Atlas Globalisierung Teil3

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70 och 1993 behaupteten deutsche Stromversorger in teuren Zeitungsanzeigen: »Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfs decken.« Heute wird landauf, landab für erneuerbare Energien gerechnet und plakatiert, geschraubt und angebaut. Längst kommen 15 Prozent des hiesigen Strombedarfs aus Wind, Wasser, Biomasse, Solarenergie und Geothermie. Getragen wird die rasante Entwicklung von einer ständig wachsenden BürgerInnenbewegung, aus der ein boomender Wirtschafts- sektor hervorging. Immer öfter wagt diese Bewegung ein gemeinsames Ziel zu formulieren: die zügige Umstellung der Energieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare. Bis vor kurzem galt das 100-Prozent-Ziel selbst unter Umwelt- aktivisten als Spinnerei. Zu illusorisch wirkte die Vorstellung, dass ein unangenehm kühles, nicht einmal besonders windiges Industrieland wie Deutschland ausschließlich auf der Basis erneuerbarer Energien versorgt werden könnte. Doch die Realität erzeugt ihre eigenen Visionen. Immer zahlreicher werden die Gutachten, die für einzelne Kommunen oder ganze Bundesländer wie Rheinland-Pfalz und Hessen zeigen, wie das funktionieren könnte. Weitgehend unbemerkt von der Öffent- lichkeit haben Städte, Gemeinden und Regionen beschlossen, ihre Energieversorgung ganz auf Erneuerbare umzustellen. Die einschlägige Branchenstudie des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) prognostiziert bereits für 2020 einen Anteil der Erneurbaren am Stromverbrauch von 47 Pro- zent. Auch der Energieexperte Joachim Nitsch vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt hält in der Leitstudie 2008 für das Bundesumweltministerium 64,2 Prozent Erneuerbare am Endenergieverbrauch für realisierbar. Der Siegeszug der Erneuerbaren begann mit der Anti-AKW- Bewegung, die in kaum einem Land so stark war und ist wie in Deutschland. Aus ihr gingen die ersten Energietüftler hervor, und Unternehmer fingen an, Windräder, Solar-, Biogas- und Wasserkraftanlagen herzustellen. Ohne diese Wurzel wäre es nie zum eigentlichen Durchbruch gekommen: dem im März 2000 beschlossenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Das EEG garantiert den Zugang erneuerbaren Stroms ins Stromnetz ebenso wie seine Vergütung. Auf dieser Basis werden Sonne, Wind und Co. rentabel. Atomenergie, Kohle, Öl und Gas sind hoch subventioniert, die ökologischen Folgekosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Diesen unfairen Vorteil gegenüber den Erneuerbaren gleicht nun das EEG aus. Handwerker, Landwirte, HausbesitzerInnen, ökologische GeldanlegerInnen und mittelständische Unternehmen haben hier neue Investitionsmöglichkeiten entdeckt. 280 000 Arbeitsplätze sind bei den Erneuerbaren bislang entstanden. Hunderttausende Eigenheimler und Kleininvesto- rInnen haben sich entschieden, dafür Geld auszugeben. Damit ist eine Lobby entstanden, die den Widerstand gegen die Erneuerbaren gebrochen hat. Eine Rolle rückwärts kommt inzwischen nicht mehr in Frage, gewonnen ist die Schlacht um die Energieversorgung trotzdem noch nicht. Denn beim Klima- schutz geht es vor allem um eines: Zeit. Nur ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energien kann die drohenden katastrophalen Entwicklungen noch abwenden. Deshalb sind die Bremser so gefährlich. Das sind in Deutschland zuerst und vor allem die vier großen Energiekonzerne, die immer noch 80 Prozent der Stromerzeugung kontrollieren. Sie betreiben hoch subventionierte Atom- und Kohlekraftwerke. Jede Kilowattstunde erneuerbarer Strom schmälert ihre Profite. Sie tun, was sie können, um den Umstieg auf den grünen Strom zu verzögern oder gar zu verhindern. Hinzu kommt, dass sie große Teile des Stromnetzes kontrollieren, wodurch sie den Ausbau gerade beim Wind wirkungsvoll sabotieren können. Zudem sind Vattenfall, RWE & Co. ein Staat im Staate. Sie sind in den Volksparteien, der Industrie und den Gewerk- schaften gut verankert und können deshalb auch irrwitzige Beschlüsse durchsetzen, beispielsweise den Bau neuer Kohlekraftwerke oder die Laufzeitverlängerung von AKWs. Geplant ist der Bau von zwanzig bis dreißig neuen Kohlekraft- werken, obwohl die Gegenargumente auf der Hand liegen: das hohe Innovationstempo bei den Erneuerbaren und die absehbaren Investitionsruinen von übermorgen. Viele Landesregierungen lassen sich von der Atom- und Kohleindustrie einspannen. Vor allem Bayern, Baden- Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen bemühen sich nach Kräften, neue Windräder zu verhindern, indem sie sich übertriebene Abstandsvorschriften und planungsrechtliche Hürden einfallen lassen. Solche Hemmnisse werden aufgebaut, obwohl oder vielmehr gerade weil die Windenergie auch im Binnenland den schnellsten und kostengünstigsten Ausbau der Erneuerbaren ermöglicht. Der Umstieg auf erneuerbare Energien birgt besonders für den ländlichen Raum eine große Chance. Hier gibt es die Flächen, um Solarenergie, Wind und Biomasse effizient und im großen Maßstab zu nutzen. Durch die Erneuerbaren und die Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe wird Fläche wieder knapper, ein Prozess, der Chancen eröffnet, um die negativen Folgen des demografischen Wandels zu begrenzen. Noch haben sich nur wenige Kommunen auf den Weg gemacht, die erneuerbaren Energien systematisch weiterzuentwickeln. Auch gibt es vor Ort oft erheblichen Widerstand gegen neue Windräder und Biogasanlagen, zumal wenn die Nutznießer ganz woanders zu Hause sind. Bürgerwindanlagen und genossenschaftliche Biogasanlagen stoßen da auf deutlich mehr Akzeptanz. Hilfreich wird auch sein, dass seit Anfang 2009 bei Anlagen für erneuerbare Energie 70 Prozent der Gewerbesteuer am Produktionsort zu zahlen sind. Damit können neue Windräder in Zukunft zum Beispiel zur Finanzierung kommunaler Kindergärten beitragen, was so manchen Ortspolitiker umstimmen dürfte. Das Problem der Energiearmut kann durch erneuerbare Energien überwunden werden. So liefert beispielsweise die N Nur noch Erneuerbare? Eine Frage der Zeit von Sven Giegold

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och 1993 behaupteten deutsche Stromversorger in teurenZeitungsanzeigen: »Sonne, Wasser oder Wind können auch

langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfsdecken.« Heute wird landauf, landab für erneuerbare Energiengerechnet und plakatiert, geschraubt und angebaut. Längstkommen 15 Prozent des hiesigen Strombedarfs aus Wind,Wasser, Biomasse, Solarenergie und Geothermie. Getragen wird die rasante Entwicklung von einer ständig wachsendenBürgerInnenbewegung, aus der ein boomender Wirtschafts -sektor hervorging. Immer öfter wagt diese Bewegung eingemeinsames Ziel zu formulieren: die zügige Umstellung derEnergieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare.

Bis vor kurzem galt das 100-Prozent-Ziel selbst unter Umwelt -aktivisten als Spinnerei. Zu illusorisch wirkte die Vorstellung,dass ein unangenehm kühles, nicht einmal besonders windigesIndustrieland wie Deutschland ausschließlich auf der Basiserneuerbarer Energien versorgt werden könnte. Doch dieRealität erzeugt ihre eigenen Visionen. Immer zahlreicherwerden die Gutachten, die für einzelne Kommunen oder ganzeBundesländer wie Rheinland-Pfalz und Hessen zeigen, wie dasfunktionieren könnte. Weitgehend unbemerkt von der Öffent -lichkeit haben Städte, Gemeinden und Regionen beschlossen,ihre Energieversorgung ganz auf Erneuerbare umzustellen.

Die einschlägige Branchenstudie des BundesverbandsErneuerbare Energien (BEE) prognostiziert bereits für 2020einen Anteil der Erneurbaren am Stromverbrauch von 47 Pro -zent. Auch der Energieexperte Joachim Nitsch vom DeutschenZentrum für Luft und Raumfahrt hält in der Leitstudie 2008 fürdas Bundesumweltministerium 64,2 Prozent Erneuerbare amEndenergieverbrauch für realisierbar.

Der Siegeszug der Erneuerbaren begann mit der Anti-AKW-Bewegung, die in kaum einem Land so stark war und ist wie inDeutschland. Aus ihr gingen die ersten Energietüftler hervor,und Unternehmer fingen an, Windräder, Solar-, Biogas- undWasserkraftanlagen herzustellen. Ohne diese Wurzel wäre es niezum eigentlichen Durchbruch gekommen: dem im März 2000beschlossenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Das EEG garantiert den Zugang erneuerbaren Stroms insStromnetz ebenso wie seine Vergütung. Auf dieser Basis werdenSonne, Wind und Co. rentabel. Atomenergie, Kohle, Öl und Gas sind hoch subventioniert, die ökologischen Folgekostenwerden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Diesen unfairen Vorteil gegenüber den Erneuerbaren gleicht nun das EEG aus.Handwerker, Landwirte, HausbesitzerInnen, ökologischeGeldanlegerInnen und mittelständische Unternehmen haben hier neue Investitionsmöglichkeiten entdeckt.

280 000 Arbeitsplätze sind bei den Erneuerbaren bislangentstanden. Hunderttausende Eigenheimler und Kleininvesto-rInnen haben sich entschieden, dafür Geld auszugeben. Damitist eine Lobby entstanden, die den Widerstand gegen dieErneuerbaren gebrochen hat. Eine Rolle rückwärts kommtinzwischen nicht mehr in Frage, gewonnen ist die Schlacht um

die Energieversorgung trotzdem noch nicht. Denn beim Klima -schutz geht es vor allem um eines: Zeit.

Nur ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energien kanndie drohenden katastrophalen Entwicklungen noch abwenden.Deshalb sind die Bremser so gefährlich. Das sind in Deutschlandzuerst und vor allem die vier großen Energiekonzerne, dieimmer noch 80 Prozent der Stromerzeugung kontrollieren. Siebetreiben hoch subventionierte Atom- und Kohlekraftwerke.Jede Kilowattstunde erneuerbarer Strom schmälert ihre Profite.Sie tun, was sie können, um den Umstieg auf den grünen Stromzu verzögern oder gar zu verhindern. Hinzu kommt, dass siegroße Teile des Stromnetzes kontrollieren, wodurch sie denAusbau gerade beim Wind wirkungsvoll sabotieren können.

Zudem sind Vattenfall, RWE & Co. ein Staat im Staate. Sie sind in den Volksparteien, der Industrie und den Gewerk -schaften gut verankert und können deshalb auch irrwitzigeBeschlüsse durchsetzen, beispielsweise den Bau neuerKohlekraftwerke oder die Laufzeitverlängerung von AKWs.Geplant ist der Bau von zwanzig bis dreißig neuen Kohlekraft-werken, obwohl die Gegenargumente auf der Hand liegen: das hohe Innovationstempo bei den Erneuerbaren und dieabsehbaren Investitionsruinen von übermorgen.

Viele Landesregierungen lassen sich von der Atom- undKohleindustrie einspannen. Vor allem Bayern, Baden- Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen bemühen sichnach Kräften, neue Windräder zu verhindern, indem sie sichübertriebene Abstandsvorschriften und planungsrechtlicheHürden einfallen lassen. Solche Hemmnisse werden aufgebaut,obwohl oder vielmehr gerade weil die Windenergie auch imBinnenland den schnellsten und kostengünstigsten Ausbau der Erneuerbaren ermöglicht.

Der Umstieg auf erneuerbare Energien birgt besonders für den ländlichen Raum eine große Chance. Hier gibt es dieFlächen, um Solarenergie, Wind und Biomasse effizient und im großen Maßstab zu nutzen. Durch die Erneuerbaren und dieUmstellung auf nachwachsende Rohstoffe wird Fläche wiederknapper, ein Prozess, der Chancen eröffnet, um die negativenFolgen des demografischen Wandels zu begrenzen. Noch haben sich nur wenige Kommunen auf den Weg gemacht, die erneuerbaren Energien systematisch weiterzuentwickeln.Auch gibt es vor Ort oft erheblichen Widerstand gegen neueWindräder und Biogasanlagen, zumal wenn die Nutznießer ganz woanders zu Hause sind. Bürgerwindanlagen undgenossenschaftliche Biogasanlagen stoßen da auf deutlich mehr Akzeptanz. Hilfreich wird auch sein, dass seit Anfang 2009 bei Anlagen für erneuerbare Energie 70 Prozent derGewerbesteuer am Produktionsort zu zahlen sind. Damitkönnen neue Windräder in Zukunft zum Beispiel zurFinanzierung kommunaler Kindergärten beitragen, was somanchen Ortspolitiker umstimmen dürfte.

Das Problem der Energiearmut kann durch erneuerbareEnergien überwunden werden. So liefert beispielsweise die

N

Nur noch Erneuerbare? Eine Frage der Zeit

von Sven Giegold

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Sonne das 3 000-Fache der Energie, die die Menschheitverbraucht. Auch mit Effizienzerhöhung wäre schon viel zu erreichen. Langfristig steht genug umweltfreundliche Energie zur Verfügung – hierzeigen sich keine ökologischenGrenzen des Wachstums. DieFrage nach einem ökologischverträglichen Kapitalismus istdamit allerdings nicht erledigt.Angesichts der begrenztenRessourcen unseres Planeten lässt sich der kapitalistischeAnspruch eines unbegrenzten Wachstums nicht einlösen.Überleben kann der Kapitalismus nur, wenn es gelingt,konsequent und schnell den Naturverbrauch zu senken und enorme Investitionen in Gebäude, Energiesysteme, neue Formen der Mobilität und Veränderungen in derLandwirtschaft zu realisieren.

Solche Investitionsschübe waren in der Vergangenheit stets Vorboten wirtschaftlichen Wohlstands. Es spricht vieldafür, dass das auch bei einer grünen industriellen Revolutionso sein wird. Das ändert jedoch nichts an der fragwürdigenkulturellen Prägung, die auch von einem begrünten Kapitalis -mus ausgeht. Denn er steht für einen Lebensstil, in dessenMittelpunkt der Konsum und das Wecken immer neuermaterieller Bedürfnisse steht. Mächtige Konzerne sindProfiteure dieser Wirtschaftsweise. Regulierungen im Sinne von Natur und Umwelt sind unter diesen Bedingungen nurschwer durchsetzbar. Langfristig stellt sich deshalb nicht die Frage, ob sondern wann ein grundlegend anderes Systemden Kapitalismus heutiger Prägung ablösen wird.© Le Monde diplomatique, Berlin

Sven Giegold ist Mitbegründer von Attac-Deutschland und seit Juli 2009 Europaabgeordneter der Grünen.

Die Zukunft der Energie

Kapitel

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wwwMapping the World Project (von Le Monde diplomatiqueund der Universität Bologna)www.cartografareil presente.org/aktuelle Länderstatistiken und Kartenwww.indexmundi.comweltweite Wirtschaftsstatistikenwww.econstats.comGlobal Policy Forum (kritische Beobachtung der UN-Politik)www.globalpolicy.org

72

Nichtunterzeichner der UNFCCCDie Länder sind entsprechend ihrer Emissionsraten von 2004 aufgebläht bzw. geschrumpft.

Industrieländer

Entwicklungsländer

In der Klima-Rahmenkonvention (UNFCCC) von 1992 sind die Unterzeichnerstaaten in zwei Gruppen eingeteilt: einerseits die Industrie- und Schwellenländer, andererseits die Entwicklungsländer. Die ausgehandelten Reduktionsraten berücksichtigen diese Unter-scheidung. Die meisten Staaten haben sich durch den Beitritt zum Kioto-Protokoll (1997) zur Reduzierung von Treibhausgasen verpflichtet.

USA

Südafrika

Deutschland

Frankreich

Grossbritannien

Italien

Spanien

China

Indien

Singapur

Taiwan

Japan

Hongkong

Südkorea

1740

3505

370

320

230

3020

3065

9665730

105

80

135

112

Herstellung von einer Tonne Zucker

Produktion von 100 kWh Strom aus einem Kohlekraftwerkhohe Schätzung

niedrige Schätzung

ein Jahr Beleuchtung eines Wohnhauses

Handybenutzung pro Jahr

Verbrennung von einer Tonne Rohöl eine Minute Laufzeit eines 1000-Megawatt-Kohlekraftwerks

den jährlichen Methan-Ausstoß einer Milchkuh

... eines Schweins

... einer Ziege

... eines Schafes… eines KalbsWeizenanbau auf einem Hektar Fläche

rotz aller Warnungen steigt der Aus-stoß von klimaschädlichem Kohlen-

dioxid weiter. Vor der Industrialisierungdes Westens um 1850 lag der Anteil des CO2

in der Luft bei 280 ppm (parts per million,Teile pro Million). Noch in den 1960er-Jah-ren stieg dieser Wert nur um weniger als 1 ppm pro Jahr an. In den 1980er-Jahren be-schleunigte sich der Zuwachs auf 1,5 ppm,und seit 2000 nimmt der Anteil fast jedesJahr um mehr als 2 ppm zu. Die weltweiteCO2-Konzentration nähert sich inzwischender Marke von 385 ppm, einem seit 800 000Jahren nicht erreichten Spitzenwert.

Das liegt in erster Linie an der rasant an-wachsenden Verbrennung von Kohle, Ölund Gas. Die Industrieländer haben in we-niger als 200 Jahren einen großen Teil derfossilen Rohstoffe verbrannt, die in der unvorstellbaren Zeitspanne von 500 Mil-lionen Jahren entstanden sind. Sie habendamit rund 200 Mrd. Tonnen CO2 in die At-

mosphäre gepustet. Und gleichzeitig ihrenKindern und Kindeskindern für alle Zeitenden einfachen Zugriff auf die Energievor-räte der Erde entzogen.

Von den 2004 freigesetzten 49 Mrd. Ton-nen Treibhausgasen stammen 26 Mrd. di-rekt aus der Verbrennung fossiler Energie-träger. In der Atmosphäre sind inzwischenfast 800 Mrd. Tonnen CO2 geparkt – dop-pelt so viel wie in der letzten großen Eiszeitund ein Drittel mehr als in den vorherge-henden Warmzeiten.

Über Jahrtausende haben die Menschendie Natur als übermächtiges Gegenüber er-lebt. Heute prägt insbesondere beim Kli-ma der Mensch das Gesicht des Planetenstärker als Unregelmäßigkeiten in der Erd-bahn oder die schwankende Aktivität unse-res Zentralgestirns: Analog zu Pleistozänund Holozän nennen Wissenschaftler dengegenwärtigen Zeitabschnitt darum das»Anthropozän« – das durch massive Einwir-

kungen des Menschen auf die Ökosystemegekennzeichnet ist. Der Einfluss auf dasKlima ist kaum reversibel.

Jüngste Untersuchungen zeigen, dasseine Erhöhung der globalen Temperaturuns auch dann für mehr als tausend Jahreerhalten bleibt, wenn die CO2-Emissionenschnell sinken. Hinzu kommt, dass einigeFolgen des Klimawandels den Klimawan-del selbst verstärken. Beispiel: Wenn dieErderwärmung über 2,5 bis 3 Grad Celsiushinausgeht, werden die Waldflächen ab-nehmen und das in ihnen gebundene CO2

abgeben, statt es – wie ein gesunder Wald –zu speichern. Wenn die Menschheit zu-lässt, dass Teile des amazonischen Regen-waldes sich in Savannengebiete verwan-deln, wird sich die Atmosphäre allein da-durch um mehr als 1 Grad Celsius zusätz-lich aufheizen.

Mitte 2008 warnte darum der Nasa-Kli-matologe James Hansen vor einem Aus-

T

Klimafaktor MenschDie Ökosysteme werden irreversibelgeschädigt, wenn die Treibhausgas-Emissionen nicht deutlich sinken. Die Zeit drängt.

Verzerrte Welt – entsprechend dem CO2-Ausstoß der Länder

So viel Kilogramm Treibhausgas  wird freigesetzt durch …

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CO2-Emissionen im internationalen Handel

Nordamerika

Lateinamerika

Afrika

Europa

Australien

Asien

in Millionen Tonnen, 2006

596 234

224

223

530

575575

374

290

339

285

Energiebedingte CO2-Emissionen bis 2030in Gigatonnen

1980 1990 2000 2010 2020 20300

5

10

15

20

25

30

35

40

45 Internationaler Frachtschiffs- und Flugverkehr

in Schwellen- und Entwicklungsländern

in Industrieländern

ErdgasErdölKohle

ErdgasErdölKohle

3500

6480

3230

565

5923

1470

4160

570

490

220

770510

3760

275

6700

1220

190fleischreiche Ernährung (pro Person und Jahr)

vegetarische Ernährung

vegane Ernährung

Flug Berlin–New York und zurück (pro Passagier)

Herstellung von einer Tonne Benzin durch Fördern und Raffinieren von Rohöl

Herstellung von einer Tonne Weizenmehl

Langstreckenflüge (pro Passagier)

1000 km First Class

... Business Class

... Economy Class

eine Tonne Erdöl, von der Förderung bis zum Verbrauch

Herstellungeines Computers

samt MonitorHerstellung und Entsorgung von einer Tonne Plastikfolie

Fangen von einer Tonne Hochseetunfisch

Aufbereitung von 1 m3 Abwasser aus der Zuckerindustrie

Aufbereitung von 1 m3 Brauerei-Abwasser

Fernseherbenutzung pro Jahr

eine Tonne nicht recyceltes Altpapier

Abholzung von 100 qm Wald

(CO2-Speicher wird vernichtet)

schuss des US-Kongresses, das Klimasys-tem sei an einem »gefährlichen Umschlag-punkt« angelangt und weise etliche Merk-male einer »erdgeschichtlichen Katastro-phe« auf: Übersäuerung der Ozeane, be-schleunigtes Abschmelzen der Polkappenund Gletscher, das drohende Aussterbenvon mehr als der Hälfte aller Arten. In denvergangenen 700 Millionen Jahren hat dieErde fünf solcher einschneidenden Verän-derungen erfahren – zuletzt ausgelöstdurch den Einschlag eines Meteoriten, ver-bunden mit dem Aussterben der Dinosau-rier vor etwa 65 Millionen Jahren. Um der-artige Szenarien zu vermeiden, so Hansen,müsse der menschengemachte CO2-Aus-stoß unbedingt auf maximal 350 ppm be-grenzt werden.

Nur dann ließe sich der arktische Eis-schild erhalten und könnte verhindert wer-den, dass der Meeresspiegel bis zum Endedieses Jahrhunderts um zwei Meter steigt.Dazu müssen nach den Berechnungen desWeltklimarates (IPCC) bis 2050 die welt-weiten CO2-Emissionen um mindestens85 Prozent gesenkt werden. Bei einer fai-ren Verteilung dieser Aufgabe käme denIndustrienationen der Löwenanteil zu.

Deren Bürger müssten ihre CO2-Emissio-nen auf ein Zwanzigstel absenken. Dazureichen Maßnahmen und Vorgaben des2012 auslaufenden Kioto-Protokolls beiweitem nicht aus. Bis 2006 haben die In-dustrienationen ihre Emissionen lediglichum 4,7 Prozent gegenüber 1990 gesenkt,eine Reduktion, die zum Teil auf den 37-prozentigen Rückgang des CO2-Aussto-ßes in Osteuropa zurückgeht. Dort ist mitdem Zerfall der Sowjetunion eine Phase derDeindustrialisierung eingetreten, von derauch Deutschland mit seinem Minus von18,2 Prozent stark profitiert. Im selben Zeit-raum haben die Emissionen der übrigenIndustriestaaten um 9,9 Prozent zugelegt.In Boom-Regionen wie Spanien, Portugalund der Türkei sind die Emissionen sogarum 40 bis 95 Prozent gestiegen.

Die Rettung des Klimas bedeutet einenWettlauf mit der Zeit. Denn mit den Öko-systemen sind auch die von ihnen abhängi-gen Lebewesen und Kulturen bedroht.Notwendig sind der massive Einsatz erneu-erbarer Energien, eine Effizienzrevolutionund eine Besteuerung der CO2-Emissio-nen. Dafür weltweit geltende Regeln undverbindliche Ziele zu formulieren, ist Auf-gabe der Weltklimakonferenzen, die die

Vereinten Nationen seit dreißig Jahren veranstalten.

wwwInterview mit James Hansen:www.zeit.de/2008/48/E-Interview-HansenCO2-Emissionen der großen Länder 1990 bis 2006:http://unfccc.int/resource/docs/2008/sbi/eng/12.pdfKlimakonferenz in Kopenhagen:http://en.cop15.dk/Persönlicher CO2-Rechner:http://ifeu.klima-aktiv.de/

Wie der Energieverbrauch die Atmosphäre belastet

Exportgüter enthalten viel verstecktes Treibhausgas

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0

2

4

1

3

2005 2030

Milliarden Tonnen ÖleinheitenBedarf an Primärenergie

Nordamerika

Lateinamerika

Westeuropa

Afrika

Osteuropa

Naher und Mittlerer Osten

China und Indien

Japan,

Australien und

Neuseeland

Andere asiatische Länder

is zum Jahr 2050 solle die globale Er-wärmung um höchstens zwei Grad

Celsius gegenüber der vorindustriellenZeit steigen, versprachen die Regierungs-chefs der G-8-Staaten und Schwellenlän-der auf ihrem Gipfel in L’Aquila im Juli2009. Dazu wollen die reichen Länder inden nächsten vierzig Jahren ihre Treib-hausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990um 80 Prozent senken. Auch China, Indienund Brasilien kündigten an, einen Beitragzum Schutz des Weltklimas leisten zu wollen.

Die Absichtserklärung war als starkesSignal an die Welt gemeint und sollte dieRichtung für den Weltklimagipfel im De-zember 2009 in Kopenhagen vorgeben.Dort wollen 175 Vertragsstaaten des Kioto-Klimaabkommens ein neues Regelwerkzum Schutz des Weltklimas verhandeln,um die schlimmsten Folgen des Klima-wandels noch abzuwehren. Die Forschersind sich einig, dass bis 2050 die globalenEmissionen um 50 Prozent sinken müs-sen, damit die Auswirkungen von schmel-

zenden Gletschern und Dürren, extremenWetterlagen und Missernten, steigendenMeeresspiegeln und schnellerem Arten-sterben nicht katastrophal werden.

Ob die großen Luftverschmutzer dieTragweite ihres Sommerversprechenswirklich erfasst haben, darf jedoch bezwei-felt werden. Bislang wirken die guten Vorsätze wenig überzeugend. BeispielUSA: Die Klimainitiative, die US-PräsidentObama 2009 auf den Weg gebracht hat,würde die Treibhausgas-Emissionen derUSA bis zum Jahr 2020, gemessen am Niveau von 1990, um gerade einmal 4 Pro-zent verringern. Wenn er das Einhalten derZwei-Grad-Obergrenze auch nur annä-hernd ernst nehmen wollte, müsste er sichdas Zehnfache vornehmen. Bis zum Welt-klimagipfel in Kopenhagen vermieden esdie G-8-Staatschefs auch, über verbind -liche Zwischenziele bis zum Jahr 2050 zusprechen. Nicht einmal über das Referenz-jahr, auf das sich die prozentualen CO2-Einsparungen beziehen sollen, ließ sichEinigkeit herstellen.

B

Die Rettung ist finanzierbarAuch wenn die Industrieländer ihreSelbstverpflichtung ernst nehmen:Ohne die Beteiligung der Schwellen-länder ist der Klimawandel nicht zustoppen. Dafür sind gewaltigeInvestitionen nötig. Sie finanzierensich zum größten Teil durch sinkendeAusgaben für Kohle, Öl und Gas.

Der Energiehunger wird weltweit zunehmen

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OECD-Länder Nicht-OECD-Länder Welt gesamt

2006 2010 2015 2020 2025 2030

Weltweite CO2-Emissionen bis 2030Mrd. Metrische Tonnen

0

10

20

30

40

50

29,0 31,033,1

35,437,9

40,4

Globale Stromerzeugung nach EnergieträgerTrillionen KWh

Flüssige BrennstoffeAtomkraft

Erdgas

ErneuerbareKohle

2006 2010 2015 2020 2025 20300

5

10

15

Globaler EnergieverbrauchBilliarden Britische Wärmeeinheiten

1980 19951985 1990 2000 2005 2010 2020 20252015 2030

400

500

300

200

100

0

Nicht-OECD-Länder

OECD-Länder

Tatsächlich spricht schon heute einigesdafür, dass sich die Zwei-Grad-Grenzekaum noch erreichen lässt – so jedenfallsdas Fazit des Weltklimarates (IPCC). DieWissenschaftler des IPCC erklärten imJuni 2009, dass ein Überschreiten dieserGrenze nunmehr »unvermeidlich« sei.Denn die bereits heute in der Atmosphärebefindlichen Treibhausgase reichen aus,um eine globale Erwärmung von 2 bis 2,4Grad Celsius zu verursachen. Und nichtsdeutet darauf hin, dass die CO2-Emissio-nen von einem Tag auf den andern sinkenkönnten.

Im Gegenteil. Fossile Energieträger wer-den noch über Jahrzehnte die Grundlageder globalen Energieversorgung bilden.11,7 Milliarden Tonnen Rohöleinheiten(tons of oil equivalent, TOE) wurden imJahr 2006 weltweit verbraucht. Über 80 Pro -zent davon stammten aus Erdöl, Kohle undErdgas. Der globale Energiehunger wirdden Berechnungen der InternationaleEnergie-Agentur (IEA) zufolge bis 2030 umweitere 45 Prozent zulegen. 87 Prozent dieses Anstiegs wird auf die Schwellen -länder zurückgehen. Damit werden dann17,0 Milliarden TOE verbraucht.

Der Anteil fossiler Energieträger an derEnergieversorgung wird bis zum Jahr 2030nur leicht, nämlich um 20 Prozent, sinken.Erneuerbare Energieträger werden dannmit höchstens 18 Prozent zur globalenStromversorgung beitragen. Doch die rei-chen Länder haben nur bedingt Einflussauf diesen Prozess. Denn schon seit 2005verbrauchen die Schwellenländer mehrEnergie als die Industriestaaten. 2008 entfielen 51,2 Prozent der weltweit genutz-ten Primärenergie auf China, Indien undandere Nicht-OECD-Länder. 2030 wird ihr Anteil an der globalen Primärenergie62 Prozent betragen. Beim Pro-Kopf-Ver-brauch sieht es allerdings ganz anders aus:In Deutschland liegt er heute fünfmal sohoch wie in China und zehnmal so hochwie in Afrika oder Indien.

Würde der Ausstoß an Treibhausgasenproportional zum globalen Energiever-brauch zunehmen, dann stiege die globaleDurchschnittstemperatur bis 2030 um 6 Grad Celsius. Die Folgen für die Ökosys-teme und die Weltwirtschaft wären verhee-rend. Um die CO2-Emissionen so massiv zureduzieren, wie es nötig ist, müssen des-halb weltweit hunderte Millionen Haus-halte und Unternehmen ihre Gewohnhei-ten völlig umstellen. Aber selbst wenn alleIndustrieländer ihre Emissionen sofortauf null reduzierten, würde das alleinnicht viel nützen: Das Zwei-Grad-Ziel kannbis 2050 überhaupt nur noch erreicht wer-

den, wenn alle Länder der Welt daran mit-wirken.

Tatsächlich erreicht werden können dieangestrebten CO2-Einsparungen nur,wenn weltweit verbindliche Regeln für denKlimaschutz beschlossen werden und eszu massiven Investitionen kommt. Die IEAschätzt, dass dafür bis zum Jahr 2030 etwa6 500 Milliarden Dollar in den Ausbau er-neuerbarer Energien, den Ersatz veralteterKraftwerke und die Entwicklung CO2-min-dernder Techniken für fossile Brennstoffefließen müssen. Doch im Effekt würde sichein Großteil dieser gewaltigen Summequasi selbst finanzieren: Allein durch ein-

gesparte Brennstoffe ließen sich laut IEAMehrkosten von 5 800 Milliarden Dollarvermeiden.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwOffizielle Organisationen:en.cop15.dkwww.ipcc.chunfccc.intOnline-Magazin:www.wir-klimaretter.deNichtregierungsorganisationen:www.climatenetwork.orgwww.die-klima-allianz.dewww.klimabuendnis.org

Wachstum verbraucht Energie

Aus Kohle kommt der meiste Strom

Schwellenländer legen zu

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1980 1990 2000 2010 2020 2030

80

100

60

40

20

0

China

Übrige Welt

USA

Indien

Kohleverbrauchin Billiarden Britische Wärmeeinheiten

0

2,0

2,5

1,0

0,5

1,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

1980 1990 2000 20202010 2030

1. die 30 Mitgliedsländer der OECD

Schwellen- und Entwicklungsländer

Industrieländer1

in Mrd. Tonnen Öläquivalent

Prognose

weltweiter Kohleverbrauch,

er Großteil der globalen Energiever-sorgung basiert heute auf Kohle.

Selbst wenn die Treibhausgas-Emissionenin Zukunft global begrenzt werden, dürfteKohle auf absehbare Zeit sogar eine nochgrößere Rolle spielen als heute. Schließ-lich sind von keinem anderen fossilenEnergieträger noch so viele Reserven in derErde vorhanden. Die globalen Vorräte anHartkohle reichen – wenn man den Ver-brauch des Jahres 2007 zugrunde legt –noch mehr als 125 Jahre, die an Weich-braunkohle noch mehr als 200 Jahre.

Steinkohle war im Jahr 2008 die Primär-energie mit dem weltweit am schnellstenwachsenden Verbrauch. Sie deckt 29 Pro-zent des globalen Energieverbrauchs ab.40 Prozent der globalen Elektroenergiewerden durch die Verbrennung von Kohleerzeugt.

Die Kohleförderung lag im Jahr 2008weltweit bei 5,85 Milliarden Tonnen, davonentfielen 0,8 Milliarden Tonnen auf die fürdie Stahlproduktion unverzichtbare Koks-kohle, die restlichen 5,05 Milliarden aufKraftwerkskohle. Rein physikalisch lagernmehr als 21 Billionen Tonnen Kohle unterder Erde. Laut Schätzungen der Internatio-nalen Energie-Agentur belaufen sich dieabbaubaren Kohlereserven der Welt auf

929 Milliarden Tonnen. Drei Viertel der glo-balen Kohlevorräte konzentrieren sich auffünf Länder. Die Region mit den größtenKohlevorkommen der Welt ist die Russi-sche Föderation, gefolgt von den USA undChina. Die mit großem Abstand meisteKohle fördert China. Das Land baute 20072 479 Millionen Tonnen Kohle ab, gefolgtvon den USA mit 967 Millionen und Indienmit 452 Millionen Tonnen.

Die Angaben zu den Kohlevorräten sindallerdings mit Unsicherheit behaftet. Dasführte in Deutschland etwa dazu, dass dieBundesanstalt für Geowissenschaften imJahr 2004 die Schätzungen für die verblei-benden deutschen Steinkohlereserven um99 Prozent und die für Braunkohle um 80 Prozent reduzierte, weil sie seitdem diespekulativen Ressourcen in ihren Schät-zungen nicht mehr berücksichtigt. Die Ge-samtreserven nehmen auch mit demMarktpreis für Kohle zu, da mit einem hö-heren Preis auch kostspieligere Abbau-techniken realisiert werden können. Sowerden die Kohlevorkommen in Chinaetwa auf 800 Milliarden Tonnen geschätzt.Abbaubar sind davon – unter heutigen Be-dingungen – maximal 139 Milliarden Ton-nen. Das Volumen der tatsächlich nutzba-ren Kohlevorräte ist auch deshalb soschwer zu beziffern, weil ein großer Teilder Reserven von minderer Qualität ist. InChina dürfte dies für etwa die Hälfte derKohlevorräte gelten, in Russland und denUSA ist dieser Anteil sogar noch höher.

Der Hunger nach Kohle ist gerade in auf-steigenden Ökonomien wie China kaumzu stillen. Das Land ist der größte Verbrau-cher von Kohle und neben den USA dergrößte CO2-Emittent des Planeten. Kohlehat einen entscheidenden Vorteil: Sie istbillig. Eine Megawattstunde Strom mitaustralischer Kohle zu produzieren koste-te 2008 etwa 11 Euro, die gleiche Mengemit einem Ölkraftwerk zu erzeugen istetwa fünfmal so teuer.

Trotz der Bedrohung des Weltklimasdurch Treibhausgase setzen viele Länderdeshalb auf den massiven Ausbau der Koh-lekraft. Weltweit werden bis 2030 rund5 000 Kohlekraftwerke in Betrieb sein,schätzt die UmweltschutzorganisationGreenpeace. Russland will bis 2011 mehrals 30 neue Kohlekraftwerke bauen, in Chi-na geht alle ein bis zwei Wochen ein neuerKohlemeiler ans Netz. Das Land will bis2015 seinen Kohleverbrauch um 30 Pro-

D

Kohle bleibt ein DauerbrennerDie Kohlereserven der Welt sindriesig, und der Anteil der Kohle an der Energieversorgung wird steigen.Technische Lösungen sollen ihreSchädlichkeit vermindern. DieIndustrie setzt auf die umstritteneCO2-Abscheidung.

Nachfrage in der Welt Großverbraucher China

Page 8: Atlas Globalisierung Teil3

77

300

200

100

20

2500

2000

1500

1000

0

500

In den Appalachen werden Berg-gipfel gesprengt, um die darunter liegende Kohle abzubauen.

Anteil an (äußerst umweltschädlicher) Braunkohle

Ende 2007,in Mrd. TonnenKohlevorkommen

BraunkohleSteinkohle

Hauptlagerstätten

Kohleverbrauch der Länder2006, in Mio. Tonnen

Pazifischer Ozean

Atlantischer Ozean

Indischer Ozean

Afrika und

Mittlerer Osten

Asien und Pazifik

L ateinamerika

Europa

und Eurasien

Nordamerika

Indien

Australien

Polen

Südafrika

Russland

Deutschland

Japan

USA

China

1113

2584

zent auf jährlich 3,3 Milliarden Tonnensteigern.

Der große Nachteil der Kohle sind je-doch die Treibhausgase. Von allen fossilenBrennstoffen schädigt die Kohle das Welt-klima am stärksten, denn ihre Verbren-nung setzt viel mehr Kohlendioxid frei alsdie von Öl oder Gas. Selbst ein modernesSteinkohlekraftwerk stößt 750 GrammCO2 bei der Produktion einer Kilowatt -stunde Strom aus, das ist doppelt so vielwie bei einem Gas- und rund 50 Prozentmehr als bei einem Ölkraftwerk.

Weltweit setzen Energiekonzerne des-halb große Hoffnungen in eine Technik,mit der sie das bei der Kohleverbrennungfrei werdende CO2 abtrennen und unter -irdisch speichern wollen. Bei der »CarbonCapture and Storage«, kurz CCS, handeltes sich allerdings um ein Konzept, dastechnologisch in den Kinderschuhen

steckt und dessen Beitrag zum Klima-schutz noch offen ist.

Ähnlich problematisch wie bei der End-lagerung von Atommüll dürfte die Suchenach geeigneten Lagerstätten werden, diedie Treibhausgase über Millionen von Jah-ren sicher einkapseln. Erste Anlagen wer-den frühestens 2020, möglicherweise aucherst 2030 serienreif sein. Bis dahin wird 60 Prozent der deutschen Kraftwerksleis-tung ohne CCS-Technik erneuert sein.Fachleute des Weltklimarates billigen derCCS-Technik auch danach nur die Rolle ei-ner Übergangstechnik zu. Sie schätzen,dass sich im Jahr 2050 die globalen fossi-len CO2-Emissionen mit Hilfe der CCS-Technik nur um 20 bis 40 Prozent reduzie-ren lassen. Das liegt unter anderem daran,dass das Verfahren selbst sehr viel Energiebenötigt. Der Wirkungsgrad von Kohle-kraftwerken dürfte durch die CCS-Technik

etwa um ein Drittel sinken, was zu spürbarsteigenden Strompreisen führen wird. Bisdas Verfahren einsatzbereit ist, wird es ver-mutlich billiger sein, Strom aus Offshore-Windfarmen auf hoher See zu gewinnen,als ihn durch Verbrennung fossiler Ener-gieträger zu erzeugen.

wwwInternational Energy Outlook:www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe:www.bgr.bund.deWeltmarkt für Steinkohle:www.rwe.com/web/cms/contentblob/12078/data/6047/blob.pdfWorld Coal Institute:www.worldcoal.org

Förderung und Verbrauch von Kohle

Page 9: Atlas Globalisierung Teil3

78

0 5 10 15 20 25 30 35 40

Gewinne der großen Ölfirmen

Wirtschaftsleistung ausgewählter afrikanischer Länder

Milliarden US-Dollar

(2007)

(2006)

32,420,5

18,1

12,97,7

0,8

Angola

Kenia

Kamerun

ÄthiopienKongo

Burundi

40,631 ,9

20,8

18,6

14,6

12,1

7 ,5

ExxonMobil

Shel l

BP

Chevron

Total

Sinopec

Lukoi l

n den vergangenen Jahren hat der Öl-preis eine beispiellose Berg- und Tal-

fahrt hingelegt: Während eine Tonne derNordseesorte Brent in den 1990er-Jahrenfür weniger als 20 Dollar pro Barrel zu ha-ben war, schoss der Kurs am 11. Juli 2008an der Londoner Börse auf den Rekordwertvon 147,50 Dollar – und rasselte wenig spä-ter wieder in den Keller. Im Frühjahr 2009pendelte der Preis einige Monate um die40-Dollar-Marke, um sich dann – ein Aus-druck der Hoffnungen auf ein baldigesEnde der Wirtschafts- und Finanzkrise –wieder Richtung 70 Dollar und darüber hinaus zu bewegen. Ein solches Auf und Ab hat die Welt zuletzt in den Zeiten der Öl-krise in den 1970er-Jahren erlebt.

Angesichts der Rekordpreise und derUnberechenbarkeit der Ölnotierungensind Versprechen auf stabile Ölpreise und

ein neues Gleichgewicht zwischen Ange-bot und Nachfrage mehr als gewagt. Dennwährend die Nachfrage unaufhörlichsteigt, geht selbst innerhalb der Ölindus-trie der Glaube an die Entdeckung neuerLagerstätten und den weiteren Ausbau derProduktionskapazitäten zurück. Ein pro-fessioneller Ölsucher verglich die Ölförde-rung schon mit »einer Jagdpartie, bei derdie Gewehre zwar ständig verbessert wer-den, das Wild aber immer weniger undkleiner wird«.

Gleichzeitig wächst der Energiebedarfmit der wirtschaftlichen Entwicklung vorallem in Indien und China immer schnel-ler: Nach einer durchschnittlichen Steige-rung des globalen Energieverbrauchs von1,54 Prozent pro Jahr zwischen 1992 und2002 wuchs die weltweite Ölnachfrage zwi-schen 2003 und 2007 um 9,4 Prozent, inChina sogar um 48,5 Prozent.

Für einige Jahre konnte die Ölproduk -tion dem Anstieg folgen, die Preise bliebenmehr oder weniger stabil. Doch seit derJahrtausendwende fallen Angebot undNachfrage zunehmend auseinander, undauch die Transport- und Raffinerie-Kapazi-täten kommen nicht mehr nach. Seitdemsteigen die Preise für Öl und seine DerivateBenzin und Diesel.

Dabei ist der Öldurst der Welt noch im-mer nicht befriedigt – Wirtschaftskrise hinoder her. Wachsen China und Indien wei-

ter, dann steigt die weltweite Nachfrage vonheute 87 Millionen Barrel pro Tag (BPD, einBarrel entspricht 159 Litern) bis 2030 auf118 BPD. Selbst die traditionell der Ölindus-trie zugeneigte Internationale Energie-Agentur (IEA) bezweifelt inzwischen, dassdie Erdvorräte mehr als eine Tagesförde-rung von 95 bis 100 BPD zulassen.

Ölfelder sind nämlich wie Schwämme:Am Anfang lassen sich aus ihnen fast belie-bige Mengen Öl herauspressen. Aber so-bald die Felder nicht mehr ganz voll sind,geht die Förderung langsam zurück, unddann kann man pressen, wie man will: Ausden Bohrlöchern kommen nur noch Rinn-sale. Darum nimmt die Förderung aus dengroßen, bis in die 1980er-Jahre hinein ent-deckten Ölfeldern immer weiter ab.

In Mexiko warnte eine von der staat -lichen Ölfördergesellschaft Pemex in Auf-trag gegebene Studie schon 2007, die Pro-duktion werde schneller zurückgehen alsgeplant; betroffen sei vor allem das ÖlfeldCantarell (entdeckt 1976), in dem 60 Pro-zent aller mexikanischen Ölreserven la-gern. Ähnliches gilt für das Nordsee-Öl:Hier wird die Förderung von 6,6 BPD imJahre 2002 auf 4,8 BPD im Jahre 2010 undbis 2030 auf weniger als 2,2 BPD sinken.Durch den Rückgang der Produktion beigleichzeitig wachsendem Eigenbedarfsind frühere Exportnationen wie Indone-sien und Ägypten inzwischen schon zu Öl-Importeuren geworden beziehungsweisestehen kurz davor, wie Gabun, Tunesien,Oman und Syrien.

Die IEA glaubt, dass der weltweit wach-sende Ölbedarf bis 2030 durch neue Fundeim Nahen Osten und die Ausbeutung so ge-nannter nichtkonventioneller Lagerstät-ten wie Ölschiefer in Kanada gedeckt wer-den kann – aller Klimaprobleme und Um-weltschäden zum Trotz. Andere Expertensind vom Gegenteil überzeugt: Sie bezwei-feln vor allem, dass die Länder im NahenOsten tatsächlich so viel Öl besitzen, wiesie behaupten.

Ob man nun zu den Optimisten gehörtwie die Experten der IEA oder die Ölreser-ven vorsichtiger beurteilt: Sicher ist, dassPeak Oil, der Höhepunkt der globalen Öl-förderung, fast erreicht ist. Die Pessimis-ten erwarten Peak Oil etwa 2015; die Opti-misten rechnen erst 2025 oder 2030 damit– historisch ist das aber nur der Unter-schied zwischen morgen Früh und morgenMittag.

I

Das billige Erdöl ist verbrauchtDie künftige Nachfrage nach Öl wird das Angebot weit übersteigen.Der Höhepunkt der globalenÖlförderung ist bald erreicht, und derBarrel-Preis bleibt unberechenbar.

Finanzkraft im Vergleich

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79

1990 2005 2015 2030

0

100

200

300

400

500

600

700

1990 = 100

Referenz-SzenarioAlternativ-Szenario

Russland

Afrika

Entwicklungsländer

Indien

China

USA

Europäische Union

Welt

1980 1985 1990 2000 20051995

0

20

40

60

80

100

120

140

Durchschnitt 1985–2000: 18,5 $

Durchschnitt 2000–2007: 41,6 $

Juli 2009

am 11. Juli 2008: 147,5 $Durchschnittlicher Barrel-Preis

Preis im Juli 2009: 64 $

in US-Dollar

in Tausend Barrel pro Tag, 2008

Entwicklung der Produktion im Vergleich zum Vorjahrsinkend steigend

0 5000 10 0002500 7500

Erdölförderung

Atlantischer Ozean

Indischer Ozean

Pazifischer Ozean

Pazifischer Ozean Gabun

VenezuelaKolumbien

Ecuador

Peru

Brasilien

Argentinien

Trinidad und tobago

Mexiko

USA

Kanada

Norwegen

Grossbritannien

Dänemark

Rumänien

Italien

Tunesien

Algerien

Libyen

Tschad

Äquatorialguinea

Nigeria

Kongo

Angola

Sudan

Ägypten

Syrien

Aserbaidschan

Russland

Irak

Kuwait

Iran

Katar

Ver. Arabische Emirate

Oman

Jemen

Turkmenistan

usbekistan

Saudi-Arabien

Kasachstan

China

Indien

Thailand

Vietnam

Malaysia

Brunei

Indonesien

Australien

Kamerun

Das Problem besteht nicht darin, dass esin absehbarer Zeit kein Öl mehr gibt, son-dern vielmehr darin, dass wir uns auf dasEnde des billigen und stets verfügbarenÖls einstellen müssen. Das Ungleichge-wicht zwischen Angebot und Nachfrage

wird zu heftigen Preisschocks führen, de-ren Auswirkungen auf die Weltwirtschaftund auf das Verhältnis zwischen den Erdölproduzierenden und den auf Importe an-gewiesenen Ländern kaum abzusehensind.

wwwzu Peak Oil:www.energiekrise.dewww.peakoil.netEnergieprognose der IEA:www.worldenergyoutlook.orgWelt-Energiestatistiken unter:www.bp.com

Die Erdölproduzenten der Welt

Steigende Nachfrage Schwankende Preise

Page 11: Atlas Globalisierung Teil3

80

1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050

0

10

20

30

40

50

60Milliarden Barrel pro Jahr

FörderungPrognoseErschließung

Erschließung und Förderung von konventionellem Öl

er hohe Ölpreis lässt ein Land zumÖlemirat mutieren, bei dem man

sonst eher an Weite, Wälder und Bärendenkt: Kanada. Die Ölsande von »Athabas-ca« im Bundesstaat Alberta, nördlich derProvinzhauptstadt Edmonton, machenrund 60 Prozent der weltweiten Ölsand-Vorkommen aus, ein Potenzial von rund175 Mrd. Barrel Öl. Damit ist Kanada imPrinzip die zweitgrößte Ölmacht der Weltnach Saudi-Arabien, dessen Ölreservenheute etwa bei 260 Mrd. Barrel liegen. Besonders die USA versprechen sich vonden neuen Quellen beim nördlichen Nach-barn eine krisenfeste Versorgung mit demfossilen Brennstoff und kaufen schon heu-te große Mengen kanadisches Öl: DasLand der weiten Wälder liefert inzwischen17 Prozent der US-Ölimporte.

Doch die Auswirkungen der wachsendenÖlsand-Förderung sind katastrophal.Denn die Ölsande verbergen sich unter ei-ner Fläche von 77 000 Quadratkilometern,fast doppelt so groß wie die Schweiz. Diese»nichtkonventionellen Reserven« beste-hen nur bis zu 20 Prozent aus Kohlenwas-serstoffen wie Bitumen und Rohöl. DerRest sind Sande, Ton und Wasser. Darummuss die klebrige Erde mit riesigen Bag-gern zu Extraktionsanlagen gekarrt wer-den, die Bitumen und Sand mit Hilfe vonheißem Wasser und Ätznatron trennen.Anschließend wird der Bitumen – das »Erd-

pech« – verflüssigt und zu Öl und Treibstof-fen weiterverarbeitet. Das Verfahren istenergieintensiv, zerstört die Laub- undTannenwälder und hinterlässt an ihrerStelle verseuchte Mondlandschaften, dietrotz aller Beteuerungen der Ölgesellschaf-ten nur sehr zögerlich renaturiert werden.Erst 0,2 Prozent der in den letzten vierzigJahren zerstörten Wälder wurden wiederaufgeforstet.

Im Tagebau werden die Ölsande abge-baut, bei denen die Schichten zehn biszwanzig Meter unter der Erde beginnenund bis in 70 Meter Tiefe reichen. Lager-stätten unter dieser Schicht – die Mehrzahlin Kanada – werden unter Tage abgebaut.Das treibt zwar Kosten und Energiever-brauch weiter in die Höhe, schont aber im-merhin die Landschaft. Gegen die zukünf-tige Versorgungslücke beim Öl hilft es al-lerdings kaum – sie wird sich nicht mitSand zukippen lassen. »Die Projekte wer-den in absehbarer Zeit nur einen Bruchteilder Kapazität der Förderung von konven-tionellem Erdöl erreichen«, heißt es in einer Studie der Bundesanstalt für Geowis-senschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover.

Trotzdem will Kanada seine Ölproduk -tion bis 2015 verfünffachen, und die inter-nationalen Ölgesellschaften investieren indas neue Geschäft. Der französische Öl -riese Total hat bereits Firmenanteile vorOrt aufgekauft. Und die 2005 gegründete»Energy Alberta Company« plant sogar denBau eines Atomkraftwerks, das billigeElektrizität für den Abbau der Ölsande lie-fern soll. Ähnliche Pläne gibt es in Sibirienund an verschiedenen Flussdeltas derWelt.

Auch nördlich von Kanada ist die Wild-nis bedroht. Alaska ist eines der letztengroßen Wildreservate der Welt. Im Schutz-gebiet »Western Arctic Reserve« im äußers-ten Norden Alaskas leben allein 450 000Karibus, und vor den Küsten schwimmen3 500 Wale. Doch mit steigenden Ölpreisenund dem Abschmelzen des Eises wird diegesamte Region oberhalb des Polarkreisesfür Ölsucher immer interessanter. Nach einer Studie des U.S. Geological Survey liegen in der Arktis 90 Mrd. Barrel unent-decktes Öl, 50 Mrd. Kubikmeter Erdgasund 44 Mrd. Barrel Flüssiggas. Die Wissen-schaftler schätzen, dass 22 Prozent allerbisher nicht erschlossenen Vorräte dort zufinden sind. Aus ebendiesem Grund wollte

D

Der letzte Tropfen wird zu teuerÖlsucher gefährden die WälderKanadas und die unberührte Naturder Arktis. Hier liegen schwerzugängliche Ölsande und nichtausgebeutete Öl- und Gasvorkommen.Mit dem hohen Ölpreis wird ihrAbbau womöglich doch lukrativ.

Die herkömmlichen Ölquellen versiegen

Page 12: Atlas Globalisierung Teil3

81

nachgewiesene Erdöl- und Erdgasvorkommen,Lagerstätten in der Prospektionsphase

bestehend

Tanker- oder Pipelineunglück mit über 50 000 Tonnen ausgelaufenem Rohöl

geplant oder im Bau

in zehn bis fünfzehn Jahren ganzjährig befahrbare Meeresstraßen

aus dem Abbau von Ölsandaus konventioneller Öl- und Gasförderung

Ausdehnung der nordpolaren Eisflächezu Beginn des 21. Jahrhunderts

große Naturschutzgebiete

wichtige Öl- und Gaspipelines

Gewinnung von Erdöl und Erdgas

Atlantischer Ozean

Nordpol

Pazifischer Ozean

Nordpolarmeer

Alaska(USA)

Grönland

Queen-Elizabeth-Inseln

Alberta

Spitzbergen(Norwegen)

Norwegen

Russland

Island

Kanada

Reykjavík

Thule

Petschora

Churchill

Sankt Petersburg

Nord-Alaska

Sverdrupbecken

Barentssee

TimanPetschora

Beaufor tMackenzie

Wests ibir ien

Hammer festSval is

Exxon Valdez

Ussinsk

Odyssey

Othel loBraer

Arc t ic NationalWildl i fe Refuge

Western Arc t ic Reser ve

Great Arc t ic Zapovednik

Nordostpassage

Nordatlantikroute

Nordwestpassage

nachWesteuropa

siehe vergrößer tenAusschnitt rechts unten

in Gramm CO2-Äquivalent pro Megajoule Kraftstoff

0

10

20

30

konventionelles ErdölÖlrückgewinnung

Ölsandverflüssigtes Erdgas

verflüssigte KohleÖlschiefer

0

10

20

30

40

50

60

in US-Dollar pro Barrel

25

15

5

Durch die Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe verursachter Ausstoß von Treibhausgasen

Extraktionskosten

35 70

bestehendeFörderstättekünftigeFörderstätte

Ölsande

30 km

Athabasca-see

Atha

basc

a

Alberta

Fort Chipewyan

Fort McMurray

Fort McKay

Wood BuffaloNational Park

Highway 63

der ehemalige US-Präsident George W.Bush im Norden Alaskas und vor der US-amerikanischen Küste trotz des Protestsvon einflussreichen Umweltorganisatio-nen Bohrkonzessionen erteilen. Die warenmit der Niederlage der Republikaner imNovember 2008 erst mal vom Tisch. Dochder Wettlauf um die Ölreserven der Arktisgeht weiter.

wwwBGR Studien zu Ölsand:www.bgr.bund.deEnergy Outlook der US-Energiebehörde:www.eia.doe.gov/oiaf/ieo/U.S. Geological Survey, Reserven der Arktis:www.usgs.gov/newsroom/article.asp?ID=1980Hintergrundinformationen zu Ölsand:www.oilsandswatch.orgAlternativer kanadischer Think tank The Pembina Institute:www.pembina.org

Die Arktis und ihre Schätze

Kosten und Klimawirkung verschiedener Energieträger

Abbau von Ölsanden in Alberta, Kanada

Page 13: Atlas Globalisierung Teil3

82

90

50

20

5

2007, Milliarden Kubikmeterin die EUin andere Länder

Europäische UnionLänder, die Erdgas in die EU exportieren

500 km

Erdgasgesamtverbrauch2007, Milliarden Kubikmeter

Erdgasexporte

Österreich

Deutschland

Finnland

Lettland

Estland

Litauen

Polen

Rumänien

Bulgarien

Griechenland

Slowenien

Italien

Ungarn

Tschechien

Slowakei

Schweden

Frankreich

Grossbritannien

Spanien

Portugal

Niederlande

Belgien und

Luxemburg

Dänemark

Irland

Malta

Zypern

121

86

14,4

1O

6,7

9,5

26

0,2

15,9

49,2

Russland

AlgerienLibyen

Nigeria

Katar,

Ägypten,

Oman,

Trinidad und tobago

Norwegen

rdgas lässt sich vergleichsweise effi-zient in Strom und Wärme umwan-

deln, verursacht weniger CO2-Emissionenals Öl und Kohle und ist billiger und mitweniger Risiken behaftet als Atomenergie,weshalb die Nachfrage auch in Europakontinuierlich steigt: bis 2010 auf schät-zungsweise 640 Milliarden Kubikmeter,knapp 24 Prozent mehr als 2008. Die seitJahren rückläufige innereuropäische Erd-gasförderung deckt jedoch bereits heutenur noch 40 Prozent des Bedarfs. Bis 2020wird die EU ihr Gas zu 80 Prozent importie-ren müssen.

Schon heute kommen 80 Prozent der EU-Erdgasimporte aus nur drei Ländern:Russland, Norwegen und Algerien. Russ-land verfügt mit 47 Billionen Kubikmeterüber die weltweit größten Erdgasvorräteund wird auf lange Sicht der wichtigsteErdgaslieferant der Union bleiben. Diesemassive gegenseitige Abhängigkeit ist fürbeide Seiten besorgniserregend, weshalbman sich um Diversifizierung bemüht. Amdeutlichsten wird dies beim Bau neuerErdgaspipelines, der sowohl von Russlandals auch von der EU vorangetrieben wird.

Die Importkapazität der 2009 existieren-den Erdgas-Pipelines nach Europa liegt beietwa 320 Milliarden Kubikmeter pro Jahr,die Hälfte davon entfällt auf russisches, einDrittel auf norwegisches Gas. Bislang wirdrussisches Gas über die Ukraine und Weiß-russland bzw. Polen nach Westeuropa ge-liefert. Diese Lieferungen wurden aller-dings in den letzten Jahren immer wiederunterbrochen, meist wegen Streitigkeitenzwischen Russland und der Ukraine.

Der russische Monopolist Gazpromplant nun – als Mehrheitseigentümer –zwei zusätzliche Gasleitungen, die Westeu-

ropa direkt beliefern sollen: Die Nord-Stre-am-Pipeline verläuft vom russischen Wy-borg auf dem Boden der Ostsee bis nachGreifswald. Sie soll ab 2012 jährlich 55 Mil-liarden Kubikmeter Erdgas befördern undden Energiebedarf von gut 25 MillionenHaushalten decken. 2015 soll eine weitereGasleitung in Richtung Südeuropa fertigwerden: Die South-Stream-Pipeline soll –auf dem Grund des schwarzen Meeres ver-laufend – die russische Hafenstadt Nowo-rossijsk mit dem bulgarischen Warna ver-binden. Wenn sie voll ausgebaut ist, kannsie jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Erd-gas (gut ein Drittel der russischen Liefe-rungen nach Europa) nach Süditalien undÖsterreich transportieren.

Beide Projekte sind für Gazprom wichti-ge Meilensteine einer Strategie, mit dersich das bislang nur als Gaslieferant agie-rende Unternehmen langfristig direktenZugang zu den europäischen Energiever-brauchern verschaffen will. Allerdingssind beide Pipelines noch keineswegs si-cher: dem Ostseeprojekt drohen Einsprü-che von skandinavischen Umweltschüt-zern, bei der South-Stream-Pipeline stehtdie Beteiligung Bulgariens in Frage, seitdie im Juli 2009 gewählte Regierung Borisow Bedenken geäußert hat.

Die EU wiederum versucht sich mit derNabucco-Pipeline vom russischen Erdgasunabhängiger zu machen. Durch sie sol-len – unter Umgehung Russlands – jähr-lich 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas (5 bis 10 Prozent des europäischen Erd -gasverbrauchs) aus den riesigen Gasvor-kommen des Kaspischen Meeres via Tür-kei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bisnach Österreich gelangen. Das Projektkommt aber nur schleppend voran. EinRahmenvertrag über den Bau der 3300 Ki-lometer langen Pipeline wurde im Juli2009 unterzeichnet, nachdem sich das Na-bucco-Konsortium jahrelang mit Forde-rungen der Türkei herumschlagen musste.Doch selbst wenn die Pipeline tatsächlichwie geplant im Jahr 2015 fertiggestellt seinsollte, ist fraglich, ob es genügend Gas fürsie geben wird.

Bis dahin könnte es nämlich sein, dasssich Russland und China mit bilateralenAbkommen bereits den Zugriff auf großeTeile der kaspischen Gasvorkommen gesi-chert haben. Selbst Aserbaidschan, das alsHauptlieferant für Nabucco vorgesehenist, hat Gazprom den Zuschlag für 1,2 Bil-

E

Europas Erdgas aus dem OstenEin Viertel der Primärenergie, die in der EU verbraucht wird, kommt bereits heute aus Erdgas -leitungen. Neue Pipelines sollen die Abhängigkeit vom HauptlieferantenRussland verringern.

Wenige Lieferanten dominieren die Versorgung

Page 14: Atlas Globalisierung Teil3

83

Hauptversorgungsleitungen für die EU

Projekte unter russischer FührungProjekte unter Führung der EU

VorhandenGeplant oder im Bau

Staaten, die Verträge mit Russland haben

Staaten, die von Russland umgangen werden

Europäische UnionErdgasfördernde Länder

Erdgasleitungen

Flüssiggasterminals

Abkommen und Umgehungen

Geplante oder im Bau befindliche Leitungen

500 km

Mittelmeer

Schwarzes

Kaspisches

Ostsee

Atlantischer Ozean

Nordsee

Meer

Meer

Barentssee

Österreich

Deutschland

Finnland

Lettland

Estland

Litauen

Polen

Rumänien

Bulgarien

Griechenland

SlowenienUngarn

Tschechien

Slowakei

Schweden

Frankreich

Grossbritannien

Spanien

Portugal

Niederlande

Belgien

DänemarkIrland

Malta

Zypern

Russland

Algerien

Libyen

Marokko

Norwegen

Weissrussland

Ukraine

Moldawien

Türkei

Aserbaidschan

Georgien

Armenien

Serbien

Lux.

Ägypten

Kasachstan

Tunesien

Italien

Berlin

Wien

Sofia

Ankara

Budapest

Warschau

Bukarest

Kiew

Moskau

TbilissiBaku

Eriwan

Minsk

Sankt Petersburg

Noworossiisk

Erzurum

Tuapse

Vyborg

Smolensk

Dzhubga

Nabucco

South Stream

Ostseepipeline

Jamal–

europa

Druschba

Transport durch Gastanker

von den Jamal-Gasfeldern

aus dem Nahen Osten(derzeit sehr unwahrscheinl ich)

vom Stockmann-Gasfeld

Blue Stre

am

aus dem Iran

lionen Kubikmeter seiner Gasreserven er-teilt. Die Europäer hoffen allerdings, dieLeitung auch mit Gas aus Ägypten, demNordirak und dem Iran speisen zu können.Immerhin hat der Irak angeboten, 15 Mil-liarden Kubikmeter Erdgas und damit dieHälfte seiner Jahreskapazität an die EU ab-zugeben. Für die Realisierung dieser Plänefehlt es aber auf absehbare Zeit an zusätz-lichen Pipelines in der Region wie an dernotwendigen politischen Stabilität. Alskleine Erfolge kann die EU die beiden alge-rischen Pipelines »Galsi« und »Medgaz«verbuchen, die auf dem Grund des Mittel-meeres verlegt werden. Medgaz soll ab2010 jährlich 8 Milliarden KubikmeterErdgas nach Spanien, Galsi ab 2012 diesel-be Menge nach Italien bringen.

Immer mehr Bedeutung gewinnt bei derDiversifizierung der Erdgasversorgung dieGasverflüssigung. Flüssiggas oder LNG

(Liquefied Natural Gas) entsteht durch dieAbkühlung auf minus 161 Grad Celsiusund hat den Vorteil, dass es in diesem Ag-gregatzustand auf 1/600stel seines Volu-mens schrumpft. Damit lässt sich LNGweltweit mit speziellen Tankschiffen, aberauch auf der Straße oder der Schiene trans-portieren. Der aufwändige Umwandlungs-prozess kostet allerdings einen Energie-verlust von 10 bis 25 Prozent.

80 Prozent der globalen LNG-Lieferun-gen gehen derzeit nach Japan, Südkoreaund Taiwan. Die EU-Länder haben 2007nicht einmal 10 Prozent ihres Erdgasbe-darfs mit Flüssiggas gedeckt. An der Spitzeliegt dabei Spanien, wo der Gasmarkt zu 70 Prozent mit LNG versorgt wird, wäh-rend der entsprechende Anteil in Italienbei 3 und in Großbritannien bei gerade 1 Prozent liegt. In Deutschland spielt LNGbislang noch überhaupt keine Rolle.

Der weltgrößte LNG-Erzeuger ist zurzeitdas Emirat Katar, das rund 44 Mrd. Kubik-meter Erdgas verflüssigt. Auch andere Län-der im Nahen Osten bauen ihre Anlagenzur Gasumwandlung massiv aus, weil sieeinen LNG-Boom erwarten. 2007 wurdenbereits 29 Prozent der globalen Erdgaspro-duktion in flüssiger Form transportiert. Ex-perten zufolge wird sich dieser Anteil bis2030 auf 50 Prozent erhöhen.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwEnergie-Portal der EU:http://energy.eu/Energieportal des Interstate Oil And Gas Transport To Europe:www.inogate.org/Verband der europäischen Gasproduzenten und -lieferanten:www.eurogas.org

Das Netz der Pipelines wächst

Page 15: Atlas Globalisierung Teil3

84

Großprojekte der Gas- und Ölpipelines

Gründe für Umgehungsrouten

Mitglied- und Beobachterstaaten der

Hauptlagerstätten

GUAM : Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Moldawien (prowestliche Organisation)

Shanghai Cooperation Organisation (SCO)Europäischen Union

ChinaRusslandUSAEUIran

Russisch-Weißrussischen Union

Hauptnetz der Gas- und Ölpipelines in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion

geplantvorhanden, im Bau oder in Erneuerung

geleitet von

Länder, in denen größere Teile des Staatsgebiets nicht unter der Kontrolle der Zentralgewalt stehen

Gebiete, die verschiedene Akteure im »Großen Spiel« aus unterschiedlichen Gründen meiden

Iranische Gaspipelines

1. Das Kaspische Pipeline-Konsortium wird von Russen geführt, doch die Aktionäre vertreten auch US-amerikanische, kasachische und omanische Interessen .

nter dem Meeresboden des Kaspi-schen Meeres, zwischen Baku und

Turkmenistan sowie vor den Küsten Ka-sachstans, werden riesige Öl- und Gasvor-kommen vermutet, Schätzungen zufolgeso viel wie die nachgewiesen Reserven vonIran und Irak. Neben dem Persischen Golfkönnte sich die Region zum wichtigstenEnergielieferanten für die USA, Europaund Asien entwickeln. Diesen wäre es ganzrecht, wenn die Ölproduzenten der OpecKonkurrenz bekämen. Kein Wunder also,dass die mächtigen Staaten der Welt umdie Kontrolle der kaspischen Bodenschät-ze ringen.

Doch so reich die Region an Erdöl- undErdgasreserven ist, so explosiv ist die poli-tische Lage im ehemaligen Hinterhof derSowjetunion. In der Region des Kaukasusund des Kaspisches Meeres mit ihren überfünfzig Sprachen, vielen Religionen undzahlreichen historischen Konflikten gibtes etliche alte und neue Krisenherde, da-runter Aserbaidschan, Tschetschenien,Georgien, Iran und Turkmenistan.

Dabei liegt in Baku auf der aserbaidscha-nischen Halbinsel Apscheron die Wiegeder modernen Ölindustrie. 1844 wurdehier zum ersten Mal überhaupt in der mo-

dernen Industriegeschichte gezielt nachÖl gebohrt. Ende des 19. Jahrhunderts warAserbaidschan der größte Ölförderer derWelt. Spätestens seit der englischen Beset-zung Bakus nach dem Ersten Weltkriegund dem gescheiterten Versuch von Hit-lers Truppen, Baku einzunehmen, übenausländische Staaten mit ihren ökonomi-schen und militärischen Interessen maß-geblichen Einfluss auf die Geschicke derErdölregion aus. Daran hat sich bis heutenichts geändert.

Als die Sowjetunion nach dem Ende desKalten Krieges zerbrach und die StaatenAserbaidschan, Kasachstan und Turkme-nistan entstanden, bemühten sich dieUSA, Europa und Asien, ihren Einfluss inder Region auf Kosten Russlands auszu-bauen. Am sichtbarsten tragen die Welt-mächte ihren Zwist dabei über die Kontrol-le der Öl- und Gasleitungen der Länder amKaspischen Meer, also über die Durchlei-tungsrechte aus.

Zu sowjetischen Zeiten gab es nur eineeinzige Pipeline, die über russisches Terri-torium Baku mit einem Hafen am Schwar-zen Meer verband. Das änderte sich, als dieUSA die Region ihrer strategischen Interes-sensphäre zuordneten. Einem ersten Ver-trag, in dem Aserbaidschan 1993 westli-chen Ölgesellschaften den Zuschlag fürdie Erschließung seiner Ölvorkommen er-teilte, folgten Milliardeninvestitionen ausdem Westen in Richtung Baku.

Ende der 1990er-Jahre trieb die Clinton-Regierung den Bau einer neuen Pipelinevoran, die russisches Territorium umgehtund Rohöl aus Aserbaidschan und Ka-sachstan bis an die Mittelmeerküste derTürkei transportiert. Die BTC-Pipeline vonBaku über Tiflis nach Ceyhan wurde unterFührung der westlichen EnergiekonzerneBP und Chevron gebaut und ging 2006 inBetrieb. 2009 transportierte die Pipelinemonatlich bereits 3 Millionen TonnenRohöl.

Die USA haben damit eines ihrer strate-gischen Ziele erreicht: Russland hat dasMonopol auf die Brennstoffleitungen ausdem Kaspischen Meer endgültig verloren.Zwischen den Transportrouten herrschtnun Konkurrenz. Kasachstan – wo weltweitdie größten neuen Ölfunde der letztenzwanzig Jahre gemacht wurden – und Aser-baidschan haben seitdem die Wahl zwi-schen verschiedenen Transitrouten: nachNorden über das russische Netz, das dem-

nächst über Bulgarien nach Griechenlandverlängert wird, oder nach Süden überGeorgien und die Türkei. Mit dieser Politikkonnten die USA die südlich gelegenenLänder vom Moskauer Einfluss abschnei-den und einen strategischen Keil zwischenRussland im Norden und den Iran im Sü-den treiben.

Das größte ökonomische Entwicklungs-potenzial für die Region Kaukasus und Ka-spisches Meer liegt jedoch weiter im Os-

U

Machtkampf am kaspischen MeerDie Region Kaukasus und KaspischesMeer entwickelt sich zu einembedeutenden Energielieferanten fürdie Welt. In einem geostrategischenPoker stecken die mächtigen Länderder Erde dort ihre Claims ab – mitpolitischen Allianzen, Förderrechtenund der Kontrolle über die Öl- und Gaspipelines.

Konkurrierende Pipeline-Strategien

Page 16: Atlas Globalisierung Teil3

85

Aralsee

Mittelmeer

Schwarzes Meer

Ägäis

Asow-see

Kaspisches Meer

Polen

Italien

Finnland

Slowenien

Deutschland

Dänemark

Schweden

Estland

Lettland

Litauen

Österreich

Niederlande

Slowakei

Tschechien

Griechenland

Rumänien

Georgien

Armenien

Aserbaid-

schan

Türkei

Bulgarien

MoldawienUkraine

Serbien

Irak

Iran

Turkmenistan

Usbekistan

KasachstanRussland

Russland

Saudi-Arabien

Mazedonien

Albanien

Kroatien

Bosnien und

Herzegowina

Montenegro

Russland

Kuwait

Weissrussland

Libanon

Israel

Jordanien

Palästina

Syrien

Ungarn

Zypern

Abchasien

KrimKosovo

Tschetschenien

Nachitschewan

Moskau

Baku

MinskWarschau

Ankara

Aschkabad

KiewBudapest

Teheran

Bukarest

Belgrad

Prag

Berlin

Tallinn

Helsinki

Bagdad

Tbilissi

Eriwan

Chisinau

Tirana

Athen

Istanbul

Ceyhan

Isfahan

Schiras

Täbris

Abadan

Maschhad

Kerman

Turkmenbaschi

Aktau

Atyrau

KandakKarakoya Kol

Tuapse

NoworossiiskKrasnodar

Supsa

Samara

Wolgograd

Ufa

Tjumen

Surgut

Erzurum

Orenburg

Alexandrow Gay

Beyneu

Burgas

Alexandropolis

Constanta

Odessa

Saratow

Kasan

Rostow

Neka

Brody

Juschnij

Vlorë

Omisalj

Gdansk

Triest

Rostock

Sankt Petersburg

Jaroslawl Perm

Kherson

Nischni-Nowgorod

Wyborg

Primorsk

Greifswald

Herat

KurykBosporusTcgp

Kcts

South

Stream

Gaspipeline Ipi

Ölpipeline

Kasachstan– china

Druschba-

Erweiterung

Gaspipeline Adria

und zurück

Umgeht die baltischen Staaten und Polen :

Gaspipeline Nord Stream

Gaspipeline

Nabucco

Ambo

Kaspisches Pipeline-

konsortium1

Cpc

Gaspipeline

Turkmenistan– china

Tanker

Gaspipeline

Blue Stream

Gaspipeline Bte

Ölpipeline Btc

Gaspipeline Tapi

Gaspipeline

Zentralasien

Zentrum

( Cac- 4 )

Trans-

kaspischer

Korridor

Gaspipeline Jamal-Europa

nach Indien

nach Indien

nach China

Kaschagan

Tengiz

ten. Schätzungen gehen davon aus, dassdie Nachfrage nach Energie aus dem asia-tischen Raum etwa zehnmal so stark zu-nimmt wie die aus Europa. China, Japanund Indien werden zu den größten Ener-gieverbrauchern zählen. Die kostengüns-tigste Möglichkeit, deren Nachfrage zu be-dienen, wäre der Bau einer 5 000 Kilometerlangen Pipeline durch den Iran und Afgha-nistan. Eine solche Investition ist aber an-gesichts der instabilen Lage auf absehbare

Zeit ausgeschlossen. Eine erste Pipelineführt bereits von kasachischen Ölfeldernim äußersten Norden des Kaspischen Mee-res nach China.

Russland schaut der westlichen Expansi-on vor seiner Haustür freilich nicht taten-los zu. Schon heute haben sich die Russenden Löwenanteil der kasachischen, usbe-kischen und turkmenischen Gas- und Öl-produktion gesichert. Das Kräftemessenzwischen der Nord-Süd-Achse Moskau-

Eriwan-Teheran und der West-Ost-Achse Washington-Ankara-Tbilissi–Baku hat erstbegonnen.

wwwAnalysen:www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kaukasus/Welcome.htmlWeb-Magazin:www.eurasischesmagazin.deUmweltschutz:www.caspianenvironment.orgwww.capscom.com

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1980 1995 2005 1980 1995 2005 1980 1995 2005

Anteil der Einnahmen aus Öl und Gas am Pro-Kopf-Arbeitseinkommen1980 = 100

Irak Jemen

Saudi-Arabien Ver. Arab. EmirateKuwait

Algerien

as Erdöl ist zur alles bestimmendenGröße in der arabischen Welt gewor-

den. Es hat die Gewichte verschoben undprägt auch das Innere der Gesellschaften.Seit Anfang der 1970er-Jahre häufen dieKönigreiche und kleinen Emirate auf derarabischen Halbinsel gigantische Vermö-gen an. Und mit den Petro-Dollars wander-te die politische, wirtschaftliche und kul-turelle Macht von den alten städtischenZentren in Ägypten, Irak oder Syrien, demso genannten Maschrek, in die erst im

20. Jahrhundert entstandenen Beduinen-staaten am Golf.

Mit ihrem neuen Reichtum haben Ku-wait, Katar, die Vereinigten ArabischenEmirate und vor allem Saudi-Arabien gro-ßen Einfluss gewonnen – politisch, wirt-schaftlich, sozial, kulturell und religiös.Ob materieller Wohlstand oder politischeKarriere, der Weg zum Erfolg in denMaschrek-Ländern führt über die Verbin-dungen zur mächtigen Ölindustrie. BestesBeispiel dafür ist der ermordete libane -sische Premierminister Rafik Hariri, derseine Wahlkämpfe und sozialen Program-me nur dank seines Privatvermögensfinanzieren konnte, das er als Unterneh-mer in Saudi-Arabien angehäuft hatte.

Der zunehmende Einfluss der Ölstaaten,insbesondere Saudi-Arabiens, brachte einErstarken des puritanischen Islam mitsich, gegen den sich die verschiedenensunnitischen Reformbewegungen des 19.und frühen 20. Jahrhunderts immer weni-ger behaupten. Schon um 1740 herum hatte das saudische Herrscherhaus derIbn Sauds die Lehren des Geistlichen Mohammed Ibn Abd al Wahhab angenom-

men. Die Wahabiten verbieten den Genussvon Alkohol, Tabak und Kaffee, pochen aufdie strikte Einhaltung der Vorschriften desScharia-Rechts und legen das Bilderverbotdes Korans so aus, dass Film- und Theater-vorstellungen untersagt sind.

Die bis heute in Saudi-Arabien regieren-de Saud-Familie nutzt ihren unvorstellba-ren Reichtum, um ihre Form des Islam inder ganzen Welt zu propagieren. Sie unter-stützt die Muslim-Bruderschaften in Ägyp-ten ebenso wie die Hamas in Gaza undsteuert auch zum Bau von Moscheen inDeutschland oder Bosnien Geld bei. Auchdie Taliban sind das Produkt des wahabi -tischen Ideologie-Exports, den erst die Ölmillionen Saudi-Arabiens möglich ge-macht haben. Demgegenüber sind die politisch liberalen Ansätze und Reformbe-mühungen der vergangenen Jahrzehnteweitgehend verschwunden.

Während solche Länder – der Iran, auchwenn nicht arabisch, gehört ebenfalls indiese Gruppe – ihre Überzeugungen in dieWelt tragen, kann im Inneren auch der we-niger konservativen Staaten aufgrund desÖlreichtums eine Art Feudalwirtschaft auf-rechterhalten werden. Ihr Außenhandelberuhte und beruht auf dem Austausch ih-rer Primärrohstoffe, also von Öl und Gas,gegen Konsumprodukte und Arbeitskraft.Billige Arbeiter aus überwiegend muslimi-schen Staaten von Ägypten bis Indonesienbauen am Golf Wolkenkratzer und High -ways, Experten aus Europa und den USAwerden mit hohen Gehältern in die Öl- undGasindustrie gelockt und lassen ganzeStädte neu entstehen. Und da den Unter -tanen der Öl-Aristokratien ein oft üppigunterstütztes Bildungs- und Gesundheits-wesen zur Verfügung steht und sie gut be-zahlte Posten in Wirtschaft und Verwal-tung bekommen, entsteht auch kaum so-zialer Unmut.

Wenig Geld hingegen ist bislang in tech-nische Neuerungen geflossen. Die komfor-table Finanzlage erlaubt, die technischeEntwicklung einfach zu verschlafen. Erstseit kurzem investieren die kleineren Öl-staaten massiv, um für die Zeit nach demÖl gewappnet zu sein – so Katar, Kuwaitund Abu Dhabi, vor allem aber Dubai. Daskleine Emirat, dessen Erdölreserven ver-mutlich schon in zwanzig Jahren erschöpftsind, erwirtschaftet heute bereits wenigerals zehn Prozent seines Bruttoinlands -produktes in der klassischen Ölindustrie.

D

Öl und Armut in der arabischen WeltIhre Bodenschätze haben die kleinen Golfstaaten zu GlobalPlayern gemacht. Einem Land wieSaudi-Arabien ermöglichen sie denFortbestand einer Monarchie mitStaatsreligion. Doch die meistenMenschen zwischen Algerien und dem Golf haben vom Reichtum an Öl und Gas fast nichts.

Unsicherer Einkommensfaktor Öl

Page 18: Atlas Globalisierung Teil3

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500 km

1. Der Iran ist kein arabischer Staat, spielt in der Region aber eine ausschlaggebende Rolle.

Erdölproduktionjährlicher Durchschnitt, 1997–2007in Mio. Tonnen

Erdgasproduktionjährlicher Durchschnitt, 1997–2007in Mio. Kubikmeter

Wirtschaftsmigranten in die Golfländer

900 000

260 000

140 000

100 00050 000

Golf-Kooperationsrat

475

195

75

5

10 000

4900

44 000

83 000

Tschad

Zentralafr. Rep.

Dem. Rep. Kongo

Kenia

Uganda

Niger

Sudan

Ägypten

Libyen

Saudi-

Arabien

Algerien

Marokko

SyrienIrak

Jordanien

Türkei

Georgien

Russland

Armenien

Spanien

Italien

Iran1

Jemen

Kuwait

Bahrein

Katar

Ver. Arab.

Emirate

Ver. Arab.

Emirate

Libanon

Palästina

TunesienIsrael

Oman

Mali

Eritrea

Äthiopien

Dschibuti

Somalia

Turkmenistan

Usbekistan

Aserbaidschan

Griechenland

Dafür ist das Land allerdings stark ölpreis-und damit konjunkturabhängig.

Viele arabische Migranten zieht es in dieGolfstaaten, vom unqualifizierten Arbeiterbis zum Bankchef. Etliche Länder, die vorallem Akademiker und Facharbeiter ent-senden, verlieren dadurch örtliche Elitenund Mittelschichten. Dafür sind die Über-weisungen an die Familie daheim zu einemwichtigen Faktor in den Herkunftsländerngeworden. Marokko etwa erwirtschaftetmit seinen Agrarexporen ebenso viel, wiedie Arbeitsemigranten nach Hause über-weisen. Eine sozialwissenschaftlich nochungeklärte Frage ist, welche Erfahrungenund Eindrücke die arabischen Zeitarbeiteraus den wohlhabenden Golfstaaten mitnach Hause bringen, ob sie die Lebens-und Konsumgewohnheiten ihres Gastlan-des beibehalten und sich von den religiö-sen Gebräuchen beeinflussen lassen.

Fest steht nur, dass der Ölreichtum denmeisten Menschen in der arabischen Welt

nicht viel gebracht hat. Ein häufig benutz-ter Indikator dafür ist der Vergleich von Ge-sundheit und Bildung (Lebenserwartungund Säuglingssterblichkeit, Schulbesuchund Analphabetismus) einerseits sowiedem durchschnittlichen Pro-Kopf-Ein-kommen andererseits. Die UN-Entwick-lungsorganisation UNDP legt dazu zweiLänderlisten an und vergleicht dann diePosition eines Landes auf den beiden Lis-ten. So liegt von den arabischen LändernÄgypten fast genau im globalen Durch-schnitt: auf Platz 110 nach Einkommen,111 nach Gesundheit und Bildung (dem»Index der menschlichen Entwicklung«).Deutlich wohlfahrtsfreundlich ist der Jemen, der nach Einkommen auf Platz 169,nach Gesundheit und Bildung immerhinauf Platz 153 liegt, also plus 16 Plätze. Jordanien bringt es immerhin auf plus 11und der Libanon auf plus 8 Plätze, Syrienauf plus 7 und Libyen auf magere plus 4.

Schlecht sieht es bei allen Golfstaaten

aus – hier wird viel verdient, aber dasschlägt sich bei ihrem Index der menschli-chen Entwicklung nur unterdurchschnitt-lich nieder. Katar liegt als pro Kopf ein-kommensstärkstes arabisches Land aufPlatz 23, aber bei Gesundheit und Bildungliegt es nur auf Platz 35, also minus 12 Plät-ze. Saudi-Arabien kommt sogar auf minus19. Den krassesten Unterschied gibt es je-doch nicht in den Scheichtümern, son-dern im Maghreb: Marokko minus 18, Al-gerien minus 22. Den arabischen Negativ-rekord hält Tunesien, nach Einkommenauf Platz 69 und nach »menschlicher Ent-wicklung« auf Platz 91, minus 23. Genausoschlimm wie der Iran.

wwwLänderberichte:www.carnegieendowment.orgLänderdaten:www.ixpos.de

Die arabische Halbinsel als Magnet für arabische Migranten

Page 19: Atlas Globalisierung Teil3

88

Lateinamerika

Nordamerika

eit 2007, als vor der Atlantikküste deswestafrikanischen Landes Erdöl ge-

funden wurde, steigen auch in Ghana dieHoffnungen auf Wachstum und Wohl-stand. 600 Millionen Barrel wurden im Öl-feld »Jubilee« nachgewiesen. 2010 soll dieFörderung beginnen. Sollte das Land seineTerritorialgewässer auf die zulässige 200-Seemeilen-Grenze erweitern, könntenGhanas Ölreserven acht Milliarden Barrelbetragen. Dann würde das Land zu einerechten Erdölnation.

Schon heute steht Ghana im Zentrum derÖlexpansion am Golf von Guinea. Auch vorden Küsten Gabuns, Äquatorialguineas,des Kongo und der Elfenbeinküste wurdeman fündig. Die Hoffnungen der Men-schen in der Region, in der bis zu 70 Pro-zent unter der Armutsgrenze leben, sindgroß. Westafrikas hochwertiges Erdöl ist ei-ner der Gründe, warum China und die USAinzwischen auch am Golf von Guinea ihregeopolitische Konkurrenz austragen. Bei-de Länder und ihre Ölkonzerne bemühensich dort massiv um Förderrechte sowieum politischen und militärischen Einfluss.

Für die USA werden die afrikanischen Ölfelder immer wichtiger. Im Jahr 2009 kamen 16 Prozent der US-Erdölimportevon dort. Bis 2015 wollen die USA, die derzeit aus Afrika ebenso viel Erdöl impor-tieren wie aus Saudi-Arabien, den Anteilaus Afrika auf 25 Prozent erhöhen. Auchdie Chinesen bauen ihren Einfluss in Afri-ka systematisch aus, setzen dabei aber we-niger auf die neokoloniale Strategie derpreisgünstigsten, für die langfristige Ent-wicklung aber schädlichen Ausplünde-rung der Rohstoffe.

Das Scheitern des traditionellen Vorge-hens ist im Ölzentrum Nigeria deutlich zubeobachten. Weltweit ist Nigeria dersechstgrößte Erdölproduzent. Zusammenmit Libyen hält das Land 66 Prozent derErdölreserven Afrikas. Doch der Reichtumhat sich zu einem Fluch für das westafrika-nische Land entwickelt. Seit vier Jahrenzerstören Milizen in Nigeria immer wiederPipelines und Ölanlagen. Die Rebellen be-gründen ihre Angriffe damit, dass dergrößte Teil der Bevölkerung von den Milli-arden Dollar Öleinnahmen keinen Centsehe, während sich eine kleine korrupteSchicht schamlos daran bereichere. Liefer-ausfälle ließen den US-Marktanteil Nigeri-as 2009 von 11 auf 6 Prozent schrumpfen.Darunter leidet der Staatshaushalt Nige -

rias emp findlich, dessen Einnahmen zu 95 Prozent vom Erdöl abhängig sind.Scharfe Einschnitte ins Sozialsystem wa-ren die Folge und haben die Spannungenweiter verschärft.

Den Chinesen wird immer wieder vorge-worfen, dass sie in Afrika Geschäfte mitDiktatoren machen, ohne sich um die Ein-haltung der Menschenrechte zu scheren.»Allerdings geht es der Wirtschaft und denMenschen materiell durchaus besser, wosich die Chinesen engagierten«, stellt derChina-Experte Frank Sieren fest. Das liegedaran, dass sich die Chinesen nicht nurauf Ausbeutung beschränken, sondern

S

Afrikas Ölquellen locken alte BekannteMehrere Länder am Golf von Guineastehen im Mittelpunkt einesWettkampfs um neu entdeckteÖlvorkommen. China und die USAsetzen auf unterschiedlicheStrategien, um sich politischenEinfluss und Förderrechte zu sichern.

Energiekonzerne zielen auf Westafrika

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in Mrd. US-DollarErdölexporte

Investitionen der Ölmultis

6 1331

Europa

Asien

Australien

Russland und Zentralasien

Naher und Mittlerer Osten

gleichzeitig den Ausbau der Infrastrukturin den Ölländern vorantreiben.

Die chinesische Afrikastrategie bestehtdarin, die Ausbeutung von Rohstoffen mitbilligen Milliardenkrediten und kreditge-bundenen Bauaufträgen zu kombinieren.So erhielt der staatliche chinesische Öl-konzern Sinopec 2006 den Zuschlag für einÖlfeld vor der Küste Angolas. Zwei Jahrezuvor hatte Peking in Angola den Bodendafür mit einem Hilfspaket über zwei Mil-liarden US-Dollar bereitet. ChinesischeFirmen wurden beauftragt, Telefonnetze,Straßen, Schienenwege, Brücken, Gebäu-de, Schulen und Krankenhäuser zu bauen.

Insgesamt profitiert Afrika von der Stra-tegie integrierter Hilfe, sagt der politischeAnalyst Asare Ochere-Darko vom Ghanai-schen Danquah-Institut: »Es liegt zum großen Teil an den chinesischen Investi-tionen, dass Afrikas wirtschaftlicheWachstumsrate im Jahr 2007 bei einem Rekordwert von 5,8 Prozent lag.«

Um die Fehler der Vergangenheit zu ver-meiden, versuchen einige afrikanischeLänder mittlerweile, den ökonomischenBoom auch für die Stärkung der Demokra-tie und der staatlichen Institutionen zunutzen. Solche Bestrebungen sind in Ghana bereits erkennbar, wo ein Entwurf

für ein Ölgesetz im Jahr 2009 zurückgezo-gen wurde. Nun sollen die Bedenken zivil-gesellschaftlicher Gruppen besser berück-sichtigt und die lokale Wirtschaft stärkeram erwarteten Boom beteiligt werden.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwChinesisch-afrikanische Kooperation:www.fmprc.gov.cn/zflt/engStatistiken:eia.doe.govNichtregierungsorganisationen:www.oilwatchafrica.orgwww.globalwitness.org

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90

1000–3000400–1 00020–400 3000–6500

6500–13 00013 000–29 430 keine Angaben

StromverbrauchkWh pro Kopf, 2008

1955 1965 19851975 1995 20051955 1965 19851975 1995 2005

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erste Ölkrise (1973)

Tschernobyl (1986)

Weltweit produzierter AtomstromGigawatt

Jährlicher Ausbau der NuklearkapazitätenGigawatt

m 9.Oktober titelte die New York Times:»Der Präsident stellt Pläne für eine Re-

naissance der Atomenergie vor«. Die US-Regierung, heißt es dort, habe konkreteSchritte angekündigt, um die kommerziel-le Atomkraft wiederzubeleben. Das war1981. Der Präsident hieß Ronald Reagan.Seitdem taucht der Begriff einer angeb -lichen Renaissance der Atomenergie im-mer wieder auf.

Die Realität sieht anders aus. Seit 1973ist in den USA kein AKW mehr bestellt wor-den, dessen Bau nicht hinterher wiederaufgegeben worden wäre. Die Atomlobbyversucht dennoch unverdrossen, die Aufer-stehung der Atomkraft herbeizureden. Da-bei ist die Zahl der Reaktoren weltweit seit

1989 lediglich von 423 auf 435 gestiegen.In 2008 ging weltweit zum ersten Mal seit1956 kein einziges neues Atomkraftwerkans Netz. Zudem werden neun Meiler we-niger betrieben als noch 2002, als der his-torische Höchststand von 444 AKWs er-reicht wurde.

Weltweit haben die AKWs eine Gesamt-leistung von 370 000 Megawatt und eindurchschnittliches Betriebsalter von 25Jahren. Ihr Anteil an der Stromversorgungist auf 14 Prozent zurückgegangen. Die Re-aktoren werden in 31 der 192 UNO-Mit-gliedsländer betrieben. Zwei Drittel derweltweiten Atomstromproduktion ge-schieht in nur sechs Ländern, in den Atom-waffenstaaten USA, Frankreich und Russ-

land sowie in Japan, Südkorea undDeutschland.

Nach offiziellen Zahlen sind 50 AKW-Blöcke »im Bau« (Stand August 2009), drei-zehn davon allerdings schon seit überzwanzig Jahren. Spitzenreiter in SachenBauverzögerung ist Watts Bar-2 in denUSA. Im Oktober 2007 kündigte die Eigen-tümergesellschaft TVA an, den Reaktor bis2012 – vierzig Jahre nach Baubeginn – für2,5 Milliarden Dollar fertig zu bauen.

Auch die bisherige Stilllegung von welt-weit 127 AKWs – nach einer durchschnitt -lichen Betriebszeit von 22 Jahren – sprichtnicht für die Renaissance der Atomkraft.Der Welt-Statusreport Atomindustrie von2009 zeigt, dass bei einer angenommenenBetriebszeit von vierzig Jahren bis zum Jahr2015 insgesamt 95 Reaktoren und bis zumJahr 2025 weitere 192 AKWs vom Netz ge-hen werden. Wenn alle derzeit im Baubefind lichen Anlagen den Betrieb aufneh-men, dann müssten bis 2015 noch 45 undbis 2025 insgesamt zusätzlich etwa 240 Re-aktorblöcke mit einer Gesamtkapazitätvon über 200 000 Megawatt geplant, gebautund in Betrieb genommen werden. Da die»Leadtime« – die Zeit zwischen Bauplanungund kommerzieller Inbetrieb nahme – fürein AKW mehr als zehn Jahre beträgt, kanndie heute vorhandene Kraftwerksleistungkaum aufrechterhalten werden.

In Westeuropa sind zwei AKWs im Bau,eines in Finnland und eines in Frankreich.Baubeginn des ersten Europäischen Druck-wasserreaktors (EPR) mit einer Leistungvon 1 600 Megawatt war 2005 im finnischenOlkiluoto. Seitdem überschatten Kosten -explosionen und Zeitverzögerungen dasProjekt. Mit der Inbetriebnahme ist frühes-

A

Neue Märchen von der AtomkraftDie ganze Welt baut Kernkraftwerke?Von wegen. Die »Atom-Renaissance«ist ein ideologischer Kampfbegriff.Wer genauer hinsieht, wird eher eine Talfahrt der Branche erkennen.Ihr Anteil an der Stromversorgunggeht zurück.

Ungleicher Stromverbrauch

50 Jahre Kernkraft

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91

Atomkraftwerke und Anlagen zur UrananreicherungAtomkraftwerke und WiederaufbereitungsanlagenAtomkraftwerke, Anlagen zur Urananreicherungund Wiederaufbereitungsanklagen

nur Atomkraftwerke

76543

Schwere Atomunfällenach der internationalen Bewertungsskala für Nukleare Ereignisse, Ines; 7 = GAU

( 1979)

(1957)

( 1964)

(1989)

(1986)

(1999)

(1957)Three Mile Island

Windscale

Saint-laurent-des-eaux

Vandellos

Tschernobyl

Tokai Mura

Majak

tens 2012 zu rechnen. In Frankreich wirdein EPR in Flamanville gebaut. Baubeginnwar 2007. Dieser Block sollte in 54 Monatenfertig sein. Aber auch hier ist eine Reihevon Problemen aufgetaucht. Die Kostensind bereits um 20 Prozent gestiegen.

Die drei großen Schwellenländer China,Indien und Brasilien haben ihre Atom-energieprogramme bereits vor Jahrzehn-ten beschlossen, aber nur ansatzweise rea-lisiert, sodass der Anteil der Kernkraft ander Stromerzeugung und Energieversor-gung minimal ist. Das größte Ausbaupro-gramm hat China, das derzeit elf AKWs be-treibt, die 2,2 Prozent der Stromerzeugungausmachen. Vierzehn weitere Meiler sindim Bau. In Indien sind siebzehn kleinereReaktoren in Betrieb, die 2 Prozent desStrombedarfs decken, weitere sechs sindim Bau. Brasilien hat zwei aktive Reakto-ren, die 3,1 Prozent des Stroms erzeugen.

Ein weltweiter Bauboom ist derzeitschon aufgrund mangelnder Fertigungs-kapazitäten und schwindender Fachkräfteausgeschlossen. Nur ein einziges Unter-nehmen der Welt, die Japan Steel Works,

ist in der Lage, die Großkomponenten fürReaktordruckbehälter von der Größe desEPR zu schmieden. Auch die Dampferzeu-ger der EPR-Bauprojekte kommen aus Ja-pan. An dieser Situation wird sich kurz-und mittelfristig nicht viel ändern.

Neue Atomanlagen müssten außerdemvon neuem Personal betrieben werden. In-dustrie und Betreiber schaffen es kaum,auch nur die Altersabgänge zu ersetzen. Esfehlt eine ganze Generation von Ingenieu-ren, Atomphysikern und Strahlenschutz-experten. Parallel müssen stillgelegte An-lagen abgerissen und endlich Lösungenfür den Atommüll geschaffen werden.

Die Forderung, die Laufzeiten der AKWzu verlängern, wird immer wieder vorgetra-gen. RWE hat angeboten, bei Laufzeitver-längerungen mehr in erneuerbare Ener-gien zu investieren. Damit würde aber dieVorherrschaft der großen Kraftwerksblö-cke verlängert und der Ausbau von dezen-tralen, umweltverträglicheren kleinenKraftwerkseinheiten, die sich wesentlichbesser mit erneuerbaren Energien kombi-nieren lassen, behindert.

Das Gerede von der drohenden »Energie-lücke« wirkt vor diesem Hintergrund fastwie eine Kampagne für verlängerte Laufzei-ten von Atomkraftwerken und kostenloseCO2-Zertifikate für Kohlekraftwerke. Abernur ein schneller Ausstieg aus der Atom-energie kann den Innovationsdruck auf dieEnergiewirtschaft aufrechterhalten.

Angesichts dieser Fakten von einer »welt-weiten Wiedergeburt« zu sprechen ist irre-führend, zumal die langen Bauzeiten enor-me Kosten verursachen, die kaum eineBank finanziert. Es sei denn, der Staatsteht für das Investitionsrisiko gerade.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwInternationale Energie-Agentur:www.iaea.orgBundesumweltministerium:www.bmu.de/ueberblick/atomenergie_strahlenschutz/doc/41319.phpKritiker:www.bund.net/bundnet/themen_und_projekte/atomkraftwww10.antenna.nl/wise/index.htmlWissenschaftler:web.mit.edu/nuclearpower/

Gefahren des Atomzeitalters

Page 23: Atlas Globalisierung Teil3

92

Strompreisentwicklung bis 2050 nach Energiequelle Cent/Kilowattstunde

2000 2010 2020 2030 2040 2050

30

25

20

15

10

5

0

PhotovoltaikWindGezeitenkraftBiomasseGeothermieWasserkraft

Solarwärmekraft (CSP)KohleErdölErdgasAtomkraft

Gesamtsumme des 2007 in Erneuerbaren angelegten Geldes in Mrd. US-Dollar

USA

Brasilien

Europäische Union

Sonstige Länder

Indien

China

Sonstige Industrieländer

Afrika

47,5

80,2

8

15,7 5,1

1,3

3,7

12,9

berall auf der Welt erleben Techni-ken, die auf die sparsame Verwen-

dung von Ressourcen abzielen, einen niegekannten Boom. Grüne Technologienwerden vor allem in den Bereichen Abfall-entsorgung, Recycling, Altlastensanierung,Wasseraufbereitung sowie erneuerbareEnergien eingesetzt. Energie- und Finanz-dienstleister investieren riesige Summen

in Ökotechnologie – auch eine Folge derweltweiten Wirtschaftskrise, die denDurchbruch grüner Technologien be-schleunigen wird. Im Jahr 2009 fließen zusammengerechnet weltweit 430 Milliar-den US-Dollar aus staatlichen Konjunktur-programmen in nachhaltige Techniken.

Der ökologische Goldrausch hat aller-dings schon in der Vergangenheit zu über-

triebenen Erwartungen verleitet, die an dieInternet-Blase der Jahrtausendwende er -innern. So kam es seit 2004 zu enormenSchwankungen bei den Aktienkursen derSolarhersteller: Zunächst stiegen sie ummehrere hundert Prozent und sacktendann 2007 um mehr als 90 Prozent ab.Doch die Branche hat den Schreck über-wunden und rechnet weiter mit jährlichenWachstumsraten von 25 Prozent. Denn imUnterschied zu vielen umsatzschwachenInternet-Start-ups arbeitet die Mehrheitder Solarfirmen profitabel, obwohl auchihre Umsätze unter der Krise leiden. DieBranche verfügt schließlich über einenWettbewerbsvorteil: Wer grüne Technikeinsetzt, schont nicht nur die Umwelt, son-dern spart langfristig auch Geld.

Monetäre Motive dürften die wichtigsteTriebfeder für grüne Unternehmen und Investitionen sein. Auch Siemens ist inzwi-schen auf einen grüneren Kurs einge-schwenkt. 2008 hat der Konzern bereitsein Viertel seines Umsatzes mit grünenTechniken gemacht. Bis 2011 soll seinegrüne Sparte noch einmal um 30 Prozentzulegen.

Im Zentrum des grünen Technologie-wandels stehen Einsparung und Abkehrvon fossilen Energien. Grüne Innovatio-nen sollen helfen, die Emission von Treib-hausgasen massiv zu senken. Ziel istnichts anderes als eine Umkehrung des be-stehenden Wachstumsmodells, das einenimmer höheren Verbrauch natürlicherRessourcen erzwingt.

Ü

Der grüne Boom trägt weit in die Zukunft

Umwelttechnik ist ein weltweiterWachstumsmarkt, der neben seriösenInvestoren auch Spekulanten anzieht.Ein Kollaps ist nicht zu befürchten,denn technologische Innovation undeine sichere Nachfrage machen denSektor zukunftsfähig.

Ökostrom: langfristig die kostengünstigste Alternative

Investoren haben ein neues Ziel

Page 24: Atlas Globalisierung Teil3

93

Globales Wachstumspotenzial der Erneuerbaren bis 2020Millionen Tonnen Öleinheiten

100

50

10

5

Nordamerika

Westeuropa

Japan, Australien, Neuseeland

Indien

China

Restliches Asien

Osteuropa und Ex-UdSSR

Nordafrika und Naher Osten

Lateinamerika

Subsahara-Afrika

Windenergie

Biomasseenergie

Solarenergie

Wasserkraft Müllverbrennung

Holzenergie

Grüne Technologien sollen nun die Brü-cke bilden, um den Ressourcenverbrauchzu reduzieren. Das wird einhergehen miteinem grundlegenden Umdenken, dassich etwa in einem neuen Verständnis vonMobilität ausdrückt. In dieser ressourcen-schonenderen Welt werden nicht nuremissionslose Fahrzeuge fahren, sondernStädte so umgebaut sein, dass niemandmehr ein Auto benötigt.

Politisch sollen die grünen Technolo-gien einen Ausweg bieten, damit der Ka -pitalismus nicht an sich selbst zu Grundegeht. Auf der Suche nach einem trag -fähigen Wachstumsmodell investierenStaaten auf der ganzen Welt Billionen inden grünen Umbau der Industriegesell-schaft. Europas bisherige Führungsrollein Umweltfragen wird im globalen »GreenNew Deal« inzwischen vor allem von Asienund den USA angefochten. Während dieUSA im Jahr 2009 mit ihren Konjunktur -paketen 81 Milliarden Dollar und Chinasogar 249,8 Milliarden Dollar in den grü-nen Umbau stecken, gibt die EU dafür ins-gesamt 45 Milliarden Dollar aus. Pekingwill seine Milliarden in erster Linie für den

Bau von Eisenbahn- und Stromnetzen so-wie die Wasserversorgung ausgeben. UndWashington ist die einzige Regierung, dieihre Ausgaben mit einer gezielten Strate-gie zur Förderung erneuerbarer Energienverbindet.

US-Präsident Obama plant, sein Land ineine ökologische Supermacht zu verwan-deln. »Die Nation, die bei der Entwicklungeiner sauberen Energiewirtschaft vorneliegt, wird die Nation sein, die die Weltwirt-schaft des 21. Jahrhunderts führt«, verkün-dete er. Bis 2025 soll ein Viertel des US-amerikanischen Stroms aus erneuerbarenQuellen kommen. Die USA sind bereits da-bei, ihren Rückstand gegenüber Europaaufzuholen. Im Jahr 2008 verdrängten siemit einer Kapazität von 25 170 MegawattDeutschland vom Spitzenplatz als Welt-marktführer in der Windkraftproduktion.Die US-Windkraftbranche rechnet mit jähr-lichen Zuwächsen von 50 Prozent. Schließ-lich sind die Voraussetzungen für Öko-strom in dem Flächenland sehr gut: Alleinin den Prärien des Mittleren Westens könn-te das Sechzehnfache der Strommenge pro-duziert werden, die die USA verbrauchen.

Grüne Technologien haben das Potenzi-al, nachhaltiges Wachstum zu generierenund Millionen neue Arbeitsplätze zu schaf-fen. Doch ihre globale Wirkung wird ver-puffen, wenn sie allein der Profitmaximie-rung dienen sollen. Denn nur wenn sicher-gestellt ist, dass auch arme Länder einfa-chen Zugang zu klimaschonenden undenergieeffizienten Technologien haben,gibt es überhaupt eine Chance, den Aus-stoß von Treibhausgasen so weit zu verrin-gern, wie es nötig ist. Die Bevölkerung inLändern wie China und Indien wird nichtnoch länger auf einen verbesserten Le-bensstandard warten wollen, nur weil sieihn nicht mit »Clean Tech« erreichen kann.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwErneuerbare Energien weltweit:www.unep.fr/energy/Erneuerbare Energien Deutschland:www.erneuerbare-energien.deEnergiestatistiken Deutschland:http://bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/energiestatistiken.htmlDas EU-Klimainformationsprojekt Educational Network on Climate:www.atmosphere.mpg.de/enid/Service/Home_ic.html

Energiequellen und ihre regionalen Potenziale

Page 25: Atlas Globalisierung Teil3

94

Durchschnittliches jährliches Wachstum der Stromproduktionin Prozent, 1996–2006

Solar

Wind

Biomasse

GeothermieMüllverbrennung

fossile BrennstoffeAtomkraft

Hydraulik

70

40

30

0

50

60

20

10

-5

Westeuropa

Deutschland

1990 20072000

1990 20072000

1990 20072000

1990 20072000

3

0

4

5

2

1

3

0

4

5

2

1

3

0

4

5

2

1

3

0

4

5

2

1

Entwicklung der Stromproduktion aus Windkraftin Tausend Megawatt

ChinaSpanien

USADeutschland

Stromproduktion

21,3

29,8

48,9

aus fossilen BrennstoffenAtomkraftErneuerbare Energien

13,2

26,460,4 2006, in Prozent

Westeuropa Deutschland

as »International Institute for AppliedSystems Analysis« (IIASA) hat schon

1982 präzise beschrieben, dass erneuerba-re Energien alleine ausreichen, um die ge-samte Energieversorgung Europas sicher-zustellen. Der Mix macht’s, wenn Wind-kraft, Biomasse, Strom aus Photovoltaik-Anlagen, Wasserkraft, Wellenkraft, Geo-thermie und Speicherformen erneuerbarerEnergien zusammenspielen. Was schon1982 möglich war, sollte heute leichtfallen.Denn die Technologien haben sich enormverbessert und ihre Anwendungsmöglich-keiten deutlich erweitert.

Ende 2008 drehen sich in Europa Wind-räder mit einer Kapazität von fast 64 000MW. Allein Kleinwasserkraftwerke addie-ren sich auf eine Leistung von 11 000 MW.Die Sonne strahlt auf blaue Solarpaneelemit einer Spitzenleistung von 4 500 MW.Und Biogasanlagen schaffen mehr als1 000 MW Stromproduktion. Hinzu kom-men die großen Staudämme, die es in

Norwegen, Italien und Frankreich auf eineinstallierte Leistung von insgesamt 75 000MW bringen. Zusammen entspricht dasder installierten Leistung von hundertenvon Atomkraftwerken. Und die Märkte fürWind, Solar und Co. gehören zu den dyna-mischsten Wachstumsfeldern in Europaund weltweit.

Setzt sich der Ausbau der Erneuerbarenin etwa fort wie bisher, dann gibt es genü-gend natürliches Potenzial für die Selbst-versorgung Europas mit Energie. Und da –mit Ausnahme der Bioenergie – bei den er-neuerbaren Energien ausschließlich Tech-nikkosten anfallen, sinken ihre Kostendurch Massenproduktion der Anlagen undderen laufende technologische Verbesse-rung rapide.

Hinzu kommt, dass durch die Dezentra-lisierung und Nutzung der jeweiligen re-gionalen erneuerbaren Umgebungsener-gie für den regionalen Bedarf die Kostenfür weiträumige Infrastrukturen zur Ener-

gieversorgung ebenso vermieden werdenkönnen wie die Umweltfolgekosten atoma-rer und fossiler Energiebereitstellung. ImGegensatz dazu werden atomare und fos -sile Energie teurer, weil angesichts er-schöpfter Ressourcen die Förder- sowie dieTransportkosten über immer weitere Ent-fernungen ebenso steigen werden wie dieKlima- und Umweltschäden.

Der Umstieg auf erneuerbare Energienbedeutet also nicht nur eine dauerhafteEnergiesicherheit und Umweltverträglich-keit. Er bringt auch erhebliche volkswirt-schaftliche Gewinne – nicht zuletzt durchdie Verbesserung der europäischen Zah-lungsbilanzen über vermiedene Energie-importe. Die geforderte politische Kunstist und bleibt die Übersetzung dieser ma-kroökonomischen Vorzüge in mikroöko-nomische Anreize für Produzenten und Betreiber – durch eine Gesetzgebung, dieerneuerbare Energien privilegiert, durchEinspeisegesetze, Steuerermäßigungen

D

Europa kann sich selbst versorgenDer richtige Mix aus Sonne, Wind & Co. schafft Energiesicherheit.Darüber hinaus braucht es intelligentgeplante Stromnetze.

Erneuerbare legen zu Wind wird stärker

Noch immer dominieren die fossilen Brennstoffe

Page 26: Atlas Globalisierung Teil3

95

2008 installierte Gesamtleistung(in Megawatt Spitzenleistung)

davon 2008 neu installiert

Finnland

5,7 0,550

7,9 1,7

0,020 0,010

0,006 0,000

0,055 0,015

1,6 1,0

18,5 9,3

2,1 0,815

1,4 1,3

0,450 0,1502,1 1,1

30,2 2,50,450 0,100

0,066 0,020

54,3 50,3

5 351,0 1 505,0

3,2 0,135

24,4 0,480

91,2 44,5

68,0 50,1

3 404,8 2 670,9

0,238 0,142

317,5 197,3

0,400 0,000

21,6 3,59 533,3 4 592,3

Schweden

Dänemark

Irland

Grossbritannien

Frankreich

Tschechien

Slowakei

Rumänien

Ungarn

Österreich

Slowenien

Bulgarien

Griechenland

Zypern

Malta

Italien

Portugal

Spanien

Niederlande

Belgien

Luxemburg

Deutschland

Estland

Lettland

Litauen

Polen

Europa gesamt

54,9 1,6

71,2 49,7

und Vorrangregelungen in der Bauleit -planung.

Die makroökonomischen Vorteile de-zentraler Energiebereitstellung sprechenauch dagegen, die Versorgung Europas mitHilfe großer Solarkraftwerke aus den Saha-ra-Ländern anzugehen. Die Systemkostensolcher Strukturen werden unterschätzt,besonders für den Leitungsbau und denTransport.

Die Formel »Mehr Sonne gleich mehr So-larstrom« geht fehl. Der wirtschaftlicheMaßstab muss der Vergleich zwischen Ge-samtaufwand und Stromertrag sein. Derstrukturelle Vergleich wäre der zwischenKapitalakkumulation bei Großkonzernenauf der einen und breiter Kapitalstreuungmit ihren regionalwirtschaftlichen Effek-ten durch dezentrale Produktion auf deranderen Seite. Statt in den Sahara-LändernStrom für Europa zu produzieren, solltedie EU diesen Ländern lieber helfen, Solar-strom für sich selbst zu produzieren.

Der Weg führt vom gegenwärtigen Ener-giemix mit überwiegend fossiler und ato-

marer Energie über die zügige Erhöhungdes Beitrags der erneuerbaren Energienzur Vollversorgung mit einem ausschließ-lich aus Erneuerbaren zusammengesetz-ten Energiemix. Es geht also um einen or-ganisierten Verdrängungsprozess atoma-rer und fossiler Energien. Dies ist schnel-ler realisierbar als in nahezu allen Energie-szenarien angenommen, weil die Installa-tionszeiten dezentraler Anlagen sehr kurzsind, die Bauzeiten größerer Kraftwerkesamt Infrastrukturen hingegen sehr lang.

Der Energiemix der Zukunft wird inEuropa von Land zu Land und von Regionzu Region unterschiedlich sein. In Skandi-navien und den Alpenländern wird dieWasserkraft den größten Beitrag leisten, inFrankreich, Großbritannien und Deutsch-land die Windenergie, in Spanien und Ita-lien wird der Beitrag aus solarer Strah-lungsenergie höher sein als andernorts.

Damit die Regionen und KommunenEuropas diese Energiewende gestalten undnach ihren natürlichen Potenzialen aus-richten können, brauchen sie politischen

Spielraum. Die diesbezüglichen EU-Rege-lungen müssen ausdrücklich zulassen,dass auf nationaler und regionaler Ebeneüber die Privilegierung der erneuerbarengegenüber den atomaren und fossilenEnergien entschieden wird. Ein pauschalesBinnenmarktdogma ist hier völlig unange-bracht. Preisregulierende Privilegien fürStrom-, Wasser- und Kraftstofferzeugungaus erneuerbaren Energien in Form vonEinspeise- und Steuergesetzen oder zinsbe-günstigten Krediten sind keine Subventi-on, sondern ein Ausgleich dafür, dass die»Nebenkosten« (externe Effekte) der atoma-ren und fossilen Energien in deren Preisenicht einberechnet, sondern durch die Ge-sellschaft übernommen werden.

wwwSolarenergie in Europa:www.epia.orgWindenergie in Europa:www.ewea.orgDaten zu Energie-Produktion, Verbrauch, Quellen:www.energy.euEurosolar:www.eurosolar.org

Deutschland ist der größte Solarenergiemarkt der Welt

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96

2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

0

10

20

30

40

50

60

Prognose

Onshore

Offshore

US-Dollar pro MWhKosten der Windenergie

1980 20052000199519901985

0

2

4

6

8

10

12

14

17

0

590

2940

4118

5000

1767

Millionen KWh KilowattJährliche Produktion Leistung pro Anlage

15

20

23

27

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

8000

0

5

10

15

20

25

30

Inland Küste Ostsee Nordsee

Leistung eines 5-MW-Windrades

Versorgte Haushalte1

Energieertrag in Mio. kWh/Jahr

1. 3 Personen, 3500 kWh/Jahr

ir gehen offshore«, flimmerte es imSommer 2009 über die Internetsei-

te des ersten deutschen Windenergie-Pro-jektes in der Nordsee, »Alpha Ventus«. Undtatsächlich: Was lange eine rein virtuelleVeranstaltung war, bekommt jetzt Kontu-ren. 45 Kilometer nordwestlich von Bor-kum stehen die zwölf Eisen-Dreibeine imWasser, die mit den Windturbinen der Bre-merhavener Firmen Multibrid (Tochterdes französischen Atomkonzern Areva)und Repower bestückt werden sollen.Technisch betritt die Windbranche hierNeuland: Jedes Fundament wiegt alleinmehr als 700 Tonnen, mitten im Meer müs-sen sturmflutensichere Umspannwerkegebaut werden, und die Turbinen auf 80 Meter Höhe leisten mit 5 bis 6 Megawattzweieinhalb mal so viel wie durchschnitt -liche Großanlagen an Land. Da der Windauf See stärker und gleichmäßiger weht,produzieren Windräder dort etwa doppeltso viel Energie wie an Land. Die Bundes -regierung will darum bis 2030 etwa 25 000MW Windkraft auf See installiert sehen.Das wären 50 Prozent mehr, als 2009 anLand standen.

Nach über zwölf Jahren Planung soll Alpha Ventus von 2010 an 50 000 Haus -halte mit Strom beliefern. Zuvor hatte dieBundesregierung die Bedingungen für Bauund Betrieb solcher Großkraftwerke aufhoher See deutlich verbessert. Die Vergü-

tung des Stroms ist mit 15 Cent pro Kilo-wattstunde (kWh) etwa doppelt so hochwie »onshore«.

Renditeerwartungen von mehr als 10 Pro-zent haben damit auch in deutschen Ge-wässern den Investitionsschub ausgelöst,den die Branche bisher nur aus den euro-päischen Nachbarländern kannte. Beson-ders neidisch sehen die Windmüller dabeinach Großbritannien, traditionell eherNachzügler im Geschäft mit erneuerbarerEnergie.

Ausgerechnet die Briten haben sich dasehrgeizige Ziel gesetzt, den Anteil des grü-nen Stroms in ihren Netzen von 1,3 Pro-zent im Jahr 2005 auf 15 Prozent bis 2020zu steigern. In einer ersten Phase gingensechs Windparks mit zusammen 400 MWin Betrieb. 2008 startete der Bau von weite-ren Parks mit 560 MW, und in einer zwei-ten Phase wurden Flächen für noch mal8 000 MW Windkraft auf See ausgeschrie-ben. Dann läutete die für die britischenMeere zuständige Verwaltung »The CrownEstate« überraschend schnell eine drittePhase ein und gab bekannt, dass bis Ende2009 die nächsten elf Meeresgebiete an jeweils einen Generalunternehmer verge-ben werden sollen. Zwischen 2012 und2020 sollen weitere 7 000 Windräder mit ei-ner Leistung von 25 000 Megawatt in Be-trieb gehen. Geschätztes Investitionsvolu-men: 100 Milliarden Pfund. »Großbritan-

W

Ergiebige Winde über dem MeerDank staatlicher Förderung begann2009 in Deutschland der Ausbau derWindenergie auf dem Meer. Fastgleichzeitig starteten die Arbeiten an mehreren Projekten in Nord- undOstsee. In Europa investiert vor allemGroßbritannien – gewöhnlich allesandere als ein ökologischer Vorreiter –massiv in Offshore-Windparks.

Sinkende Kosten Steigende Erzeugung Größere Ausbeute auf hoher See

Page 28: Atlas Globalisierung Teil3

97

in Megawatt, 2007300

2000

5000

22 247

installierte Leistung

USAKanada

Mexiko

JamaikaCosta Rica

Kolumbien

BrasilienChile

Argentinien

Ägypten

Iran

Südafrika

Russland

Japan

Südkorea

Taiwan

Philippinen

Australien

Neuseeland

China

Indien

Türkei

Tunesien

Marokko

Europa

Griechenland

Spanien

Schweiz

Österreich

TschechienUkraine

Norwegen

Finnland

Irland

Schweden

Estland

Lettland

Litauen

Polen

Frankreich

Belgien

Luxemburg

Dänemark

Rumänien

Bulgarien

Grossbritannien

Deutschland

Italien

Ungarn

Kroatien

Slowakei

Portugal

Niederlande

57 136

Färöer Inseln(Dänemark)

nien setzt klar auf Offshore, um die ehrgei-zigen nationalen und europäischen Zielezu erreichen«, erklärt Fritz Vahrenholt,Chef der RWE Innogy GmbH in Essen, diein Großbritannien zu den größten Wind-energie-Entwicklern gehört.

Damit die Investoren zur Planerfüllungder Regierung beitragen, hat London dieVergütung für Offshore-Strom inzwischenauf 21 Cent je kWh angehoben. Dadurchwird Großbritannien auch in den kom-menden Jahrzehnten der weltweit wich-tigste Offshore-Markt bleiben – und mitDeutschland zusammen etwa 60 Prozentdes Weltmarktes bilden. Dahinter rangie-ren die Niederlande, Schweden, Däne-mark, Spanien und Belgien.

Angesichts der hohen Gewinnerwartun-gen kommen auch die dreißig geplantendeutschen Projekte allmählich in Gang: In der Ostsee laufen die Arbeiten an dem

52,5-MW-Projekt Baltic I des Stromversor-gers EnBW und der BetreibergesellschaftWPD in Bremen an. Die Bremer FirmaBard Engineering – sie gehört dem russi-schen Multimillionär Arngolt Bekker – hatmit dem Bau eines Windparks an derdeutsch-niederländischen Seegrenze be-gonnen, der bis 2010 mit achtzig Groß-windrädern bestückt wird und dann rech-nerisch 330 000 Haushalten Strom liefensoll.

Aufgrund der angespannten Situationan den Finanzmärkten konnten die Inves-toren sich auch der Unterstützung der EU-Kommission erfreuen. Die Projekte BardOffshore 1 und Alpha Ventus in der Nord-see sowie der Netzanschluss von Balticund Kriegers Flak (beide in der Ostsee) er-halten jeweils 150 Mio. Euro Investitions-zulagen aus Brüssel. Ohne Offshore wärendie Klimaziele der EU kaum zu schaffen.

So drehen sich Ende 2009 Windrädermit mehr als 150 MW Leistung in deut-schen Gewässern, während es 2008 nur eineinziges Windrad in der deutschen Nord-see gab. Bis 2015 werden viele Investoren –überwiegend große Stromkonzerne – derinsgesamt 24 genehmigten und mehr als50 beantragten deutschen Offshore-Wind-parks versuchen, ihre Kraftwerke in Nord-und Ostsee in Betrieb zu nehmen.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwOffshore in Deutschland:www.rave-offshore.dewww.offshore-wind.dewichtiges Offshore-Projekt:www.alpha-ventus.deKarten, Grafiken, Datenbanken zum Windklima:www.windatlas.dkOffshore und Ökologie:www.io-warnemuende.de/windenergienutzung-im-offshore-bereich.html

Noch liegen die Europäer bei der Windenergie vorn

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98

0

500

1000

1500

2000

2500

250

750

1250

1750

2250

MegawattSpitzenleistung

Deutschland

SpanienUSA

Japan

Südkorea

Indien

Australien

Kanada

China

übrige Welt

Italien

Frankreich

Portugal

Belgien

Sonnenlicht

Spiegelfeld

Solarturm

Dampfspeicher

Absorber

Dampf-Oberkessel

Dampf

TurbineGenerator

kühlt ab

allgemeines Stromnetz

Kondensator

ie Idee klingt vielversprechend. EineGruppe von zwanzig Konzernen, da-

runter die Münchener Rück, RWE, Eonund die Deutsche Bank, will für 400 Milli-arden Euro in Nordafrika riesige Solar-kraftwerke bauen. Der Strom des »Deser-tec« getauften Projektes soll dann überleistungsfähige Kabel nach Europa ge-bracht werden. Der erste Wüstenstrom sollum das Jahr 2020 fließen.

Die Technik basiert auf Parabolrinnen –

sie ist lange bekannt. Kernstück sind rin-nenförmige Spiegel, mit denen die Son-nenstrahlung auf eine Linie fokussiertwird. Auf dieser Achse verläuft eine Lei-tung mit einem Wärmeträgermedium, dasdie Energie aufnimmt. Die Hitze bringtWasser zum Kochen, dessen Dampf eineTurbine antreibt. In Kalifornien sind be-reits mehrere hundert Megawatt dieserTechnik in Einheiten zwischen 30 und 80Megawatt installiert.

D

Die Vision vom WüstenstromDas Desertec-Projekt könntelangfristig ein Sechstel deseuropäischen Strombedarfs mitSonnenenergie aus der Saharadecken. Doch die Kosten sindgewaltig. Der Wüstenstrom wird möglicherweise nie so billig sein wie der Solarstrom vom eigenen Dach.

Stromgewinnung aus Sonnenlicht im Jahr 2008

Solarthermische Energiegewinnung mithilfe eines Solarturms

Page 30: Atlas Globalisierung Teil3

99

Solarthermisches KraftwerkPhotovoltaikWindkraftwerkWasserkraftwerkBiomassekraftwerkGeothermiekraftwerkHochspannungs-Gleichstromkabel

Auch in Spanien sind die ersten Solar-kraftwerke dieses Typs bereits im Einsatz.Das Kraftwerk Andasol 1 am Fuße der Sierra Nevada ist seit Dezember 2008 amNetz und produziert nach Angaben der Betreiberfirma Solar Millennium Stromfür bis zu 200 000 Menschen. Mit 8 256Spiegelelementen und 512 000 Quadrat-metern Kollektorfläche – das entsprichtmehr als siebzig Fußballfeldern – ist es zu-gleich das größte Solarkraftwerk der Welt.Unmittelbar daneben hat im Sommerauch das Schwesterprojekt Andasol 2 erst-mals Strom ins spanische Hochspan-nungsnetz eingespeist. Und Andasol 3 istim Bau. In Afrika soll diese Technik künf-tig in weitaus größeren Dimensionen ein-gesetzt werden.

Auch der Transport der Energie aus Afri-ka ins europäische Netz dürfte in den Griffzu bekommen sein – mit Hilfe der so ge-nannten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). International gilt diese Technik zunehmend als attraktiveMöglichkeit, hohe elektrische Leistungenüber lange Strecken zu transferieren. Miteinem Verlust von 5 Prozent der Energiepro 1 000 Kilometer Übertragungsweg ar-beitet die HGÜ deutlich effektiver als nor-male Wechselstromtechnik. Kabellängenvon mehr als 1 000 Kilometer sind mit kon-ventioneller Wechselstromtechnik unwirt-schaftlich, weil die Übertragungsverlustedann zu groß werden.

Projekte dieser Art gibt es bereits. In Chi-na entsteht eine HGÜ-Leitung über 1 400Kilometer Länge mit einer Übertragungs-leistung von 5 000 Megawatt. Sie soll Stromaus Wasserkraft quer durchs Land trans-portieren. Zwar wurden kurze HGÜ-Ver-bindungen schon vor fünfzig Jahren vorder schwedischen Insel Gotland zur Über-brückung von Gewässern genutzt, docherst moderne Halbleitertechnik ermög-licht heute den Einsatz dieser Technik ingroßem Stil.

Die wohl größten Probleme des Deser-tec-Projektes liegen nicht bei der Technik.Es ist vielmehr die politische StabilitätNordafrikas, die viele Befürchtungenweckt. Völlig offen ist außerdem, ob sichdie gigantischen Investitionen von 400Milliarden Euro jemals rechnen werden.Beide Unsicherheiten hängen eng zusam-men: Je instabiler die politische Lage,umso höher werden die Versicherungsrisi-ken und damit die Kosten der Kilowatt-stunde Strom. Die Unternehmen habenbereits signalisiert, dass sie auch auf staat-liche Hilfen setzen.

Das Konsortium plant entsprechendlangfristig. Ziel ist es, im Jahr 2050 rund

15 Prozent des europäischen Strombe-darfs mit Wüstenstrom zu decken. Dasklingt zwar ambitioniert, ist aber Zu-kunftsmusik. Auf der andereren Seite gibtes längst eine erfolgreiche Technik, dieetabliert ist: Derzeit deckt die heimischePhotovoltaik rund 1 Prozent des Strom -bedarfs in Deutschland. Nach Prognosender Solarbranche werden es schon 2020knapp 7 Prozent sein. Ehe also die erste Ki-lowattstunde Wüstenstrom fließen wird,wird die Photovoltaik längst weit voraus -geeilt sein.

Der von Desertec für 2050 angepeilte An-teil am deutschen Strommix von 15 Pro-zent ließe sich mit der in Europa installier-ten Photovoltaik deutlich früher errei-chen. Zumal die Unterschiede in der Son-neneinstrahlung zwischen Europa undAfrika gar nicht so gigantisch sind, wie esvielleicht den Anschein hat: Im Vergleichzu Mitteleuropa liegt die Einstrahlung inNordafrika lediglich doppelt so hoch, imVergleich zu Spanien liegt sie sogar gerade30 bis 50 Prozent höher. Rechtfertigt die-

ser Unterschied die enormen Infrastruk-tur-Investitionen?

Die ökonomisch erfolgreichste Technikder Sonnenernte ist bislang ohnehin dieauf den heimischen Dächern, eben weil sieals dezentrale Erzeugungsvariante mit dervorhandenen Netzinfrastruktur aus-kommt: In Deutschland wird spätestens2014 der Strom vom Hausdach billiger seinals der aus der Steckdose. Dagegen wirdder Wüstenstrom nur schwer ankommen.Ob die höhere Sonneneinstrahlung im Sü-den die Kosten der gigantischen Übertra-gungsnetze jemals kompensieren wird,kann heute niemand absehen.© Le Monde diplomatique, Berlin

wwwHintergrundinfos beim Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt:www.dlr.de/tt/wuestenstromoffizielle Website (englisch):www.desertec.org/Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation:www.trec-uk.org.uk/News zu Desertec:www.cleanthinking.de/tag/Desertec/

Im transeuropäischen Supergrid käme der gesamte Strom aus erneuerbaren Quellen