Aschinger hat ein groBes Cafe und Restaurant. Wer …¶blin.pdfAschinger hat ein groBes Cafe und...

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Fiinftes Buch E_ine rasche hrhoftm g, der Mann steht wieder da, wo er stand, er h a/ mch:s erkannt. Jetzt fa/It der erste schwere Stre ich a1jl ihn. Er w1rd m em V e rbrechen hinein!J!rissen,_g_ will nicht, er u iebri stch, aber er m_uf! miissen. . Er wehrt tapjer und wild mzt Handen und Fiijen, aber es hi lj l mchts, es geht uber ihn, er mujf miissen. auf dem Alex, Hundekalte. Nachstes Jahr 192 9 , wirds noch kalter ' Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie w1e mchts 1n den Boden. . Eisige Luft. Februar. Die Menschen gehen in Manteln. Wer e!nen Pelz tragt wer keinen hat, tragt keinen. haben Strumpfe und miisg:o frieren aber es sieht liubsch aus. enner naben sich vor der en. 'Y'enn warm 1st, stecken sie wieder ihre Nasenraus. Inzwischen su!!eln s1e . doppelte Schnaps, aber was fiir welchen, man mochte mcht als Le1che drin schwimmen. rumm haut die Dampframme auf dem Alexander- platz. Viele Men.schen haben Zeit und gucken sich an, wie die Ramme haut. E!n Mann oben zieht immer eine Kette dann pafft es und ratz hat die Stange eins auf den Kopf . Da stehen und Frauen und besonders die Jungens und freuen s1ch, w1e das :atz kriegt die Stange eins den _Kopf. 1st s1e _kle!n w1e eine Fingerspitze, dann Jn:iegt s1e 1mmer e!ns, da kann sie machen, was sie will:. Zuletzt 1st s1e weg, Donnerwetter, die haben sie fein ein- gepokelt, man zieht befriedigt ab. . Alles ist mit Brettern belegt. Die Berolina stand vor Tietz, e!ne Hand ausgestreckt, war ein kolossales Weib die haben sie Vielleicht schmelzen sie sie eir: und machen Medaillen draus. Wie die Bienen sind sie iiber den Boden her. Die basteln und murksen zu Hunderten rum den ganzen Tag und die Nacht. 144 Ruller miler fahren die Elektrischen, Gelbe mit .Anhaiigern, er den holzbelegten Alexanderplatz, Abspringen ist gefahr- 1 h. Der Bahnhof ist breit freigelegt, EinbahnstraBe nach der · onigstraBe an Wertheim vorbei. Wer nach dem Osten will, uB hinten rum am Prasidium vorbei durch die KlosterstraBe. t ie Ziige rummeln vom Bahnhof nach der Jannowitzbriicke, lie Lokomotive blast oben Dampf ab, grade iiber dem Pralaten ceht sie, SchloBbrau, Eingang eine Ecke weiter. Uber den Damm, sie legen alles hin, die ganzen Hauser an der tadtbahn legen sie hin, woher sie das Geld haben, die Stadt erlin ist reich, und wir bezahlen die Steuern. Loeser und Wolff mit dem Mosaikschild haben sie abgeris- en 20 Meter weiter steht er schon wieder auf, und driiben v or der:i Bahnhof steht er nochmal. Loeser und Wolff, Berlin-El- bi ng erstklassige Qualitaten in allen Geschmacksrichtungen, Brasil, Ravanna, Mexiko, Kleine Trosterin, Liliput, Zigarre Nr. 8, das Stiick 2 5 Pfennig, Winterballade, Packung mit 2 5 Stiick, 20 Pfennig, Zigarillos Nr.10, unsortiert, Sumatradecke, cine Spezialleistung in dieser Preislage, in Kisten zu hundert tiick, 10 Pfennig. Ich schlage alles, du schlagst alles, er schlagt alles mit Kisten zu 50 Stiick und Kartonpackung zu 10 Stiick, Versand nach allen Landern der Erde, Boyero 2 5 Pfennig, diese Neuigkeit brachte uns viele Freunde, ich schlage alles, du schlagst lang hin. . . Neben dem Pralaten ist Platz, da stehen die Wagen rmt Ba- nanen. Gebt euren Kindern Bananen. Die Banane ist die sau- berste Frucht, da sie durch ihre Schale vor Insekten, Wiirmern sowie Bazillen geschiitzt ist. Ausgenommen sind solche Insek- ten Wiir mer und Bazillen, die durch die Schale kommen. Ge- hei:ruat Czerny hat mlt Nachdruck darauf hingewiesen, daB selbst Kinder in den ersten Lebensjahren. Ich zerschlage alles, du zerschlagst alles, er zerschlagt alles. . Wind gibt es am Alex, an Ecke !1etz zieht es lausig. Es gibt W!nd, der pustet rein und auf die Baugruben. Man mochte s1ch 1n die Kne1pen verstecken, aber wer kann das, das blast durch die Hosenta- schen, da merkst du, es geht was vor, es wird nicht gefackel_t, man muB lustig sein bei dem Wetter.friihmorgens komme_n die_ Arbeiter angegondelt, von Reinickendorf, Neukolln, We1Ben- see ratt oder nicht kalt, Wind oder nicht Wind, Kaffeekanne her, pack die Stullen ein, wir miissen scbuften, sitzen die Drohnen, die schlafen in ihre Federbetten und saugen uns aus. 145

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Fiinftes Buch

E_ine rasche hrhoftmg, der Mann steht wieder da, wo er stand, er ha/ mch:s erkannt. Jetzt fa/It der erste schwere Streich a1jl ihn. Er w1rd m em V erbrechen hinein!J!rissen,_g_ will nicht, er uiebri stch, aber er m_uf! miissen.

. Er wehrt tapjer und wild mzt Handen und Fiijen, aber es hiljl mchts, es geht uber ihn, er mujf miissen.

auf dem Alex, Hundekalte. Nachstes Jahr 1929, wirds noch kalter '

Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie

w1e mchts 1n den Boden. . Eisige Luft. Februar. Die Menschen gehen in Manteln. Wer

e!nen Pelz tragt wer keinen hat, tragt keinen. haben Strumpfe und miisg:o frieren aber es sieht

liubsch aus. enner naben sich vor der en. 'Y'enn warm 1st, stecken sie wieder ihre Nasenraus. Inzwischen su!!eln s1e. doppelte Schnaps, aber was fiir welchen, man mochte mcht als Le1che drin schwimmen.

rumm haut die Dampframme auf dem Alexander-platz. Viele Men.schen haben Zeit und gucken sich an, wie die Ramme haut. E!n Mann oben zieht immer eine Kette dann pafft es und ratz hat die Stange eins auf den Kopf. Da stehen und Frauen und besonders die Jungens und freuen s1ch, w1e das :atz kriegt die Stange eins

den _Kopf. 1st s1e _kle!n w1e eine Fingerspitze, dann Jn:iegt s1e 1mmer e!ns, da kann sie machen, was sie will:. Zuletzt 1st s1e weg, Donnerwetter, die haben sie fein ein-gepokelt, man zieht befriedigt ab. . Alles ist mit Brettern belegt. Die Berolina stand vor Tietz,

e!ne Hand ausgestreckt, war ein kolossales Weib die haben sie Vielleicht schmelzen sie sie eir: und machen

Medaillen draus. Wie die Bienen sind sie iiber den Boden her. Die basteln und

murksen zu Hunderten rum den ganzen Tag und die Nacht. 144

Ruller miler fahren die Elektrischen, Gelbe mit .Anhaiigern, er den holzbelegten Alexanderplatz, Abspringen ist gefahr-

1 h. Der Bahnhof ist breit freigelegt, EinbahnstraBe nach der · onigstraBe an Wertheim vorbei. Wer nach dem Osten will, uB hinten rum am Prasidium vorbei durch die KlosterstraBe.

t ie Ziige rummeln vom Bahnhof nach der Jannowitzbriicke, lie Lokomotive blast oben Dampf ab, grade iiber dem Pralaten ceht sie, SchloBbrau, Eingang eine Ecke weiter.

Uber den Damm, sie legen alles hin, die ganzen Hauser an der tadtbahn legen sie hin, woher sie das Geld haben, die Stadt erlin ist reich, und wir bezahlen die Steuern. Loeser und Wolff mit dem Mosaikschild haben sie abgeris-

en 20 Meter weiter steht er schon wieder auf, und driiben vor der:i Bahnhof steht er nochmal. Loeser und Wolff, Berlin-El-bing erstklassige Qualitaten in allen Geschmacksrichtungen, Brasil, Ravanna, Mexiko, Kleine Trosterin, Liliput, Zigarre Nr. 8, das Stiick 2 5 Pfennig, Winterballade, Packung mit 2 5 Stiick, 20 Pfennig, Zigarillos Nr.10, unsortiert, Sumatradecke, cine Spezialleistung in dieser Preislage, in Kisten zu hundert

tiick, 10 Pfennig. Ich schlage alles, du schlagst alles, er schlagt alles mit Kisten zu 50 Stiick und Kartonpackung zu 10 Stiick, Versand nach allen Landern der Erde, Boyero 2 5 Pfennig, diese Neuigkeit brachte uns viele Freunde, ich schlage alles, du schlagst lang hin. . .

Neben dem Pralaten ist Platz, da stehen die Wagen rmt Ba-nanen. Gebt euren Kindern Bananen. Die Banane ist die sau-berste Frucht, da sie durch ihre Schale vor Insekten, Wiirmern sowie Bazillen geschiitzt ist. Ausgenommen sind solche Insek-ten Wiirmer und Bazillen, die durch die Schale kommen. Ge-hei:ruat Czerny hat mlt Nachdruck darauf hingewiesen, daB selbst Kinder in den ersten Lebensjahren. Ich zerschlage alles, du zerschlagst alles, er zerschlagt alles. .

Wind gibt es am Alex, an Ecke !1etz zieht es lausig. Es gibt W!nd, der pustet rein und auf die Baugruben. Man mochte s1ch 1n die Kne1pen verstecken, aber wer kann das, das blast durch die Hosenta-schen, da merkst du, es geht was vor, es wird nicht gefackel_t, man muB lustig sein bei dem Wetter.friihmorgens komme_n die_ Arbeiter angegondelt, von Reinickendorf, Neukolln, We1Ben-seeratt oder nicht kalt, Wind oder nicht Wind, Kaffeekanne her, pack die Stullen ein, wir miissen scbuften, sitzen die Drohnen, die schlafen in ihre Federbetten und saugen uns aus.

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Aschinger: Bierhalle am Alexanderplatz https://de.wikipedia.org/wiki/Aschinger#/media/File:Der_Alexanderplatz_um_1908.jpg
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Penner (Berliner Dialekt): ein obdachloser Mensch
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süffeln (Berliner Dialekt): Alkohol trinken
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das geht wie geschmiert (idiomatisch): das ist einfach
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etwas einpökeln (Berliner Dialekt): etwas schaffen
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Berolina: eine Statue am Alexanderplatz, 1927 entfernt. Tietz: Kaufhaus am Alexanderplatz
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Wertheim: Kaufhaus am Alexanderplatz
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Prälat: Restaurant am Alexanderplatz
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der Damm (Berliner Dialekt): die Straße
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die Schienen: in Berlin wird 1929 die U-Bahn gebaut
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Loeser und Wolff, Berlin-Elbing: Berliner Tabakladen. (Elbing ist eine Stadt in Polen mit einer Tabakfabrik).
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Bitte lesen Sie mindestens bis hier!

Aschinger hat ein groBes Cafe und Restaurant. Wer kein 1

Bauch hat, kann einen kriegen, wer einen hat, kann ihn beliebi • vergroBern. Die Natur laBt sich nicht betrugenl Wer glaub1. aus entwertetem WeiBmehl hergestellte Brote und Backwar n durch kunstliche Zus:ltze verbessern zu konnen der t:luscht sich u_nd d.ie Die Natur hat ihre Lebensgeset7. und racht Jeden MtBbrauch. Der erschutterte Gesundheitszu stand fast aller Kulturvolker der Gegenwart hat seine Ursach im GenuB entwerteter und kunstlich verfeinerter Nahrung Peine Wurstwaren auch auBer dem Haus, Leberwurst und Blutwurst billig.

Das hochinteressante >Magazin< statt eine Mark bloB 20 Pfennig, die >Ehe< pikant bloB 20 Pfennig. Der Ausrufer pafft Zigaretten, hat eme Schiffermutze auf, ich schlage alles.

Von Osten her, WeiBensee, Lichtenberg, Friedrichshain, Frankfurter Allee, tiirmen die gelben Elektrischen auf den Platz durch die Landsberger StraBe. Die 65 kommt vom Zentralvieh· hof, der GroBe Ring Weddingplatz, Luisenplatz, die 76 Hunde-kehle uber Hubertusallee. An der Ecke Landsberger StraBe ha-ben sie Friedrich Hahn, ehemals Kaufhaus, ausverkauft, leer-gemacht und werden es zu den V:ltern versammeln. Da halten die Elektrisch.en und Auto bus. 19 TurmstraBe. Wo J iirgens

haben ste das Haus abgerissen und emen Bauzaun hingesetzt. Da sitzt ein alter Mann mit

Arztwaage: Konhollieren Sie Ihr Gewicht, 5 Pfennig. O ltebe Bruder und Schwestern, die ihr uber den Alex wimmelt gonnt euch diesen Augenblick, seht durch die Lucke neben de; Arztwaage auf diesen Schuttplatz, wo einmal Jurgens florierte und da steht noch das Kaufhaus Hahn, leergemacht, r:lumt und ausgeweidet, daB nur die roten Fetzen noch an den

kleben. Ein Mullhaufen liegt vor uns. Von Erde btst du gekommen, zu Erde sollst du wieder werden wir haben gebauet ein herrliches Haus, nun geht hier kein weder re!n noch raus. So ist kaputt Rom, Babylon, Ninive, Hannibal, Casar, alles kaputt, oh, denkt daran. Erstens habe ich dazu zu

man diese St:ldte jetzt wieder ausgr:lbt, wie die Abbtldungen tn der letzten Sonntagsausgabe zeigen, und zwei-tens haben diese St:ldte ihren Zweck erfiillt und man kann nun wieder neue St:ldte bauen. Du jammerst nicht uber deine alten Hosen, wenn sie morsch und kaputt sind, du kaufst neue, davon lebt die Welt. 146

Die beherrscht gewaltig den Platz. Sie in mehre-cen Exemplaren auf dem Platz. Jedes Exemplar wtrft Kenner-blicke nach zwei Seiten und weiB die Verkehrsregeln auswen-dig. Es hat Wickelgamaschen an den Beinen, ein Gummiknup-pel h:lngt ihm an der rechten Seite, die Arme schwenkt es hori-zontal von Westen nach Osten, da kann Norden, Suden nicht weiter, und der Osten ergieBt sich nach Westen, der Westen nach Osten. Dann schaltet sich das Exemplar selbsttatig um: Der Norden ergieBt sich nach Suden, der Suden nach Norden. Scharf ist der Schupo auf Tallie gearbeitet. Auf seinen erfolgten Ruck laufen uber den Platz in Richtung KonigstraBe etwa 30 private Personen, sie halten z':1m Teil auf der Schutzinsel,. ein Teil erreicht glatt die Gegensette und wandert auf wetter. Ebenso viele haben sich nach Osten aufgemacht, ste smd den andern entgegengeschwommen, es ist ihnen ebenso aber keinem ist was passiert. Es sind Manner, Frauen und Kin-der die letzteren meist an der Hand von Frauen. Sie alle aufzu-zahien und ihr Schicksal zu beschreiben, ist chwir.mo.glich es_ kbnnte nur et etnigen gelingenaDer Wind wirft gleichmaBig H:lcksel uber alle. Das Gesicht er Ostwanderer ist in nichts unterschieden von dem der West-, Sud- und Nordwanderer, sie vertauschen auch ihre Rollen, und die jetzt uber den Platz zu Aschinger gehen, kann man nach einer Stunde vor dem leeren Kaufhaus Hahn finden. Und ebenso mischen sich die, die von der BrunnenstraBe kommen und zur Jannowitzbrucke wollen, mit den umgekehrt Gerichteten. Ja, viele biegen auch seitlich um von Suden nach Osten, von Suden nach Westen, von Nor-

nach Osten. Sie sind so gleichmaBig wie die, die im Auto-bus in den Elektrischen sitzen. Die sitzen alle in verschiedenen

da und machen so das auBen angeschriebene Ge-wicht des Wagens schwerer. Was in ihnen vorgeht, wer kann X das ermitteln, ein ungeheures Kapitel. Und wenn man estate, wem diente es ?-SC on · e alten gehen nicht, und im Jahre 27 ist der Buchabsatz gege?- 26 um zent zuruckgegangen. Man nehme dte Leute emfach als Pnvat-personen, die 20 Pfennig bezahlt haben, mit Ausnahme der sitzer von Monatskarten und der Schuler, die nur 10 Pfenrug zahlen, und da fahren sie nun mit ihrem Gewicht von einem Zentner bis zwei Zentner, in ihren Kleidern, mit Taschen, Pa-keten Schusseln, Huten, kunstlichen Gebissen, Bruchb:lndern uber den Alexanderplatz und bewahren die geheimnisvollen Iangen Zettel auf, auf denen steht: Linie 12 SiemensstraBe DA,

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GotzkowskistraBe C, B, Oranienburger Tor C, C, Kottbuser Tor A, geheimnisvolle Zeichen, wer kann es raten, wer kann es nennen und wer bekenneri, drei Worte nenn ich dir inhalt-schwer, und die Zettel sind viermal an bestimmten Stellen ge-locht, und auf den Zetteln steht in demselben Deutsch, rnit dem die'Bibel geschrieben ist u'nd das Biirgerliche Gesetzbuch: Giil-tig zur Erreichung des Reiseziels auf kiirzestem Wege, keine Gewiihr fiir die AnschluBbahn. Sie lesen Zeitungen verschiede-ner Richtungen, bewahren vermittels ihres Ohrlabyrinths das Gleichgewicht, nehmen Sauerstoff auf, dosen sich an, haben Schmerzen, haben keine Schmerzen, denken, denken nicht, sind gliicklich, sind ungliicklich, sind weder gliicklich noch un-gliicklich.

Rumm rumm ratscht die Ramme nieder, ich schlage alles, noch eine Schiene. Es surrt iiber den Platz vom Priisidium her, da da schmeiBt eine Zementmaschine ihre Ladung um. Herr Adolf Kraun, Hausdiener, sieht zu, das Umkippen der Wagen fesselt ihn enorm, du schliigst alles, er schliigt alles . Er lauert immer gespannt, wie die Lore mit Sand auf der einen Seite hochgeht, da kommt die Hohe, bums, und nun dreht sie sich. Man mochte nicht so aus dem Bett geschmissen sein, Beine hoch, runter mit dem Kopf, da liegst du, kann einem was passieren, aber die machen das egalweg.

Franz Biberkopf hat wieder den Rucksack um und verkauft Zeitungen. Er hat sein Quarrier gewechselt. Das Rosenthaler Tor hat er verlassen, er steht am Alexanderplatz. Er ist vollig auf dem Damm, 1,80 groB, sein Gewicht ist runter, aber es triigt sich leichter. Auf dem Kopf hat er die Zeitungsmiitze.

Krisenalarm im Reichstag, man spricht von Miirzwahlen, Aprilwahlen wahrscheinlich, wohin, Josef Wirth? der rnittel-deutsche Kampf geht weiter, es soll eine Schlichterkammer ge-bildet werden, Raubiiberfall in der TempelherrenstraBe. Er hat seinen Stand am Ausgang der Ubahn nach der AlexanderstraBe gegeniiber dem Ufa-Kino, auf dieser Seite hat sich der Optiker Fromm ein neues Geschii.ft gebaut. Franz Biberkopf sieht die MiinzstraBe runter, als er zum erstenmal in dem Gedriinge steht und denkt: wie weit ist es wohl zu den beiden Juden, die wohnen gar nicht weit, das war bei meinem ersten Malheur, vielleicht mach ich bei die mal Stippvisite, konnen rnir mal ei-nen >Volkischen Beobachter< abkaufen. Warum nicht ob sie ihn mogen, ist mir egal, wenn sie ihn bloB abkaufen. Er grient

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bei dem Gedanken, und der ganz alte Jude in Latschen war doch zu kornisch. Er sieht sich um, die Finger sind klamm, nebenan steht ein kleiner Verwachsener, der hat eine ganz krumme Nase, die ist wohl zerbrochen. Krisenalarm im Reichs-tag, das Haus H;ebbelstraBe 1 7 geriiumt wegen Einsturzgefahr, Bluttat auf dem Fischdampfer, ein Meuterer oder ein Wahn-sinniger.

Franz Biberkopf und der Verwachsene pusten sich beide in die Hiinde. Vorrnittagsgeschiift ist flau. Ein diirrer alterer Mann, abgeschabt und rnierig sieht er aus, der macht sich an Franzen ran. Hat einen griinen Filzhut auf und fragt Franzen, wie es rnit Zeitung ist. Hat Franz auch mal gefragt. »Ob es fiir dich ist, Kollege, wer kann wissen.« »Ja, ich bin zweiundfuff-zich alt.« »Na eben, daher, rnit fuffzich fii.ngt doch die Mauke an. Bei den PreuBen batten wir einen alten Hauptmann der Re-serve, der war erst vierzich, aus Saarbriicken, Lotterieeinneh-mer - das heiBt, sagt er, vielleicht war er Zigarrenfritze - , der hatte die Mauke schon rnit vierzich, im Kreuz. Da hat er aber stramme Haltung draus gemacht. Der ging wie ein Besenstiel auf Rollen. Der hat sich immer rnit Butter einreiben lassen. Und wies keine Butter mehr gab, so 1917, und bloB noch Palrnin, prima Pflanzenol, und ranzig war es auch noch, da hat er sich totschieBen lassen.«

»Was hilfts, in der Fabrik nehmen sie einen auch nich mehr. Und voriges Jahr haben sie mir noch operiert, in Lichtenberg, Hubertuskrankenhaus. Ein Ei ist weg, soll tuberkulOs gewesen sein, ick sage dir, ick hab noch Schmerzen.« »Na, sieh dir man vor, nachher kommt das andere auch noch ran. Da ist besser sitzen, da wirste besser Droschkenkutscher.« Der mitteldeut-sche Kampf geht weiter, die Verhandlungen ergebnislos, At-tentat auf das Mieterschutzgesetz, aufgewacht, Mieter, man nimmt dir das Dach iiber dem Kopf weg. » Ja, Kollege, Zeitun-gen kannste machen, aber laufen muBte konnen, und Stimme muBte haben, wie stehts rnits Kehlchen, Rotkehlchen, kannst du singen? Na siehst du, das ist die Hauptsache bei uns, bei uns muB man singen konnen und laufen konnen. Wir brauchen gute Schreihiilse. Die Lautsprecher machen das beste Geschiift. Eine ausgekochte Gesellschaft, sage ich dir. Kuck mal her, wie-viel Groschen sind das?« »Fiir rnich vier.« »Stimmt. Fiir dich vier. Darauf kommts an. Fiir dich. Aber wenns einer eilig hat, und dann sucht er in der Tasche, und einen Sechser hat er und dann ne Mark oder zehn Mark, frag mal die Bruder von uns, die

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