Aus Erster Hand - Demografische Forschung · weniger dramatisch als gedacht Die Welt in Masken –...

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Eine gemeinsame Publikation des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels, des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, des Vienna Institute of Demography / Austrian Academy of Sciences und des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital. Älter, aber produktiver Europa zwischen Krise und Zuversicht Editorial Europa: Wirtschaftliche Folgen des demografischen Wandels weniger dramatisch als gedacht Die Welt in Masken – Europa in der Krise. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie steht im Mittelpunkt der aktuellen Debatten. Im Fokus stehen neben den medizinischen und den wirtschaft- lichen zunehmend auch die gesellschaftlichen und sozialen Konse- quenzen. Niemand weiß gegenwärtig, wie lange wir noch mit den unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie befasst sein werden. Davon unabhängig scheint aber absehbar, dass die Welt danach eine andere sein wird. Im Hinblick auf Mobilität, Konsum, Arbeits- organisation und wahrscheinlich auch im Familienleben kann mit nachhaltigen Veränderungen gerechnet werden. Gerade an der Schnittstelle von Berufsarbeit und Familienleben werden sich neue Muster von Absenz und Präsenz etablieren, womöglich auch mit relevanten Folgen für die Demografie. Diese Ausgabe beinhaltet Themen ohne Bezug zu Corona und sie setzt damit ein positives, hoffnungsvolles Schlaglicht auf die Zu- kunft Europas. In einem Beitrag des Wittgenstein Centre for De- mography and Global Human Capital in Wien zeigen Guillaume Marois, Alain Bélanger und Wolfgang Lutz jenseits der üblichen Fo- kussierung auf den Altenquotienten, dass durch eine höhere Pro- duktivität, stärkere Arbeitsmarktbeteiligung und Zuwanderung der demografische Wandel in Europa gut abgefedert werden könnte. Mit sieben Zukunftsszenarien simulieren die Forscher den Einfluss der genannten Faktoren. Ein weiterer Artikel zeigt die Muster der europäischen Länder hin- sichtlich der Geburtenraten. Gleichzeitig legt das Forscherteam um Nicholas Campisi unter Beteiligung des Rostocker Zentrums zur Er- forschung des Demografischen Wandels, der St. Andrew University und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung eindrucksvoll dar, wie sich die verschiedenen Muster in den Grenzregionen Euro- pas angleichen und dadurch in dieser Hinsicht nationale Grenzen verschwimmen. Geburten stehen auch im Zentrum der neuen Studie von Peter Ei- bich vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung sowie von Thomas Siedler von der Universität Hamburg. Sie analysie- ren erstmals für Deutschland, dass die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Enkelkind mit der Verrentung der Großeltern steigt. Ver- stärkt wird der Effekt dadurch, dass die Großeltern in der Nähe ihrer Kinder leben und diese dadurch im Alltag besser unterstützen können. Norbert F. Schneider Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2020 | Jahrgang 17 | 2. Quartal Aus Erster Hand Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital Mit Blick auf die Alterung der europäischen Bevöl- kerung mangelt es nicht an düsteren Prognosen – schließlich zeigt der sogenannte „Altenquotient“ in den nächsten Jahrzehnten eine bedenkliche Ent- wicklung: Kommen derzeit etwa in Österreich und Deutschland noch circa drei Menschen im Alter von 20- 64 auf einen über 65-Jährigen, so werden es im Jahr 2060 nur noch 1,5 sein. Für die Rentenkassen und die Gesundheitssysteme könnte das eine starke Belastung bedeuten, so die Befürchtung. Doch der Altenquotient allein sei für die wirtschaftliche Entwicklung und die Sozialsysteme nicht entscheidend, schreiben Guillaume Marois, Alain Bélanger und Wolfgang Lutz vom Witt- genstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien in einer aktuellen Studie im renom- mierten Journal PNAS. Denn er könne viele wichtige Trends und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht abbilden. Anstatt nur auf das Alter der Bevölkerung zu schauen, müsse vielmehr die Arbeitsleistung der Menschen in den Vordergrund rücken: Wer arbeitet wie 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 2015 2025 2035 2045 2055 2065 Klassischer Altenquotient Arbeitskraftquotient Produktivitätsabhängiger Arbeitskraftquotient Grundszenario Szenario Schweden Szenario Schweden/Kanada Verhältnis der nichtarbeitenden zur arbeitenden Bevölkerung nach verschiedenen Messmethoden (EU-28) In Zukunft werden immer mehr über 65-Jährige auf immer weniger Men- schen im sogenannten arbeitsfähigen Alter kommen. Für die Sozialsysteme sei das eine enorme Belastung war allenthalben zu lesen. Doch eine neue Studie zeigt, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Eine höhere Produktivität, eine stärkere Arbeitsmarktbeteiligung und Migration könnten die Effekte der Alterung mehr als ausgleichen. Abb.1: Bis zum Jahr 2060 steigt der Anteil der über 65-Jährigen gemessen an der übrigen Arbeitsbevölkerung (15- bis 64-Jährige) sehr stark (grüne Linie). Schaut man jedoch auf den Anteil der wirtschaftlich Aktiven im Vergleich zu den wirtschaftlich Inaktiven (rote Linie) oder auf die Produktivität der beiden Gruppen (blaue Linie), verändert sich das Verhältnis bei weitem nicht so dramatisch. Im Gegenteil: Es sind sogar Szenarien denkbar, nach denen sich der Abhängigkeitsquotient in den kommenden Jahrzehnten verbessert (blaue gestri- chelte/gepunktete Linien). Quelle: Eigene Berechnung mittels Mikrosimulation

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Eine gemeinsame Publikation des Max-Planck-Instituts fuumlr demografische Forschung des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels des Bundesinstituts fuumlr Bevoumllkerungsforschung des Vienna Institute of Demography Austrian Academy of Sciences und des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital

Aumllter aber produktiverEuropa zwischen Krise und Zuversicht

Editorial

Europa Wirtschaftliche Folgen des demografischen Wandels weniger dramatisch als gedacht

Die Welt in Masken ndash Europa in der Krise Die Bekaumlmpfung der Corona-Pandemie steht im Mittelpunkt der aktuellen Debatten Im Fokus stehen neben den medizinischen und den wirtschaft-lichen zunehmend auch die gesellschaftlichen und sozialen Konse-quenzen Niemand weiszlig gegenwaumlrtig wie lange wir noch mit den unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie befasst sein werden Davon unabhaumlngig scheint aber absehbar dass die Welt danach eine andere sein wird Im Hinblick auf Mobilitaumlt Konsum Arbeits-organisation und wahrscheinlich auch im Familienleben kann mit nachhaltigen Veraumlnderungen gerechnet werden Gerade an der Schnittstelle von Berufsarbeit und Familienleben werden sich neue Muster von Absenz und Praumlsenz etablieren womoumlglich auch mit relevanten Folgen fuumlr die DemografieDiese Ausgabe beinhaltet Themen ohne Bezug zu Corona und sie setzt damit ein positives hoffnungsvolles Schlaglicht auf die Zu-kunft Europas In einem Beitrag des Wittgenstein Centre for De-mography and Global Human Capital in Wien zeigen Guillaume Marois Alain Beacutelanger und Wolfgang Lutz jenseits der uumlblichen Fo-kussierung auf den Altenquotienten dass durch eine houmlhere Pro-duktivitaumlt staumlrkere Arbeitsmarktbeteiligung und Zuwanderung der demografische Wandel in Europa gut abgefedert werden koumlnnte Mit sieben Zukunftsszenarien simulieren die Forscher den Einfluss der genannten Faktoren Ein weiterer Artikel zeigt die Muster der europaumlischen Laumlnder hin-sichtlich der Geburtenraten Gleichzeitig legt das Forscherteam um Nicholas Campisi unter Beteiligung des Rostocker Zentrums zur Er-forschung des Demografischen Wandels der St Andrew University und des Bundesinstituts fuumlr Bevoumllkerungsforschung eindrucksvoll dar wie sich die verschiedenen Muster in den Grenzregionen Euro-pas angleichen und dadurch in dieser Hinsicht nationale Grenzen verschwimmen Geburten stehen auch im Zentrum der neuen Studie von Peter Ei-bich vom Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung sowie von Thomas Siedler von der Universitaumlt Hamburg Sie analysie-ren erstmals fuumlr Deutschland dass die Wahrscheinlichkeit fuumlr ein zweites Enkelkind mit der Verrentung der Groszligeltern steigt Ver-staumlrkt wird der Effekt dadurch dass die Groszligeltern in der Naumlhe ihrer Kinder leben und diese dadurch im Alltag besser unterstuumltzenkoumlnnen

Norbert F SchneiderBundesinstitut fuumlr Bevoumllkerungsforschung

2020 | Jahrgang 17 | 2 Quartal

Aus Erster Hand

Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital

Mit Blick auf die Alterung der europaumlischen Bevoumll-kerung mangelt es nicht an duumlsteren Prognosen ndash schlieszliglich zeigt der sogenannte bdquoAltenquotientldquo in den naumlchsten Jahrzehnten eine bedenkliche Ent-wicklung Kommen derzeit etwa in Oumlsterreich und Deutschland noch circa drei Menschen im Alter von 20-64 auf einen uumlber 65-Jaumlhrigen so werden es im Jahr 2060 nur noch 15 sein Fuumlr die Rentenkassen und die Gesundheitssysteme koumlnnte das eine starke Belastung bedeuten so die Befuumlrchtung Doch der Altenquotient

allein sei fuumlr die wirtschaftliche Entwicklung und die Sozialsysteme nicht entscheidend schreiben Guillaume Marois Alain Beacutelanger und Wolfgang Lutz vom Witt-genstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien in einer aktuellen Studie im renom-mierten Journal PNAS Denn er koumlnne viele wichtige Trends und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht abbilden Anstatt nur auf das Alter der Bevoumllkerung zu schauen muumlsse vielmehr die Arbeitsleistung der Menschen in den Vordergrund ruumlcken Wer arbeitet wie

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Klassischer Altenquotient

Arbeitskraftquotient

Produktivitaumltsabhaumlngiger Arbeitskraftquotient

Grundszenario

Szenario Schweden

Szenario SchwedenKanada

Verhaumlltnis der nichtarbeitenden zur arbeitenden Bevoumllkerung nach verschiedenen Messmethoden (EU-28)

In Zukunft werden immer mehr uumlber 65-Jaumlhrige auf immer weniger Men-schen im sogenannten arbeitsfaumlhigen Alter kommen Fuumlr die Sozialsysteme sei das eine enorme Belastung war allenthalben zu lesen Doch eine neue Studie zeigt dass diese Sichtweise zu kurz greift Eine houmlhere Produktivitaumlt eine staumlrkere Arbeitsmarktbeteiligung und Migration koumlnnten die Effekte der Alterung mehr als ausgleichen

Abb1 Bis zum Jahr 2060 steigt der Anteil der uumlber 65-Jaumlhrigen gemessen an der uumlbrigen Arbeitsbevoumllkerung (15- bis 64-Jaumlhrige) sehr stark (gruumlne Linie) Schaut man jedoch auf den Anteil der wirtschaftlich Aktiven im Vergleich zu den wirtschaftlich Inaktiven (rote Linie) oder auf die Produktivitaumlt der beiden Gruppen (blaue Linie) veraumlndert sich das Verhaumlltnis bei weitem nicht so dramatisch Im Gegenteil Es sind sogar Szenarien denkbar nach denen sich der Abhaumlngigkeitsquotient in den kommenden Jahrzehnten verbessert (blaue gestri-cheltegepunktete Linien) Quelle Eigene Berechnung mittels Mikrosimulation

2 Kontakt lutziiasaacat I Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital

viel wie lange und wie produktiv (vgl Abb 1) Wie groszlig die Unterschiede hier ausfallen koumlnnen zeigt bereits ein Blick auf verschiedene europaumlische Laumlnder Waumlhrend etwa in Italien vergleichsweise wenige Frauen und aumlltere Menschen arbeiten ist die Bevoumllkerungspyramide nach Arbeitsmarktbeteiligung in Schweden bereits viel breiter aufgestellt (vgl Abb2) Anstatt also nur den Anteil von Aumllteren im Vergleich zu Juumlngeren zu betrachten sei es sinnvoller zu schauen wie sich der Arbeits-kraftquotient (labor-force dependency ratio LFDR) entwickelt Dieser Quotient setzt alle wirtschaftlich inaktiven Personen ins Verhaumlltnis zu allen wirtschaftlich aktiven ndash ganz gleich wie alt diese sind (s Abb 1) Daruumlber hinaus fuumlhren die Autoren der Studie einen weiteren Indikator ein der auch die durch das Einkommen geschaumltzte unterschiedliche Produktivitaumlt der Bil-dungsgruppen beruumlcksichtigt den produktivitaumltsabhaumlngigen Arbeitskraftquotienten (productivity-weighted labor-force dependency ratio PWLFDR) Denn gemessen an den Einkom-mensdaten zwischen 2004 bis 2017 verdienten gut Gebildete in der EU knapp 17 mal so viel wie die mittlere Bildungsgrup-pe ndash und zahlten demnach auch mehr Steuern und houmlhere Beitraumlge fuumlr die Sozialversicherung Gering Gebildete dagegen verdienen im Schnitt 34 Prozent weniger als Menschen mit mittlerem Bildungsniveau Je nachdem wie groszlig die drei Bil-dungsgruppen in der Bevoumllkerung sind und wie sich ihre An-teile in Zukunft verschieben werden kommen diese Faktoren in dem neu eingefuumlhrten Quotienten zum Tragen Geht man nun davon aus dass sich die Geburtenrate die Sterblichkeit die Migration die Arbeitsmarktbeteiligung und das Bildungsniveau aumlhnlich wie in der juumlngsten Vergangenheit entwickeln (bdquobusiness-as-usual-Szenarioldquo) zeigen sich bei den drei Quotienten bereits deutliche Unterschiede (vgl Abb 1) Waumlhrend der Altenquotient bis 2060 um dramatische 62 Prozent ansteigt verzeichnet der Arbeitskraftquotient lediglich einen Anstieg von 20 Prozent der produktivitaumltsabhaumlngige Arbeitskraftquotient waumlchst sogar nur um zehn Prozent Das bedeutet Die Bevoumllkerung wird in diesem Szenario durchaus aumllter aber dadurch dass Frauen in groumlszligerem Umfang arbeiten oder Aumlltere erwerbstaumltig bleiben verschiebt sich der Abhaumlngig-keitsquotient zwischen der arbeitenden und nicht arbeitenden Bevoumllkerung nicht so stark Zudem sorgt eine houmlhere Produk-tivitaumlt der arbeitenden Menschen fuumlr eine weitere Entlastung

Die europaumlischen Staaten haben uumlber dieses bdquobusiness-as-usual-Szenarioldquo hinaus natuumlrlich auch die Moumlglichkeit die Bildung als Determi-nante der Produktivitaumlt die Laumlnge des Arbeits-lebens die Erwerbstaumltigkeit von Frauen sowie Art und Umfang der Migration zu beeinflussen Um das in dem neu eingefuumlhrten produktivitaumlts-abhaumlngigen Arbeitskraft-Quotienten (PWLFDR) beruumlcksichtigen zu koumlnnen haben Wolfgang Lutz und seine Kollegen sieben verschiedene Zukunftsszenarien untersuchtDas Grundszenario (s Abb 1 blaue durchge-zogene Linie) schreibt die Entwicklungen der letzten Jahre fort Es rechnet weiterhin mit einer Nettomigration in die EU von etwa einer Milli-onen Menschen pro Jahr und geht davon aus dass die Zusammensetzung der Migranten und ihre Integration am Arbeitsmarkt weitestgehend gleich bleibt Das zweite Szenario (bdquoSchwe-denldquo s Abb 1 blaue gestrichelte Linie) setzt voraus dass die Bevoumllkerung vor allem aumlltere Menschen und Frauen in Europa bis 2050 im gleichen Umfang arbeiten wie das in Schweden bereits heute der Fall ist Das dritte Szenario (bdquoKanadaldquo nicht abgebildet) orientiert sich an dem kanadischen Immigrations-system und sieht eine Verdopplung der Einwanderung nach Europa vor sowie eine staumlrkere Auswahl von Migranten mit houmlherer Bildung waumlhrend die Integration der Migranten auf dem Arbeitsmarkt allerdings der des Grundszenarios ent-spricht Das vierte Szenario (bdquoSchwedenKanadaldquo s Abb 1 blaue gepunktete Linie) ist eine Kombination aus Szenario 2 und 3

Wolfgang Lutz und seine Kollegen rechnen in ihrem Paper noch weitere Szenarien durch die sich jeweils an laumlnderspezi-fischen Entwicklungen orientieren Bei vier der insgesamt sie-ben Szenarien wird sich der produktivitaumltsabhaumlngige Arbeits-marktquotient (PWLFDR) in den kommenden vier Jahrzehnten nicht verschlechtern oder sogar verbessern Die Szenarien bdquoSchwedenldquo und bdquoSchwedenKanadaldquo bilden eine besonders positive Entwicklung ab und zeigen damit dass eine houmlhere Arbeitsmarktbeteiligung von Aumllteren und Frauen die Effekte

der Alterung ganz erheblich abmildern kann Dann so zeigen es die Berechnungen koumlnnten wir 2060 sogar besser dastehen als heute Welches Szenario dabei fuumlr welches Land am besten geeignet ist ist durchaus unterschiedlich (vgl Abb 3) Denn sowohl der Status quo als auch die Entwicklungen unter den verschiedenen Szenarien unterscheiden sich zwischen den europaumlischen Laumlndern sehr stark Im Jahr 2015 etwa hatte Italien den houmlchsten Abhaumlngig-keitsquotienten der 44

Aus Erster Hand

Literatur

Marois G A Beacutelanger and W Lutz Population aging migration and productivity in Europe Pro-ceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America [First published online 23 March 2020]DOI 101073pnas1918988117

Land

LitauenEstlandZypernSchwedenDeutschlandNiederlandeDaumlnemarkFinnlandGroszligbritannienOumlsterreichLettlandSlowakaiTschechische RepIrlandLuxemburgSpanienPolenEuropaumlische UnionSlowenienBulgarienUngarnFrankreichPortugalGriechenlandRumaumlnienBelgienMaltaKroatienItalien

2015

Grund-szenario

Vergleich zumGrundszenario

2060

077079080080084084087089089090090092093094094097098100 111

117132102114127122105114096108108094111083115096107

103084086105096090091083089095090094089090086091

108093096113121092090083094082073086067089085097

093 103091 093

102 137 106 112107 131 091 119107 119 086 106110 110 084 098111 115 102 108112 159 103 144114 122 091 108117 126 088 103119 082 081 059120 138 096 121144 118 097 098

Schweden im Kanada gute Integra -tion im Vergleich zumGrundszenario

uumlber dem EU-Durchschnitt lag gefolgt von Kroatien (+20) und Malta (19) Am unteren Ende befinden sich Litauen (-23 ) Estland (-21) und Schweden (-20) Unter dem Basisszenario wird sich der Quotient in den meisten Laumlndern verschlechtern ndash allerdings mit erheblichen Unterschieden In Griechenland etwa steigt die Abhaumlngigkeitsbelastung bis 2060 um fast 50 Prozent waumlhrend sie in der EU insgesamt nur um 11 steigt und in Italien sogar um 26 Prozent abnimmt Deutlich positiver sehen die Entwicklungen fuumlr fast alle Laumlnder unter den Szenarien 2 (Basisszenario kombiniert mit schwe-discher Erwerbsbeteiligung) und 5 (kanadische Migrations-politik mit guter Integration) aus In beiden Faumlllen wuumlrde die Abhaumlngigkeitsbelastung in der EU insgesamt sogar abnehmen (um 9 bzw 7 Prozent) Vor diesem Hintergrund scheint die Angst vor dem demo-grafischen Wandel uumlbertrieben zu sein Forciert wurde sie so schreiben Wolfgang Lutz und seine Kollegen weil das Problem lange Zeit durch den bdquoAltenquotientenldquo versinnbildlicht wur-de Dieser Quotient aber vereinfacht die Entwicklung viel zu stark und ist daher fuumlr eine Analyse wie sich die arbeitende und nicht arbeitende Bevoumllkerung in Zukunft entwickeln wird ungeeignet Vielmehr zeige eine differenziertere Sichtweise dass europaumlische Laumlnder auch ohne sehr hohe und unrea-listische Zuwanderungsraten die Folgen des demografischen Wandels auffangen koumlnnen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Wolfgang Lutz

Abb3 Europaumlische Vielfalt Je geringer ein Wert ist desto positiver ist das Verhaumlltnis von produktiver zu inaktiver Bevoumllkerung Quelle eigene Berech-nung mittels Mikrosimulation

450 225 0 02250-4

10-1420-2430-3440-4450-5460-6470-7480-8490-94

Schweden

1000 1000 3000

Italien

aktivaktivaktiv inaktivinaktiv inaktiv

0-15 0-15

Alter

Maumlnner Frauen Maumlnner Frauen

geringe Bildung mittlere Bildung hohe BildungBildungsklassen

Abb2 Der Anteil der wirtschaftlich inaktiven Menschen (rosa) ist in Schweden deutlich kleiner als in Italien ndash das gilt vor allem fuumlr die Frauen Auch ist der Anteil der gut Gebildeten hier groumlszliger Quelle European Labor Force Survey 2015 eigene Berechnung mittels Mikrosimulation

3Kontakt campisidemogrmpgde I Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Regionale Geburtenraten in Europa

Obwohl die Fertilitaumlt in Europa sehr unterschiedlich ist gleicht sie sich in Grenzregionen oft an

Europa ist in Sachen Fertilitaumlt gespalten Waumlhrend im nordwestlichen Teil relativ viele Kinder zur Welt kommen sind die Geburtenraten in Suumld- und Osteuropa sowie in den deutschsprachigen Laumlndern vergleichsweise niedrig Eine neue Studie schaut nun genauer hin Sie untersucht wie sich die Fertilitaumlt in uumlber 1000 europaumlischen Regionen entwickelt und weist nach dass Grenzregionen oft aumlhnliche Geburtenraten haben

Die Analyse zeigt daruumlber hinaus auf dass das Niveau der Geburtenraten in den Regionen auch mit dem Pro-Kopf-Einkommen und der Scheidungsrate zusammenhaumlngt Es sind also sowohl oumlkonomische als auch sozio-kulturelle und regionale Faktoren entscheidend zeigen Nicholas Campisi und Mikko Myrskylauml vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels sowie Hill Kulu und Julia Mikolai von der St Andrews University und Sebastian Kluumlsener vom Bundesinstitut fuumlr BevoumllkerungsforschungFuumlr ihre Untersuchung griffen die Demografen auf Daten aus den so genannten NUTS3-Regionen zuruumlck Diese Untertei-lung greift oft nationale Verwaltungseinheiten auf und umfasst Gebiete mit 150000 bis 800000 Einwohnern Waumlhrend etwa Luxemburg nur aus einer bdquoNUTS3ldquo-Region besteht ist Deutschland in 402 dieser Einheiten unterteilt Insgesamt umfasst die Analyse 1134 NUTS3-Regionen aus 21 europauml-ischen Laumlndern fuumlr die den Forschern die zusammengefasste Geburtenrate (TFR) aus dem Jahr 2010 bzw in drei Faumlllen aus 20092011 vorlag Auch bei dieser kleinskaligen Aufloumlsung ist die bekannte Unterteilung Europas in ndash im Wesentlichen

ndash zwei Fertilitaumltsmuster zunaumlchst deutlich zu erken-nen (s Abb1) In Frankreich England den Benelux-Laumlndern und Skandinavien liegt die Geburtenrate bei etwa 19 Kindern pro Frau Das restliche Europa pendelt eher um eine Marke von 13 Kindern pro Frau Doch diese groszligen nationalen Unterschiede uumlberdecken oft die regionale Vielfalt (s Abb 2)Schaut man auf die regionalen Abweichungen von der durchschnittlichen Geburtenrate eines Landes so laumlsst sich feststellen dass die Unterschiede zwischen den Regionen durchaus deutlich sind Zum einen bestaumltigt sich dass die Geburtenrate in staumldtisch gepraumlgten Gebieten niedriger ist als in laumlndlichen Regionen Zum anderen laumlsst sich feststellen dass sich die Fertilitaumltsniveaus in Grenzregionen oft an-gleichen ndash zumindest wenn die betroffenen Laumlnder zur gleichen Gruppe gehoumlren ndash also zu den europauml-ischen Laumlndern mit eher geringer oder mit eher hoher Geburtenrate Das gilt zum Beispiel fuumlr einige Regi-onen an der portugiesisch-spanischen der belgisch-

franzoumlsischen und der deutsch-polnischen Grenze Dabei kann zum Beispiel in westpolnischen Gebieten die Fertilitaumlt unterhalb des nationalen Durchschnitts und in ostdeutschen Regionen oberhalb des nationalen Durchschnitts liegen Solche Beobachtungen koumlnnten die These unterstuumltzen dass nationale Grenzen zu-kuumlnftig unbedeutender regionale Grenzen dagegen wichtiger werdenUm herauszufinden welche Faktoren daruumlber hinaus fuumlr regionale Fertilitaumltsmuster entscheidend sind haben die Autoren der Studie auch untersucht ob sie einen Zusammenhang mit verschiedenen sozio-kulturellen und oumlkonomischen Indikatoren finden wie zB der Beschaumlftigungsquote dem Pro-Kopf-Einkommen dem Anteil an Mehrfamilienhaumlu-sern oder dem Anteil an geschiedenen Personen Ein hoher Anteil geschiedener Personen hat demnach oft eine vergleichsweise niedrige Geburtenrate zur Folge In zweiter Linie war auch das Pro-Kopf-Einkommen entscheidend In Regionen in denen durchschnittlich gut verdient wird sind die Gebur-tenraten meist eher niedrig Abgesehen davon dass in der Studie erstmals in dieser Breite regionale Un-terschiede uumlber Laumlndergrenzen hinweg untersucht wurden haben die Demografen auch verschiedene

Modelle fuumlr ihre Analyse erprobt Um zu untersuchen welche Faktoren fuumlr die regionale Entwicklung der Geburtenrate eine Rolle spielten verwendeten sie nicht nur gewoumlhnliche Regressionsmodelle Sie erprobten auch sogenannte raumlumliche Modelle welche die Schaumltzung von Einfluumlssen zwischen den Regionen zulassen Sie erwiesen sich fuumlr die regionale Analyse als besonders geeignet

Mitautor der wissenschaftlichen StudieNicholas Campisi

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Literatur

Campisi N H Kulu J Mikolai S Kluumlsener and M Myrskylauml Spatial variation in fertility across Europe patterns and determinants Population Space and Place [First published online 15 January 2020]DOI 101002psp2308

Aus Erster Hand

Abb1 Die zwei Gruppen von Laumlndern mit hoher und niedriger Fertili-taumlt (hier die Geburtenrate aus dem Jahr 2010) zeichnen sich in Europa deutlich ab Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

099 - 130

0 250 500 750 1000 km

130 - 150150 - 180180 - 210210 - 245

Geburtenrate 2010

-20-40

-10-050005102040

0 250 500 750 1000 km

Regionale Abweichungen von der nationalen Geburtenrate 2010

Abb2 Betrachtet man die Abweichungen von der durchschnittlichen Fertilitaumlt (Geburtenrate TFR 2010) in den einzelnen Laumlndern so zeigen sich deutliche regionale Unterschiede Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

4

Impressum

Herausgeber Mikko Myrskylauml Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Rostockin Kooperation mitbull Mikko Myrskylauml Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels Rostockbull Heike Trappe Institut fuumlr Soziologie und Demografie Universitaumlt Rostockbull Norbert F Schneider Bundesinstitut fuumlr Bevoumllkerungsforschung Wiesbadenbull Wolfgang Lutz Vienna Institute of Demography Austrian Academy of Sciences und Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital WienISSN 1613-5822Verantwortliche Redakteurin Christina Bohk-Ewald (ViSdP) Redaktionsleitung Tomma SchroumlderWissenschaftliche Beratung Katja Koumlppen Christina Bohk-EwaldTechnische Leitung Silvia Leek Layout Antje Storek-LangbeinDruck Altstadt-Druck 18057 RostockAnschrift Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Konrad-Zuse-Str 1 18057 Rostock DeutschlandTelefon (+49) 3812081-143 Telefax (+49) 3812081-443E-Mail redaktiondemografische-forschungorgWeb wwwdemografische-forschungorgErscheinungsweise viermal jaumlhrlichMax-Planck-Gesellschaft zur Foumlrderung der Wissenschaften eV

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Kontakt eibichdemogrmpgde I Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Mit dem Ruhestand kommt das Enkelkind

Vor allem die Wahrscheinlichkeit fuumlr ein zweites Enkelkind steigt mit der Verrentung

Groszligeltern mit viel Zeit koumlnnen fuumlr junge Familien ein Segen sein Daher verwundert es nicht dass die Wahrscheinlich-keit fuumlr ein (weiteres) Enkelkind nach ihrer Verrentung steigt Eine neue Studie zeigt nun Der Effekt tritt vor allem dann auf wenn Vaumlter in den Ruhestand gehen und wenn bereits ein erstes Enkelkind da ist Die Gesamtzahl der Enkelkinder wird durch die Verrentung nicht beeinflusst

Das Kind von der Kita abholen abends den Babysitter stellen und bei beruflichen Terminen den Ruumlcken frei halten Groszligel-tern die in der Naumlhe wohnen koumlnnen fuumlr die Familien ihrer erwachsenen Kinder eine groszlige Entlastung darstellen Dass sich dies auch in der Familienplanung wiederspiegelt zeigen Peter Eibich vom Max-Planck-Institut fuumlr demografische For-schung sowie Thomas Siedler von der Universitaumlt Hamburg in einer neuen Studie erstmals fuumlr Deutschland Die beiden Forscher werteten Daten des Sozio-oekono-mischen Panels (SOEP) aus den Jahren 1984 bis 2017 aus und schauten wie sich der Renteneintritt der Groszligeltern auf die Familienplanung ihrer erwachsenen Kinder aus-wirkte Weil sie sich auf Rentner fokussierten die aufgrund von finanziellen Anreizen und Rentenreformen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden waren koumlnnen die Forscher davon ausgehen dass tatsaumlchlich die Verrentung selbst den gemessenen Effekt hat Die Ergebnisse sind zumindest nach einer Fruumlhverrentung mit 60 Jahren recht deutlich Geht ein Vater in diesem Alter in Rente steigt die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird um 17 Prozentpunkte (s Abb 1) Bei der Fruumlhverren-tung von Muumlttern sind es hingegen nur elf Prozentpunkte

Die Wahrscheinlichkeit dass Toumlchter ein (weiteres) Kind bekommen ist dabei groumlszliger Sie steigt bei der Verrentung der Groszligvaumlter um 19 Prozentpunkte bei Groszligmuumlttern um 15 Prozentpunkte Die Wahrscheinlichkeit dass Soumlhne (noch einmal) Vaumlter werden ist mit 14 bzw 8 Prozentpunkten etwas niedrigerAuf den ersten Blick uumlberrascht dieses Ergebnis Denn es sind in aller Regel die Groszligmuumltter die mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen ndash im Schnitt eine halbe Stunde pro Werktag und eine ganze Stunde zusaumltzlich nach ihrem Renteneintritt Groszligvaumlter dagegen verbringen nach ihrer Verrentung nicht unbedingt mehr Zeit mit ihren Enkeln Aber im Gegensatz zu den Groszligmuumlttern hatten sie in ihrer Erwerbstaumltigkeit oft die groumlszligere Wochenarbeitszeit Faumlllt diese durch die Verrentung weg macht sich das auch fuumlr die Groszligmuumltter deutlicher bemerkbar Die Autoren der Studie vermuten dass sie in der Folge im eigenen Haushalt entlastet werden und mehr Kapazitaumlten fuumlr die Enkel haben Deutlich wird das vor allem an den Wochenenden Sind die Groszligvaumlter in Rente verbringen die Groszligmuumltter samstags und sonntags eine Stunde taumlglich mehr mit ihren Enkeln In weiteren Analysen konnten Eibich und Siedler belegen dass der Verrentungs-Effekt vor allem dann auftritt wenn die Groszligeltern weniger als eine Stunde Fahrtzeit von ihren Kindern und Enkelkindern entfernt wohnen Auch das Ein-kommen der erwachsenen Kinder spielt eine Rolle Gehoumlren sie zu den Gutverdienern (oberes Einkommensquartil) steigt

die Wahrscheinlichkeit fuumlr eine Geburt sogar um 31 Pro-zentpunkte ein Jahr nach der Fruumlhverrentung der Vaumlter und um 41 Prozentpunkte bei einer Fruumlhverrentung der Muumltter Daruumlber hinaus ist auch die Familiengroumlszlige von Bedeutung Vor allem wenn die Eltern bereits ein Kind haben kann die Verrentung der Groszligeltern die Entscheidung fuumlr ein zweites stark beeinflussen Ist noch kein Kind da ist der Groszligeltern-Effekt mit knapp zehn Prozentpunkten deutlich geringer bei zwei und mehr Kindern ist statistisch gar kein signifikanter Zusammenhang mehr festzustellenAuswirkungen auf die Gesamtzahl der Enkelkinder hat die Verrentung der Groszligeltern allerdings nicht Und die darge-stellten Zusammenhaumlnge gelten auch nur fuumlr eine Fruumlhver-rentung mit 60 Jahren ndash vermutlich weil viele erwachsene Kinder ihre Familienplanung bereits weitestgehend abge-schlossen haben wenn ihre Eltern regulaumlr in Rente gehen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Peter Eibich

Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Aus Erster Hand

Literatur

Eibich P and T Siedler Retirement intergenerati-onal time transfers and fertility European Economic Review [First published online 14 February 2020]DOI 101016jeuroecorev2020103392

Effe

ktgr

oumlszlige

Effe

ktgr

oumlszlige

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Jahre bis zumJahre seit dem Renteneintritt

Renteneintritt Vater

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Renteneintritt Mutter

PunktschaumltzungKonfidenzintervall

04030201

0-01 -01-02-03-04

04030201

0

-02-03-04

Abb1 Quelle Die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird ist vor allem nach dem Renteneintritt von Vaumltern beson-ders hoch Quelle SOEP eigene Berechnungen

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2 Kontakt lutziiasaacat I Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital

viel wie lange und wie produktiv (vgl Abb 1) Wie groszlig die Unterschiede hier ausfallen koumlnnen zeigt bereits ein Blick auf verschiedene europaumlische Laumlnder Waumlhrend etwa in Italien vergleichsweise wenige Frauen und aumlltere Menschen arbeiten ist die Bevoumllkerungspyramide nach Arbeitsmarktbeteiligung in Schweden bereits viel breiter aufgestellt (vgl Abb2) Anstatt also nur den Anteil von Aumllteren im Vergleich zu Juumlngeren zu betrachten sei es sinnvoller zu schauen wie sich der Arbeits-kraftquotient (labor-force dependency ratio LFDR) entwickelt Dieser Quotient setzt alle wirtschaftlich inaktiven Personen ins Verhaumlltnis zu allen wirtschaftlich aktiven ndash ganz gleich wie alt diese sind (s Abb 1) Daruumlber hinaus fuumlhren die Autoren der Studie einen weiteren Indikator ein der auch die durch das Einkommen geschaumltzte unterschiedliche Produktivitaumlt der Bil-dungsgruppen beruumlcksichtigt den produktivitaumltsabhaumlngigen Arbeitskraftquotienten (productivity-weighted labor-force dependency ratio PWLFDR) Denn gemessen an den Einkom-mensdaten zwischen 2004 bis 2017 verdienten gut Gebildete in der EU knapp 17 mal so viel wie die mittlere Bildungsgrup-pe ndash und zahlten demnach auch mehr Steuern und houmlhere Beitraumlge fuumlr die Sozialversicherung Gering Gebildete dagegen verdienen im Schnitt 34 Prozent weniger als Menschen mit mittlerem Bildungsniveau Je nachdem wie groszlig die drei Bil-dungsgruppen in der Bevoumllkerung sind und wie sich ihre An-teile in Zukunft verschieben werden kommen diese Faktoren in dem neu eingefuumlhrten Quotienten zum Tragen Geht man nun davon aus dass sich die Geburtenrate die Sterblichkeit die Migration die Arbeitsmarktbeteiligung und das Bildungsniveau aumlhnlich wie in der juumlngsten Vergangenheit entwickeln (bdquobusiness-as-usual-Szenarioldquo) zeigen sich bei den drei Quotienten bereits deutliche Unterschiede (vgl Abb 1) Waumlhrend der Altenquotient bis 2060 um dramatische 62 Prozent ansteigt verzeichnet der Arbeitskraftquotient lediglich einen Anstieg von 20 Prozent der produktivitaumltsabhaumlngige Arbeitskraftquotient waumlchst sogar nur um zehn Prozent Das bedeutet Die Bevoumllkerung wird in diesem Szenario durchaus aumllter aber dadurch dass Frauen in groumlszligerem Umfang arbeiten oder Aumlltere erwerbstaumltig bleiben verschiebt sich der Abhaumlngig-keitsquotient zwischen der arbeitenden und nicht arbeitenden Bevoumllkerung nicht so stark Zudem sorgt eine houmlhere Produk-tivitaumlt der arbeitenden Menschen fuumlr eine weitere Entlastung

Die europaumlischen Staaten haben uumlber dieses bdquobusiness-as-usual-Szenarioldquo hinaus natuumlrlich auch die Moumlglichkeit die Bildung als Determi-nante der Produktivitaumlt die Laumlnge des Arbeits-lebens die Erwerbstaumltigkeit von Frauen sowie Art und Umfang der Migration zu beeinflussen Um das in dem neu eingefuumlhrten produktivitaumlts-abhaumlngigen Arbeitskraft-Quotienten (PWLFDR) beruumlcksichtigen zu koumlnnen haben Wolfgang Lutz und seine Kollegen sieben verschiedene Zukunftsszenarien untersuchtDas Grundszenario (s Abb 1 blaue durchge-zogene Linie) schreibt die Entwicklungen der letzten Jahre fort Es rechnet weiterhin mit einer Nettomigration in die EU von etwa einer Milli-onen Menschen pro Jahr und geht davon aus dass die Zusammensetzung der Migranten und ihre Integration am Arbeitsmarkt weitestgehend gleich bleibt Das zweite Szenario (bdquoSchwe-denldquo s Abb 1 blaue gestrichelte Linie) setzt voraus dass die Bevoumllkerung vor allem aumlltere Menschen und Frauen in Europa bis 2050 im gleichen Umfang arbeiten wie das in Schweden bereits heute der Fall ist Das dritte Szenario (bdquoKanadaldquo nicht abgebildet) orientiert sich an dem kanadischen Immigrations-system und sieht eine Verdopplung der Einwanderung nach Europa vor sowie eine staumlrkere Auswahl von Migranten mit houmlherer Bildung waumlhrend die Integration der Migranten auf dem Arbeitsmarkt allerdings der des Grundszenarios ent-spricht Das vierte Szenario (bdquoSchwedenKanadaldquo s Abb 1 blaue gepunktete Linie) ist eine Kombination aus Szenario 2 und 3

Wolfgang Lutz und seine Kollegen rechnen in ihrem Paper noch weitere Szenarien durch die sich jeweils an laumlnderspezi-fischen Entwicklungen orientieren Bei vier der insgesamt sie-ben Szenarien wird sich der produktivitaumltsabhaumlngige Arbeits-marktquotient (PWLFDR) in den kommenden vier Jahrzehnten nicht verschlechtern oder sogar verbessern Die Szenarien bdquoSchwedenldquo und bdquoSchwedenKanadaldquo bilden eine besonders positive Entwicklung ab und zeigen damit dass eine houmlhere Arbeitsmarktbeteiligung von Aumllteren und Frauen die Effekte

der Alterung ganz erheblich abmildern kann Dann so zeigen es die Berechnungen koumlnnten wir 2060 sogar besser dastehen als heute Welches Szenario dabei fuumlr welches Land am besten geeignet ist ist durchaus unterschiedlich (vgl Abb 3) Denn sowohl der Status quo als auch die Entwicklungen unter den verschiedenen Szenarien unterscheiden sich zwischen den europaumlischen Laumlndern sehr stark Im Jahr 2015 etwa hatte Italien den houmlchsten Abhaumlngig-keitsquotienten der 44

Aus Erster Hand

Literatur

Marois G A Beacutelanger and W Lutz Population aging migration and productivity in Europe Pro-ceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America [First published online 23 March 2020]DOI 101073pnas1918988117

Land

LitauenEstlandZypernSchwedenDeutschlandNiederlandeDaumlnemarkFinnlandGroszligbritannienOumlsterreichLettlandSlowakaiTschechische RepIrlandLuxemburgSpanienPolenEuropaumlische UnionSlowenienBulgarienUngarnFrankreichPortugalGriechenlandRumaumlnienBelgienMaltaKroatienItalien

2015

Grund-szenario

Vergleich zumGrundszenario

2060

077079080080084084087089089090090092093094094097098100 111

117132102114127122105114096108108094111083115096107

103084086105096090091083089095090094089090086091

108093096113121092090083094082073086067089085097

093 103091 093

102 137 106 112107 131 091 119107 119 086 106110 110 084 098111 115 102 108112 159 103 144114 122 091 108117 126 088 103119 082 081 059120 138 096 121144 118 097 098

Schweden im Kanada gute Integra -tion im Vergleich zumGrundszenario

uumlber dem EU-Durchschnitt lag gefolgt von Kroatien (+20) und Malta (19) Am unteren Ende befinden sich Litauen (-23 ) Estland (-21) und Schweden (-20) Unter dem Basisszenario wird sich der Quotient in den meisten Laumlndern verschlechtern ndash allerdings mit erheblichen Unterschieden In Griechenland etwa steigt die Abhaumlngigkeitsbelastung bis 2060 um fast 50 Prozent waumlhrend sie in der EU insgesamt nur um 11 steigt und in Italien sogar um 26 Prozent abnimmt Deutlich positiver sehen die Entwicklungen fuumlr fast alle Laumlnder unter den Szenarien 2 (Basisszenario kombiniert mit schwe-discher Erwerbsbeteiligung) und 5 (kanadische Migrations-politik mit guter Integration) aus In beiden Faumlllen wuumlrde die Abhaumlngigkeitsbelastung in der EU insgesamt sogar abnehmen (um 9 bzw 7 Prozent) Vor diesem Hintergrund scheint die Angst vor dem demo-grafischen Wandel uumlbertrieben zu sein Forciert wurde sie so schreiben Wolfgang Lutz und seine Kollegen weil das Problem lange Zeit durch den bdquoAltenquotientenldquo versinnbildlicht wur-de Dieser Quotient aber vereinfacht die Entwicklung viel zu stark und ist daher fuumlr eine Analyse wie sich die arbeitende und nicht arbeitende Bevoumllkerung in Zukunft entwickeln wird ungeeignet Vielmehr zeige eine differenziertere Sichtweise dass europaumlische Laumlnder auch ohne sehr hohe und unrea-listische Zuwanderungsraten die Folgen des demografischen Wandels auffangen koumlnnen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Wolfgang Lutz

Abb3 Europaumlische Vielfalt Je geringer ein Wert ist desto positiver ist das Verhaumlltnis von produktiver zu inaktiver Bevoumllkerung Quelle eigene Berech-nung mittels Mikrosimulation

450 225 0 02250-4

10-1420-2430-3440-4450-5460-6470-7480-8490-94

Schweden

1000 1000 3000

Italien

aktivaktivaktiv inaktivinaktiv inaktiv

0-15 0-15

Alter

Maumlnner Frauen Maumlnner Frauen

geringe Bildung mittlere Bildung hohe BildungBildungsklassen

Abb2 Der Anteil der wirtschaftlich inaktiven Menschen (rosa) ist in Schweden deutlich kleiner als in Italien ndash das gilt vor allem fuumlr die Frauen Auch ist der Anteil der gut Gebildeten hier groumlszliger Quelle European Labor Force Survey 2015 eigene Berechnung mittels Mikrosimulation

3Kontakt campisidemogrmpgde I Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Regionale Geburtenraten in Europa

Obwohl die Fertilitaumlt in Europa sehr unterschiedlich ist gleicht sie sich in Grenzregionen oft an

Europa ist in Sachen Fertilitaumlt gespalten Waumlhrend im nordwestlichen Teil relativ viele Kinder zur Welt kommen sind die Geburtenraten in Suumld- und Osteuropa sowie in den deutschsprachigen Laumlndern vergleichsweise niedrig Eine neue Studie schaut nun genauer hin Sie untersucht wie sich die Fertilitaumlt in uumlber 1000 europaumlischen Regionen entwickelt und weist nach dass Grenzregionen oft aumlhnliche Geburtenraten haben

Die Analyse zeigt daruumlber hinaus auf dass das Niveau der Geburtenraten in den Regionen auch mit dem Pro-Kopf-Einkommen und der Scheidungsrate zusammenhaumlngt Es sind also sowohl oumlkonomische als auch sozio-kulturelle und regionale Faktoren entscheidend zeigen Nicholas Campisi und Mikko Myrskylauml vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels sowie Hill Kulu und Julia Mikolai von der St Andrews University und Sebastian Kluumlsener vom Bundesinstitut fuumlr BevoumllkerungsforschungFuumlr ihre Untersuchung griffen die Demografen auf Daten aus den so genannten NUTS3-Regionen zuruumlck Diese Untertei-lung greift oft nationale Verwaltungseinheiten auf und umfasst Gebiete mit 150000 bis 800000 Einwohnern Waumlhrend etwa Luxemburg nur aus einer bdquoNUTS3ldquo-Region besteht ist Deutschland in 402 dieser Einheiten unterteilt Insgesamt umfasst die Analyse 1134 NUTS3-Regionen aus 21 europauml-ischen Laumlndern fuumlr die den Forschern die zusammengefasste Geburtenrate (TFR) aus dem Jahr 2010 bzw in drei Faumlllen aus 20092011 vorlag Auch bei dieser kleinskaligen Aufloumlsung ist die bekannte Unterteilung Europas in ndash im Wesentlichen

ndash zwei Fertilitaumltsmuster zunaumlchst deutlich zu erken-nen (s Abb1) In Frankreich England den Benelux-Laumlndern und Skandinavien liegt die Geburtenrate bei etwa 19 Kindern pro Frau Das restliche Europa pendelt eher um eine Marke von 13 Kindern pro Frau Doch diese groszligen nationalen Unterschiede uumlberdecken oft die regionale Vielfalt (s Abb 2)Schaut man auf die regionalen Abweichungen von der durchschnittlichen Geburtenrate eines Landes so laumlsst sich feststellen dass die Unterschiede zwischen den Regionen durchaus deutlich sind Zum einen bestaumltigt sich dass die Geburtenrate in staumldtisch gepraumlgten Gebieten niedriger ist als in laumlndlichen Regionen Zum anderen laumlsst sich feststellen dass sich die Fertilitaumltsniveaus in Grenzregionen oft an-gleichen ndash zumindest wenn die betroffenen Laumlnder zur gleichen Gruppe gehoumlren ndash also zu den europauml-ischen Laumlndern mit eher geringer oder mit eher hoher Geburtenrate Das gilt zum Beispiel fuumlr einige Regi-onen an der portugiesisch-spanischen der belgisch-

franzoumlsischen und der deutsch-polnischen Grenze Dabei kann zum Beispiel in westpolnischen Gebieten die Fertilitaumlt unterhalb des nationalen Durchschnitts und in ostdeutschen Regionen oberhalb des nationalen Durchschnitts liegen Solche Beobachtungen koumlnnten die These unterstuumltzen dass nationale Grenzen zu-kuumlnftig unbedeutender regionale Grenzen dagegen wichtiger werdenUm herauszufinden welche Faktoren daruumlber hinaus fuumlr regionale Fertilitaumltsmuster entscheidend sind haben die Autoren der Studie auch untersucht ob sie einen Zusammenhang mit verschiedenen sozio-kulturellen und oumlkonomischen Indikatoren finden wie zB der Beschaumlftigungsquote dem Pro-Kopf-Einkommen dem Anteil an Mehrfamilienhaumlu-sern oder dem Anteil an geschiedenen Personen Ein hoher Anteil geschiedener Personen hat demnach oft eine vergleichsweise niedrige Geburtenrate zur Folge In zweiter Linie war auch das Pro-Kopf-Einkommen entscheidend In Regionen in denen durchschnittlich gut verdient wird sind die Gebur-tenraten meist eher niedrig Abgesehen davon dass in der Studie erstmals in dieser Breite regionale Un-terschiede uumlber Laumlndergrenzen hinweg untersucht wurden haben die Demografen auch verschiedene

Modelle fuumlr ihre Analyse erprobt Um zu untersuchen welche Faktoren fuumlr die regionale Entwicklung der Geburtenrate eine Rolle spielten verwendeten sie nicht nur gewoumlhnliche Regressionsmodelle Sie erprobten auch sogenannte raumlumliche Modelle welche die Schaumltzung von Einfluumlssen zwischen den Regionen zulassen Sie erwiesen sich fuumlr die regionale Analyse als besonders geeignet

Mitautor der wissenschaftlichen StudieNicholas Campisi

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Literatur

Campisi N H Kulu J Mikolai S Kluumlsener and M Myrskylauml Spatial variation in fertility across Europe patterns and determinants Population Space and Place [First published online 15 January 2020]DOI 101002psp2308

Aus Erster Hand

Abb1 Die zwei Gruppen von Laumlndern mit hoher und niedriger Fertili-taumlt (hier die Geburtenrate aus dem Jahr 2010) zeichnen sich in Europa deutlich ab Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

099 - 130

0 250 500 750 1000 km

130 - 150150 - 180180 - 210210 - 245

Geburtenrate 2010

-20-40

-10-050005102040

0 250 500 750 1000 km

Regionale Abweichungen von der nationalen Geburtenrate 2010

Abb2 Betrachtet man die Abweichungen von der durchschnittlichen Fertilitaumlt (Geburtenrate TFR 2010) in den einzelnen Laumlndern so zeigen sich deutliche regionale Unterschiede Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

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Impressum

Herausgeber Mikko Myrskylauml Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Rostockin Kooperation mitbull Mikko Myrskylauml Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels Rostockbull Heike Trappe Institut fuumlr Soziologie und Demografie Universitaumlt Rostockbull Norbert F Schneider Bundesinstitut fuumlr Bevoumllkerungsforschung Wiesbadenbull Wolfgang Lutz Vienna Institute of Demography Austrian Academy of Sciences und Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital WienISSN 1613-5822Verantwortliche Redakteurin Christina Bohk-Ewald (ViSdP) Redaktionsleitung Tomma SchroumlderWissenschaftliche Beratung Katja Koumlppen Christina Bohk-EwaldTechnische Leitung Silvia Leek Layout Antje Storek-LangbeinDruck Altstadt-Druck 18057 RostockAnschrift Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Konrad-Zuse-Str 1 18057 Rostock DeutschlandTelefon (+49) 3812081-143 Telefax (+49) 3812081-443E-Mail redaktiondemografische-forschungorgWeb wwwdemografische-forschungorgErscheinungsweise viermal jaumlhrlichMax-Planck-Gesellschaft zur Foumlrderung der Wissenschaften eV

Namentlich gekennzeichnete Beitraumlge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Herausgeber oder der Redaktion wieder Der Abdruck von Artikeln Auszuumlgen und Grafiken ist nur fuumlr nichtkommerzielle Zwecke bei Nennung der Quelle erlaubt Um Zusendung von Belegexemplaren wird gebeten

Kontakt eibichdemogrmpgde I Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Mit dem Ruhestand kommt das Enkelkind

Vor allem die Wahrscheinlichkeit fuumlr ein zweites Enkelkind steigt mit der Verrentung

Groszligeltern mit viel Zeit koumlnnen fuumlr junge Familien ein Segen sein Daher verwundert es nicht dass die Wahrscheinlich-keit fuumlr ein (weiteres) Enkelkind nach ihrer Verrentung steigt Eine neue Studie zeigt nun Der Effekt tritt vor allem dann auf wenn Vaumlter in den Ruhestand gehen und wenn bereits ein erstes Enkelkind da ist Die Gesamtzahl der Enkelkinder wird durch die Verrentung nicht beeinflusst

Das Kind von der Kita abholen abends den Babysitter stellen und bei beruflichen Terminen den Ruumlcken frei halten Groszligel-tern die in der Naumlhe wohnen koumlnnen fuumlr die Familien ihrer erwachsenen Kinder eine groszlige Entlastung darstellen Dass sich dies auch in der Familienplanung wiederspiegelt zeigen Peter Eibich vom Max-Planck-Institut fuumlr demografische For-schung sowie Thomas Siedler von der Universitaumlt Hamburg in einer neuen Studie erstmals fuumlr Deutschland Die beiden Forscher werteten Daten des Sozio-oekono-mischen Panels (SOEP) aus den Jahren 1984 bis 2017 aus und schauten wie sich der Renteneintritt der Groszligeltern auf die Familienplanung ihrer erwachsenen Kinder aus-wirkte Weil sie sich auf Rentner fokussierten die aufgrund von finanziellen Anreizen und Rentenreformen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden waren koumlnnen die Forscher davon ausgehen dass tatsaumlchlich die Verrentung selbst den gemessenen Effekt hat Die Ergebnisse sind zumindest nach einer Fruumlhverrentung mit 60 Jahren recht deutlich Geht ein Vater in diesem Alter in Rente steigt die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird um 17 Prozentpunkte (s Abb 1) Bei der Fruumlhverren-tung von Muumlttern sind es hingegen nur elf Prozentpunkte

Die Wahrscheinlichkeit dass Toumlchter ein (weiteres) Kind bekommen ist dabei groumlszliger Sie steigt bei der Verrentung der Groszligvaumlter um 19 Prozentpunkte bei Groszligmuumlttern um 15 Prozentpunkte Die Wahrscheinlichkeit dass Soumlhne (noch einmal) Vaumlter werden ist mit 14 bzw 8 Prozentpunkten etwas niedrigerAuf den ersten Blick uumlberrascht dieses Ergebnis Denn es sind in aller Regel die Groszligmuumltter die mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen ndash im Schnitt eine halbe Stunde pro Werktag und eine ganze Stunde zusaumltzlich nach ihrem Renteneintritt Groszligvaumlter dagegen verbringen nach ihrer Verrentung nicht unbedingt mehr Zeit mit ihren Enkeln Aber im Gegensatz zu den Groszligmuumlttern hatten sie in ihrer Erwerbstaumltigkeit oft die groumlszligere Wochenarbeitszeit Faumlllt diese durch die Verrentung weg macht sich das auch fuumlr die Groszligmuumltter deutlicher bemerkbar Die Autoren der Studie vermuten dass sie in der Folge im eigenen Haushalt entlastet werden und mehr Kapazitaumlten fuumlr die Enkel haben Deutlich wird das vor allem an den Wochenenden Sind die Groszligvaumlter in Rente verbringen die Groszligmuumltter samstags und sonntags eine Stunde taumlglich mehr mit ihren Enkeln In weiteren Analysen konnten Eibich und Siedler belegen dass der Verrentungs-Effekt vor allem dann auftritt wenn die Groszligeltern weniger als eine Stunde Fahrtzeit von ihren Kindern und Enkelkindern entfernt wohnen Auch das Ein-kommen der erwachsenen Kinder spielt eine Rolle Gehoumlren sie zu den Gutverdienern (oberes Einkommensquartil) steigt

die Wahrscheinlichkeit fuumlr eine Geburt sogar um 31 Pro-zentpunkte ein Jahr nach der Fruumlhverrentung der Vaumlter und um 41 Prozentpunkte bei einer Fruumlhverrentung der Muumltter Daruumlber hinaus ist auch die Familiengroumlszlige von Bedeutung Vor allem wenn die Eltern bereits ein Kind haben kann die Verrentung der Groszligeltern die Entscheidung fuumlr ein zweites stark beeinflussen Ist noch kein Kind da ist der Groszligeltern-Effekt mit knapp zehn Prozentpunkten deutlich geringer bei zwei und mehr Kindern ist statistisch gar kein signifikanter Zusammenhang mehr festzustellenAuswirkungen auf die Gesamtzahl der Enkelkinder hat die Verrentung der Groszligeltern allerdings nicht Und die darge-stellten Zusammenhaumlnge gelten auch nur fuumlr eine Fruumlhver-rentung mit 60 Jahren ndash vermutlich weil viele erwachsene Kinder ihre Familienplanung bereits weitestgehend abge-schlossen haben wenn ihre Eltern regulaumlr in Rente gehen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Peter Eibich

Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Aus Erster Hand

Literatur

Eibich P and T Siedler Retirement intergenerati-onal time transfers and fertility European Economic Review [First published online 14 February 2020]DOI 101016jeuroecorev2020103392

Effe

ktgr

oumlszlige

Effe

ktgr

oumlszlige

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Jahre bis zumJahre seit dem Renteneintritt

Renteneintritt Vater

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Renteneintritt Mutter

PunktschaumltzungKonfidenzintervall

04030201

0-01 -01-02-03-04

04030201

0

-02-03-04

Abb1 Quelle Die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird ist vor allem nach dem Renteneintritt von Vaumltern beson-ders hoch Quelle SOEP eigene Berechnungen

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3Kontakt campisidemogrmpgde I Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Regionale Geburtenraten in Europa

Obwohl die Fertilitaumlt in Europa sehr unterschiedlich ist gleicht sie sich in Grenzregionen oft an

Europa ist in Sachen Fertilitaumlt gespalten Waumlhrend im nordwestlichen Teil relativ viele Kinder zur Welt kommen sind die Geburtenraten in Suumld- und Osteuropa sowie in den deutschsprachigen Laumlndern vergleichsweise niedrig Eine neue Studie schaut nun genauer hin Sie untersucht wie sich die Fertilitaumlt in uumlber 1000 europaumlischen Regionen entwickelt und weist nach dass Grenzregionen oft aumlhnliche Geburtenraten haben

Die Analyse zeigt daruumlber hinaus auf dass das Niveau der Geburtenraten in den Regionen auch mit dem Pro-Kopf-Einkommen und der Scheidungsrate zusammenhaumlngt Es sind also sowohl oumlkonomische als auch sozio-kulturelle und regionale Faktoren entscheidend zeigen Nicholas Campisi und Mikko Myrskylauml vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels sowie Hill Kulu und Julia Mikolai von der St Andrews University und Sebastian Kluumlsener vom Bundesinstitut fuumlr BevoumllkerungsforschungFuumlr ihre Untersuchung griffen die Demografen auf Daten aus den so genannten NUTS3-Regionen zuruumlck Diese Untertei-lung greift oft nationale Verwaltungseinheiten auf und umfasst Gebiete mit 150000 bis 800000 Einwohnern Waumlhrend etwa Luxemburg nur aus einer bdquoNUTS3ldquo-Region besteht ist Deutschland in 402 dieser Einheiten unterteilt Insgesamt umfasst die Analyse 1134 NUTS3-Regionen aus 21 europauml-ischen Laumlndern fuumlr die den Forschern die zusammengefasste Geburtenrate (TFR) aus dem Jahr 2010 bzw in drei Faumlllen aus 20092011 vorlag Auch bei dieser kleinskaligen Aufloumlsung ist die bekannte Unterteilung Europas in ndash im Wesentlichen

ndash zwei Fertilitaumltsmuster zunaumlchst deutlich zu erken-nen (s Abb1) In Frankreich England den Benelux-Laumlndern und Skandinavien liegt die Geburtenrate bei etwa 19 Kindern pro Frau Das restliche Europa pendelt eher um eine Marke von 13 Kindern pro Frau Doch diese groszligen nationalen Unterschiede uumlberdecken oft die regionale Vielfalt (s Abb 2)Schaut man auf die regionalen Abweichungen von der durchschnittlichen Geburtenrate eines Landes so laumlsst sich feststellen dass die Unterschiede zwischen den Regionen durchaus deutlich sind Zum einen bestaumltigt sich dass die Geburtenrate in staumldtisch gepraumlgten Gebieten niedriger ist als in laumlndlichen Regionen Zum anderen laumlsst sich feststellen dass sich die Fertilitaumltsniveaus in Grenzregionen oft an-gleichen ndash zumindest wenn die betroffenen Laumlnder zur gleichen Gruppe gehoumlren ndash also zu den europauml-ischen Laumlndern mit eher geringer oder mit eher hoher Geburtenrate Das gilt zum Beispiel fuumlr einige Regi-onen an der portugiesisch-spanischen der belgisch-

franzoumlsischen und der deutsch-polnischen Grenze Dabei kann zum Beispiel in westpolnischen Gebieten die Fertilitaumlt unterhalb des nationalen Durchschnitts und in ostdeutschen Regionen oberhalb des nationalen Durchschnitts liegen Solche Beobachtungen koumlnnten die These unterstuumltzen dass nationale Grenzen zu-kuumlnftig unbedeutender regionale Grenzen dagegen wichtiger werdenUm herauszufinden welche Faktoren daruumlber hinaus fuumlr regionale Fertilitaumltsmuster entscheidend sind haben die Autoren der Studie auch untersucht ob sie einen Zusammenhang mit verschiedenen sozio-kulturellen und oumlkonomischen Indikatoren finden wie zB der Beschaumlftigungsquote dem Pro-Kopf-Einkommen dem Anteil an Mehrfamilienhaumlu-sern oder dem Anteil an geschiedenen Personen Ein hoher Anteil geschiedener Personen hat demnach oft eine vergleichsweise niedrige Geburtenrate zur Folge In zweiter Linie war auch das Pro-Kopf-Einkommen entscheidend In Regionen in denen durchschnittlich gut verdient wird sind die Gebur-tenraten meist eher niedrig Abgesehen davon dass in der Studie erstmals in dieser Breite regionale Un-terschiede uumlber Laumlndergrenzen hinweg untersucht wurden haben die Demografen auch verschiedene

Modelle fuumlr ihre Analyse erprobt Um zu untersuchen welche Faktoren fuumlr die regionale Entwicklung der Geburtenrate eine Rolle spielten verwendeten sie nicht nur gewoumlhnliche Regressionsmodelle Sie erprobten auch sogenannte raumlumliche Modelle welche die Schaumltzung von Einfluumlssen zwischen den Regionen zulassen Sie erwiesen sich fuumlr die regionale Analyse als besonders geeignet

Mitautor der wissenschaftlichen StudieNicholas Campisi

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Literatur

Campisi N H Kulu J Mikolai S Kluumlsener and M Myrskylauml Spatial variation in fertility across Europe patterns and determinants Population Space and Place [First published online 15 January 2020]DOI 101002psp2308

Aus Erster Hand

Abb1 Die zwei Gruppen von Laumlndern mit hoher und niedriger Fertili-taumlt (hier die Geburtenrate aus dem Jahr 2010) zeichnen sich in Europa deutlich ab Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

099 - 130

0 250 500 750 1000 km

130 - 150150 - 180180 - 210210 - 245

Geburtenrate 2010

-20-40

-10-050005102040

0 250 500 750 1000 km

Regionale Abweichungen von der nationalen Geburtenrate 2010

Abb2 Betrachtet man die Abweichungen von der durchschnittlichen Fertilitaumlt (Geburtenrate TFR 2010) in den einzelnen Laumlndern so zeigen sich deutliche regionale Unterschiede Quelle Nationale Statistikaumlmter und eigene Berechnungen

4

Impressum

Herausgeber Mikko Myrskylauml Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Rostockin Kooperation mitbull Mikko Myrskylauml Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels Rostockbull Heike Trappe Institut fuumlr Soziologie und Demografie Universitaumlt Rostockbull Norbert F Schneider Bundesinstitut fuumlr Bevoumllkerungsforschung Wiesbadenbull Wolfgang Lutz Vienna Institute of Demography Austrian Academy of Sciences und Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital WienISSN 1613-5822Verantwortliche Redakteurin Christina Bohk-Ewald (ViSdP) Redaktionsleitung Tomma SchroumlderWissenschaftliche Beratung Katja Koumlppen Christina Bohk-EwaldTechnische Leitung Silvia Leek Layout Antje Storek-LangbeinDruck Altstadt-Druck 18057 RostockAnschrift Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Konrad-Zuse-Str 1 18057 Rostock DeutschlandTelefon (+49) 3812081-143 Telefax (+49) 3812081-443E-Mail redaktiondemografische-forschungorgWeb wwwdemografische-forschungorgErscheinungsweise viermal jaumlhrlichMax-Planck-Gesellschaft zur Foumlrderung der Wissenschaften eV

Namentlich gekennzeichnete Beitraumlge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Herausgeber oder der Redaktion wieder Der Abdruck von Artikeln Auszuumlgen und Grafiken ist nur fuumlr nichtkommerzielle Zwecke bei Nennung der Quelle erlaubt Um Zusendung von Belegexemplaren wird gebeten

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Mit dem Ruhestand kommt das Enkelkind

Vor allem die Wahrscheinlichkeit fuumlr ein zweites Enkelkind steigt mit der Verrentung

Groszligeltern mit viel Zeit koumlnnen fuumlr junge Familien ein Segen sein Daher verwundert es nicht dass die Wahrscheinlich-keit fuumlr ein (weiteres) Enkelkind nach ihrer Verrentung steigt Eine neue Studie zeigt nun Der Effekt tritt vor allem dann auf wenn Vaumlter in den Ruhestand gehen und wenn bereits ein erstes Enkelkind da ist Die Gesamtzahl der Enkelkinder wird durch die Verrentung nicht beeinflusst

Das Kind von der Kita abholen abends den Babysitter stellen und bei beruflichen Terminen den Ruumlcken frei halten Groszligel-tern die in der Naumlhe wohnen koumlnnen fuumlr die Familien ihrer erwachsenen Kinder eine groszlige Entlastung darstellen Dass sich dies auch in der Familienplanung wiederspiegelt zeigen Peter Eibich vom Max-Planck-Institut fuumlr demografische For-schung sowie Thomas Siedler von der Universitaumlt Hamburg in einer neuen Studie erstmals fuumlr Deutschland Die beiden Forscher werteten Daten des Sozio-oekono-mischen Panels (SOEP) aus den Jahren 1984 bis 2017 aus und schauten wie sich der Renteneintritt der Groszligeltern auf die Familienplanung ihrer erwachsenen Kinder aus-wirkte Weil sie sich auf Rentner fokussierten die aufgrund von finanziellen Anreizen und Rentenreformen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden waren koumlnnen die Forscher davon ausgehen dass tatsaumlchlich die Verrentung selbst den gemessenen Effekt hat Die Ergebnisse sind zumindest nach einer Fruumlhverrentung mit 60 Jahren recht deutlich Geht ein Vater in diesem Alter in Rente steigt die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird um 17 Prozentpunkte (s Abb 1) Bei der Fruumlhverren-tung von Muumlttern sind es hingegen nur elf Prozentpunkte

Die Wahrscheinlichkeit dass Toumlchter ein (weiteres) Kind bekommen ist dabei groumlszliger Sie steigt bei der Verrentung der Groszligvaumlter um 19 Prozentpunkte bei Groszligmuumlttern um 15 Prozentpunkte Die Wahrscheinlichkeit dass Soumlhne (noch einmal) Vaumlter werden ist mit 14 bzw 8 Prozentpunkten etwas niedrigerAuf den ersten Blick uumlberrascht dieses Ergebnis Denn es sind in aller Regel die Groszligmuumltter die mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen ndash im Schnitt eine halbe Stunde pro Werktag und eine ganze Stunde zusaumltzlich nach ihrem Renteneintritt Groszligvaumlter dagegen verbringen nach ihrer Verrentung nicht unbedingt mehr Zeit mit ihren Enkeln Aber im Gegensatz zu den Groszligmuumlttern hatten sie in ihrer Erwerbstaumltigkeit oft die groumlszligere Wochenarbeitszeit Faumlllt diese durch die Verrentung weg macht sich das auch fuumlr die Groszligmuumltter deutlicher bemerkbar Die Autoren der Studie vermuten dass sie in der Folge im eigenen Haushalt entlastet werden und mehr Kapazitaumlten fuumlr die Enkel haben Deutlich wird das vor allem an den Wochenenden Sind die Groszligvaumlter in Rente verbringen die Groszligmuumltter samstags und sonntags eine Stunde taumlglich mehr mit ihren Enkeln In weiteren Analysen konnten Eibich und Siedler belegen dass der Verrentungs-Effekt vor allem dann auftritt wenn die Groszligeltern weniger als eine Stunde Fahrtzeit von ihren Kindern und Enkelkindern entfernt wohnen Auch das Ein-kommen der erwachsenen Kinder spielt eine Rolle Gehoumlren sie zu den Gutverdienern (oberes Einkommensquartil) steigt

die Wahrscheinlichkeit fuumlr eine Geburt sogar um 31 Pro-zentpunkte ein Jahr nach der Fruumlhverrentung der Vaumlter und um 41 Prozentpunkte bei einer Fruumlhverrentung der Muumltter Daruumlber hinaus ist auch die Familiengroumlszlige von Bedeutung Vor allem wenn die Eltern bereits ein Kind haben kann die Verrentung der Groszligeltern die Entscheidung fuumlr ein zweites stark beeinflussen Ist noch kein Kind da ist der Groszligeltern-Effekt mit knapp zehn Prozentpunkten deutlich geringer bei zwei und mehr Kindern ist statistisch gar kein signifikanter Zusammenhang mehr festzustellenAuswirkungen auf die Gesamtzahl der Enkelkinder hat die Verrentung der Groszligeltern allerdings nicht Und die darge-stellten Zusammenhaumlnge gelten auch nur fuumlr eine Fruumlhver-rentung mit 60 Jahren ndash vermutlich weil viele erwachsene Kinder ihre Familienplanung bereits weitestgehend abge-schlossen haben wenn ihre Eltern regulaumlr in Rente gehen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Peter Eibich

Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Aus Erster Hand

Literatur

Eibich P and T Siedler Retirement intergenerati-onal time transfers and fertility European Economic Review [First published online 14 February 2020]DOI 101016jeuroecorev2020103392

Effe

ktgr

oumlszlige

Effe

ktgr

oumlszlige

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Jahre bis zumJahre seit dem Renteneintritt

Renteneintritt Vater

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Renteneintritt Mutter

PunktschaumltzungKonfidenzintervall

04030201

0-01 -01-02-03-04

04030201

0

-02-03-04

Abb1 Quelle Die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird ist vor allem nach dem Renteneintritt von Vaumltern beson-ders hoch Quelle SOEP eigene Berechnungen

Page 4: Aus Erster Hand - Demografische Forschung · weniger dramatisch als gedacht Die Welt in Masken – Europa in der Krise. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie steht im Mittelpunkt der

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Impressum

Herausgeber Mikko Myrskylauml Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Rostockin Kooperation mitbull Mikko Myrskylauml Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels Rostockbull Heike Trappe Institut fuumlr Soziologie und Demografie Universitaumlt Rostockbull Norbert F Schneider Bundesinstitut fuumlr Bevoumllkerungsforschung Wiesbadenbull Wolfgang Lutz Vienna Institute of Demography Austrian Academy of Sciences und Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital WienISSN 1613-5822Verantwortliche Redakteurin Christina Bohk-Ewald (ViSdP) Redaktionsleitung Tomma SchroumlderWissenschaftliche Beratung Katja Koumlppen Christina Bohk-EwaldTechnische Leitung Silvia Leek Layout Antje Storek-LangbeinDruck Altstadt-Druck 18057 RostockAnschrift Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung Konrad-Zuse-Str 1 18057 Rostock DeutschlandTelefon (+49) 3812081-143 Telefax (+49) 3812081-443E-Mail redaktiondemografische-forschungorgWeb wwwdemografische-forschungorgErscheinungsweise viermal jaumlhrlichMax-Planck-Gesellschaft zur Foumlrderung der Wissenschaften eV

Namentlich gekennzeichnete Beitraumlge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Herausgeber oder der Redaktion wieder Der Abdruck von Artikeln Auszuumlgen und Grafiken ist nur fuumlr nichtkommerzielle Zwecke bei Nennung der Quelle erlaubt Um Zusendung von Belegexemplaren wird gebeten

Kontakt eibichdemogrmpgde I Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Mit dem Ruhestand kommt das Enkelkind

Vor allem die Wahrscheinlichkeit fuumlr ein zweites Enkelkind steigt mit der Verrentung

Groszligeltern mit viel Zeit koumlnnen fuumlr junge Familien ein Segen sein Daher verwundert es nicht dass die Wahrscheinlich-keit fuumlr ein (weiteres) Enkelkind nach ihrer Verrentung steigt Eine neue Studie zeigt nun Der Effekt tritt vor allem dann auf wenn Vaumlter in den Ruhestand gehen und wenn bereits ein erstes Enkelkind da ist Die Gesamtzahl der Enkelkinder wird durch die Verrentung nicht beeinflusst

Das Kind von der Kita abholen abends den Babysitter stellen und bei beruflichen Terminen den Ruumlcken frei halten Groszligel-tern die in der Naumlhe wohnen koumlnnen fuumlr die Familien ihrer erwachsenen Kinder eine groszlige Entlastung darstellen Dass sich dies auch in der Familienplanung wiederspiegelt zeigen Peter Eibich vom Max-Planck-Institut fuumlr demografische For-schung sowie Thomas Siedler von der Universitaumlt Hamburg in einer neuen Studie erstmals fuumlr Deutschland Die beiden Forscher werteten Daten des Sozio-oekono-mischen Panels (SOEP) aus den Jahren 1984 bis 2017 aus und schauten wie sich der Renteneintritt der Groszligeltern auf die Familienplanung ihrer erwachsenen Kinder aus-wirkte Weil sie sich auf Rentner fokussierten die aufgrund von finanziellen Anreizen und Rentenreformen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden waren koumlnnen die Forscher davon ausgehen dass tatsaumlchlich die Verrentung selbst den gemessenen Effekt hat Die Ergebnisse sind zumindest nach einer Fruumlhverrentung mit 60 Jahren recht deutlich Geht ein Vater in diesem Alter in Rente steigt die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird um 17 Prozentpunkte (s Abb 1) Bei der Fruumlhverren-tung von Muumlttern sind es hingegen nur elf Prozentpunkte

Die Wahrscheinlichkeit dass Toumlchter ein (weiteres) Kind bekommen ist dabei groumlszliger Sie steigt bei der Verrentung der Groszligvaumlter um 19 Prozentpunkte bei Groszligmuumlttern um 15 Prozentpunkte Die Wahrscheinlichkeit dass Soumlhne (noch einmal) Vaumlter werden ist mit 14 bzw 8 Prozentpunkten etwas niedrigerAuf den ersten Blick uumlberrascht dieses Ergebnis Denn es sind in aller Regel die Groszligmuumltter die mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen ndash im Schnitt eine halbe Stunde pro Werktag und eine ganze Stunde zusaumltzlich nach ihrem Renteneintritt Groszligvaumlter dagegen verbringen nach ihrer Verrentung nicht unbedingt mehr Zeit mit ihren Enkeln Aber im Gegensatz zu den Groszligmuumlttern hatten sie in ihrer Erwerbstaumltigkeit oft die groumlszligere Wochenarbeitszeit Faumlllt diese durch die Verrentung weg macht sich das auch fuumlr die Groszligmuumltter deutlicher bemerkbar Die Autoren der Studie vermuten dass sie in der Folge im eigenen Haushalt entlastet werden und mehr Kapazitaumlten fuumlr die Enkel haben Deutlich wird das vor allem an den Wochenenden Sind die Groszligvaumlter in Rente verbringen die Groszligmuumltter samstags und sonntags eine Stunde taumlglich mehr mit ihren Enkeln In weiteren Analysen konnten Eibich und Siedler belegen dass der Verrentungs-Effekt vor allem dann auftritt wenn die Groszligeltern weniger als eine Stunde Fahrtzeit von ihren Kindern und Enkelkindern entfernt wohnen Auch das Ein-kommen der erwachsenen Kinder spielt eine Rolle Gehoumlren sie zu den Gutverdienern (oberes Einkommensquartil) steigt

die Wahrscheinlichkeit fuumlr eine Geburt sogar um 31 Pro-zentpunkte ein Jahr nach der Fruumlhverrentung der Vaumlter und um 41 Prozentpunkte bei einer Fruumlhverrentung der Muumltter Daruumlber hinaus ist auch die Familiengroumlszlige von Bedeutung Vor allem wenn die Eltern bereits ein Kind haben kann die Verrentung der Groszligeltern die Entscheidung fuumlr ein zweites stark beeinflussen Ist noch kein Kind da ist der Groszligeltern-Effekt mit knapp zehn Prozentpunkten deutlich geringer bei zwei und mehr Kindern ist statistisch gar kein signifikanter Zusammenhang mehr festzustellenAuswirkungen auf die Gesamtzahl der Enkelkinder hat die Verrentung der Groszligeltern allerdings nicht Und die darge-stellten Zusammenhaumlnge gelten auch nur fuumlr eine Fruumlhver-rentung mit 60 Jahren ndash vermutlich weil viele erwachsene Kinder ihre Familienplanung bereits weitestgehend abge-schlossen haben wenn ihre Eltern regulaumlr in Rente gehen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie Peter Eibich

Max-Planck-Institut fuumlr demografische Forschung

Aus Erster Hand

Literatur

Eibich P and T Siedler Retirement intergenerati-onal time transfers and fertility European Economic Review [First published online 14 February 2020]DOI 101016jeuroecorev2020103392

Effe

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Effe

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Jahre bis zumJahre seit dem Renteneintritt

Renteneintritt Vater

minus7 minus5 minus3 minus1 0 1 3 5 7

Renteneintritt Mutter

PunktschaumltzungKonfidenzintervall

04030201

0-01 -01-02-03-04

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Abb1 Quelle Die Wahrscheinlichkeit dass ein Enkel geboren wird ist vor allem nach dem Renteneintritt von Vaumltern beson-ders hoch Quelle SOEP eigene Berechnungen