Arztkontaktpreise bei der ambulanten Versorgung der chronischen Polyarthritis in Deutschland

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I n der gesundheitspolitischen Diskus- sion werden in den letzten Jahren zunehmend einzelne Bereiche des Ge- sundheitswesens auf ihre Kosten-Nut- zen-Relation untersucht. Der Bereich der medikamentösen Versorgung ist seit dem Aufkommen von (semi)staatlichen Bewertungsinstitutionen schon intensiv in einer Kosten-Nutzen- und nicht al- leinig Nutzendiskussion gefangen. Die stationären Kosten machen gut ein Drit- tel der Gesamtkosten aus und sind da- her stetiger Fokus von kostenbezogenen Untersuchungen. AmbulanteVersorgungsbereiche ste- hen aufgrund der Abrechnungsmodali- täten in Deutschland nicht primär im Mittelpunkt des Interesses der Kosten- träger, da die Kosten für die ambulante Versorgung von den Krankenkassen durch die Pauschalierung für weite Tei- le der Vergütung als gering beeinfluss- bare Fixblöcke gesehen werden. Hier liegt der Fokus eher auf der Betrachtung der durch Mediziner in der ambulanten Versorgung veranlassten Leistungen (Medikamente, Rehabilitation, Kran- kenhauseinweisungen). Durch dieVorarbeiten zur Umstruk- turierung des Einheitlichen Bewer- tungsmaßstabs (EBM) werden jedoch zunehmend auch Kostenstrukturen so- wie Einschätzungen zum zeitlichen Auf- wand für die Behandlung von chroni- schen Erkrankungen gefordert. Die Forschung in diesem Bereich konzen- trierte sich dabei vorrangig auf Indika- tionen, die durch die Veränderungen des Risikostrukturausgleichs (Disease-Ma- nagement-Programme) in den Mittel- punkt rückten (z.B. Diabetes, koronare Herzkrankheit). Durch eine Studie zur Erfassung und Bewertung der Kosten der chronischen Polyarthritis (cP), die innerhalb des Kompetenznetzes Rheu- ma gefördert wurde [1], konnte erstmals in Deutschland ein vollständiges Bild der Kostenstruktur von Patienten mit cP entwickelt werden. Die cP oder rheumatoide Arthritis (RA) ist eine entzündliche, multisyste- ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Das Regionale Kooperative Rheumazentrum Hannover initiierte im Jahr 2000 ein umfassendes Projekt zur Einführung und Evalua- tion eines fallbezogenen klinischen Qualitätsmanagements zur Verbesserung der rheumatologischen Versorgung von Patienten mit chronischer Polyarthri- tis (cP). Hierüber wurde es möglich, sämtliche Abrechnungsdaten, inkl. jener der ambulanten Versorgung, zusammenzuführen und zu untersuchen. Methodik: Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Erarbeitung von Kontaktpreisen für einzelne Arztbesuche eines Jahres von cP-Patienten, die mit der rheumatischen Erkrankung in Zusammenhang stehen. Des Weiteren wurden die Daten nach Fachärzten und Hausärzten differenziert, wobei sämt- liche Abrechnungsziffern des Jahres 2001 in die Untersuchung einbezogen wurden. Ergebnisse: Durch die hohe Anzahl von Arztkontakten der in die Unter- suchung einbezogenen 338 Patienten mit klinisch gesicherter cP (Rheuma- tologen 4 488 Kontakte, Hausärzte 3 901 Kontakte) konnten statistisch aus- wertbare Subgruppen gebildet werden. Die durchschnittlichen Kosten eines Arztkontakts betragen: Rheumatologe € 22,71 (€ 25,33 bei hausärztlicher Vergütung), Hausarzt € 8,02 sowie weitere Facharztgruppen von € 5,81 bis € 19,48. Zusätzlich wurden die erbrachten Leistungen detailliert getrennt nach Laborleistungen und ärztlichen bzw. technischen Leistungen untersucht. Schlussfolgerung: Aus der Betrachtung der durchschnittlichen Frequenz und des durchschnittlichen Kontaktpreises bei den Rheumatologen wird deut- lich, dass weit mehr Leistungen mit entsprechendem Zeitaufwand erbracht werden, als dies durch die gedeckelte Vergütung abgegolten wird. Schlüsselwörter: Chronische Polyarthritis · Kostenanalyse · Kontakt- preise Med Klin 2005;100:255–61. DOI 10.1007/s00063-005-1032-2 ABSTRACT Costs of Ambulatory Care for RA Patients in Germany Background: In 2000, the Regional Cooperative Center for Rheumatic Conditions in Hannover, Germany, initiated a project to introduce and evalu- ate a case-based clinical quality management system to enhance the quality of care for patients with rheumatoid arthritis. Building on that, it was possible to combine all resource uses, as paid by the sickness funds, including those in ambulatory care. Arztkontaktpreise bei der ambulanten Versorgung der chronischen Polyarthritis in Deutschland Thomas Mittendorf 1 , Sonja Merkesdal 2 , Henning Zeidler 2 , J.-Matthias Graf von der Schulenburg 1 , Jörg Ruof 2 1 Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Universität Hannover, 2 Abteilung Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover. Eingang des Manuskripts: 4. 8. 2004. Annahme des Manuskripts: 17. 1. 2005. 255 2005;100:255–61 (Nr. 5), © Urban & Vogel, München VERSORGUNGSFORSCHUNG

Transcript of Arztkontaktpreise bei der ambulanten Versorgung der chronischen Polyarthritis in Deutschland

In der gesundheitspolitischen Diskus-sion werden in den letzten Jahren

zunehmend einzelne Bereiche des Ge-sundheitswesens auf ihre Kosten-Nut-zen-Relation untersucht. Der Bereich der medikamentösen Versorgung ist seit dem Aufkommen von (semi)staatlichen Bewertungsinstitutionen schon intensiv in einer Kosten-Nutzen- und nicht al-leinig Nutzendiskussion gefangen. Die stationären Kosten machen gut ein Drit-tel der Gesamtkosten aus und sind da-her stetiger Fokus von kostenbezogenen Untersuchungen.

Ambulante Versorgungsbereiche ste-hen aufgrund der Abrechnungsmodali-täten in Deutschland nicht primär im Mittelpunkt des Interesses der Kosten-träger, da die Kosten für die ambulante Versorgung von den Krankenkassen durch die Pauschalierung für weite Tei-le der Vergütung als gering beeinfluss-bare Fixblöcke gesehen werden. Hier liegt der Fokus eher auf der Betrachtung der durch Mediziner in der ambulanten Versorgung veranlassten Leistungen (Medikamente, Rehabilitation, Kran-kenhauseinweisungen).

Durch die Vorarbeiten zur Umstruk-turierung des Einheitlichen Bewer-tungsmaßstabs (EBM) werden jedoch zunehmend auch Kostenstrukturen so-wie Einschätzungen zum zeitlichen Auf-wand für die Behandlung von chroni-schen Erkrankungen gefordert. Die Forschung in diesem Bereich konzen-trierte sich dabei vorrangig auf Indika-tionen, die durch die Veränderungen des Risikostrukturausgleichs (Disease-Ma-nagement-Programme) in den Mittel-punkt rückten (z.B. Diabetes, koronare Herzkrankheit). Durch eine Studie zur Erfassung und Bewertung der Kosten der chronischen Polyarthritis (cP), die innerhalb des Kompetenznetzes Rheu-ma gefördert wurde [1], konnte erstmals in Deutschland ein vollständiges Bild der Kostenstruktur von Patienten mit cP entwickelt werden.

Die cP oder rheumatoide Arthritis (RA) ist eine entzündliche, multisyste-

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Das Regionale Kooperative Rheumazentrum Hannover initiierte im Jahr 2000 ein umfassendes Projekt zur Einführung und Evalua-tion eines fallbezogenen klinischen Qualitätsmanagements zur Verbesserung der rheumatologischen Versorgung von Patienten mit chronischer Polyarthri-tis (cP). Hierüber wurde es möglich, sämtliche Abrechnungsdaten, inkl. jener der ambulanten Versorgung, zusammenzuführen und zu untersuchen.

Methodik: Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Erarbeitung von Kontaktpreisen für einzelne Arztbesuche eines Jahres von cP-Patienten, die mit der rheumatischen Erkrankung in Zusammenhang stehen. Des Weiteren wurden die Daten nach Fachärzten und Hausärzten differenziert, wobei sämt-liche Abrechnungsziffern des Jahres 2001 in die Untersuchung einbezogen wurden.

Ergebnisse: Durch die hohe Anzahl von Arztkontakten der in die Unter-suchung einbezogenen 338 Patienten mit klinisch gesicherter cP (Rheuma-tologen 4 488 Kontakte, Hausärzte 3 901 Kontakte) konnten statistisch aus-wertbare Subgruppen gebildet werden. Die durchschnittlichen Kosten eines Arztkontakts betragen: Rheumatologe € 22,71 (€ 25,33 bei hausärztlicher Vergütung), Hausarzt € 8,02 sowie weitere Facharztgruppen von € 5,81 bis € 19,48. Zusätzlich wurden die erbrachten Leistungen detailliert getrennt nach Laborleistungen und ärztlichen bzw. technischen Leistungen untersucht.

Schlussfolgerung: Aus der Betrachtung der durchschnittlichen Frequenz und des durchschnittlichen Kontaktpreises bei den Rheumatologen wird deut-lich, dass weit mehr Leistungen mit entsprechendem Zeitaufwand erbracht werden, als dies durch die gedeckelte Vergütung abgegolten wird.

Schlüsselwörter: Chronische Polyarthritis · Kostenanalyse · Kontakt-preise Med Klin 2005;100:255–61.

DOI 10.1007/s00063-005-1032-2

ABSTRACT

Costs of Ambulatory Care for RA Patients in Germany

Background: In 2000, the Regional Cooperative Center for Rheumatic Conditions in Hannover, Germany, initiated a project to introduce and evalu-ate a case-based clinical quality management system to enhance the quality of care for patients with rheumatoid arthritis. Building on that, it was possible to combine all resource uses, as paid by the sickness funds, including those in ambulatory care.

Arztkontaktpreise bei der ambulanten Versorgung der chronischen Polyarthritis in DeutschlandThomas Mittendorf1, Sonja Merkesdal2, Henning Zeidler2, J.-Matthias Graf von der Schulenburg1, Jörg Ruof2

1 Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Universität Hannover,2 Abteilung Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover.

Eingang des Manuskripts: 4. 8. 2004.Annahme des Manuskripts: 17. 1. 2005.

2552005;100:255–61 (Nr. 5), © Urban & Vogel, München

VERSORGUNGSFORSCHUNG

VERSORGUNGSFORSCHUNG

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mische Autoimmunerkrankung mit un-klarer Ursache, die mit einer chronischen Entzündung der Gelenkinnenhaut (Syn-ovialis) verbunden ist. Mit ansteigender Schwere und Aggressivität der Erkran-kung führt dies mittel- bis langfristig zu einer Zerstörung des Knorpels und des angrenzenden Knochens mit radiolo-gisch nachweisbarer Destruktion. Belas-tende Symptome der Erkrankung sind Schmerzen in Gelenken und gelenkna-hen Regionen sowie fortschreitende Funktionsverluste durch die Gelenkent-zündungen, die sich in späteren Stadien z.B. in Gelenkdeformationen äußern (eine umfassende Darstellung des Krank-heitsbildes findet sich bei Sangha [2] oder Zink et al. [3]).

Die Klassifikation und Diagnose der Erkrankung sind breit erforscht und stützen sich auf eine Kombination von klinischen Parametern, wie z.B. die Morgensteifigkeit der Gelenke, sowie Laborparametern. Bereits vor einiger Zeit wurden vom American College of Rheumatology international anerkann-te Standards verabschiedet, die eine eindeutige Diagnose der RA ermögli-chen [4].

Die Prävalenz und Inzidenz der Er-krankung schwanken in den Industrie-ländern mit Werten zwischen 0,5% und 1,5% für die Prävalenz. In Deutschland wird von einem Wert von 0,8–1% aus-gegangen, obwohl hierfür keine eigene Beobachtungsstudie durchgeführt wur-de. Dies würde 500 000–800 000 Men-schen entsprechen, die nach der defi-nierten Klassifikation als an RA erkrankt gelten [5]. Ab dem 5. Lebensjahrzehnt kommt es zu einem starken Ansteigen der Erkrankungswahrscheinlichkeit. Bei schwer erkrankten Patienten wird zu-dem von einer Übersterblichkeit von 15–20% ausgegangen [3]. Die Versor-gung von cP-Patienten ist durch eine langjährige Bindung zum (idealerweise) Rheumatologen gekennzeichnet und beinhaltet den Versuch einer Progressi-onsbeeinflussung sowie die Schmerz-kontrolle.

Gesundheitsökonomisch ist der Be-reich der cP ein breit untersuchtes Krankheitsbild, wobei sich die Unter-suchungen zumeist auf die Darstellung der Gesamtkosten oder Kosteneffekti-vitätsstudien therapeutischer Maßnah-men beziehen. In Deutschland wird beim Deutschen Rheumaforschungs-zentrum in Berlin ein ausführliches Re-

gister über Patienten mit rheumatischen Erkrankungen geführt. Über diese Kern-dokumentation wurden 2001 > 26 000 Fälle dokumentiert, wobei dies klinische wie auch ökonomische Faktoren umfasst [6]. Hierbei stellen Patienten mit cP mit 49% die größte Kohorte dar.

Ziel der vorliegenden Untersu-chung war die Erarbeitung von Kon-taktpreisen für einzelne Arztbesuche von cP-Patienten, um hierüber zu eva-luieren, ob die Vergütung der nieder-gelassenen Rheumatologen (zeitlicher ebenso wie apparativer Aufwand) für die Versorgung von cP-Patienten an-gemessen strukturiert ist. Dies ist un-seres Wissens so gesundheitsökono-misch noch nicht für Deutschland untersucht worden.

Methodik

Das Regionale Kooperative Rheuma-zentrum Hannover initiierte im Jahr 2000 ein umfassendes Projekt zur Ein-führung und Evaluation eines fallbezo-genen klinischen Qualitätsmanagements zur Verbesserung der rheumatologischen Versorgung von Patienten mit cP [7–10]. Das Projekt „Sozioökonomische Ana-

lyse der Krankheitskosten bei der chro-nischen Polyarthritis“ im Kompetenz-netz Rheuma wurde mit dieser Studie kombiniert, um die Vorteile der klini-schen Absicherung und der Rekrutie-rung durch niedergelassene Fachrheu-matologen zu nutzen. Für dieses Projekt konnten die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsens und die AOK – Die Ge-sundheitskasse für Niedersachsen ge-wonnen werden. Hierüber wurde es möglich, sämtliche Abrechnungsdaten, inkl. jener der ambulanten Versorgung, patientenbezogen zusammenzuführen und zu untersuchen.

Die Rekrutierung erfolgte über 14 in Niedersachsen niedergelassene Rheumatologen, die über einen Zeit-raum von 6 Monaten 340 Patienten rekrutierten. Die teilnehmenden Me-diziner sind alle Mitglieder des Regio- nalen Kooperativen Rheumazentrums Hannover. Da der Hintergrund des zu-grundeliegenden Qualitätsmanage-mentprojekts die Untersuchung der fachrheumatologischen Versorgung war, sind an der Rekrutierung keine Allge-meinmediziner beteiligt. Sehr wohl werden diese Patienten auch von All-gemeinmedizinern versorgt, dies erfolgt

Methods: The purpose of this study was to reach average “per-visit prices” for single physician visits, not only for rheumatologists, but also for other specialists as well as generalists. Those visits all had to be connected to the rheumatic condition of the patients. All ambulatory care visits for 1 year (2001) were evaluated.

Results: Due to the high number of physician visits of the 338 patients with clinically assured rheumatoid arthritis included in the study (rheumatologist visits 4,488, generalist visits 3,901), statistically significant subgroups could be built. The average costs per visit associated with rheumatoid arthritis are: rheu-matologist € 22.71; generalist € 8.02; as well as other specialties ranging from € 5.81 to € 19.48. The low price for generalists care is due to the selection of the cohort, as all patients are under constant specialist care. The prices were further broken down to certain subgroups of care.

Conclusion: The prices are calculated under the premises that no budget-ary constraints apply to ambulatory care. This is not the reality in Germany. Hence, looking at the average frequency of rheumatologist visits in this cohort (13.2/year), the conclusion has to be that not all rheumatologic ambulatory care is being covered by the reimbursement system within the Statutory Health Insurance in Germany.

Key Words: Rheumatoid arthritis · Cost analyses · Ambulatory care · Ger-many

Med Klin 2005;100:255–61.DOI 10.1007/s00063-005-1032-2

Mittendorf T, et al.Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer Polyarthritis

Med Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)

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Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer PolyarthritisMed Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)

jedoch aufgrund des Stu-diendesigns in Kooperation mit den Rheumatologen. Sämtliche Patienten hatten definierte Einschlusskrite-rien zu erfüllen (gesicherte, aktive cP, kein Erstkontakt, AOK-Mitglied, Eignung, Motivation und schriftliche Einwilligung), die durch das Rheumazentrum kontrol-liert wurden.

Einen Überblick über einige kohortenbezogene Daten enthält Tabelle 1. Bei der medikamentösen Thera-pie wird deutlich, dass es sich um eine von Fachrheuma-tologen geführte Kohorte handelt. So erhalten 320 Pa-tienten ein sog. Basisthera-peutikum (231 Monothera-pie [davon 164 Methotrexat, 79 Zweifachtherapie, neun Dreifachtherapie und ein Patient Vierfachtherapie), 230 Patienten erhalten Cortison (systemisch) und 111 Patienten nichtsteroida-le Antirheumatika (NSAR; Schmerztherapie, davon 87

nichtselektive NSAR). Die Basistherapie ist nicht auf die Schmerzlinderung aus-gelegt, sondern soll eine Progression der mit der Erkrankung einhergehenden Gelenkdestruktionen verlangsamen oder stoppen.

Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Erarbeitung von Kontaktpreisen für einzelne Arztbesuche von cP-Pati-enten. Des Weiteren wurden die Daten nach Fachärzten und Hausärzten diffe-renziert, wobei sämtliche Abrechnungs-ziffern des Jahres 2001 in die Untersu-chung einbezogen wurden. Um eine Abgrenzung zu nichtrheumatologischen Behandlungsepisoden zu ermöglichen, wurden für die Berechnung nur jene Abrechnungsziffern nach EBM berück-sichtigt, die im Zusammenhang mit der rheumatischen Erkrankung in Frage kommen können [11]. Eine Übersicht der berücksichtigten Ziffern findet sich in Tabelle 2. Die Abrechnungsziffern wurden dann mit den durchschnittli-chen Punktwerten für Haus- bzw. Fach-ärzte bewertet und über die Zeit aggre-giert. So konnten in einem letzten Schritt die Kontaktpreise mit einem Punktvolumen belegt werden, analog zur Abrechnungspraxis des EBM. Da die Versorgungsstruktur der Kohorte über

Tabelle 1. Demographische und klinische Daten der unter-suchten Kohorte von 340 Patienten mit chronischer Polyar-thritis. ANA: antinukleärer Antikörper; BSG: Blutkörper-chensenkungsgeschwindigkeit; CRP: C-reaktives Protein; n: Anzahl der Patienten; SD: Standardabweichung.

Demographie• Weiblich (n) 260 (76%)• Alter (Jahre) (SD) 58,4 (11,8)

Klinische Daten• Anamnesedauer (Jahre) (SD) 8,4 (8,4)• Geschwollene Gelenke (SD) 5,2 (6,1)• Krankheitsaktivität (Arzturteil) (SD) 2,7 (2,1)• BSG (1. Stunde) (SD) 17 (15)• CRP (mg/dl) (SD) 1,0 (1,6)• ANA (positiv) (n) 101 (30%)• Rheumafaktor positiv (n) 215 (63%)• Organbeteiligung (ja) (n) 3 (1%)• Erosive Veränderungen (n) 181a (53%)• Rehabilitation (jemals) (n) 168 (49%)

Sozialer Status• Arbeitnehmer/in (n) 96 (28%)• Verheiratet (n) 248 (73%)• Rentner/in (n) 184 (54%)• Ausbildung (maximal Lehre) (n) 284 (84%)• Schulabschluss 261 (77%) (maximal Hauptschule) (n)

a Daten von 40 Patienten nicht vorhanden

Tabelle 2. Für die Berechnung relevante Bereiche des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM; Stand 2001).

Besuche beim Arzt Betrifft alle möglichen bzw. relevanten Behandlungsziffern für die Behandlung der KV (Hausarzt/rheumatologi- chronischen Polyarthritis. Dies beinhaltet z.B. die Anamnese, Körperstatus, Niedersachsenscher Internist oder Dokumentation, Verwaltungsaufwendungen, Grundgebühren, diagnostische und Facharzt) therapeutische Maßnahmen (u.a. Röntgen), beim Arzt durchgeführte Kranken- gymnastik sowie Leistungen im Zusammenhang mit ambulanten Operationen. Für die Berechnung wurden die Ziffern noch einmal arztgruppenspezifisch gruppiertRelevante EBM-Ziffern 1–6, 10, 13, 16, 17, 18, 19, 20, 25, 26, 42, 51, 60, 63–69, 72, 74, 75, 77–79, 80–98, 162 A, 162 B, 162 C, 273, 301, 384, 415, 419, 451, 452, 461–464, 490, 496, 503–505, 507–512, 514, 524, 526, 527, 530–535, 553–554, 741, 755, 760, 768, 1242, 2437, 2440–2443, 2445, 2447, 2475, 2476, 2480–2482, 2485, 2486, 2490–2498, 5015, 5019–5024, 5030–5032, 5034, 5210, 5211, 5222, 5300, 5425–5428, 5467, 5520, 5521, 7070, 7071, 7103, 7111, 7120–7122, 7125Laborleistungen Beinhaltet für die Rheumatologie typische Abrechnungsziffern, z.B. Entzündungs- KV parameter, Rheumafaktor, Blutbild, immunologische Tests NiedersachsenRelevante EBM-Ziffern 3450, 3452, 3499–3501, 3510–3514, 3610–3613, 3615, 3620, 3623, 3660–3671, 3680–3683, 3685–3698, 3694-3698, 3700, 3730, 3731, 3733, 3740–3743, 3800, 3841–3844, 3746, 3850–3852, 3890, 3915, 4034, 4035, 4166, 4267, 4275, 4276, 4278, 4279, 4310, 4338, 4339, 4365, 4366, 4368, 4395, 4397, 4405–4411, 4414, 4417, 4419, 4420, 4455, 4523–4526, 4551–4554, 4556, 4557, 4560, 4561, 4563, 4565, 4570, 4571, 4580–4583, 4585, 4586, 4635, 4636, 4670, 4672–4674, 4695, 4821, 4825, 4900, 4952, 4981

Inhalte Datenquelle

VERSORGUNGSFORSCHUNG

Mittendorf T, et al.Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer Polyarthritis

Med Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)258

1 Jahr verfolgt wurde, bildet jenes Punktvo-lumen die übliche Ver-sorgung eines cP-Pati-enten pro Besuch in Niedersachsen ab.

Diese Vorgehens-weise unterstellt als Kern der Untersu-chung keine Limitie-rung der abgerechne-ten Leistungen. Alle abgerechneten Ziffern werden bewertet und gehen in die Untersu-chung mit ein. Dies ist aufgrund der Budge-tierung nicht die Rea-lität bei der Abrech-nung ambulanter Leis-tungen in Deutschland. Über den Honorarver-teilungsmaßstab wird, vereinfacht ausge-drückt, ambulant täti-gen Medizinern ein Höchstpunktvolumen pro Patient und Quar-tal zugestanden. Dieses Punktvolumen wird durch die Kassenärzt-lichen Vereinigungen im jeweiligen Bundes-land festgelegt. Bei der Abrechnung werden alle Leistungen gemel-det, aber nicht zwin-gend aufgrund der Budgetierung abge-rechnet. An diesem Punkt wird nicht nur in der rheumatologi-schen Versorgung an-gesetzt und diskutiert, ob die erbrachten Leis-tungen ausreichend vergütet werden oder ob hier durch den Ho-norarverteilungsmaß-stab eine Kappung weit unterhalb der „fairen“ Vergütung betrieben wird.

In der Berechnung wurde zum einen der Gesamtkontaktpreis ermittelt, zum anderen wurden die Kontakt-preise für reine Labor-leistungen und für Ta

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VERSORGUNGSFORSCHUNG

259Mittendorf T, et al.

Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer PolyarthritisMed Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)

Weitere Facharztgruppen wurden in der untersuchten Kohorte vorrangig zur Abklärung weiterer Fragestellungen oder für spezielle Untersuchungen hin-zugezogen. Die Gesamtkosten in der vierten Spalte bilden die Durchschnitts-kosten einschließlich der Laborleistun-gen ab. Diese Zahlen wurden für evtl. in zukünftigen Studien aufkommende spezielle Fragestellungen noch weiter unterteilt nach den durchschnittlichen Kosten für veranlasste Laborleistungen und für die reinen ärztlichen Leistungen inkl. der technischen Untersuchungen ohne Labor. Bei den weiteren Facharzt-gruppen wurde auf diese detaillierte Darstellung aufgrund der kleineren Fall-zahlen verzichtet.

Das Punktvolumen am Ende von Tabelle 3 (660 Punkte beim Gesamt-wert) ergibt sich aus der Umrechnung der jeweiligen Kontaktkosten mit den in Tabelle 3 angegebenen Punktwerten. Da die untersuchte Kohorte über 1 Jahr betrachtet wurde und damit die typische Versorgungsstruktur abbilden sollte, kann dieses Punktvolumen in folgenden Untersuchungen mit dem aktuellen Punktwert bewertet werden, um den aktuellen Kontaktpreis zu ermitteln.

Betrachtet man die Versorgung der Kohorte über alle beteiligten Arztgrup-pen hinweg, ergeben sich bei 9 246 Konsultationen durchschnittliche Be-handlungskosten pro Arztkontakt (nicht fachgruppenspezifisch) von € 16,82 (Standardfehler 0,2759; Median 4,2309; Spannweite 243,56). Die Gesamtbe-handlungskosten für die rheumatolo-gische Versorgung der Kohorte im Jahr 2001 über alle Fachgruppen hinweg ergeben unter Nichtbeachtung der Budgetierung Kosten in Höhe von € 155 553,–.

Die Verteilung der Kosten eines ein-zelnen Arztkontakts ist schief, was groß-teils auf die Struktur des deutschen Ab-rechnungssystems zurückzuführen ist, nach der die relativ hoch bewertete Or-dinationsgebühr nach Ziffer 1 nicht mehrfach pro Quartal angerechnet wer-den kann. Dies wirkt sich entsprechend in Folgevisiten innerhalb des Quartals aus (Abbildungen 1 und 2). Insofern sinken tendenziell die durchschnittli-chen Kosten pro Arztkontakt mit der Zunahme der Konsultationsfrequenz eines Patienten innerhalb eines Quartals, da die Ziffer 1 nicht mehr in Anwen-dung gebracht wird. Bei der Berechnung

ärztliche Konsultationsleistungen inkl. der technischen Leistungen getrennt ermittelt. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass teilweise zur Kontrolle fast ausschließlich Laborwer-te und nur minimale ärztliche Leistun-gen erbracht bzw. erhoben werden. Über die getrennte Darstellung kann ein differenziertes Bild der rheumato-logischen Versorgung gegeben und über das Punktvolumen zudem der „übliche“ Arztkontakt in der betrachteten Kohor-te abgebildet werden. Durch die zusätz-liche Angabe des Punktwertes lässt sich so bei einer Veränderung des Punkt-werts unter Verwendung des Punktvo-lumens der jeweils aktuelle Kontaktpreis ermitteln.

Bei der Strukturierung der Daten wurde einer standardisierten Matrix zur Erfassung von Kostendaten gefolgt [12, 13], und aktuelle gesundheitsökonomi-sche Standards zur Bewertung der Kos-ten wurden angewandt [14]. Weiterge-hende Ergebnisse zu Kostenstrukturen bei cP-Patienten in Deutschland finden sich in anderen Publikationen unserer Arbeitsgruppe [15–19].

Die Aufbereitung der Daten und die Berechnung erfolgten mittels Microsoft Access, Excel und der Statistiksoftware SPSS Version 10.

Ergebnisse

In Tabelle 3 sind die Ergebnisse der Untersuchung komprimiert dargestellt. Der besondere Fokus liegt auf der Dar-stellung der Leistungen, die von den Rheumatologen erbracht werden. Bei der Darstellung der Kontaktkosten bei Rheumatologen sind in Tabelle 3 je-weils zwei Zeilen zu finden, die zum einen die Kosten bei „hausärztlicher“ und zum anderen bei „fachärztlicher“ Vergütung auflisten. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Zulassungsmodalitäten in einzelnen KV-Bereichen viele Rheumatologen nicht die Zulassung als Facharzt ge-wählt haben und somit unter die haus-ärztliche Vergütungsstruktur fallen. Unterstellt man hierbei ein eher tech-nisches Problem und keine grundle-gende Änderung der von diesen Rheu-matologen praktizierten Versorgungs-struktur, dann können die angegebenen Summen auch in anderen KV-Berei-chen mit der geschilderten Problematik angewandt werden.

der Preise pro Arztkontakt wurde keine Deckelung der Punktwerte berücksich-tigt, d.h., mehr erbrachte Leistungen nach EBM werden nicht gekürzt oder führen nicht zu einem Sinken des Punktwerts. Das Ziel der Untersuchung war, die Versorgungsrealität unter dem Aspekt des Ressourcenbedarfs genau dar-zustellen.

DISKUSSION

Die fachrheumatologische ambulante Versorgung in Niedersachsen ist geprägt durch eine weitgehende Dezentralisie-rung mit einem speziellen Fokus auf niedergelassene Rheumatologen. In an-deren Bundesländern haben z.B. Kran-kenhausambulanzen teilweise einen höheren Stellenwert in der Versorgung. Dies spiegelt sich natürlich in der un-tersuchten Kohorte wider. Die Vergü-tung von Leistungen, die von ermäch-tigten Rheumatologen an Krankenhäu-sern erbracht werden, kann sich ebenfalls stark von der Vergütung nach EBM un-terscheiden (z.B. Pauschalen). Insofern können die Daten keine Allgemeingül-tigkeit für die Versorgung von cP-Pati-enten in solchen Versorgungssettings erheben.

Durch die Beobachtung der Kohor-te über ein volles Kalenderjahr konnten auch nicht häufig veranlasste Untersu-chungen (z.B. Abklärungen durch Rönt-gen, MRT-Untersuchungen oder kran-kengymnastische Leistungen) klar abge-bildet werden und somit in die Beschrei-bung der Versorgungsstruktur mit eingehen. Dies ist ein großer Vorteil ge-genüber Untersuchungen, die sich nur auf einen Stichpunkt oder eine Behand-lungsepisode beziehen.

Um über die These der Untersu-chung, dass die Vergütung der cP-bezo-genen Leistungen hinter dem tatsächli-chen (vor allem zeitlichen) Aufwand hinterherhinkt, eine Aussage machen zu können, soll eine Gegenüberstellung mit den geltenden Budgets helfen. Die Ver-gütung in der ambulanten Versorgung in Deutschland ist durch die Vorschriften der jeweiligen Honorarverteilungsmaß-stäbe für den überwiegenden Teil der Leistungen durch Deckelungen einge-schränkt. Die vorliegende Untersuchung fand in Niedersachsen statt. Werden die Angaben des hiesigen Honorarvertei-lungsmaßstabes ([20], insbesondere die Anlagen 4 und 5) berücksichtigt, stehen

VERSORGUNGSFORSCHUNG

Mittendorf T, et al.Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer Polyarthritis

Med Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)260

hausärztlichen Internisten € 34,07 und Rheumatologen € 37,36 für die Be-handlung eines cP-Patienten maximal

schnitt der Gruppe, Punktwerte wie in Tabelle 3). Aus der Betrachtung der durchschnittlichen Frequenz (3,3 Besu-che/Quartal) und des durchschnittlichen Kontaktpreises bei den Rheumatologen (Bewertung der tatsächlich erbrachten Leistungen ergibt € 22,71–25,33) wird deutlich, dass weit mehr Leistungen mit entsprechendem Zeitaufwand erbracht werden, als dies durch die gedeckelte Vergütung abgegolten wird. Die in der Untersuchung ermittelten Frequenzen bei Arztbesuchen decken sich mit Be-obachtungen, die im Rahmen der bereits erwähnten Kerndokumentation erho-ben wurden, nach der ca. 45% der cP-Patienten bis zu 3 Besuche/Jahr und 55% 3–10 Besuche/Jahr beim Facharzt haben [6].

Aus der Darstellung darf jedoch nicht gefolgert werden, dass die Versor-gung von cP-Patienten in der hausärzt-lichen Versorgung kostengünstiger an-zusiedeln wäre. Dies ist allein deswegen falsch, da es sich bei der untersuchten Kohorte um cP-Patienten handelt, die von Fachrheumatologen geführt werden, welche den Großteil der Versorgung übernehmen, so dass der Aufwand zu-mindest partiell von den Hausärzten zu den Rheumatologen verschoben ist. In-sofern stellt die Selektion der Kohorte hier einen gewissen Bias dar, der durch die Selektionskriterien begründet ist. Die Patienten waren bekannt und wur-den von Rheumatologen in einer Dau-ertherapie auf die Krankheit eingestellt. So können die Kontaktkosten nicht auf eine Versorgungssituation angewandt werden, die z.B. nicht eindeutig dia-gnostizierte Patienten bei Hausärzten betrachtet.

Bei der Verwendung der dargestell-ten Abrechnungsdaten der Kassenärztli-chen Vereinigung ergibt sich ein Nach-teil, der mit der Lieferung der Daten durch die Ärzte zusammenhängt. Auf-grund des chronischen Charakters der Erkrankung wird bei Patienten mit cP bei jeder Konsultation der Diagnose-schlüssel der cP mit an die Kassenärzt-liche Vereinigung übermittelt, auch wenn der Behandlung durch den Arzt eine andere Ursache zugrunde liegt. Diese Problematik bezieht sich vorran-gig auf Hausärzte und ist bei Fachärzten und vor allem bei Rheumatologen nicht so ausgeprägt, da hier nur sehr einge-schränkt andere Erkrankungen behan-delt werden. Hierdurch kann es zum

als Vergütung pro Quartal zu (Annah-men: 75% Rentneranteil, Einzelpraxis, Patientenzahl entspricht dem Durch-

Kosten des Arztkontaktes beim Rheumatologen225205185165145125105856545255

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SD = 34,00 Mittel = 25n = 4488,00

Abbildung 1. Darstellung der Frequenz der Arztkontaktpreise beim Rheumatologen. n: Gesamt-anzahl der Kontakte bei Rheumatologen innerhalb der Kohorte in 2001.Die Graphik gibt wieder, in welcher Frequenz einzelne Kontaktpreise für Arztkontakte unter allen Konsultationen vorkommen. So liegt der Preis bei ca. 2 300 Arztkontakten bis zu € 5,–. Dies ist hauptsächlich durch die dargestellte Abrechnungsmodalität bedingt. Patienten mit cP benötigen jedoch eine kontinuierliche Unterstützung durch den Hausarzt bzw. Rheumatologen, weswegen eine Betrachtung der durchschnittlichen Kosten angemessen erscheint.

Kosten des Arztkontaktes beim hausärztlichen Allgemeinmediziner62,552,542,532,522,512,52,5

Anz

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SD = 8,63 Mittel = 8,0n = 3901,00

Abbildung 2. Darstellung der Frequenz der Arztkontaktpreise bei hausärztlichen Allgemeinmedi-zinern (s. Anmerkungen zu Abbildung 1).

VERSORGUNGSFORSCHUNG

261

Einschluss von Konsultationen gekom-men sein, die keinen rheumatologischen Hintergrund haben. In einer weiteren Untersuchung der Arbeitsgruppe [15] wurde der Anteil der cP-Kosten an den Gesamtkosten (inkl. Krankenhaus, Me-dikamenten sowie Heil- und Hilfsmit-teln) mit ca. 60% ermittelt, wobei sich die nicht cP-bezogenen Kosten zum Großteil auf Krankenhausepisoden und Medikamente verteilen und somit von einem überschaubaren Anteil der Kon-sultationen ausgegangen werden kann, die sich nicht auf eine cP-Episode be-ziehen, zumal das Volumen der Kosten bei hausärztlichen Allgemeinmedizinern mit € 8,02 unkritisch erscheint.

Hier besteht jedoch weiterer For-schungsbedarf, da gerade im Hinblick auf eine detaillierte Analyse der Kosten der cP im hausärztlichen Bereich Fragen der Differenzierung von Krankheitskos-ten bestehen.

Ein weiterer Nachteil ergibt sich durch die Vereinfachung des Diagnose-spektrums auf eine Indikation, wenn-gleich dieser Bereich den höchsten Stel-lenwert bei Rheumatologen einnimmt. Die Patientenklientel einer durchschnitt-lichen rheumatologischen Praxis wird nicht nur die cP, sondern viele weitere Erkrankungen des rheumatischen For-menkreises umfassen. Die Vergütungs-situation pro Arztkontakt in diesen an-deren Indikationen könnte sich von der hier dargestellten erheblich unterschei-den. Dies gilt in positiver wie in nega-tiver Hinsicht auf den „Deckungsbei-trag“. Insofern können Substitutionsef-fekte zwischen unterschiedlichen Pati-entengruppen innerhalb der Praxis nicht abgebildet werden. Des Weiteren wird in der Versorgung der Patienten bei den teilnehmenden Rheumatologen eine identische Qualität bei der Versorgung unterstellt. Dies ist in der Praxis sicher-lich näher an der jeweiligen Situation zu prüfen. Den Rheumatologen wurden in der zugrundeliegenden Studie keine Behandlungsleitlinien vorgegeben; in-sofern spiegeln sich in der Summe der ermittelten Ergebnisse u.U. unterschied-liche Behandlungskonzepte der teilneh-menden Rheumatologen wider.

Den Autoren sind keine detaillierten Untersuchungen bekannt, die sich mit den Kontaktkosten der cP oder auch anderen chronischen Erkrankungen in Deutschland beschäftigen. Für die wei-tere Diskussion gerade vor dem Hinter-

grund anstehender Umstrukturierungen der ambulanten Vergütung und damit der Versorgungsstrukturen ist das Feld der Arztkontaktkosten ein wichtiger Baustein, in dem weitere Studien Hin-weise auf neue Vergütungsstrukturen geben können.

Mit der Festlegung des Punktvolu-mens für einen durchschnittlichen Arzt-kontakt durch die vorliegende Studie kann durch die Variierung des Punkt-werts ein alternativer Kontaktpreis er-mittelt werden, da die Versorgungsstruk-tur auch unter neuen Punktwerten er-halten bleibt. So ist das Punktvolumen eine fixierte Größe, die künftige Anpas-sungen an den aktuellen Kontaktpreis erlaubt. Die für künftige Berechnungen benötigten Daten können Tabelle 3 ent-nommen werden.

Danksagung

Die Ergebnisse konnten durch die Un-terstützung des Forschungsprojekts aus Mitteln des Kompetenznetzes Rheuma (Projekt C 5.1) realisiert werden. Der AOK – Die Gesundheitskasse für Nie-dersachsen und der KV Niedersachsen danken wir für die tatkräftige Unterstüt-zung bei der Lieferung der Daten.

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KorrespondenzanschriftDipl.-Ök. Thomas MittendorfForschungsstelle für Gesundheitsökonomie und GesundheitssystemforschungUniversität HannoverKönigsworther Platz 130167 HannoverTelefon (+49/511) 762-5094Fax -5081E-Mail: [email protected]

Mittendorf T, et al.Kontaktpreise für Arztbesuche bei chronischer Polyarthritis

Med Klin 2005;100:255–61 (Nr. 5)