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    Le rnen m it neuen M ed ienW a s b ring t es w irk lich? -F o r schungse rgebn is se und lem p h i lo so p h ien

    S te fa n A u fe n an g erProb lemste l lungWenn heute Medien- oder Bildungspoli-tiler von den Moglichkeiten der neuenMedien sprechen, geraten sie oftmalsins Schwiirmen. Computer und Internetwird eine Rolle zugeschrieben, diezukiinftig die Gesellschaft, das Bil-dungssystem, die Schule und das Ler-nen dramatisch veriindern wiirden. VoraIlem das Lemen mit Multimedia wirddabei hervorgehoben, denn damit gingeja aIles besser, schneller und okonomi-scher, Aber man weill ja: Wenn Politikeriiber die neuen Medien reden, ist dies et-wa so, wie wenn Teenager iiber Sex spre-chen: AIle reden dariiber, aber kaum ei-ner hat Erfahrung.Es ist deshalb notwendig und auchan der Zeit, einmal distanziert die Kon-zepte, die um das Lemen mit neuen Me-dien kreisen, etwas naher anzuschauenund natiirlich auch die vorliegenden wis-senschaftlichen Untersuchungen naherunter die Lupe zu nehmen. Was wissenwir eigentliche iiber die Optimierungvon Lernprozessen mit Multimedia? Woliegen wirkliche Chancen und wo wer-den falsche Erwartungen geweckt?Notwendig ist es schon, sich mit die-sem Thema auseinander zu setzen, daauch in der Praxis entsprechende Ver-anderungen zu vermerken sind. So fin-den wir in immer mehr Grundschuleneinen Multimedia-Coniputer imKlassen-raum, oder Schulen vernetzen sich; imUnterricht werden die Moglichkeitendes Internets aufgegriffen, oder es wer-den Lernprogramme auf CD-ROM ange-schafft. Auch im Bereich der Erwachse-nenbildung bzw. Weiterbildung werdenAus- und Weiterbildung in multimedia-ler Form angeboten. An den Hochschu-len finden verstiirkt virtuelle Seminarestatt, werden Vorlesungen hypermedialaufbereitet und ins Internet gestellt so-wie Materialien zum Selbstlernen mitMedien aufbereitet. All diese Entwick-lungen Machen deutlich, dass den neuenMedien eine besondere Qualitit fiir dasLernen zugesprochen wird. Ein Grundmehr also, nach dem Erfolg des Lernensmit neuen Medien zu fragen.

    Unter "neue Medien" werden im Fol-genden alle Formen der Wissensaufbe-reitung oder der Informationsvermitt-lung verstanden, die in digitalisierterForm iiber Computer oder Internet er-reichbar sind und die sich durch eine hy-permediale Struktur auszeichnen. Letz-teres meint, dass es sich um einen nicht-linearen Text handelt (Hypertext), derverschiedene Medien in einer einzelnenPriisentation integriert (Multimedia)und der interaktiv verwendet werdenkann. Solche hypermedialen Texte ha-ben nach WEIDENMANNine dreifacheStruktur: Sie sind multi-medial (ver-schiedene Medien), multi-codal (ver-schiedene Codierungen und Symbole)sowie multi-modal (verschiedene Sinnewerden angesprochen). Eine gute hyper-mediale Lernanwendung wiirde sichdurch eine angemessene und optimaleKombination dieser drei Strukturenauszeichnen.F o rs ch un gs erg eb nls se z um L em e nm it n eu en M e dle nBevor wir una den einzelnen For-schungsergebnissen zuwenden, mussnoch etwas iiber die Problematil und zuden Methoden der Studien zum Lernenmit neuen Medien gesagt werden. Vieleder Studien, auf die sich heute gerne be-zogen wird, liegen schon eine Zeit langzurUck und operieren noch mit Lern-programmen, die mit denen von heutein keiner Weise zu vergleichen sind.Dies ist iibrigens auch ein Hauptpro-blem der angewandten Forschung: DieStudien zu Lernprogrammen hinkenden Entwicklungen immer hinterher,d.h., wenn ein Programm evaluiert wor-den ist, dann sind schon neuere mit bes-seren Entwicklungen auf dem Markt.Weiterhin Macht die Komplexitiit dermultimedialen Anwendungen es schwer,die relevanten Faktoren fU r optimalesLernen zu bestimmen. Nicht zuletztsind die Methoden oftmals sehr frag-wiirdig. Da werden meist Studierendean Universitaten zwischen einer halbenund einer Stunde vor Programme ge-setzt und dann gefragt, was sie gelernt

    haben. Eine amerikanische Metastudie,die andere Studien ausgewertet hat,kam zu dem Schluss, dass die durch-schnittliche Interventionszeit fiir multi-mediale Lemprogramme bei etwa 30Minuten liegt, Dies ist wissenschaftlichdoch sehr gewagt.Ein gutes Beispiel fiir die Problemeder Forschung der unterschiedlichenForschungsergebnisse lasst sich anhandder aktuellen Studie von HEGARTY u.a.tdarstellen. In einem ersten experimen-tellen Durchgang wurde 60 Versuchs-person en in drei Gruppen die Funkti-onsweise einer Toilettenspiilung anhanddrei verschiedener Materialien erkliirt:Die erste Gruppe bekam ein hyperme-diales Handbuch fiir die Computerbe-nutzung, die zweite Gruppe eine Text-version der Hypermedia-Anwendungund die dritte Gruppe eine reine Text-beschreibung mit einem Diagramm zurFunktionsweise der Toilettenspiilung.Jede Versuehsperson hatte ausreichendZeit, die jeweiligen Materialien seinerGruppe zu studieren. Anschliel3end wur-de das Verstiindnis anhand eines Multi-ple-Choice-Fragebogens abgefragt.Das Ergebnis war iiberraschend: Esgab keine bedeutsamen Unterschiede inden Lemeffekten der drei Gruppen. Ineinem zweiten Durchgang wurde derLerngegenstand variiert: Neben der Er-klarung der Toilettenspillung wurde dieFunktionsweise einer Autobremse sowieeiner Fahrradpumpe erliiutert. Auchhier zeigten sieh bei den drei Gruppenkeine unterschiedlichen Lerneffekte fU rdas Verstandnis der Toilette bzw. fU r dieAutobremse. Nur das Erlernen derFunktionsweise einer Luftpumpe fielder Gruppe mit der einfachen Textvorla-ge schwerer. Das Vorwissen, erworbenin universitiiren Pbysikkursen, spieltenur fiir das Verstiindnis der Autobrem-se eine Rolle, half dagegen bei den an-deren beiden Objekten relativ wenig. Ineinem mitten Durchgang wurden auchoffene Fragen zur Kontrolle des Lernef-fekts verwendet. Aber auch dadurchkonnte nicht gezeigt werden, dass be-stimmte mediale Vorlagen zu einem bes-seren Verstiindnis der Funktionsweisen.von Maschinen fiihren.

    Nun mag man zurecht einwenden,dass die Lernmodelle doch sehr einfachseien und hypermediale Anwendungenfiir die Darstellung komplexer Anwen-dungen viel geeigneter seien. Das magstimmen, aber gerade bei differenziertenDingen diirfte das Vorwissen und dieArtund Weise, welche Lernstrategien manverwendet, entBcheidender zum Tragenkommen. Die 8usfiihrliche Darste1lungdieses Experiments sollte nur deutlich

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    machen, wie vorsichtig Forschungsergeb-nisse zu interpretieren sind.

    Weiterhin muss erwiihnt werden,dass eine Vielzahl der Untersuchungennieht neueren Datums sind und mit al-ten Lernprogrammen arbeiten, die nichtdem heutigen Stand der Hard- und Soft-wareentwicklung entsprechen. Nicht zu-letzt besteht das Problem, dass eine em-pirische Untersuchung zu einer aktuel-len Anwendung immer der Programm-entwicklung hinterhinkt, die sich dochrelativ rasch entwickelt. Dies wirdschnell deutlich, wenn man heutigeLernprogramme fiir Schulen - natiirlichnicht aIle - mit jenen von vor etwa dreiJahren vergleicht. Hier hat sich dochviel getan!Eine erste wichtige Korrektur an derVorstellung vom giinstigen Lemen mitneuen Medien hat WElDENMANNnge-braucht, Die oft zitierte Vorstellung -meist noch grafisch aufbereitet -, dassman beim Lesen nur 10% behslt, beimHoren 20%, beim Sehen 30%, beim HO-ren und Sehen 50% und beim Tun 90%,ist eine naive Annahme und in diesereinfachen Kumulation durch keine se-riose wissenschaftliche Untsrsuchunggestiitzt. Denn viele Faktoren spielenbeim Lernen mit neuen Medien eineRolle, so dass eine Reduzierung auf einesolche einfache Lerntheorie der Wirk-lichkeit des Lernens nicht gerecht wird.Schauen wir uns also einige Forschungs-ergebnisse dazu an. Es gibt positive Wirkungen von Illu-strationen auf das Behalten von Text.Bilder, die Teste erganzen, in dem siebestimmte Sachverhalte verdeutlichen,helfen bei der Wissensaufnahme abernur, wenn sie optimal gestaltet sind.D.h. etwa, dass sie anschaulich, gut be-sehriftet, nicht iiberladen und nicht zukomplex sein diirfen. Gleiches gilt natfu-lieh auch fiir Darstellungen in hyperme-dialen Anwendungen. FU r das Verstehen von multimedialenAnwendungen ist die Fiihigkeit zur De-codierung von Symbol- und Codiersyste-men notwendig. Um optimal mit denneuen Medien Lernen zu konnen, mussman also grafische Darstellungen - et-wa ein Kreisdiagramm - lesen konnenoder verstehen konnen, was bestimmteSymbole darstellen, wie sie etwa bei Ver-weisen auf andere Seiten zu finden sind.Eine wichtige Voraussetzung ist dazudie Erfahrung im Umgang mit dies enSystemen, d.h., wenn man schon mit hy-permedialen Anwendungen gearbeitethat, dann hat man ein besseres Ver-stindnis fiir die symbolischen Darstel-lungsformen und Codes bei multimedia-len Texten.

    Die Art und Weise, wie man mit Hy-permedia lernt, hangt mit den medialenPriisentationsweisen und den verwende-ten Codierungen und Symbolsystemenzusammen. So kann etwa jemand, dervon sich meint, nur iiber Zuhoren gutlernen zu konnen, trotzdem von einer v i-suell gut aufgemachten Letnanwendungprofitieren, und umgekehrt. Es gibt kei-nen typisehen ftVerbalisierer" oder "Vi-sualisierer" . Es besteht ein enger Zusammenhangzwischen thematischen Interesse undWissenserwerb. Dies ist besonders fiirden piidagogischen Alltag in Schulenwiehtig. Die bestgemachte hypermedialeLernanwendung kann relativ wenig be-wirken, wenn kein Interesse am darge-stellten Thema vorhanden ist. Schwache Lerner lernen besser in ei-ner hoch8trukturierten Lernsituation,wiihrend starke Lerner auch von einerwenig strukturierten Lemsituation pro-fitieren. Dies gilt besonders fur hyper-textuelle Anwendungen, die den Ler-nenden zwar die Moglichkeit geben, sichselbst einen Lemweg zu w3hlen oder zu-sammenzustellen, die aber schwacheLerner vor die schwierige Aufgabe derStrukturierung des Angebots stellen. Moglichkeiten zur Interaktivitat for-dert eine aktive Auseinandersetzungmit multimedialen Angeboten. Je star-ker Lernende sich in Lernanwendungenfteinbringen" konnen, desto attraktiverwird die Anwendung und motiviert auchzum Lernen. Interaktivitat kann dabeiverschiedenes heillen, wie etwa Anmer-kungen und Kommentare einfiigen, Tex-te schreiben oder auswiihlen zu konnen, Die Instruktionsmethode hat Vor-rang vor der Prseentationsweiee. Dies

    '!i ,tii i;"irl!t;i?,Cj,t,1ist eines der wichtigsten Ergebnisse, diedie bisherige Forschung iiber das Ler-nen mit neuen Medien hervorgebrachthat. Damit ist gemeint, dass die Psdago-gik immer noch die wichtigste Rollespielt und selbst eine gelungen aufge-baute und programmierte Lernanwen-dung kaum etwas bewirken kann, wennnicht eine entsprechende piidagogischeEinbettung damit verbunden ist.

    Natiirlich gibt es noch eine Vielzahlvon anderen, differenzierteren Ergeb-nissen, aber mit dieser Zusammenfas-sung soil ein gewisser Trend deutJich ge-macht werden. Dieser lasst sich dahin-gehend charakterisieren, dass die an-fiingliche Euphorie, die die neuen Medi-en bei manchen bewirkt haben, nundoch auf einen realistischen Boden zu-riickgeholt wird. Jedenfalls sind diejeni-gen, die sich mit der empirischen For-schung beschiiftigen, skeptischer gegen-iiber den Lernpotenzialen der neuen Me-dien geworden. Dies soll aber nieht siseine Entmutigung verstanden werden, .sondern vielmehr a la Ermutigung, nochgezielter die Bedingungen des Lernensmit neuen Medien zu erforschen und da-bei die vielfaltigen Faktoren, die bier er-wiihnt worden sind, zu beriicksichtigen,Aul3erdem muss auch klar festgehaltenwerden, dass das Lernen mit den ftal-ten" Medien auch nicht s o erfolgreichist, wie manche Kritiker der neuen Me-dien oder die traditionelle Schule einemweismachen will.l e m ph l l o s oph l e nDas Lemen mit den neuen Medien wildvielfach auch mit einer neuen Lernphi-losophie verbunden, die sich am Kon-struktivismus orientiert.2 Zwar liegen

    Las Vegas In SimCity 2000. Siehe dazu Text auf Selte 7.~ 4~9~9 ~5

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    I ! 9i ,t Ij ' "I ' , [ A ! ( 9 ! ' b ' t ! t j 1 ( 4 , Mschon Erfahrungen aus den 60er und70er Jahren vor, bei denen der Compu-ter zum optimierten Lernen eingesetztwurde, die dabei verwendete Lernformwar aber stark an der Instruktionspsy-chologie ausgerichtet,

    Die instruktionistische Lernphiloso-phie geht iiberwiegend von einem passi-ven Lernenden aus, dem didaktisch ge-schickt aufbereitetes Lernmaterial an-geboten wird. Die Lehrenden dagegensind aktiv und regulieren den Zugangzum Wissen. In der computerisiertenForm sind die Anwendungen meist soaufgebaut, dass die Anwender kurzeLerneinheiten angeboten bekommenund dann dazu abgefragt werden. FUrrichtige Antworten gibt es dann nvirtu-elle" Belohnungen, falsche Antwortenfiihren entweder zu einer neuen Abfragebzw. Lerneinheit oder zu einem entspre-chenden Tadel.

    Die konstruktivistische Lernphiloso-phie betont die Bedeutung der Konstruk-tion von Wissen. Letzteres wird aus die-ser 8icht nicht einfach vermittelt, son-dern in den Kopfen der Lernenden her-gestellt. Damit bekommen diese auch ei-ne aktive und die Lehrenden eine eherberatende, unterstutzende Rolle. Aus derPerspektive dieses Ansatzes sind also beiden neuen Medien nicht nur die InhaIteentscheidend, sondern ebenso diepiidagogischen Arrangements. Manspricht deshalb auch weniger von einerLernsoftware bzw. einem Lernpro-gramrn sondern vielmehr von Lern-urngebungen (learning environments),urn deutlich zu machen, dass es beimkonstruktivistischen Lemen auf das Zu-

    sammenspiel von Lehrenden, Lernendenund der Sache selbst ankommt. Kon-struktivistische Anwendungen solltenauthentisch und situiert sein, multiplePerspektiven eroffnen und in einen so-zialen Kontext eingebettet sein. DiesenForderungen liegen die Annahmen zu -grunde, d a . s s Lernen ein aktiver und kon-struktiver Prozess ist, das Lernen inKontexte und Situationen eingebettetsein sollte und dass Lernen ein selbstge-steuerter und sozialer Prozess ist. Gera-de der letzte Aspekt tiberrascht und stellthohe Anforderungen an Lernumgebun-gen. Innerhalb des konstruktivistischenAnsatzes gibt es unterschiedliche Stro-mungen, die jeweils verschiedene Aspek-te in den Lernarrangements betonen.

    So geht das "geankerte Lemen"(anchored instruction) davon aus, dassWissen ohne Anwendungsbezug da-durch vermieden werden kann, dass inErzahlungen authentische Problemsi-tuationen eingebaut werden, um bei denLernenden Aufmerksamkeit fur das Pro-blem sowie fur seine Losung zu erzeu-gen. Ein typisches Beispiel fur den nge -ankerten" Ansatz sind die Adventures o fJasper Woodbury. In kurzen Videoge-schichten wird der Held Jasper mit Pro-blemen aus dem Alltagsleben konfron-tiert. In den Geschichten sind Losungs-ansiitze versteckt, die die Lernendenentdeeken und am Ende zur Entwick-lung einer Losung anwenden miissen.Forschungen haben gezeigt, dass Kin-der, die mit diesen Ansatz arbeiten,komplexe Problems strukturierter undschneller bearbeiten konnen als Kinderaus Kontrollgruppen.

    Beispiel aus dem Target-Lernprogramm. Siehe dazu Text auf Seite 7.

    Irn Ansatz des "situierten Lernens"(situated cognition) wird die Einbin-dung des Lernthemas in reale Kontextesowie dar Transfer des erworbenen Wis-sens in Lebenssituationen betont. Meistwird dieser Ansatz mit der Projektme-thode verbunden, urn den sozialen Zu-sammenhang von Lernprozessen zu be-tonen. Ein Beispiel fiir eine hyperme-diale Lernanwendung, die den Ansprii-chen des situierten Lernens nahekommt, ist Winnies Welt - Das griineKlassenzimmer, eine Entwieklung furden Sachunterricht in der Grundschulevom Landesinstitut fUr Schule und Wei-terbildung in Nordrhein-WestfaIen. DieAnwendung an sieh kann nach dem in-struktionistischen Modell verwendetwerden, sie gewinnt jedoch erst ihre Be-deutung, wenn Kinder mit einem kom-plexen Problem aus ihrer Umwelt, z.B,mit Schiidlingen im Schulgarten, kon-frontiert werden und nun mit Hilfe derLernanwendung eine angemessene Lo-sung suchen konnen, die auf das realeProblem angewandt werden kann.

    An Bedeutung gewinnt der Ansatzdes ..fallbasierten" oder "expertenun-terstiitzten Lernens" (cognitive appren-ticeship bzw. case-based learning). Inbeiden Varianten geht es darum, dassdas Wissen zur Losung eines vorgegebe-nen komplexen Problems mit Hilfe vonExperten erworben werden kann. DieseExperten stehen in der hypermedialenLernanwendung jederzeit auf Abruf zurVerfiigung. Die Lernenden konnenselbst entscheiden, wann ihr Wissennicht ausreicht und Experten gefragtwerden sollten, Die Arbeitsgruppe urnden Munchener Psychologen HeinzMandl hat zum Beispiel fU r Medizinstu-dierende eine fallorientierte Lern~e-bung entwickelt, die hilft, das theore-tisch angeeignete Wissen in diagnosti-sche Strategien umzuwandeln, Mit dendurch das Programm gegebenen Mog-lichkeiten, Anmerkungen zur eigenenVorgehensweise zu machen und dariiberzu reflektieren, Kommentare von Ex-perten einzuholen sowie auf Fehler auf-merksam gemacht zu werden, soll dieseFiihigkeit bei einer simulierlen Diagno-se gelernt werden, um fUr den Fall ent-sprechende Therapiembglichkeiten zuentwickeln.

    Diese kurze Ubersicht soIl deutlichmachen, dass es innerhalb des konstruk-tivistischen Ansatzes zwar unterschied-liche Varianten gibt, die Grundprinzipi.en aber fiir alle leitend sind. Entschei-dend fiir den konstruktivistischen Ansatz ist auch, dass Lernanwendungenselbst nicht unbedingt aIle konstruktivistischen Kriterien erfilllen mussen, urn

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    sinnvoll eingesetzt werden zu konnen,Vielmehr mussen sie offen fur Lernpro-zesse sein und keine lineare Strukturie-rung enthalten, die nur ein Lemen vonA nach B, von B nach C usw. zulasst,

    So sind z.B. Computerspiele auchgut geeignet, urn etwa bei Simulationenselbstentdeckendes Lemen zu ermogli-chen. Ein gutes Beispiel dafiir ist etwaSimCity, ein Simulationsspiel, in demman eine Stadt aufbauen muss, dabei je-doch vielfiiltige Faktoren zu berjicksich-tigen hat (s. Abb. S. 5). Schiilerinnenund Schillern kann man in Gruppen et-wa die Aufgabe geben, Stiidte zu kon-struieren und dabei verschiedene Fakto-ren untersehiedlich zu gewichten. Aus-gangspunkt kann dabei die Situation inder eigenen Stadt sein, in der etwa einNeubaugebiet geplant ist. Die Frage wa-re, wie man dieses Gebiet attraktiv ma-chen kann und welche Infrastrukturdafiir entscheidend sein konnte. JedeGruppe kann dabei das Schwergewichtauf einen anderen Faktor legen: die ei-nen auf okologische Aspekte, die ande-ren auf soziale Aspekte und wieder an-dere auf Aspekte der Verkehrsanbin-dung.

    In einem anschlieBenden Unter-richtsgesprach werden die Simulations-szenarien gegeniibergestellt und mitein-ander verglichen. So konnen Kindernicht nur einen Einblick in bedeutsameFaktoren einer Stadtentwicklung be-kommen, sie werden auch SpaB an derSache haben und hoch motiviert sein,weil an ein Medium aus ihrer Freizeit -Computerspiele - angekniipft wird.B eis ple le fU r d as L em e nAn zwei weiteren Beispielen mochte ichdie Potenziale des Lernens mit neuenMedien abschlie.Bend doch noch aufzei-gen. Bei dem ersten Beispiel handelt essich urn den Ansatz des fallbasiertenLernens, welches besonders von denlernpsychologischen Arbeiten von Ro-GE R SCHANK,em Leiter des Institute forthe Learning Sciences (lLS) der Univer-sitat von Chicago, inspiriert wurde.SCHANKgeht davon aus, dass das tradi-tionelle Lemen wenig Moglichkeiten furalltags- und berufsrelevantes Lemen

    PenpektIveII WIl l M u Hk a e d l a 3c.lnteraktl ' t l ta tC ha nc en un d D efizite in m e die np itta go glsi;h er: ..HinsichtS t e fa n A u f en a n g e rm O Ole n p ra ktlsc h 1 /9 7, S .4 -8I n t e me t - A n pb o te f i i r K Inder8n S 1 r e i f i u g durchsWood WideWebStef lm A U t e n a n g e rm ed ie n p raktisc h 3 /9 7, S . 2 2-2 4

    ' 5 9 i . t 9 " ; U 'I , t 9 " 9 " ? I Q j ' t 4 , 1

    Lego MfndStorms. Prl'lmlertes Model l mit Microcomputer und Sensoren. Siehe Text auf Seite 8.gibt. Er favorisiert dagegen ein Lemen,welches am Umgang mit konkreten Fal-len ausgerichtet ist.

    Die amerikanische WarenhausketteTarget hat ibn beauftragt, eine hyper-mediale Lernanwendung fiir das Ser-vicepersonal des Hauses zu entwickeln,die in der Beschwerdeabteilung beschiif-tigt sind (8. Abb. S. 6). Es hatte sich ge-zeigt, das dieses Personal im Sinne derFirmenphilosophie nicht angemessengenug mit den Kunden und deren Be-schwerden umgegangen sind. Vielfachgab es spezielle Falle, die nicht alle in ei-nem Handbuch abgehandelt werdenkOnnen, so class es bei dieser Anwen-dung eher darum ging, den LemendenPrinzipien der Behandlung von Kundenzu vermitteln. Dies kann etwa in Formvon Rollenspielen geschehen. SCHANKSArgument gegen das Rollenspiel ist,dass man dabei Angst hat sich zu bla-mieren, wenn man etwas falsch machenwiirde. In einem Computerprogrammdagegen gibt es niemanden, der einenbeobachtet, so dass das Lernen unvor-eingenommener geschehen kann.

    Die Anwendung fiir Target ist nun soaufgebaut, dass man in einer Videose-quenz mit einem sich beschwerendenKunden konfrontiert wird, der etwa ei-nen Ersatz fur eine Handtasche wi l l , diedurch eine ausgelaufene Zahnpastatubeverunreinigt wurde. Der Benutzer derLernanwendung muss nun - hier noch

    in Textform - auf die Beschwerde rea-gieren und bekommt dazu mehrere Re-aktionsmoglichkeiten - Begrilllung undVerabschiedung, Fragen und Au.Berun-gen - angeboten, aus der eine Antwortzusammengebaut werden kann. Vergisstman etwa die Begrii.Bung des Kunden,weist das Programm einen darauf bin,dass eine Begrii.Bung ein wichtiges hOfli-ches Verhalten im Sinne der Firmenphi-losophie darstellt. Hat man eine richtigeReaktion gewiihlt, dann geht die Videoa-nimation in dem Fall weiter. So kannder Kunde etwa verlangen, class er allesersetzt bekommt. Die Aufgabe des Bera-ters ist in diesem Fall, einerseits demKunden so weit wie moglich entgegen zukommen, andererseits aber auch nichtBetriigereien aufzusitzen.

    Weill man nicht weiter, dann kannman entweder im Programm die Prinzi-pien der Behandlung von Kunden durch-lesen, sich von Experten beraten lassenoder den Kunden an den Manager wei-terreichen, was aber nicht gerne gesehenwird. Die Ruckmeldungen in dem Pro-gramm sowie die Ratschliige der Expe r -ten sind nicht auf eine Mal3regelungfalschen Verhaltens ausgerichtet, son-dern geben Hinweise, wie man reagierensollte und welche Prinzipien diesen Reak-tionen zugrunde liegen. Indieser Anwen-dung wUrde einem also nicht vermitte1t,wie man sieh bei Beschwerden von Kun-den zu verhalten hat, sondern an einem

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    1 ! . ' g . ' i " j ' i t 4 i t Y " l ' j C V , t , 1Fall - d as Programm bietet unterschied-liche Fa l l e an - kann man ohne aui3ereKontrolle sich selbst im Umgang mitKundenwiinschen erfahrbar machen. Da-mit gewinnen die Lernenden einengraBen Spie1raum fUr eigenstandiges Ler-nen, und sie lernen an authentischen Fill-len mit komplexen Problemen umzuge-hen. Ich denke, dass diese Form des Ler-nens nicht nur fur den Bereich der Wei-terbildung, sondern auch fur die Schuleeine ganz wichtige Bereieherung ist,

    Das zweite Beispiel kniipft an denkonstruktivistischen Ansatz des Ler-nens von SEYMOURAPERTan, der langeJahre am Media Lab des MIT in Bostongearbeitet hat und der die Program-miersprache LOGO fur Kinder ent-wickelte. In Zusammenarbeit mit derSpielzeugfirma Lego wurden von ihmund seinem Team die L e g o M i nds to rmskonstruiert, programmierbare Lego-Steine. Ein kleiner Microcomputer in e i-ner zentralen Lego-Einheit kann mit ei-nem Computeranschluss (tiber Infrarot)so programmiert werden, dass mit Rii-dern Bewegungen ausgefiihrt und aufDruck- und Lichtsensoren reagiert wer-den kann (s. Abb. S. 7). Um diese Ein-heit herum kann man nun verschiedeneFahrzeuge bis hin zu einer Basketball-Wurfmaschine bauen. Die Programmie-rung der Bewegungen sowie die Reak-tionen der Sensoren konnen mit einfa-chen Symbolen auf dem Computer er-folgen. So kann man etwa bestimmen,dass die Fahrtrichtung geandert werdenkann, wenn ein Bewegungssensor amvorderen Teil eines Fahrzeugs ein Hin-dernis oder ein Lichtsensor erneschwarze Linie meldet.

    Was ist nun das Konstruktivistisehean den Lego-Steinen? FUr PAPERTst ent-seheidend, dass Kinder - ab etwa aehtJahren, auch wenn auf der Verkaufspa-ckung a la Alter zwiilf Jahre angegebenwird - selbst die Miiglichkeiten der Pro-grammierung erkunden. Sie konnen da-mit Zusammenhiinge von komplexen Ab-laufen erkennen und Wissen dariiber er-werben, wie etwa komplexe Bewegungenzu konstruieren sind. So stellt sich etwadie Frage bei der Aufgabe, ein FahrzeugSchlangenlinien fahren zu lassen, wieder jeweilige Motor fur den Antrieb derrechten bzw. linken Rader zu program-mieren ist, wenn keine Lenkung vor-handen ist. Dieses entdeckende Lernenist eines der wichtigsten Prinzipien desLernens mit neuen Medien.Perspek t ivenDie Ubersicht konstruktivistischer An -siitze des Lernens sowie tiber einige For-schungsergebnisse zum Lernen mit neu-

    en Medien hat deutlich gemacht, dasswir noch weit davon entfernt sind, ge-naueres i.iber die Optimierung von Lern-prozessen mit Hilfe von Computern undInternet zu wlssen. Vielmehr ist die an-flingliche Euphorie einer niichternenBeurteilung der Moglichkeiten von h y-permedialen Anwendungen gewichen.Nichtsdestotrotz sollten die beschriebe-nen Ansiitze weiterverfolgt werden.

    Gerade die Differenziertheit der vor-gestellten Ansatze sowie die beiden Bei -spiele sollten deutlich gemacht haben,dass mit den neuen Medien ein Urn-bruch beim Lernen stattrmdet. DerSchwerpunkt verlagert sich dabei wegvon der Passivitlit der Lernenden in e i-ne Aktivitlit, mit der Wissen konstruiertwird. Entscheidend hierbei sind dieLernsituationen, die geniigend Freiheit,aber auch Anregungen und Bezug zu mLeben haben sollten, damit sich das Ler-nen entfalten kann.

    Wenn es gelingt, neben der bisheri-gen einseitigen Konzentration auf dieEntwicklung optimaler Lernprogrammebzw.. anwendungen den Blick auch aufdie padagogisehe Einbettung zu lenken,dann kann das Lernen mit neuen Medi-en auch Erfolg zeigen und durch ent-sprechende empirische Untersuchungenbesser gestiitzt werden als bisher,

    Anme r kungenI M A R Y HEoARTY u.a.: Mul timedia Ins tr uct io n : Les -sons from Evaluation of II. Theory-based Design.In: JournaI of Educational Multimedia and Hy-permedia.B, 1999,119-150.2 Die folgende Darstellung ist sehr verkiirzt; einefundierte Ubersicht mit vielen Literaturverwei-sen findet sich bei GER8TENI4AlERiMAL: Wis-s en se rw e rb u nt er k Q n8 tru kt iv is tU lc he r P l! T" Sp ek ti ve .In: Zei t l l chr i f t fU r Piid agogik , 41 , 1995, S.867-888.

    UteraturIssING, LUDWIG I P AUL K L iM sA (Hrsg.) (1997): Information und Lemen m it Mu lt ime d ia . WeinheimK E R R E S, M I C H A E L : MultimediaIe und telemedio.leLemumgebungen. Konzeption und En tw i c k -lung. Mfinchen 1998.

    KUBICEK, l I E R B E R T u.a. (Hrsg.) (1998): Lemort Mul-t imedia. Jahrbuch Telekommunikation und Go-aellschaft 1998. HeidelbergP A PE R T , S E Y M O U R (1998): D ie vemetzte Familie.Kinder und Computer. Mit Demo-CD-ROM.,StuttgartSCHANK, o o E R (1997): Virtual Learning. A revolu-tionary approach to building a highly skilledworkforce. New York

    UnksInstitute for the Learning Sciences (University ofChicago): http://lllww.ils.nwu.edu/LEGO Mindstorms: http:/ /www.iegomindsroTm8.com/JlI8per Woodbury-Projekt: http://peabody.vanderbilt.edulprajectslfundedljasper/Ja.tJperhome.htmlP ro f. D r . s te fa n A ufe nB n ge r, geb. 195 0 , 1s t Hochschu l l eh-r er f ii r E rz ie h u n gsw is se n s ch a ft u n d Me d ie n pMa go g ik a n d e rUn iversi tA t Ham burg.

    D ie Alp enC D-R OM des FW U

    S t e fa n Mo llO l e Mu lt im ed l a .A nwendung D ie A 1p en ist imRahmen des BLK-Modellversucha SE-MIS (Schulischer Einsatz multimedialerinteraktiver Systeme) fOr den Einsatz inder Sekundarstufe antstanden, Der MOodellversuch wurde vom FWU (lnstitutfiir Film und Bild in Wissenschaft undUnterricht) gemeinsam mit der Zentralstelle fiir Computer im Unterricht inAugsburg durchgefiihrl.Unter versehiedenen Fachperspekti-yen ist das Thema ,.Alpen" fUr die Cl).ROM gesichtet und aufgearbeitet wor-den. Entstanden ist daraus eine umfang-reiche Materialsammlung, deren f a c hb e -zogener Schwerpunkt eindeutig im Be-reich Geografie liegt, die aber auch filrdie Unterrichtsfiicher Biologie undDeutsch eine ganze Reihe von Ankniip-fungspunkten bietet. Moglichkeiten fUrfacherubergreifendes Arbeiten bietensich hier mehrfaeh. Als Hauptthemenhillt die Cl).ROM Informationen aus denBereichen Geowissen, Topografie, Kli -ma, Okosysteme, Bevdlkerung, Kultur,Wirtschaft, Verkehr und Tourismus be-reit.

    Als Multimedia-Produkt enthiilt dieCD-ROM eine ganze Reihe versehiede-ner DarsteUungsformen: von Texten,Fotos, Grafiken, Diagrammen und Kar-ten (hiiufig auch als Bild-Text-Kombina-tion) bis zu Animationen und Video-clips. Wer in einer "modernen" Multi-media-Anwendung fi.ir die Schule nurnoch Videos und Animationen erwar-tet, wird auch hier zurecht enttliuscht.Die versehiedenen Informationen wer-den im Wesentlichen in statischen For-men priisentiert.O le B ed le nu ng d es P ro gra m m s ist recht ein-gangig, es wird eine Vielzahl an Moglich-keiten zur Orientisrung geboten, wieNavigator Mersicht und zentraler Zu-griff auf die Hauptthemen), Glossar undHistory-Funktion. Ein Sammelkastenermdglicht es, vorhandene Bilder, Texte,Videos etc. selber zusammenzustellenund zu priisentieren.Bis hierher, kann man resiimieren,handelt es sich bei der Cl).ROM urn soli-de Multimedia-Kost. Doch sie bistet mitihrer breit gefacherten didaktischen Auf-arbeitung weitere interessante Details.

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    http://lllww.ils.nwu.edu/http://www.iegomindsrotm8.com/http://www.iegomindsrotm8.com/http://lllww.ils.nwu.edu/