wenigauf die Herausforderung durch die demographischeTransition unserer Gesellschaft eingestellt haben. Ab-schließend wird die Frage erörtert, inwieweit in den Re-formüberlegungen des Jahres 2003 verbesserte Anpas-sungsreaktionen erkennbar werden, die über die Neu-ordnung der finanziellen Lasten hinausgehen. Die vor-gestellten Überlegungen gelten im Wesentlichen auchfür die Praxis und den bisherigen und zukünftigen Dis-kurs der Pflegeversicherung.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 917 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Schwartz et al. − Qualitätsaspekte der Versorgung 917

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Gesundheitsökonomische Aspekte der Pharmakotherapieälterer Menschen

Christian Gericke und Reinhard Busse

FG Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin

EinleitungDer demographische Wandel in industrialisierten Län-dern mit einem langfristig zunehmenden Anteil ältererMenschen an der Gesamtbevölkerung wird häufig alseiner der Hauptfaktoren für eine künftige Steigerungder Kosten im Gesundheitswesen verantwortlich ge-macht.

In der Tat wird für Deutschland eine Zunahme derüber 60jährigen von 24 % der Gesamtbevölkerung imJahr 2001 auf 37 % im Jahr 2050 projiziert [1]. Der rela-tive Anteil der über 80jährigen wird dabei noch mehransteigen: von derzeit 4 % auf 12 % [1]. Dies geschiehtbei gleichzeitiger Abnahme der Gesamtbevölkerungvon 82,4 auf 75,1 Millionen [1].

Bevölkerungsprojektionen über überschaubare Zeit-räume sind relativ stabil, da sie, von Katastrophen undKriegen abgesehen, im Wesentlichen auf zwei Variablenberuhen: Fertilität und Sterblichkeit. Kostenprojektio-nen hingegen unterliegen einer erheblich größeren Un-sicherheit, da sie auf einer Vielzahl von zum Teilschlecht vorhersehbaren Variablen beruhen. Dies zeigtsich auch darin, daß wichtige Kostentreiber zwischenLändern mit vergleichbarem Lebensstandard und Ein-kommen beträchtlich variieren, z. B. die Anzahl ältererMenschen, die in Pflegeinstitutionen untergebrachtsind [2]. So betrug der rein durch die Bevölkerungs-alterung bedingte Zuwachs an den Gesamtgesundheits-ausgaben zwischen 1940 und 1990 in den USA nur15 % [3].

Gesundheitsökononomische Evaluation vergleichtKosten und Nutzen medizinischer Leistungen. Sie dientin erster Linie einer effizienteren Ressourcenallokationund kann Entscheidungshilfen bei der Wahl zwischenBehandlungsalternativen mit unterschiedlicher Wirk-samkeit und unterschiedlichen Kosten bieten. In eini-gen europäischen Ländern werden für neue Medika-mente zunehmend pharmakoökonomische Analysenvor Entscheidungen zur Kostenerstattung durch Kran-kenversicherer verlangt. Auf die spezielle Problematikökonomischer Evaluation von Pharmaka für ältereMenschen wird im Folgenden eingegangen. Dabei wer-den Kosten- und Nutzenaspekte berücksichtigt.

KostenaspekteDie hohen Gesundheitskosten kurz vor dem Todsinken mit dem Sterbealter

Der Mythos, daß höheres Lebensalter zwangsläufig zuhöheren Gesundheitskosten führt, liegt in erster Liniean einer isolierten Betrachtung von Querschnittsdatenzu Lebensalter und Kosten. Ein Großteil dieses „Effek-tes“ kann aber darauf zurückgeführt werden, daß derAnteil von Personen kurz vor ihrem Tod, die im Schnittbesonders hohe Kosten verursachen, mit dem Alter an-steigt [4]. Zahlreiche Studien haben gezeigt, daß die Ge-sundheitskosten von Personen in ihrem letzten Lebens-jahr bei über 90jährigen etwa 5fach höher liegen als fürnicht versterbende Gleichaltrige; in jüngeren Alters-gruppen liegt dieser Faktor allerdings wesentlich höher,nämlich bei rund 10 im Alter von 70 Jahren und beiüber 20 im Alter unter 60 Jahren [5−8]. In einer eigenenUntersuchung aus Deutschland haben wir z. B. anhandvon Daten einer großen Krankenkasse zeigen können,daß über 85jährige im Durchschnitt 23,2 Tage in ihremletzten Lebensjahr im Krankenhaus verbrachten, wäh-rend diese Zahl bei 55- bis 64jährigen im Schnitt 40,6Krankenhaustage betrug [9].

Betrachtet man die Gesundheitskosten daher imLängsschnitt über die gesamte Lebensspanne, wird klar,daß ein substantieller Anteil der Gesundheitskosten inder letzten Lebensphase anfällt. Der Anteil dieser so ge-nannten ’Sterbekosten‘ sinkt aber mit steigendem Alter.Dies beruht zum einen auf einer mit zunehmendemAlter sinkenden Krankenhausverweilzeit vor dem Tode(s.o.), zum anderen steigen die gesamten Krankheitsko-sten über die gelebte Lebensspanne mit zunehmendemAlter, was den prozentualen Anteil der Phase vor demTod an den Gesamtkosten verringert. Während die Ko-sten für die stationäre Versorgung in den letzten dreiLebensjahren bei 20jährigen in unserer Studie 82 % derlebenslangen Krankenhauskosten betrugen, waren esbei 90jährigen nur noch 18 % [9]. Überraschenderweiseblieb die Krankenhausnutzung mit 2 bis 2,2 Tagen proLebensjahr bei Tod zwischen dem 50. und dem 90. Le-bensjahr konstant (während sie bei Jüngeren höherlag) [9].

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 918−921 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)918 Gericke et al. − Gesundheitsökonomische Aspekte

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Veränderte Lebensgewohnheiten, medizinischerFortschritt und bessere Versorgungsqualität könnenzukünftige Kosten verringern

Auch die Annahme, daß steigendes Alter mit Zunahmevon Behinderung und Leistungseinschränkung einher-gehen muß, wird, wie schon von James Fries 1980 post-uliert [10], durch neuere Daten aus mehreren Ländernnicht belegt [11]. In Großbritannien leben 80 % allerüber 85jährigen bei sich zu Hause [2]. In Deutschlandkönnen 65jährige Frauen zur Zeit im Durchschnitt86,9 % ihrer verbleibenden Lebenserwartung ohne Pfle-gebedürftigkeit verbringen, Männer 91,4 % [12]. Medizi-nischer Fortschritt im Bereich häufiger und heute nochzu Leistungseinschränkungen führender Krankheitenist sehr wahrscheinlich. Schon heute stellen Medika-mente für ältere Menschen einen attraktiven Markt fürdie pharmazeutische Industrie dar [13]. Neue Medika-mente werden voraussichtlich den aktiven und kosten-neutralen Anteil an der Lebenserwartung älterer Men-schen weiter erhöhen. Seit den 80er Jahren ist in denUSA die Anzahl älterer Menschen mit chronischer Be-hinderung und institutioneller Pflegebedürftigkeit trotzdes demographischen Wandels stark gefallen [14].

NutzenaspekteSchwierigkeiten der Diagnosestellung

Eine korrekte Diagnosestellung ist Voraussetzung füreine wirksame Pharmakotherapie. Bei älteren Men-schen wird diese durch mehrere Tatsachen erschwert[15]:� Krankheiten werden im Vergleich zu jüngeren Men-

schen oft in Frühstadien symptomatisch.� Atypische Krankheitsbilder erschweren eine korrekte

Diagnosestellung.� Nicht-aussagekräftige pathologische Befunde sind

häufig.� Symptome sind oft Ausdruck von Multimorbidität

und unspezifisch.� Gesundheitsleistungen werden im Vergleich zu Jün-

geren spät in Anspruch genommen.

Schwierigkeiten der pharmakologischen Therapie

Die Wirksamkeit der medikamentösen Therapie ist aus-schlaggebend für den Nutzen der Therapie. Der Groß-teil der randomisierten kontrollierten Studien zur Phar-makawirksamkeit schließt ältere Menschen allerdingssystematisch aus [16−19]. Obwohl ältere Menschen mitchronischen Erkrankungen des Bewegungsapparateshäufig nicht-steroidale Antiphlogistika einnehmen, wa-ren in den großen klinischen Studien nur 2 % der Pa-tienten über 65 und weniger als 0,1 % waren über 75Jahre alt [20]. Falls ältere Menschen an klinischen Stu-dien teilnehmen, sind sie im allgemeinen jünger undgesünder als der durchschnittliche ältere Patient undüberwiegend männlich [16]. Häufig müssen deshalbDaten von jüngeren Patientengruppen auf ältere Men-

schen extrapoliert werden. Zum Beispiel wurde zur Be-rechnung der Kosteneffektivität von Statinen zur Se-kundärprävention im Alter zwischen 75 und 84 Jahren[21] die relative Risikoreduktion bei 60- bis 75jährigenPatienten aus einer großen klinischen Studie [22] zu-grunde gelegt [23].

Auch bestehen im Alter erhebliche Unterschiede inWirksamkeit und Nebenwirkungsprofil von Medika-menten [15]:� Für viele Erkrankungen gibt es einfachere Behand-

lungsmöglichkeiten im Alter.� Behandlung einzelner Krankheitsbilder führt nicht

zur bei jüngeren Menschen gewohnten Verbesserungdes Allgemeinzustandes.

� Geringe Verbesserungen mehrerer Organsystem-Dys-funktionen können zu erheblicher Verbesserung desAllgemeinzustandes führen.

� Medikamentennebenwirkungen sind deutlich häufi-ger. In den USA erfolgen 2−10 % aller Krankenhaus-einweisungen wegen Medikamentennebenwirkun-gen. In der Gruppe der über 65jährigen steigt dieserAnteil auf 10−30 % aller Einweisungen (Übersicht beiKöhler et al. [24].

� Polypharmakotherapie erhöht die Wahrscheinlich-keit von unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkun-gen. Ältere Menschen werden signifikant häufiger mitmehreren Pharmaka behandelt und leiden signifikanthäufiger unter Medikamentenwechselwirkungen [24].Dafür ist aber vermutlich in erster Linie die Polyphar-makotherapie verantwortlich und nicht das höhereAlter per se [24].

Kosten-Nutzen-Relation bei steigendemLebensalterDie gesundheitsökonomische Evaluation von Pharma-kotherapien bei älteren Personen ist von einer Dichoto-mie geprägt.

Einerseits steigt die Wirksamkeit vieler Medikamentemit dem Schweregrad der Erkrankung und damit mitdem Alter des Patienten. So ist zum Beispiel eineThrombolyse mit Gewebe-Plasminogen-Aktivator (t-PA)bei älteren Patienten mit akutem Myokardinfarkt ko-steneffektiver als bei jüngeren Patienten [25]. Osteopo-rose-Prävention ist ein anderes Beispiel hierfür [26]. In-teressanterweise stieg in der Analyse zur Osteoporose-Prävention die Kosteneffektivität mit steigendem Alterzum einen wegen des höheren Krankheitsrisikos, zumanderen aber wegen geringerer Kosten aufgrund derhöheren Mortalität [26].

Andererseits führt die in gesundheitsökonomischenAnalysen bevorzugte Bewertung des Nutzens einer me-dizinischen Maßnahme in Form von lebensqualitätsge-wichteter Lebenserwartung zu einer systematischen Be-nachteiligung älterer im Vergleich zu jüngeren Men-schen. Dies beruht zum einen auf der durchschnittlichkürzeren Lebenserwartung und zum anderen auf derdurchschnittlich höheren Behinderung und Leistungs-einschränkung im Alter [27].

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 918−921 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Gericke et al. − Gesundheitsökonomische Aspekte 919

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Ein Vergleich gesundheitsökonomischer Analysenneuerer Therapieansätze zur Behandlung der juvenilenidiopathischen Arthritis einerseits und der altersbe-dingten Makuladegeneration andererseits kann diesverdeutlichen. Die gewählten Beispiele wurden vomNational Institute for Clinical Excellence (NICE) inGroßbritannien zur Beurteilung der Kostenerstattungdurch den nationalen Gesundheitsdienst (NHS) heran-gezogen.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse des Medikaments Eta-nercept zum Einsatz bei juveniler idiopathischer Arthri-tis ermittelte bei einer angenommenen lebenslangenBehandlungsdauer einen Gewinn von 1,7 quality-adju-sted life years (QALYs) gegenüber Placebo (15 vs. 13,3QALYs) [28]. Die mittleren Kosten/QALY lagen bei ca.16 000 £. [28]. NICE empfahl dem NHS die Kosten fürEtanercept zu erstatten.

Bei Erkrankungen, die speziell ältere Menschen be-treffen, wird kaum je eine mittlere Behandlungsdauervon 15 Jahren bei voller Lebensqualität erreicht. In denKosten-Nutzen-Analysen der photodynamischen The-rapie der altersbedingten Makuladegeneration mit Ver-teporfin wird deshalb nur von einer 2- bis 5jährigen Be-handlungsdauer ausgegangen. Die Kosten pro gewon-nenes QALY liegen in diesen Studien bei 2jähriger The-rapiedauer bei 23 000 £ für Patienten ohne okkulte sub-foveale choroidale Neovaskularisation (SCN) und bei55 000 £ für alle Patienten mit SCN. Bei 5jähriger Be-handlungsdauer sinken die Kosten/QALY auf 8.500 bzw.34 000 £ [29]. Die mittlere Lebenserwartung von Patien-ten in der klinischen Studie, auf deren Daten die ökono-mischen Analysen beruhten, betrug 11 Jahre [29]. NICEempfahl aufgrund dieser Daten nur die Behandlungvon Patienten ohne SCN zu erstatten [29]. Hätten diePatienten im Durchschnitt noch 20 Jahre Lebenserwar-tung, lägen die Kosten/QALY sicher für alle Patientenweit unter der 30.000 £ Schwelle und NICE hätte dieKostenerstattung empfohlen.

Einige Untersuchungen zeigen allerdings, daß diemeisten Menschen für Fragen der Ressourcenallokationjüngere Menschen bevorzugen [30]. Diese Alterspräfe-renz wird bei der Berechnung von disability-adjustedlife years (DALYs) berücksichtigt, in dem Lebensjahre inhöherem Alter weniger Nutzwert erhalten. DALYs wer-den vor allem für Kosten-Nutzen-Analysen in Entwick-lungsländern und für weltweite Analysen verwendet.Bei der Standardberechnung von QALYs wird das Alter,in dem die gewonnenen Lebensjahre anfallen, nicht be-rücksichtigt.

SchlußfolgerungenGesundheitsökonomische Evaluation von Pharmako-therapie bei älteren Menschen ist mit vielseitigen Pro-blemen behaftet. Diese reichen von mangelnder Daten-lage zur Medikamentenwirksamkeit aus randomisiertenStudien bis hin zu ethischen Problemen der Nutzenwer-

tung in gängigen gesundheitsökonomischen Analysen.Im Rahmen der leider immer noch von einzelnen Politi-kern vertretenen Polemisierung der Kostenentwicklungdurch gestiegene Lebenserwartung als „Kostenexplo-sion“ und damit zusammenhängenden Vorschlägen zurRationierung von Gesundheitsleistungen im höherenAlter, ist es um so wichtiger, zuverlässige gesundheits-ökonomische Daten als Grundlage für evidenz-basiertegesundheitspolitische Entscheidungen zu schaffen.

Aufgrund des wachsenden Marktanteils von Medika-menten, die für Erkrankungen des höheren Lebensal-ters bestimmt sind, sollten sich sowohl gesundheitspo-litische Entscheidungsträger und Krankenversichererals auch die pharmazeutische Industrie vermehrt fürpharmakoökonomische Analysen von Medikamentenfür Alterskrankheiten interessieren. In anderen EU-Län-dern werden pharmazeutische Unternehmen bereitsheute zu pharmakoökonomischen Analysen vor Ko-stenerstattung durch Kostenträger verpflichtet. Dieskönnte langfristig die Datenlage im Bereich der Phar-makotherapie für ältere Menschen verbessern und da-durch zu einer effizienteren und qualitativ besserenmedizinischen Versorgung für diese Altersgruppe füh-ren.

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Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 918−921 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)920 Gericke et al. − Gesundheitsökonomische Aspekte

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

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In Würde altern − selbständig und ohne Demenz

Wolf D. Oswald

Institut für Psychogerontologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,Erlangen

Neue Studien bestätigen einen deutlichen Zusammen-hang zwischen der Häufigkeit einer demenziellen Er-krankung und dem prämorbiden Bildungsniveau sowiedem Ausmaß insbesondere intellektueller Aktivitäten infrüheren Lebensabschnitten. Als ein möglicher Grundfür diese Zusammenhänge wird eine größere kognitiveReservekapazität bei jenen Menschen vermutet, die inihren früheren Lebensabschnitten kognitiv stärker ge-fördert wurden. Hierbei stellt sich die Frage, ob durchentsprechende Trainingsprogramme im Vorfeld einerdementiellen Erkrankung Prozesse unterstützt werdenkönnen, in deren Folge sich die synaptische Plastizitätsteigern und die Auswirkungen der Erkrankung hinaus-zögern lassen. Ergebnisse aus der Studie „Bedingungen

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der Erhaltung und Förderung von Selbstständigkeit imhöheren Lebensalter“ (SIMA) zeigen, daß sich vor allemein spezifisches kombiniertes Gedächtnis- und Psycho-motoriktraining in einer Stichprobe ursprünglich ge-sunder und selbstständiger hochbetagter Menschen imAlter ab 75 Jahren langfristig positiv auf den Erhalt dergeistigen Leistungsfähigkeit auswirkte. Die Teilnehmerdieses Kombinationstrainings wiesen gegenüber denTeilnehmern in der Kontrollgruppe bis zu vier Jahrenach Trainingsende einen höheren kognitiven Statusund eine deutlich geringer ausgeprägte dementielleSymptomatik auf. Ferner wurde bei ihnen ein höhererGesundheitsstatus und auch eine längere Aufrechter-haltung der Selbstständigkeit beobachtet. Auch zeigte

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

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Kontrollgruppe

SelbstständigkeitGedächtnis- und Motoriktraining vs. Kontrollgruppe

(Globalkonstrukt Selbstständigkeit: fallende Fallzahlen, lineare Regression; Kurvenanpassung nicht erfolgreich)

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Sym

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Gedächtnis+Psychomotorik

Kontrollgruppe

Dementielle SymptomatikGedächtnis- und Motoriktraining vs. Kontrollgruppe

Konstrukt aus HOPS und SCAG: fallende Fallzahlen; lineare Regression

2p global < .001

0 5 10 15 20 25 30

Gedächtnis+Motorik

Kompetenz

Kontrolle

Gedächtnis

Psychomotorik

Kompetenz+Motorik

Verteilung der 70 Teilnehmer mit Demenz nach ICD-10 auf die Treatmentgruppen

Teilnehmeranzahl in % der GruppeVon 337 SIMA-Teilnehmern (ohne N=22 mit LKB)

Stand: 4/2002

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 921−923 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)922 Oswald − In Würde altern

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

sich nun nach 10 Jahren, daß in der Kombinations-gruppe bisher die wenigsten Demenzen auftraten. Par-allel hierzu wurden in der untersuchten Stichprobe De-fizite in den kognitiven Leistungen sowie kognitive undkörperliche Inaktivität als bedeutende Risikofaktoreneiner späteren dementiellen Erkrankung dokumentiert.Diese Resultate bestätigen, daß auch im hohen Alter ko-gnitive und körperliche Aktivitäten noch eine große Be-deutung für die Verzögerung einer dementiellen Er-krankung haben und daß spezifische Interventionspro-gramme, die zu entsprechenden Tätigkeiten anregen,einem vorzeitigen Verlust der Selbstständigkeit als Folgeeiner dementiellen Erkrankung entgegenwirken kön-nen.

LiteraturOswald, W.D. (Hrsg.), Das SIMA-Projekt: Gedächtnistraining −Ein Programm für Seniorengruppen, 2. Aufl. Hogrefe, Göttin-gen (1998)

Oswald, W.D., Hagen, B., Rupprecht, R. et al., Bedingungender Erhaltung und Förderung von Selbständigkeit im höherenLebensalter (SIMA) − Teil XVII: Zusammenfassende Darstellungder langfristigen Trainingseffekte. Z. Gerontopsychologie und-psychiatrie 15, 13 (2002)

Oswald, W.D., Hagen, B., Rupprecht, R. et al., Bedingungender Erhaltung und Förderung von Selbständigkeit im höherenLebensalter (SIMA) − Teil XVIII: Unselbständigkeits-, Demenz-und Mortalitätsrisiken. Z. Gerontopsychologie und -psychiatrie15, 61 (2002)

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 921−923 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Oswald − In Würde altern 923

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Während der Alterung kommt es zu sichtbaren und un-sichtbaren Veränderungen im Organismus. Dazu gehö-ren Veränderungen in kompletten Organsystemen, wiez. B. im endokrinen System, in verschiedenen Organen,z. B. im Thymus und natürlich auch auf zellulärerEbene. Zu diesen Veränderungen auf zellulärer Ebenegehören die Akkumulation von DNA-Mutationen unddie Veränderungen im Proteinstoffwechsel. Diese Ver-änderungen scheinen sich im Laufe der Zeit zu sum-mieren und führen zu den beobachteten altersbeding-ten Modifikationen.

Was aber ruft solche akkumulierenden Schäden her-vor? Es gibt heute mehrere hundert verschiedene Theo-rien, wie der Alterungsprozeß zustande kommt. Man-che Autoren gehen von ’intrinsischen‘ Veränderungenim Organismus aus, andere von so genannten ’extrinsi-schen‘. Unter den genetischen/’intrinsischen‘ Faktorenhat sich die Telomerentheorie als beständigste durchge-setzt, während unter den Umweltfaktoren/’extrinsische‘Faktoren heute vor allem oxidierende Einflüsse in denVordergrund gerückt werden. Seit einiger Zeit häufensich Theorien, die in einem Wechselspiel zwischen Um-welt und genetischem Hintergrund eine Rationale fürden Alterungsprozeß sehen.

Die Schädigung der mitochondrialen DNA sowie dieAkkumulation von oxidierten und modifizierten Protei-nen, die dann die Grundlage für die Bildung von Lipo-fuszin, dem Alterspigment, bilden, basieren auf derWirkung von freien Radikalen und Oxidantien. Solch

After Dinner Lecture

Warum altern wir?

Tilman Grune

Institut für umweltmedizinische Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gGmbH, Düsseldorf,und Neurowissenschaftliches Forschungszentrum der Humboldt-Universität zu Berlin, UniversitätsklinikumCharite, Berlin

eine Akkumulation oxidierter Proteine kann durch eineverstärkte oxidative Belastung oder durch eine Insuffi-zienz des Proteinabbaus hervorgerufen werden.

In Modellsystemen ist man heute in der Lage,Alterungs-Prozesse zu simulieren, wie z. B. im in-vitro-Alterungsmodell menschlicher Fibroblasten. Durch denAufbau dieser Modelle konnten einige grundlegendeStoffwechseländerungen der in vivo-Alterung im in vi-tro-System gezeigt werden. Dazu gehören die Akkumu-lation oxidierter Proteine, die Bildung von autofluores-zentem Material (Lipofuszin) und der Abfall des intra-zellulären Proteinabbaus. Hier konnte gezeigt werden,daß der Abfall der proteolytischen Aktivität durch dasLipofuscin selbst vermittelt wird, also daß Altern einsich selbst beschleunigender Prozeß im Sinne eines ’cir-culus vitiosus‘ ist.

Diese Erkenntnis ist wichtig, da hier möglicherweiseein Ansatzpunkt für das Eingreifen in den Alterungspro-zeß besteht. Verschiedene Anti-Aging Strategien ver-wenden bereits Mittel, um oxidative Umwelteinflüsseeinzuschränken oder gar zu verhindern. Oft werden sol-che Strategien verwendet, ohne auf ausreichender wis-senschaftlicher Grundlage zu stehen bzw. ohne einenausreichenden Wirksamkeitsnachweis.

Die weitere Untersuchung des biologischen Prozes-ses Alterung und eine möglicherweise erfolgreiche Ver-langsamung dieses Prozesses wird in den nächsten Jah-ren immer weiter in den Mittelpunkt der Forschungs-tätigkeit rücken.

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 924 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)924 Grune − Warum altern wir?

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PMS-Symposium: Pharmacotherapy in the Elderly: Demands and Reality

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Henning BlumeSocraTec R&D GmbHFeldbergstraße 5961440 OberurselTel. +49 6171 5857-20Fax +49 6171 [email protected]

Prof. Dr. Hermann BrennerDeutsches Zentrum für Altersforschung an derRuprechts-Karls-Universität HeidelbergBergheimer Straße 2069115 HeidelbergTel. +49 6121 54-8141Fax +49 6121 [email protected]

Prof. Dr. med. Reinhard Busse, MPH, FFPHTechnische Universität BerlinFG Management im GesundheitswesenStraße des 17. Juni 14510623 BerlinTel. +49 30 314-28420Fax +49 30 [email protected]

Prof. Dr. Joachim FaulerTechnische Universität DresdenUniversitätsklinikum Carl Gustav CarusInstitut für Klinische PharmakologieFetscherstraße 7401307 DresdenTel. +49 351 458-5043Fax +49 351 [email protected]

Dr. Ulrike FuhrmannSchering AGFemale Health Care ResearchCRBA Gynecology and Andrology13342 BerlinTel. +49 30 4681-2615Fax +49 30 [email protected]

Dr. med. Christian Gericke, MSc (Econ), DTMHTechnische Universität BerlinFG Management im GesundheitswesenStrasse des 17. Juni 14510623 BerlinTel. +49 30 314-29240Fax +49 30 [email protected]

PD Dr. Tilman GruneInstitut für umweltmedizinische Forschung an derHeinrich-Heine-Universität Düsseldorf gGmbHAuf’m Hennekamp 5040225 DüsseldorfTel. +49 211 338-9224Fax +49 221 [email protected]ät zu BerlinNeurowissenschaftliches UniversitätsklinikumChariteForschungszentrumUniversitätsklinikum ChariteSchumannstraße 20/2110117 [email protected]

Prof. Dr. Hans HaunerElse-Kröner-Fresenius-Zentrumfür ErnährungsmedizinTechnische Universität MünchenKlinikum rechts der IsarIsmaninger Straße 2281675 MünchenTel. +49 89 4140 6770Fax +49 89 4140 [email protected]

Prof. Dr. Dr. Rolf D. HirschRheinische KlinikenAbteilung für Gerontopsychiatrieund Gerontopsychiatrisches ZentrumKaiser-Karl-Ring 2053111 BonnTel. +49 228 551-2204Fax +49 228 [email protected]

PD Dr. Uta C. HoppeKlinik III für Innere MedizinUniversität zu KölnJoseph-Stelzmann-Straße 950924 KölnTel. +49 221 478-5059Fax +49 221 [email protected]

Prof. Dr. Rainer KollochKrankenanstalten Gilead IMedizinische KlinikBurgsteig 1333167 BielefeldTel. +49 521 144-2305Fax +49 521 [email protected]

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 925−926 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Autorenverzeichnis 925

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PMS-Symposium: Pharmakotherapie im Alter: Anspruch und Wirklichkeit

Prof. Dr.Wolf D. OswaldFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergInstitut für PsychogerontologieNägelsbachstraße 2591052 ErlangenTel. +49 9131 852-6526Fax +49 9131 [email protected]

Prof. Dr. Heinz ReichmannTechnische Universität DresdenUniversitätsklinikum Carl Gustav CarusNeurologische Klinik und PoliklinikFetscherstraße 7401307 DresdenTel. +49 351 458-3565Fax +49 351 [email protected]

Prof. Dr. Johann Diederich RingeKlinikum LeverkusenAkademisches Lehrkrankenhausder Universität zu KölnMedizinische Klinik IVDhünnberg 6051375 LeverkusenTel. +49 214 1322- 91Fax +49 214 [email protected]

Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Schwartz,Medizinische Hochschule HannoverAbteilung Epidemiologie, Sozialmedizinund GesundheitssystemforschungCarl-Neuberg-Straße 130623 HannoverTel. +49 511 532-4422Fax +49 511 [email protected]

Prof. Dr. med. Dr. med. h.c. Peter C. ScribaLudwig-Maximilians-UniversitätKlinikum InnenstadtZiemssenstraße 180336 MünchenTel. +49 89 5160 4400Fax +49 89 5160 [email protected]

Dr. Gerthild StiensGeorg-August-Universität GöttingenKlinik für Psychiatrie und Psychotherapievon-Siebold-Straße 537075 GöttingenTel. +49 551 391 4373Fax +49 551 391 [email protected]

Prof. Dr. Thomas TölleTechnische Universität MünchenKlinikum rechts der IsarNeurologische Klinik und PoliklinikMöhlstraße 2881675 MünchenTel. +49 89 4140-4603Fax +49 89 [email protected]

Prof. Dr. med. Dieter UkenaMedizinische UniversitätsklinikInnere Medizin V66421 HomburgTel.: +49 6841 162-3629Fax: +49 6841 [email protected]

PD Dr. Ulla WalterMedizinische Hochschule HannoverAbt. Epidemiologie, Sozialmedizin undGesundheitssystemforschungCarl-Neuberg-Straße 130623 HannoverTel. +49 511 532-4422Fax +49 511 [email protected]

Prof. Dr. Martin WehlingUniversitätsklinikum MannheimInstitut für Klinische PharmakologieTheodor-Kutzer-Ufer68167 MannheimTel. +49 621 383-4058Fax +49 621 [email protected]

PD Dr. med. Dipl.-Psych. Michael H. WiegandArzt für Psychiatrie und PsychotherapieLeiter des Schlafmedizinischen Zentrumsder Technischen Universität MünchenKlinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapieIsmaninger Straße 2281675 MünchenTel. +49 89 4140-4248Fax +49 89 [email protected]

Arzneim.-Forsch./Drug Res. 53, No. 12, 925−926 (2003) ECV · Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)926 Autorenverzeichnis