Ausbildung zum Hundeerziehungsberater HEB – Das Ethogramm ... · sischen Ethogrammen verfasste...

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SEMINARE, WORKSHOPS UND VORTRÄGE 10 • AkteHund 06/08 KITTY SIMIONE Eine der grundlegendsten Arbeiten in Bezug auf die Ausarbeitung von klas- sischen Ethogrammen verfasste Erik Zimen 1971 in seiner Doktorarbeit über Wölfe und Königspudel. In seiner Dissertation erstellte er ein Verhalten- sinventar des Wolfes, das 362 verschie- dene, weitgehend formkonstante und voneinander unterscheidbare Verhal- tensweisen dokumentiert. Dieses Etho- gramm verglich er mit dem Verhalten des Königspudels, um Rückschlüsse auf mögliche Veränderungen und Entwick- lungen ziehen zu können. Er unterteilte seine Beobachtungen in die folgenden Funktionskreise: A) Allgemeine Bewe- Das Auge schulen Ausbildung zum Hundeerziehungsberater HEB – Das Ethogramm Ein Ethogramm ist ein Verhaltenskatalog, respektive ein schriftliches oder graphisches Verzeichnis aller beobachtbaren Verhal- tensweisen, die eine Tierart zeigt. Es be- schreibt die Art und Weise, wie einzelne Verhaltensweisen ausgeführt werden, ohne dabei das Beschriebene zu interpretieren. Das Ethogramm ist ein wichtiges Element der Verhaltensbiologie und bildet die be- schreibende Basis, auf welcher die Deutung der beobachteten Verhaltensmuster aufge- baut wird. Interpretationen von bestimmten Verhaltensweisen können sich im Laufe der Zeit und mit wachsendem Kenntnisstand ändern, die exakte Gewinnung von Daten in einem Ethogramm bleibt aber in ihrem Wert unverändert. Das Verständnis für de- ren Inhalte und die daraus resultierenden Erkenntnisse ist Voraussetzung für eine sachliche Diskussion über das Verhalten ei- ner Spezies, insbesondere des Hundes. Im Rahmen der Ausbildung zum Hundeerzie- hungsberater HEB referiert Dirk Roos, wis- senschaftlicher Leiter der Eberhard Trum- ler-Station in Deutschland, über die Entste- hung und die Bedeutung von Ethogrammen und führt die Teilnehmer in das genaue Be- obachten und Beschreiben von einzelnen Verhaltensweisen und ganzen Bewegungs- abläufen ein. gungsformen, B) Ruhe und Schlaf, C) Orientierungsverhalten (nah und fern), D) Verhalten des Schutzes und der Ver- teidigung, E) Stoffwechselbedingtes Verhalten (Nahrungserwerb, Nah- rungsaufnahme, Transport und Spei- cherung von Nahrung, Erbrechen von Futter, Defäkieren und Urinieren), F) Komfortverhalten, G) Soziales Verhal- ten (Ausdrucksverhalten, soziales Ver- halten im Rudel, Imponierverhalten, defensives Verhalten, Spielverhalten und Reproduktionsverhalten wie Se- xualität, Geburt und Welpenaufzucht), H) Infantile Verhaltensweisen und I) Lautäusserungen. Um eine solche Glie- derung vornehmen und verschiedene Studien miteinander vergleichen zu können, müssen zuerst alle Verhaltens- weisen einer Tierart exakt definiert und gegeneinander abgegrenzt sein. Es muss festgelegt sein, wie detailliert eine Erhebung sein soll. Dazu ein Beispiel. «Hund kratzt sich während fünf Sekun- den zum dritten Mal nacheinander mit linker Hinterpfote hinter dem linken Ohr» ist doch wesentlich aussagekräfti- ger als der einfache Beschrieb «Hund kratzt sich». Ferner ist festzulegen, in was für Zeitabständen der Wechsel zwi- schen Beobachtung und Aufnotierung des Gesehenen stattfindet. Beim Erfas- sen der Daten im 1-Minuten-, 2-Minu- ten- oder 5-Minuten-Rhythmus wird immer nur das zuletzt beobachtete Ver- halten beschrieben; letztere Variante ist zwar wegen möglicherweise fehlenden Erinnerungen gröber, jedoch nicht un- genauer. Die Zeit ist noch in einem anderen Zusammenhang ein wesentlicher Fak- tor für die Aussagekraft und die Genau- igkeit eines Ethogramms. Bei einer täg- lichen Beobachtungszeit von acht Stun- den können in einem Zeitrahmen von vier Monaten bis zu 90 Prozent der Körperhaltungen, Bewegungsabfolgen und Lautäusserungen eines Tieres pro- tokolliert werden. Daneben gibt es aber auch Verhaltensweisen, die nur in Ab- ständen von mehreren Monaten vor- kommen und deshalb sehr schwer zu erfassen sind. Wozu dient das Ethogramm? Die ursprüngliche Fragestellung für die Ausarbeitung von Ethogrammen befasst sich mit der Domestikation re- spektive der Haustierwerdung von Wildtieren. Dazu ist es notwendig, das Verhalten der Wildtiere zu kennen und gleichzeitig das Ethogramm der Haustiere zu erstellen, um dann die Resultate miteinander vergleichen zu können. Was gibt es für Übereinstim- mungen und welche Unterschiede sind vorhanden? Haben Entwicklun- gen stattgefunden? Können diese Ent- wicklungen auch Auskunft über an- dere Fachgebiete wie beispielsweise die Evolutionsforschung geben? In Griffon-Hündin Doro, ganz rechts im Bild, ist ein lebhaftes Tier. Sie ist ständig unterwegs, bewegt sich sehr sicher in der Gruppe und spielt am liebsten mit Mittelschnauzer Yaro.

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SEMINARE, WORKSHOPS UND VORTRÄGE

10 • AkteHund 06/08

KITTY SIMIONE

Eine der grundlegendsten Arbeitenin Bezug auf die Ausarbeitung von klas-sischen Ethogrammen verfasste ErikZimen 1971 in seiner Doktorarbeitüber Wölfe und Königspudel. In seinerDissertation erstellte er ein Verhalten-sinventar des Wolfes, das 362 verschie-dene, weitgehend formkonstante undvoneinander unterscheidbare Verhal-tensweisen dokumentiert. Dieses Etho-gramm verglich er mit dem Verhaltendes Königspudels, um Rückschlüsse aufmögliche Veränderungen und Entwick-lungen ziehen zu können. Er unterteilteseine Beobachtungen in die folgendenFunktionskreise: A) Allgemeine Bewe-

Das Auge schulen

Ausbildung zum Hundeerziehungsberater HEB – Das Ethogramm

Ein Ethogramm ist ein Verhaltenskatalog,respektive ein schriftliches oder graphischesVerzeichnis aller beobachtbaren Verhal-tensweisen, die eine Tierart zeigt. Es be-schreibt die Art und Weise, wie einzelneVerhaltensweisen ausgeführt werden, ohnedabei das Beschriebene zu interpretieren.Das Ethogramm ist ein wichtiges Elementder Verhaltensbiologie und bildet die be-schreibende Basis, auf welcher die Deutungder beobachteten Verhaltensmuster aufge-baut wird. Interpretationen von bestimmtenVerhaltensweisen können sich im Laufe derZeit und mit wachsendem Kenntnisstandändern, die exakte Gewinnung von Daten in

einem Ethogramm bleibt aber in ihremWert unverändert. Das Verständnis für de-ren Inhalte und die daraus resultierendenErkenntnisse ist Voraussetzung für einesachliche Diskussion über das Verhalten ei-ner Spezies, insbesondere des Hundes. ImRahmen der Ausbildung zum Hundeerzie-hungsberater HEB referiert Dirk Roos, wis-senschaftlicher Leiter der Eberhard Trum-ler-Station in Deutschland, über die Entste-hung und die Bedeutung von Ethogrammenund führt die Teilnehmer in das genaue Be-obachten und Beschreiben von einzelnenVerhaltensweisen und ganzen Bewegungs-abläufen ein.

gungsformen, B) Ruhe und Schlaf, C)Orientierungsverhalten (nah und fern),D) Verhalten des Schutzes und der Ver-teidigung, E) StoffwechselbedingtesVerhalten (Nahrungserwerb, Nah-rungsaufnahme, Transport und Spei-cherung von Nahrung, Erbrechen vonFutter, Defäkieren und Urinieren), F)Komfortverhalten, G) Soziales Verhal-ten (Ausdrucksverhalten, soziales Ver-halten im Rudel, Imponierverhalten,defensives Verhalten, Spielverhaltenund Reproduktionsverhalten wie Se-xualität, Geburt und Welpenaufzucht),H) Infantile Verhaltensweisen und I)Lautäusserungen. Um eine solche Glie-derung vornehmen und verschiedeneStudien miteinander vergleichen zu

können, müssen zuerst alle Verhaltens-weisen einer Tierart exakt definiert undgegeneinander abgegrenzt sein. Esmuss festgelegt sein, wie detailliert eineErhebung sein soll. Dazu ein Beispiel.«Hund kratzt sich während fünf Sekun-den zum dritten Mal nacheinander mitlinker Hinterpfote hinter dem linkenOhr» ist doch wesentlich aussagekräfti-ger als der einfache Beschrieb «Hundkratzt sich». Ferner ist festzulegen, inwas für Zeitabständen der Wechsel zwi-schen Beobachtung und Aufnotierungdes Gesehenen stattfindet. Beim Erfas-sen der Daten im 1-Minuten-, 2-Minu-ten- oder 5-Minuten-Rhythmus wirdimmer nur das zuletzt beobachtete Ver-halten beschrieben; letztere Variante istzwar wegen möglicherweise fehlendenErinnerungen gröber, jedoch nicht un-genauer.

Die Zeit ist noch in einem anderenZusammenhang ein wesentlicher Fak-tor für die Aussagekraft und die Genau-igkeit eines Ethogramms. Bei einer täg-lichen Beobachtungszeit von acht Stun-den können in einem Zeitrahmen vonvier Monaten bis zu 90 Prozent derKörperhaltungen, Bewegungsabfolgenund Lautäusserungen eines Tieres pro-tokolliert werden. Daneben gibt es aberauch Verhaltensweisen, die nur in Ab-ständen von mehreren Monaten vor-kommen und deshalb sehr schwer zuerfassen sind.

Wozu dient das Ethogramm?

Die ursprüngliche Fragestellung fürdie Ausarbeitung von Ethogrammenbefasst sich mit der Domestikation re-spektive der Haustierwerdung vonWildtieren. Dazu ist es notwendig, dasVerhalten der Wildtiere zu kennenund gleichzeitig das Ethogramm derHaustiere zu erstellen, um dann dieResultate miteinander vergleichen zukönnen. Was gibt es für Übereinstim-mungen und welche Unterschiedesind vorhanden? Haben Entwicklun-gen stattgefunden? Können diese Ent-wicklungen auch Auskunft über an-dere Fachgebiete wie beispielsweisedie Evolutionsforschung geben? In

Griffon-Hündin Doro, ganz rechts imBild, ist ein lebhaftes Tier. Sie istständig unterwegs, bewegt sich sehrsicher in der Gruppe und spielt amliebsten mit Mittelschnauzer Yaro.

SEMINARE, WORKSHOPS UND VORTRÄGE

AkteHund 06/08 • 11

der Verhaltensforschung geht esdarum, die genetischen Anpassungendes ursprünglichen Wildtieres an dasmenschliche Umfeld zu erforschen.Von allen Haustieren ist der Hundwohl am stärksten durch Menschen-hand genetisch verändert worden. Esist aber sicherlich nicht das Ziel derVerhaltensforschung, die Verhaltens-weisen des Hundes zu verstehen, umihn dann besser manipulieren zu kön-nen. Für Hundetrainer ist vor allemderjenige Teil des Ethogramms vonWichtigkeit, der sich mit dem Sozial-verhalten eines Individuums beschäf-tigt. Das Soziogramm beschreibt dieKommunikation eines Tieres und des-sen Interaktion mit seinen Sozialpart-nern, sowohl innerartlich als auch art-übergreifend.

Geduld und Ausdauer

Angeschlossen an das Ausbildungs-zentrum von Evelyn Streiff ist das Hun-deland, eine Ferienstätte für kleine undgrosse Hunde, die dort, unter ständigerBeobachtung, im Rudel gehalten wer-den. Die Aufgabenstellung an die ange-henden Hundeerziehungsberaterinnenfür den Praxisteil ist klar: Drei Hundeaus diesem bunt zusammen gewürfel-ten Rudel von Ferienhunden sind überdie Dauer von einer Stunde zu beob-achten. Deren Aktionen sind genau zubeschreiben, ohne das Gesehene zu in-

terpretieren. Uhrzeit, Name des Hun-des, das Verhalten des jeweiligen Tieressowie die entsprechenden Reaktionenseiner Sozialpartner sind detailliert auf-zuführen. Offensichtlich ist für einzelneTeilnehmerinnen die Zeitspanne voneiner Stunde ermüdend und anstren-gend. Vereinzelt lässt die Konzentra-tion nach. Für aussagekräftige Beob-achtungen braucht es Zeit und Geduld.Ohne diese beiden wichtigen Elementekommt man in der Arbeit mit Tierennicht voran.

Die Auswertung der praktischenÜbung zeigt, wie verschieden die Auf-gabe gelöst werden kann. Mit und ohne

Uhrzeit, mit und ohne Interpretationdes Gesehenen, mit und ohne quantita-tive Beurteilung – sechs Personen mitder gleichen Aufgabe präsentierensechs verschiedene Lösungen. Das be-stätigt, wie klar und eindeutig die Rah-menbedingungen für eine Studie vorder Erstellung des Ethogramms festge-legt sein müssen, um optimale Ergeb-nisse zu erhalten. Dennoch zeichnetsich innerhalb dieser kurzen Beobach-tungsphase ein erstes Persönlichkeits-bild der drei ausgewählten Hunde ab.Eine Erklärung für ihre unterschiedli-chen Verhaltensweisen zu finden, wäreaber reine Spekulation.

In den Fachseminaren anlässlich der Aus-bildung zum Hundeerziehungsberater, re-spektive zur Hundeerziehungsberaterin,wird den Teilnehmern durch verschiedene,ausgewiesene Fachkräfte detailliertes Wis-sen über den Hund vermittelt. DiesemLehrgang liegt hauptsächlich die Ausbil-dungsphilosophie «Natural Dogmanship»von Jan Nijboer zugrunde.Teil dieser Aus-bildung ist aber auch das zweitägige Semi-nar mit Dirk Ross zum Thema «Etho-gramm und Soziogramm bei Wölfen undHaushunden». Der gesamte Lehrgang er-streckt sich über 16 Module, die in Abstän-den von rund vier Wochen stattfinden. Nä-here Auskünfte über die Ausbildung zumHundeerziehungsberater finden Sie unter:www.hundeerziehungsberater.ch oder di-rekt bei

Evelyn StreiffAusbildungszentrum Triple-SBerghaus OberbölchenCH-4458 EptingenTelefon: 0041 62 299 20 73e-mail: [email protected]

Hundeerziehungsberater

Luna, die Dobermann-Hündin, zeigt sich gegenüber Artgenossen sehr desinteressiert undsucht engen Körperkontakt zum Menschen.

Mittelschnauzer Yaro ist noch jung,sehr verspielt und im Begriff, die Welt

zu erkunden. Er beschnüffelt jedenHund mehrfach, um sich in der

Gruppe richtig einordnen zu können.