AUERN ADVENT Unbeschwert ist anders · 2019. 10. 21. · Mistelholz wurde Baldur ge-tötet. Friggas...

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14. DEZEMBER 2012 B AUERN Z EITUNG 21 ....... M isteln hängen zwi- schen Himmel und Erde hoch oben in den Wipfeln der Bäume. Die weissen Beeren der Mistel reifen nur im Dezember, al- so gerade rechtzeitig für ver- schiedene Weihnachtsbräu- che. Küssen unter dem Mistelzweig Am bekanntesten ist der Kuss unter dem Mistelzweig. Steht eine Frau zur Weih- nachtszeit unter dem ge- schmückten Zweig, kann sie es nicht ablehnen, geküsst zu werden. In England wur- den die Misteln im 18. Jahr- hundert mit dem Gewehr von den Bäumen geschos- sen und «Kusskugeln» ge- nannt. Ein Kuss konnte ei- ne Romanze, aber auch ei- ne Freundschaft bedeuten. Küsst man sich in Kanada unter dem Mistelzweig, wird dies als Heiratsversprechen und Prophezeiung für ein langes Leben genommen. Um böse Geister oder Blitzschlag abzuwenden, hängt man die Mistel über der Haustür oder im Stall auf. Bei uns wächst die Mis- tel häufig auf Weisstannen und Laubbäumen. Verbrei- tet wird sie durch Vögel. So verdankt die Misteldrossel ihren Namen der Vorliebe für die klebrigen Beeren. Zaubertrank nach dem Dezembervollmond Der goldene Zweig der Druiden ist ein Mistelzweig – für sie gehörte die Mistel zu den heiligsten Pflanzen. Sie ernteten die Misteln für ihre Zaubertränke nach dem De- zembervollmond mit einer goldenen Sichel. Eine nordi- sche Sage erzählt, dass der Feuergott Loki den Sohn der Liebesgöttin Frigga umbrin- gen wollte. Um Baldur zu schützen, nahm Frigga allen Tieren und Pflanzen das Ver- sprechen ab, ihm nichts an- zutun. Sie vergass jedoch die Mistel in den Baumkronen. Mit einer Pfeilspitze aus Mistelholz wurde Baldur ge- tötet. Friggas Tränen ver- wandelten sich in weisse Beeren an den Mistelzwei- gen. Als es ihr gelang, ihren Sohn zurück ins Leben zu holen, versprach Frigga, je- den zu küssen, der unter ei- nem Mistelzweig steht. Gemäss einer anderen Le- gende bestand das Kreuz von Jesus Christus aus Mis- telholz. Der Mistelbaum war derart entsetzt, dass er nicht mehr als Baum wachsen wollte und fortan als Schma- rotzerpflanze auf anderen Bäumen lebte. Dafür wurde er ein Glücksbringer. Der Mistel wird auch eine heilende Wirkung nachge- sagt. Mistelpräparate wer- den bei Krebserkrankungen eingesetzt. Brigitte Meier Misteln ADVENT BAUERNZEITUNG: Sie schrei- ben in Ihrer Bachelor-Arbeit «Bauernfamilien unter Druck», dass nicht das Ausmass an Stress zu Überlastung führt, sondern der Umgang mit Stress. Was be- deutet das für den Landwirt/die Bäuerin unter Druck? SONJA IMOBERDORF: Jeder Mensch nimmt Stress anders wahr. Und jeder Mensch reagiert auch anders auf Belastungen. Grundsätzlich kann aber gesagt werden: Je mehr Strategien dem Landwirt oder der Bäuerin zur Verfügung stehen, um hochbe- lastende Situationen zu meis- tern, desto kleiner ist die Gefahr, dass es zu einer Überlastung kommt. Ob und wie gut eine belastende Situation bewältigt werden kann, ist von den individuellen Fähigkeiten abhängig. Was sind das für Fähigkeiten? IMOBERDORF: Schlicht gesagt ist es die Art und Weise, wie ein Problem alleine gelöst wird. Sie wird unter anderem bestimmt durch Persönlichkeitseigen- schaften wie der Fähigkeit, sich in die Situation des Gegenübers zu versetzen, um Hilfe bitten zu können oder konfliktträchtige Themen anzusprechen. Diese Fähigkeiten sind in unbelasteten Zeiten oftmals vorhanden. So- bald sich die Belastungen aber häufen, drohen sie zusammen- zubrechen. So kann es beispiels- weise vorkommen, dass ein Bauer sich gut in die Situation eines Berufskollegen in Schwie- rigkeiten hineinversetzen und ihm sogar Hinweise für mögliche Lösungen des Problems geben kann. Zu Hause reagiert derselbe Bauer aber dann gereizt und feindselig, wenn seine Frau ihn auf Beziehungsprobleme an- spricht. Er kann kein Verständnis für ihr Verhalten aufbringen. Der Grund dafür liegt vielleicht gar nicht in der Beziehung, sondern ganz woanders: Probleme mit der Eutergesundheit seiner Kühe, Schmerzen im Rücken, Sorgen wegen einer anstehen- den Investition usw. Wie können diese individuellen Fähigkeiten gestärkt werden? IMOBERDORF: Als Erstes ist es sicher hilfreich zu wissen und zu verstehen, wie sich das Verhal- ten, das psychische und körper- liche Befinden eines Menschen ändern kann, wenn er unter Stress steht. In der Tierhaltung ist es selbstverständlich, dass Stress eine negative Wirkung auf die Leistungen und das Ver- halten der Nutztiere hat. Ge- nauso kann schlecht oder nicht bewältigter Stress die familiären Beziehungen belasten. In der landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung werden vermehrt Themen aufgegriffen, die direkt mit der Stressbewältigung zu tun haben, wie etwa Kommuni- kation oder Zeitmanagement. Es gilt, solche Angebote zu nutzen. Ob und wie in der Familie mit- einander gesprochen wird, ist ganz entscheidend, auch in Bezug auf Stressbewältigung. Sie haben festgestellt, dass die Kommunikation in bäuerlichen Familien anfälliger ist als in Familien ohne Unternehmen. Woran liegt das? IMOBERDORF: In Bauernfami- lien sind das Familienleben, die berufliche Tätigkeit und Eigen- tumsfragen eng gekoppelt. Die Familienmitglieder mehrerer Generationen haben in den Systemen «Familie» und «Be- trieb» verschiedene Rollen und Beziehungen. Dies führt zu unterschiedlichen Verhaltens- und Kommunikationsregeln, die nicht immer zusammenpassen. Nehmen wir das Beispiel ei- nes jungen Landwirts, der den Betrieb von den Eltern über- nommen und diese nun bei sich angestellt hat. Als Betriebsleiter ist er der Chef der Eltern, in der Familie bleibt er aber der Sohn. Das ist eine Konstellation, in der Verhaltensunsicherhei- ten vorprogrammiert sind. Dazu kommt, dass die Familienmit- glieder in hohem Masse vonei- nander abhängig sind. Das Ver- halten und die Kommunikation richten sich in erster Linie nach der Existenz des Betriebs. Damit sich ein allfälliger Streit nicht nachteilig auf den Betrieb aus- wirkt, wird dem «Familienfrie- den» zuliebe oft geschwiegen. Das Miteinanderreden ist also in Bauernfamilien konfliktanfäl- liger als in anderen Familien, es entstehen leichter Missver- ständnisse. Um dies zu vermei- den, wird vieles gar nicht erst ausgesprochen. Da man aber nicht nicht kommunizieren kann, wirken auch Gesten und Blicke auf das Gegenüber. Ist die Bäuerin oder der Land- wirt anhaltend unter Stress, wirkt sich das auf die Paarbe- ziehung und die ganze Familie negativ aus. Wie kann der nicht belastete Partner die Stressbe- wältigung unterstützen? IMOBERDORF: Indem er sich für den Stress des Gegenübers inte- ressiert, fragt, was sich ereignet hat, zuhört und Hand bietet zur gemeinsamen Bewältigung der Belastungen. Zum Thema Stress gibt es zahl- reiche Ratgeber. Was können diese leisten? IMOBERDORF: Grundsätzlich finde ich es gut, wenn man sich mit dem Thema Stress auseinan- dersetzt. Je besser sich die Tipps und Strategien solcher Ratgeber im Alltag umsetzen lassen, desto eher können sie positive Verän- derungen anstossen. Es muss al- lerdings beachtet werden, dass die Änderung eines ungünstigen Verhaltensmusters, das sich über Jahre eingeschlichen hat, Zeit braucht. Neue Fähigkeiten im Umgang mit Stress oder der Art und Weise, wie man miteinander redet, müssen wie beim Sport trainiert werden, damit sie im Alltag mit Erfolg eingesetzt wer- den können. Da kann der Beizug eines (professionellen) Trainers oder das Mitmachen in einer Trainingsgruppe sinnvoll sein. Ideal wäre eine Erfahrungs- gruppe, die sich über einen be- grenzten Zeitraum trifft und pro- fessionell angeleitet gemeinsam Lösungen erarbeitet zu zwi- schenmenschlichen Problemen, die meist in Zusammenhang mit Stress entstehen. Was hilft noch, beziehungsweise was hilft eher als ein Ratgeber? IMOBERDORF: Die Gewissheit, dass man sich für persönliche oder soziale Probleme nicht schämen muss und dass es bei derartigen Schwierigkeiten keine Schande, sondern eine Stärke ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Anruf beim Sor- gentelefon ist beispielsweise immer möglich. Und der alte Spruch «geteiltes Leid ist halbes Leid» kann auch umformuliert werden in: «Geteilter Stress ist halber Stress». Das heisst, man muss den Menschen in seinem Umfeld mitteilen, was einen be- schäftigt. Man darf nicht davon ausgehen, dass sie von alleine merken, was los ist oder was von ihnen erwartet wird. Interview Esther Zimmermann Sonja Imoberdorf (31) hat an der Berner Fachhochschule Agronomie (Zollikofen) und nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit Soziale Arbeit (Bern) studiert. Sie hat für ihre Bachelor-Arbeit «Bauern- familien unter Druck» eine Auszeichnung erhalten. «Nicht bewältigter Stress kann die familiären Beziehungen belasten» Sonja Imoberdorf NACHGEFRAGT BERN Stress ist ein an und für sich neutraler Ausdruck, der heute vorwiegend negativ be- setzt ist. Von Stress wird gespro- chen, wenn ein Ungleichgewicht besteht zwischen den inneren und äusseren Anforderungen an eine Person und ihren Möglich- keiten, darauf zu reagieren. Die- ses Ungleichgewicht muss ob- jektiv gar nicht bestehen, es wird subjektiv aber so erlebt. Hält das Ungleichgewicht zu lange an und fehlen Entspan- nungs- sowie Entlastungspha- sen, kann Stress schädlich und krankmachend wirken. Ab wel- chem Zeitpunkt Stress untragbar wird, ist bei jeder Person anders, da abhängig von der individuel- len Lerngeschichte, der geneti- schen und biologischen Ausstat- tung sowie anderen Persönlich- keitsmerkmalen. Die häufigste Art von Stress sind alltägliche Widrigkeiten wie das Zuspätkommen zu einem Termin oder die Unzuverlässig- keit einer anderen Person. Die meisten Menschen können auch mit einer Anhäufung von sol- chen Widrigkeiten noch gut um- gehen. Problematisch wird es meist dann, wenn gleichzeitig noch kritische Lebensereignisse wie beispielsweise die Hofüber- gabe oder Entwicklungsaufga- ben wie Elternschaft oder Pen- sionierung zu bewältigen sind. Wer unter Stress steht, ist an- gespannt, nervös oder auch überempfindlich und reagiert gereizter und aggressiver als in unbeschwerten Situationen. Hält der Stress über längere Zeit an, kann das zu Erschöpfung führen. Es können sich psycho- somatische Störungen wie auch körperliche Beschwerden entwi- ckeln, und es kann zu ernsthaf- ten Konflikten in der Partner- schaft und der Familie kommen. Geht es um die Bewältigung von Stress, stehen Bauernfami- lien durch die Verknüpfung von Familie, Betrieb und Eigentum im Vergleich zu anderen Fami- lien vor besonderen Heraus- forderungen. Sonja Imoberdorf hat sich in ihrer Bachelorarbeit «Bauernfamilien unter Druck» damit auseinandergesetzt. (Sie- he Interview unten.) Esther Zimmermann Unbeschwert ist anders Druck / Kleine Widrigkeiten können stressig sein, eine Häufung von belastenden Situationen kann krank machen. Wer unter Stress steht, ist angespannt oder auch überempfindlich und reagiert gereizter als in sorglosen Momenten. (Bild Keystone)

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14. DEZEMBER 2012 BAUERNZEITUNG 21

.......

Misteln hängen zwi-schen Himmel undErde hoch oben in

den Wipfeln der Bäume. Dieweissen Beeren der Mistelreifen nur im Dezember, al-so gerade rechtzeitig für ver-schiedene Weihnachtsbräu-che.

Küssen unter dem Mistelzweig

Am bekanntesten ist derKuss unter dem Mistelzweig.Steht eine Frau zur Weih-nachtszeit unter dem ge-schmückten Zweig, kann siees nicht ablehnen, geküsstzu werden. In England wur-den die Misteln im 18. Jahr-hundert mit dem Gewehrvon den Bäumen geschos-sen und «Kusskugeln» ge-nannt. Ein Kuss konnte ei-ne Romanze, aber auch ei-ne Freundschaft bedeuten.Küsst man sich in Kanadaunter dem Mistelzweig, wirddies als Heiratsversprechenund Prophezeiung für einlanges Leben genommen.

Um böse Geister oderBlitzschlag abzuwenden,hängt man die Mistel überder Haustür oder im Stallauf. Bei uns wächst die Mis-tel häufig auf Weisstannenund Laubbäumen. Verbrei-tet wird sie durch Vögel. Soverdankt die Misteldrosselihren Namen der Vorliebefür die klebrigen Beeren.

Zaubertrank nach demDezembervollmond

Der goldene Zweig derDruiden ist ein Mistelzweig– für sie gehörte die Mistel zuden heiligsten Pflanzen. Sieernteten die Misteln für ihreZaubertränke nach dem De-zembervollmond mit einergoldenen Sichel. Eine nordi-sche Sage erzählt, dass derFeuergott Loki den Sohn derLiebesgöttin Frigga umbrin-gen wollte. Um Baldur zuschützen, nahm Frigga allenTieren und Pflanzen das Ver-sprechen ab, ihm nichts an-zutun. Sie vergass jedoch die

Mistel in den Baumkronen.Mit einer Pfeilspitze ausMistelholz wurde Baldur ge-tötet. Friggas Tränen ver-wandelten sich in weisseBeeren an den Mistelzwei-gen. Als es ihr gelang, ihrenSohn zurück ins Leben zuholen, versprach Frigga, je-den zu küssen, der unter ei-nem Mistelzweig steht.

Gemäss einer anderen Le-gende bestand das Kreuzvon Jesus Christus aus Mis-telholz. Der Mistelbaum warderart entsetzt, dass er nichtmehr als Baum wachsenwollte und fortan als Schma-rotzerpflanze auf anderenBäumen lebte. Dafür wurdeer ein Glücksbringer.

Der Mistel wird auch eineheilende Wirkung nachge-sagt. Mistelpräparate wer-den bei Krebserkrankungeneingesetzt. Brigitte Meier

Misteln

ADVENT

BAUERNZEITUNG: Sie schrei-ben in Ihrer Bachelor-Arbeit«Bauernfamilien unter Druck»,dass nicht das Ausmass an Stresszu Überlastung führt, sondernder Umgang mit Stress. Was be-deutet das für den Landwirt/dieBäuerin unter Druck?SONJA IMOBERDORF: JederMensch nimmt Stress anderswahr. Und jeder Mensch reagiertauch anders auf Belastungen.Grundsätzlich kann aber gesagtwerden: Je mehr Strategien demLandwirt oder der Bäuerin zurVerfügung stehen, um hochbe-lastende Situationen zu meis-tern, desto kleiner ist die Gefahr,dass es zu einer Überlastungkommt.

Ob und wie gut eine belastendeSituation bewältigt werdenkann, ist von den individuellenFähigkeiten abhängig. Was sinddas für Fähigkeiten?IMOBERDORF: Schlicht gesagtist es die Art und Weise, wie einProblem alleine gelöst wird. Siewird unter anderem bestimmtdurch Persönlichkeitseigen-schaften wie der Fähigkeit, sichin die Situation des Gegenüberszu versetzen, um Hilfe bitten zukönnen oder konfliktträchtigeThemen anzusprechen. DieseFähigkeiten sind in unbelastetenZeiten oftmals vorhanden. So-bald sich die Belastungen aberhäufen, drohen sie zusammen-zubrechen. So kann es beispiels-weise vorkommen, dass einBauer sich gut in die Situationeines Berufskollegen in Schwie-rigkeiten hineinversetzen undihm sogar Hinweise für mögliche

Lösungen des Problems gebenkann. Zu Hause reagiert derselbeBauer aber dann gereizt undfeindselig, wenn seine Frau ihnauf Beziehungsprobleme an-spricht. Er kann kein Verständnisfür ihr Verhalten aufbringen. DerGrund dafür liegt vielleicht garnicht in der Beziehung, sondernganz woanders: Probleme mitder Eutergesundheit seinerKühe, Schmerzen im Rücken,Sorgen wegen einer anstehen-den Investition usw.

Wie können diese individuellenFähigkeiten gestärkt werden?IMOBERDORF: Als Erstes ist essicher hilfreich zu wissen und zuverstehen, wie sich das Verhal-ten, das psychische und körper-liche Befinden eines Menschenändern kann, wenn er unterStress steht. In der Tierhaltungist es selbstverständlich, dassStress eine negative Wirkung auf die Leistungen und das Ver-halten der Nutztiere hat. Ge-nauso kann schlecht oder nichtbewältigter Stress die familiärenBeziehungen belasten. In derlandwirtschaftlichen Aus- undWeiterbildung werden vermehrtThemen aufgegriffen, die direktmit der Stressbewältigung zu tun haben, wie etwa Kommuni-kation oder Zeitmanagement. Esgilt, solche Angebote zu nutzen.

Ob und wie in der Familie mit-einander gesprochen wird, istganz entscheidend, auch inBezug auf Stressbewältigung.Sie haben festgestellt, dass dieKommunikation in bäuerlichenFamilien anfälliger ist als in

Familien ohne Unternehmen.Woran liegt das? IMOBERDORF: In Bauernfami-lien sind das Familienleben, dieberufliche Tätigkeit und Eigen-tumsfragen eng gekoppelt. DieFamilienmitglieder mehrererGenerationen haben in den Systemen «Familie» und «Be-trieb» verschiedene Rollen undBeziehungen. Dies führt zu

unterschiedlichen Verhaltens-und Kommunikationsregeln, dienicht immer zusammenpassen.

Nehmen wir das Beispiel ei-nes jungen Landwirts, der denBetrieb von den Eltern über-nommen und diese nun bei sichangestellt hat. Als Betriebsleiterist er der Chef der Eltern, in der Familie bleibt er aber derSohn. Das ist eine Konstellation,in der Verhaltensunsicherhei -ten vorprogrammiert sind. Dazukommt, dass die Familienmit-glieder in hohem Masse vonei-nander abhängig sind. Das Ver-halten und die Kommunikationrichten sich in erster Linie nachder Existenz des Betriebs. Damitsich ein allfälliger Streit nichtnachteilig auf den Betrieb aus-

wirkt, wird dem «Familienfrie-den» zuliebe oft geschwiegen.

Das Miteinanderreden ist alsoin Bauernfamilien konfliktanfäl-liger als in anderen Familien, esentstehen leichter Missver-ständnisse. Um dies zu vermei-den, wird vieles gar nicht erstausgesprochen. Da man abernicht nicht kommunizierenkann, wirken auch Gesten undBlicke auf das Gegenüber.

Ist die Bäuerin oder der Land-wirt anhaltend unter Stress,wirkt sich das auf die Paarbe-ziehung und die ganze Familienegativ aus. Wie kann der nichtbelastete Partner die Stressbe-wältigung unterstützen?IMOBERDORF: Indem er sich fürden Stress des Gegenübers inte-ressiert, fragt, was sich ereignethat, zuhört und Hand bietet zurgemeinsamen Bewältigung derBelastungen.

Zum Thema Stress gibt es zahl-reiche Ratgeber. Was könnendiese leisten?IMOBERDORF: Grundsätzlichfinde ich es gut, wenn man sichmit dem Thema Stress auseinan-dersetzt. Je besser sich die Tippsund Strategien solcher Ratgeberim Alltag umsetzen lassen, destoeher können sie positive Verän-derungen anstossen. Es muss al-lerdings beachtet werden, dassdie Änderung eines ungünstigenVerhaltensmusters, das sich überJahre eingeschlichen hat, Zeitbraucht. Neue Fähigkeiten imUmgang mit Stress oder der Artund Weise, wie man miteinanderredet, müssen wie beim Sport

trainiert werden, damit sie imAlltag mit Erfolg eingesetzt wer-den können. Da kann der Beizugeines (professionellen) Trainersoder das Mitmachen in einerTrainingsgruppe sinnvoll sein.Ideal wäre eine Erfahrungs-gruppe, die sich über einen be-grenzten Zeitraum trifft und pro-fessionell angeleitet gemeinsamLösungen erarbeitet zu zwi-schenmenschlichen Problemen,die meist in Zusammenhang mitStress entstehen.

Was hilft noch, beziehungsweisewas hilft eher als ein Ratgeber?IMOBERDORF: Die Gewissheit,dass man sich für persönlicheoder soziale Probleme nichtschämen muss und dass es beiderartigen Schwierigkeiten keineSchande, sondern eine Stärke ist,professionelle Hilfe in Anspruchzu nehmen. Ein Anruf beim Sor-gentelefon ist beispielsweiseimmer möglich. Und der alteSpruch «geteiltes Leid ist halbesLeid» kann auch umformuliertwerden in: «Geteilter Stress isthalber Stress». Das heisst, manmuss den Menschen in seinemUmfeld mitteilen, was einen be-schäftigt. Man darf nicht davonausgehen, dass sie von alleinemerken, was los ist oder was vonihnen erwartet wird.

Interview Esther Zimmermann

Sonja Imoberdorf (31) hat an der BernerFachhochschule Agronomie (Zollikofen)und nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit Soziale Arbeit (Bern) studiert.Sie hat für ihre Bachelor-Arbeit «Bauern-familien unter Druck» eine Auszeichnungerhalten.

«Nicht bewältigter Stress kann die familiären Beziehungen belasten»

Sonja Imoberdorf

NACH

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BERN ! Stress ist ein an und fürsich neutraler Ausdruck, derheute vorwiegend negativ be-setzt ist. Von Stress wird gespro-chen, wenn ein Ungleichgewichtbesteht zwischen den innerenund äusseren Anforderungen aneine Person und ihren Möglich-keiten, darauf zu reagieren. Die-ses Ungleichgewicht muss ob-jektiv gar nicht bestehen, es wirdsubjektiv aber so erlebt.

Hält das Ungleichgewicht zulange an und fehlen Entspan-nungs- sowie Entlastungspha-sen, kann Stress schädlich undkrankmachend wirken. Ab wel-chem Zeitpunkt Stress untragbarwird, ist bei jeder Person anders,da abhängig von der individuel-len Lerngeschichte, der geneti-schen und biologischen Ausstat-tung sowie anderen Persönlich-keitsmerkmalen.

Die häufigste Art von Stresssind alltägliche Widrigkeiten wiedas Zuspätkommen zu einemTermin oder die Unzuverlässig-keit einer anderen Person. Diemeisten Menschen können auchmit einer Anhäufung von sol-chen Widrigkeiten noch gut um-gehen. Problematisch wird esmeist dann, wenn gleichzeitignoch kritische Lebensereignissewie beispielsweise die Hofüber-gabe oder Entwicklungsaufga-ben wie Elternschaft oder Pen-sionierung zu bewältigen sind.

Wer unter Stress steht, ist an-gespannt, nervös oder auchüberempfindlich und reagiertgereizter und aggressiver als in unbeschwerten Situationen.Hält der Stress über längere Zeitan, kann das zu Erschöpfungführen. Es können sich psycho-somatische Störungen wie auch

körperliche Beschwerden entwi-ckeln, und es kann zu ernsthaf-ten Konflikten in der Partner-schaft und der Familie kommen.

Geht es um die Bewältigungvon Stress, stehen Bauernfami -lien durch die Verknüpfung vonFamilie, Betrieb und Eigentum

im Vergleich zu anderen Fami -lien vor besonderen Heraus -forderungen. Sonja Imoberdorf hat sich in ihrer Bachelorarbeit

«Bauernfamilien unter Druck»damit auseinandergesetzt. (Sie-he Interview unten.)

Esther Zimmermann

Unbeschwert ist andersDruck / Kleine Widrigkeiten können stressig sein, eine Häufung von belastenden Situationen kann krank machen.

Wer unter Stress steht, ist angespannt oder auch überempfindlich und reagiert gereizter als in sorglosen Momenten. (Bild Keystone)