„StadtderFrauen–KünstlerinneninWienvon1900bis1938 ......2019/03/07  · auchdas...

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DIE WARTE PERSPECTIVES 6 DIE WARTE PERSPECTIVES 7 „Stadt der Frauen – Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938“ Auf Augenhöhe mit Klimt und Schiele Das Wiener Belvedere holt Künstlerinnen, die zu Unrecht kaum bekannt oder vergessen sind, ans Licht von Heiner Boberski Die Ausstellung „Stadt der Frauen – Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938“ zeigt die damalige weibliche Seite der Kunst, die den Vergleich mit der männlichen nicht scheuen musste. D ie Schau ermöglicht eine Be- gegnung mit weithin unbe- kannten oder vergessenen Vertreterinnen der bildenden Kunst. Sie läuft bis 19. Mai 2019 im Unteren Belvedere in Wien. Das Schloss Bel- vedere – es gibt ein „Unteres“ und ein „Oberes“, das einen großartigen Blick auf die Stadt bietet – ließ einst Prinz Eugen von Savoyen, der erfolgreiche Feldherr in habsburgischen Diensten, als seinen Wohnsitz errichten. Stella Rollig, die Generaldirektorin des Belvedere, verfolgt mit der aktuellen Ausstellung eine konkrete Absicht: „Das Belvedere ist berühmt für seine Sammlung aus der Zeit der Wiener Moderne. Umso mehr ist es mir ein großes Anliegen, die vergessene weib- liche Seite dieser Epoche in ihrer gan- zen Reichweite wieder sichtbar zu machen. Die Künstlerinnen jener Jah- re waren und sind eine große Inspira- tion, und ihren Werken wurde völlig zu Unrecht fast ein Jahrhundert keine Beachtung geschenkt.“ Die Schau macht vor dem Hinter- grund der Epoche des Fin de Siècle deutlich: Wie in vielen anderen Be- reichen der Gesellschaft mussten sich Frauen damals auch in der Kunst ih- ren Rang erst erkämpfen. Offiziell standen die Tore der Wiener Akade- mie der bildenden Künste Studentin- nen erst ab 1920 offen. Davor erfolgte die Ausbildung der Künstlerinnen meist durch kostspieligen, auch durch Professoren der Akademie erteilten Privatunterricht oder an Kunstgewer- beschulen und Kunstschulen für Frau- en und Mädchen. Aktzeichnen war of- fiziell tabu, die Künstlerinnen muss- ten Dienstboten oder Verwandte bitten, sich als Modelle zur Verfügung zu stellen. In den wichtigsten Künstlervereini- gungen – wie der Genossenschaft bil- dender Künstler, der Secession und dem Hagenbund – durften Frauen nicht Mitglieder werden. Es gelang immer- hin einigen, darunter den Malerinnen Olga Wisinger-Florian und Tina Blau sowie der Bildhauerin Teresa Feodo- rowna Ries, Werke im Wiener Künst- lerhaus auszustellen. 1901 schlossen sich einige Frauen zur Gruppe „Acht Künstlerinnen“ zusammen. Um von den männlichen Jurys der gro- ßen Kunstinstitutionen unabhängig zu werden, wurde 1910 die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VKBÖ) gegründet. Die Gründungs- ausstellung der neuen Vereinigung fand vom 5. November 1910 bis zum 8. Januar 1911 unter dem Titel „Die Kunst der Frau“ in der Wiener Secession statt. Kuratiert von der Bildhauerin Il- se Twardowski-Conrat und der Male- rin Marie Olga Brand-Krieghammer arbeitete diese Schau die Leistungen von Künstlerinnen vom 17. Jahrhun- dert bis in die damalige Gegenwart auf. Dass die Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts Anerkennung und Wert- schätzung seitens der männlichen Kollegen erhielten und mit ihnen auf Augenhöhe arbeiteten, belegen nicht nur viele ihnen verliehene Preise. Schon 1908 waren in der großen Kunstschau unter der Präsidentschaft von Gustav Klimt mehr als ein Drittel der 179 Künstler Frauen. Verstoß gegen Moralbegriffe Ungefähr ebenso viele Frauen, fast 60, ruft die aktuelle Schau im Unteren Bel- vedere mit 260 Exponaten aus zahl- reichen öffentlichen und privaten Sammlungen in Erinnerung. Gleich das erste Werk im ersten Raum erinnert an einen Skandal. Für die 1895 ent- standene Marmorskulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“, wurde Teresa Feodorowna Ries heftig kritisiert, verstieß doch ihre nackte Fi- gur mit lüsterner Hexenfratze gegen die damaligen Moralbegriffe. Ries, 1874 in Moskau geboren, musste sich den Zugang zu einer Malereiklasse für Fortgeschrittene an der Moskauer Akademie erschleichen, kam 1894 nach Wien und nahm Privatunterricht bei Edmund Hellmer, wurde 1901 Mitbe- gründerin der „Acht Künstlerinnen“, begab sich später viel auf Reisen und hatte Erfolg als Porträtistin (darunter von Mark Twain). Die für ihre Skulp- tur „Luzifer“ hoch dekorierte Künst- lerin, deren Selbstbewusstsein ein im Belvedere ausgestelltes Selbstporträt zum Ausdruck bringt, emigrierte in der Zeit des Nationalsozialismus in die Schweiz, wo sie 1956 in Lugano starb. Sabine Fellner, Kuratorin der Ausstel- lung, deutet an, wie viel Mühe und De- tektivarbeit in dieser Schau steckt: „Während der Vorbereitungen zur Ausstellung habe ich mich auf eine Entdeckungsreise begeben. Bilder die- ser großartigen Frauen waren teils auf Dachböden gelagert oder in Depots versteckt, ohne dass es jemand wuss- te. Wir bringen somit eine wichtige Seite der Kunstgeschichte im wahrs- ten Sinn des Wortes wieder ,ans Licht‘.“ Ein Teil der präsentierten Werke ist seit drei Generationen nicht mehr zu sehen gewesen. Viele der im Belvedere ausgestellten Künstlerinnen gingen 1938, als Öster- reich an das nationalsozialistisch regierte Deutschland angeschlossen wurde, ins Exil. Darum endet die chro- nologisch geordnete Schau auch mit diesem Jahr, das eine Zäsur in der Kunst darstellte und viele Künstlerin- nen dem Vergessen preisgab. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft und mussten flüchten, andere zwang der eingebrochene Kunstmarkt ins Exil. Nur wenige konnten nach 1945 wieder Fuß fassen. Das NS-Regime und der Zweite Weltkrieg, den manche gar nicht überlebten, ließen ihre Arbeiten aus Museen, Galerien und aus der Kunstgeschichte verschwinden. Schon 1934 war die 1863 in Polen ge- borene Malerin und Grafikerin Bron- cia Koller-Pinell in Wien gestorben, eine auf den jungen Egon Schiele Ein- fluss ausübende Künstlerin, deren Werk sich durch die ganze Ausstel- lung zieht, in Bildern wie „Orangen- hain an der französischen Riviera“, „Die Mutter der Künstlerin“ (1907), „Frühmarkt“ (1907), „Die Ernte“ (1908) oder „Stillleben mit rotem Elefanten“ (1925). Kuratorin Sabine Fellner sieht ihren Werdegang als exemplarisch für die damaligen Künstlerinnenkarrieren an: „Broncia Koller ist eine jener Ver- gessenen, die erst Schritt für Schritt wieder in die allgemeine Wahrneh- mung zurückgekehrt sind.“ Koller- Pinell habe sich über mehr als vierzig Jahre sehr eigenständig mit den da- mals aktuellen Kunstströmungen aus- einandergesetzt. Werke aller wichtigen Stilrichtungen der damaligen Zeit sind in der Aus- stellung vertreten – Impressionismus, Secessionismus, Expressionismus, Ki- netismus und Neue Sachlichkeit. Oft waren Frauen prägend für die Aus- breitung moderner Kunstströmungen in Österreich, zum Beispiel Erika Gio- vanna Klien und My Ullmann für den Kinetismus, einen der wenigen Bei- träge Österreichs zur Avantgarde der 1920er-Jahre. Der Expressionismus sei vor allem „von Frauen nach Öster- reich gebracht worden“, meint Sabine Fellner. Und während die männlichen Kollegen in Wien geblieben seien, hät- ten sich die mit beeindruckenden Bil- dern in der Schau vertretenen Künst- lerinnen Helene von Taussig („Weib- licher Akt auf blauem Stuhl“), Helene Funke („Träume“, „Akt in den Spiegel schauend“) und Lilly Steiner („Donau- weibchen“) in Paris weitergebildet. Bis zur Jahrhundertwende waren Frauen meist auf Bereiche wie Blu- men- oder Landschaftsmalerei be- schränkt. Welche Qualität sie dabei er- reichten, zeigen beispielsweise die Gemälde „Frühling im Prater“ (1882) von Tina Blau, „In der Laube“ (um 1901) von Marie Egner oder „Fallendes Laub“ (1899) und „Der erste Reif“ (um 1908) von Olga-Wisinger Florian. Später wurde zunehmend akzeptiert, dass Frauen sich auch Aktbildern und sozialkritischen Themen widmeten. Für einen Besuch dieser Ausstellung sollte man sich viel Zeit nehmen. Nicht allen werden die gleichen Objekte ins Auge springen, aber jeder wird in je- dem Raum einzelne Kunstwerke ent- decken, die ihn ansprechen und zum Innehalten und genauen Hinschauen veranlassen. Neben Exponaten der hier schon ge- nannten Künstlerinnen werden so manchen zum Beispiel die Bilder „Der blinde Musikant“ von Hermine Heller- Ostersetzer, „Ver Sacrum. Selbstbild- nis mit Sohn Peter“ (1901) von Elena Luksch-Makowsky oder „Das tote Kind“ (1913) von Johanna Kampmann- Freund berühren. Reine Lebensfreude vermittelt das Gemälde „Kindertanz“ (1905) von Eugenie Breithut-Munk. Einige werden die Bronzeplastiken von Elza Kövesházi-Kalmár, die Holz- schnitte von Margarete Hamerschlag oder die Lithografien von Lili Rethi zu Emile Zola, andere die Porträts von Trude Waehner oder die Frauenbilder der jung verstorbenen Franziska Zach besonders ansprechen. Blickfänge sind auch das „Selbstportrait mit Kamm“ (1926) von Marie-Louise von Mote- siczky oder das „Spielzeug“ (1918) von Fanny Harlfinger-Zakucka. Gespenstisch führt das Gemälde „Ver- hör I“ (1934) von Friedl Dicker, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde, die kal- te Bürokratie eines Staates vor Augen, der politisch Oppositionelle verfolgt. Der umfangreiche Katalog enthält auch die spannenden, häufig noch nicht ganz erforschten und daher unvollständi- gen Biografien der Künstlerinnen, von denen eine ganze Reihe durch den Na- tionalsozialismus ihre Heimat verlor, manche sogar ihr Leben. Auch eine be- kennende Anhängerin der NS-Ideolo- gie, die in Vorarlberg geborene Ste- phanie Hollenstein ist in der Ausstel- lung mit einigen ihrer Soldaten- und Bergbilder vertreten. Sie arisierte die VKBÖ und trug damit zum Vergessen jener weiblichen Avantgarde bei, die diese Ausstellung wieder in Erinne- rung ruft. n Marie Egner, In der Laube, um 1901 (Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien) Broncia Koller-Pinell, Die Mutter der Künstlerin, 1907 (Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien) 8 | 2608 | DONNERSTAG, DEN 7. MÄRZ 2019 DONNERSTAG, DEN 7. MÄRZ 2019 | 8 | 2608

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DIE WARTEP E R S P E C T I V E S

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DIE WARTEP E R S P E C T I V E S

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„Stadt der Frauen – Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938“

Auf Augenhöhemit Klimt und SchieleDas Wiener Belvedere holt Künstlerinnen, die zu Unrecht kaum bekannt oder vergessen sind, ans Lichtvon Heiner Boberski

Die Ausstellung „Stadt der Frauen – Künstlerinnen in Wien von 1900bis 1938“ zeigt die damalige weibliche Seite der Kunst, die den Vergleichmit der männlichen nicht scheuen musste.

D ie Schau ermöglicht eine Be-gegnung mit weithin unbe-kannten oder vergessenen

Vertreterinnen der bildenden Kunst.Sie läuft bis 19. Mai 2019 im UnterenBelvedere in Wien. Das Schloss Bel-vedere – es gibt ein „Unteres“ und ein„Oberes“, das einen großartigen Blickauf die Stadt bietet – ließ einst PrinzEugen von Savoyen, der erfolgreicheFeldherr in habsburgischen Diensten,als seinen Wohnsitz errichten.

Stella Rollig, die Generaldirektorin desBelvedere, verfolgt mit der aktuellenAusstellung eine konkrete Absicht:„Das Belvedere ist berühmt für seineSammlung aus der Zeit der WienerModerne. Umso mehr ist es mir eingroßes Anliegen, die vergessene weib-

liche Seite dieser Epoche in ihrer gan-zen Reichweite wieder sichtbar zumachen. Die Künstlerinnen jener Jah-re waren und sind eine große Inspira-tion, und ihren Werken wurde völligzu Unrecht fast ein Jahrhundert keineBeachtung geschenkt.“

Die Schau macht vor dem Hinter-grund der Epoche des Fin de Siècledeutlich: Wie in vielen anderen Be-reichen der Gesellschaft mussten sichFrauen damals auch in der Kunst ih-ren Rang erst erkämpfen. Offiziellstanden die Tore der Wiener Akade-mie der bildenden Künste Studentin-nen erst ab 1920 offen. Davor erfolgtedie Ausbildung der Künstlerinnenmeist durch kostspieligen, auch durchProfessoren der Akademie erteilten

Privatunterricht oder an Kunstgewer-beschulen und Kunstschulen für Frau-en und Mädchen. Aktzeichnen war of-fiziell tabu, die Künstlerinnen muss-ten Dienstboten oder Verwandtebitten, sich als Modelle zur Verfügungzu stellen.

In den wichtigsten Künstlervereini-gungen – wie der Genossenschaft bil-dender Künstler, der Secession unddemHagenbund – durften Frauen nichtMitglieder werden. Es gelang immer-hin einigen, darunter den MalerinnenOlga Wisinger-Florian und Tina Blausowie der Bildhauerin Teresa Feodo-rowna Ries, Werke im Wiener Künst-lerhaus auszustellen. 1901 schlossensich einige Frauen zur Gruppe „AchtKünstlerinnen“ zusammen.

Um von den männlichen Jurys der gro-ßen Kunstinstitutionen unabhängig zuwerden, wurde 1910 die Vereinigungbildender Künstlerinnen Österreichs(VKBÖ) gegründet. Die Gründungs-ausstellung der neuen Vereinigungfand vom 5. November 1910 bis zum 8.Januar 1911 unter dem Titel „Die Kunstder Frau“ in der Wiener Secessionstatt. Kuratiert von der Bildhauerin Il-se Twardowski-Conrat und der Male-rin Marie Olga Brand-Krieghammerarbeitete diese Schau die Leistungenvon Künstlerinnen vom 17. Jahrhun-dert bis in die damalige Gegenwart auf.Dass die Künstlerinnen des frühen 20.Jahrhunderts Anerkennung und Wert-schätzung seitens der männlichenKollegen erhielten und mit ihnen aufAugenhöhe arbeiteten, belegen nichtnur viele ihnen verliehene Preise.Schon 1908 waren in der großenKunstschau unter der Präsidentschaftvon Gustav Klimt mehr als ein Drittelder 179 Künstler Frauen.

Verstoß gegen MoralbegriffeUngefähr ebenso viele Frauen, fast 60,ruft die aktuelle Schau im Unteren Bel-vedere mit 260 Exponaten aus zahl-reichen öffentlichen und privatenSammlungen in Erinnerung. Gleich daserste Werk im ersten Raum erinnertan einen Skandal. Für die 1895 ent-standene Marmorskulptur „Hexe beider Toilette für die Walpurgisnacht“,wurde Teresa Feodorowna Ries heftigkritisiert, verstieß doch ihre nackte Fi-gur mit lüsterner Hexenfratze gegendie damaligen Moralbegriffe. Ries, 1874in Moskau geboren, musste sich denZugang zu einer Malereiklasse fürFortgeschrittene an der MoskauerAkademie erschleichen, kam 1894 nachWien und nahm Privatunterricht beiEdmund Hellmer, wurde 1901 Mitbe-gründerin der „Acht Künstlerinnen“,begab sich später viel auf Reisen undhatte Erfolg als Porträtistin (daruntervon Mark Twain). Die für ihre Skulp-tur „Luzifer“ hoch dekorierte Künst-lerin, deren Selbstbewusstsein ein imBelvedere ausgestelltes Selbstporträtzum Ausdruck bringt, emigrierte in derZeit des Nationalsozialismus in dieSchweiz, wo sie 1956 in Lugano starb.

Sabine Fellner, Kuratorin der Ausstel-lung, deutet an, wie viel Mühe und De-tektivarbeit in dieser Schau steckt:„Während der Vorbereitungen zurAusstellung habe ich mich auf eineEntdeckungsreise begeben. Bilder die-ser großartigen Frauen waren teils auf

Dachböden gelagert oder in Depotsversteckt, ohne dass es jemand wuss-te. Wir bringen somit eine wichtigeSeite der Kunstgeschichte im wahrs-ten Sinn des Wortes wieder ,ansLicht‘.“ Ein Teil der präsentiertenWerke ist seit drei Generationen nichtmehr zu sehen gewesen.

Viele der im Belvedere ausgestelltenKünstlerinnen gingen 1938, als Öster-reich an das nationalsozialistischregierte Deutschland angeschlossenwurde, ins Exil. Darum endet die chro-nologisch geordnete Schau auch mitdiesem Jahr, das eine Zäsur in derKunst darstellte und viele Künstlerin-nen demVergessen preisgab. Viele vonihnen waren jüdischer Herkunft undmussten flüchten, andere zwang dereingebrochene Kunstmarkt ins Exil.Nur wenige konnten nach 1945 wiederFuß fassen. Das NS-Regime und derZweite Weltkrieg, den manche garnicht überlebten, ließen ihre Arbeitenaus Museen, Galerien und aus derKunstgeschichte verschwinden.

Schon 1934 war die 1863 in Polen ge-borene Malerin und Grafikerin Bron-cia Koller-Pinell in Wien gestorben,eine auf den jungen Egon Schiele Ein-fluss ausübende Künstlerin, derenWerk sich durch die ganze Ausstel-lung zieht, in Bildern wie „Orangen-hain an der französischen Riviera“,

„Die Mutter der Künstlerin“ (1907),„Frühmarkt“ (1907), „Die Ernte“ (1908)oder „Stillleben mit rotem Elefanten“(1925). Kuratorin Sabine Fellner siehtihren Werdegang als exemplarisch fürdie damaligen Künstlerinnenkarrierenan: „Broncia Koller ist eine jener Ver-gessenen, die erst Schritt für Schrittwieder in die allgemeine Wahrneh-mung zurückgekehrt sind.“ Koller-Pinell habe sich über mehr als vierzigJahre sehr eigenständig mit den da-mals aktuellen Kunstströmungen aus-einandergesetzt.

Werke aller wichtigen Stilrichtungender damaligen Zeit sind in der Aus-stellung vertreten – Impressionismus,Secessionismus, Expressionismus, Ki-netismus und Neue Sachlichkeit. Oftwaren Frauen prägend für die Aus-breitung moderner Kunstströmungenin Österreich, zum Beispiel Erika Gio-vanna Klien und My Ullmann für denKinetismus, einen der wenigen Bei-träge Österreichs zur Avantgarde der1920er-Jahre. Der Expressionismus seivor allem „von Frauen nach Öster-reich gebracht worden“, meint SabineFellner. Und während die männlichenKollegen in Wien geblieben seien, hät-ten sich die mit beeindruckenden Bil-dern in der Schau vertretenen Künst-lerinnen Helene von Taussig („Weib-licher Akt auf blauem Stuhl“), HeleneFunke („Träume“, „Akt in den Spiegel

schauend“) und Lilly Steiner („Donau-weibchen“) in Paris weitergebildet.

Bis zur Jahrhundertwende warenFrauen meist auf Bereiche wie Blu-men- oder Landschaftsmalerei be-schränkt. Welche Qualität sie dabei er-reichten, zeigen beispielsweise dieGemälde „Frühling im Prater“ (1882)von Tina Blau, „In der Laube“ (um 1901)von Marie Egner oder „Fallendes Laub“(1899) und „Der erste Reif“ (um 1908)von Olga-Wisinger Florian. Späterwurde zunehmend akzeptiert, dassFrauen sich auch Aktbildern undsozialkritischen Themen widmeten.

Für einen Besuch dieser Ausstellungsollte man sich viel Zeit nehmen. Nichtallen werden die gleichen Objekte insAuge springen, aber jeder wird in je-dem Raum einzelne Kunstwerke ent-decken, die ihn ansprechen und zumInnehalten und genauen Hinschauenveranlassen.

Neben Exponaten der hier schon ge-nannten Künstlerinnen werden somanchen zum Beispiel die Bilder „Derblinde Musikant“ von Hermine Heller-Ostersetzer, „Ver Sacrum. Selbstbild-nis mit Sohn Peter“ (1901) von ElenaLuksch-Makowsky oder „Das toteKind“ (1913) von Johanna Kampmann-Freund berühren. Reine Lebensfreudevermittelt das Gemälde „Kindertanz“

(1905) von Eugenie Breithut-Munk.Einige werden die Bronzeplastiken vonElza Kövesházi-Kalmár, die Holz-schnitte von Margarete Hamerschlagoder die Lithografien von Lili Rethi zuEmile Zola, andere die Porträts vonTrude Waehner oder die Frauenbilderder jung verstorbenen Franziska Zachbesonders ansprechen. Blickfänge sindauch das „Selbstportrait mit Kamm“(1926) von Marie-Louise von Mote-siczky oder das „Spielzeug“ (1918) vonFanny Harlfinger-Zakucka.

Gespenstisch führt das Gemälde „Ver-hör I“ (1934) von Friedl Dicker, die 1944in Auschwitz ermordet wurde, die kal-te Bürokratie eines Staates vor Augen,der politisch Oppositionelle verfolgt.

Der umfangreiche Katalog enthält auchdie spannenden, häufig noch nicht ganzerforschten und daher unvollständi-gen Biografien der Künstlerinnen, vondenen eine ganze Reihe durch den Na-tionalsozialismus ihre Heimat verlor,manche sogar ihr Leben. Auch eine be-kennende Anhängerin der NS-Ideolo-gie, die in Vorarlberg geborene Ste-phanie Hollenstein ist in der Ausstel-lung mit einigen ihrer Soldaten- undBergbilder vertreten. Sie arisierte dieVKBÖ und trug damit zum Vergessenjener weiblichen Avantgarde bei, diediese Ausstellung wieder in Erinne-rung ruft. n

Marie Egner, In der Laube, um 1901 (Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien)

Broncia Koller-Pinell, Die Mutter der Künstlerin, 1907(Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien)

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