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Bertram Weber AUDITIVE WAHRNEHMUNG UND SPRACHENTWICKLUNG Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie eingereicht an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck bei a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter Institut für Sprachen und Literaturen Abteilung Sprachwissenschaft Innsbruck, im Februar 2004

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Bertram Weber

AUDITIVE WAHRNEHMUNG

UND

SPRACHENTWICKLUNG

Diplomarbeit

zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie

eingereicht an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

bei

a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter

Institut für Sprachen und Literaturen

Abteilung Sprachwissenschaft

Innsbruck, im Februar 2004

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DANKSAGUNG

Mein Dank geht an a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter für seine Betreuung der Arbeit.

Des Weiteren möchte ich meinem Chef, Univ.-Prof. Dr. Patrick Zorowka dafür danken, dass

er es mir durch sein Entgegenkommen überhaupt erst ermöglicht hat, das Studium neben

meiner beruflichen Tätigkeit zu beginnen.

Ein Dankeschön möchte ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen an der HSS,

insbesondere denen in der Audiologie, aussprechen, die mich in meiner Studienzeit immer

unterstützt haben.

Besonders danke ich jedoch meiner Frau Moni, die mir auf meinem Weg zwischen Familie,

Beruf und Studium immer zur Seite stand und ohne deren Unterstützung die Verfolgung

dieses Weges nicht möglich gewesen wäre.

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Inhaltsverzeichnis I

Inhaltsverzeichnis

VORBEMERKUNG IV

I. EINLEITUNG 1

II. NONVERBALE BASISFAKTOREN DER SPRACHE 4

III. AUDITIVE WAHRNEHMUNG 14

1. Schall 17

2. Peripheres Hörorgan 22

2.1. Anatomische und physiologische Grundlagen 22

2.1.1. Äußeres Ohr 23

2.1.2. Mittelohr 24

2.1.3. Innenohr 25

3. Hörnerv und zentrale Hörbahn 28

3.1. Hörnerv 28

3.2. Zentrale Hörbahn 29

3.3. Schallanalyse in der zentralen Hörbahn 35

3.3.1. Intensitätskodierung 35

3.3.2. Zeitkodierung 37

3.3.3. Frequenzkodierung 38

3.3.4. Lokalisation und Raumorientierung 38

3.3.5. Hören im Störlärm 39

3.4. Zusammenfassung 39

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Inhaltsverzeichnis II

4. Modelle der zentral-auditiven Wahrnehmung 40

5. Teilfunktionen der auditiven Wahrnehmung 44

5.1. Lokalisation und Seitenzuordnung 44

5.2. Diskrimination 44

5.3. Lautmustererkennung 45

5.4. Lautheitsempfinden 46

5.5. Zeitliche Verarbeitung 46

5.6. Unterscheidung konkurrierender Signale 48

5.7. Erkennen unvollständiger, veränderter oder abgeschwächter Signale 49

5.8. Aufmerksamkeit 50

5.9. Auditives Gedächtnis 52

5.10. Besonderheiten der auditiven Verarbeitung von Sprache 56

6. Störungen der auditiven Wahrnehmung 60

6.1. Zur Begriffsbestimmung 60

6.2. Häufigkeit und Ätiologie 65

6.3. Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen 66

6.3.1. Anamnese und Voruntersuchung 69

6.3.2. Diagnostik der auditiven Teilfunktionen 71

6.3.3. Diagnostik durch nonverbale Verfahren 72

6.3.4. Diagnostik durch verbale Verfahren 80

6.3.5. Diagnostik durch psychometrische Verfahren 83

6.3.6. Diagnostik durch objektive audiometrische Untersuchungen 97

6.3.7. Screening der auditiven Wahrnehmung 105

6.3.8. Probleme der Diagnostik 108

6.4. Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen 114

6.4.1. Nonverbale Therapieverfahren 118

6.4.2. Verbale Therapieverfahren 125

6.4.3. Zusammenfassung 132

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Inhaltsverzeichnis III

IV. AUDITIVE WAHRNEHMUNG UND SPRACHENTWICKLUNG 134

1. Spezifische Störungen der Sprachentwicklung 134

1.1. Begriffsbestimmung 135

1.2. Häufigkeit und Ätiologie 140

2. Sprachentwicklung und Informationsverarbeitung 142

2.1. Sprachentwicklung und auditives Gedächtnis 142

2.2. Sprachentwicklung und zeitliche Verarbeitung 144

2.3. Sprachentwicklung und Prosodie 146

3. „Auditive“ Therapie von Sprachentwicklungsstörungen 149

RESÜMEE 154

LITERATURVERZEICHNIS 157

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Vorbemerkung IV

VORBEMERKUNG

Die kindliche Sprachentwicklung ist für mehrere Wissenschaftsdisziplinen von Interesse. Je

nachdem, ob man das Problem aus psychologischer, pädagogischer, medizinischer,

logopädischer oder linguistischer Sicht betrachtet, wird ein anderer Teilbereich der

Sprachentwicklung und ihrer Störungen in den Fokus gestellt. Unterschiedliche

Herangehensweisen an unterschiedliche Problemstellungen führen zu unterschiedlichen

Ergebnissen.

Einerseits hatte und hat das große interdisziplinäre Interesse an der Thematik viele fruchtbare

Erträge. Auf der anderen Seite zeigen Fachliteratur und therapeutische Praxis dadurch ein

äußerst heterogenes Bild. Gerade in Hinblick auf die Berücksichtigung nonverbaler

Leistungen innerhalb einer logopädischen Behandlung herrscht zwischen Fachleuten große

Uneinigkeit.

Die Untersuchung und Behandlung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten ist eine schwierige

und verantwortungsvolle Aufgabe, die durch die Heterogenität des Störungsbildes und die

immer noch nicht abgeschlossene Ursachendiskussion zusätzlich erschwert wird.

Sprachentwicklungsgestörte Kinder zeigen neben ihren sprachlichen Symptomen meist auch

Defizite in nonverbalen Entwicklungsbereichen wie Motorik und Wahrnehmung.

Daher verwundert es auch nicht, dass viele Behandlungskonzepte für

Sprachentwicklungsstörungen die Förderung von motorischen und/oder perzeptiven

Leistungen des Kindes verlangen.

Da die Zusammenhänge zwischen Sprache und nonverbalen Faktoren noch vielfach unklar

sind, sind diese „nonverbalen“ Ansätze aber nicht unumstritten.

Ein Ziel dieser Arbeit ist es, einige unterschiedliche Betrachtungsweisen der Zusammenhänge

zwischen Sprachentwicklung und nonverbalen Basisfunktionen aufzuzeigen. Dies soll am

Beispiel der auditiven Wahrnehmung erfolgen, weil ich im Laufe meiner logopädischen

Tätigkeit beobachten konnte, dass sich bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen häufig

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Vorbemerkung V

auch Probleme in der auditiven Verarbeitung von sprachlichen Reizen zeigen, ohne dass eine

periphere Hörstörung vorliegt.

Auditive Verarbeitungsfähigkeiten wie die Differenzierung von Sprachlauten oder das

auditive Gedächtnis scheinen in besonderem Maße mit der Sprachentwicklung verknüpft zu

sein.

Im Folgenden soll die Bedeutung von „nonverbalen Basisfunktionen“ für die

Sprachentwicklung am Beispiel der auditiven Wahrnehmung dargestellt und diskutiert

werden. Modelle und Faktoren der auditiven Wahrnehmung werden präsentiert und die

Bereiche Diagnostik und Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen sollen hinsichtlich

ihrer Möglichkeiten und Grenzen beleuchtet und in Verbindung zur kindlichen

Sprachentwicklung gesetzt werden.

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Einleitung 1

I. EINLEITUNG

„Die kindliche Sprachentwicklung ist kein isolierter Vorgang, sondern Teil einer

umfassenden Gesamtentwicklung, bei der sich sensorische, motorische, sprachliche, kognitive

und sozial-emotionale Funktionsbereiche in ihrer Wirkungsweise wechselweise

beeinflussen.“1

Dieser Umstand wurde und wird mir in meiner logopädischen Arbeit mit

sprachentwicklungsauffälligen Kindern immer wieder vor Augen geführt.

In vielen gängigen Therapiekonzepten wird betont, dass eine sinnvolle therapeutische

Intervention bei der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen nicht nur die sprachlichen

Komponenten behandeln darf, sondern auch nonverbale Faktoren mitberücksichtigen muss.

Manche Konzepte zur Behandlung von Sprachentwicklungsproblemen bestehen zur Gänze

aus der Förderung nonverbaler Komponenten.

Dennoch gibt es eigentlich kaum schlüssige Untersuchungen darüber, wie der genaue

Zusammenhang zwischen Sprache und nonverbalen Entwicklungsbereichen wirklich ist. Die

Komplexität und Vielschichtigkeit der einzelnen Bereiche machen solche Untersuchungen

vermutlich auch schwierig.

Obwohl es für viele nonverbale Faktoren immer noch fraglich ist, ob zwischen ihnen und der

Sprachentwicklung tatsächlich eine Kausalitätsbeziehung von Ursache und Wirkung vorliegt,

ist neben der Förderung und Stimulation der sprachlichen Kompetenz des Kindes die

Unterstützung von nonverbalen Fähigkeiten wie Motorik und Wahrnehmung innerhalb einer

logopädischen Therapie praktisch kaum wegzudenken. Die meisten Therapiekonzepte

unterstreichen eine ganzheitliche Sichtweise, in der Sprache, Wahrnehmung, Motorik und

soziale Kompetenzen des Kindes als eine Einheit gesehen werden.

1 GROHNFELDT 1993:7.

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Einleitung 2

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stimmen, die einer Sprachtherapie mit Hilfe der

Förderung von nonverbalen Basisleistungen kritisch gegenüberstehen. Diese Autorinnen und

Autoren führen an, dass sprachliche Leistungen nur durch sprachliche Förderung verbessert

werden könnten, und dass von einer Behandlung der Basisleistungen keine Transferwirkung

auf die Sprache erwartet werden dürfe.

Der oder die in der Behandlung von Sprachstörungen Tätige steht zwischen diesen

widersprüchlichen Auffassungen. Einerseits möchte jede Logopädin und jeder Logopäde, dass

die in der Therapie angewendeten Methoden nachgewiesenermaßen wirksam sind. Ein solcher

Nachweis ist vermutlich auch aufgrund der Komplexität und Heterogenität von

Sprachentwicklungsstörungen in vielen Fällen noch immer schwierig. Auf der anderen Seite

sind nonverbale Defizite bei Kindern mit Sprachentwicklungsproblemen offensichtlich und

fordern eine Auseinandersetzung mit ihnen.

Eine dieser nonverbalen Basisleistungen stellt die auditive Wahrnehmung dar.

„What we do with what we hear“: So beschreibt Katz2 die Prozesse der Verarbeitung von

akustischen Reizen nach der peripheren Schallaufnahme. Der Bereich der auditiven

Verarbeitung ist in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses von

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen gerückt.

Forschungs- und Diskussionsgegenstände sind dabei die verschiedenen auditiven Leistungen

des zentralen Hörsystems, ihre Bedeutung für andere Entwicklungsbereiche und ihre

möglichen Störungen mit deren Auswirkungen.

2 KATZ 1992.

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Einleitung 3

Die Erkenntnis, dass auch bei normalem peripheren Hörvermögen Defizite in der

Verarbeitung von akustischen Reizen bestehen können, führte zu zahlreichen Untersuchungen

und Schlussfolgerungen, die jedoch keineswegs einheitlich sind.

Für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen ist besonders interessant, inwiefern solche

auditiven Verarbeitungsstörungen Auswirkungen auf die Sprachentwicklung haben und ob sie

daher auch innerhalb der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen Berücksichtigung

finden müssen. Doch auch hier sind die Meinungen geteilt. Obwohl von vielen die

Zusammenhänge zwischen auditiver Wahrnehmung und Sprachentwicklung und ihre

Wichtigkeit betont wird, gibt es auch welche, die das Konzept „Auditive

Wahrnehmungsstörung“ als modalitätsspezifische Beeinträchtigung generell in Frage stellen.

Trotz oder sogar wegen all dieser Widersprüche scheint eine kritische Auseinandersetzung

mit dieser Thematik und ihrer Bedeutung für die Sprachentwicklung notwendig und

lohnenswert.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 4

II. NONVERBALE BASISFAKTOREN DER SPRACHE

Sprache und Sprachentwicklung können nicht als isoliert ablaufende und bestehende

Phänomene betrachtet werden, sondern müssen in den Gesamtzusammenhang der kindlichen

Entwicklung gesetzt werden. Diese Ansicht über kindliche Sprachentwicklung bestimmt

zahlreiche diagnostische und therapeutische Ansätze der Sprachtherapie und findet auch in

der logopädischen Praxis ihren Niederschlag. Wendlandt3 gibt in seinem „Sprachbaum“ eine

vereinfachte, aber sehr bildhafte Darstellung dieses Gesamtzusammenhangs.

Die Metapher des Baumes verdeutlicht,

dass sich Sprache mit ihren Bereichen

Artikulation, Wortschatz, Grammatik und

Sprachverständnis nur dann entwickeln

kann, wenn eine Reihe grundlegender

Fähigkeiten angemessen ausgebildet ist.

Diese Fähigkeiten, zu denen u.a. die

Sinneswahrnehmungen sowie motorische,

soziale und kognitive Leistungen gehören,

bilden die Basis – eben die Wurzeln des

Sprachbaumes.

Abb. 1: Der Sprachbaum Entnommen aus: WENDLANDT 1992:9.

3 Vgl. WENDLANDT 1992:10.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 5

Zusätzlich zu diesen basalen Fähigkeiten, zu denen auch das Hören (im weiteren Sinne auch

die auditive Wahrnehmung) gehört, braucht es für die Ausbildung von Sprache auch

ausreichende „Stimulation“ durch die soziale Umwelt (Kommunikation, Sprachanregung,

Akzeptanz etc.). Sind die Wurzeln des Baumes beschädigt oder zu wenig ausgebildet, kommt

es zwangsläufig auch zur Beeinflussung des Wachstums des restlichen Baumes.

Die Wichtigkeit basaler Voraussetzungen wird eigentlich erst dann deutlich, wenn Sprache

sich nicht so entwickelt, wie sie eigentlich sollte. Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen

zeigen häufig Defizite in den genannten Bereichen. Deshalb stellen viele Therapiekonzepte

zur Behandlung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten die genannten „sprachtragenden“

Funktionen auch in den Vordergrund der therapeutischen Intervention. Die Menge dieser

unterschiedlichen Ansätze ist kaum überschaubar und je nachdem, welchen Schwerpunkt das

betreffende Konzept verfolgt, werden auch unterschiedliche Gewichtungen innerhalb der

Therapie vorgenommen. So betonen die einen vor allem die Bedeutung motorischer

Leistungen4, taktil-kinästhetischer Funktionen5 sowie visueller oder auditiver6 Fähigkeiten,

während andere die Therapieschwerpunkte auf die soziale Interaktion7 oder einen

handlungsorientierten8 Ansatz legen.

Allen Konzepten gemeinsam ist jedoch eine übergreifende, ganzheitliche Sichtweise, die das

Modul Sprache in einen großen Entwicklungszusammenhang stellt und auch versucht,

mögliche Ursachen von Sprachentwicklungsauffälligkeiten dort anzusiedeln und zu

behandeln. Sprachentwicklung wird hier nicht als isolierter Vorgang verstanden, sondern als

Teil einer umfassenden Gesamtentwicklung, die wiederum in einen Prozess der Sozialisation

eingebettet ist.

Aus diesem Verständnis heraus ergibt sich ein Entwicklungsmodell, welches annimmt, dass

vor (und während) der eigentlichen Sprachentwicklung sensomotorische Prozesse stattfinden

4 Vgl. u.a. AYRES 1992; KESPER & HOTTINGER 1993; OLBRICH 1989; OLBRICH 1989a. 5 Vgl. u.a. AFFOLTER 1987; AFFOLTER & BISCHOFBERGER 1989. 6 Vgl. Kapitel III. 7 Vgl. u.a. FRANKE 1994; JERNBERG 1987; ZOLLINGER 1997; ZOLLINGER 1998. 8 Vgl. u.a. WEIGL & REDDEMANN-TSCHAIKNER 2002.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 6

müssen, die elementare Bedingungen für das Erreichen höherer Entwicklungsstufen

darstellen.

Grohnfeldt9 betont die Bedeutung der Koordination und Verbindung von Wahrnehmung,

Motorik und sozialen Fähigkeiten für den Verlauf einer ungestörten Sprachentwicklung. Doch

muss der Zusammenhang zwischen verschiedenen Entwicklungsfaktoren und Sprache

wechselseitig gesehen werden. So beeinflusst Sprache z.B. die Ausbildung kognitiver

Strukturen und ist Hauptelement der sozialen Kontaktaufnahme. Die Entwicklung erfolgt also

integrativ, mit gegenseitigen Überlappungen und nach hierarchischen Prinzipien.

Außerdem sind sämtliche Faktoren von biologischen und neurophysiologischen

Voraussetzungen sowie von Umweltbedingungen abhängig.10

Abb. 2: Mehrdimensionales Entwicklungsmodell

Entnommen aus: GROHNFELDT 1993a:20.

Sensomotorische Grundlagen auditiver, motorisch-kinästhetischer und visueller Systeme

bilden die Basis für höhere psychische Funktionen der kognitiven und sprachlichen

Entwicklung, wobei diese Prozesse der Wahrnehmungsverarbeitung und Bewegung im

Rahmen der Eltern-Kind-Interaktion vollzogen werden. Eine solche Einbettung der kindlichen

Kommunikation wird zum Bindeglied zwischen Umwelt und Sensomotorik. Die einzelnen

Bereiche stehen nicht nebeneinander, sondern sind in ihrer Wirkung eng miteinander vernetzt.

Der Erwerb der kindlichen Sprache wird als dynamischer Prozess aufgefasst, bei dem

biologische und neurophysiologische Gegebenheiten des Kindes mit der Umwelt interagieren.

9 Vgl. GROHNFELDT 1993a:19. 10 Vgl. EBENDA:20.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 7

Die Ausbildung und Reifung dieser Gegebenheiten ist demnach auch von der stimulierenden

Anregung durch die Umwelt abhängig.11

Ein solches (oder ähnliches) faktorenübergreifendes, ganzheitliches Konzept wird zwar von

vielen Autorinnen und Autoren vertreten, dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die den

Zusammenhang zwischen Sprache und nonverbalen Basisleistungen zwar nicht leugnen, seine

Bedeutung jedoch für überschätzt halten.

So erklärt Dannenbauer12 den Versuch, mit nichtsprachlichen Mitteln den Grammatikerwerb

beeinflussen zu wollen, als wenig aussichtsreich. Sprachliche Leistungen könnten nur durch

sprachliche Lehr- und Lernprozesse und nicht durch Psychomotorik oder sensorische

Integrationstherapie verbessert werden. Dennoch räumt der Autor ein, dass bei vielen

entwicklungsdysphasischen Kindern diagnostische Gründe bestünden, auch auf anderen

Funktionsebenen (z.B. Motorik und Wahrnehmung) therapeutische Anliegen zu verfolgen.13

Weinert14 bezweifelt den Transfer eines unspezifischen, allgemeinen Wahrnehmungs-, Denk-

oder Motorik-Trainings auf die Sprache. Ebenso hält Dames15 für wahrscheinlich, dass

Sprachstörungen unabhängig von anderen Entwicklungsprozessen behandelt werden können:

„ [...] da bisher keinerlei Beweis für eine mögliche Generalisierung von sprachfreien auf

sprachliche Leistungen angetreten wurde [..., sind] diese Zugänge also eher mit

Zurückhaltung zu betrachten“16.

Kritisiert wird primär aber nicht die Ansicht, dass Sprache eng mit nonverbalen

Basisfunktionen verknüpft ist, sondern gewisse therapeutische Konsequenzen aus einer

verallgemeinernden und unkritische Auslegung dieser Ansicht. Unter dem Vorwand der

Ganzheitlichkeit werde vielfach eine allgemeine und undifferenzierte Förderung von Motorik,

11 Vgl. GROHNFELDT 1993:7. 12 Vgl. DANNENBAUER 1994:84f. 13 Vgl. EBENDA:86. 14 Vgl. WEINERT 2002:53. 15 Vgl. DAMES 1999:159. 16 Vgl. EBENDA:160.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 8

Wahrnehmung usw. durchgeführt, in der Hoffnung, dass sich dadurch Transferwirkungen auf

sprachliche Leistungen ergeben.

Die unterschiedlichen Auffassungen in der einschlägigen Literatur und der therapeutische

Alltag, in der verschiedenste („nonverbale“) Therapieansätze Platz gefunden haben, spiegeln

lediglich das heterogene Bild wider, das über die kindliche Sprachentwicklung existiert.

Weinert17 stellt fest, dass wir letztendlich nicht genau wissen, unter welchen Bedingungen

und auf welchen Wegen es Kindern gelingt, die komplexen sprachlichen Kategorien, Regeln

und Bedeutungen ihrer Muttersprache zu erwerben. Und genau so wenig, wie eine allgemein

akzeptierte Theorie des Spracherwerbs existiert, gibt es auch kein allgemein gültiges Modell

zur Entstehung von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen.

Warum werden dann in so vielen Therapiekonzepten zur Behandlung von

Sprachentwicklungsstörungen überhaupt nonverbale Faktoren berücksichtigt? Dahinter stehen

im Wesentlichen zwei Überlegungen. Die eine ist die, dass beinahe alle Kinder mit

Sprachentwicklungsproblemen auch mehr oder weniger Schwierigkeiten mit nonverbalen

Basisfunktion haben. Die zweite Überlegung sieht diese nicht-sprachlichen Korrelate als

mögliche Verursacher der Sprachentwicklungsprobleme. Beide Überlegungen führen zu

Konsequenzen im diagnostischen und therapeutischen Vorgehen: Es kann nicht genügen, nur

die noch nicht vollständig erworbenen Sprachaspekte zu therapieren, sondern es müssen auch

diejenigen nicht-sprachliche Faktoren in die Therapie einbezogen werden, die als nicht

ausreichend entwickelt diagnostiziert wurden.18

In der therapeutischen Umsetzung dieser Überlegungen ergeben sich mehrere Fragen und

Probleme, auf die ich später - am Beispiel der auditiven Wahrnehmung - etwas ausführlicher

eingehen möchte. Hier nur so viel:

17 Vgl. WEINERT 2002:52. 18 Vgl. GRIMM 1994:12f.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 9

• Auch wenn die Beobachtungen für sich sprechen, dass Sprache mit nicht-sprachlichen

Faktoren verknüpft ist, bleibt unklar, wie diese Verknüpfung genau aussieht. Die

Frage, welche nicht-sprachlichen Korrelate als potentielle Verursacher von

Sprachentwicklungsstörungen gesehen werden können, bleibt in vielen Fällen schwer

zu beantworten.19

• Auch wenn es gelingt, eine einzelne (nicht-sprachliche) Komponente zu verbessern,

bleibt offen, ob dies auch positive Effekte auf die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes

hat. Beobachtbare Effekte lassen sich möglicherweise auch auf andere Ursachen

zurückführen. Empirische Untersuchungen in dieser Richtung existieren kaum.20

Selbst wenn man die Möglichkeiten, die sprachlichen Leistungen eines Kindes durch die

Förderung nonverbaler Komponenten zu beeinflussen, kritisch betrachtet, bleibt die Tatsache

bestehen, dass Sprache (irgendwie) mit diesen Komponenten verknüpft ist. Daraus folgt

unweigerlich, dass diese Komponenten auch in Diagnose und Therapie von

Sprachentwicklungsstörungen berücksichtigt werden müssen. Unklar bleibt dann aber immer

noch, welche nonverbalen Komponenten einen Zusammenhang mit der Sprachentwicklung

aufweisen, wie dieser Zusammenhang genau aussieht und wie sich die Berücksichtigung der

gestörten Komponenten innerhalb einer logopädischen Intervention gestalten sollte. Also

viele offene Fragen!

Akzeptiert man ein „Multifaktoren-Modell“ der Sprachentwicklung, in dem Sprache mit

nonverbalen Faktoren in Interaktion steht, so hat dies auch Konsequenzen für Diagnose und

Therapie von Sprachentwicklungsstörungen. Sprache ist dabei Teil eines Systems, in dem die

einzelnen Elemente voneinander abhängig sind. Die Störung eines einzelnen Elements kann

Auffälligkeiten des gesamten Systems zur Folge haben. Dabei ist es aufgrund der

Komplexität des Gegenstandes unter Umständen schwierig, genau auszumachen, welche

Elemente in welcher Ausprägung betroffen sind und ob hier kausale Zusammenhänge zu

Sprachentwicklungsauffälligkeiten bestehen.

19 Vgl. GRIMM 1994:12. 20 Vgl. EBENDA:13.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 10

Grohnfeldt21 nennt diagnostische und therapeutische Konsequenzen, die ein solches Modell

für Diagnose und Therapie von Sprachentwicklungsstörungen nach sich zieht:

• Eine Klassifikation nach Oberflächensymptomen ist nicht ausreichend, da

Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen des Systems und eine

vorliegende Grundstörung unentdeckt bleiben.

• Die Wechselseitigkeit der einzelnen Elemente (Funktionsbereiche) bedingt, dass

Störungen der Sprachentwicklung meist auch multiple Ursachen haben. Ein

eindeutiger Kausalzusammenhang kann nur in Ausnahmefällen gemacht werden.

• Die Diagnose von Sprachentwicklungsstörungen muss über die Beurteilung der rein

sprachlichen Fähigkeiten des Kindes hinausgehen und auch andere Funktionsbereiche

(Wahrnehmung, Motorik, soziale Interaktion etc.) berücksichtigen, um verursachende

Störungen dieser Basisleistungen erkennen zu können.

• Die Therapiemaßnahmen müssen über eine symptomspezifische Behandlung hinaus

gehen. Mechanismen, die dem Störungsbild zugrunde liegen, müssen im Rahmen der

therapeutischen Intervention berücksichtigt werden.

Folgende, sich überschneidende und gegenseitig beeinflussende Entwicklungsbereiche

können – neben der Sprache – unterschieden werden:22

• Wahrnehmung

o Visuelle Wahrnehmung

o Taktil-kinästhetische Wahrnehmung

o Auditive Wahrnehmung

• Motorik

o Grobmotorik

o Feinmotorik

• Kognition

• Sozial-emotionale Entwicklung

21 Vgl. GROHNFELDT 1993:8f. 22 Vgl. GROHNFELDT 1993a:21ff.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 11

Die einzelnen Bereiche sind nur der Übersicht halber getrennt dargestellt. In der Realität sind

sie eng miteinander verwoben. Sensorik und Motorik beeinflussen sich gegenseitig,

Wahrnehmungsprozesse bilden die Grundlage für kognitive Funktionen und alle Elemente

sind in Bereiche der sozial-emotionalen Entwicklung eingebunden.23

Im Zusammenspiel der einzelnen Entwicklungsbereiche kommt der Wahrnehmung eine

besondere Bedeutung zu. Unser Wahrnehmungssystem orientiert sich dabei zunächst nicht an

Einzelelementen, sondern an differierenden Merkmalen. Mit Hilfe von Sinneserfahrungen

werden Wahrnehmungsmuster gebildet und verändert, indem eine Selektion aus der Menge

der sensorischen Eindrücke erfolgt.24

Tatsächlich können die Bereiche Wahrnehmung und Motorik nicht voneinander getrennt

werden. Beide bilden eine Einheit, deren Elemente voneinander abhängig sind. Dieser

Auffassung trägt auch der Begriff Sensomotorik Rechnung. Ayres25 weist außerdem auf die

Bedeutung der Integration der unterschiedlichen Wahrnehmungsqualitäten hin. Es reicht nicht

aus, dass Informationen aus den verschiedenen Sinnen in unserem Gehirn ankommen. Diese

Informationen müssen auch geordnet und miteinander in Verbindung gebracht werden. Diese

Sensorische Integration ermöglicht erst organisierte und an die Umwelt angepasste

Reaktionen.26

Sensorische Prozesse liefern den Input, den es braucht, um Sprache zu entwickeln. Über

unsere Sinnessysteme können Informationen aus unserer Umwelt und unserem Körper

aufgenommen und verarbeitet werden. So spricht z.B. Affolter27 über die Bedeutung von

taktil-kinästhetischer Spürerfahrung für die Entfaltung sprachlicher Fähigkeiten des Kindes.

23 Vgl. GROHNFELDT 1993:54. 24 Vgl. GROHNFELDT 1993a:21. 25 Vgl. AYRES 1992:6ff. 26 Vgl. EBENDA:17. 27 Vgl. AFFOLTER 1987:307ff.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 12

Ebenso wie sensorische Komponenten ist auch die Motorik eng mit Sprache und

Sprachentwicklung verknüpft.28 Dabei sind neben den mund- und sprechmotorischen

Fähigkeiten auch grobmotorische Kompetenzen wichtig. Um die Umwelt in ausreichender

Weise zu „erfahren“, ist das Kind auf Bewegung angewiesen. Erst ein gewisses Maß an

motorischer Geschicklichkeit ermöglicht es dem Kind, sich und seine Umwelt in der Weise zu

verändern, dass es auch „Sprachwertes“ erleben kann.

Es ist anzunehmen, dass Störungen der Sprachentwicklung häufig mit Veränderungen der

kognitiven Struktur einhergehen. Unter kognitiver Struktur sind all jene Prozesse zu

verstehen, die mit Wahrnehmungsverarbeitung und Realitätserschließung zu tun haben. Hier

spielen auch Faktoren wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Speicherfähigkeit hinein, die

gemeinsam für das individuelle Lernverhalten verantwortlich sind. Bei

sprachentwicklungsauffälligen Kindern mit normaler Intelligenz wurden in hohem Maße auch

Lernbeeinträchtigungen festgestellt, wobei jedoch unklar bleibt, ob sich die Sprachstörung

negativ auf das Lernverhalten auswirkt oder durch eine allgemeine kognitive Schwäche

verursacht wird.29

Es wird auch vermutet, dass spracherwerbsgestörte Kinder Defizite in der hierarchischen

Planung kognitiver Elemente aufweisen, was sich vor allem in morphologischen und

syntaktischen Schwierigkeiten ausdrückt.30

Der Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung und sozial-emotionaler Entwicklung

kann wechselseitig gesehen werden. Einerseits können bestimmte soziale Bedingungen zur

Entstehung oder Verstärkung einer Sprachentwicklungsstörung beitragen, andererseits kann

sich eine bestehende Sprachentwicklungsproblematik auf die emotionale, soziale und

familiäre Situation von Kind und Eltern auswirken.31

So konnte z.B. festgestellt werden, dass sich das Sprachangebot von Müttern

sprachentwicklungsauffälliger und sprachgesunder Kinder unterscheidet. Die Mütter der 28 Vgl. u.a. GROHNFELDT 1993:57; KESPER & HOTTINGER 1993:76f. 29 Vgl. GROHNFELDT 1993a:80. 30 Vgl. SZAGUN 1991:298ff. 31 Vgl. GROHNFELDT 1993a:82ff.

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Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 13

Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung gingen u.a. thematisch weniger auf die

sprachlichen Produktionen ihrer Kinder ein und lieferten weniger Expansionen der kindlichen

Äußerungen. Die Ursache dieses veränderten Interaktionsstils könnte jedoch in einer

Anpassung der Mütter an die eingeschränkten sprachlichen Fähigkeiten des Kindes liegen.

Dadurch wird zwar die Sprachstörung nicht verursacht, dem ohnehin sprachgestörten Kind

jedoch eine weniger reiche sprachliche Umwelt geboten.32

Im Folgenden soll der Bereich der auditiven Wahrnehmung und sein möglicher

Zusammenhang mit der Sprachentwicklung etwas näher dargestellt werden. Erkenntnisse,

Probleme und Fragen in Bezug auf die auditive Wahrnehmung lassen sich teilweise auch auf

andere nonverbale Faktoren wie Motorik, visuelle Wahrnehmung, taktil-kinästhetische

Wahrnehmung, Kognition und sozial-emotionale Situation übertragen.

Die Unklarheit und Uneinigkeit darüber, ob nonverbale Basisfunktionen als verursachend für

Sprachentwicklungsstörungen anzusehen sind, betrifft mehr oder weniger alle nonverbalen

Bereiche. Dadurch entsteht eine Art „therapeutisches Dilemma“, bei dem die Logopädin / der

Logopäde sich zwischen persönlichen Erfahrungen und Einsichten, den Ansprüchen des

Kindes und der Eltern, den unterschiedlichen Therapieansätzen und der kritischen

Auseinandersetzung mit der Therapieeffizienz befindet. Ein Entkommen aus diesem Dilemma

ist vermutlich nicht zur Gänze möglich. Die Konfrontation mit gegensätzlichen

Gesichtspunkten, die Beleuchtung des Problemfeldes Sprachentwicklung aus

unterschiedlichen Perspektiven und eine kritische Hinterfragung des eigenen Vorgehens

mögen aber helfen, einen individuellen Standpunkt zu finden und zu stärken.

32 Vgl. SZAGUN 1991:305ff.

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Auditive Wahrnehmung 14

III. AUDITIVE WAHRNEHMUNG

Auditive Wahrnehmung meint nicht das Hören an sich, sondern die Prozesse des

Zentralnervensystems, das Gehörte zu erfassen und zu verarbeiten. Physiologisch gesehen

werden dabei im Sinnesorgan akustische Signale in elektrische Nervenimpulse umgewandelt.

Anschließend erfolgt eine zunehmend bewusste Analyse der auditiven Reize und ihr Einbau

in komplexere Kognitionsprozesse. Das bedeutet, einfache Reizmerkmale werden mit Hilfe

von Bottom-up-Prozessen analysiert und in höhere Kognitionsprozesse eingebunden.

Gleichzeitig ist die auditive Wahrnehmung abhängig von Funktionen, die von einer höheren

Ebene auf den Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess einwirken. Solche Top-down-

Prozesse sind Funktionen und Zustände wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Emotionen.33

Wahrnehmung ist also ein „[...] Prozeß des Informationsgewinns aus Umwelt- und

Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) einschließlich der damit verbundenen

emotionalen Prozesse und der durch Erfahrung und Denken erfolgenden Modifikation.“34

Zur Wahrnehmung gehören Reizaufnahme, Weiterleitung, Speicherung, Vergleichen mit dem

bisher Wahrgenommenen, Koordination von Einzelreizen, Reizverarbeitung, Reaktion und

die Kontrolle über die erfolgte Rückmeldung.35

Unser ganzes Leben lang sind wir von akustischen Reizen umgeben. Das Sinnesorgan Ohr ist

in seiner Gesamtheit ein Hauptträger der menschlichen Kommunikation und ein

funktionierendes Gehör ist Voraussetzung für die Entwicklung von Lautsprache.

Die komplexen Funktionsabläufe auditiver Prozesse können in einen peripheren und einen

zentralen Anteil gegliedert werden. Der periphere Teil ist im Wesentlichen für die Aufnahme

der akustischen Signale und ihre Weiterleitung bis zum eigentlichen Hörorgan - der Cochlea -

33 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:34f. 34 FRÖHLICH 1990:365. 35 Vgl. FRANKE 1998:223.

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Auditive Wahrnehmung 15

verantwortlich. Der zentrale Anteil beinhaltet die Prozesse, die für die Verarbeitung der

akustischen Signale in den zentralen Hörbahnen und den kortikalen Hirnregionen sorgen.36

Schon lange vor der Geburt beginnt die Entwicklung des Hörens. Bereits in der 9.

Schwangerschaftswoche ist der Schneckengang vollständig ausgebildet und in der 12.

Schwangerschaftswoche sind die Haarzellen ausgereift. Nach der Reifung des Corti-Organs

kann ab der 26. Schwangerschaftswoche mechanische Schallenergie in elektrische

Nervenimpulse umgewandelt werden, womit menschliches Hören ermöglicht wird. Das Kind

reagiert auf akustische Stimulation mit einer Intensität von 110 dB bereits ab der 28.

Schwangerschaftswoche mit dem Blinzel– und Startlereflex. In verschiedenen

Untersuchungen37 konnte bewiesen werden, dass Neugeborene die Stimme ihrer Mutter

bevorzugen. „Obwohl es sich bei diesen Untersuchungen in der Regel um

Einzelbeobachtungen handelte, gilt es heute angesichts der Vielzahl sich bestätigender

Untersuchungen als sicher, daß ein Kind bei der Geburt in der Regel schon über eine 12 –

14-wöchige Hörerfahrung verfügt.“38

Während aber die Ausreifung des peripheren Hörorgans (von der Ohrmuschel bis zum

Innenohr) bei der Geburt als weitgehend abgeschlossen gilt, dauert die Ausreifung der

zentralen Hörbahnen mehrere Jahre.39 Damit die zentralen Hörbahnen jedoch ausreifen

können, muss ein (annähernd) normales Gehör bestehen. Akustische Stimulation ist für die

Entwicklung des kindlichen Gehörs notwendig.40

Fehlt diese Stimulation durch Schallreize, kommt es nachgewiesenermaßen zu „[...]

Entwicklungsdefiziten des zentralen Sprachsystems und seiner funktionellen Verknüpfung. Zu

den funktionellen Folgeschäden gehören eine Verzögerung oder ein Ausbleiben einer

entwicklungsgerechten Engrammbildung von Sprachmustern sowie hörbedingte Defizite der

kognitiven, intellektuellen, emotionalen und psychosozialen Entwicklung“41.

36 Vgl. u.a. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:34 ff; HÖFLER 1995:131ff. 37 Vgl. PTOK & PTOK:1996:2. 38 EBENDA. 39 Vgl. PTOK & PTOK:1996:1ff. 40 Vgl. LAMPRECHT-DINNESEN 1996:7. 41 EBENDA.

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Auditive Wahrnehmung 16

Aber auch bei einem gut entwickelten peripheren Hörsystem kann es zu Störungen in der

zentralen Verarbeitung von akustischen Reizen kommen, die an späterer Stelle ausführlicher

behandelt werden sollen.42

In den letzten Jahren ist die Beschäftigung mit der „Auditiven Wahrnehmung“ zunehmend

intensiver geworden. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln haben sich mehrere

Wissenschaftsdisziplinen mehr oder weniger unabhängig um dieses komplexe Phänomen und

seine Störungen bemüht. Die Literatur dazu ist zahlreich und nur schwer überschaubar.

Obwohl Erkenntnisse und Einsichten der unterschiedlichen Disziplinen kaum auf einen

Nenner gebracht werden können, erscheint eine kritische Auseinandersetzung mit den

unterschiedlichen Ansätzen und der Versuch ihrer gegenseitigen Integration lohnenswert.

42 Siehe dazu: Kapitel III/6.

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Schall 17

1. Schall

Alle Umweltgeräusche, das Zwitschern der Vögel, das Brummen der Motoren und die für uns

so wichtigen Sprachsignale sind mehr oder weniger komplexe Schallereignisse, die in

akustische Parameter zerlegt werden können.

Wird ein Körper in Schwingung versetzt, führt dies zu einer Bewegung der Teilchen im

angrenzenden Medium. Diese Störung breitet sich durch Druckveränderungen im Medium

weiter aus und kann durch verschiedene Parameter beschrieben werden.

Die Intensität der Störung, die wir als laut oder leise empfinden, ist abhängig vom Ausmaß

der Druckänderung im Medium und wird als Schalldruck (p) in der Einheit Pascal (Pascal)

RGHU� �3D� �0LNURSDVFDO�� DQJHJHEHQ�� 'D� GHU� JHULQJVWH�� YRP� 0HQVFKHQ� JHUDGH� QRFK�

ZDKUJHQRPPHQH� 6FKDOOGUXFN� ��� �3D�� GHU� ODXWHVWH�� GHU� RKQH� 6FKPHU]HQ� ZDKUJHQRPPHQ�

werden kann, 100 Pa beträgt, kann dieser Bereich aufgrund der großen Differenz der Werte

nicht linear dargestellt werden. Daher geht man auf eine logarithmische Darstellung, den

Schalldruckpegel (L) mit der Einheit dB (Dezibel), über.43

Die Empfindung von Höhe oder Tiefe eines Schallereignisses wird durch die Frequenz der

Schwingung bestimmt. Die Frequenz f mit der Einheit Hertz (Hz) ist die Anzahl der

Schwingungen pro Sekunde. Hohe Frequenzen werden als hoch, und niedrige Frequenzen

werden als tief empfunden.44

43 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:29f. 44 Vgl. LAUER 2001:9.

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Schall 18

Je nach Zeitverlauf und Frequenzspektrum können drei Formen von Schall unterschieden

werden:45

• Töne sind charakterisiert durch eine Frequenz und eine Amplitude. Sie laufen

periodisch ab und kommen in der Natur nicht vor.

• Klänge bestehen aus mehreren „Teiltönen“ (Grundton mit Obertönen bzw.

Partialtönen) mit unterschiedlichen Frequenzen und Amplituden, wobei die subjektiv

empfundene Klanghöhe vom tiefsten Teilton, dem Grundton bestimmt wird. So stellt

das, was wir alltagssprachlich als „Töne“ bezeichnen (z.B. die Töne der Musik), im

akustischen Sinne eigentlich keine Töne, sondern Klänge dar.

• Geräusche: im Gegensatz zu Tönen und Klängen besitzen Geräusche kein sog.

diskretes Spektrum (einzelne, genau definierbare Frequenzen), sondern ein

kontinuierliches Spektrum (einen bestimmten Frequenzbereich).

Abb. 3: Zeitfunktion und Spektrum von Ton (oben), Klang (Mitte) und Geräusch (unten)

Entnommen aus: BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:32.

45 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:32.

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Schall 19

In Hinblick auf auditive Wahrnehmung und Sprache lassen sich für Sprachsignale folgende

akustischen Merkmale feststellen:

Sprachsignale bestehen aus Klängen, Geräuschen oder einer Kombination aus beiden.

Innerhalb eines Sprachsystems unterscheidet man die kleinsten bedeutungsunterscheidenden

Einheiten (Phoneme), die durch ihre distinktiven Merkmale voneinander abgegrenzt werden.

Solche Merkmale sind z.B. vokalisch – nicht vokalisch, stimmhaft – stimmlos oder nasal –

oral.

Das System der deutschen Laute besteht aus ca. 19 Vokalen und 21 Konsonanten (je nach

phonematischer Analyse).46

Vokale

Im akustischen Sinne bestehen Vokale aus Klängen mit einem periodischen Bau der

Schwingungskurven und einer annähernd gleichen Grundtonhöhe. Einzelne Vokale

unterscheiden sich weniger durch ihren Grundton, sondern vielmehr durch ihre Klangfarbe.

Diese entsteht durch Verstärkung der im Kehlkopf gemeinsam mit dem Grundton

abgestrahlten Obertöne (Partialtöne). Je nach Ausformung der Mundhöhle durch

unterschiedliche Stellung von Zunge, Lippen und Unterkiefer werden unterschiedliche

Partialtöne durch Resonanz verstärkt. Nicht alle Partialtöne sind gleich wichtig. Für die

Klangfarbe der einzelnen Vokale sind bestimmte Partialtongebiete von großer Intensität

(=Formanten) verantwortlich. Ein Formant ist also ein Partialtongebiet besonderer Intensität,

das für die Klangfarbe eines Vokals entscheidend ist. Man unterscheidet vier Formanten (F1

bis F4). Für die Klassifikation von Vokalen sind im Wesentlichen die zwei unteren Formanten

(F1 und F2) von Bedeutung. Sie sind abhängig von der anatomischen Gestaltung des

Resonanzraums, aber weitgehend unabhängig von der Tonhöhe. F3 und F4 sind wichtig für die

Identifikation der Sprecherin oder des Sprechers.47

F1 wird durch das Volumen des Mund-Rachenraums (hinterer Resonanzraum) bestimmt. Bei

Vorwärtsbewegung des Zungenrückens kommt es z.B. zu einer Erweiterung des Mund-

Rachenraums und dadurch zu einer Frequenzabnahme von F1. F2 ist abhängig vom Volumen

46 Vgl. WIRTH 1990:119ff. 47 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:20f.

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Schall 20

des Raumes zwischen Lippen und Zungenrücken (vorderer Resonanzraum). Je weiter die

Zunge nach vorne verlagert wird, desto höher liegt F2.

F3 hängt von der Interaktion zwischen vorderem und hinterem Resonanzraum ab und F4 ist

u.a. abhängig von der Größe des supraglottischen Raums.48

Die folgende Abbildung zeigt die Lage der deutschen Vokalformanten F1 und F2 bei den

unterschiedlichen Vokalen. Deutlich sichtbar ist, wie dicht beieinander die Spektren der

beiden Formanten z.B. beim Vokal /a/ liegen und wie groß die Differenz der Spektren beim

Vokal /i:/ ist.

Abb. 4: Die Lage der deutschen Vokalformanten F1 und F2

Entnommen aus: WIRTH 1990:130.

Konsonanten

Konsonanten bestehen akustisch entweder aus einem Geräusch (stimmlose Konsonanten) oder

aus einem Gemisch von Klängen und Geräuschen (stimmhafte Konsonanten). Bei der Bildung

von Konsonanten wird in Kehlkopf, Rachen oder Mundhöhle eine Hemmstelle gebildet, die

aus einer Verengung oder einem Verschluss der Artikulationsorgane besteht. Diese

Hemmstelle kommt bei den stimmhaften Konsonanten als zweite Schallquelle zu dem von

den Stimmlippen erzeugten Stimmklang hinzu. Bei den stimmlosen Konsonanten ist sie die

einzige Schallquelle.49 48 Vgl. WIRTH 1990:124ff. 49 Vgl. EBENDA:136.

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Schall 21

Hinsichtlich ihrer akustischen Eigenschaften lassen sich folgende Konsonantentypen

unterscheiden:50

• Sonanten: Die Hemmstellenbildung führt zu keiner Geräuschentwicklung (/m/, /n/, /l/,

������6LH�KDEHQ�YRNDOLVFKHQ�&KDUDNWHU�

• Echte Konsonanten: Die Hemmstellenbildung führt zur Erzeugung eines Geräusches.

Dabei gibt es jedoch fließende Übergänge von Klängen und Geräuschen.

o Konsonanten mit Klangübergewicht: /r/ oder /R/;

o Konsonanten mit Geräuschübergewicht: /v/, /z/, /b/, /d/, /g/;

o Reine Geräuschkonsonanten: /f/, /s/, /��, /ç/, /x/, /p/, /t/, /k/;

Auch Konsonanten haben Formanten, bei ihnen stehen die Partialtöne jedoch nicht in einem

einfachen mathematischen Verhältnis zueinander. Für die Bildung von Konsonanten sind die

hohen Frequenzen von besonderer Bedeutung. Der Frequenzbereich ist umso höher, je kleiner

die Engstelle ist, die der Phonationsstrom während der Artikulation passieren muss.

So liegt die obere Grenze dieses Bereichs z.B. für /s/ bei 8000 Hz und für /f/ bei 6400 Hz.51

Für die Aufnahme und Verarbeitung von Sprachsignalen sind daher komplexe Fähigkeiten

nötig, die nur ein gesundes und funktionsfähiges auditives System adäquat leisten kann.

Einschränkungen in der Hörverarbeitung (peripher oder zentral) gehen daher auch immer mit

Beeinträchtigungen der Sprachverarbeitung einher.

50 Vgl. WIRTH 1990:136. 51 Vgl. EBENDA:142.

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Peripheres Hörorgan 22

2. Peripheres Hörorgan

Da es hier vorrangig um die zentrale Verarbeitung von akustischen Signalen (im Besonderen

von Sprache) geht, soll nur kurz auf die anatomischen und physiologischen Grundlagen des

peripheren Hörorgans eingegangen werden.

Abb. 5: Das menschliche Ohr

Entnommen aus: LAUER 2001:3.

2.1. Anatomische und physiologische Grundlagen

Im medizinischen Sinne können folgende Teile des Ohres unterschieden werden:52

• das äußere Ohr

• das Mittelohr

• das Innenohr

• der Hörnerv und die zentrale Hörbahn.

52 Vgl. HÖFLER 1995:131 ff.

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Peripheres Hörorgan 23

2.1.1. Äußeres Ohr

Aufbau

Das äußere Ohr besteht aus der Ohrmuschel (Concha) und dem äußeren Gehörgang.

Die Ohrmuschel wird von einem elastischen Knorpel gebildet, der von Haut (mit Haaren und

Drüsen) überzogen ist.

Der äußere Gehörgang besteht aus einem knorpeligen (nahe der Ohrmuschel) und einem

knöchernen Anteil (nahe dem Trommelfell). Er ist ca. 3 cm lang und wird zum Mittelohr hin

durch das Trommelfell begrenzt.

Funktion

Die Ohrmuschel hat für das Hören des Menschen eher geringe Bedeutung. Dennoch

verbessert sie das Richtungshören vor allem für hochfrequenten Schall.53

Der Gehörgang hat die Aufgabe, den Schall von außen in Richtung Mittelohr weiterzuleiten,

wobei durch seine Eigenresonanz eine Verstärkung des eintreffenden Schalls im Bereich von

ca. 2 – 4 kHz erfolgt. Außerdem schützt der Gehörgang Trommelfell und Mittelohr durch

seinen geknickten Verlauf, seine Haare und die Bildung von Cerumen vor „Einflüssen“ von

außen.54

53 Vgl. HÖFLER 1995:132. 54 Vgl. EBENDA.

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Peripheres Hörorgan 24

2.1.2. Mittelohr

Aufbau

Das Trommelfell bildet die Grenze zwischen äußerem Gehörgang und Mittelohr. Es ist eine

häutige Membran von ca. 1 cm Durchmesser, die trichterförmig nach innen gewölbt ist.55

Das Mittelohr besteht aus der normalerweise mit Luft gefüllten Paukenhöhle und den

angrenzenden pneumatischen Zellen. Die Paukenhöhle enthält neben den Gehörknöchelchen

Hammer (Malleus), Amboss (Incus) und Steigbügel (Stapes) die beiden Mittelohrmuskeln

M. tensor tympani und M. stapedius sowie Ligamente.56

Die Tube (Tuba auditiva) verbindet Paukenhöhle und Nasenrachenraum. Sie besteht aus

einem engen, spaltförmigen Gang und führt dem Mittelohr die für eine ungestörte Funktion

notwendige Luft von außen zu.57

Funktion

Die Schallwellen werden vom Trommelfell über die Gehörknöchelchenkette auf die

Steigbügelfußplatte und in das Innenohr weitergeleitet. Dabei findet eine Umwandlung von

Bewegungsenergie mit geringem Druck (Trommelfell) in Druckenergie mit nur kleiner

Bewegung (ovales Fenster) statt. Durch die unterschiedlichen Flächen von Trommelfell und

ovalem Fenster („Stöckelschuheffekt“) sowie durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen

ergibt sich eine Erhöhung des Schalldruckes auf mehr als das 20-fache. Dies ist nötig, um eine

Impedanzangleichung zwischen äußerem Ohr (Medium Luft) und Innenohr (Medium

Flüssigkeit) zu erreichen. Dank des Mittelohres können 60 % der Schallenergie in das

Innenohr weitergeleitet werden. Bei direktem Auftreffen von Schall auf das ovale Fenster

würden 99 % dieser Energie verloren gehen.58

55 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:326. 56 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:35. 57 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:328. 58 Vgl. HÖFLER 1995:134.

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Peripheres Hörorgan 25

2.1.3. Innenohr

Aufbau

Das Innenohr (Labyrinth) enthält einerseits das Gleichgewichtsorgan und andererseits das

eigentliche Hörorgan. Es wird durch Aushöhlungen des Felsenbeins gebildet (knöchernes

Labyrinth), welche mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt sind. Darin eingebettet befindet sich

das häutige Labyrinth. Es besteht aus ebenfalls flüssigkeitsgefüllten (Endolymphe)

„Schläuchen“ bzw. „Bläschen“. Die Schnecke (Cochlea) liegt in einem schneckenartig

gewundenen Gang im Knochen, der sich über 2 ½ Windungen erstreckt. Dieser Gang wird

durch 2 Membranen (Basilarmembran und Reissner-Membran) in 3 Hohlräume unterteilt.59

Abb. 6: Querschnitt durch eine Windung der Cochlea

Entnommen aus: LAUER 2001:4.

Das eigentliche Hörorgan (Corti-Organ) liegt auf der Basilarmembran. Es enthält die

Sinneszellen (äußere und innere Haarzellen), Stützzellen und die mit den Sinneshaaren in

Verbindung stehende Deckmembran (Tektorialmembran). Die Sinneszellen wiederum stehen

mit den Nervenendigungen in Verbindung, welche die Signale zum Hörnerv und in die

zentrale Hörbahn weiterleiten.

59 Vgl. HÖFLER 1995:134 ff.

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Peripheres Hörorgan 26

Funktion des Corti-Organs

Das Corti-Organ bewirkt die Umwandlung von mechanischer Energie (Wanderwelle) in

elektrische Impulse, die über den Hörnerv zum Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet

werden.60

Nach der Wanderwellentheorie von Békésy führen die von der Steigbügelfußplatte auf die

Perilymphe übertragenen Druckschwankungen zur Ausbildung einer „Wanderwelle“ in der

Schnecke, wobei die Frequenz der anregenden Schwingung die Lage des Wellenmaximums

bestimmt. Bei tiefen Frequenzen ist das Maximum eher an der Schneckenspitze, bei höheren

Frequenzen eher an der Schneckenbasis.61 Diese Zuordnung von Frequenz des Schalls zu

einen bestimmten Ort wird als Tonotopie bezeichnet.62

Abb. 7: Tonotopie auf der Basilarmembran

Entnommen aus: LAUER 2001:4.

60 Vgl. HÖFLER 1995:136. 61 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:330 f. 62 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:39.

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Peripheres Hörorgan 27

Außer diesem passiven Vorgang ist in der Cochlea noch ein aktiver wirksam. Er beruht auf

der Fähigkeit der äußeren Haarzellen, auf chemische, akustische und elektrische Reize mit

einer Kontraktion des Zellkörpers zu reagieren.63 Dadurch wird eine Vergrößerung der

Wanderwelle bei niedrigen Amplituden erreicht. Nur so werden die inneren Haarzellen auch

bei leisen Pegeln ausgelenkt und mechanische Impulse können in elektrische umgewandelt

werden. Diese Verstärkerfunktion der äußeren Haarzellen ermöglicht uns also erst das Hören

und Verarbeiten von leisen Pegeln.

Die Cochlea wird durch afferente (von peripher nach zentral), efferente (von zentral nach

peripher) und autonome Fasern innerviert.

95 % der afferenten Fasern endigen an den inneren und nur 5% an den äußeren Haarzellen.

Die efferente Innervation hat ihren Ursprung in der oberen Olive und dient vermutlich zur

Steuerung der Empfindlichkeit der äußeren Haarzellen.64

63 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 64 Vgl. EBENDA:38.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 28

3. Hörnerv und zentrale Hörbahn

3.1. Hörnerv

„Der Nervus cochlearis stellt [...] den Eingang aller akustischen Informationen in das

Zentralnervensystem dar.“65

Seine Nervenfasern ziehen von der Cochlea zur Schneckenspindel und bilden dort das

Spiralganglion. Gemeinsam mit den Fasern aus dem Gleichgewichtsorgan ziehen sie als VIII.

Hirnnerv (Nervus cochleovestibularis) zum Hirnstamm. Dort endet der Hörnerv in den

Akustikuskernen (Nucleus cochlearis).66

Das Antwortverhalten der Einzelneurone des Hörnervs auf akustische Reize wird

folgendermaßen beschrieben:67

• Frequenzkodierung: Für jedes Einzelneuron existiert eine bestimmte

„Bestfrequenz“. Bei dieser Frequenz reagiert das Neuron bereits bei geringsten

Pegeln mit Aktionspotentialen. Dieses Verhalten wird durch die Frequenz-

Ortsabbildung (Tonotopie) auf der Basilarmembran verursacht68. Die Information

über die Frequenz des Reizes wird jedoch nicht nur durch die Tonotopie

weitergegeben, sondern auch dadurch, dass die Erregung im N. cochlearis nur zu

einem bestimmten Zeitpunkt der Phase des Reizes erfolgt. Diese sog.

Periodizitätsanalyse ermöglicht es dem Gehirn, die im Entladungsmuster

enthaltene Zeitstruktur auszuwerten und die zugehörigen Schallfrequenzen zu

berechnen. Dieser Mechanismus funktioniert bis zu einer Frequenz von mindestens

5 kHz.69

• Intensitätskodierung: Die Intensität des akustischen Signals wird durch die

Anzahl der Entladungen des Einzelneurons sowie durch die Anzahl der insgesamt

65 BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:41. 66 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:333. 67 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40 f. 68 Vgl. Kapitel III/2.1.3. 69 Vgl. KLINKE 1995:267.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 29

erregten Neurone kodiert.70 Bei zunehmender Intensität einer bestimmten Frequenz

nimmt auch die Aktivität des Neurons bis zu einem Maximum zu („monotone

Intensitätsfunktion“).

Bei höheren Schalldruckpegeln werden aber nicht nur die „betroffenen“, sondern

auch benachbarte Fasern aktiviert.71

• Kodierung der Phase: Für tieffrequentere Reize (unter 4 kHz) besteht ein

Zusammenhang zwischen der Phase des Signals und dem Zeitpunkt der Entladung

der Aktionspotentiale.72

• Adaptation: Die Entladungsrate der Neurone ist abhängig von der Dauer des

Reizes. Bei Beginn eines akustischen Reizes ist die Anzahl der Entladungen hoch

und nimmt dann stetig ab, bis sie einen stationären Zustand erreicht. Auch bei

komplexeren Reizen bestimmen die Komponenten des Signals die Art der

neuronalen Antwort. Dadurch werden Informationen, die im Reiz enthalten sind,

im Muster der Aktionspotentiale verschlüsselt.

3.2. Zentrale Hörbahn

Der zentrale Anteil des Hörorgans ist für die auditive Verarbeitung von akustischen Signalen

nach der erfolgten peripheren Aufnahme durch äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr

verantwortlich.

Dabei erfolgt im Verlauf der Hörbahn eine Verrechnung unterschiedlicher

Schalleigenschaften (Intensität, Frequenz etc.), wodurch die Lokalisation von Schallquellen,

die Analyse und Verarbeitung von zeitlichen Verhältnissen, Musik und Sprache möglich

wird.73

Das zentral-auditorische System beginnt im Cochleariskern (Nucleus cochlearis) und endet im

auditorischen Cortex. Das genaue Ende der Hörbahn bleibt jedoch unklar. Es könnte

70 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 71 Vgl. KLINKE 1995:267. 72 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 73 Vgl. KLINKE 1995:267.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 30

irgendwo im efferenten System enden oder möglicherweise auch in einem nicht-auditorischen

Bereich des Gehirns. Außerdem könnte der exakte Verlauf auch abhängig von der Art des

akustischen Signals sein.74 Die Hörbahn ist tonotop gegliedert und verläuft vom Ganglion

spirale zur primären Hörrinde über fünf bis sechs Synapsen.75

Abb. 8: Vereinfachtes Schema der zentralen Hörbahn

Entnommen aus: LAUER 2001:5 (dort modifiziert nach FRANKE 1998:95).

Die Abbildung zeigt eine vereinfachte Darstellung der zentral-akustischen Bahnen vom

Spiralganglion bis zur Hörrinde. Aus Gründen einer besseren Übersichtlichkeit sind lediglich

afferente Verbindungen eingezeichnet.

74 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:179. 75 Vgl. KLINKE 1995:267.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 31

Die afferenten Fasern, die aus dem Ganglion spirale kommen, teilen sich in zwei Äste. Einer

zieht in den Nucleus cochlearis ventralis, der andere in den Nucleus cochlearis dorsalis.

Im ventralen Nucleus cochlearis gibt es mindestens vier verschiedene Zelltypen, im dorsalen

Nucleus cochlearis fünf, die miteinander in Verbindung stehen. Die Bahnen aus dem Nucleus

cochlearis ventralis ziehen zum Olivenkomplex der gleichen und der gegenüberliegenden

Seite. Die Nervenzellen des Olivenkomplexes erhalten also Informationen von beiden Ohren.

Damit besteht auf dieser Ebene erstmalig die Gelegenheit, akustische Informationen von

beiden Seiten neuronal miteinander zu vergleichen.

Die Bahnen aus dem dorsalen Nucleus cochlearis kreuzen auf die andere Seite und erreichen

dort den lateralen Schleifenkern (Nucleus lemnisci lateralis).

Die Fasern ziehen also vom Olivenkomplex teilweise ipsilateral und teilweise kontralateral

nach oben und erreichen zum Teil den Nucleus lemnisci lateralis, vorwiegend aber direkt den

Colliculus inferior. Die Zellen des Colliculus inferior projizieren in den Colliculus superior.

Fasern aus dem Nucleus lemnisci lateralis ziehen über den Colliculus inferior, das Corpus

geniculatum mediale in die primäre Hörrinde in die Heschl-Querwindung (Brodmann-Areal

41) des Temporallappens.

In der Nachbarschaft der primären Hörrinde befinden sich weitere Projektionsfelder des

auditorischen Systems, die als sekundäre und tertiäre Hörrinde bezeichnet werden.

Bis zur primären Hörrinde besteht die auditorische Bahn also aus mindestens fünf bzw. sechs

Neuronen, die teilweise gekreuzt, teilweise ungekreuzt nach oben ziehen. Die tonotope

Organisation bleibt über den gesamten Verlauf der Hörbahn erhalten.76

Efferente Bahnen, die den sensorischen Input steuern, ziehen von der kontralateralen Olive

gekreuzt vorwiegend zu den äußeren Haarzellen und in geringerem Ausmaß von der

ipsilateralen Olive ungekreuzt zu den afferenten Hörnervenfasern, die von den inneren

Haarzellen abgehen. Die Aufgabe der efferenten Bahnen der zentralen Hörbahn besteht in der

Anpassung des peripheren Hörsystems an die jeweilige Hörsituation in Form eines

Rückkopplungskreises.77

76 Vgl. KLINKE 1995:267f. 77 Vgl. BOENNINGHAUS & LENARZ 2000:32f.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 32

Vermutet wird auch, dass das efferente Hörsystem für die aufmerksamkeitsgebundene

Hemmung bestimmter Reizimpulse im auditiven Bereich verantwortlich sein könnte. Genaues

Hinhören, Lauschen und das „Ausblenden“ von Störschall könnten im efferenten System ihre

neurophysiologische Grundlage haben.78

Die Mechanismen Divergenz und laterale Hemmung spielen bei der Weiterleitung von

Informationen innerhalb des Hörsystems eine wichtige Rolle.

Divergenz bedeutet, dass Informationen von einem Neuron an mehrere Neurone höherer

Ebene weitergeleitet werden. Dies ermöglicht, auch schwache Reize von einzelnen

Rezeptoren weiterzugeben.

Laterale Hemmung bedeutet die Abschwächung einzelner Impulse aus der Peripherie der

Basilarmembran durch zwischengeschaltete Neurone, wodurch wesentliche Informationen

besser verarbeitet werden können.79

Cochleariskern (Nucleus cochlearis)

Der Nucleus cochlearis besteht aus (mindestens fünf) unterschiedlichen Zelltypen, die auf

akustische Reize unterschiedlich reagieren.80 Außerdem unterscheiden sich die Funktionen

des ventralen und dorsalen Kerns des Nucleus cochlearis.

Ein Zelltyp des ventralen Kerns („Büschelzellen“) liefert neuronale Antworten, die den

primären Afferenzen sehr ähnlich sind („primary like“). Damit ist es möglich, zeitliche

Information besonders präzise weiterzugeben. Andere Zellen („Sternzellen“) erhalten

Eingänge von vielen Afferenzen und integrieren damit Informationen aus einem größeren

Bereich.81

Im dorsalen Kern werden Information durch neuronale Netze mehrfach umkodiert. So werden

z.B. bestimmte Zellen durch manche Frequenzen aktiviert, durch Nachbarfrequenzen aber

gehemmt. Andere wieder lassen sich nur durch Töne erregen, die frequenzmoduliert sind etc.

Diese Interaktionen der unterschiedlichen Zelltypen ermöglichen erste Schritte zur

78 Vgl. HELLBRÜCK 1993:102. 79 Vgl. HANDWERKER 1998:211ff. 80 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:179. 81 Vgl. KLINKE 1995:268.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 33

Mustererkennung, da bestimmte Eigenschaften des Schallreizes (Anfang und Ende des

Reizes, Frequenzübergänge etc.) kodiert werden.82

Obere Olive (Olivia superior)

Wie bereits oben angeführt, ist der Olivenkomplex die erste Ebene, wo eine Verschaltung der

akustischen Information beider Seiten erfolgt. In mehreren, wiederum tonotop organisierten

Kerngebieten mit unterschiedlichen Zelltypen werden Informationen der ipsilateralen und

kontralateralen Seite empfangen und miteinander verglichen.83

Damit stellt die Obere Olive eine komplexe „Relay-Station“ innerhalb der auditorischen Bahn

dar, in der durch die Verrechnung der Informationen beider Seiten binaurale Leistungen des

Gehörs möglich werden. So beruht die Lokalisation von Schallquellen vorwiegend auf Zeit-

und Intensitätsunterschieden, die in der Oberen Olive ausgewertet werden.84

Lateraler Schleifenkern (Nucleus lemnisci lateralis)

Der Nucleus lemnisci lateralis erhält afferenten Input von beiden Seiten des Hirnstamms. Ein

großer Anteil der Neurone wird dabei nur durch kontralaterale Stimulation aktiviert. Der

laterale Schleifenkern ist vor allem an der Analyse zeitlicher Strukturen beteiligt.85

Hintere Vierhügel (Colliculus inferior)

Der Colliculus inferior besteht aus mehreren Schichten und Unterkernen. In diesen

unterschiedlichen Schichten werden jeweils bestimmte Frequenzbereiche verarbeitet.

Außerdem sind Zellen des Colliculus inferior wichtig für die Analyse von Zeitstrukturen des

Reizes. Diese Zellen sind dann optimal aktivierbar, wenn im Schallreiz bestimmte

Zeitintervalle vorkommen.86

82 Vgl. KLINKE 1995:269. 83 Vgl. EBENDA. 84 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:181. 85 Vgl. EBENDA:182. 86 Vgl. KLINKE 1995:269.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 34

Medialer Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale)

Die Neurone des Corpus geniculatum mediale projizieren in den primären und sekundären

auditorischen Cortex.

Die Funktionen der Zellen des Corpus geniculatum mediale sind sehr unterschiedlich.

Aufgrund großer Speziesunterschiede können Ergebnisse, die vorwiegend in Tierversuchen

gewonnen wurden, nur bedingt auf den Menschen übertragen werden. Es gibt Zellen, deren

Aktivierung sehr frequenzspezifisch ist. Andere wieder antworten auf breite Frequenzbänder

oder nur auf komplexe Schallmuster.87 Auch Richtung und Geschwindigkeit der

Frequenzänderung bei frequenzmodulierten Reizen können ausgewertet werden. Dies könnte

für die Erkennung von natürlichen Reizen von Bedeutung sein.88

Es bestehen Verbindungen des Corpus geniculatum mediale zur Formatio reticularis, wo eine

Auswahl der Reize getroffen wird, die überhaupt in das Bewusstsein gelangen sollen. Daher

sind Untersuchungen dieser Ebenen auch vom Bewusstseinszustand abhängig.

Hirnrinde (Cortex)

Jeder auditorische Cortex wird von Fasern aus beiden Corti-Organen versorgt, wobei die

kontralateralen Verbindungen dominieren. Die kortikalen Hörsphären beider Seiten sind

wiederum über Balkenfasern miteinander verbunden.89

Aussagen über die Wirkungsweise des auditorischen Cortex sind schwierig, da seine Funktion

von Faktoren wie Aufmerksamkeit oder Bewusstseinszustand abhängig ist. Obwohl die

Tonotopie auch im Cortex repräsentiert bleibt, reagieren kortikale Neurone kaum auf reine

Töne. Sie lassen sich leichter durch veränderliche Reize mit variierenden Frequenzen und

Intensitäten erregen. Solche Frequenz- bzw. Amplitudenmodulationen sind typisch für

biologisch bedeutsame Signale (wie z.B. Sprache). Die hochspezifizierten Reaktionen der

kortikalen Neurone sorgen für eine fortgeschrittene Mustererkennung des akustischen Reizes.

87 Vgl. KLINKE 1995:269. 88 Vgl. KEIDEL & KALLERT 1979:8.92. 89 Vgl. BOENNINGHAUS & LENARZ 2000:32.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 35

Zur Sprachanalyse sind aber, zusätzlich zur primären und sekundären Hörrinde, noch andere

kortikale Felder notwendig.90

Die meisten physiologischen Erkenntnisse über die zentrale Hörbahnen stammen von

Untersuchungen an Tieren. Daher sind Ergebnisse nur mit Vorsicht auf den Menschen

übertragbar.

3.3. Schallanalyse in der zentralen Hörbahn

Die Verarbeitung akustischer Signale wird immer komplexer, je zentraler sie stattfindet.

Schon ab dem Nucleus cochlearis finden erste Schritte der Mustererkennung statt. Dabei

reagieren bestimmte Neuronentypen auf bestimmte Merkmale des Signals wie Frequenz oder

Intensität. Komplexe Schallreize können letztlich erst im auditorischen Cortex analysiert

werden. Die akustischen Signale werden dazu über die zentrale Hörbahn zu subkortikalen

Zentren im Mittel- und Zwischenhirn und von dort in die kortikalen Hörzentren im

Temporallappen weitergeleitet. Die Verarbeitung komplexer akustischer Signale erfolgt an

höchster Ebene, der Hörrinde. Weniger komplexe Reize können jedoch bereits auf den

vorgeschalteten Ebenen verarbeitet werden.91

3.3.1. Intensitätskodierung

Bei Zunahme der Intensität eines Schallreizes kommt es üblicherweise auch zu einer

Zunahme der Aktionspotentiale in den Neuronen des Hirnstamms (Ausnahmen s. unten).

Der Abstand zwischen Schwelle und Sättigung der Neurone ist wesentlich kleiner als der

Bereich des menschlichen Hörens. Daher ist eine Kodierung von hohen Intensitätszunahmen

durch einzelne Neurone nicht möglich. Hier muss eine Interaktion von vielen Neuronen

erfolgen. Interaktionen solcherart sind aber noch schlecht erforscht, da sich die meisten

Untersuchungen der Intensitätskodierung auf Einzelneurone beschränken.92

90 Vgl. KLINKE 1995:269; KEIDEL & KALLERT 1979:8.97. 91 Vgl. KLINKE 1995:268f. 92 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 36

Je nachdem, wie die Neurone von verschiedenen Hirnstammkernen auf die Intensität eines

akustischen Stimulus reagieren, können 3 Neuronentypen unterschieden werden:93

• Die Neuronenaktivität steigt proportional mit der Zunahme der Intensität des

Reizes an (monotone Intensitätsfunktion).

• Die Neuronenaktivität steigt bei geringen Intensitäten proportional an. Bei weiterer

Zunahme der Intensität bleibt die Aktivität gleich (monotone Intensitätsfunktion

für geringe Pegel).

• Die Neuronenaktivität erreicht entweder schon bei geringen Intensitäten ein

Plateau oder nimmt bei Zunahme der Intensität sogar ab (nicht-monotone

Intensitätsfunktion).

Diese Neuronentypen verteilen sich über den gesamte Hirnstamm, wobei in den

verschiedenen Kerngebieten unterschiedliche Häufungen der einzelnen Typen vorkommen.94

Im auditorischen Cortex konnten Neurone mit monotoner und nicht-monotoner

Intensitätsfunktion identifiziert werden. Außerdem scheinen manche kortikale Neurone

empfindlicher auf akustische Signale zu reagieren, wenn gleichzeitig ein Breitbandrauschen

angeboten wird. Dieses Phänomen könnte ein Weg sein, das auditorische System im Hinblick

auf das Verhältnis zwischen Signal und Störung zu unterstützen und damit ein besseres Hören

im Störschall zu ermöglichen.95

93 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 94 Vgl. EBENDA. 95 Vgl. EBENDA:189.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 37

3.3.2. Zeitkodierung

Schallreize, die in unserer Umwelt Bedeutung für uns haben, zeichnen sich meist dadurch aus,

dass sie schnelle zeitliche Veränderungen aufweisen. Wir sind z.B. in der Lage,

Veränderungen im Sprachschall von weniger als 10 ms zu verarbeiten. Bei der Bewertung der

Laufzeitdifferenz zwischen beiden Ohren kann das Ohr sogar noch wesentlich geringere

Differenzen analysieren.96

„CANS [central auditory nervous systems] is an elegant time-keeper”.97 So zeigen Neurone

des Hirnstamms unterschiedliche Latenzzeiten, die vom Typ des Neurons oder auch von der

Art des Stimulus abhängen. Es gibt Neurone, die sofort auf den Stimulus reagieren, andere

werden erst nach einer gewissen Zeit aktiviert und wieder andere reagieren auf das Ende des

Stimulus. Besonders in niederen Abschnitten der Hörbahn zeigen Neurone Zusammenhänge

mit der Phase des Reizes, wodurch die Kodierung von Zeitmustern möglich wird.98

Wie im Hirnstamm reagieren auch kortikale Neurone unterschiedlich auf das Einsetzen, die

Dauer oder das Ende eines akustischen Stimulus. Viele Neurone reagieren empfindlich auf

interaurale Phasen- und Intensitätsdifferenzen. Diese Analyse von Zeitmustern im

auditorischen Cortex spielt auch ein Rolle für die Fähigkeit zur Schalllokalisation.99

96 Vgl. HELLBRÜCK 1993:123. 97 MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 98 Vgl. EBENDA. 99 Vgl. EBENDA:190.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 38

3.3.3. Frequenzkodierung

Bei der Wahrnehmung komplexer akustischer Reize ist das Gehör in der Lage, den Reiz in

seine Frequenzanteile zu analysieren.100

Hinsichtlich der Frequenzkodierung sind im Wesentlichen folgende Aspekte von Interesse:101

• Tonotopie:

Das zentral-auditorische System ist tonotop organisiert. Bestimmte Neurone werden durch

bestimmte Frequenzen optimal aktiviert. Diese Organisation zieht sich bis zum

auditorischen Cortex.

• Frequenzunterscheidung:

Damit ist die Empfindlichkeit von Neuronen auf unterschiedliche Frequenzen gemeint.

Welchen Abstand müssen also die Frequenzen zweier Töne haben, um als unterschiedlich

hoch wahrgenommen zu werden. Bei 1000 Hz z.B. beträgt dieser Unterschied nur 3 Hz.102

3.3.4. Lokalisation und Raumorientierung

Für die Lokalisation und Raumorientierung stellt binaurales Hören eine wichtige

Voraussetzung dar, da die Lokalisation von Schallquellen vorwiegend von interauralen

Differenzen hinsichtlich Zeit und Intensität abhängig ist.103

Die physikalische Grundlage dafür ergibt sich aus dem Umstand, dass meist ein Ohr näher bei

einer Schallquelle ist als das andere. Die dadurch entstehenden Zeit- und

Intensitätsunterschiede werden verarbeitet, wobei es dem auditorischen System möglich ist,

Intensitätsunterschiede von nur 1 Dezibel auszuwerten.104

Die Ausgänge der Neurone der oberen Olive ziehen zum Colliculus inferior, dessen zentraler

Kern wieder Neurone enthält, die von beiden Ohren beeinflusst werden können. Hier erfolgt

u.a. eine Kodierung der Richtungen von Schallquellen, da bestimmte Zelltypen auf einzelne

Zeit- oder Intensitätsdifferenzen mit optimaler Aktivität reagieren. 100 Vgl. HELLBRÜCK 1993:116. 101 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 102 Vgl. SILBERNAGL & DESPOPOULOS 1983:322. 103 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:181. 104 Vgl. KLINKE 1995:270.

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Hörnerv und zentrale Hörbahn 39

Im Colliculus superior, wird eine Art „Karte des Hörraums“ aufgebaut, die im Laufe der

Entwicklung mit der dort ebenfalls etablierten „Karte des Sehraumes“ zur Deckung gebracht

wird. Schließlich gibt es auch im auditorischen Cortex Zellen, die nur dann mit optimaler

Aktivität reagieren, wenn sich die Schallquelle an einem bestimmten Ort befindet.105

Für die Lokalisation von Schallquellen ist neben den zentralen Prozessen auch die

Richtcharakteristik der Ohrmuschel von Bedeutung. Durch Abschwächung und Verstärkung

bestimmter Frequenzkomponenten werden akustische Signale “verzerrt“. Diese Verzerrung

kann wiederum vom zentral-auditiven System ausgewertet und interpretiert werden.106

3.3.5. Hören im Störlärm

Neben der Schallquellenlokalisation und der Raumorientierung sind binaurales Hören und

damit interaurale Zeit- und Intensitätsdifferenzen auch für das Hören im Störlärm von

Bedeutung. Das Zentralnervensystem nutzt diese Differenzen, um den Hintergrundlärm zu

unterdrücken und das Signal hervorzuheben, wodurch die Hörbarkeit eines Signals bis zu

15dB verbessert werden kann. Grundlagen für diese Funktion werden im Colliculus inferior

gelegt.107

3.4. Zusammenfassung

Unser Hörorgan ist ein System aus höchst komplexen und effizient interagierenden Strukturen

und Prozessen. Dabei findet ein hohes Maß an differenzierter Analyse und Verarbeitung

unterschiedlicher akustischer Reize und ihrer Parameter keinesfalls erst in kortikalen Feldern,

sondern bereits auf wesentlich tiefer gelegenen Abschnitten der Hörbahn bzw. schon in der

Cochlea statt. Aufsteigende und absteigende Bahnen bilden ein Netzwerk aus Fasern und

Kernen, in denen die einzelnen Reizparameter analysiert, kodiert und verrechnet werden. Dies

ermöglicht es, uns in unserer akustischen Umwelt auf sehr effektive Weise zurechtzufinden

und auch akustisch sehr „anspruchsvolle“ Signale wie Sprache adäquat zu verarbeiten.

105 Vgl. KLINKE 1995:270. 106 Vgl. EBENDA. 107 Vgl. EBENDA.

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Auditive Wahrnehmung 40

4. Modelle der zentral-auditiven Wahrnehmung

Für die zentral-auditive Verarbeitung und Wahrnehmung verbaler und nonverbaler

akustischer Reize wurden im deutschsprachigen Raum unterschiedliche Modelle entworfen.

Dabei wird die auditive Verarbeitung auf zentraler Ebene in verschiedene Komponenten bzw.

Leistungen unterteilt. Modelle der zentral-auditiven Verarbeitung sollen eine Vorstellung

davon geben, wie diese einzelnen Komponenten miteinander in Verbindung stehen.

Modell von Esser et al.

Abb. 9: Modell der auditiven Wahrnehmung

Entnommen aus: ESSER ET AL. 1987:10.

Das Modell von Esser et al.108 zeigt den Verlauf der auditiven Wahrnehmung von der

Schallaufnahme durch den peripheren Anteil des Hörorgans über die Verarbeitung in der

zentralen Hörbahn bis zur auditiven Wahrnehmung im engeren Sinn, die erst am Ende der

Hörbahn, also im Cortex stattfindet. Auf dieser höchsten Ebene werden acht Teilfunktionen

unterschieden: Aufnahme, Speicherung, Selektion, Differenzierung, Analyse, Synthese,

Ergänzung und Integration.

Es wird in diesem Modell allerdings keine hierarchische Gliederung der Teilfunktionen

dargestellt. So finden sich z.B. die Faktoren Aufnahme und Integration auf derselben Ebene. 108 Vgl. ESSER ET AL. 1987:10.

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Auditive Wahrnehmung 41

1997 erfolgte eine geringfügige Modifizierung des Modells, in der die Teilfunktion

Differenzierung in unterschiedliche Anteile unterteilt wurde (phonematische Differenzierung,

melodische Differenzierung, rhythmische Differenzierung).109

Modell von Günther & Günther

Günther & Günther110 beschreiben die auditive Wahrnehmung als „Funktionelles System“, in

dem die einzelnen Teilfunktionen als Knoten eines Netzwerks dargestellt sind. Auditive

Wahrnehmung ist ein gesteuertes Zusammenwirken dieser Teilfunktionen, welches nach der

peripheren akustischen Reizaufnahme erfolgt.111

Abb. 10: Funktionelles System der auditiven Wahrnehmung

Entnommen aus: GÜNTHER & GÜNTHER 1991:13.

Die einzelnen Funktionen der auditiven Wahrnehmung ähneln denen, die im Modell von

Esser et al. verwendet werden, es wird jedoch zwischen einer nonverbalen Stufe (1. Info-

Stufe) und einer verbosensorischen Stufe (2. Info-Stufe) unterschieden.

109 Vgl. WURM-DINSE & ESSER 1997:31. 110 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1991:13 & GÜNTHER & GÜNTHER 1992:8. 111 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1992:7.

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Auditive Wahrnehmung 42

Modell von Lauer

Lauer112 kombiniert die genannten Modelle mit einer allgemeinen Vorstellung der

Wahrnehmung113, in der Verarbeitungsprozesse von „top-down“ und „bottom-up“

berücksichtigt werden. Das dadurch entstandene neue Modell der zentral-auditiven

Wahrnehmung ordnet die einzelnen auditiven Funktionen unterschiedlichen

Verarbeitungsebenen zu.

Abb. 11: Modell der zentral-auditiven Verarbeitung (ZAV)

Entnommen aus: LAUER 2001:14.

Nach akustischer Stimulation kommt es zur Empfindung, Wahrnehmung und Klassifikation

des Reizes und schließlich zu weiteren mentalen Prozessen. Diese „aufsteigende“

Weiterleitung und Verarbeitung der Information (bottom-up) wird ständig von den Faktoren

Aufmerksamkeit und Arbeitsspeicher beeinflusst.

112 Vgl. LAUER 2001:13ff. 113 Vgl. ZIMBARDO 1995:159ff.

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Auditive Wahrnehmung 43

Zunächst werden auf der Ebene der Empfindung physikalische Eigenschaften des Reizes in

neurale Aktivität umgewandelt, um dann auf der Ebene der Wahrnehmung weiterverarbeitet

zu werden. Die Funktionen Lokalisation, Diskrimination und Selektion sind dieser Ebene

zugeordnet. Erst auf der Ebene Klassifikation wird dem Reiz durch Analyse, Synthese und

Ergänzung eine Bedeutung gegeben. Hier erfolgt die Mustererkennung, die Einordnung des

Gehörten in Bekanntes und Vertrautes.114

Neben dieser „aufsteigenden“ Verarbeitung erfolgt parallel eine Beeinflussung der

Wahrnehmung durch höhere mentale Funktionen wie Motivation, Wissen und Erwartungen

von oben nach unten (top-down).

Die einzelnen Verarbeitungsprozesse sind zwar hierarchisch und seriell dargestellt, die

Autorin betont jedoch, dass es sich tatsächlich um eine parallele Verarbeitung und um

verschwimmende Grenzen zwischen den einzelnen Verarbeitungsstufen handelt.115

Netzwerkmodell der auditiven Verarbeitung

Chermak & Musiek116 unterstreichen die komplexe, vielschichtige und interaktive Natur der

zentral-auditiven Wahrnehmung. Sie favorisieren ein Netzwerkmodell, das eine „verteilte“

Informationsverarbeitung beinhaltet und herkömmliche Bahnenmodelle ersetzt. Seriell,

parallel und verteilt ablaufende Wahrnehmungsprozesse erfolgen dabei nicht in bestimmten,

zugeschriebenen Hirnarealen, sondern sind über zahlreiche zentrale Regionen verteilt. Auch

verlaufen die Wahrnehmungsprozesse weder ausschließlich top-down noch ausschließlich

bottom-up. Der relative Anteil der unterschiedlichen Informationsverarbeitungsrichtungen

wird von den Anforderungen der Hör-Situation bestimmt. So bekommen Top-down-Prozesse

dann mehr Bedeutung, wenn der akustische Stimulus nicht „eindeutig“ ist (z.B. in

geräuschvoller Umgebung).

114 Vgl. LAUER 2001:13f. 115 Vgl. EBENDA:15. 116 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:4f.

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Auditive Wahrnehmung 44

5. Teilfunktionen der auditiven Wahrnehmung

In der Literatur werden zahlreiche unterschiedliche Einteilungen auditiver Funktionen und

Teilleistungen gemacht.

Ausgehend von der Einteilung, die die American Speech-Language-Hearing Association

(ASHA)117 vorschlägt, werde ich hier auch andere mögliche Gliederungen berücksichtigen.

Insbesondere sollen diejenigen Faktoren Berücksichtigung finden, die auch bedeutend für die

Verarbeitung von Sprachsignalen sind.

5.1. Lokalisation und Seitenzuordnung

(Sound localization and lateralization)

Unser Gehör vermag erstaunlich geringe interaurale Zeit- und Intensitätsdifferenzen zu

verrechnen, was uns ermöglicht, Schallquellen im Raum in horizontaler und vertikaler

Richtung sehr exakt zu orten (Richtungshören).118 Auch Veränderungen der Klangfarbe des

Schallereignisses unterstützen die Lokalisationsleistung.119 Diese Fähigkeit wird durch unser

binaurales Hören wesentlich erleichtert.

Auditive Leistungen wie Lokalisation oder Richtungshören ermöglichen uns u.a., dass wir uns

auch in schwierigen akustischen Situationen (Störlärm, viele Sprecher/innen etc.) dem für uns

wichtigen Signal (z.B. dem/der Gesprächspartner/in) zuwenden können.

5.2. Diskrimination

(Auditory discrimination)

Lautdiskrimination bzw. Differenzierung ist die Fähigkeit, ähnlich klingende akustische Reize

zu unterscheiden (Wahrnehmungstrennschärfe, Lautunterscheidung).120

Diese Unterscheidungsfähigkeit bezieht sich auf auditive Stimuli unterschiedlicher Ebenen.

117 Vgl. ASHA 1996:41. 118 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:36. 119 Vgl. EBENDA:97. 120 Vgl. EBENDA:42.

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Auditive Wahrnehmung 45

Auf parasprachlicher Ebene sind akustische Reize aufgrund von Dauer, Intensität und

Frequenz unterscheidbar. Bei sprachlichen Reizen kann eine suprasegmentale und eine

segmentale Ebene unterschieden werden. Für die Diskrimination auf suprasegmentaler Ebene

sind Dauer, Akzent und Intonation des Reizes von Bedeutung, auf segmentaler Ebene

bestimmen die phonetischen Merkmale der Laute die Differenzierung. Je geringer die

Unterschiede in diesen Merkmalen sind, desto schwieriger ist die Diskriminationsleistung.121

Hinzu kommt, dass diese distinktiven Merkmale z.B. in Silben häufig nur sehr kurze Zeit

hörbar sind. So bestehen zwischen den Silben /ba/ und /pa/ Unterschiede nur in den ersten 40

ms. Die exakte Diskrimination des stimmhaften oder stimmlosen Plosivs hängt also davon ab,

ob unser auditives System in der Lage ist, diese Unterschiede zu analysieren.122

5.3. Lautmustererkennung

(Auditory pattern recognition)

Darunter ist einerseits das Erkennen von bestimmten, aufeinanderfolgenden Ton- und

Zeiteinheiten (Rhythmus) gemeint und andererseits die Fähigkeit, akustische Reize

hinsichtlich ihrer Frequenz zu unterscheiden (Tonhöhenunterscheidung).123

Besonders der Erkennung und Erinnerung von Rhythmen kommt in Hinblick auf die

Sprachentwicklung eine große Bedeutung zu. Die Speicherung von prosodischen und

rhythmischen Elementen der Sprache ist eine Voraussetzung für die Ableitung

grammatikalischer Regelhaftigkeiten sowie für Wortbildung und Worterkennung.124

Sprachentwicklungsgestörte Kinder scheinen rhythmische Hinweisreize nicht adäquat für das

Erkennen von Strukturen nutzen zu können, was sich in einer längeren Verarbeitungsdauer

und einem schlechteren Arbeitsgedächtnis niederschlägt.125

121 Vgl. LAUER 2001:17. 122 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:43. 123 Vgl. EBENDA:37. 124 Vgl. PENNER 2002:124 ff. 125 Vgl. GRIMM 1994:29.

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Auditive Wahrnehmung 46

5.4. Lautheitsempfinden

(Intensity)

Unter Lautheitsempfinden versteht man die Fähigkeit, akustische Reize unterschiedlicher

Intensität zu unterscheiden.

Ein weiterer Faktor des Lautheitsempfindens ist die sog. Unbehaglichkeitsschwelle, also der

Pegel, ab dem ein akustischer Reiz als unangenehm empfunden wird. 126

Das Gehör ist normalerweise in der Lage, seine Empfindlichkeit an die aktuelle Situation

anzupassen. Dies ermöglicht es, akustische Reize mit unterschiedlichen Pegeln in qualitativ

gleicher Weise wahrzunehmen. Gleichzeitig werden störende Schallereignisse im

Bewusstsein zurückgedrängt, so dass eine „effektivere“ Aufnahme des akustischen Signals

erreicht wird.127 Diese Anpassung an die jeweilige akustische Situation ist auch für die

Verarbeitung von Sprache in akustisch erschwerten Situationen von Bedeutung.

5.5. Zeitliche Verarbeitung

(Temporal aspects of audition)

Die Wichtigkeit der Zeitkodierung für auditive Leistungen wie Lokalisation oder

Richtungshören wurde schon erwähnt. Viele andere auditive Leistungen enthalten bzw.

benötigen eine differenzierte zeitliche Verarbeitung.

Zeitauflösungsvermögen

(Temporal resolution)

Das zeitliche Auflösungsvermögen bezeichnet die Fähigkeit, akustische Signale mit sehr

kurzer Dauer zu verarbeiten. Die in sprachlichen Reizen enthaltenen zeitlichen

Veränderungen betragen oft nur 10 ms oder weniger. Das Gehör ist jedoch in der Lage, auch

noch wesentlich kürzere Reizänderungen zu verarbeiten.128

126 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:37. 127 Vgl. EBENDA:98. 128 Vgl. HELLBRÜCK 1993:123.

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Auditive Wahrnehmung 47

Verdeckung

(Temporal masking)

Mehrere gleichzeitig auftretende akustische Reize beeinflussen sich gegenseitig. Dabei

kommt es zum Phänomen der Verdeckung oder Maskierung. Prinzipiell können drei Formen

von Verdeckung unterschieden werden:129

• Gleichzeitige Verdeckung: Signal und Störung treten gleichzeitig auf.

• Vorverdeckung: Signal tritt vor der Störung auf.

• Nachverdeckung: Signal tritt nach der Störung auf.

Das Phänomen der Verdeckung betrifft uns vor allem, wenn wir veranlasst sind, aus einem

Störgeräusch ein akustisches Signal herauszuhören. Für die Sprachperzeption sind dies

Situationen, in denen z.B. viele Sprecherinnen und Sprecher durcheinander reden oder in

denen man eine/n Gesprächspartner/in in geräuschvoller Umgebung verstehen will.

Zeitliche Integration

(Temporal integration)

Treffen akustische Reize auf beide Ohren, muss das Hörsystem in der Lage sein, diese u.U.

unterschiedlichen Signale zu einem Höreindruck zu verarbeiten. Bei zeitlichen Differenzen

der Informationsverarbeitung zwischen links und rechts, können möglicherweise die beiden

Fragmente nicht exakt zeitgleich verbunden und zu einem Ganzen zusammengefügt

werden.130

Zeitliche Ordnung

(Temporal odering)

Die Seitenordnung ist die Fähigkeit, zu erkennen, ob ein akustischer Reiz zuerst dem rechten

oder dem linken Ohr dargeboten wurde. Auch hier spielen zeitliche Prozesse eine wesentliche

Rolle. Treffen akustische Reize zeitversetzt auf unsere beiden Ohren, so hören wir die Reize

zwar hintereinander, können aber erst bei einem zeitlichen Abstand zwischen beiden Reizen

von ca. 15 bis 60 ms sagen, auf welchem Ohr der Reiz zuerst zu hören war. Diejenige

129 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:53ff, 130 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:21f.

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Auditive Wahrnehmung 48

Zeitdauer, die man braucht, um zwei gleiche, hintereinander dargebotenen akustische Reize

als getrennt zu erkennen und in eine zeitliche Folge zu bringen, nennt man

Ordnungsschwelle.131

Lückenerkennung

(Gap detection)

Unter Lückenerkennung ist die Fähigkeit gemeint, kurze Pausen in der Abfolge von

akustischen Signalen zu identifizieren. Diese Pausenerkennung ist wichtig, um Sprachsignale

korrekt zu erfassen und zu interpretieren. So kommt es z.B. beim Übergang von Plosiv zu

Vokal zu kurzen Pausen vor dem Stimmeinsatz (voice onset time). Die unterschiedliche Länge

dieser Pausen ermöglicht es uns, den betreffenden Plosiv richtig zu verstehen.132

5.6. Unterscheidung konkurrierender Signale

(Auditory performance decrements with competing acoustic signals)

Oft sind wir beim Hören dazu veranlasst, für uns im Augenblick wichtige akustische Signale

von unwichtigen zu trennen. Diese Nutzschall-Störschall-Filterfähigkeit ist auch eine

wesentliche Voraussetzung für das Verstehen von Sprache im Störlärm. Dabei kann der

Störlärm z.B. durch andere Sprecherinnen oder Sprecher verursacht werden oder auch durch

diverse Umweltgeräusche. Unterhalten wir uns mit einer durchschnittlichen Sprachlautstärke

von 60 – 70 dB, so können wir unsere Gesprächspartner/innen auch dann noch verstehen,

wenn der Umgebungslärm nur 5 dB leiser ist.133

Für das Heraushören eines Signals aus einer Störung sind aber nicht nur Pegelunterschiede,

sondern auch der Frequenzabstand und die zeitliche Abfolge der unterschiedlichen Reize von

Bedeutung.134

131 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:39. 132 Vgl. EBENDA:44f. 133 Vgl. EBENDA:113f. 134 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:53.

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Auditive Wahrnehmung 49

5.7. Erkennen unvollständiger, veränderter oder abgeschwächter

Signale

(Auditory performance decrements with degraded acoustic signals)

In vielen natürlichen Hörsituationen sind die akustischen Signale, die an unsere Ohren

dringen, nicht klar und störungsfrei, sondern werden durch äußere Bedingungen verändert

oder abgeschwächt. Dieser Umstand fordert von unserem Hörsystem komplexe analytische,

synthetische und ergänzende Leistungen.

Analyse

Besonders für sprachliche Aufgaben ist die Fähigkeit, komplexe akustische Signale zu

analysieren und einzelne Elemente „herauszuhören“ von großer Bedeutung. Erst wenn es dem

Kind gelingt, sprachliche Lautmuster zu zerlegen, ist z. B. ein Schriftspracherwerb

möglich.135 Auch im Rahmen einer logopädischen Artikulationstherapie müssen die

betroffenen Kinder zunächst lernen, an sich und anderen bestimmte Phoneme zu

identifizieren, bevor sie diese selbst in expressive Sprache umsetzen können.136

Synthese

Neben analytischen Fähigkeiten ist die auditive Synthese Voraussetzung für das Erlernen

schriftsprachlicher Leistungen. Dabei wird unter Synthese die Fähigkeit verstanden, aus

einzelnen akustischen Elementen eine komplexe Gestalt zu bilden. Für sprachliche Reize

bedeutet dies, aus einzelnen Phonemen Silben, aus Silben Wörter, aus Wörtern Sätze zu

bilden.137

Ergänzung

Unvollständige, lückenhafte und veränderte akustische Signale müssen von unserem Gehirn

ergänzt und vervollständigt werden, um korrekt wahrgenommen zu werden.

135 Vgl. TROSSBACH-NEUNER 1991:18. 136 Vgl. LAUER 2001:18. 137 Vgl. EBENDA.

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Auditive Wahrnehmung 50

Auch diese Fähigkeit des auditorischen Systems ist sehr komplex und ermöglicht uns, die

vielen akustischen Reize, die unser Gehör in einer unvollkommenen Form erreichen, dennoch

richtig zu interpretieren.138

5.8. Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit kann nicht an einer bestimmten Stelle des Zentralnervensystems lokalisiert

werden. Bei Aufmerksamkeitsleistungen werden immer mehrere Teile des Cortex aktiviert. In

der zentralen Hörbahn bzw. im auditorischen Cortex scheint bei erhöhter Aufmerksamkeit

besonders der sekundäre Hörcortex aktiv zu sein.139

Aufmerksamkeit ist auch keineswegs ein einheitlicher Prozess. Medwetsky140 unterscheidet

unterschiedliche Arten von Aufmerksamkeit:

• Preparatory attention: der/die Zuhörer/in entscheidet, auf welche Stimuli die

Aufmerksamkeit gelenkt wird;

• Rehearsal: die Fähigkeit durch Wiederholung und Elaboration einer Information

die Speicherdauer im Kurzzeitgedächtnis zu erhöhen;

• Focused attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf ein Signal in Ruhe oder

im Störgeräusch zu lenken;

• Selective attention: die Fähigkeit, bei mehreren gleichzeitigen Stimuli die

Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Stimulus zu lenken;

• Devided attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf mehrere Stimuli

gleichzeitig zu lenken;

• Sustained attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit über einen längeren

Zeitraum aufrecht zu erhalten;

• Vigilance: die „innere Bereitschaft“ auf ein bestimmtes Signal zu reagieren (wie

z.B. die Mutter eines Neugeborenen, die während des Schlafes alle akustischen

Störungen ignorieren kann, aber sofort wach wird, wenn das Baby weint).

138 Vgl. LAUER 2001:18. 139 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:165. 140 Vgl. MEDWETSKY 2001:501.

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Auditive Wahrnehmung 51

Der Faktor Aufmerksamkeit ist im engeren Sinne eigentlich keine auditive Teilleistung,

sondern die Fähigkeit, sich auf auditive Stimuli einzustellen und diese bewusst

wahrzunehmen. Damit stellt diese Komponente die Voraussetzung für viele auditive

Funktionen dar, da ohne Aufmerksamkeit keine komplexere Verarbeitung möglich ist.141

Bei Auffälligkeiten der auditiven Wahrnehmungsfunktionen können Defizite in allgemeinen

Aufmerksamkeitsleistungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Manche auditive Funktionen

scheinen bei Kindern mit Störungen der allgemeinen Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeits-

Defizit-Syndrom, ADS) auffällig zu sein. Dazu zählen im Besonderen das

Lautheitsempfinden (im Sinne einer Hyperakusis), das dichotische Hören und die Störschall-

Nutzschall-Filterfähigkeit.142 Andererseits können auch die Schwierigkeiten des Kindes, den

Sprachfluss adäquat zu erfassen und zu gliedern, zu Aufmerksamkeitsdefiziten führen, da

Aufmerksamkeitsleistungen in hohem Maße von prosodischen Merkmalen der Sprache

abhängen.143

141 Vgl. LAUER 2001:15f. 142 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:166ff. 143 Vgl. RITTERFELD 2003:7.

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Auditive Wahrnehmung 52

5.9. Auditives Gedächtnis

Um die Bedeutung und Leistungen der auditiven Gedächtnisfunktion zu erfassen, ist es

zunächst notwendig, sich mit der Gedächtnisentwicklung im Allgemeinen etwas näher zu

befassen.

„Dem menschlichen Gedächtnis wird allgemein die Aufgabe zugeschrieben, Informationen

aufzunehmen, sie kurz,- mittel- und langfristig zu speichern und bei Bedarf wieder zur

Verfügung zu stellen.“144

Dabei wird der größte Anteil der genannten Informationen über die verschiedenen

Sinneskanäle aus der Umwelt aufgenommen. Gedächtnisprozesse werden als Teilprozesse der

Informationsverarbeitung angesehen, die wiederum eng mit Prozessen der Wahrnehmung, des

Denkens oder des Problemlösens in Verbindung stehen.145

Büttner146 nennt folgende Grundannahmen für die Informationsverarbeitung:

• Information wird in mehreren mentalen Schritten verarbeitet, die nacheinander

durchlaufen werden.

• Jeder Verarbeitungsschritt benötigt psychische Ressourcen.

• Einzelne Verarbeitungsschritte können unterschiedlich ressourcenintensiv sein.

Prozesse, die bewusst und kontrolliert ablaufen, benötigen mehr Ressourcen als

automatisierte Prozesse.

• Die Automatisierung von bewussten Verarbeitungsschritten (z.B. durch Üben)

kann die begrenzte Kapazität der menschlichen Verarbeitungsfähigkeit zum Teil

kompensieren.

• Verarbeitete Information kann langfristig als Wissen gespeichert werden. Im

Wissensspeicher kann zwischen deklarativem Faktenwissen („Wie heißt die

144 BÜTTNER 2003:24. 145 Vgl. EBENDA. 146 Vgl. EBENDA:25.

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Auditive Wahrnehmung 53

Hauptstadt von Italien?“) und prozeduralem Fertigkeitswissen („Wie bediene ich

die Maus am Computer?“) unterschieden werden.

• Ein Teil des deklarativen bzw. prozeduralen Wissens bezieht sich auf kognitive

Prozesse (Lernen, Gedächtnis, Denken, Wahrnehmen) und deren Bedingungen.

Dieses Wissen wird als Metakognition bezeichnet.

Abb. 12: Mehrspeichermodell des Gedächtnisses

Entnommen aus: BÜTTNER 2003:26.

Im Mehrspeichermodell des Gedächtnisses nach Atkinson und Shiffrin147 werden drei

Speicher unterschieden:

• Sensorisches Register (Ultrakurzzeitregister)

• Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis

• Langzeitgedächtnis

Diese Speicher sind durch ihre unterschiedliche Kapazität und Speicherdauer charakterisiert.

Das sensorische Register hat eine große Speicherkapazität aber nur eine sehr geringe

Speicherdauer. Es dient zur kurzfristigen Aufnahme der Information aus den Sinneskanälen.

Diese Information wird so lange behalten, bis ihr durch einen Vergleich mit

147 Vgl. ATKINSON & SHIFFRIN 1968.

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Auditive Wahrnehmung 54

Wissenselementen aus dem Langzeitgedächtnis vertraute Muster zugeordnet werden können

und die spezifische Information damit eine Bedeutung bekommt.148

Im Kurzzeitgedächtnis – oder besser Arbeitsgedächtnis – finden alle mentalen Aktivitäten

statt. Es kann eine passive und aktive Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses

unterschieden werden. Die passive Speicherkapazität umfasst die Anzahl der

Informationseinheiten, die aufgenommen und behalten werden kann, ohne dass weitere

Verarbeitungsprozesse stattfinden (z.B. Wiedergabe von Wörtern in der genannten

Reihenfolge). Die aktive Speicherkapazität bezieht sich auf die Anzahl der Items, die

aufgenommen und in spezifischer Weise weiterverarbeitet werden können (z.B. Wiedergabe

von Wörtern in umgekehrter Reihenfolge). Aktive und passive Speicherkapazität des

Arbeitsgedächtnisses sind altersabhängig. Bei Kindern im Grundschulalter beträgt die passive

Speicherkapazität drei bis vier Einheiten und steigt bis in das Erwachsenenalter auf ungefähr

sechs bis sieben Einheiten an. Diese Zunahme ist einerseits durch strukturelle

Reifungsprozesse zu erklären, andererseits führt eine verbesserte Effizienz in der

Informationsverarbeitung zu einer Zunahme der Gedächtniskapazität.149

Die passive Speicherdauer ist auf ca. 30 Sekunden begrenzt, kann aber durch das sog.

„erhaltende Wiederholen“ (Rehearsal) aktiv verlängert werden (z.B. durch leises Vorsagen

einer Telefonnummer).150

Kapazität und Speicherdauer des Langzeitgedächtnisses sind potentiell unbegrenzt. Hier ist

alles Wissen einer Person gespeichert, wobei man zwischen unterschiedlichen

Wissensinhalten unterscheiden kann. Einerseits speichert das Langzeitgedächtnis Wissen über

Fakten und Sachverhalte (deklaratives Wissen) und andererseits Wissen über Fertigkeiten

(prozedurales Wissen).151

148 Vgl. BÜTTNER 2003:26. 149 Vgl. EBENDA:27f. 150 Vgl. EBENDA:26. 151 Vgl. EBENDA.

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Auditive Wahrnehmung 55

Funktionen des Arbeitsgedächtnisses

Unter Arbeitsgedächtnis versteht man ein internes kognitives System, das ermöglicht,

mehrere Informationen vorübergehend zu speichern und miteinander in Beziehung zu setzen.

Das klassische Verfahren zur Messung der funktionalen Kapazität des Arbeitsgedächtnisses

ist die sog. „Gedächtnisspanne“. Der Begriff funktionale Kapazität deutet bereits an, dass es

sich beim Arbeitsgedächtnis nicht nur um einen passiven Speicher handelt, sondern dass man

sich darunter ein höchst aktives und funktionsfähiges System vorstellen muss, das

Lernprozesse erleichtert und den Abruf von Gelerntem aus dem Langzeitspeicher ermöglicht.

Ein gute individuelle Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses wirkt sich auch günstig auf

den frühen Wortschatzerwerb und auf morphosyntaktische Leistungen von Kindern aus.152

Das phonologische Arbeitsgedächtnis

Das Arbeitsgedächtnis scheint aus verschiedenen modalitätsspezifischen Hilfssystemen und

einer „zentralen Exekutive“ zusammengesetzt zu sein. Eines dieser Hilfssysteme ist neben

dem visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnis das phonologische Arbeitsgedächtnis, das im

Zusammenhang mit der Sprachentwicklung und ihrer Störungen von besonderem Interesse

ist.153

Das phonologische Arbeitsgedächtnis ist für die Verarbeitung sprachlicher Informationen

zuständig. Man spricht von einer phonologischen Schleife, die aus zwei Komponenten, einem

phonetischen Speicher und einem subvokalen artikulatorischen Kontrollprozess besteht. Im

phonetischen Speicher kann auditiv-verbale Information ca. 1,8 Sekunden lang gespeichert

werden. Durch den Kontrollprozess („inneres Wiederholen“) kann diese Spanne verlängert

werden und die Information steht so länger zur bewussten Verarbeitung zur Verfügung. Die

Leistungsfähigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses ist also abhängig von der

Funktionstüchtigkeit des phonetischen Speichers und des artikulatorischen Kontrollprozesses.

Wie bereits oben erwähnt, kann die Leistungsfähigkeit des phonologischen

Arbeitsgedächtnisses durch die Gedächtnisspanne ermittelt werden.154

152 Vgl. HASSELHORN & GRUBE:2003:32. 153 Vgl. EBENDA:33. 154 Vgl. EBENDA.

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Auditive Wahrnehmung 56

Als Messverfahren für die Funktion des phonetischen Speichers bei Kindern wird das

Nachsprechen von Kunstwörtern („Nichtwörtern“) vorgeschlagen Damit kann die Güte der

Repräsentationsfähigkeit im phonetischen Speicher besser überprüft werden als mit normalen

Wörtern, weil der semantische Einfluss besser kontrollierbar ist.155

Noch ist nicht ganz eindeutig geklärt, ob strukturelle oder funktionelle Prozesse für den

alterskorrelierten Zuwachs des phonetischen Speichers verantwortlich sind. Da aber ab dem

vierten Lebensjahr keine wesentlichen Entwicklungsveränderungen der strukturellen

Kapazität des phonetischen Speichers mehr erfolgen, ist die mit dem Alter verbesserte

Leistungsfähigkeit des Speichers vermutlich auf funktionale Faktoren (effektivere

Verarbeitung) zurückzuführen.156

5.10. Besonderheiten der auditiven Verarbeitung von Sprache

Bei der Verarbeitung von akustischen Signalen können zahlreiche Teilfunktionen

unterschieden werden, die jedoch nicht unabhängig voneinander ablaufen, sondern in enger

Interaktion stehen. Dieses intramodale Zusammenwirken ist eine wichtige Voraussetzung für

eine funktionsfähige auditive Wahrnehmung.157

Geht es dabei um die Decodierung von Sprachsignalen, bedarf es in besonderem Maße nicht

nur einer rein akustischen Analyse und Verarbeitung, sondern auch noch anderer

Verarbeitungsprozesse wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis.

Die Wahrnehmung von Sprache stellt also innerhalb der auditiven Wahrnehmung eine Art

Sonderfall dar, dessen Charakteristika im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.

155 Vgl. GRIMM 2001:11; HASSELHORN & WERNER 2000:369f. 156 Vgl. HASSELHORN & GRUBE 2003:34. 157 Vgl. LAUER 2001:18f.

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Auditive Wahrnehmung 57

Medwetsky158 präsentiert ein Modell, in dem die wichtigsten Stadien und Prozesse der

Verarbeitung von gesprochener Sprache dargestellt sind:

Abb. 13: Stadien und Prozesse der Verarbeitung von gesprochener Sprache

Entnommen aus: MEDWETSKY 2001:503.

Die Verarbeitung von Sprache verlangt eine parallele und simultane Verarbeitung von

Informationen an zahlreichen Stellen des Zentralnervensystems.

Die akustischen Stimuli werden in neuroelektrische Muster umgewandelt, wobei Merkmale

von Frequenz, Intensität und Zeit (Phase) verschlüsselt und verarbeitet werden

(Transduction).

Diese Informationen werden zunächst im „akustischen Gedächtnis“ (Echoic memory) für eine

Dauer von ca. 250 ms gespeichert. Passiert keine weitere Verarbeitung, geht die Information

158 Vgl. MEDWETSKY 2001:498ff.

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Auditive Wahrnehmung 58

über den Stimulus verloren. Das akustische Gedächtnis ermöglicht es, ein Signal weiter zu

verarbeiten, ohne dass es physikalisch weiter existiert.

Auf der nächsten Stufe werden die Informationen gebündelt und zu Einheiten

zusammengefasst, die im Synthesized auditory memory abgespeichert werden. Dieses

Stadium erlaubt uns z.B. die Wahrnehmung von Intonation und Intensität. Passiert jetzt keine

weitere Verarbeitung, kann man sich aber immer noch an die Lautstärke oder Tonhöhe eines

Signals erinnern. Außerdem beginnt in diesem Stadium der Faktor Aufmerksamkeit

Bedeutung zu erlangen, der die Intensität der Signalwahrnehmung modifiziert.

Die Information wird nun mit gespeicherten Mustern aus dem Langzeitgedächtnis verglichen

(Pattern recognition). Dabei spielen die Stärke des Stimulus und die Höhe der

Wahrnehmungsschwelle wichtige Rollen. Jeder Vorgang, der die „Wirksamkeit“ eines

bestimmten Signals erhöht oder die Aktivierungsschwelle im Langzeitgedächtnis senkt,

steigert die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes akustisches Signal auch wahrgenommen

wird.

Die „Wirksamkeit“ eines bestimmten Signals kann durch Faktoren der Aufmerksamkeit

erhöht werden. Die Wahrnehmungsschwelle im Langzeitgedächtnis kann durch

unterschiedliche Komponenten beeinflusst werden (Häufigkeit des Signals, emotionale

Bedeutung, subjektive Erwartungshaltung in Abhängigkeit von der Situation, linguistischer

Kontext etc.). Aber nicht alle aktivierten Muster werden notwendigerweise im

Kurzzeitgedächtnis verarbeitet. In Abhängigkeit von weiteren Informationen (semantisch,

syntaktisch etc.) werden die aktivierten Muster entweder akzeptiert oder abgelehnt. Dies

erklärt auch, warum die akustische Information nicht notwendigerweise vollständig sein

muss, damit wir sie verstehen können. So verstehen wir z.B. auch Sätze, die in ihrer

akustischen Präsentation lückenhaft sind, weil wir aufgrund unseres syntaktischen und

semantischen Wissens die fehlenden Einheiten ergänzen.

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Auditive Wahrnehmung 59

Je mehr Aufmerksamkeitsressourcen aktiviert werden, desto größer ist die

Wahrscheinlichkeit, dass die Information letztlich im Langzeitgedächtnis gespeichert wird.

Folglich werden Signale mit geringer „Wirksamkeit“ oder solche, bei denen wenig

Aufmerksamkeit besteht, entweder gar nicht verarbeitet oder sie verschwinden schnell aus

dem Kurzzeitgedächtnis.

Die Verarbeitung von Sprachsignalen hängt außerdem noch vom individuellen

Erregungszustand (Arousal system) einer Person ab. Faktoren wie Ermüdung oder Aufregung

beeinflussen die Leistungsfähigkeit eines Individuums. Bei mittlerem Erregungsgrad ist die

Leistung am besten, schlechter wird sie bei niedrigem (z.B. Langeweile) oder hohem

Erregungsgrad (z.B. Stress). Der Erregungsgrad beeinflusst die Verarbeitung von Sprache

durch die Interaktion mit der zentralen Exekutive. Bei mäßiger Erregung arbeitet die zentral

Exekutive am besten und kann Aufmerksamkeitsprozesse regulieren und Informationen aus

verschiedenen Verarbeitungsregionen integrieren. Dadurch ist es dem Individuum möglich,

seine Aufmerksamkeit auf wichtige Signale zu lenken und gleichzeitig, störende und

unwichtige Stimuli zu ignorieren bzw. abzuschwächen.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 60

6. Störungen der auditiven Wahrnehmung

6.1. Zur Begriffsbestimmung

Die schon im vorangegangenen Kapitel angesprochenen Aspekte des zentralen Hörprozesses

und seine Störungen wurden (vor allem in der deutschsprachigen Literatur)159 mit zahlreichen

Begriffen und Definitionen umschrieben, die zum Großteil sehr uneinheitlich und nur vage

definiert waren.

Man sprach (und spricht) von Hörverarbeitungsstörung, zentral-auditiver Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörung (ZAVWS), zentraler Schwerhörigkeit, zentraler Hörstörung, zentraler

Fehlhörigkeit oder rezeptiver Hörstörung. Diese Vielfalt an Benennungen und ihre

keineswegs einheitlichen oder fehlenden Definitionen haben nicht gerade zur Klärung des

ohnehin vielschichtigen Phänomens beigetragen. Andererseits sind sie vermutlich gerade

Ausdruck der Komplexität und Heterogenität diese Störungsbildes.

1996 schlug die American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) in einer

Veröffentlichung (technical report) ihrer Projektgruppe für Auditive Wahrnehmung160 eine

einheitliche Definition des Phänomens vor:

„Central auditory processes are the auditory system mechanisms and processes responsible

for the following behavioral phenomena:

• Sound localization and lateralization

• Auditory discrimination

• Auditory pattern recognition

• Temporal aspects of audition, including

o temporal resolution

o temporal masking

159 Anm.: In der englischsprachigen Literatur wird für dieses Phänomen ziemlich durchgängig der Begriff

„central auditory processes“ verwendet. 160 Task Force on Central Auditory Processing.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 61

o temporal integration

o temporal ordering

• Auditory performance decrements with competing acoustic signals

• Auditory performance decrements with degraded acoustic signals

These mechanisms and processes are presumed to apply to nonverbal as well als verbal

signals and to affect many areas of function, including speech and language”.161

Zur Definition von Störungen der auditiven Wahrnehmung wird weiter angeführt:

„A central auditory processing disorder (CAPD) is an observed deficiency in one or more of

the above-listed behaviours. For some persons, CAPD is presumed to result from the

dysfunction of processes and mechanisms dedicated to audition; for others, CAPD may stem

from some more general dysfunction, such as an attention deficit or neural timing deficit, that

affects performance across modalities. It is also possible for CAPD to reflect coexisting

dysfunctions of both sorts.”162

Diese Definition wurde u.a. von Medwetsky kritisch hinterfragt:163

Die Projektgruppe der ASHA würde lediglich alle in der Literatur beschriebenen Defizite

auflisten, aber kein Konzept zu einem besseren Verständnis der Problematik vorlegen.

Dass die ASHA selbst mit dieser Definition vielleicht auch nicht ganz glücklich war, zeigt die

Tatsache, dass sie sich von der Stellungnahme ihrer Projektgruppe distanziert. Es wird in der

Vorbemerkung ausdrücklich betont, dass dieser Bericht nicht die offizielle Politik der ASHA

darstelle: „This report ist not an official policy of ASHA.“164

161 ASHA 1996:43. 162 EBENDA. 163 Vgl. MEDWETSKY 2001:496. 164 ASHA 1996:41.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 62

Im April 2000 wurde die CAPD-Definition dann anlässlich einer Konsensus-Konferenz von

14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Dallas etwas abgewandelt:

„An auditory processing disorder (APD) may be broadly defined as a deficit in the processing

of information that is specific to the auditory modality. It may be associated with difficulties

in listening, speech understanding, language development, and learning. In its pure form,

however, it ist conceptualized as a deficit in the processing of auditory input.”165

Außerdem wurde empfohlen, die Bezeichnung „Central Auditory Processing Disorders

(CAPD)“ durch „Auditory Processing Disorders (APD)“ zu ersetzen, um sich nicht länger auf

anatomische Strukturen festzulegen und die Interaktion zwischen peripherem und zentralem

auditorischen System zu betonen.

Wirklich klar wurde die Definition dadurch aber auch nicht.

Medwetsky166 führt an, dass es immer noch keine einheitliche Meinung darüber gebe, was

eigentlich genau unter CAP zu verstehen sei, obwohl man sich schon seit den 60er Jahren mit

diesem Phänomen beschäftige. Noch uneinheitlicher seien die Ansichten und Meinungen, was

Störungen der auditiven Wahrnehmung beträfe.

Lt. Medwetsky167 gibt es im angloamerikanischen Raum zwei Sichtweisen von CAPD:

Die eine Gruppe hält CAPD für die Ursache von vielen anderen Störungsbildern, während die

andere Gruppe bezweifelt, dass CAPD überhaupt als eigene modalitätsspezifische Störung

existiert.

Eine einseitige und vereinfachte Sichtweise von CAPD sei auf jeden Fall nicht möglich bzw.

sinnvoll, da die Wahrnehmung von Sprache einerseits komplexe auditive

Verarbeitungsleistungen und andererseits auch allgemeinere kognitive

Verarbeitungsfähigkeiten voraussetze.168

165 JERGER & MUSIEK 2000:467. 166 Vgl. MEDWETSKY 2001:495. 167 Vgl. EBENDA:496. 168 Vgl. EBENDA.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 63

In Anlehnung an das Papier der ASHA 1996 veröffentlichten die deutschen Phoniater und

Phoniaterinnen im Jahr 2000 ein Konsensus-Statement, das sich mit der Definition des

Problems auditive Verarbeitung und auditive Wahrnehmung beschäftigt.169

Dieses unterscheidet zwischen den Begriffen Verarbeitung und Wahrnehmung:170

Als auditive Verarbeitung wird die neuronale Weiterleitung sowie die

Vorverarbeitung und Filterung von auditiven Signalen bzw. Informationen auf

verschiedenen zentralen Ebenen (Hörnerv, Hirnstamm, Cortex) bezeichnet.

Die auditive Wahrnehmung (Perzeption) wird als Teil der Kognition im Sinne einer

bewussten Analyse auditiver Informationen verstanden. Diese bewusste Signalanalyse,

die zu höheren Zentren hin zunimmt, kommt durch die auditive Verarbeitung (Bottom-

up-Prozesse) und durch zunehmende Beeinflussung durch Vigilanz, Aufmerksamkeit

und Gedächtnis (Top-down-Prozesse) zustande.171

Mit der Einschränkung, efferente Prozesse des zentralen Hörsystems bewusst außer Acht zu

lassen, definiert das deutsche Konsensus-Papier wie folgt:172

„Eine auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörung (AVWS) liegt vor, wenn

zentrale Prozesse des Hörens gestört sind [...]. Zentrale Prozesse des Hörens ermöglichen

u.a. die vorbewusste („preattentive“) und bewusste („attentive“) Analyse von Zeit-,

Frequenz- und Intensitätsbeziehungen akustischer Signale, Prozesse der binauralen

Interaktion (z.B. zur Geräuschlokalisation, Lateralisation und Störgeräuschbefreiung)[...].

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen können isoliert [...], in Kombination

mit anderen Störungen (z.B. Aufmerksamkeitsstörungen [...], Hyperaktivität, Lernstörungen,

Störungen der Speicher- und Abruffunktionen von Gedächtnisfähigkeiten,

Spracherwerbsstörungen, Einschränkung der allgemeinen Intelligenz) oder als Symptom

solcher Störungen vorliegen. [...] Im Einzelfall kann es sehr schwierig bis unmöglich sein,

diagnostisch eine klare Abgrenzung zwischen solchen Störungen bzw. Krankheitsbildern

vorzunehmen [...].“ 169 Vgl. PTOK ET AL. 2000. 170 Vgl. EBENDA:357. 171 Vgl. EBENDA. 172 PTOK ET AL. 2000:357f.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 64

Unterschiedliche Aussagen gibt es auch über den Zusammenhang zwischen peripheren

Hörstörungen und auditiven Wahrnehmungsstörungen. Während im deutschen Sprachraum

eigentlich durchwegs betont wird, dass Störungen der auditiven Wahrnehmung mit einem

normalen peripheren Hörvermögen einhergehen173, wird in der englischsprachigen Literatur

zumindest die Möglichkeit einer Kombination beider Störungsbilder berücksichtigt.174

In Anbetracht der Bedeutung des peripheren Hörens für die Ausbildung und Reifung der

zentralen Hörbahnen175, ist die Vorstellung naheliegend, dass bei einer Beeinträchtigung der

Mittelohr- und/oder Innenohrfunktion auch zentrale Reifungsvorgänge betroffen sind.

Das „Konstrukt“ auditive Wahrnehmungsstörung bietet also ein äußerst heterogenes Bild.

Abgesehen von jenen, die bezweifeln, dass auditive Wahrnehmungsstörungen als isoliertes

Störungsbild überhaupt existieren, gibt es unter den Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftlern doch recht unterschiedliche Auffassungen, was darunter zu verstehen ist.

Manche trennen zwischen auditiver Verarbeitung und auditiver Wahrnehmung und sehen

Störungen dieser Funktionen auch als Symptom anderer Störungsbilder.176 Andere suchen

mögliche Ursachen von Störungen des Spracherwerbs oder Lernschwierigkeiten in einer

insuffizienten auditiven Verarbeitung und/oder Wahrnehmung.177 Die einen wollen auditive

Einzelleistungen voneinander getrennt diagnostizieren und behandeln,178 während andere eine

Trennung von auditiven Funktionen und höheren kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit

und Gedächtnis für schwierig halten.179

173 Vgl. u.a. HESS 2001:594; LAUER 2001:20; ROSENKÖTTER 2003:78; ZIERATH 2002:113. 174 Vgl. u.a. ASHA 1996:45; JERGER & MUSIEK 2000:472; SCHMINKY & BARAN 1999:6. 175 Vgl. LAMPRECHT-DINNESEN 1996:7. 176 Vgl. u.a. PTOK ET AL. 2000:357f; SUCHODOLETZ 2003:7. 177 Vgl. u.a. GÜNTHER & GÜNTHER 1991:18. 178 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:94ff; LAUER 2001:27ff; FISCHER 2003:157ff. 179 Vgl. u.a. McFARLAND & CACACE 1995:45; CACACE & McFARLAND 1998:367.

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Störungen der auditiven Wahrnehmung 65

6.2. Häufigkeit und Ätiologie

Die Häufigkeit von auditiven Wahrnehmungsstörungen wird in der Literatur unterschiedlich

eingeschätzt. Dies dürfte wohl auf die divergierenden Definitionen und die häufige

Kombination mit anderen Störungsbildern zurückzuführen sein. Chermak & Musiek180

schätzen die Häufigkeit von auditiven Wahrnehmungsstörungen bei Kindern auf 2 bis 3%.

Als mögliche Ursachen von auditiven Wahrnehmungsstörungen werden unterschiedliche

Faktoren diskutiert. Neben Umwelteinflüssen im Sinne eines mangelhaften Lernangebots

können medizinische Faktoren als verursachend für auditive Wahrnehmungsstörungen

gesehen werden.181

Zu diesen medizinischen Faktoren zählen neben Hirnreifungsverzögerungen auch

frühkindlichen Hirnschädigungen wie Traumen, Neoplasien, degenerative Erkrankungen oder

Infektionen.182

Auch chronische Mittelohrentzündungen bzw. länger andauernde Mittelohrschwerhörigkeiten

im frühen Kindesalter scheinen sich auf die Entwicklung der zentral-auditiven Bahnen negativ

auszuwirken. Einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung auch von gering- und

mittelgradigen Hörstörungen kommt in diesem Zusammenhang noch einmal besondere

Bedeutung zu.

Prinzipiell sind die Ursachen von auditiven Wahrnehmungsstörungen vielschichtig und

immer noch sehr wenig erforscht.183

180 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:22. 181 Vgl. LAUER 2001:20. 182 Vgl. BARAN & MUSIEK 2003:497. 183 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:83f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 66

6.3. Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen

Die Heterogenität, die schon den Begriff „Auditive Wahrnehmungsstörung“ auszeichnet,

findet sich auch im Bereich der Untersuchung und Diagnostik dieses Störungsbildes. Seit

Jahren wird diskutiert, wie denn auditive Wahrnehmungsstörungen eigentlich zu untersuchen

seien, bzw. welche Verfahren und Tests notwendigerweise durchgeführt werden müssten, um

die Diagnose „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung“ stellen zu dürfen. Wie zu

erwarten, ist noch lange keine Einheitlichkeit erreicht. Einig ist man sich jedoch darin, dass

auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörungen nicht durch ein einzelnes

Testverfahren identifiziert werden könnten, sondern dass eine ganze Testbatterie dazu

benötigt werde. U.a. warnt Zierath184 vor einer inflationären Verwendung der Diagnose

„auditive Wahrnehmungsstörung“ aufgrund einer auffälligen Teilleistung.

Die meisten Autorinnen und Autoren verlangen vor einer zentral-auditiven Diagnostik auch

den Ausschluss von peripheren Hörstörungen, da zu erwarten wäre, dass Störungen der

Mittelohr- und/oder Innenohrfunktion die Ergebnisse der zentralen Hördiagnostik

beeinträchtigen.185

Neuschäfer-Rube et al. fanden dagegen in einer Untersuchung von 49 Kindern keine

statistisch nachweisbaren Unterschiede zwischen Kindern mit normalem und gering

beeinträchtigtem peripheren Gehör.186

Dennoch ist anzunehmen, dass mittel- oder höhergradige periphere Hörstörungen sich negativ

auf die auditiven Wahrnehmungsleistungen auswirken.

184 Vgl. ZIERATH 2002:115. 185 Vgl. u.a. HESS 2001:594; LAUER 2001:25; ROSENKÖTTER 2003:94; SCHÖNWEILER 2001:21;

ZIERATH 2002:114. 186 Vgl. NEUSCHÄFER-RUBE ET AL. 2000:115.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 67

Ausgehend von der Erfassung potentiell auditiv gestörter Kinder im Schulalter unterscheiden

Günther & Günther187 drei Ebenen des diagnostischen Vorgehens:

• eine anamnestische Ebene,

• eine Beobachtungsebene,

• eine diagnostische Ebene (Screening- bzw. Siebtestebene).

In einem Diagnoseraster werden die unterschiedlichen Ebenen der Diagnose dargestellt und

ihre Verbindungen aufgezeigt.

Abb. 14: Diagnoseraster zur Erfassung zentral-auditiver Verarbeitungsstörungen

Entnommen aus: LAUER 2001:24 (dort modifiziert nach GÜNTER & GÜNTHER 1992:11)

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Zusammenarbeit eines interdisziplinären Team die

Voraussetzung dafür bildet, ein solches Modell zu verwirklichen.

187 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1992:10f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 68

Musiek & Chermak188 unterscheiden zwischen sog. first-order tests und second-order tests.

Testverfahren erster Ordnung sind solche, die in erster Linie zur Erfassung von auditiven

Verarbeitungs- und Wahrnehmungsdefiziten herangezogen werden sollten. Dazu gehören

Verfahren wie dichotische Tests, Tests zur Frequenz- und Zeitmustererkennung sowie

elektrophysiologische Verfahren.

Testverfahren zweiter Ordnung werden zur Ergänzung oder nach Bedarf als Ersatz für

einzelne first-order tests verwendet. Dazu gehören u.a. Aufgaben der interauralen

Zeitverarbeitung.

Im Folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten Testverfahren gegeben werden, die im

deutschen Sprachraum zur Diagnostik von auditiven Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen herangezogen werden. Dabei wird keine Vollständigkeit angestrebt,

sondern lediglich eine Auswahl von einzelnen Verfahren vorgenommen.

188 Vgl. MUSIEK & CHERMAK 1994:24f.

Page 76: Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung - hss …hss-innsbruck.at/Dokumente von HSS/Auditive Wahrnehmung und... · biologische und neurophysiologische Gegebenheiten des Kindes

Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 69

6.3.1. Anamnese und Voruntersuchung

Vor der eigentlichen Untersuchung auditiver Wahrnehmungsleistungen stehen die Erhebung

der Anamnese und die medizinischen und audiologischen Voruntersuchungen.

Kinder mit Störungen der zentral-auditiven Wahrnehmung fallen im Alltag durch

Besonderheiten auf, die durch entsprechende Fragebögen189 oder aber im Elterngespräch

erfragt werden können.

Nickisch et al.190 nennen einige solcher möglichen Fragen:

• Traten bereits im Säuglingsalter häufiger inkonstante Hörreaktionen auf?

• Kommt es zu häufigem Nachfragen auf verbale Aufforderungen hin?

• Treten inadäquate Reaktionen auf verbale Aufforderungen hin auf?

• Kommt es zu Missverständnissen bei verbalen Aufforderungen?

• Gibt es eine auffallende Unempfindlichkeit oder Überempfindlichkeit auf

Schallreize?

• Kommt es zu vermindertem Sprachverstehen im Lärm oder bei mehreren

Gesprächspartnern/innen?

• Besteht geringes Interesse oder wenig Ausdauer, wenn etwas vorgelesen wird?

• Bestehen Auffälligkeiten beim Richtungshören im Alltag?

• Werden ähnlich klingende Wörter häufig verwechselt?

• Gibt es Probleme beim Auswendiglernen von Versen oder Gedichten?

• Gibt es Merkfähigkeitsschwierigkeiten im Alltag bei mehrteiligen

Aufforderungen?

• Bestehen Lese- und/oder Rechtschreibprobleme bei sonst durchschnittlichen

Schulleistungen?

Weitere Fragen, die einen Hinweis auf eine auditive Funktionsstörung geben könnten, finden

sich u.a. bei Schönweiler191 oder Rosenkötter.192

189 Vgl. auch MEISTER ET AL. [im Druck]. 190 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:17. 191 Vgl. SCHÖNWEILER 2001:20f. 192 Vgl. ROSENKÖTTER 2001:68ff; ROSENKÖTTER 2003:210ff.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 70

Zur obligaten Vordiagnostik bei Verdacht auf zentral-auditive Wahrnehmungsstörungen

zählen folgende medizinische und audiologische Verfahren:193

• Ohrmikroskopie.

• Reintonaudiogramm:

Dabei wird die Ruhehörschwelle für Sinustöne über Kopfhörer (Luftleitung) und

über Knochenleitungshörer (Knochenleitung) geprüft. Die Messung erfolgt für

einzelne Frequenzen im Bereich von 125 Hz bis 8 oder 12 kHz. Eine

Reintonaudiometrie ist bei normal intelligenten und kooperativen Kindern ca. ab

Ende des vierten Lebensjahres möglich.194

• Impedanzmessung (Tympanometrie, Stapediusreflexprüfung):

Mit der Messung der akustischen Impedanz wird die Antwort des

Mittelohrsystems auf einen akustischen Reiz ermittelt. Pathologische

Veränderungen in diesem Bereich (Veränderungen am Trommelfell, Sekret im

Mittelohr, Unterbrechungen der Gehörknöchelchenkette etc.) werden in der

Impedanzmessung sichtbar. Die Impedanzmessung ist eine objektive Methode, die

weitgehend von der Mitarbeit des Kindes unabhängig ist.195

• Sprachaudiometrie:

In der Sprachaudiometrie wird das Sprachverstehen überprüft. Für ältere Kinder

und Erwachsene steht im deutschen Sprachraum der Freiburger Sprachtest zur

Verfügung. Für jüngere Kinder (ab 5 Jahren) finden der Mainzer Kindersprachtest

und der Göttinger Kindersprachverständnistest Verwendung.196

• Intelligenzprofil.

• ggf. neuropädiatrische oder kinderpsychiatrische Vordiagnostik zur Beurteilung

ev. übergeordneter Störungen wie z.B. Hyperaktivität, Aufmerksamkeits-Defizit-

Syndrom.

193 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:17. 194 Näheres dazu s. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998. 195 Näheres dazu s. EBENDA:167 ff. 196 Näheres dazu s. EBENDA:157 f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 71

6.3.2. Diagnostik der auditiven Teilfunktionen

So unterschiedlich wie die einzelnen auditiven Teilfunktionen, so unterschiedlich und

zahlreich sind auch die verschiedenen Testmethoden, die in der Literatur genannt werden, um

diese Teilleistungen zu überprüfen. Auch die Einteilung dieser Verfahren erfolgt von den

einzelnen Autorinnen und Autoren nach völlig unterschiedlichen Kriterien.

Manche nehmen eine Trennung zwischen auditiver Verarbeitung und auditiver

Wahrnehmung vor.197 Von ihnen wird eine topographische Zuordnung von auditiver

Leistung und Lokalisation der Schädigung im ZNS vermutet. Auditive

Verarbeitungsstörungen werden dabei in der Hörbahn selbst angesiedelt. Esser et al.198 haben

für diese Art der Funktionsstörung den Begriff „zentrale Fehlhörigkeit“ verwendet.

Auditive Wahrnehmungsstörungen dagegen werden höheren kortikalen Zentren zugeordnet.

Gegen diese Einteilung in auditive Verarbeitung und auditive Wahrnehmung spricht sich

Rosenkötter199 aus. Eine solche Trennung wäre von den anatomischen und physiologischen

Voraussetzungen nicht haltbar, da die Verarbeitung von auditiven Informationen kein

zweistufiger Vorgang, sondern ein kontinuierlicher, parallel ablaufender Prozess auf allen

Ebenen des ZNS sei.

Eine weitere Möglichkeit, die einzelnen Testverfahren zu gliedern, ist die Einteilung nach

Reizdarbietung. Bei monauraler Darbietung wird das Testmaterial nur einem Ohr angeboten.

Die Überprüfung der auditiven Funktion erfolgt für jedes Ohr getrennt. Bei binauraler

Darbietung werden die Reize beiden Ohren angeboten. Die akustischen Informationen der

beiden Ohren müssen dabei entweder miteinander verbunden werden (z.B. bei der auditiven

Integration) oder sie müssen voneinander getrennt werden (z.B. bei

Diskriminationsaufgaben).200

197 Vgl. u.a. ESSER ET AL. 1987:10f; NICKISCH ET AL. 2001:15f; PTOK ET AL. 2000:357. 198 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12 und WURM-DINSE & ESSER 1997:29ff. 199 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:79. 200 Vgl. BERWANGER 2001:42.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 72

Auch eine Einteilung nach Komplexität des Testmaterials ist denkbar. Dabei werden

Testverfahren mit verhältnismäßig leichten Anforderungen (wie z.B. die Diskrimination von

einzelnen Tönen) von komplexeren Aufgabenstellungen unterschieden (wie z.B. das Merken

von Tonfolgen).

Berwanger201 nimmt eine Einteilung der (subjektiven) Testverfahren nach verbalen und

nonverbalen Verfahren vor. Diese Art der Einteilung scheint mir auch in Hinblick auf den

Zusammenhang zwischen auditiven Wahrnehmungsstörungen und Störungen der

Sprachentwicklung sinnvoll.

Daher möchte ich mich auch in der folgenden Darstellung der wichtigsten Prüfmethoden, die

im deutschen Sprachraum Verwendung finden, an diese Aufteilung zwischen verbalen und

nonverbalen Verfahren halten. Dabei unterteilen sich die verbalen Verfahren wiederum in

primär audiologische Tests (Sprachaudiometrie, dichotische Tests, Tests mit sensibilisierter

Sprache etc.) und in psychometrische Verfahren wie Tests zur Erfassung der

Lautdiskrimination oder des auditiven Gedächtnisses.

6.3.3. Diagnostik durch nonverbale Verfahren

In nonverbalen Testverfahren zur Überprüfung von auditiven Leistungen können

unterschiedliche Prüfreize verwendet werden:202

• Töne

o Dauer

o Frequenz

o Intensität

o Muster

• Klicks

• Rauschen

201 Vgl. BERWANGER 2001:42ff. 202 Vgl. EBENDA:42.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 73

Um auditive Leistungen nonverbal zu überprüfen bestehen unterschiedliche Möglichkeiten.

Z.B. können Töne hinsichtlich ihrer Dauer, Frequenz oder Intensität unterschieden werden.

Mehrere Töne können aber auch in Kombination als „Muster“ angeboten werden. Auch die

Verwendung von Klicks (= kurze Rechteckimpulse definierter Dauer) kommt bei nonverbalen

Verfahren zum Einsatz. So wird u.a. die zeitlich Ordnung zweier Reize (Ordnungsschwelle)

oder auch die Fusionsschwelle mit Hilfe von Klicks überprüft. Neben Tönen können natürlich

auch Rauschsignale nach unterschiedlichen Parametern (Dauer, Frequenz, Intensität)

unterschieden werden.

Auditive Teilleistung Testverfahren

Auditive Lokalisation Richtungshören

Auditive Differenzierung Tonhöhendifferenzierung

Tondauerdifferenzierung

Lautstärkedifferenzierung

Binaurale Integration / Summation Fusionsschwelle

Hördynamik / Lautheitsempfinden Unbehaglichkeitsschwelle

Lautheitsskalierung

Auditive Lückenerkennung Gap-Detection-Test (Matulat)

Lückenerkennung

Auditive Zeitordnung

Auditive Seitenordnung

Zeitordnung

Ordnungsschwelle

Tab. 1: Audiologische Prüfmethoden der auditiven Wahrnehmung mit nonverbalen

Prüfreizen

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 74

Richtungshören

Die interaurale Verarbeitung und Verrechnung von Intensitäts- und Zeitdifferenzen sowie

Veränderungen der Klangfarbe eines Schallereignisses ermöglichen uns, die Richtung und

Entfernung von Schallquellen im Raum einzuordnen.

Die klassische Anordnung bei der Überprüfung des Richtungshörens besteht aus fünf

Lautsprechern, die im Halbkreis einen Meter vor dem Kind aufgestellt sind. Das Kind soll

akustische Signale (z.B. Breitbandrauschen, Schmalbandrauschen, Kinderlieder), die aus den

Lautsprechern kommen, mit Handzeichen lokalisieren.

Nickisch et al.203 geben zu bedenken, dass diese Anordnung jedoch für die Diagnostik von

auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsdefiziten zu ungenau sei. Schallquellen könnten

im Normalfall bei viel geringeren Winkelgraden geortet werden, als dies in der

Versuchsanordnung überhaupt möglich ist. Bereits Fehlortungen von 6° - 8° gelten als

pathologische Werte. Da mit dem oben genannten Setting lediglich hochgradige

Einschränkungen des Richtungshörens messbar seien, empfiehlt sich u.U. die Durchführung

von nicht-standardisierten Methoden.

Auch Rosenkötter204 beschreibt ein solches nicht-standardisiertes Verfahren. Dabei soll das

Kind mit verbundenen Augen eine Geräuschquelle (Rauschgenerator, Knistern mit Papier)

lokalisieren, die um den Kopf bewegt wird. Für Kinder ab dem sechsten Lebensjahre werden

Normwerte von weniger als 10° Abweichung in der Horizontalen und weniger als 15° in der

Vertikalen angegeben.

203 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:19. 204 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:97.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 75

Auditive Differenzierung von Tonhöhe, Tondauer und Lautstärke

Der Untersuchungsaufbau ist bei allen drei Untersuchungen ähnlich. Es geht dabei darum,

Unterschiede zwischen zwei Signalen hinsichtlich der Höhe, der Dauer oder der Intensität

wahrzunehmen.

Differenzierung der Tonhöhe:

Hier werden unterschiedliche Vorgehensweisen verwendet:

a. Das Kind hört nacheinander zwei Töne. Davon hat ein Ton immer die gleiche

Tonhöhe (z.B. 1000 Hz). Der andere Ton wird hinsichtlich seiner Frequenz verändert.

Die beiden Töne werden daraufhin in zufälliger Reihenfolge angeboten und das Kind

soll angeben, ob der letzte Ton höher oder tiefer war. Dann werden die Intervalle so

lange verkleinert, bis der Unterschied vom Kind gerade noch wahrgenommen werden

kann. Dieser Frequenzunterschied bezeichnet den Schwellenwert für die

Tonhöhendifferenzierung. Auditiv unauffällige Sechsjährige können ein Intervall von

zwei Halbtönen unterscheiden.205

b. Eine Variation von a besteht darin, dass der Frequenzabstand der Töne gleich bleibt

und das Kind lediglich angibt, ob der letzte Ton höher oder tiefer war.206

c. Eine Tonfolge von drei gleich langen Tönen, von denen einer eine andere Frequenz

hat als die beiden anderen (z.B. hoch – hoch – tief) werden dem Kind in variierender

Reihenfolge vorgespielt. Auf einer Tafel mit drei möglichen Tonfolgen soll das Kind

die vorgespielte Tonfolge anzeigen.207

Bei dieser Testanordnung werden aber neben der Tonhöhenunterscheidung auch

Funktionen wie Mustererkennung und sequentielle Leistungen überprüft.208

d. Paare von zwei gleich oder zwei unterschiedlich hohen Tönen werden dem Kind

vorgespielt. Dieses soll zwischen „gleich“ oder „ungleich“ entscheiden.209

205 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:102. 206 Vgl. FISCHER 2003:63. 207 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:102. 208 Vgl. MUSIEK & CHERMAK 1995:16. 209 Vgl. BERWANGER 2001:47.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 76

Differenzierung der Tondauer:

Ähnlich wie bei der Unterscheidung von Tonhöhen können akustische Signale auch

hinsichtlich ihrer Dauer unterschieden werden. Allerdings ist mir eine verbreitete Anwendung

dieser Methode nicht bekannt. Berwanger210 verwendet in ihrer Studie einen selbst

entwickelten Test zur Differenzierung der Tondauer. Dabei werden dem Kind sechzig Paare

von zwei Tönen gleicher oder unterschiedlicher Dauer angeboten. Das Kind soll zeigen, ob

das betreffende Paar gleich oder ungleich war. Die Autorin gibt keine Normwerte an.

Differenzierung der Lautstärke:

Wieder werden dem Kind unterschiedliche Signale (Töne, Rauschen) angeboten. Diesmal

betreffen die Unterschiede die Intensität. Unterschiedliche Testanordnungen sind möglich:

a. Das Kind hört ein Breitbandgeräusch mit festgelegter Intensität und kurz darauf eines,

das etwas leiser oder lauter ist. Daraufhin soll das Kind angeben, ob das zweite

Geräusch lauter oder leiser war. Die Schwelle211 wird ermittelt, bei welcher der

Unterschied noch wahrgenommen wird.212

b. Berwanger213 verwendet auch hier einen selbst entwickelten Test, bei dem Paare von

gleich oder unterschiedlich lauten Tönen angeboten werden. Das Kind muss zwischen

gleich oder ungleich entscheiden. Normwerte werden keine angegeben.

210 Vgl. BERWANGER 2001:47. 211 Vgl. FISCHER 2003:63ff. Fischer verwendet zum Vergleich der Ergebnisse altersabhängige Normwerte, die

anhand von 508 Kontrollpersonen ermittelt wurden. 212 Vgl. FISCHER 2003:61. 213 Vgl. BERWANGER 2001:47.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 77

Binaurale Summation

Unter beidohriger Summation oder Fusion versteht man die Verschmelzung der Höreindrücke

von zeitgleich und seitengetrennt dargebotenen Stimuli. Die Überprüfung dieser Funktion ist

mit verbalem oder nonverbalem Prüfmaterial möglich. Eine Testung mit nonverbalen

Signalen bietet die Fusionsschwelle. Dabei werden dem Kind getrennt auf beiden Ohren

Klicks angeboten, zwischen denen die Zeitdifferenz zunehmend kleiner wird. Das Kind soll

entscheiden, ob es sich um einen einzigen oder um zwei getrennte Klicks gehandelt hat.

Damit wird der kleinste Zeitunterschied ermittelt, der noch ein getrenntes Wahrnehmen der

Klicks erlaubt. Dieser Zeitunterschied wird als Fusionsschwelle bezeichnet. Gesunde

Erwachsene und Kinder über 10 Jahren können Klicks ab einer Zeitdifferenz von ca. 3 ms

noch als getrennte Signale erkennen. Normwerte für jüngere Kinder existieren nicht.214

Lautheitsskalierung und Unbehaglichkeitsschwelle

Lt. Nickisch et al.215 leiden Kinder mit zentralen Hörverarbeitungs- und

Hörwahrnehmungsstörungen immer wieder an einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber

lauten Schallereignissen. Eine solch erniedrigte Unbehaglichkeitsschwelle kann mit Hilfe von

Tönen, Rauschen oder Sprache überprüft werden.

Dazu wird das betreffende Signal in zunehmender Lautstärke über Kopfhörer für beide Ohren

getrennt dargeboten. Das Kind soll angeben, wann der Ton, das Rauschen oder das

Sprachsignal als unangenehm laut empfunden wird. Dieser Pegel bezeichnet die

Unbehaglichkeitsschwelle. Die Normwerte von Kindern mit 6 Jahren liegen bei der

Untersuchung mit Tönen bei ca. 70 dB, bei der Untersuchung mit Rauschen bei ca. 60 dB.216

Der Zusammenhang zwischen Pegel und Lautheitsempfinden kann auch über den gesamten

Hörbereich durchgeführt werden. Bei einer solchen Lautheits- oder Hörfeldskalierung

werden Töne oder Schmalbandgeräusche unterschiedlicher Lautstärke angeboten, die das

214 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:112f. 215 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:25. 216 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:99.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 78

Kind dann verbal als sehr leise – leise – mittellaut – laut – sehr laut – zu laut beurteilen

muss.217

Dieses Verfahren ist jedoch mit hohem Zeitaufwand verbunden und vor allem für jüngere

Kinder schwierig durchzuführen.218

Lückenerkennung

Im Normalfall ist unser Gehör in der Lage, Lücken von ca. 3 ms in einem

Schmalbandgeräusch zu erkennen. Mit dem Gap-Detection-Test (Matulat) wird diese

Fähigkeit überprüft. In einem Geräusch sollen immer kürzer werdende Lücken identifiziert

werden. Ergebnisse über 10 ms gelten als pathologisch.219

Eine etwas andere Möglichkeit, die Lückenerkennung zu überprüfen, besteht darin, dass

immer Paare von Geräuschen hintereinander angeboten werden, wovon eines eine zeitliche

Lücke aufweist. Das Kind soll angeben, ob die Lücke im ersten oder im zweiten Geräusch

war. Kann dies nicht mehr unterschieden werden, ist die Schwelle erreicht.220

Zeitordnung und Seitenordnung

Zur Ermittlung der Zeitordnungsschwelle werden dem Kind nacheinander zwei Töne

unterschiedlicher Frequenz angeboten. Das Kind soll entscheiden, ob der zweite Ton höher

oder tiefer war. Bis hierher deckt sich das Verfahren mit der Überprüfung für die

Frequenzunterscheidung. Dann wird aber der zeitliche Abstand zwischen den Tönen

zunehmend verringert, bis das Kind den Unterschied nicht mehr wahrnehmen kann. Der

Schwellenwert wird in Millisekunden angegeben.221

Die beidohrige Ordnungsschwelle ist der kleinste Zeitabstand, der nötig ist, um zwei

akustische Signale, die nacheinander dem linken und dem rechten Ohr präsentiert werden,

217 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:25. 218 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:100. 219 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:24f. 220 Vgl. FISCHER 2003:63ff. Fischer verwendet zum Vergleich der Ergebnisse altersabhängige Normwerte, die

anhand von 508 Kontrollpersonen ermittelt wurden. 221 Vgl. EBENDA.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 79

gerade noch getrennt wahrzunehmen und sie in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Das

Kind gibt dabei mit Handbewegungen an, auch welchem Ohr der erste von zwei Klicks gehört

wurde. Der Anfangswert des Zeitunterschieds beträgt meist 500 ms. Die Abstände werden im

Verlauf der Testung zunehmend abgesenkt, bis der Schwellenwert erreicht ist.222

Neben dem oben genannten Verfahren existieren jedoch noch weitere Testvarianten, um die

auditive Ordnungsschwelle zu ermitteln.223

Die Bestimmung der Ordnungsschwelle in der Abklärung von auditiven Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen war im deutschen Sprachraum eine Zeit lang sehr verbreitet. Die

Probleme dieser Methode konnten jedoch von einigen Autoren aufgezeigt werden. Berwanger

et al. 224 belegen in einer Studie, dass die Aufgabe von vielen jüngeren Kindern (unter 9

Jahren) nicht richtig verstanden wird und daher auch keine verlässlichen Ergebnisse liefert.

Obwohl in der Literatur - zumindest für Kinder ab dem Schulalter - Normwerte angegeben

werden225, muss angemerkt werden, dass die interindividuelle Streuung der Schwellenwerte

extrem hoch ist. Kühn-Inacker & Weinmann226 fanden Streuungen zwischen 19 ms und

800 ms. Zwar nicht ganz so große, aber doch auch beträchtliche interindividuelle Streuwerte

von 20 ms bis 100 ms konnten von Meister et al.227 auch bei Erwachsenen festgestellt werden.

Solche Diskrepanzen führen Wedel & Walger228 z.T. auf die Verwendung von

unterschiedlichen Messmethoden zurück, die eigentlich nicht miteinander verglichen werden

dürften. Außerdem erschweren große intra- und interindividuelle Streubreiten und

reifungsbedingte Veränderungen den Einsatz der Ordnungsschwelle in der Diagnostik von

auditiven Leistungen bei Kindern.

222 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:118f. 223 Vgl. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:120. 224 Vgl. BERWANGER ET AL. 2003:42f. 225 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:119. 226 Vgl. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:123. 227 Vgl. MEISTER ET AL. 2000:69. 228 Vgl. WEDEL & WALGER 1999:80.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 80

6.3.4. Diagnostik durch verbale Verfahren

Neben der Verwendung von nonverbalen Stimuli lassen sich auditive Leistungen auch mittels

Darbietung von Sprachmaterial überprüfen. Dabei kommt der Verwendung von künstlich

veränderter, sog. sensibilisierter Sprache besondere Bedeutung zu, da das Verstehen von

„normaler“ Sprache i.d.R. auch bei Störungen der auditiven Wahrnehmung gelingen kann.

Durch diese „Sensibilisierung“ werden Sprachreize künstlich schwer verständlich gemacht.

Dies kann z.B. durch Beschneidung von Frequenzen, durch Unterbrechungen des

Sprachsignals, durch dichotisches Angebot, durch zeitliche Kompression oder durch

Beimischung eines Störgeräusches erfolgen.229

Auditive Teilleistung Testverfahren

Trennung von Nutz- und Störschall Sprachaudiometrie im Störgeräusch

(Mainzer Kindersprachtest; Göttinger

Kindersprachverständnistest)

Dichotisches Hören Dichotische Hörtests

(Uttenweiler; Neukomm)

Binaurale Summation Binauraler Summationstest (Matzker)

Auditive Zeitauflösung Test mit zeitkomprimierter Sprache (Nickisch)

Tab. 2: Audiologische Prüfmethoden der auditiven Wahrnehmung mit verbalen Prüfreizen

Sprachaudiometrie im Störschall

Die Trennung der nützlichen von den störenden Schallereignissen gehört zu den wichtigsten

Fähigkeiten unseres Gehörs. Häufig finden wir im Alltag Situationen vor, in denen wir dazu

genötigt sind, die für uns wichtigen akustischen Signale aus störenden Nebengeräuschen

herauszufiltern. Diese Fähigkeit kann durch sprachaudiometrische Verfahren und zusätzlicher

Präsentation eines Störgeräusches überprüft werden.

229 Vgl. BERWANGER 2001:42.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 81

Für die Untersuchung von Kindern existieren im deutschen Sprachraum der Mainzer

Kindersprachtest und der Göttinger Kindersprachverständnistest. Dabei werden die

Sprachsignale (Wörter) mit einem definierten Pegel über Lautsprecher angeboten.

Gleichzeitig ertönt ebenfalls über Lautsprecher das Störgeräusch. Bei einem Signal-Stör-

Abstand von +5 dB (das Sprachsignal ist um 5 dB lauter als das Störgeräusch) sollten

hörgesunde Kindern ab sechs Jahren 70 – 100% der angebotenen Wörter richtig verstehen.230

Dichotische Hörtests

Bei dichotischen Hörtests werden beiden Ohren gleichzeitig unterschiedliche Sprachsignale

(i.d.R. Wörter) angeboten, die vom Kind wiederholt werden sollen. Normalhörende sind dabei

in der Lage, beide Wörter richtig zu verstehen. Für Kinder ab fünf Jahren kommt im

deutschen Sprachraum der Test nach Uttenweiler oder der Test nach Neukomm zum

Einsatz.231

Beim Test nach Uttenweiler werden kindgerechte dreisilbige Wörter verwendet, die

üblicherweise mit einem Pegel von 60 – 70 dB angeboten werden. Nach einer monauralen

Testphase, werden zwei Wortgruppen à zehn Wortpaaren überprüft. Als pathologisch gilt eine

Seitendifferenz der Leistungen bzw. eine Fehlerzahl von mehr als 30% innerhalb einer

Wortgruppe. Schlechte Ergebnisse könnten aufgrund der Komplexität des Verfahrens jedoch

auch auf Defizite der kindlichen Gedächtnisleistungen zurückzuführen sein. 232

In solchen Fällen empfiehlt Rosenkötter233 die Durchführung des Tests nach Neukomm. Er

beinhaltet 25 zweisilbige Wortpaare, die mit einem Pegel von 60 – 65 dB angeboten werden.

Im Alter von 5 - 7 Jahren gelten mehr als 14 Fehler als pathologisch.

230 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:114f. 231 Vgl. EBENDA:111ff. 232 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:22f; ROSENKÖTTER 2003:112. 233 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:111.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 82

Binauraler Summationstest

Der binaurale Summationstest wurde erstmals von Matzker234 1958 vorgestellt. Dabei

werden beiden Ohren unterschiedliche Frequenzbereiche eines Wortes angeboten. Der

Prozentwert der richtig wiederholten Wörter wird notiert.235

Die Aufgabe des Hörsystem ist es, diese beiden Signale zu einer vollständigen Wortgestalt zu

vereinen. Bei Zeitdifferenzen der Informationsverarbeitung ist es vorstellbar, dass dies nicht

angemessen gelingt. Dadurch käme es zu einem verringerten Sprachverstehen und damit zu

schlechteren Ergebnissen im binauralen Summationstest.236

Test mit zeitkomprimierter Sprache

Der Hörtest mit zeitkomprimierter Sprache von Nickisch und Biesalski237 ermöglicht die

Überprüfung des Sprachverstehens bei erhöhter Sprechgeschwindigkeit. Dabei wird das zu

untersuchende Kind durch Sätze aufgefordert, Spielhandlungen mit vorgegebenem Material

durchzuführen. Im Vergleich zur normalen Sprechgeschwindigkeit von ca. 270 Silben pro

Minute wird die Geschwindigkeit der Sätze im Test stufenweise bis maximal um den Faktor

2,2 (das entspricht 600 Silben pro Minute) erhöht. Altersspezifische Toleranzbereiche für

diesen Test liegen für Kinder von 5 – 7 Jahren vor. Normierung im engeren Sinn gibt es

keine. 238

234 MATZKER 1958. 235 Vgl. SCHÖNWEILER 2001:22. 236 Vgl. NIKISCH ET AL. 2001:21f. 237 NICKISCH & BIESALSKI 1984. 238 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:24; ROSENKÖTTER 2003:117.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 83

6.3.5. Diagnostik durch psychometrische Verfahren

Neben den primär audiologischen Tests werden zur Überprüfung von auditiven

Teilfunktionen auch psychometrische Verfahren verwendet. Meist sind diese Verfahren aus

anderen Tests (Intelligenztests, Sprachentwicklungstests, Lesetests etc.) „entlehnt“ und in

erster Linie gar nicht für die Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen gedacht.

Häufig sind es auch Verfahren, die weder standardisiert noch normiert sind und deren

Ergebnisse daher nur schwierig zu beurteilen sind. Alle diese Methoden überprüfen aufgrund

ihrer Komplexität nicht nur auditive Leistungen, sondern auch übergeordnete Fähigkeiten wie

Aufmerksamkeit oder Gedächtnis.239

Nickisch et al.240 gehen zwar davon aus, dass mit diesen Verfahren eine Beurteilung der

auditiven Wahrnehmung im Gegensatz zur auditiven Verarbeitung möglich ist. Eine solche

klare Trennung von Verarbeitung und Wahrnehmung ist jedoch zweifelhaft, wenn man

bedenkt, dass Hörleistungen nicht hierarchisch und zweistufig ablaufen, sondern beinahe

immer aus kontinuierlichen und parallel ablaufenden Prozessen auf mehreren Ebenen des

Zentralnervensystems bestehen.241

Ähnlich wie bei den bereits angeführten audiologischen Untersuchungsmöglichkeiten gibt es

auch hinsichtlich der Verwendung von psychometrischen Verfahren für die Abklärung von

auditiven Wahrnehmungsdefiziten keinerlei einheitliche Vorgehensweise. In der Literatur

finden sich völlig divergierende Vorschläge zur Anwendung und Bedeutung solcher

Methoden. Auch die Einteilung bzw. Zuordnung einzelner Testverfahren zu bestimmten

auditiven Teilleistungen wird beinahe von jeder Autorin und jedem Autor anders getroffen.

239 Vgl. u.a. BERWANGER 2001:45; LAUER 2001:27; NICKISCH ET AL. 2001:24. 240 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:31, 241 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:79.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 84

Im Folgenden soll eine mögliche Einteilung der gängigsten Verfahren im deutschen

Sprachraum dargestellt werden.

Auditive Teilleistung Testverfahren (Auswahl)

Lautdiskrimination Heidelberger Lautdifferenzierungstest

Hannoverscher Lautdiskriminationstest

Wahrnehmungstrennschärfetest (Warnke)

Bremer Lautdiskriminationstest

Differenzierungsprobe (Breuer und Weuffen)

Bildwortserie zur Lautagnosieprüfung (Schäfer)

Auditive Analyse Kein standardisiertes Verfahren

Auditive Synthese Laute verbinden - Subtest des PET

Auditive Ergänzung Wörter ergänzen – Subtest des PET

Auditives Gedächtnis Zahlenfolgegedächtnis – Subtest des PET

Zahlennachsprechen – Subtest des HAWIK-R

Wortfolgegedächtnis – Subtest des SETK 3-5

Imitieren grammatischer Strukturen – Subtest des HSET

Satzgedächtnis – Subtest des SETK 3-5

Textgedächtnis – Subtest des HSET

Mottier-Test

Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter – Subtest

des SETK 3-5

Tab. 3: Psychometrische und psycholinguistische Prüfmethoden der auditiven

Wahrnehmung mit verbalem Prüfmaterial

Lautdiskriminationstests

Da die Diskriminationsfähigkeit häufig im Mittelpunkt der Betrachtungen von auditiven

Wahrnehmungsdefiziten steht, sind in diesem Bereich auch mehrere Methoden bekannt. Viele

dieser Verfahren arbeiten mit Minimalpaaren. Dabei werden dem Kind Wörter oder Silben

paarweise vorgesprochen. Bei diesen Wort- oder Silbenpaaren handelt es sich entweder um

zwei gleiche Wörter/Silben oder eben um Minimalpaare, die sich nur in einem Phonem

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 85

unterscheiden. Das Kind muss die Wort- bzw. Silbenpaare nachsprechen oder auch nur

entscheiden, ob sie gleich oder ungleich waren. Eine andere mögliche Vorgangsweise besteht

darin, dass mit Bildmaterial gearbeitet wird. Auf Abbildungen sind Minimalpaare abgebildet.

Nach dem Vorsprechen eines Wortes muss das Kind auf die richtige Abbildung zeigen. Bei

solchen Testanordnungen werden falsch negative Ergebnisse aufgrund von

Artikulationsproblemen des Kindes verhindert.

Der Hannoversche Lautdiskriminationstest (HLDT) kann ohne oder mit Störgeräusch

durchgeführt werden. Dabei werden über Kopfhörer oder im freien Schallfeld Minimalpaare

bei einer Lautstärke von 65 dB vorgespielt. Das Kind soll entscheiden, ob die Wörter gleich

oder unterschiedlich sind. Normwerte existieren für Kinder ab dem zweiten Schuljahr.242

Ähnlich funktioniert der Heidelberger Lautdifferenzierungstest (HD-LT). Hier werden

Silben- oder Wortpaare vorgesprochen. Das Kind soll wiederum entscheiden ob die

vorgegebenen Items gleich oder ungleich waren und sie dann nachsprechen. Der HD-LT ist

für Kinder der zweiten bis vierten Schulstufe standardisiert.243

Beim Wahrnehmungstrennschärfetest nach Warnke (WTT) werden dem Kind über

Kopfhörer abwechselnd auf jedem Ohr sechzehn sinnfreie Wortgebilde (z.B. ebi, efi, egi, edi,

eki, eti) angeboten. Zusätzlich wird das Angebot von einem monotonen Hintergrundgeräusch

begleitet. Das Kind soll das angebotene Material nachsprechen. Normwerte gibt es für Kinder

ab sechs Jahren. So gelten für Kinder von 6 bis 7 Jahren 4 bis 6 falsch wiedergegebener

Wortgebilde als leicht auffällig, mehr als 6 Fehler als stark auffällig. Der Test kann auch als

orientierendes Verfahren von Eltern durchgeführt werden. Dazu werden die Wortlisten unter

Begleitung eines Rauschens aus der Stereoanlage im Abstand von 3 Metern vorgelesen. Als

„Eichung“ dient der Selbstversuch der Eltern.244 Bei 6 Fehlern empfiehlt Warnke eine weitere

Abklärung durch den/die Arzt/Ärztin bzw. die Durchführung des Tests über CD und

Kopfhörer. Rosenkötter führt an, dass der Wahrnehmungstrennschärfetest von Warnke

besonders für konzentrationsschwache Kinder aufgrund der Eintönigkeit schwierig zu lösen

sei.245 242 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:105. 243 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:32. 244 Vgl. WARNKE 1998:36ff. 245 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:106f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 86

Auch beim Bremer Lautdiskriminationstest (BLDT) müssen vorgesprochene Wortpaare als

gleich oder ungleich differenziert werden. Die unterschiedlichen Phoneme stehen am Anfang,

in der Mitte oder am Ende eines Wortes. Jedes falsch identifiziere Wortpaar gilt als Fehler.

Eine quantitative Auswertung liegt nur für Kinder der zweiten Schulstufe vor.246

Die Differenzierungsprobe nach Breuer und Weuffen ist nach fünf unterschiedlichen

Bereichen gegliedert (optisch-graphomotorisch, akustisch-phonematisch, kinästhetisch-

artikulatorisch, melodisch, rhythmisch). Der Bereich akustisch-phonematische

Differenzierung kann anhand von Minimalpaaren mit Bildtafeln durchgeführt werden. Der/die

Untersuchende nennt ein abgebildetes Objekt, das Kind muss auf das richtige Bild zeigen

(z.B. Kopf / Topf; Gans / Tanz). Für ältere Kinder (ab ca. 6 Jahren) kann der Test auch ohne

Bilder durchgeführt werden. Hier müssen die Kinder wieder angeben, ob sie zwei gleiche

oder verschieden Wörter hören. Als auffällig gelten zwei oder mehr Fehler. Die

Differenzierungsprobe nach Breuer und Weuffen kann jedoch aufgrund ihrer geringen

Itemzahlen nur als grob orientierende Untersuchung angesehen werden.247

Ebenfalls mit Bildern durchgeführt wird die Bildwortserie zur Lautagnosieprüfung von

Schäfer. Sie kann bereits mit 4-jährigen Kindern als standardisiertes Verfahren durchgeführt

werden.248

Neben den genannten Verfahren sind aber auch noch einige andere Varianten oder auch in

Eigenregie entwickelte Tests und Verfahren wie z.B. unterschiedliche Minimalpaarlisten bei

der Überprüfung der auditiven Diskrimination im Einsatz.

246 Vgl. LAUER 2001:28; ROSENKÖTTER 2003:109. 247 Vgl. LAUER 2001:29; ROSENKÖTTER 2003:107f. 248 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:32.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 87

Auditive Analyse

Zur Überprüfung der auditiven Analyse liegen derzeit keine standardisierten Tests vor. Unter

Phonemanalyse wird die Fähigkeit verstanden, einzelne Phoneme innerhalb eines Wortes oder

einer Silbe zu identifizieren und auch seine Position anzugeben.249 Zur Anwendung kommen

hier aber nur orientierende, meist selbst entwickelte Verfahren, die keine Vergleichsdaten

aufweisen.

Auditive Synthese

Unter auditiver Synthese wird das Verbinden von Einzellauten oder Silben zu ganzen Wörtern

verstanden (z.B. wird aus der auditiven Vorgabe [m]-[i] -[l] -[ç] das Wort Milch).250

Als Verfahren für solche analytischen Fähigkeiten kommt ein Untertest aus dem

Psycholinguistischen Entwicklungstest (PET) von Angermaier251 zum Einsatz. In diesem

Subtest „Laute Verbinden“ werden Wörter in Form von isoliert nacheinander gesprochenen

Einzellauten angeboten. Das Kind soll die einzelnen Laute zu einem ganzen Wort verbinden.

Normwerte ab 5 Jahren finden sich im Handbuch des PET.

Auditive Ergänzung

Bei dieser Fähigkeit kommt es darauf an, fehlende auditive Informationen zu ergänzen, damit

die Identifikation eines Wortes gelingt. Auch hier bedient man sich eines Untertests aus dem

Psycholinguistischen Entwicklungstest von Angermaier252. Im Subtest „Wörter ergänzen“

werden Wörter vorgesprochen, bei denen einzelne Laute ausgelassen werden. Das Kind soll

die Wörter in vollständiger Form wiederholen (z.B. Scho/olade, Spa/etti, Tee/öffel).

Normwerte für Kinder ab 5 Jahren finden sich wieder im Handbuch des PET.

249 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:35. 250 Vgl. LAUER 2001:29. 251 ANGERMAIER 1977. 252 EBENDA.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 88

Wie Rosenkötter253 richtig anmerkt, überprüft man mit den Verfahren Laute verbinden und

Wörter ergänzen nicht nur auditive Diskriminations- bzw. Ergänzungsfähigkeiten, sondern

auch die verbale Intelligenz, da intelligente Kinder auch beim Bestehen einer

Lautunterscheidungsstörung in der Lage sein werden, aus den Bruchstücken das gesuchte

Wort zu rekonstruieren.

Auditives Gedächtnis

Die Überprüfung der Fähigkeiten des auditiven Gedächtnisses spielt im Rahmen der

Abklärung von auditiven Wahrnehmungsdefiziten eine wichtige Rolle. Funktionen des

auditiven Gedächtnisses werden von manchen Autorinnen und Autoren auch als auditive

Speicherung, Sequenzierung oder auditive Merkfähigkeit bezeichnet. Auf den Stellenwert

dieser Leistungen im Zusammenhang mit Sprache und Sprachentwicklung wird noch an

späterer Stelle hingewiesen.254

Als Mess- bzw. Untersuchungsverfahren auditiver Gedächtnisfunktionen (vor allem des

Arbeitsgedächtnisses) finden unterschiedliche Tests Verwendung.

Neben Zahlen, Wörtern, Sätzen und ganzen Texten werden vor allem sog. „Nichtwörter“ oder

„Kunstwörter“ als Prüfmaterial bei der Testung des Arbeitsgedächtnisses verwendet. Wie

bereits im Kapitel III/5.9. erläutert, kann mit dieser Form von Testmaterial die Güte der

Repräsentationsfähigkeit im phonetischen Speicher besser gewährleistet werden, da keine

semantischen Hilfen vorhanden sind.

Neben den eigentlichen Untersuchungsverfahren sind in der Diagnostik von auditiven

Gedächtnisfunktionen auch spezifische anamnestische Fragen von Bedeutung.

253 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:122. 254 Vgl. Kapitel IV.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 89

Rosenkötter255 nennt folgende anamnestische Fragen im Zusammenhang mit dem auditiven

Gedächtnis:

• Kann das Kind eine Reihe von Wörtern nachsprechen?

• Kann es eine Reihe von Zahlen nachsprechen?

• Kann es Sätze mit 4-5-6-7-8 Wörtern nachsprechen?

• Kann es einen zweizeiligen Vers nachsprechen?

• Kann es verbale Aufträge gut behalten?

• Kann es sich Gedichte und Kinderreime langfristig merken?

• Kann es sich Liedtexte langfristig merken?

• Kann es sich Bildgeschichten gut merken und auch ohne Vorlage der Bilder

nacherzählen?

• Kann es sich Spielregeln gut merken?

• Kann es kleine Geschichten oder erlebte Begebenheiten gut nacherzählen?

An der gleichen Stelle betont Rosenkötter, dass anamnestische Angaben nicht zwingend mit

den Testergebnissen übereinstimmen müssen, da bei den gängigen Testverfahren meist

Funktionen des Kurzzeitgedächtnisses oder Arbeitsgedächtnisses überprüft würden, während

im anamnestischen Fragekatalog auch Langzeitgedächtnisleistungen abgefragt würden.

Alle Untersuchungsmethoden von auditiven Gedächtnisfunktionen sind Untertests aus

anderen - psycholinguistischen oder psychometrischen - Verfahren. Sie bestehen i.d.R. darin,

dass dem Kind etwas vorgesprochen wird, was es dann nachsprechen soll. Dabei wird in allen

Verfahren bzw. Verfahrensanleitungen betont, dass beim Vorsprechen darauf zu achten ist,

dass das Kind nicht vom Mundbild ablesen kann. Die Untersuchung sollte daher mit

abgewendetem oder zumindest gesenktem Kopf durchgeführt werden.

255 ROSENKÖTTER 2003:61.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 90

Im Untertest „Zahlenfolgegedächtnis“ aus dem Psycholinguistischen Entwicklungstest256

muss das Kind altersentsprechend lange Folgen von Zahlen nachsprechen. Es werden dabei

einstellige Zahlen verwendet, die im Tempo von 2 Zahlen pro Sekunde vorgesprochen

werden. Normierungen gibt es von drei bis neun Jahren.

Ein anderer, ähnlicher Subtest stammt aus dem Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test für

Kinder (HAWIK-R) von Tewes.257 Auch hier sollen im Untertest „Zahlennachsprechen“ vom

Kind Zahlen nachgesprochen werden, die in einem Tempo von 1 Zahl pro Sekunde

vorgegeben werden. Eine Normierung existiert für Kinder von sechs bis fünfzehn Jahren.

Neben Zahlen können auch Wörter aus dem kindlichen Wortschatz zur Überprüfung der

Gedächtnisleistung verwendet werden. Möglichkeiten zur einer solchen Überprüfung der

Hörgedächtnisspanne sind in der Regel nicht normiert und werden von verschiedenen

Institutionen und Verlagen angeboten. Einen guten Überblick über die Anbieter von

Diagnose- und Therapiematerialien findet sich bei Rosenkötter.258

Eine weitere Möglichkeit die Merkspanne von Wörtern zu ermitteln, bietet der Untertest

„Gedächtnisspanne für Wortfolgen (GW)“259 des Sprachentwicklungstest für drei- bis

fünfjährige Kinder. Auch in diesem Test wird ein Bereich des phonologischen

Arbeitsgedächtnisses gemessen. Die Gedächtnisspanne für Wortfolgen ist jedoch nicht mit

dem PGN-Test260 austauschbar. Grimm zeigt auch, dass beide Maße nur im mittleren Bereich

korrelieren.261

Im GW wird die Fähigkeit untersucht, bekannte aufeinanderfolgende, aber inhaltlich nicht

zusammenhängende Wörter zu speichern und in der vorgegebenen Reihenfolge

wiederzugeben. Im SETK 3-5 handelt es sich dabei um ausschließlich einsilbige Wörter, die

in 5 Wortfolgen so vorgegeben werden, dass kein semantischer Zusammenhang zwischen

256 ANGERMAIER 1977. 257 TEWES 1983. 258 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:203ff. 259 Vgl. GRIMM 2001:22f. 260 Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter. 261 Vgl. GRIMM 2001:59f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 91

ihnen besteht, um die Speicherung der Items mit Hilfe von inhaltlichen Beziehungen nicht zu

erleichtern.

Anzahl der

Wörter

Wortfolgen

Übungsaufgabe HUND

MAUS - TÜR

2 Wörter SCHUH – BETT

MILCH – BAUM

3 Wörter KOPF – LIED – BUCH

KUH – TISCH – MANN

4 Wörter SCHIFF – BALL – KIND – TURM

FRAU – STUHL – PFERD – TÜR

5 Wörter HUND – BETT – MILCH – LIED – KOPF

SCHUH – BAUM – TISCH – MAUS – KIND

6 Wörter BALL – SCHIFF – TURM – PFERD – STUHL

MILCH – BUS – KOPF – MANN – LIED

Tab. 4: Aufgabenstellung: Gedächtnisspanne für Wortfolgen

Entnommen aus: GRIMM 2001, 22.

Bei der Untersuchung werden dem Kind die einzelnen Wortfolgen langsam vorgesprochen,

wobei wiederum ein Ablesen von den Lippen zu vermeiden ist. Nach jeder Wortfolge wird

das Kind aufgefordert, diese zu wiederholen. Der Untertest wird abgebrochen, wenn ein Kind

beide Wortfolgen mit derselben Anzahl von Wörtern nicht richtig wiedergeben kann.

Die Anzahl der Wörter in der längsten korrekt wiederholten Wortfolge wird notiert. Sie ergibt

den Punktwert des Kindes für diesen Untertest. Die Höchstpunkteanzahl beträgt sechs.

Die Merkfähigkeit von längeren Einheiten als einzelnen Wörtern ist z.B. im Untertest

„Imitieren grammatischer Strukturen“ des Heidelberger Sprachentwicklungstests – HSET262

262 GRIMM & SCHÖLER 1991.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 92

gefordert. Dabei müssen ganze Sätze nachgesprochen werden, wobei im Vordergrund der

Untersuchung jedoch primär die Grammatik und nicht das Gedächtnis steht.

Ein ähnlicher Untertest ist auch Teil des Sprachentwicklungstests für drei- bis fünfjährige

Kinder (SETK 3-5). In diesem Untertest „Satzgedächtnis (SG)“263 geht es darum,

vorgesprochene Sätze korrekt wiederzugeben. Dabei zeigen sich die Fähigkeiten des Kindes,

grammatisches Wissen zu nutzen, das im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist.264

Die verwendeten Sätze sind unterschiedlich lang (sechs bis zehn Wörter) und in zwei

Gruppen geteilt. In der ersten Gruppe werden inhaltlich sinnvolle Sätze angeboten, deren

Komplexität und Länge zunehmen. Die zweite Gruppe besteht aus Sätzen, die zwar

syntaktisch-morphologisch korrekt gebildet sind, inhaltlich aber keinen Sinn ergeben.

Für die Reproduktion der einzelnen Sätze müssen diese zunächst verstanden und in ihren

Elementen repräsentiert werden. Dabei werden vom Kind Weltwissen und linguistische

Eigenschaften des Satzes in Verbindung gebracht. Je besser das linguistische Kenntnissystem

des Kindes, desto besser gelingt die Reproduktion, die wegen der Länge der Sätze nicht allein

auf einer Gedächtnisleistung beruhen kann. Bei der Reproduktion der inhaltlich

unzusammenhängenden Sätze wird das grammatische Regelsystem des Kindes besonders

gefordert, weil es nicht auf sein Weltwissen zurückgreifen kann.265

Satzbeispiele

Die Autos haben gehupt.

Die graue Maus wird von der Katze gejagt.

Die Ente sitzt neben dem Auto.

Lena lacht, nachdem sie gekitzelt wurde.

Ein fröhlicher Junge, der Steine sammelt, hüpft durch den Wald.

Tab. 5: Satzgedächtnis im SETK 3-5 (Beispiele für „sinnvolle“ Sätze)

Entnommen aus: GRIMM 2001:24.

263 Vgl. GRIMM 2001:23. 264 Vgl. EBENDA. 265 Vgl. GRIMM 2001:24.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 93

Satzbeispiele

Der Kindergarten wird von den roten Bären geschüttelt.

Eine Mütze, die Berge füttert, schläft.

Anna bellt, nachdem sie getrunken wurde.

Bevor der Goldfisch hinfällt, frisst er aus dem Fenster.

Ein frecher Fußball, der den alten Kasper heiratet, ist müde.

Der viereckige Indianer gießt den glücklichen Kuchen in einen Sack.

Tab. 6: Satzgedächtnis im SETK 3-5 (Beispiele für „sinnfreie“ Sätze)

Entnommen aus: GRIMM 2001:24.

Für die Auswertung werden die korrekt wiederholten Wörter gezählt, wobei die Reihenfolge

der Wörter und der inhaltliche Zusammenhang nicht bewertet werden.

Ein Wort ist nur dann als korrekt zu beurteilen, wenn es genauso konjugiert oder dekliniert ist

wie im vorgegebenen Satz. Für jedes richtig produzierte Wort erhält das Kind einen Punkt.

Zur Erfassung der auditiven Merkfähigkeit von längeren Einheiten kann der Untertest

„Textgedächtnis“ aus dem Heidelberger Sprachentwicklungstest verwendet werden.266

Dabei soll eine vorgelesene Geschichte vom Kind wiedergegeben werden. Natürlich

beeinflussen hier neben den Gedächtnisleistungen auch andere sprachliche und

nichtsprachliche Faktoren das Ergebnis.

Auf die Vorteile einer Überprüfung des auditiven Arbeitsgedächtnisses mit sog.

„Nichtwörtern“ wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.267 Eine solche Untersuchung

ermöglicht der „Mottiertest“, der ein Untertest des Zürcher Lesetests268 ist. Dabei wird von

den Kindern das Nachsprechen von sinnfreien Wortgebilden, die aus einer unterschiedlichen

Anzahl von offenen Silben bestehen, gefordert.

266 GRIMM & SCHÖLER 1991. 267 Vgl. Kapitel III/5.9. 268 LINDER & GRISSEMANN 1996.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 94

Der Mottiertest269 wurde von der Logopädin Grete Mottier entwickelt und bildet einen

Untertest bzw. ein Zusatzverfahren des Zürcher Lesetests270. Er besteht aus einer Reihe von

dreißig sinnfreien „Wörtern“. Diese Wortgebilde sind in fünf Gruppen unterteilt. Jede Gruppe

besteht aus sechs Wörtern, wobei die Silbenzahl bei jeder Gruppe um eine Silbe zunimmt,

d.h. es gibt sechs zweisilbige, sechs dreisilbige, sechs viersilbige, sechs fünfsilbige und sechs

sechssilbige Wörter bzw. Wortgebilde. Die einzelnen Wörter bestehen ausschließlich aus

offenen Silben der Konstruktion CV.

Testwortreihe des Mottiertests

rela kapeto pikatura katopinafe pekatorisema

noma giboda gabodila gebidafino dagobilaseta

godu lorema monalura ronamelita leraminofeko

mera topika topakimu tapikusawe kapotilafesa

luri nomari debagusi degobesaro bigadonafera

limo dugabe relomano muralenoka nomalirakosa

Tab. 7: Testwortreihe des Mottiertests

Entnommen aus: WELTE 1981:121.

Die Wörter werden dem Kind bei gleichmäßiger Betonung einzeln und deutlich

vorgesprochen. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht von den Lippen abgelesen werden kann.

Das Kind soll jedes Wort möglichst korrekt nachsprechen. Die Antworten werden notiert.

Im Zürcher Lesetest wird der Mottiertest als Verfahren „[...] zur Prüfung der phonematischen

Speicherung der sprechmotorischen Koordination und der Artikulation“271 bezeichnet. Ich

halte es allerdings für zweifelhaft, ob mit dem Mottiertest wirklich eine verlässliche

Überprüfung von sprechmotorischer Koordination und Artikulation möglich ist, da in den

Testwörtern z.B. keine Affrikaten und auch der Laut /���QLFKW�YRUNRPPW��$X�HUGHP�EHVWHKHQ�

alle Wörter aus offenen Silben. Diese Eigenschaften sind aber für die Überprüfung der

269 MOTTIER 1996. 270 LINDER & GRISSEMANN 1996:15-16. 271 MOTTIER 1996:15.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 95

Gedächtnisfunktion für Nichtwörter eigentlich von Vorteil, da die Ergebnisse seltener durch

Artikulationsschwierigkeiten verfälscht werden.

Im Zürcher Lesetest sind lediglich Vergleichswerte ab der zweiten Schulstufe angegeben.272

Normwerte für jüngere Kinder (ab 5 Jahren) finden sich bei Welte273 und Rosenkötter274.

Normwerte - Mottiertest

Alter (Jahre) 5 6 7 8 9 10 11 12 >12

Norm 17 19-20 22 23 23-24 24 25 25 26

Reduziert - - 16-18 17-19 18-20 19-21 20-22 20-22 21-23

Stark reduziert - - 12-15 13-16 14-17 15-18 16-19 17-19 18-20

Sehr stark reduziert - - <12 <13 <14 <15 <16 <17 <18

Tab. 8: Normwerte (nach Welte 1981)

Entnommen aus: ROSENKÖTTER 2001:76.

Für die Altersgruppe von 4 – 6 Jahren können also nur teilweise Normwerte angegeben

werden. Welte275 führt jedoch an, dass die Leistungen im Alter von 4 bis 6 Jahren nur

unwesentlich ansteigen. Der Mittelwert liege bei den 4- und 5-jährigen Kindern bei 16

richtigen Antworten, bei den 6-jährigen Kindern bei 17 richtigen Antworten.

Auch im Untertest „Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter (PGN)“ des SETK

3-5276 wird überprüft, inwieweit das Kind in der Lage ist, unbekannte Lautmuster zu

speichern und wiederzugeben. Angelehnt an das englischsprachige Vorbild von Gathercole et

al.277 wurde eine Liste von achtzehn zwei- bis fünfsilbigen Nichtwörtern oder Pseudowörtern

272 Vgl. EBENDA. 273 Vgl. WELTE 1981:124. 274 Vgl. ROSENKÖTTER 2001:76. 275 Vgl. WELTE 1981:124. 276 GRIMM 2001. 277 GATHERCOLE ET AL. 1994.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 96

kreiert. Die einzelnen Wörter unterscheiden sich neben der Silbenanzahl auch in ihrer

Wortähnlichkeit zu bekannten Wörtern.278

Aufgaben

Übungsaufgabe: MALUK

1. BILLOP

2. KALIFENG

3. DEFSAL

4. RONTERKLABE

5. TOSCHLANDER

6. ENTIERGENT

7. GATTWUTZ

8. GLÖSTERKEIT

9. DILECKTICHKEIT

10. KRAPSELISTONG

11. NEBATSUBST

12. SEREGROPIST

13. SKATAGURP

Tab. 9: Aufgabenstellung: phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter

Entnommen aus: GRIMM 2001:43.

Während der Untersuchung soll das Kind die einzeln Wörter nachsprechen, wobei wieder

darauf geachtet werden muss, dass ein Ablesen von den Lippen verhindert wird. Jede

(vollständig) richtig gelöste Aufgabe wird mit einem Punkt bewertet.

Bei Kindern mit Artikulationsproblemen (Dyslalien) ist diese Aufgabe naturgemäß schwierig

zu bewerten. Bei artikulatorisch nicht korrekt nachgesprochenen Wörtern bleibt letztendlich

unklar, auf welcher Ebene die Fehler verursacht werden. Die Ursache für ein falsch

nachgesprochenes Nichtwort kann entweder das Artikulationsproblem oder aber eine

fehlerhafte Repräsentation des Wortes im phonologischen Arbeitsgedächtnis sein.

Für den Fall einer multiplen Dyslalie schlägt Grimm eine doppelte Auswertung des Untertests

vor: einmal werden die Daten ohne Rücksicht auf die Dyslalie ausgewertet und einmal

werden die Artikulationsprobleme bei der Auswertung berücksichtigt. Durch den Vergleich

beider Ergebnisse lässt sich die Leistung des phonologischen Arbeitsgedächtnisses zumindest

abschätzen.279

278 Vgl. GRIMM 2001:21. Im Rahmen einer Voruntersuchung für den Test wurden die Nichtwörter von

Studierenden auf ihre semantische Nähe zu bekannten Wörtern eingestuft. 279 Vgl. GRIMM 2001:49.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 97

6.3.6. Diagnostik durch objektive audiometrische Untersuchungen

Neben subjektiven audiologischen und psychometrischen Methoden stehen objektive

audiologische Verfahren zur Überprüfung von Hörfunktionen zur Verfügung. Die

Bezeichnung „objektiv“ bezieht sich hier auf die Möglichkeit, diese Verfahren ohne aktive

Mitarbeit der untersuchten Person durchzuführen. Innerhalb der objektiven Methoden haben

für die Abklärung von auditiven Wahrnehmungsstörungen im Besonderen die

Stapediusreflexaudiometrie und die Ableitung von auditorisch evozierten Potentialen

Bedeutung.

Stapediusreflexmessung

Wird ein Ohr ausreichend laut beschallt, erfolgt normalerweise reflektorisch eine bilaterale

Kontraktion des M. stapedius. Die Kontraktion dieses Mittelohrmuskels, der am Steigbügel

(Stapes) ansetzt, führt zu einer Änderung der Schallübertragung im Mittelohr. Dadurch wird

eine Steigerung der akustischen Impedanz erreicht, die zum Schutz des Gehörs vor lauten

Reizen dient.

Der Reflexbogen mit einer Laufzeit von ca. 8 – 10 ms wird durch äußeres Ohr, Mittelohr,

Innenohr, Hörnerv und untere Anteile der zentralen Hörbahn (bis zum oberen Olivenkomplex

und Lemniscus lateralis) bestimmt, ist aber noch nicht in allen Details bekannt.280

Der Stapediusreflex wird durch luftdichtes Einbringen einer Sonde in den Gehörgang

gemessen. Mittels dieser Sonde werden Reize (Töne, Rauschen) definierter Lautstärke

präsentiert und die resultierende Impedanzänderung mit der gleichen Sonde nachgewiesen.

Dies kann ipsilateral (Beschallung und Nachweis auf der gleichen Seite) oder kontralateral

(Beschallung und Nachweis auf verschiedenen Seiten) erfolgen. Normalerweise liegt die

Reflexschwelle281 für Töne zwischen 90 und 115 dB Schalldruckpegel, für Breitbandrauschen

um 75 dB Schalldruckpegel.282

280 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:180. 281 Reflexschwelle = geringster Pegel, bei dem ein Reflex auslösbar ist. 282 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:182.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 98

Bei Störungen der Mittelohrfunktion (Mittelohrerguss, Missbildung etc.), bei ausgeprägteren

Innenohrstörungen oder bei Störungen der Hirnnerven V, VII oder VIII ist der Stapediusreflex

häufig beeinträchtigt.283

Bei zentralen Verarbeitungsstörungen fanden Esser et al.284 eine Vergrößerung des Abstandes

zwischen den Stapediusreflexschwellen für Töne und Schmalbandrauschen, der

normalerweise ca. 10 dB beträgt. Die Reflexschwelle für Töne war bei den untersuchten

Personen im Vergleich zur Reflexschwelle für Schmalbandrauschen deutlich erhöht.

Laut Nickisch et al.285 weisen höhere Stapediusreflexschwellen bei kontralateraler Messung

im Vergleich zur ipsilateralen Messung auf Störungen der Reflexverschaltung auf

Hirnstammebene hin. Matulat et al.286 berichten über Auffälligkeiten der

Stapediusreflexschwelle bei 63% der Kinder mit auditiven Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen, wobei nicht genauer angegeben wird, was unter Auffälligkeiten zu

verstehen ist.

283 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:91. 284 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12f. 285 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:28 286 Vgl. MATULAT ET AL. 1999:114.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 99

Elektrische Reaktionsaudiometrie

Neben der Reflexaudiometrie kommt auch der Ableitung akustisch evozierter Potentiale in

der Abklärung von auditiven Wahrnehmungsstörungen mitunter Bedeutung zu. Dieses

Verfahren wird auch als elektrische Reaktionsaudiometrie bezeichnet.

"Wirkt ein akustischer Reiz auf den Menschen ein, so kommt es zu elektrischen Vorgängen in

den Sinneszellen des Innenohres, dem Hörnerven und den zentralen Hörbahnen einschließlich

der kortikalen Assoziationszentren. Diese Vorgänge führen zu elektrischen Fernfeldern oder

Potentialen und magnetischen Feldern, die von ausgedehnten Bereichen des Schädels

abgeleitet werden können. Man spricht von auditiven Biopotentialen. Die Messung dieser

Biopotentiale am geschlossenen Schädel bezeichnet man als elektrische Reaktionsaudiometrie

(ERA).“287

Merkmale der elektrischen Antworten:

Bei den elektrischen Antworten auf akustische Stimulation unterscheidet man je nach

Latenzzeit (Zeit zwischen Reiz und Antwort) frühe (0 – 12 ms), mittlere (12 – 80 ms) und

späte (80 – 500 ms) Antworten.288

Die durch die akustische Stimulation erzeugten Potentiale sind sehr klein und werden von

Potentialen der Gesamtaktivität des ZNS überlagert. Es ist daher notwendig, ein

Mittelungsverfahren anzuwenden, um nur diese Potentiale darzustellen, die mit dem

akustischen Reiz in einem direkten zeitlichen Zusammenhang stehen.289

Durchführung der Untersuchung:

Die ERA ist eine recht aufwändige Untersuchung, die bestimmte technische Voraussetzungen

verlangt. Die Patienten/innen (bei Kindern die Eltern) müssen vor jeder Messung ausreichend

informiert werden. Der zu untersuchenden Person werden Elektroden angelegt, anschließend

wird sie beschallt und die elektrischen Antworten aufgezeichnet.

287 BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:213. 288 Vgl. ZOROWKA 2000:378. 289 Vgl. EBENDA.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 100

Um Störungen zu vermeiden, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Böhme & Welzl-

Müller290 nennen u.a. folgende:

• schallarmer Raum,

• elektrische Abschirmung (Vermeidung störender elektrischer Einflüsse),

• eine entsprechend entspannte Haltung der zu untersuchenden Person

(gegebenenfalls muss eine Sedierung oder Narkose durchgeführt werden),

• sorgfältige Reinigung der Haut (möglichst geringer Übergangswiderstand

zwischen Haut und Elektroden),

• unterschiedliche Führung von Elektroden- und Kopfhörerkabel.

In der allgemeinen pädaudiologischen Diagnostik haben die frühen auditorisch evozierten

Potentiale der Hirnstammaudiometrie (BERA)291 die größte Bedeutung.292

Die normale Hirnstammpotentialkurve besteht aus einem typischen Antwortmuster, das sich

in einer Wellenkonfiguration von 5 (6) Wellen zeigt, die mit den römischen Ziffern von I bis

V (VI) bezeichnet werden. Dabei kann die Entstehung der einzelnen „Wellenspitzen“ (Peaks)

unterschiedlichen anatomischen Arealen zugeordnet werden. Die Wellen I und II entstehen im

peripheren Hörnerv, die Wellen III bis V im Hirnstamm. Vermutlich steht die Welle III in

Verbindung mit dem Nucleus cochlearis, während die Wellen IV und V mehrere Generatoren

aufweisen, bei denen der Obere Olivenkomplex und die Kerne des Lemniscus lateralis eine

bedeutende Rolle spielen.293 Die exakte Zuordnung von Welle und anatomischer Struktur ist

jedoch noch nicht eindeutig geklärt.

290 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:221ff. 291 BERA = Brainstem evoked response audiometry. 292 Vgl. ZOROWKA 2000:378 f. 293 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:130f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 101

Nach Böhme & Welzl-Müller294 werden für die Interpretation der Antworten folgende

Parameter herangezogen:

• Morphologie / Muster der Antwort,

• Reaktionsschwelle / Reizantwortschwelle (geringster Pegel, bei dem eine Antwort

nachzuweisen ist),

• absolute Latenzzeiten der Wellen I, III und V,

• interaurale Latenzdifferenz: vor allem der Welle V bei überschwelliger

Stimulation,

• zentrale Leitzeit: Differenz der Latenzzeit zwischen den Wellen I und III, I und V,

III und V.

Diese Ergebnisse hängen von unterschiedlichen Faktoren ab: Messbedingungen, Patient/in

(Alter, Geschlecht), Funktion von Schallleitungsapparat, Cochlea, Nervus cochlearis und der

zentral akustischen Bahnen im Bereich des Hirnstamms.

Schließlich werden die Messergebnisse der Untersuchung mit den Werten von

Normalhörenden verglichen, die man an derselben Apparatur unter denselben Bedingungen

erhalten hat.295

Kinder mit Auffälligkeiten der auditiven Wahrnehmung weisen mitunter verlängerte

Interpeaklatenzen oder auch Seitenunterschiede auf. Die Ergebnisse sind jedoch nicht deutlich

ausgeprägt und auch nicht konsequent nachweisbar.296

Auch Rosenkötter297 führt an, dass die Hirnstammaudiometrie keine spezifischen Befunde

liefert, die zur routinemäßigen Abklärung von auditiven Wahrnehmungsproblemen beitragen

könnten.

Außer dem ist die Durchführung und Bewertung der BERA besonders bei Kindern schwierig,

da es ihnen häufig schwer fällt, während der (recht langen) Untersuchung ruhig genug zu

bleiben, so dass in einem bestimmten Alter häufig eine Sedierung unumgänglich ist.

294 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:231. 295 Vgl. EBENDA:232. 296 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:28. 297 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 102

Als weitere Möglichkeit, auditive Prozesse auf Hirnstammniveau zu untersuchen, empfiehlt

Delb298 das Binaurale Differenzpotential (BDP) früher auditorisch evozierter Potentiale. Es

handelt sich dabei um ein Potentialmuster, das dadurch entsteht, dass trotz identischer

Ableitungsbedingungen die Summe der monaural evozierten Potentiale nicht gleich dem

binaural evozierten Potential ist. Die Subtraktion beider Größen ergibt das binaurale

Differenzpotential. Das BDP scheint Ausdruck der binauralen Interaktion (z.B. beim

Richtungshören) zu sein und wird vorwiegend durch das Vorhandensein eines sog. �-Peaks

identifiziert. Zwar konnten bei Kindern mit Verdacht auf auditive Verarbeitungsstörungen

Amplitudenunterschiede im Vergleich zu Kindern ohne diesen Verdacht festgestellt werden,

allerdings bestehen hinsichtlich der Ableitung binauraler Differenzpotentiale weder Konsens

über die Nomenklatur noch über die Durchführung von Messung und Subtraktion. Außerdem

weist Delb299 darauf hin, dass gerade hinsichtlich der Potentialamplituden große

LQWHULQGLYLGXHOOH�9DULDQ]�EHVWHKW��(U�HPSILHKOW�HKHU�GLH�$XVZHUWXQJ�GHU�/DWHQ]�GHV��-Peaks.

Dennoch räumt der Autor ein, dass für eine routinemäßige Anwendung der BDP noch

umfangreiche Forschungen nötig seien.

Die Ableitung später auditorisch evozierter Potentiale (CERA)300 findet hinsichtlich der

Abklärung von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen ebenfalls Erwähnung.

Diese späten Antworten mit einer Latenz von 80 – 500 ms sind Ausdruck der Aktivität der

primären Hörrinde und assoziativen Rindenfeldern.301

Als Reize werden bei der CERA meist Ton-bursts302 verwendet, wodurch eine

frequenzabhängige Aussage möglich wird. Das Potential besteht aus der Abfolge einer relativ

raschen positiven Welle P1, der eine langsamere negative Welle N1 und wieder eine positive

Welle P2 folgen.

Die späten Antworten sind sehr vom Bewusstseinszustand der untersuchten Person abhängig.

Unterschiedliche Wachheitsgrade oder eine Sedierung können die Antwort sogar zum

298 Vgl. DELB 2003:99ff. 299 Vgl. EBENDA:102. 300 CERA = Cortical evoked response audiometry. 301 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:141. 302 Ton-burst = Ausschnitt aus Tönen unterschiedlicher Frequenz - meist mit trapezförmiger Umhüllenden.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 103

Verschwinden bringen. Außerdem wird die Auswertung der CERA durch starke

interindividuelle Schwankungen (Alter, Hirnreifung, Aufmerksamkeit) beeinflusst.303

Im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen konnten Auffälligkeiten der CERA in

Verbindung mit auditiven Verarbeitungsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen und Lese-

Rechtschreibstörungen gefunden werden. So beschreiben z.B. Esser et al.304 bei auditiv

auffälligen Kindern eine Umgestaltung des evozierten Potentials.

Aufgrund der geringen inter- und intraindividuellen Reproduzierbarkeit und ihrer

Abhängigkeit von Aufmerksamkeit und Vigilanz sind die Aussagen der späten auditorisch

evozierten Potentiale für die Routinediagnostik derzeit aber noch recht beschränkt.305

Ereigniskorrelierte Potentiale (ERP)306 mit einer Latenzzeit bis 350 ms können mit Ton-

oder Sprachsignalen evoziert werden. Bei der Untersuchung werden häufige und seltenere

Stimuli präsentiert und die evozierten Antworten getrennt gemittelt. Die Proband/en/innen

sollen sich auf die seltenen Stimuli konzentrieren oder aber diese Stimuli ignorieren, indem

sie gleichzeitig z.B. ein stummes Video betrachten.307

Bei der Aufforderung, auf die selteneren, abweichenden Reize zu achten, tritt nach etwa

300 ms ein positives Potential auf (P3 oder P300). Solche ereigniskorrelierte Potentiale

scheinen bei Kindern mit auditiven Wahrnehmungsstörungen häufig verzögert zu sein.308

Allerdings verlangt auch diese Untersuchung einen hohen Zeitaufwand sowie die nötige

Mitarbeit des Kindes.309

Werden die Potentiale nach dem Standardreiz und nach dem abweichenden Reiz gemessen,

erhält man durch Kurvensubtraktion der evozierten Antworten das sog. Mismatch-Negativity-

Potential (MMN). Dieses Potential ist unabhängig davon, ob das Kind auf das abweichende

Signal achtet oder nicht. Bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen berichtet

303 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:234f. 304 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12f. 305 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93. 306 ERP = Evant related potentials. 307 SCHÖNWEILER 2001:23f. 308 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:145. 309 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 104

Suchodoletz310 über Veränderungen der MMN auf unterschiedliche Tonhöhen. Diese

Veränderungen zeigten sich jedoch nicht, wenn die Unterschiede der Stimuli die Tondauer

betrafen.

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die kortikal evozierten Potentiale aufgrund der

genannten Schwierigkeiten (hoher Aufwand, nötige Kooperationsfähigkeit der untersuchten

Person, Abhängigkeit von vielen externen Faktoren etc.) und auch aufgrund fehlender

standardisierter Messbedingungen und divergierender Untersuchungsergebnisse in der

Routinediagnostik noch wenig Bedeutung haben.

Auf der anderen Seite betonen Nickisch et al.311, dass in der Ableitung von kortikalen

Potentialen eine Fülle von wissenschaftlichen Möglichkeiten stecken. Der technische

Fortschritt mache durchaus Hoffnung, dass in Zukunft eine Reduktion des Messaufwandes

und eine Vereinheitlichung von Untersuchungs- und Auswertungsbedingungen erreicht

werden könnten.

Auch Chermak & Musiek312 weisen darauf hin, dass trotz der Tatsache, dass MMN und P300

auch von anderen Erkrankungen beeinflusst würden, diese Verfahren prinzipiell die Kapazität

und Flexibilität in sich trügen, komplexe Prozesse der Hörverarbeitung und ihren

Zusammenhang mit kognitiven Fähigkeiten zu überprüfen.

310 Vgl. SUCHODOLETZ 1997:41. 311 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:29. 312 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:150.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 105

6.3.7. Screening der auditiven Wahrnehmung

Es ist naheliegend, dass bei der riesigen Anzahl an Untersuchungsverfahren und

Testmethoden, die für die Diagnostik von auditiven Funktionen zur Verfügung stehen, das

Verlangen nach einer übersichtlichen und praktikablen, aber dennoch validen Testbatterie

groß ist. Unmöglich kann ein Kind mit Verdacht auf zentral auditive Wahrnehmungsstörung

allen oben genannten Untersuchungen unterzogen werden. Dies würde einerseits die

Kapazität des Kindes aber auch den zu rechtfertigenden Aufwand an Personal- und

Materialkosten deutlich überschreiten.

Auch im Hinblick auf ein Screeningverfahren, das eine erste Identifizierung von Kindern mit

auditiven Wahrnehmungsdefiziten ermöglichen sollte, wäre es von Bedeutung, über eine

geeignete und evaluierte Testzusammenstellung zu verfügen. Dies ist im deutschen

Sprachraum leider noch nicht der Fall.

Das Ziel eines Screening-Verfahrens, einer Aussonderungsdiagnostik ist es, mit hoher

Wahrscheinlichkeit jene Individuen herauszufiltern, die eine bestimmte Erkrankung

aufweisen. Dabei sind u.a. folgende Überlegungen von Bedeutung:313

• Sensitivität und Spezifität der verwendeten Verfahren,314

• Zeit und Kosten des Screenings im Vergleich zur üblichen Testbatterie,

• Aufwand an Personal und Einschulung desselben,

• Kosten für Durchführung und Aufsicht.

Außerdem muss überlegt werden, ob alle Individuen einer bestimmten Population getestet

werden sollen oder nur sog. Risikogruppen (für ein Screening von auditiven

Wahrnehmungsstörungen wären dies vermutlich Kinder mit Entwicklungsbeeinträchtigungen

wie Lernstörungen oder Sprachentwicklungsproblemen).

313 Vgl. MEDWETSKY 2001a:512. 314 Der Begriff Sensitivität bezeichnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bei einem positiven

Testergebnis auch tatsächlich eine Krankheit vorliegt; ausgeschlossen werden müssen deshalb die falsch

positiven Befunde (Proband/in ist gesund, resultiert im Test aber als auffällig). 314 Der Begriff Spezifität bezeichnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bei Vorliegen einer Erkrankung

der/die Patient/in als solche/r auch identifiziert werden kann; ausgeschlossen werden müssen die falsch

negativen Ergebnisse (Proband/in ist krank und resultiert im Test als gesund).

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 106

In der englischsprachigen Literatur finden sich mehrere Testzusammenstellungen, die als

Screening von auditiven Wahrnehmungsstörungen verwendet werden.

Eines dieser Verfahren ist der „Screening Test for Auditory Disorders (SCAN)“.315 Der

SCAN-Test ist für die Altersgruppe von drei bis elf Jahren konzipiert. Er enthält die vier

Subtests: filtered words (40 einsilbige Wörter, bei denen die tiefen Frequenzen

herausgeschnitten wurden, werden monaural angeboten), auditory figure ground (40

einsilbige Wörter vor dem Hintergrund eines Stimmengewirrs), competing words (100

Einsilber werden als dichotische Wortpaare präsentiert), competing senctences (Sätze werden

dichotisch präsentiert). Ein Screening mit Hilfe des SCAN-Tests ist in ca. 20 Minuten

durchzuführen.316

Als weitere Screening-Methoden werden dichotische Tests, z.B. der „Selective Auditory

Attention Test (SAAT)“317 und die Überprüfung der Gedächtnisspanne für Zahlen

verwendet.318

Anlässlich der Konsensus-Konferenz in Dallas wurde für die Testung von Kindern im Alter

von über sechs Jahren empfohlen, dass ein Screening-Verfahren einen dichotischen Zahlentest

und einen Gap-Detection-Test enthalten sollte. Für jüngere Kinder müssten erst geeignete

Testmethoden entwickelt werden. Hier sei eher die Verwendung von Fragebögen

vorzuziehen.319

Solche Fragebögen oder Skalen für Lehrer/innen, Kindergärtner/innen etc. und/oder Eltern

enthalten Fragen, die sich einerseits auf die allgemeine kindliche Entwicklung beziehen und

anderseits mit spezifischen auditiven Leistungen in Zusammenhang stehen. Im

angloamerikanischen Raum sind mehrere solcher (normierter) Fragebögen im Einsatz.320

Kinder, die in einer solchen Befragung auffallen, müssten dann einer weiteren Abklärung

zugeführt werden.

315 Vgl. KEITH 1986; KEITH 2000. 316 Vgl. MEDWETSKY 2001:513. 317 Vgl. CHERRY 1980. 318 Vgl. MEDWETSKY 2001a:513. 319 Vgl. JERGER & MUSIEK 2000:468ff. 320 Vgl. MEDWETSKY 2001a:512f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 107

Für den deutschen Sprachraum werden zur Erleichterung der Anamnese zwar auch

Fragebögen verwendet, für die es aber kaum Vergleiche von Normgruppen gibt.321

Ein orientierendes Screening-Verfahren für deutschsprachige Kinder wird von Lauer322

vorgeschlagen. Dabei werden die einzelnen auditiven Teilfunktionen (Aufmerksamkeit,

Speicherung und Sequenz, Lokalisation, Diskrimination, Selektion, Analyse, Synthese,

Ergänzung) anhand von jeweils zehn Items orientierend untersucht. Als Material dienen

Bildkarten, ein Kassettenrecorder, eine Kassette mit Umgebungsgeräuschen sowie ein

Untersuchungsbogen. Für die Überprüfung des Richtungshörens (Lokalisation) wird eine

Anlage mit vier Lautsprechern verwendet. Leistungen unter 30% in einer Teilfunktion gelten

als deutlich auffällig und bedürfen einer weiteren Testung durch andere Verfahren. Aufgrund

der geringen Item-Zahl von 10 kann von einer wirklich sicheren Beherrschung einer Funktion

erst ab einer Leistung von 90% ausgegangen werden.323

Auch für diese Test-Zusammenstellung fehlt eine entsprechende Standardisierung.

Altersabhängige Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Leistungen werden nicht

berücksichtigt. Lauer betont, dass die vollständige Bewältigung einzelner Aufgaben (z.B. zur

Analyse, Synthese oder Ergänzung) erst ab einem Alter von sechs Jahren zu erwarten sei.

Das Verfahren hat jedoch einen großen Vorteil: Das benötigte Material (bis auf die

Lautsprecheranlage) ist leicht zu beschaffen und die betreffenden Kinder könnten daher gleich

in der logopädischen Praxis (zumindest orientierend) untersucht werden.

321 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2001:68ff; MEISTER ET AL. [im Druck]. 322 Vgl. LAUER 2001:31ff. 323 Vgl. EBENDA:33.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 108

6.3.8. Probleme der Diagnostik

In den vergangenen Kapiteln wurde deutlich, dass es sich bei der Diagnostik von auditiven

Wahrnehmungsstörungen um kein einfaches Unterfangen handelt. Dieser Umstand ergibt sich

schon dadurch, dass nicht einmal völlig geklärt ist, wodurch dieses Störungsbild eigentlich

genau charakterisiert ist. Eine einheitliche, allgemein akzeptierte und spezifische Definition

fehlt. Die vorhandenen Definitionen324 sind so weit gefasst, dass eine Abgrenzung zu anderen

spezifischen Störungen (Aufmerksamkeitsdefiziten, Sprachverarbeitungsstörungen,

Gedächtnisleistung etc.) schwierig ist. Außerdem sind in den Definitionen viele auditive

Einzelfunktionen subsummiert, so dass die Definition an sich unbrauchbar wird, werden diese

einzelnen Funktionen nicht zusätzlich spezifiziert. Dies ist jedoch aufgrund fehlender valider

diagnostischer Kriterien kaum oder nicht möglich.

Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass es sich bei auditiven Wahrnehmungsstörungen

nicht um ein einheitliches Konstrukt handelt. Wäre dies der Fall, so wäre es im Grunde

irrelevant, welchen Test man für die Diagnostik verwendet, da sich schlechte auditive

Leistungen in jedem Verfahren zeigen müssten. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall.

Dies zeigen auch die geringen Interkorrelationen einzelner auditiver Tests325. Das heißt,

schlechte Leistungen in einem bestimmten Testverfahren bedeuten nicht zwingend auch

schlechte Leistungen in einem anderen Testverfahren. Die einzelnen auditiven Funktionen

zeigen sich weitgehend unabhängig voneinander.

324 Vgl. die Definitionen der ASHA und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie in Kapitel

III/6.1. 325 Vgl. BERWANGER 2001:55; FISCHER 2003:66.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 109

Auditive Wahrnehmungsstörungen sind also ein multifaktorielles und mehrdimensionales

Phänomen, welches nicht anhand eines einzelnen Testverfahrens diagnostiziert werden kann.

Darüber ist man sich einig. Die Einigkeit endet aber dort, wo es um die Auswahl und

Durchführung geeigneter Testverfahren geht. Beinahe jede Forschungsgruppe – meist handelt

es sich dabei um phoniatrisch-pädaudiologische Abteilungen – verwendet ihre eigene, selbst

entwickelte oder zusammengestellte Testbatterie. Ein Vergleich der ermittelten Daten wird

dadurch natürlich sehr schwierig oder sogar unmöglich gemacht.

Die angewandten Testverfahren werfen bezüglich mehrerer Gesichtspunkte Probleme auf. Mit

Ausnahme der Verfahren, die als Subtests aus standardisierten Testbatterien zur Überprüfung

von Intelligenz, Sprachfähigkeiten etc. „entlehnt“ wurden, sind beinahe alle Tests nicht oder

nur unzureichend normiert.

Uttenweiler326 weist darauf hin, dass eine gute Sensitivität und Spezifität eines Testverfahrens

nur dann erreicht werden kann, wenn eine ausreichend große Anzahl von Patient/en/innen mit

klar definierten Störungsbildern untersucht werden kann und die Ergebnisse mit gesunden

Proband/en/innen verglichen werden können. Die Heterogenität der Symptome und Ursachen

von Störungen der zentral-auditiven Wahrnehmung macht solche Vergleiche aber sehr

schwierig.

Die wenigsten Verfahren wurden auf ihre Zuverlässigkeit (Reliabilität) hin überprüft. Eine

Bestimmung der Retest-Reliabilität für den SCAN-Test nach einem Zeitraum von sechs

Monaten ergab keine zufriedenstellenden Ergebnisse.327

326 Vgl. UTTENWEILER 2001:12. 327 Vgl. BERWANGER 2001:44f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 110

Der Zusammenhang zwischen auditiven Funktionen und allgemeinen kognitiven Faktoren

wie Intelligenz, Konzentrationsvermögen, Aufmerksamkeit etc. ist häufig unbekannt. So

bleibt bei der Überprüfung von auditiven Funktionen mit Hilfe von subjektiven Testmethoden

meist fraglich, ob schlechte Ergebnisse tatsächlich aufgrund von Defiziten der auditiven

Leistungen oder aber vielleicht durch Einschränkungen von Aufmerksamkeit und

Konzentrationsfähigkeit erzielt werden. Zwar konnte Berwanger328 in einer

Stichprobenuntersuchung von 126 normal entwickelten Kindern keinen signifikanten

Zusammenhang zwischen Intelligenz und auditiven Leistungen feststellen, auch eine

Abhängigkeit von der allgemeinen Konzentrationsfähigkeit konnte von ihr nur für einzelne

auditive Funktionen nachgewiesen werden. Doch wurden in die Untersuchung nur einzelne

Tests auditiver Funktionen einbezogen, für viele andere Verfahren wurde der Einfluss von

Aufmerksamkeit und Konzentration noch nicht überprüft.

Sehr problematisch für die Diagnostik erweist sich auch die Altersabhängigkeit einzelner

auditiver Leistungen. So zeigt z.B. Fischer329 anhand der Daten von ca. 500 Kontrollpersonen

in unterschiedlichen Altersgruppen, dass einzelne auditive Fähigkeiten

(Lautstärkenunterscheidung, Tonhöhenunterscheidung, Lückenerkennung, Zeitordnung,

Seitenordnung) starken Altersschwankungen unterworfen sind. Bei allen fünf Fähigkeiten

nahm die Leistungsfähigkeit im Alter von 7 bis ca. 20 Jahren deutlich zu, erreichte dann ein

Plateau und nahm für einzelne Fähigkeiten ab ca. 35 Jahren wieder langsam ab. Das bedeutet,

dass die Entwicklung dieser Funktionen sich bis in das junge Erwachsenenalter zieht. Daraus

ergebe sich die Notwendigkeit, Vergleichswerte für unterschiedlicher Altersgruppen zur

Verfügung zu haben, um die untersuchten Kinder mit Verdacht auf eine auditive

Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung überhaupt richtig einordnen zu können. Solche

Vergleichswerte gibt es aber für die meisten Tests nicht.

328 Vgl. BERWANGER 2001:51f. 329 Vgl. FISCHER 2003:64ff.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 111

Zahlreiche vorgeschlagene Verfahren zur Überprüfung auditiver Funktionen verlangen ein

hohes Maß an Kooperation sowie ausreichende Aufmerksamkeit der untersuchten Kinder.

Dadurch sind sie zwangsläufig für Kinder im Vorschulalter ungeeignet. So zeigt z.B.

Berwanger330 in der oben angeführten Untersuchung, dass die meisten nonverbalen Verfahren

von Kindern unter 6 Jahren nicht ausreichend verstanden werden und ihre Ergebnisse daher

keine verlässlichen Werte liefern.

Auch objektive Messmethoden wie die elektrische Reaktionsaudiometrie verlangen von den

untersuchten Personen eine gute Kooperationsfähigkeit, die bei Kindern nur in

eingeschränktem Maße gegeben ist. So ist die Anwendung der meisten objektiven Verfahren

wie die CERA oder die Messung von ereigniskorrelierten Potentialen vor allem für die

Diagnostik von jüngeren Kindern kaum brauchbar. Auch intra- und interindividuelle

Varianzen der Ergebnisse solcher Untersuchungen, ihre Beeinflussbarkeit durch externe

Faktoren sowie eine häufig fehlende Standardisierung der Messbedingungen erschweren den

Einsatz dieser Verfahren in der Diagnostik von auditiven Wahrnehmungsdefiziten.

In diesem Zusammenhang muss auch auf eine weitere Schwierigkeit vieler Studien

hingewiesen werden. Oft werden die Untersuchungsergebnisse eines bestimmten

Testverfahrens von Kindern „mit“ und „ohne“ auditive Wahrnehmungsstörung verglichen.

Dabei bleibt sehr häufig unklar, wie diese Trennung von Testgruppe und Kontrollgruppe

erfolgte, bzw. nach welchen Kriterien die Kinder als auditiv wahrnehmungsgestört eingestuft

wurden. Es fehlt also in vielen Fällen ein geeignetes Außenkriterium, das die Testgruppe von

der Kontrollgruppe trennt und dadurch einen Vergleich der Ergebnisse überhaupt möglich

macht.

330 Vgl. BERWANGER 2001:49f.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 112

Neben den bereits genannten Schwierigkeiten wirft die Diagnostik von auditiven

Wahrnehmungsstörungen auch noch weitere Probleme auf. So ist für einige Tests unklar,

welchen Stellenwert sie eigentlich für die auditive Wahrnehmung und im Besonderen für

alltagsrelevante Funktionen auditiver Leistungen haben.331

Auch die Aussagekraft, ob und in welcher Form eine Therapie der diagnostizierten Störung

indiziert ist, ist für viele Tests nur mäßig oder gar nicht vorhanden. Ein weiteres Problem ist

die Tatsache, dass viele Verfahren keine ausreichende Selektivität besitzen, da sie meist nicht

nur eine einzelne auditive Funktion messen, sondern mehrere auditive und andere Faktoren

das Ergebnis beeinflussen.

Für die praktische Anwendung sind auch Fragen des technischen und personellen Aufwands

sowie der Kosten einer Untersuchung relevant. Viele Verfahren kommen zur Zeit für eine

routinemäßige Anwendung schon deshalb nicht in Frage, weil ihr technischer, zeitlicher und

personeller Aufwand in keiner Relation zur Aussagekraft der zu erwartenden Ergebnisse

steht. Auch die psychische und physische Kapazität des Kindes begrenzt eine „ungehemmte“

Diagnostik. So muss die Anzahl und Art der möglichen Untersuchungen zwangsläufig so

begrenzt werden, dass diese für das untersuchte Kind auch zumutbar sind. Die Dauer eines

Untersuchungsganges darf in den meisten Fällen nicht mehr als eine Stunde betragen.332

Für eine Klärung des Zusammenhangs von auditiven Wahrnehmungsproblemen und

Störungen der Sprachentwicklung wäre es notwendig, Aussagen über die auditive

Verarbeitungs- und Wahrnehmungsfähigkeit von Kindern im Vorschulalter zu erhalten. Die

oben angeführten Schwierigkeiten, die im Rahmen der Diagnostik von auditiven

Wahrnehmungsproblemen auftreten, erschweren aber im Besonderen die Abklärung jüngerer

Kinder. Die meisten Verfahren können bei diesen Kindern gar nicht durchgeführt werden,

weil sie entweder zu schwierig sind oder ein bestimmtes Maß an Kooperationsfähigkeit

voraussetzen, das in dieser Altersgruppe nur schwer zu erreichen ist.

331 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:84. 332 Vgl. EBENDA:85.

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Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 113

Nonverbale Tests333 und die meisten objektiven Verfahren334 scheiden zumindest für eine

routinemäßige Überprüfung aus diesen Gründen aus.

Unter anderem weist auch Hess335 darauf hin, dass Kinder mit dem Verdacht auf eine auditive

Wahrnehmungsproblematik ein höchst heterogenes Patientenkollektiv bilden. Die

Ausprägung der Symptomatik ist äußerst variabel und manchmal sogar tageszeitabhängig.336

Zusätzlich wird die Durchführung der Diagnostik durch die limitierte Mitarbeit der Kinder

erschwert.

Abgesehen davon, dass auch für einige verbale und psychometrische Methoden

Vergleichswerte von jüngeren Kindern fehlen,337 haben diese Verfahren den Nachteil, dass

mit ihnen nicht nur rein auditive Funktionen, sondern auch Sprachverarbeitungsfähigkeiten

gemessen werden.338 Auf der anderen Seite sind psychometrische Tests ohne großen

technischen und personellen Aufwand durchzuführen und ermöglichen eine orientierende

Untersuchung der Kinder auch in der logopädischen Praxis.

333 Vgl. Kapitel III/6.3.3. 334 Vgl. Kapitel III/6.3.6. 335 Vgl. HESS 2001:594. 336 Vgl. UTTENWEILER 2001:12. 337 Vgl. Kapitel III/6.3.4 und III/6.3.5. 338 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:24; DELB 2003:100.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 114

6.4. Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen

Bis hierher haben wir auditive Wahrnehmungsstörungen als klinisches Phänomen kennen

gelernt, das immer noch einer eindeutigen Definition entbehrt und dessen Diagnostik mit

zahlreichen, zum Teil unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden ist.

Dennoch gibt es bei vielen Kindern beobachtbare Verhaltensweisen, die zumindest intuitiv

auf ein Problem der Verarbeitung von auditiven (im Besonderen von sprachlichen) Reizen

schließen lassen. Defizite beim Behalten von auditiven Informationen, bei der Diskrimination

von Phonemen oder im Umgang mit rhythmischen Elementen zeigen sich z.B. bei vielen

Kindern mit Sprachentwicklungsauffälligkeiten.

Dies führte schon vor geraumer Zeit dazu, dass sich u.a. Logopädinnen und Logopäden über

diese „Verarbeitungsprobleme“ Gedanken machten. Da die Phänomene einerseits

offensichtlich waren, es aber vielfach an theoretischem Hintergrund fehlte, war der

therapeutische Zugang zunächst vorwiegend pragmatisch. Das Training der defizitären

Leistungen wurde einfach in die logopädische Therapie eingebaut. Dabei war es zunächst

egal, ob die kindlichen Schwierigkeiten aufgrund von Gedächtnisdefiziten und

Aufmerksamkeitseinschränkungen im Allgemeinen oder durch eine spezifisch auditive

Störung verursacht wurden.

Durch das enorm wachsende Interesse am Phänomen der auditiven Wahrnehmung und ihrer

möglichen Störung in den letzten Jahren kamen andere Perspektiven und Sichtweisen dazu.

Die Problematik wurde aus phoniatrisch-pädaudiologischer, psychologischer, pädagogischer,

linguistischer und logopädischer Sicht beleuchtet und neu diskutiert. Man begnügte sich nicht

mehr damit, auf beobachtbare Verhaltensweisen in pragmatischer Weise zu reagieren,

sondern wollte und will der Sache auf den Grund gehen. Die Suche nach Ursachen, genau

definierbaren Erscheinungsbildern und diagnostischen Möglichkeiten dieses äußerst

komplexen und heterogenen Phänomens führte dazu, dass die einzelnen Gruppen von

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern teilweise völlig divergierende Ansichten

vertreten.

Diese unterschiedlichen Ansichten und Herangehensweisen spiegeln sich auch in den

Vorschlägen zur Behandlung von auditiven Wahrnehmungsstörungen wider.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 115

Die Palette der empfohlenen Behandlungsansätze reicht von einem allgemeinen

„Horchtraining“ mit technisch veränderter Musik oder einer Klangtherapie über das Training

einzelner auditiver Leistungen bis hin zu pädagogisch-therapeutischen Übungsprogrammen,

die nonverbale und verbale auditive Übungen beinhalten. Darüber hinaus werden Geräte

angeboten, mit denen auditive Funktionen wie die Ordnungsschwelle oder die

Lückenerkennung geübt werden können. Für die therapeutische Intervention werden auch

Compact-Disks mit auditiven Trainingsaufgaben und „Lauschspielen“, Anlagen zur

verbesserten Schallübertragung in Klassenzimmern oder auch eine Hörgeräteversorgung

empfohlen. Hesse et al. schlagen bei auditiven Wahrnehmungsstörungen sogar eine stationäre

Intensivtherapie vor.339

Wie es bei schon bei den einzelnen Verfahren zur Diagnostik von auditiven

Wahrnehmungsstörungen der Fall war, gibt es auch hinsichtlich der Einteilung der

verschiedenen Therapieansätze und Methoden keine Einheitlichkeit.

Bei Lauer340 findet sich z.B. eine Einteilung nach folgenden Bereichen:

• Teilfunktionsorientierte Ansätze:

Dazu gehören Methoden, die an der Behandlung der einzelnen auditiven

Funktionen (Lokalisation, Diskrimination, Speicherung und Sequenz, Analyse etc.)

ansetzen. Die Behandlung kann in Form von Einzel- oder Gruppentherapie

stattfinden und durch computerunterstützte Verfahren ergänzt werden.

• Psychomotorische Ansätze:

Hier kommen Verbindungen zwischen Motorik und rhythmisch-melodischen

Elementen zum Einsatz. Diese Ansätze fließen vorwiegend in

gruppentherapeutischen Interventionen ein und verfolgen das Ziel einer eher

indirekten Verbesserung der auditiven Wahrnehmung durch die Verbindung von

auditiven Stimuli und Motorik.

339 Vgl. HESSE ET AL. 2001. 340 Vgl. LAUER 2001:35f.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 116

• Technische Ansätze:

Bei diesen Verfahren wird versucht, mit Hilfe von speziell entwickelten

technischen Geräten Teilaspekte der auditiven Verarbeitung zu trainieren. Zu

diesen Teilaspekten zählen auditive Funktionen wie die Ordnungsschwelle oder

die Tonhöhenunterscheidung. Auch ein allgemeines „Horchtraining“ mit speziell

gefilterter Musik ist in diesem Zusammenhang zu nennen.

• Kompensatorische Ansätze:

Hier wird meist der visuelle Sinneskanal zur „Kompensation“ gestörter auditiver

Leistungen genutzt. Computerprogramme, die eine bildliche Darstellung von

auditiven Reizen ermöglichen, werden dabei als eine Art „Feedback-Methode“

innerhalb der Therapie und zur Übung im häuslichen Bereich eingesetzt. Zu den

kompensatorischen Ansätzen müssen auch der Einsatz von akustischen Anlagen

zur Verbesserung der Raumakustik für einzelne Kinder oder auch ganze

Schulklassen und die Versorgung mit Hörgeräten gezählt werden.

Eine andere Einteilung der einzelnen Therapieverfahren findet sich bei Ferre.341 Sie

unterscheidet zwischen Bottom-up-Therapien und Top-down-Therapien.

Bottom-up-Therapien gehen von einer Informationsverarbeitung aus, die durch die

spezifischen akustischen Eigenschaften des Stimulus beeinflusst wird. Diese Eigenschaften

müssen von den Hörerinnen und Hörern entschlüsselt werden, um weiter verarbeitet werden

zu können. Bei auditiven Wahrnehmungsproblemen ist die Fähigkeit zur Entschlüsselung der

akustischen Signale gestört, kann aber durch entsprechendes Training der gestörten

Funktionen verbessert werden. In Trainingsprogrammen wird das Signal z.B. hinsichtlich

seiner zeitlichen Faktoren zunächst so „vereinfacht“, dass eine Verarbeitung auch bei

gestörter auditiver Wahrnehmung gut möglich ist. Zunehmend wird dann diese

„Vereinfachung“ wieder rückgängig gemacht, um schließlich eine normale

Verarbeitungsfähigkeit zu erlangen. Zu solchen Bottom-up-Therapien zählen Verfahren wie

341 Vgl. FERRE 2001:526ff.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 117

das Fast ForWord Program342 oder Übungsprogramme zur Verbesserung der zeitlichen

Verarbeitung von akustischen Stimuli.

Top-down-Therapien gehen von der Annahme aus, dass auditive Verarbeitung durch höhere

Ebenen wie Motivation, Wissen und Erwartungen beeinflusst wird. So muss man z.B. in

geräuschvoller Umgebung nicht wirklich alle akustischen Elemente eines Satzes gehört

haben, um ihn dennoch zu verstehen. Aufgrund des linguistischen und situativen

Zusammenhangs sind wir in der Lage, die fehlenden Elemente zu ergänzen. Top-down-

Therapien versuchen, diese metalinguistischen und metakognitiven Strategien zu verbessern.

Dazu gehören u.a. Methoden zur Verbesserung von Gedächtnisfunktion und

Aufmerksamkeit.343

Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Behandlungsansätze im deutschsprachigen Raum

übersichtsartig darstellen. Dabei erscheint mir in Hinblick auf ihre Bedeutung für die

Sprachentwicklung die Einteilung der Therapiemethoden in nonverbale und verbale

Verfahren am sinnvollsten.

342 Siehe auch Kapitel III/6.4.1. 343 Vgl. FERRE 2001:582f.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 118

6.4.1. Nonverbale Therapieverfahren

Signalverbessernde Interventionen

Für Kinder mit auditiven Wahrnehmungsstörungen werden neben gezielten,

störungsspezifischen auditiven Übungen in therapeutischen und häuslichen Settings auch

signalverbessernde Interventionen empfohlen. Dazu gehört z.B. die Veränderung der

Sitzposition der betroffenen Schulkinder innerhalb des Klassenzimmers. Kinder mit auditiven

Schwierigkeiten sollten vorne seitlich sitzen, um eine verbesserte akustische Wahrnehmung

der Lehrer/innen und Mitschüler/innen zu ermöglichen. Da das Mundablesen das

Sprachverstehen unterstützt, ist es für betroffene Kinder günstig, das Mundbild der

sprechenden Personen im Blickfeld zu haben. Auch Räume mit Teppichböden und

schallschluckender Wandverkleidung verbessern die akustische Situation für das Kind.344

Als weitere signalverbessernde Intervention wird neben der strategischen Platzwahl im

Klassenzimmer von einigen Autorinnen und Autoren auch der Einsatz von sog. FM-Anlagen

(Frequenz-Modulations-Anlagen; das sind drahtlose Hör-Sprach-Anlagen zwischen Lehrer/in

und Schüler/n/innen) empfohlen. Außerdem sollte bereits bei Vorliegen einer minimalen

peripheren Hörstörung eine Hörgeräteversorgung überlegt werden, da sich schon

geringgradige Schallempfindungsprobleme deutlich auf die Störschallunterdrückung

auswirken.345

Lt. Rosenkötter346 kann es in Einzelfällen aber auch sinnvoll sein, ein Hörgerät zu verordnen,

selbst wenn keine periphere Hörbeeinträchtigung vorliegt.

Unter anderem weisen jedoch Nickisch et al.347 darauf hin, dass Hörgeräte und FM-Anlagen

wegen ihrer potentiell hörschädigenden Wirkung nur unter strenger pädaudiologischer

Überwachung und nur in Einzelfällen angepasst werden sollen.

344 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:36f; WURM-DINSE & ESSER 1997:35. 345 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:36f. 346 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:115. 347 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:37.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 119

„Horchtraining“ und „Klangtherapie“

Der französische HNO-Arzt Alfred Tomatis entwickelte in den 50er Jahren des 20. Jh. eine

besondere Form der Therapie zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und für die

Behandlung psychischer Störungen.348 Nach seiner Auffassung kommt dem Ohr bzw. dem

„Horchen“ eine zentrale Bedeutung für die menschliche Existenz und ihre Einbindung im

Kosmos zu. Das menschliche Hören werde vor allem durch die vorgeburtlichen

Schallbedingungen im Mutterleib geprägt. Tomatis ging damals von der Vorstellung aus, dass

das Fruchtwasser wie ein Hochpassfilter wirke und daher nur hochfrequente Reize an das

kindliche Ohr gelangen könnten.349 Er schrieb diesen hohen Frequenzen eine besonders

heilsame Wirkung zu und arbeitete in Folge mit speziell gefilterten Klängen und gefilterter

Sprache, die den betroffenen Personen über Kopfhörer zugeführt wurden.350 Die Arbeit

Tomatis´ wurde von seinem Mitarbeiter Guy Bérard modifiziert und fortgeführt. Tomatis-

Zentren haben sich in der ganzen Welt etabliert, während die Therapieform von Bérard

zunächst auf Frankreich, die USA und England beschränkt blieb. In den letzten Jahren wurde

sie jedoch von Claudia Nyffenegger in der Schweiz unter dem Namen „Auricula-Therapie“

weiterentwickelt.351

Allen genannten Vorgangsweisen ist gemeinsam, dass technisch veränderte Musik-, Klang-

und Sprachangebote über Kopfhörer vermittelt werden – in der Hoffnung, nachhaltige Effekte

in zahlreichen Bereichen zu erzielen.

Im Jahr 2000 erfolge eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, der

Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen (ADANO), der

Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie und der

Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie zur theoretischen Grundlage und

Wirksamkeit des Hörtrainings nach Tomatis und der Klangtherapie.352

348 Vgl. TOMATIS 2000. 349 Anm.: Tatsächlich hört das ungeborene Kind vorwiegend tiefe Frequenzen (Puls der Mutter, Darmgeräusche,

tieffrequente Geräusche der Außenwelt). 350 Vgl. TOMATIS 1987, 58ff. 351 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:188ff; KARCH ET AL. 2000:334ff. 352 Vgl. KARCH ET AL. 2000.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 120

Darin distanzieren sich die Autorinnen und Autoren ausdrücklich von den Konzepten und

Vorstellungen Tomatis’. Es sei zwar nachgewiesen, dass Kinder vorgeburtlich bereits

akustische Reize wahrnehmen, eine weitreichende Auswirkung der mütterlichen Stimme für

die Sprachentwicklung und die gesamte psychomotorische Entwicklung des Kindes könne

daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Auch die von Tomatis behauptete einzigartige

Bedeutung des Ohres (insbesondere des rechten) für die Sprachentwicklung sei ebenso wenig

nachvollziehbar wie die Vorstellung, dass bei Vertikalisierung des kindlichen Körpers

Klangenergien besser wirksam sein könnten, wie von Tomatis dargelegt wurde.

Ferner wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass das Hörtraining nach Tomatis

zwar weite Verbreitung gefunden habe, wobei die Anwendung sowohl für Entwicklungs- und

Lernstörungen als auch für Verhaltensstörungen im Kindesalter propagiert wird, seine

Effektivität aber weder in wissenschaftlicher Hinsicht bewiesen noch schlüssig

nachvollziehbar sei. Es bleibe unwahrscheinlich, dass gefilterte Musik oder Sprache den von

Tomatis geschilderten Effekt auf die Entwicklung des Kindes habe.

Auch die „Klangtherapie“ nach Bérard und Nyffenegger wird in der betreffenden

Stellungnahme sehr kritisch hinterfragt. Zwar unterscheide sich dieses Verfahren vom

Hörtraining nach Tomatis dadurch, dass man sich auf medizinisch und psychologisch

relevante Aspekte beschränke, ohne diese philosophisch und weltanschaulich zu begründen,

ein schlüssiger Nachweis der Effektivität sei jedoch noch nicht erfolgt. Bei den

veröffentlichten Daten handle es sich um z.T. nicht reliable Fragebögen. Die

Patientenkollektive seien sehr heterogen und die Ausgangsbefunde ungenau definiert.353

Zusammenfassend kommen die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme zu dem Schluss,

dass die theoretischen Vorstellungen von Tomatis weder wissenschaftlich haltbar noch

nachvollziehbar seien. Die Bedeutung des Hörens würde in nahezu mystischer Weise

überbetont. Das Hör- oder Horchtraining selbst entbehre einer wissenschaftlichen Evaluation

und seine Wirksamkeit sei bis heute nicht bewiesen. Auch bezüglich der Klangtherapie nach

353 Vgl. KARCH ET AL. 2000.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 121

Bérard und Nyffenegger stünden Studien zur Evaluation noch aus. Beide Verfahren könnten

also zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden.

Rosenkötter354 dagegen sieht sehr wohl therapeutische Effekte in Hörtraining und

Klangtherapie. Diese seien vorwiegend auf drei Wirkprinzipien zurückzuführen: der

Hochtonfilterung, der Lateralisation und der Sprach-Rückkopplung.

Bei der Hochtonfilterung werden dem Kind die hohen Frequenzen eines Schallereignisses

(Musik, Sprache) verstärkt angeboten, während tiefe Frequenzbereiche abgeschwächt werden.

Die Hochtonfilterung wird von Rosenkötter besonders bei Kindern mit Hyperakusis

(Geräuschüberempfindlichkeit) empfohlen. Nach Minning & Minning355 dient das sog.

Hochtontraining dem besseren Wahrnehmen und Artikulieren einzelner Laute, der Reduktion

von Speicherproblemen und der Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit.

Lateralisation bedeutet, dass die Musik durch Veränderung der Lautstärke auf beiden Ohren

in einem langsamen Rhythmus von einem Ohr zum anderen „wandert“. Durch

unterschiedliche Verweilzeiten und Lautstärken will in einzelnen Verfahren eine bestimmte

auditive Dominanz („Ohrigkeit“) hergestellt werden. Die Aufmerksamkeit, das räumliche

Hören und die Figur-Grund-Wahrnehmung solle sich dadurch verbessern.356

Für die Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen empfiehlt Rosenkötter357 die

Rückkopplung der eigenen Sprache des Kindes. Dies bringe starke Lerneffekte für

Stimmlage, Satzmelodie und Sprachrhythmik mit sich.

Obwohl Hörtraining und Klangtherapie sich positiv auf Hyperakusis und Störschall-

Nutzschall-Filterfähigkeit auswirkten und auch Verbesserungen der Hörschwelle erreicht

werden könnten, räumt der Autor ein, dass die beobachtbaren Phänomene nicht leicht zu

objektivieren seien und die Wirksamkeit dieser Methoden eher durch Aussagen von

Lehrerinnen und Lehrern sowie Eltern gestützt werde als durch wissenschaftliche Studien.358

354 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:188ff. 355 Vgl. MINNING & MINNING:164. 356 Vgl. EBENDA. 357 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:191. 358 Vgl. EBENDA:202.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 122

Training einzelner auditiver Funktionen mit nonverbalen Stimuli

Zahlreiche Therapieverfahren zielen darauf ab, die in der Diagnostik auffälligen auditiven

Teilfunktionen zu trainieren.359 Mit Hilfe von eigens dafür entwickelten Geräten werden

Faktoren wie Ordnungsschwelle, Lückenerkennung, Tonhöhenunterscheidung etc. geübt.

In der Regel werden den Kindern dabei auditive Reize über Kopfhörer angeboten und sie

müssen in entsprechender Weise auf das Angebot reagieren.

Beispiele für solche Geräte im deutschen Sprachraum, mit denen z.B. die auditive

Ordnungsschwelle oder auch Funktionen wie Tonhöhen- oder Lautstärkeunterscheidung und

Lückenerkennung geübt werden können360, sind der „Brain-Boy“ und der „Lateraltrainer“361

sowie der „FonoTrain“.362

Im amerikanischen Raum ist ein Therapieprogramm für die Behandlung von auditiven

Wahrnehmungsstörungen weit verbreitet, dass unter dem Namen „Fast ForWord Program“

bekannt geworden ist. Darin werden sprachliche und nichtsprachliche akustische Signale

hinsichtlich der zeitlichen Prozesse künstlich so verändert, dass ihre Wahrnehmung für die

betroffenen Kinder zunächst erleichtert wird. Das Programm beinhaltet Aufgaben zur

Diskrimination, Analyse und Identifikation von Signalen und zur zeitlichen Ordnung von

Stimuli. Durch ein adaptives Verfahren werden die einzelnen Aufgaben, die in Form von

unterschiedlichen Computerspielen363 angeboten werden, zunehmend schwieriger. Technisch

zunächst verlängerte zeitliche Prozesse in den Trainingsaufgaben werden bei guten

Leistungen des trainierenden Kindes also immer kürzer und an die natürliche Situation

angepasst.364

Interessant ist das Ergebnis einer Untersuchung, in der zwei Kinder mit dem Fast ForWord

Program und zwei Kinder mit einem ähnlichen Computerprogramm trainiert wurden. Die

Stimuli des zweiten Computerprogramms waren jedoch ausschließlich sprachlicher Natur und

nicht akustisch verändert. Nach einer Trainingsphase von einem Monat wurden die

359 Vgl. auch Kapitel III/5. 360 Vgl. auch Kapitel III/6.3.3. 361 Vgl. WARNKE 1998:32f. 362 Vgl. FISCHER 2003:203. 363 Vgl. u.a. TALLAL ET AL. 1998; TRAVIS 1996. 364 Vgl. FERRE 2001:527f.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 123

Ergebnisse der Kinder miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass bei allen vier Kindern

Verbesserungen der auditiven Aufmerksamkeit und einzelner sprachlicher Fähigkeiten

gemessen werden konnten, und dass kein Unterschied zu erkennen war, ob die Kinder mit

dem Fast ForWord Program oder mit dem anderen Computerprogramm trainiert worden

waren.365

Zur Wirksamkeit nonverbaler Trainingsverfahren existieren sehr widersprüchliche Aussagen.

Die Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Verfahren betonen die heilende Wirkung ihrer

Methoden auf Workshops, Homepages und in Prospekten. Meist wird anhand von

Einzelbeispielen über dramatische Verbesserungen der schulischen Leistungen sowie des

Allgemeinbefindens berichtet. Es wird suggeriert, dass sich Therapieerfolge in vielen

Bereichen schnell und unkompliziert herbeiführen lassen. Wissenschaftliche Untersuchungen

einzelner Methoden geben hier aber ein etwas zurückhaltenderes Bild. So wurde z.B. für das

Training der Ordnungsschwelle mehrfach nachgewiesen, dass es keine Auswirkung auf

Sprachleistungen habe.366

Suchodoletz367 kommt zu dem Schluss, dass sich mit nonverbalen Verfahren zur Behandlung

auditiver Wahrnehmungsstörungen in der Regel zwar die trainierten Leistungen selbst

verbessern lassen, ein Transfereffekt auf die Laut- und Schriftsprache aber nicht erwartet

werden könne. Ein auditives Wahrnehmungstraining sei nach Meinung Suchodoletz’ daher

weder Voraussetzung für das Wirksamwerden einer sprachtherapeutischen Intervention noch

sollte es im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Da ein solches Training die auditive

Aufmerksamkeit des Kindes erhöhe, könne es jedoch als Baustein innerhalb eines

multimodalen Therapiekonzeptes durchaus unterstützend wirken.

365 Vgl. GILLAM ET AL. 2001:271f; PHILLIPS 2002:259f; MUSIEK ET AL. 2002:273f. 366 Vgl. u.a. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:119ff; BERWANGER & SUCHODOLETZ 2003:18f. 367 Vgl. SUCHODOLETZ 2003:9f.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 124

Computerunterstützte Verfahren

Wie überall zeigen die technischen Entwicklungen der letzten Jahre auch in

sprachtherapeutischen Bereichen ihre Auswirkungen. Dies hat dazu geführt, dass zur

Unterstützung der Behandlung unterschiedlichster Störungsbilder Computerprogramme

angeboten werden. Für die Therapie von auditiven Leistungen sind z.B. die Programme

„Detektiv Langohr“368 und „AudioLog“369 erhältlich.

Das von Trialogo entwickelte Programm „Detektiv Langohr“ enthält ausschließlich Übungen

mit nonverbalem Material. Dabei werden Geräuschübungen u.a. zur Verbesserung von

Aufmerksamkeit, Gedächtnis und auditiver Diskrimination verwendet, die über den PC

abgespielt werden können und mit Bildmaterial unterstützt werden.

Das Programm „AudioLog“ bietet auch Übungen mit sprachlichen Stimuli an und ist in die

Bereiche Perzeption, Gedächtnis, Sequenzen und Diskrimination unterteilt. Auch dieses

Programm enthält visuell unterstützte „Hörspiele“, bei denen es z.B. um die Diskrimination

und Zuordnung von Geräuschen, um Aufgaben für das auditive Gedächtnis oder um

Differenzierungsübungen mit nonverbalen akustischen Stimuli (hoch – tief, kurz – lang) und

mit Minimalpaaren (gleich – ungleich) geht.

Geräuschübungen sind zwar in der Lage, Aufmerksamkeit und Konzentration auf auditive

Stimuli zu steigern, eine direkte Auswirkung auf Übungen mit Sprachmaterial kann allerdings

nicht erwartet werden.370 Der kontrollierte Einsatz von computerunterstützte Verfahren

innerhalb einer therapeutischen Intervention kann allerdings sehr hilfreich sein, da sie in der

Regel hohe Attraktivität für das Kind besitzen und damit als Motivationsanreiz für die

Beschäftigung des Kindes mit auditiven Reizen dienen können.

368 TRIALOGO 1997. 369 FLEXOFT EDUCATION 1996. 370 Vgl. u.a. LAUER 2001:38; SUCHODOLETZ 2003:7.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 125

6.4.2. Verbale Therapieverfahren

Psychomotorisch orientierte Verfahren

Psychomotorische Therapieansätze versuchen, rhythmische Elemente mit Motorik zu

verbinden. Meist zielen diese Ansätze nicht direkt auf eine Verbesserung der auditiven

Leistungen hin, sondern sind eher als indirekte auditive Stimulation zu verstehen.

Vornehmlich in der Gruppentherapie eingesetzt, kommen psychomotorische Ansätze vor

allem für Kinder mit zusätzlichen motorischen Koordinationsstörungen und Problemen in der

sozialen Adaptation an eine Gruppe in Frage.371

Als ergänzende und unterstützende Maßnahmen sind solche Ansätze jedoch sehr gut geeignet,

in ein umfassendes und strukturiertes Therapieprogramm eingebaut zu werden.

Wahrnehmungsübungen werden mit motorischer Aktivität und Sprachkomponenten in

Verbindung gebracht. Gleichzeitig können sich durch das gruppentherapeutische Setting auch

soziale Prozesse förderlich auf die Gesamtentwicklung des Kindes auswirken.

Beispiele für solche Verfahren finden sich z.B. bei Olbrich372 und Krimm von Fischer373, die

viele praktische Anregungen zur Wahrnehmungsförderung und konkrete Beispiele für

Stundengestaltungen liefern.

Als alleinige Intervention bei Kindern mit auditiven Wahrnehmungsproblemen ist

Psychomotorik jedoch zu wenig differenziert und spezifisch und muss eher als

therapiebegleitende Maßnahme angesehen werden.

In diesem Zusammenhang weist Ferre374 auch auf Möglichkeiten hin, wie Eltern und

Lehrerschaft Kinder mit auditiven Wahrnehmungsproblemen z.B. durch den Einsatz

bestimmter Spiele im Alltag unterstützen können.

371 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:183f. 372 Vgl. OLBRICH 1989. 373 Vgl. KRIMM VON FISCHER 1990. 374 Vgl. FERRE 2002.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 126

Teilfunktionsorientierte Verfahren

Bei teilfunktionsorientierten Verfahren steht die Behandlung auditiver Einzelfunktionen mit

Hilfe von sprachlichen Stimuli im Vordergrund. Dabei wird versucht, gestörte auditive

Funktionen wie Aufmerksamkeit, Diskrimination, auditives Gedächtnis etc. durch

unterschiedliche Übungen in diesen Bereichen zu verbessern. Dies kann prinzipiell im

einzeltherapeutischen Setting oder auch innerhalb einer gruppentherapeutischen Intervention

erfolgen. Ein guter Überblick über einzelne, im deutschsprachigen Raum erhältliche

Therapiematerialien zur Förderung auditiver Funktionen findet sich z.B. bei Rosenkötter.375

Ich möchte hier nur auf zwei Materialzusammenstellungen bzw. Programme etwas näher

eingehen.

Die eine Übungszusammenstellung wurde von Heber & Burger-Gartner376 in der

Arbeitsmappe „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern“377

vorgestellt und enthält zahlreiche Übungsvorschläge für die Einzel- und Gruppentherapie

sowie viele Hausaufgabenblätter.

Das andere Therapiekonzept wurde von Lauer378 entwickelt und orientiert sich streng an den

einzelnen auditiven Teilfunktionen. Auch dieses Programm bietet Übungsvorschläge für die

verschiedenen Teilfunktionen, wobei es Übungen auf nonverbaler und verbaler Ebene gibt.

Nach Angaben der Autorin ist das Übungsprogramm je nach Schwierigkeitsgrad der Übungen

bereits für Kinder ab ca. 4 Jahren geeignet.

Es bleibt noch zu ergänzen, dass beide Programme gut in die logopädische Therapie (z.B. von

sprachentwicklungsgestörten Kindern) integriert werden können, dass es jedoch für beide

Konzepte keine ausgedehnteren Untersuchungen gibt, die ihre Wirksamkeit nachweisen

würden.

375 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:203ff. 376 HEBER & BURGER-GARTNER 2001. 377 NICKISCH ET AL. 2001. 378 LAUER 2001.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 127

Heber & Burger-Gartner379 geben eine Übungszusammenstellung mit Vorschlägen und

Ideen für das Training auditiver Leistungen. Nach Angaben der Autorinnen bildet ein in der

Diagnose ermitteltes Leistungsprofil die Grundlage für einen individuell zu erstellenden

Therapieplan. Die Therapiedauer wird zunächst auf zwanzig Behandlungsstunden beschränkt.

Sollten nach einer Zwischenuntersuchung noch verbesserungsfähige Defizite bestehen, wird

die Behandlung um weitere zehn Stunden verlängert. Prinzipiell ist die Anwendung der

Materialien in Einzel- und Gruppentherapien möglich. Die Eltern der betroffenen Kinder

sollten bereit sein, während der Therapiedauer mit ihrem Kind zu Hause täglich 15 bis 20

Minuten zu üben. Diese Bereitschaft wird als Voraussetzung dafür gesehen, dass überhaupt

mit einer Therapie begonnen wird. Neben der Beschäftigung mit dem Kind stellt die

Elternarbeit für die Autorinnen einen wesentlichen Bestandteil ihres Konzeptes dar. Vor und

auch während der Therapie finden Elterngespräche oder Elternabende statt, bei denen die

Eltern einerseits eingehende Informationen über das Störungsbild erhalten und anderseits die

Therapieinhalte und Therapieziele vorgestellt werden. Außerdem erfolgt eine persönliche

Anleitung zur Durchführung der „Hausaufgaben“ bzw. des häuslichen Übungsprogramms.

Der Aufbau der Einzelstunden gliedert sich in folgende Einheiten:

1. Hausaufgaben besprechen

2. Allgemeine Konzentration und auditive Aufmerksamkeit

3. Differenzierung / Identifikation

4. Merkfähigkeit / Speicherung / Sequenzierung von Silben und Zahlen

5. Übungen zur Analyse und Synthese

6. Spiel mit „auditivem Hintergrund“

Die Übungen zur auditiven Analyse und Synthese kommen erst nach einigen Stunden hinzu.

379 Vgl. HEBER & BURGER-GARTNER 2001:57ff.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 128

Mit Hilfe der vorgeschlagenen Materialien und Ideen können folgende Funktionen trainiert

werden:

• Allgemeine Konzentration:

Die Übungsblätter zur allgemeinen Konzentration werden vorwiegend zu Beginn

der Therapiestunde eingesetzt, um die Aufmerksamkeit zu sammeln und zu lenken.

Dazu gehören z.B. Übungsblätter, auf denen Aufgaben zur visuellen

Diskrimination gelöst werden müssen („suche alle Marienkäfer mit 5 Punkten“,

„verbinde die Zahlen von 1 bis 70“ etc.).

• Auditive Aufmerksamkeit:

Dazu gehören u.a. Spiele wie das Lauschen auf Geräusche im Raum oder das

Nachtrommeln unterschiedlicher Rhythmen. Auch das Vorlesen von kurzen

Geschichten, bei denen auf bestimmte Wörter geachtet werden muss

(Wortdiskrimination) oder nach denen Fragen gestellt werden, gehört zu den

Aufgaben für die auditive Aufmerksamkeit.

• Diskrimination und Identifikation:

Dieser Abschnitt beinhaltet Übungen zur „Lautwahrnehmung“. Dazu gehören

Differenzierungsübungen wie z.B. das Vorsprechen von Wortpaaren, bei denen

das Kind entscheiden soll, ob sie gleich oder ungleich sind. Außerdem werden die

Funktionen Erkennen von Lauten und Angabe der Position von Lauten geübt (das

Kind soll bestimmte Laute in vorgesprochenen Wörtern identifizieren und in einer

weiteren Stufe auch die Position des betreffenden Lautes angeben).

• Merkfähigkeit und Sequenzierung:

Dieser Abschnitt enthält Übungen zur Merkfähigkeit für Reihen von Zahlen,

Silben, Wörtern und Sätzen.

• Analyse und Synthese:

Dazu gehört z.B. das Zerlegen von Wörtern in Silben oder Einzellaute, das

Erkennen der Laute am Wortanfang oder Wortende und das Zusammensetzen von

Silben.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 129

Die einzelnen Übungen sind unterschiedlich schwierig und es bleibt der Therapeutin oder

dem Therapeuten überlassen, jene Übungen auszuwählen, die für das betreffende Kind in

Frage kommen. Außerdem weisen die Autorinnen ausdrücklich darauf hin, dass das

vorliegende Übungsmaterial jederzeit mit eigenen Ideen erweitert und ergänzt werden kann

und soll. Prinzipiell ist das Programm für Kinder ab dem Grundschulalter konzipiert und

enthält daher auch Übungen, die sich auf schriftsprachliche Leistungen beziehen (z.B.

Visualisierungsübungen zu einzelnen Buchstaben). Einzelne Übungen können jedoch auch

mit jüngeren Kindern durchgeführt werden.

Ein weiteres teilfunktionsorientiertes Therapieprogramm wurde von Lauer380 präsentiert. Ihr

Programm gliedert sich in die 8 Bereiche: Aufmerksamkeit, Speicherung und Sequenz,

Lokalisation, Diskrimination, Selektion, Analyse, Synthese und Ergänzung.

Die auditive Aufmerksamkeit wird als Grundlage für die anderen auditiven Funktionen

gesehen. Die betreffenden Übungen sollen das allgemeine Interesse des Kindes an auditiven

Reizen wecken. Übungen zur Verbesserung des auditiven Speichers werden als besonders

wichtig für die Verarbeitung von auditiven Informationen angesehen und stellen somit

ebenfalls eine Voraussetzung für das Beherrschen der anderen Teilfunktionen dar. Durch

Übungen zur Lokalisation solle eine schnelle und effiziente Ortung von Schallquellen

angestrebt werden, was im Hinblick auf die Zuwendung zu sprachrelevanten Informationen

von Bedeutung ist. Übungen zur auditiven Diskrimination sollen auf unterschiedlichen

Ebenen (Geräuschebene, Lautebene, Wortebene etc.) die Differenzierung akustischer Stimuli

verbessern. Die Fähigkeit, akustisch relevante Signale von Stör- und Hintergrundgeräuschen

zu isolieren wird im Funktionsabschnitt Selektion geübt. Die Bereiche Analyse und Synthese

beschäftigen sich mit Identifikationsleistungen und Positionsbestimmung (z.B. eines Lautes

innerhalb eines Wortes) und mit dem Zusammensetzten akustischer Einzelinformationen zu

einem komplexen Ganzen (z.B. Silben zu einem Wort). Und schließlich beinhaltet der

Abschnitt Ergänzung Übungen, in denen akustisch unvollständige Informationen zu einer

sinnvollen Einheit ergänzt werden sollen.

380 LAUER 2001:44ff.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 130

Das gesamte Konzept ist so aufgebaut, dass zu jedem Bereich Übungen auf außersprachlicher

und sprachlicher Ebene vorgeschlagen werden. Die außersprachlichen Übungen mit

Geräuschen und dergleichen dienen dabei in der Regel zur Vorbereitung auf die verbale

Übungsebene und sollen Aufmerksamkeit und Motivation des Kindes verbessern. Die Autorin

weist jedoch darauf hin, dass durch Übungen auf Geräuschebene keine Übertragung von

Übungseffekten auf die sprachliche Ebene erwartet werden kann.381

Abb. 15: Therapiekonzept zur Behandlung zentral-auditiver Verarbeitungsstörungen

Entnommen aus: LAUER 2001:47.

Vor der Behandlung müssen die individuell betroffenen Bereiche des Kindes ermittelt

werden, die in der folgenden Therapie dann auch geübt werden sollen. Die Behandlung selbst

sollte auf der Ebene ansetzen, die vom Kind gerade noch bewältigt werden kann. Dies muss

aber nicht zwingend die außersprachliche Ebene sein.

In der Therapie selbst sollten immer wenige Items intensiv geübt werden und erst, wenn der

Großteil der Übung vom Kind beherrscht wird, soll auf die nächste Übungsstufe

übergegangen werden. Dabei dürfen auch andere Verarbeitungs- und Entwicklungsbereiche in

der Therapie nicht außer acht gelassen werden. Lauer betont, dass die Schwierigkeiten des

381 Vgl. LAUER 2001:44.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 131

Kindes im Gesamtzusammenhang des Störungsbildes zu sehen sind und nicht auf die auditive

Verarbeitung allein reduziert werden dürfen.382

Die Autorin gibt zu jeder Funktion und jedem Schwierigkeitsgrad exemplarisch

Übungsbeispiele, die jedoch durch eigene Ideen erweitert werden können. Für jede

Teilfunktion (außer der Funktion Aufmerksamkeit) wird außerdem ein „Hilfensystem“

angegeben, das für die Therapeutin oder den Therapeuten als Leitfaden für eine abgestufte

Intervention dient. Die Hilfestellungen reichen von unspezifischen Hinweisen („das stimmt

nicht, überlege noch einmal“) bis zum gemeinsamen Erarbeiten der Lösung.

Die Autorin präsentiert außerdem eine kleine „Therapiestudie“ mit 2 Kindern, in der die

Wirksamkeit des Verfahrens untersucht wurde.383 Darin war eine Verbesserung einzelner

auditiver Teilfunktionen durch eine gezielte und strukturierte Therapie nach dem oben

genannten Konzept möglich. Jedoch weist Lauer darauf hin, dass sich aufgrund des geringen

Datenmaterials keine Rückschlüsse auf eine allgemeine Wirksamkeit des Verfahrens ziehen

lassen. Das Konzept müsse durch weitere Untersuchungen überprüft werden, biete jedoch

praktisch tätigen Therapeutinnen und Therapeuten die Möglichkeit, die Behandlung auditiver

Verarbeitungsstörungen individuell und sinnvoll zu strukturieren.384

382 Vgl. LAUER 2001:45. 383 Vgl. EBENDA:49ff. 384 Vgl. EBENDA:75.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 132

6.4.3. Zusammenfassung

Hinsichtlich der Therapie von auditiven Wahrnehmungsproblemen ergeben sich ähnliche

Schwierigkeiten, wie sie schon im Rahmen der Diagnostik offensichtlich wurden. Obwohl

inzwischen ein sehr großes Angebot von unterschiedlichsten Therapieverfahren zur

Verbesserung auditiver Leistungen zur Verfügung steht, ist die Effizienz vieler dieser

Verfahren mehr als umstritten.385

Methoden wie das sog. „Horchtraining“ und die „Klangtherapie“ versprechen zwar eine

Verbesserung in vielen Bereichen, ihre Erklärungsmodelle sind jedoch wenig plausibel und

der Nachweis ihrer Wirksamkeit ist noch ausständig.

Für andere nonverbale Verfahren wie für das einige Zeit lang recht „moderne“ Training der

auditiven Ordnungsschwelle oder für Methoden zur Verbesserung von

Tonhöhenunterscheidung, Lückenerkennung etc. konnten ebenfalls keine Transfereffekte auf

sprachliche Leistungen nachgewiesen werden. Außerdem ist anzuzweifeln, dass sich die

komplexen Abläufe der Hörverarbeitung auf eine einzelne auditive Funktion reduzieren

lassen.

Auch signalverbessernde Interventionen wie der Einsatz von Hörgeräten erscheint nur bei

sehr ausgewählten Patientinnen und Patienten wirklich sinnvoll und kann bei einem Fehlen

dieser kritischen Auswahl sogar zu einer Schädigung der peripheren Hörfunktion führen.

Psychomotorische Ansätze dagegen haben innerhalb einer therapeutischen Intervention sicher

ihren Platz. Da sie jedoch die Bereiche auditive Wahrnehmung, Sprache, Motorik und

Sozialverhalten in einen großen Entwicklungszusammenhang stellen und die Maßnahmen

daher eher allgemein angelegt sind, sind sie als direkte „auditive“ Therapie zu unspezifisch.

385 Vgl. dazu auch WERTZ ET AL. 2002.

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Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 133

Das Training auditiver Funktionen mit Hilfe von verbalen Methoden berührt neben den

primär auditiven Funktionen auch immer Sprachverarbeitungsleistungen und übergeordnete

Funktionen wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Dies wird teilweise als Problem oder

Schwierigkeit dieser Verfahren angesehen, da sie z.B. nicht zwischen rein auditiven

Funktionen und Sprachverarbeitungsfunktionen differenzieren. Meiner Meinung nach ist

jedoch die Tatsache, dass sich diese Methoden auf sprachliche Leistungen beziehen und auch

Faktoren wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit berücksichtigen, weder ein Problem noch eine

Schwierigkeit, sondern ihr großer Vorzug. Da die Relevanz isolierter auditiver Teilfunktionen

für den „Hör- und Sprachalltag“ fraglich ist, ist es nicht sinnvoll diese Teilfunktionen

unabhängig von sprachlichen Faktoren zu trainieren.

Für die Therapie auditiver Leistungen von sprachentwicklungsgestörten Kindern erscheint ein

kombiniertes Verfahren am sinnvollsten. Zunächst sollte allgemein die Aufmerksamkeit auf

auditive Signale erhöht werden. Dies kann durch vorbereitende Übungen mit

nichtsprachlichen Stimuli (wie z.B. bei Lauer beschrieben) geschehen.386 In weiterer Folge

sollten jedoch systematisch und gezielt jene Funktionen trainiert werden, in denen das

betreffende Kind Schwierigkeiten hat. Vor dem Hintergrund, dass der Zusammenhang

zwischen der Verarbeitung von nonverbalen Signalen und Sprachverarbeitung nicht schlüssig

bewiesen ist, sollte dieses Training vorrangig mit Sprachmaterial erfolgen. Auch eine

Unterstützung der Therapie durch den Einsatz von entsprechenden CD-ROMs und

Computerspielen mag für viele Kinder sehr motivierend sein.

386 Vgl. Kapitel III/6.4.2.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 134

IV. AUDITIVE WAHRNEHMUNG UND SPRACHENTWICKLUNG

1. Spezifische Störungen der Sprachentwicklung

Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen bieten in der sprachtherapeutischen Praxis ein

sehr vielfältiges und heterogenes Bild. Die betroffenen Kinder zeigen eine individuell

ausgeprägte Symptomatik, die hinsichtlich Schweregrad und Art der Störung sehr

unterschiedlich sein kann. Abgesehen davon, dass die verschiedenen sprachlichen Bereiche

unterschiedlich stark betroffen sein können, erstrecken sich die beobachtbaren Defizite meist

nicht nur auf die sprachlichen Ebene, sondern auch auf andere Entwicklungsbereiche wie

Wahrnehmung und Motorik. Der kontrovers diskutierte Zusammenhang zwischen

Sprachentwicklung und nonverbalen Basisfaktoren der Sprache wurde bereits in Kapitel II

angesprochen.

Geht man davon aus, dass sich einzelne Funktionen der auditiven Wahrnehmung wie z.B.

Diskrimination, Analyse oder auditive Merkfähigkeit isolieren lassen, und dass es zu

Störungen dieser Teilfunktionen kommen kann, dann ist es auch plausibel anzunehmen, dass

eine Störung dieser Funktionen sich auch auf den Spracherwerb auswirkt.

Abgesehen von der Plausibilität dieser Annahme lassen sich bei Kindern mit

Sprachentwicklungsstörungen tatsächlich sehr häufig Einschränkungen in diesen Bereichen

beobachten. In meiner logopädischen Arbeit konnte ich immer wieder sehen, dass die

betroffenen Kinder u.a. Schwierigkeiten hatten, Phoneme zu unterscheiden oder sich eine

Folge aus Silben oder Wörtern zu merken.

Nach dem, was bisher gesagt wurde, birgt der Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung

und auditiver Wahrnehmung jedoch viele Unsicherheiten und muss genauer hinterfragt

werden.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 135

1.1. Begriffsbestimmung

Die Definitionen des Symptomenkomplexes Sprachentwicklungsstörung (SES) werfen zwar

nicht ganz so viele Probleme auf, wie dies bei der Begriffsbestimmung der auditiven

Wahrnehmungsstörungen der Fall war, eine einheitliche, allgemein gültige und von

jedermann akzeptierte Definition gibt es aber auch hier nicht. Dies hat unterschiedliche

Gründe. Zum einen gibt es da das Problem der Abgrenzung zu anderen Störungsbildern.

Sprachentwicklungsauffälligkeiten können prinzipiell (eher) isoliert und mehr oder weniger

unabhängig von anderen Entwicklungsstörungen auftreten. Sie können aber auch Teil einer

umfassenden Entwicklungsbeeinträchtigung sein, bei der neben den sprachlichen Faktoren

mehrere Entwicklungsbereiche als auffällig diagnostiziert werden. Zum anderen lässt sich die

Grenze von Sprachauffälligkeiten zu dem als normal angesehenen Sprachverhalten nicht

immer eindeutig bestimmen, weil sich jede Beurteilung von Entwicklung an

Normvorstellungen orientiert und daher grundsätzlich relativ ist.387

Dies hat zur Folge, dass in der Literatur unterschiedliche Definitionen existieren, und dass

auch die Angaben zur Häufigkeit von Sprachentwicklungsstörungen sehr variieren.

Ähnlich wie es schon bei den auditiven Wahrnehmungsstörungen der Fall war, ist auch hier

die Uneinigkeit in der Nomenklatur Ausdruck der erwähnten Definitionsprobleme. Im

deutschen Sprachraum spannt sich der begriffliche Bogen von Ausdrücken wie

Sprachentwicklungsverzögerung und Sprachentwicklungsstörung über Spracherwerbsstörung

und Entwicklungsdysphasie bis hin zu den Termini Dysgrammatismus und spezifische

Störung der Sprachentwicklung. Aber auch im Englischen existiert eine Vielzahl an

Benennungen. Neben specific disorder of language development und development dysphasia

sind auch noch Bezeichnungen wie specific language impairment, developmental speech

disorder syndrome, language retardation oder developmental aphasia gebräuchlich.388

387 Vgl. GROHNFELDT 1993:61f. 388 Vgl. GRIMM 1999:103f.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 136

Ich werde im Folgenden die Bezeichnung spezifische Sprachentwicklungsstörung bzw.

vereinfacht Sprachentwicklungsstörung verwenden, da sie meiner Meinung nach immer noch

eine der treffendsten Bezeichnungen darstellt. Mit dem Attribut „spezifisch“ soll ausgedrückt

werden, dass es sich dabei nicht um ein Störungsbild handelt, das sekundär im Rahmen einer

allgemeinen Entwicklungsbeeinträchtigung, einer neurologischen oder sensorischen

Schädigung oder einer geistigen Behinderung auftritt, sondern eben um eine spezifische

Störung der sprachlichen Leistungen. Die Bezeichnung „Störung“ soll eine Abgrenzung zu

einer lediglich zeitlich verzögerten Sprachentwicklung im Sinne einer

Sprachentwicklungsverzögerung ermöglichen. Dies ist deshalb wichtig, weil

Sprachentwicklungsstörungen dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die sprachlichen

Fähigkeiten der betroffenen Kinder nicht nur langsamer entwickeln als dies bei

Sprachgesunden der Fall ist, sondern dass sich auch qualitative Abweichungen zeigen. So

produzieren sprachentwicklungsgestörte Kinder Sätze, die nicht Bestandteil einer

Entwicklungsstufe sind, wie sie von sprachgesunden oder lediglich

sprachentwicklungsverzögerten Kindern durchlaufen werden.389

Beispielhaft sollen im Folgenden einige Definitionen bzw. Definitionsversuche von

(spezifischen) Sprachentwicklungsstörungen gegeben werden:

Grohnfeldt definiert Sprachentwicklungsstörung folgendermaßen: „Unter Störungen der

Sprachentwicklung sollen damit als auffällig erlebte Lernprozesse im Rahmen der kindlichen

Entwicklung verstanden werden, die sich nach ihrer sprachlichen Symptomatik als

Abweichungen auf der phonetisch-phonologischen, semantisch-lexikalischen und syntaktisch-

morphologischen Ebene sowie im pragmatischen Bereich auswirken können und nicht

Ausdruck eines Hörschadens oder einer dominierenden Intelligenzbeeinträchtigung sind. [...]

Sprachentwicklungsstörungen können dabei isoliert eine Sprachebene betreffen, sich

strukturell auf mehreren Sprachebenen auswirken und komplex mit Störungen der

Wahrnehmung, Motorik, Kognition und im psychosozialen Bereich verbunden sein.“ 390

389 Vgl. GRIMM 1999:117. 390 GROHNFELDT 1993:60.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 137

Der Autor weist jedoch auch auf die vielfältigen Probleme hin, die sich bei dem Versuch

ergeben, eine befriedigende Definition für dieses Störungsbild zu finden.

Szagun beschreibt den gestörten Spracherwerb so: „Ich spreche hier global von „gestörtem

Spracherwerb“ und „Spracherwerbsstörungen“, wenn ich über ein Verhalten spreche, das

mindestens folgende Charakteristika aufweist:

1. Die Sprachentwicklung ist deutlich verzögert im Vergleich zum normalen Verlauf.

2. Die Störungen befinden sich vorwiegend im formal-sprachlichen Bereich – so der

Syntax und Morphologie.

3. Die Intelligenz der Kinder, gemessen durch Intelligenztests, liegt im Normalbereich.

4. Die Kinder haben keinen Hörschaden.

5. Die Kinder haben keine massiven emotionalen Störungen.

Dieses ist [...] eine Auflistung der Minimalkriterien einer Spracherwerbsstörung. Offen bleibt,

ob und wieweit der Bereich der Bedeutungen von Wörtern und der pragmatische Bereich

betroffen sind [...].“391

Bei Grimm werden spezifische Störungen der Sprachentwicklung durch den Ausschluss

einzelner Kriterien näher bestimmt: „Das wichtigste Ausschlußkriterium ist, daß eine

spezifische Störung der Sprachentwicklung nicht sekundärer Natur ist [...]. Die betroffenen

Kinder weisen keine generelle mentale Retardierung auf, sie sind weder blind noch haben sie

gravierende Hörprobleme, sie leiden unter keinen Lähmungen oder Mißbildungen der

Sprechwerkzeuge, sie haben keine schweren neurologischen Schädigungen, keine

offensichtlichen emotionalen Probleme und sind auch nicht autistisch.“ 392

391 SZAGUN 1991:283. 392 GRIMM 1999:101.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 138

In der internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10)393 werden

umschriebene Störungen der Sprachentwicklung wie folgt definiert bzw. klassifiziert:

„F 80. Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache

Es handelt sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Spracherwerbs von frühen

Entwicklungsstadien an beeinträchtigt sind. Die Störungen können nicht direkt

neurologischen Störungen oder Veränderungen des Sprachablaufs, sensorischen

Beeinträchtigungen, Intelligenzminderung oder Umweltfaktoren zugeordnet werden.

Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache ziehen oft sekundäre

Folgen nach sich, wie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben, Störungen im Bereich

der zwischenmenschlichen Beziehungen, im emotionalen und Verhaltensbereich.“

Weiter wird unterteilt in:

„F80.0. Artikulationsstörung

Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der die Artikulation des Kindes

unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt, seine sprachlichen

Fähigkeiten jedoch im Normbereich liegen.

F80.1. Expressive Sprachstörung

Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der die Fähigkeit des Kindes, die

expressiv gesprochene Sprache zu gebrauchen, deutlich unterhalb des seinem

Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt, das Sprachverständnis liegt jedoch im

Normbereich. Störungen der Artikulation können vorkommen.

F80.2. Rezeptive Sprachstörung

Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der das Sprachverständnis des Kindes

unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt. In praktisch allen

Fällen ist auch die expressive Sprache deutlich beeinflußt, Störungen in der Wort-

Laut-Produktion sind häufig.“

393 DIMDI 2003:[Internet].

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 139

Die angeführten Definitionen könnten noch durch zahlreiche weitere Definitionsversuche, die

in der Fachliteratur zu finden sind, ergänzt werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die spezifische Sprachentwicklungsstörung

Bezug nehmen, die nicht als sekundäre Störung schwerwiegender neurologischer

Beeinträchtigungen oder einer sensorischen Behinderung auftritt, sondern als primäre Störung

der Sprachentwicklung gesehen werden muss.

Eine spezifische Störung der Sprachentwicklung ist durch folgende Merkmale

gekennzeichnet:

Merkmale der spezifischen Sprachentwicklungsstörung

Die Störung ist primärer Natur, so dass ausgeschlossen sind:

• sensorische Schädigungen

• schwerwiegende neurologische Schädigungen

• emotionale Schädigungen

• geistige Behinderung

Charakteristisch sind:

• verspäteter Sprechbeginn

• verlangsamter Spracherwerb mit möglicher Plateaubildung

• Sprachverständnis > Sprachproduktion

• formale Merkmale (Syntax / Morphologie) sind gestörter als Semantik / Pragmatik

• nonverbale Testintelligenz im Normalbereich

Tab. 10: Merkmale der spezifischen Störung der Sprachentwicklung

Entnommen aus: GRIMM 1999:102.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 140

1.2. Häufigkeit und Ätiologie

Die Häufigkeitsangaben für spezifische Störungen der Sprachentwicklung schwanken

erheblich. So werden in der Fachliteratur Zahlen zwischen 4% und 40% für Kinder im

Vorschulalter genannt.

Diese Schwankungen hängen vermutlich von mehreren Faktoren ab:394

• Es gibt keine einheitlichen Kriterien und diagnostische Mittel, um eine

Sprachentwicklungsstörung zu diagnostizieren.

• Die Beurteilung, ob die Sprachentwicklung eines Kindes auffällig verläuft oder

nicht, orientiert sich an den (individuellen) Normvorstellungen der

unterschiedlichen Diagnostikerinnen und Diagnostiker. Die Entscheidung, ab

welcher qualitativen und/oder quantitativen Abweichung die Sprachentwicklung

als auffällig bezeichnet werden muss, kann nicht einheitlich getroffen werden.

• Es gibt keine allgemein gültige Einteilung von Sprachauffälligkeiten. Die

Abgrenzung einer spezifischen Störung der Sprachentwicklung von anderen

Beeinträchtigungen der Sprachfähigkeit ist manchmal schwer durchführbar.

Auch nach vorsichtiger Beurteilung der angegebenen Zahlen muss im Vorschulalter jedoch

mit ca. 10 - 30% an sprachentwicklungsgestörten Kindern gerechnet werden. Damit stellt die

Sprachentwicklungsstörung die häufigste aller Sprachauffälligkeiten dar.395

394 Vgl. GROHNFELDT 1993a:62. 395 Vgl. EBENDA; GRIMM 1999:109.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 141

Die Ursachen von Sprachentwicklungsstörungen sind äußerst vielfältig. Je nachdem, welche

Definition von Sprachentwicklungsstörung man anwendet, lassen sich auch andere mögliche

Ursachen bestimmen.

Bezieht man sich auf spezifische Störungen der Sprachentwicklung, also auf sprachliche

Defizite, die nicht durch sensorische Beeinträchtigungen, schwerwiegende neurologische

Schädigungen, emotionale Störungen oder eine geistige Behinderung verursacht werden, so

ist die Ursachenfrage noch schwieriger zu beantworten.

Grimm396 formuliert dieses Problem folgendermaßen:

„Wie ist es möglich, daß eine pervasive Sprachentwicklungsstörung von Kindern ausgebildet

wird, die einen völlig normalen Eindruck machen? Welche inneren und/oder äußeren

Bedingungen sind es, die den Kindern den Erwerb ihrer Muttersprache so schwer machen?“

Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage, die für alle Erscheinungsformen von

Sprachentwicklungsstörungen gelten kann, ist aufgrund des derzeitigen Wissensstandes noch

nicht möglich. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Sprachentwicklungsstörungen nicht

durch einen einzigen Faktor verursacht werden, sondern dass man multikausale

Zusammenhänge vermuten muss.397

Die Ursachen von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen lassen sich im Wesentlichen

drei Bereichen zuordnen:398 dem Bereich der Umwelt, dem biologisch-genetischen Bereich

und dem Bereich von Kognition und Informationsverarbeitung.

Um der Frage nach der Bedeutung der auditiven Wahrnehmung für die Sprachentwicklung

nachzugehen, möchte ich mich hier nur mit dem dritten Bereich, der

Informationsverarbeitung, näher befassen.

396 GRIMM 1999:122. 397 Vgl. u.a. EBENDA; GROHNFELDT 1993a:92ff; ROSENKÖTTER 2003:138f. 398 Vgl. GRIMM 1999:122ff.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 142

2. Sprachentwicklung und Informationsverarbeitung

Die Fähigkeit, Sprache in adäquater Weise zu erwerben, setzt eine funktionstüchtige

Verarbeitung des sprachlichen Inputs voraus. Defizite dieser Verarbeitungsfähigkeit werden

von zahlreichen Autorinnen und Autoren für das Auftreten spezifischer

Sprachentwicklungsstörungen verantwortlich gemacht.399

Grimm400 nennt in diesem Zusammenhang u.a. folgende Bereiche, in denen Defizite zu einer

Störung der Sprachentwicklung führen können:

• Auditives Arbeitsgedächtnis für die Verarbeitung und Speicherung von Sprache.

• Geschwindigkeit von Verarbeitungsprozessen.

• Nutzung prosodischer Information im Sprachangebot.

2.1. Sprachentwicklung und auditives Gedächtnis

Die Bedeutung des auditiven Gedächtnisses für die Sprachentwicklung ist leicht

nachzuvollziehen. Der sprachliche Input muss nicht nur aufgenommen, sondern auch

repräsentiert werden, damit er erkannt und als artikulatorischer Output wiedergegeben werden

kann. Nur aus gespeicherten sprachlichen Einheiten können Regelmäßigkeiten abgeleitet

werden, die bestimmend für die eigene Sprachproduktion und das Sprachverstehen sind.401

Die allgemeine Funktionsweise und Bedeutung des (phonologischen) Arbeitsgedächtnisses

wurden bereits in Kapitel III/5.9. näher erläutert. Die „phonologische Schleife“ aus

phonetischem Speicher und dem sog. rehearsal, einem „inneres Wiederholen“, ist

399 Vgl. u.a. FLÖTHER 2003; GRIMM 1999; GRIMM 2001; GUENTHER & GÜNTHER 1991;

GROHNFELDT 1993a; MOTSCH 2002; ROSENKÖTTER 2003; SZAGUN 1991; WAGNER 1994;

SCHÖLER & SCHAKIB-EKBATAN 2001. 400 Vgl. GRIMM 1999:134. 401 Vgl. GRIMM 2001:11.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 143

verantwortlich für die Verarbeitung von sprachlicher Information.402 Die Funktionstüchtigkeit

dieser phonologischen Schleife ermöglicht es dem Kind, größere, noch unanalysierte

Einheiten im phonologischen Arbeitsgedächtnis zur Verfügung zu halten. Dies wiederum ist

eine notwendige Voraussetzung für das Kind, um formalsprachliche Regelmäßigkeiten

ableiten zu können. Damit stehen Wortschatzerwerb und Grammatikentwicklung in einer

kausalen Beziehung zu diesem Gedächtnissystem.403

Einige Untersuchungen belegen die Tatsache, dass sprachentwicklungsauffällige Kinder

tatsächlich signifikant schlechtere Leistungen des phonologischen Arbeitsgedächtnisses

zeigen als sprachunauffällige Kinder des gleichen Alters.404

Vor allem das Nachsprechen von Kunstwörtern, die mehr als drei Silben aufweisen, scheint

für diese Kinder besonders schwierig zu sein. Da keine geringere Kapazität des phonetischen

Speichers festgestellt werden konnte, führen Hasselhorn & Grube405 diese Ergebnisse auf eine

Störung der klanglichen Qualität zurück, mit der akustische Informationen im phonetischen

Speicher repräsentiert werden. Diese Vermutung wurde dadurch bestätigt, dass durch die

Präsentation der Kunstwörter in einer leicht „verrauschten“ Version die (sprachgesunde)

Kontrollgruppe deutlich schlechtere Ergebnisse lieferte, während die Ergebnisse der

sprachauffälligen Gruppe dadurch nicht beeinträchtigt wurden.406

Auch Weinert407 berichtet über eine Studie, die zeigte, dass dysphasische Kinder zwar

Probleme haben, Wort- und Zahlenfolgen wiederzugeben, bei nicht-sprachlichen

Gedächtnisaufgaben jedoch unauffällig sind. Die Autorin vermutet die zugrunde liegenden

Schwierigkeiten eher bei der Aufnahme, Strukturierung, Speicherung und beim Abruf

sprachlicher Informationen.

402 Vgl. GRIMM 1999:135f. 403 Vgl. GRIMM 2001:11f. 404 Vgl. u.a. GRIMM 1999:134f; GRIMM 2001:12f; HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 405 Vgl. HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 406 Vgl. EBENDA. 407 Vgl. WEINERT 1994:47.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 144

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Leistungsdefizite des phonologischen

Arbeitsgedächtnisses für den Spracherwerb und die Sprachverarbeitung von wesentlicher

Bedeutung zu sein scheinen und zu den ursächlichen Faktoren für eine

Sprachentwicklungsstörung gezählt werden können.408

2.2. Sprachentwicklung und zeitliche Verarbeitung

Neben Defiziten der auditive Gedächtnisfunktionen werden auch Schwierigkeiten in der

zeitlichen Verarbeitung von Sprachsignalen eng mit Sprachentwicklungsstörungen in

Verbindung gebracht.

Bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat in diesem Zusammenhang die

Forschungsgruppe um Paula Tallal409 in vielen Untersuchungen nachgewiesen, dass es

sprachentwicklungsgestörten Kindern schwer fällt, kurze bzw. schnell aufeinanderfolgende

sprachliche Reize adäquat zu verarbeiten. In diesen, beinahe schon klassischen Experimenten

ging es darum, das Auftreten von unterschiedlichen akustischen Signalen durch Drücken einer

entsprechenden Taste anzuzeigen. So mussten die Versuchspersonen z.B. die Reihenfolge

zweier unterschiedlicher akustischer Signale angeben, die hintereinander angeboten wurden.

Variiert wurde die Dauer der Pause zwischen den einzelnen Signalen, das sog. Inter-Stimulus-

Interval (ISI). Sprachentwicklungsgestörte Kinder bekamen dann Schwierigkeiten, die

Reihenfolge der Signale zu bestimmen, wenn das Inter-Stimulus-Interval einen bestimmten

Zeitwert (ca. 150 ms) unterschritt. Diese Untersuchungen, die mit Tönen durchgeführt worden

waren, wurden zu einem späteren Zeitpunkt mit sprachlichen Lauten wiederholt.410 Hier

zeigte sich, dass sprachentwicklungsgestörte Kinder vor allem Probleme hatten, (naturgemäß

eher kurze) Konsonanten zu diskriminieren, während die Wahrnehmung von (naturgemäß

eher langen) Vokalen unauffällig war. Wurden Vokale und Konsonanten hinsichtlich ihrer

Länge künstlich verändert, so drehte sich der Effekt um. Die Auffälligkeiten bestanden nun

bei den (künstlich verkürzten) Vokalen und nicht mehr bei den (künstlich verlängerten)

Konsonanten. Tallal & Piercy folgerten daraus, dass Kinder mit 408 Vgl. GRIMM 2001:14; HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 409 Vgl. TALLAL & PIERCY 1973, 1974, 1975. 410 Vgl. TALLAL & PIERCY 1974.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 145

Sprachentwicklungsstörungen auch Defizite in der Verarbeitung von schnell

aufeinanderfolgenden Reizen aufweisen. Da bei einer ähnlichen Versuchsanordnung mit

Lichtsignalen anstatt der akustischen Reize keine Schwierigkeiten

sprachentwicklungsauffälliger Kinder gefunden werden konnten, nahmen Tallal & Piercy an,

dass die Störung nur auf die auditive Modalität bezogen auftritt.411

Dieses Ergebnis konnte jedoch von anderen Untersucherinnen und Untersuchern nicht

nachvollzogen werden.412 Auch wurde u.a. kritisiert, dass den Überlegungen ein theoretisches

Gerüst fehle, welches den Zusammenhang zwischen der Verarbeitungsgeschwindigkeit von

auditiven Signalen und Defiziten im formal-sprachlichen Bereich erkläre.413

Obwohl die Ergebnisse der Forschungen Tallals nicht unumstritten sind, bieten sie

aufschlussreiche Erkenntnisse über den Zusammenhang von zeitlicher Verarbeitung und

Sprachentwicklung. Dennoch bleibt unklar, ob zwischen der Schwäche in der Wahrnehmung

von schnell aufeinanderfolgenden Signalen und der Sprachentwicklung tatsächlich ein

Verhältnis von Ursache und Wirkung vorliegt. Szagun414 vermutet, dass diese auditive

Schwäche eher eine Begleiterscheinung einer Sprachentwicklungsstörung ist, nicht jedoch

deren Ursache.

411 Vgl. TALLAL & PIERCY 1978. 412 Vgl. u.a. SZAGUN 1991:296f. 413 Vgl. GRIMM 1991, 83ff. 414 Vgl. SZAGUN 1991:297.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 146

2.3. Sprachentwicklung und Prosodie

Sprache ist durch prosodische Elemente wie Rhythmus, Intonation und Pausen

gekennzeichnet. Einerseits haben Sprachmelodie und Sprachrhythmus die Funktionen,

unterschiedliche Gefühlsqualitäten zu vermitteln und wichtige Informationen hervorzuheben,

andererseits bewirkt die prosodische Gliederung des Sprachangebots auch eine

Gedächtniserleichterung. Darüber hinaus liefern Sprachrhythmus und Sprachmelodie auch

Hinweise auf die grammatische Gliederung der Sprache, die das Sprachverstehen für Kinder

und Erwachsene wesentlich erleichtern. Schon in sehr jungem Alter nutzen Kinder diese

rhythmisch-prosodischen Merkmale des Sprachangebots, um daraus für den Spracherwerb

wichtige Regeln abzuleiten.415

In mehreren Untersuchungen an Vorschulkindern und Erwachsenen zeigte Weinert416 die

Bedeutung der prosodischen Gliederung für den Erwerb grammatischer Regeln. Bei diesen

Untersuchungen hörten die Versuchspersonen eine begrenzte Anzahl von Sätzen einer

speziell konstruierten Kunstsprache, der einige sprachanaloge, den untersuchten Personen

aber unbekannte grammatische Regeln zugrunde lagen. Überprüft wurde, ob es möglich war,

aufgrund der angebotenen Beispielsätze aus der „Miniatursprache“ grammatische Regeln

dieser Sprache abzuleiten. Um die Bedeutung der Prosodie zu erfassen, wurde das

Kunstsprachangebot entweder mit oder ohne rhythmisch-prosodische Hinweise auf die

Phrasenstruktur der Sätze vorgesprochen. Alle Untersuchungen ergaben, dass ein Erwerb der

zugrundeliegenden Regeln der „Miniatursprache“ nur dann möglich war, wenn das

Sprachangebot rhythmisch-prosodische Gliederungshinweise enthielt.

415 Vgl. GRIMM 1994:29; GRIMM 1999:14; CHERMAK & MUSIEK 2002:303. 416 Vgl. WEINERT 1994:51.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 147

Penner417 liefert weitere Belege für die Bedeutung prosodischer Merkmale für die kindliche

Sprachentwicklung. Anhand des Erwerbs der Wortprosodie zeigt der Autor, wie wichtig es

für den kindlichen Spracherwerb ist, dass Kinder prosodische Parameter des Sprachangebots

korrekt analysieren und repräsentieren können. Für das deutschlernende Kind bedeutet dies,

dass es aus drei sprachrhythmischen Parametern entsprechende Regeln ableitet. Nach Penner

gehören zu diesen Parametern neben der Grundbetonungsregel und der Zeitstruktur des

zweisilbigen, minimalen Wortes die Mechanismen der Wortrandmarkierung.

Die Grundbetonungsregel für das zweisilbige, minimale Wort im Deutschen ist der Trochäus,

d.h. die Betonung liegt auf der linken Seite des Wortes. Hinsichtlich der Zeitstruktur weist die

betonte Silbe innerhalb des Trochäus mehr „Gewicht“ auf als die unbetonte (d.h. eine längere

Dauer). Prosodisch prototypische Zweisilber des Deutschen sind demnach Wörter wie „Nase“

oder „Hose“.418

Auch zur Markierung des Wortrandes werden prosodische Mechanismen verwendet. Der

linke Wortrand (Wortanlaut) ist primär durch die Betonung markiert. Der rechte Wortrand

wird im Deutschen bei prototypischen Zwei- oder Mehrsilbern durch den „Schwa-Laut“

markiert („Nase“, „Banane“). Die Mechanismen der Wortrandmarkierung werden vom Kind

dazu genutzt, um Worteinheiten aus dem kontinuierlichen Sprachsignal zu segmentieren. Mit

den Parametern Betonung und Zeitstruktur bildet das Kind eine Art prosodisches „Gerüst“ für

Wörter, denen im Verlauf des Lexikonerwerbs Bedeutungen zugeordnet werden. Penner führt

an, dass von normal entwickelten Kindern die Wortprosodie bereits im Alter von ca. 2;6

vollständig erworben wird.419

417 Vgl. PENNER 2002:124ff. 418 Vgl. EBENDA. 419 Vgl. PENNER 2002:125. Das „Schwa“ (hebr.: š•w• = nichts) bezeichnet den neutralen Kurzvokal, der mit

neutraler Zungenstellung gebildet wird und im Deutschen nur in unbetonten Silben vorkommt.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 148

Aufgrund dieser Aussagen ist unschwer nachzuvollziehen, dass Kinder, die Probleme haben,

prosodische Elemente des Sprachflusses adäquat zu erfassen, auch Schwierigkeiten haben

werden, bestimmte Regeln daraus abzuleiten. Die Untersuchungen von Weinert420 und

Penner421 zeigten übereinstimmend, dass sprachentwicklungsgestörte Kinder schlechter in der

Lage waren, solche prosodisch-rhythmischen Daten für ihren Spracherwerb zu nutzen. Daraus

ableitend vermutet Weinert: „[...] daß dysphasisch-sprachgestörte Kinder gravierende

Defizite bei der Verarbeitung und Nutzung von Sprachmelodie und Sprachrhythmus haben,

die (mit)erklärend für ihre Spracherwerbsprobleme sein könnten.“422

420 Vgl. WEINERT 1994:52. 421 Vgl. PENNER 2002:128f. 422 WEINERT 1994:52.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 149

3. „Auditive“ Therapie von Sprachentwicklungsstörungen

Die Vielfalt an unterschiedlichen Therapieansätzen und Behandlungsmethoden von

spezifischen Sprachentwicklungsstörungen bietet ein weitläufiges, uneinheitliches und kaum

überschaubares Bild. Den behandelnden Fachpersonen steht eine lange Liste an Ansätzen zur

Auswahl. Auf dieser Liste finden sich Bezeichnungen wie sensorische Integrationstherapie,

Wahrnehmungstherapie, handlungsorientierter Ansatz, entwicklungsproximaler Ansatz,

kommunikativer Ansatz, Padovan-Therapie, Kinesiologie und noch viele mehr.

Jeder dieser Ansätze vertritt dabei eigene Ansichten über Ursachen und Bedingungen der

Sprachentwicklungsstörung und über die nötigen Interventionsmaßnahmen. Meist hängt die

Entscheidung für die Auswahl einer bestimmten Methode von den persönlichen Erfahrungen

der Therapeutin oder des Therapeuten ab, seltener finden Fragen nach theoretischer

Fundiertheit einer Methode Berücksichtigung.

Ich möchte im Folgenden weder auf die einzelnen Ansätze eingehen noch ihre therapeutische

Relevanz diskutieren, sondern vielmehr die Frage verfolgen, inwiefern Aspekte der auditiven

Wahrnehmung im Rahmen einer Therapie von Sprachentwicklungsstörungen

Berücksichtigung finden sollen.

Auf der Grundlage des bisher Gesagten sind auditive Wahrnehmungsstörungen ein eher vages

Konstrukt, dessen Existenz auf tönernen Füßen steht. Andererseits sind auditive Defizite bei

sprachentwicklungsauffälligen Kindern offensichtlich und verlangen ebenso nach einer

Behandlung wie die Sprachstörung an sich.

Bei Kindern mit spezifischen Störungen der Sprachentwicklung konnten neben Defiziten des

auditiven Gedächtnisses u.a. auch Auffälligkeiten in der zeitlichen Verarbeitung und der

Verarbeitung von prosodischen Merkmalen der Sprache festgestellt werden. Unklar bleibt

aber weiterhin, ob diese Merkmale tatsächlich Verursacher der Sprachentwicklungsstörung

sind oder nur als deren „Begleiter“ bezeichnet werden müssen. Eindeutige empirische Belege

stehen dafür noch aus.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 150

Trotz der bestehenden Unsicherheiten sprechen viele Belege dafür, dass auditive

Wahrnehmungsprobleme zumindest mitverursachend für Sprachentwicklungsstörungen sein

können und daher auch innerhalb einer therapeutischen Intervention nicht ignoriert werden

dürfen.

Es stellt sich nun die Frage, in welcher Form und in welchem Ausmaß auditive

Wahrnehmungsprobleme im Rahmen der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen

berücksichtigt werden können.

In diesem Zusammenhang kann zwischen einer indirekten und einer direkten Verbesserung

der auditiven Wahrnehmung unterschieden werden. Einerseits ist es möglich, den

sprachlichen Input so zu optimieren, dass die Perzeption für Kinder mit auditiven

Wahrnehmungsproblemen besser möglich ist, andererseits kann auch versucht werden,

defizitäre auditive Funktionen direkt zu verbessern.

„Indirekte“ auditive Therapie

Da Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen verschlechterte Leistungen in der auditiven

Informationsverarbeitung zeigen, ist es eine logische therapeutische Konsequenz, den

sprachlichen Input so zu verändern, dass er für die betroffenen Kinder besser verarbeitet

werden kann. Innerhalb der Therapie sollte also - vor allem in ausgewählten, therapeutisch

kritischen Situationen - eine Optimierung der Sprachsignale erfolgen. Damit ist eine

Anpassung (so weit möglich) der „Therapie-Sprache“ an die reduzierten auditiven

Fähigkeiten des Kindes gemeint. Motsch423 spricht in diesem Zusammenhang von

Kontextoptimierung.424 D.h. der sprachliche Kontext wird in Abstimmung mit der speziellen

Situation, der sprachlichen Zielstruktur und mit den Fähigkeiten des Kindes optimiert. Dazu

gehören einerseits der Einsatz einer verlangsamten und durch verstärkte Prosodie

423 Vgl. MOTSCH 2002:93ff. 424 Anm.: Unter „Kontext“ versteht MOTSCH die zu „übende“ grammatische Zielstruktur, die Hilfen zum

Entdecken und Anwenden dieser Zielstruktur, den situativen Kontext, in dem die Zielstruktur funktional

erlebt werden soll und schließlich den sprachlichen Kontext, für den die sprachliche Realisierung durch

die/den Therapeutin/Therapeuten von besonderer Bedeutung ist.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 151

gekennzeichneten Sprechweise und andererseits die Sensibilisierung des Kindes auf

bestimmte morphologische Merkmale der Zielstruktur.

Mit Hilfe einer bewusst veränderten therapeutischen Sprechweise, die durch akzentuiertes

Betonen, gezieltes Dehnen oder Verlangsamen und bewusstes Setzen von Pausen (vor und

nach der betreffenden Zielstruktur) gekennzeichnet ist, wird die Aufmerksamkeit des Kindes

auf die Zielstruktur verbessert und ein auditives Verarbeitungsdefizit des Kindes

ausgeglichen.425

Die Tatsache, dass morphologische Markierungen phonetisch häufig wenig markant sind (z.B.

Konsonanten am Wortende), führt dazu, dass es Kindern mit auditiven Defiziten schwer fällt,

diese Markierungen wahrzunehmen und ihre Bedeutung zu erkennen. Zusätzlich zu einer

willkürlich optimierten therapeutischen Sprechweise ist es in diesen Fällen nötig, die

Aufmerksamkeit des Kindes auf die Relevanz dieser morphologischen Merkmale zu lenken.

Eine solche Sensibilisierung kann in Spielen erfolgen, in denen zunächst lediglich die

Differenzierung einzelner Morphemmarkierungen gefordert wird.426 Wäre die Zielstruktur

beispielsweise die Verbform der zweiten Person, Singular müsste vor dem Einsatz dieser

Verbform eine Sensibilisierung auf das Verbsuffix –st erfolgen. Dazu könnte z.B. ein Spiel

angeboten werden, in dem Wörter mit –st am Wortende von Wörtern ohne eine solche

Endung differenziert werden müssen.

425 Vgl. MOTSCH 2002:96. 426 Vgl. EBENDA:95.

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 152

„Direkte“ auditive Therapie

Neben den angeführten, eher indirekten Maßnahmen einer Optimierung des sprachlichen

Inputs sollten auditive Defizite auch im Rahmen der Therapie von

Sprachentwicklungsstörungen berücksichtigt und behandelt werden. Obwohl von manchen

Vertreterinnen und Vertretern einzelner auditiver Konzepte suggeriert wird, dass ihr

(auditives) Behandlungsprogramm auch die sprachlichen Fähigkeiten der behandelten Kinder

verbessere, können m.E. logopädische und sprachtherapeutische Interventionen nicht durch

auditive Therapiemaßnahmen ersetzt werden. Eine Erweiterung und Ergänzung des

sprachtherapeutischen Angebots ist jedoch in vielen Fällen möglich und sinnvoll.

Dazu sollte bei Kindern mit Sprachentwicklungsproblemen zunächst die Aufmerksamkeit für

auditive Signale verbessert werden. Durch die Sensibilisierung auf akustische Reize (durch

Horchspiele etc.) wird die Bereitschaft des Kindes, sich überhaupt auf den auditiven Kanal

einzulassen, geschaffen bzw. vergrößert. Dabei spielt es in diesem Zusammenhang noch

kaum eine Rolle, ob diese Spiele mit sprachlichem oder nicht-sprachlichem Material

durchgeführt werden. Anregungen für solche Spiele finden sich u.a. bei Olbrich427, Krimm

von Fischer428 und Küspert & Schneider429.

Das „Training“ einzelner auditiver Leistungen (Diskrimination, Speicherung, Analyse,

Synthese etc.) sollte in die sprachtherapeutische Intervention eingebaut werden. Hier ist die

Berücksichtigung des Alters der Kinder und damit die Auswahl altersgerechter Spiele von

Bedeutung. Da, wie bereits erwähnt,430 der Zusammenhang zwischen der Verarbeitung von

nonverbalen Signalen und Sprache noch nicht eindeutig geklärt ist, sollte eine auditive

Therapie der gestörten Funktionen vorrangig mit Sprachmaterial erfolgen. So muss z.B. im

Rahmen einer phonologischen Dyslaliebehandlung die auditive Diskrimination der

betreffenden Phoneme durch das Kind gewährleistet sein, bevor eine Veränderung der

Sprachproduktion erwartet werden kann.

427 Vgl. OLBRICH 1989. 428 Vgl. KRIMM -VON-FISCHER 1990. 429 Vgl. KÜSPERT & SCHNEIDER 2000. 430 Vgl. Kapitel III/6.4.1

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Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 153

Von einem alleinigen Training auditiver Teilfunktionen mit Hilfe nonverbaler Stimuli

(Ordnungsschwellentraining, Lückenerkennung, Tonhöhenunterscheidung etc.) ist im

Zusammenhang mit einer Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen m.E. abzusehen, da

gezeigt werden konnte, dass durch ein solches Training kein Transfer auf sprachliche

Fähigkeiten erwartet werden darf.431 Anregungen für eine Therapie auditiver Teilfunktionen

mit sprachlichen Stimuli, die auch gut in eine logopädische Behandlung von

Sprachentwicklungsstörungen eingebaut werden können, geben u.a. Lauer432 und Heber &

Burger-Gartner433.

Neben der allgemeinen Sensibilisierung des Kindes auf auditive Reize und dem Training

einzelner auditiver Teilfunktionen mit Hilfe von Sprachmaterial stellt der therapeutisch

begleitete Einsatz von „auditiven“ Computerspielen434 eine gute Möglichkeit dar, die

sprachtherapeutische Intervention aufzulockern und die Motivation des Kindes hoch zu

halten.

431 Vgl. u.a. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:119ff; BERWANGER & SUCHODOLETZ 2003:18f;

SUCHODOLETZ 2003:9f. 432 Vgl. LAUER 2001. 433 Vgl. HEBER & BURGER-GARTNER 2001. 434 Vgl. u.a. TRIALOGO 1997; FLEXOFT EDUCATION 1996.

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Resümee 154

RESÜMEE

Die Effektivität unseres Hörsinns beruht auf dem Funktionieren und Interagieren zahlreicher

Strukturen und Prozesse. Der Weg von der Schallaufnahme bis zur zentralen Repräsentation

eines akustischen Signals ist gekennzeichnet durch das Zusammenspiel komplexer Netzwerke

aus Fasern und Kernen, in denen eine höchst differenzierte Analyse und Verarbeitung der

einzelnen Reizparameter erfolgt.

Zusätzlich beeinflussen höhere, mentale Faktoren wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis die

Effektivität des Hörvorgangs. Einiges von diesen Abläufen ist nur unzureichend erforscht und

wirft immer noch viele Fragen auf.

In den letzten Jahren hat das Interesse für zentral-auditive Prozesse stark zugenommen.

Inzwischen bestehen verschiedene Modelle, die den Ablauf der zentral-auditiven

Verarbeitung und Wahrnehmung erklären sollen. Dabei werden auditive Teilfunktionen wie

Lokalisation, Diskrimination, Lautmustererkennung, Lautheitsempfinden etc. unterschieden.

Störungen dieser Funktionen werden von manchen auch für das Entstehen von

Sprachentwicklungsproblemen verantwortlich gemacht.

Die Diagnose auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen wirft jedoch viele

Probleme auf. Obwohl bereits zahlreiche Testbatterien zur Erfassung solcher Störungen im

Einsatz sind, ist eine eindeutige Diagnostik immer noch schwierig. Viele Verfahren sind nicht

normiert, sondern „hausgemacht“. Dadurch wird ein Vergleich der Ergebnisse erschwert bzw.

unmöglich gemacht. Außerdem entbehrt der Untersuchungsgegenstand selbst immer noch

einer einheitlichen, spezifischen Definition. Die vorhandenen Definitionen sind zu allgemein

gefasst oder beinhalten Teilfunktionen, die wiederum nicht genau spezifiziert sind, so dass die

gesamte Definition unbrauchbar wird. Der Zusammenhang zwischen auditiver Wahrnehmung

und allgemeinen kognitiven Faktoren wie Intelligenz, Aufmerksamkeit und Gedächtnis ist

noch weitgehend ungeklärt. Dies und die Altersabhängigkeit der einzelnen auditiven

Teilfunktionen tragen ebenfalls nicht zu einer Vereinfachung der Diagnostik bei.

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Resümee 155

Für die Therapie auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen kommen zahlreiche

Methoden zum Einsatz. Empfohlen werden u.a. das Training einzelner auditiver

Teilfunktionen mittels eigens dafür konzipierter Geräte sowie signalverbessernde Maßnahmen

wie der Einsatz von FM-Anlagen und Hörgeräten. Daneben kommen auch psychomotorische

Ansätze und das Training auditiver Funktionen mit sprachlichen Stimuli zum Einsatz.

Viele dieser Verfahren sind umstritten und ihre Effizienz wird unterschiedlich beurteilt.

Durch das nonverbale Training auditiver Funktionen konnte in verschiedenen

Untersuchungen zwar eine Verbesserung der einzelnen Funktionen erreicht werden, ein

Transfer auf sprachliche Leistungen ließ sich jedoch nicht beobachten.

In Hinblick auf Ursachenforschung und Therapieauswahl bei Sprachentwicklungsstörungen

ist es wichtig, der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und auditiver

Wahrnehmung nachzugehen. Die Fähigkeit, den sprachlichen Input wirksam aufzunehmen

und zu verarbeiten, stellt eine Voraussetzung für den ungestörten Verlauf des Spracherwerbs

dar. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich bei vielen Kindern mit

Sprachentwicklungsproblemen auch Defizite der auditiven Verarbeitung zeigen. Im

Besonderen sind hier das auditive Gedächtnis, die zeitliche Verarbeitung von Sprachsignalen

und die Nutzung prosodischer Merkmale aus dem Sprachangebot betroffen.

Sprachentwicklungsgestörten Kindern fällt es schwer, längere sprachliche Einheiten in ihrem

phonologischen Arbeitsgedächtnis für die weitere Verarbeitung zur Verfügung zu halten.

Außerdem scheinen Sprachentwicklungsprobleme auch mit der Schwierigkeit verbunden zu

sein, akustische Signale kurzer Dauer, durch die z.B. Plosive gekennzeichnet sind,

entsprechend wahrzunehmen. Auch eine gestörte Wahrnehmung für prosodisch-rhythmische

Elemente der Sprache, die eine Voraussetzung für die Ableitung grammatischer Regeln

darstellen, lässt sich bei sprachentwicklungsauffälligen Kindern beobachten.

Für die Behandlung der genannten Defizite im Rahmen einer Sprachtherapie kann zunächst

versucht werden, die allgemeine Aufmerksamkeit des Kindes auf akustische Reize zu

erhöhen. Dies kann mit verschiedenen Hör- und Horchspielen geschehen, wie sie in der

einschlägigen Literatur beschrieben werden. Außerdem sollte der sprachliche Input so

verbessert werden, dass die auditive Perzeption für die betroffenen Kinder erleichtert wird.

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Resümee 156

Durch eine bewusst betonte, verlangsamte Sprechweise und das gezielte Setzen von

Sprechpausen kann die Aufmerksamkeit des Kindes auf eine bestimmte (phonologische oder

morphologische) Zielstruktur gelenkt werden. Daneben kann z.B. in entsprechenden

„Differenzierungsspielen“ eine Sensibilisierung des Kindes auf relevante Sprachmerkmale

erfolgen.

Das Training auditiver Teilfunktionen sollte vorrangig mit sprachlichem Material erfolgen, da

durch ein rein nonverbales Training keine Verbesserung sprachlicher Fähigkeiten erwartet

werden kann. Alle diese Maßnahmen können gut in eine logopädische Behandlung von

Sprachentwicklungsstörungen eingebaut und durch den Einsatz von motivationssteigernden

Computerspielen ergänzt werden.

Trotz zahlreicher Untersuchungen, Veröffentlichungen und intensiver Forschungsarbeit

unterschiedlicher Disziplinen stellen zentral-auditive Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen immer noch einen Bereich dar, der von Unklarheit und

Widersprüchen geprägt ist. Um eine sinnvolle weitere Beschäftigung mit dieser Thematik zu

ermöglichen, sollte zunächst versucht werden, sich auf eine spezifische und einheitliche

Definition des Gegenstandes zu einigen. Auch die Normierung und Vereinheitlichung

diagnostischer sowie therapeutischer Maßnahmen würden es erleichtern,

Untersuchungsergebnisse in entsprechender Weise miteinander zu vergleichen. Zum

gegenwärtigen Zeitpunkt lässt die Forschung in diesem komplexen Bereich noch viele Fragen

offen.

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173

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig verfasst

und angefertigt habe.

Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken und Zitate sind als

solche kenntlich gemacht.

Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen

Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.

Innsbruck, im Februar 2004

Bertram Weber

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LEBENSLAUF

Bertram Weber

Geboren am 6. 4. 1964 in Spittal/Drau

Adresse: Weingartnerstraße 35, 6020 Innsbruck

Verheiratet mit Monika Weber

2 Töchter (Sarah, geb. 1985 und Timna, geb. 1995)

1970 – 1974 Volksschule Lind im Drautal

1974 – 1978 Bundesrealgymnasium Klagenfurt, Expositur Tanzenberg

1978 – 1982 Bundesoberstufenrealgymnasium Spittal/Drau,

Reifeprüfung am 2. 7. 1982

1983 Ableistung des Präsenzdienstes

1983 – 1984 Besuch der Bildungsanstalt für Erzieher in Pfaffenhofen/Tirol

Befähigungsprüfung zum Hort- und Heimerzieher am 7. 6. 1984

1984 – 1991 Universitätsbibliothekar an der Universitätsbibliothek Innsbruck

1991 – 1993 Ausbildung zum Logopäden am Ausbildungszentrum West

Innsbruck, Diplomprüfung am 29. 9. 1993

seit 1994 Logopäde an der Klinischen Abteilung für Hör-, Stimm- und

Sprachstörungen Innsbruck

seit 2001 Studium der Allgemeinen und Angewandten

Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck