„Stützen der Gesellschaft“ · 2018. 7. 20. · tus mit der Gasmaske“ FIGURENKABINETT Jede...

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D ie Polemik ätzt schon im Titel: „Stützen der Gesellschaft“ nennt George Grosz mit falscher Hochachtung sein bizarres Zerrbild, das typische Vertre- ter der selbstzerstörerischen Zwanziger Jahre darstellt. Grosz rückt ihnen mit dras- tischen Mitteln zu Leibe. Im Vordergrund sind drei Männer zu sehen, stierna- ckig, grimmig, selbstzufrieden, die zusammen in einer Lokalität Bier trinken. Der Vordere gehört oenkundig der aufstrebenden Partei NSDAP an; sein Schmiss, seine Fechtwae und sein Fuxenband verraten ihn als Bur- schenschaftler. Ihm lässt Grosz Rauchwolken und einen reitenden Soldaten aus dem oenen Schädel steigen. Der Mann links ähnelt dem nationalkonservativen Unter- nehmer Alfred Hugenberg, der damals die Hälfte der deutschen Presse beherrschte. Er umklammert Zeitun- gen mit Hetzartikeln, während er einen umgedrehten Nachttopf auf dem Kopf trägt. Der Dritte ist ein Abge- ordneter der SPD, er schwenkt zugleich ein Fähnchen des untergegangenen Kaiserreiches – Grosz malt einen dampfenden Haufen Kot in seinen Kopf. Grosz Stil ist ironiesatt und hoch politisch. Die Dadaisten, denen er sich angeschlossen hatte, kreierten bewusst eine Ästhetik des Hässlichen. Kunst war ihre politische Wae, um auf die sozial deformierte Gesell- schaft aufmerksam zu machen. Grosz, von Hause aus Karikaturist, Maler und Grafiker, sagt mit diesem Bild voraus, worauf alles hinstrebte: den Zweiten Weltkrieg. Im Hintergrund schlagen Flammen aus einem brennenden Haus, marschierende Soldaten mit bluti- gem Degen und gezogener Wae drängen nach rechts. Ein Geistlicher, Symbol der bigotten Kirchen, weist mit erhobenen Armen und verzerrtem Gesicht in Richtung des Brandes. Seine Nase ist rot vom Schnaps. Predigt er Frieden, während die Welt in Flammen steht? Segnet er die verlorene Welt? Seine Augen sind verschlossen vor der Realität. Der satirische, bloßstellende Verismus von Grosz war vor allem den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge: Sie erklärten seine Kunst später als „entartet“. Als die „Stüt- zen der Gesellschaft“ Deutschland schließlich zugrunde richteten, emigrierte der Künstler 1933 und lebte mit seiner Frau fortan in New York. Friederike Schön Meisterwerk DERBER STRICH Ge- orge Grosz karikierte die Auswüchse der Inflationszeit in einem scharfumrissenen, auf Perspektive und Plasti- zität verzichtenden Stil. Kritiker nannten seine Werke, die die Wirklich- keit drastisch wieder- geben sollten, „infantil und ungekonnt“ MILITÄR Die Wehr- verbände „Stahlhelm, Bund der Frontsolda- ten“ und „Wehrwolf“ ziehen in die Stra- ßenschlacht. Solche paramilitärischen Ver- bände, bestehend aus Veteranen des Ersten Weltkriegs, bedrohten den inneren Frieden der Weimarer Republik George Grosz (1893- 1959): „Stützen der Gesellschaft“ (1926), Öl auf Leinwand, 200 x 108 cm, Nationalgalerie Berlin KIRCHE Wiederholt kritisierte Grosz in seinen Werken die Kirchen auf bissige und schonungslose Weise. Kein Wunder, dass der Künstler dreimal wegen Gotteslästerung angeklagt wurde, unter anderem 1928 wegen der Zeichnung „Chris- tus mit der Gasmaske“ FIGURENKABINETT Jede Person auf dem Bild steht für eine ge- sellschaftliche Grup- pierung, der Grosz die Schuld am Zusammen- brechen der Weimarer Republik gab, unter ihnen die Presse, die Politiker, die Kirche, der Kapitalismus und das Militär „Stützen der Gesellschaft“ George Grosz, 1926 FOTOS: FOTOCREDIT P.M. HISTORY – JULI 2018 24 24 25

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D ie Polemik ätzt schon im Titel: „Stützen der Gesellschaft“ nennt

George Grosz mit falscher Hochachtung sein bizarres Zerrbild, das typische Vertre-ter der selbstzerstörerischen Zwanziger Jahre darstellt. Grosz rückt ihnen mit dras-tischen Mitteln zu Leibe. Im Vordergrund sind drei Männer zu sehen, stierna-

ckig, grimmig, selbstzufrieden, die zusammen in einer Lokalität Bier trinken. Der Vordere gehört offenkundig der aufstrebenden Partei NSDAP an; sein Schmiss, seine Fechtwaffe und sein Fuxenband verraten ihn als Bur-schenschaftler. Ihm lässt Grosz Rauchwolken und einen reitenden Soldaten aus dem offenen Schädel steigen. Der Mann links ähnelt dem nationalkonservativen Unter-nehmer Alfred Hugenberg, der damals die Hälfte der deutschen Presse beherrschte. Er umklammert Zeitun-gen mit Hetzartikeln, während er einen umgedrehten Nachttopf auf dem Kopf trägt. Der Dritte ist ein Abge-ordneter der SPD, er schwenkt zugleich ein Fähnchen

des untergegangenen Kaiserreiches – Grosz malt einen dampfenden Haufen Kot in seinen Kopf.

Grosz Stil ist ironiesatt und hoch politisch. Die Dadaisten, denen er sich angeschlossen hatte, kreierten bewusst eine Ästhetik des Hässlichen. Kunst war ihre politische Waffe, um auf die sozial deformierte Gesell-schaft aufmerksam zu machen. Grosz, von Hause aus Karikaturist, Maler und Grafiker, sagt mit diesem Bild voraus, worauf alles hinstrebte: den Zweiten Weltkrieg.

Im Hintergrund schlagen Flammen aus einem brennenden Haus, marschierende Soldaten mit bluti-gem Degen und gezogener Waffe drängen nach rechts. Ein Geistlicher, Symbol der bigotten Kirchen, weist mit erhobenen Armen und verzerrtem Gesicht in Richtung des Brandes. Seine Nase ist rot vom Schnaps. Predigt er Frieden, während die Welt in Flammen steht? Segnet er die verlorene Welt? Seine Augen sind verschlossen vor der Realität.

Der satirische, bloßstellende Verismus von Grosz war vor allem den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge: Sie erklärten seine Kunst später als „entartet“. Als die „Stüt-zen der Gesellschaft“ Deutschland schließlich zugrunde richteten, emigrierte der Künstler 1933 und lebte mit seiner Frau fortan in New York. Friederike Schön

Meisterwerk

DERBER STRICH Ge-orge Grosz karikierte die Auswüchse der Inflationszeit in einem scharfumrissenen, auf Perspektive und Plasti-zität verzichtenden Stil. Kritiker nannten seine Werke, die die Wirklich-keit drastisch wieder-geben sollten, „infantil und ungekonnt“

MILITÄR Die Wehr-verbände „Stahlhelm, Bund der Frontsolda-ten“ und „Wehrwolf“ ziehen in die Stra-ßenschlacht. Solche paramilitärischen Ver-bände, bestehend aus Veteranen des Ersten Weltkriegs, bedrohten den inneren Frieden der Weimarer Republik

George Grosz (1893-1959): „Stützen der Gesellschaft“ (1926), Öl auf Leinwand, 200 x 108 cm, Nationalgalerie Berlin

KIRCHE Wiederholt kritisierte Grosz in seinen Werken die Kirchen auf bissige und schonungslose Weise. Kein Wunder, dass der Künstler dreimal wegen Gotteslästerung angeklagt wurde, unter anderem 1928 wegen der Zeichnung „Chris-tus mit der Gasmaske“

FIGURENKABINETT Jede Person auf dem Bild steht für eine ge-sellschaftliche Grup-pierung, der Grosz die Schuld am Zusammen-brechen der Weimarer Republik gab, unter ihnen die Presse, die Politiker, die Kirche, der Kapitalismus und das Militär

„Stützen der Gesellschaft“George Grosz, 1926

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