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Universität Stuttgart, Institut für Materialwissenschaft, Lehrstuhl II. Aushärtbarkeit von Al-Legierungen (AH) 1 Ziel Ziel dieses Versuches ist es, die Aushärtbarkeit von zwei verschiedenen Al-Legierungen zu überprüfen. Um den zeitlichen Verlauf der Aushärtung und die dabei auftretenden Prozesse zu verfolgen eignen sich die Messgrößen Vickershärte sowie elektrischer Widerstand. Im Versuch sollen die Änderung der Vickershärte und des elektrischen Widerstandes als Funktion der Auslagerungsdauer aufgenommen und mit den entsprechenden Gefügeumwandlungen korreliert werden. 2 Grundlagen Die Festigkeit und Härte metallischer Werkstoffe lässt sich auf unterschiedliche Arten erhöhen, dazu zählen Teilchenhärtung (durch Ausscheidung oder Dispersion), Mischkristallhärtung, Feinkornhärtung und Kaltverfestigung. Bei allen Arten beruht die Verfestigung auf einer Behinderung der zur plastischen Verformung nötigen Versetzungsbewegung. Für den durchzuführenden Versuch sind insbesondere die Verfahren der Teilchenhärtung und der Mischkristallhärtung wichtig. Im Falle der Kaltverfestigung kommt es durch plastische Verformung zu einer erhöhten Versetzungsdichte und somit zu Aufstauung und Verknäueln der Versetzungen, d.h. die Versetzungen behindern sich gegenseitig. Im Gegensatz dazu treten die Versetzungen bei der Mischkristallhärtung in Wechselwirkung mit den zulegierten Fremdatomen. Da die Fremdatome einen anderen Atomdurchmesser besitzen als die Matrixatome entsteht im Atomgitter ein Spannungsfeld, das mit dem Spannungsfeld um eine Versetzungslinie in Wechselwirkung treten kann und dadurch die Bewegung der Versetzung behindert. In welchem Ausmaß die Bewegung der Versetzungen durch zulegierte Fremdatome behindert wird, also wie stark die verfestigende Wirkung eines Legierungselementes ist, wird im Wesentlichen durch die Verteilung der vorliegenden Fremdatome bestimmt. Teilchenhärtung kann einerseits durch die Bildung von Ausscheidungen (Ausscheidungshärtung) oder durch die gezielte Zugabe von Teilchen (Dispersionshärtung) erreicht werden. Die durch Ausscheidungen bedingte Verfestigung ist wesentlich stärker als die Mischkristallverfestigung. Daher werden Legierungen, in denen Ausscheidungsreaktionen möglich sind, auch aushärtbare Legierungen bezeichnet. Die unterschiedlichen Verfestigungsarten Mischkristallbildung und Teilchenausscheidung lassen sich am Beispiel verschiedener Al-Legierungen gut nachvollziehen. Im Folgenden werden die Vorgänge anhand der binären Systeme Al-Si und Al-Cu näher erläutert.

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Universität Stuttgart, Institut für Materialwissenschaft, Lehrstuhl II.

Aushärtbarkeit von Al-Legierungen (AH)

1 Ziel

Ziel dieses Versuches ist es, die Aushärtbarkeit von zwei verschiedenen Al-Legierungen zu

überprüfen. Um den zeitlichen Verlauf der Aushärtung und die dabei auftretenden Prozesse zu

verfolgen eignen sich die Messgrößen Vickershärte sowie elektrischer Widerstand. Im Versuch

sollen die Änderung der Vickershärte und des elektrischen Widerstandes als Funktion der

Auslagerungsdauer aufgenommen und mit den entsprechenden Gefügeumwandlungen

korreliert werden.

2 Grundlagen

Die Festigkeit und Härte metallischer Werkstoffe lässt sich auf unterschiedliche Arten erhöhen,

dazu zählen Teilchenhärtung (durch Ausscheidung oder Dispersion), Mischkristallhärtung,

Feinkornhärtung und Kaltverfestigung. Bei allen Arten beruht die Verfestigung auf einer

Behinderung der zur plastischen Verformung nötigen Versetzungsbewegung. Für den

durchzuführenden Versuch sind insbesondere die Verfahren der Teilchenhärtung und der

Mischkristallhärtung wichtig.

Im Falle der Kaltverfestigung kommt es durch plastische Verformung zu einer erhöhten

Versetzungsdichte und somit zu Aufstauung und Verknäueln der Versetzungen, d.h. die

Versetzungen behindern sich gegenseitig. Im Gegensatz dazu treten die Versetzungen bei der

Mischkristallhärtung in Wechselwirkung mit den zulegierten Fremdatomen. Da die

Fremdatome einen anderen Atomdurchmesser besitzen als die Matrixatome entsteht im

Atomgitter ein Spannungsfeld, das mit dem Spannungsfeld um eine Versetzungslinie in

Wechselwirkung treten kann und dadurch die Bewegung der Versetzung behindert. In welchem

Ausmaß die Bewegung der Versetzungen durch zulegierte Fremdatome behindert wird, also

wie stark die verfestigende Wirkung eines Legierungselementes ist, wird im Wesentlichen

durch die Verteilung der vorliegenden Fremdatome bestimmt. Teilchenhärtung kann einerseits

durch die Bildung von Ausscheidungen (Ausscheidungshärtung) oder durch die gezielte

Zugabe von Teilchen (Dispersionshärtung) erreicht werden. Die durch Ausscheidungen

bedingte Verfestigung ist wesentlich stärker als die Mischkristallverfestigung. Daher werden

Legierungen, in denen Ausscheidungsreaktionen möglich sind, auch aushärtbare Legierungen

bezeichnet.

Die unterschiedlichen Verfestigungsarten Mischkristallbildung und Teilchenausscheidung

lassen sich am Beispiel verschiedener Al-Legierungen gut nachvollziehen. Im Folgenden

werden die Vorgänge anhand der binären Systeme Al-Si und Al-Cu näher erläutert.

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3 Nicht aushärtbare Legierung: Al-Si

Si ist ein wichtiges Legierungselement für Aluminium, da es bereits in natürlichen Al-

Vorkommen als Verunreinigung mit bis zu 0,4 % enthalten ist und in Reinaluminium gegenüber

dem Reinstaluminium eine merkliche Legierungsverfestigung bewirkt. Das in Abbildung 1

dargestellte binäre System Al-Si bildet ein einfaches Eutektikum bei 577 °C und 12,6 gew.-%

Si. Die verfestigende Wirkung des Si beruht also auf Mischkristallbildung. Allerdings ist diese

Festigkeitssteigerung zu gering für technische Anwendungen, so dass binäres Al-Si aufgrund

seiner guten Gießeigenschaften als Gusswerkstoff verwendet wird oder als Basis für

aushärtbare ternäre Legierungssysteme wie z.B. Al-Si-Mg mit höherer Festigkeit dient.

Bei Al-Si Legierungen mit eutektischer Zusammensetzung stellt sich im

Gleichgewichtszustand nicht das fein-lamellare eutektische Gefüge ein, sondern ein entartetes

Eutektikum, das aus groben (Si)-Kristallen in einer (Al)-Matrix besteht. Um die Entartung zu

vermeiden und ein feinkörniges eutektisches Gefüge mit besseren mechanischen Eigenschaften

zu erzielen, muss die Legierung abgeschreckt werden. Die unterschiedliche Gefügeausbildung

bei langsamer und schneller Abkühlung ist anhand der Schliffbilder in Abbildung 2

nachzuvollziehen.

Abbildung 1: Phasendiagramm des Systems Al-Si [1].

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4 Aushärtbare Legierung: Al-Cu

Bei vielen Legierungen wird die Festigkeitssteigerung durch die Ausscheidung von Teilchen

infolge einer geeigneten Wärmebehandlung erzielt. Der Effekt der Aushärtung durch

Teilchenausscheidung wurde 1906 von Wilm an Al-4%Cu entdeckt. Dafür müssen im

einfachsten Fall einer binären Legierung bestimmte konstitutionelle Voraussetzungen erfüllt

sein:

Eine beschränkte Mischkristallbildung der beiden Komponenten, d. h. Ausbildung von

intermetallischen Phasen.

Eine mit abnehmender Temperatur sinkende Löslichkeit der gelösten Komponente, um

durch Abschreckung eine Übersättigung des Mischkristalls zu erreichen.

Die Ausscheidungsvorgänge auf der Al-reichen Seite des Systems Al-Cu sind technologisch

außerordentlich wichtig, sie bilden die Grundlage für den industriellen Einsatz von Al-

Legierungen. Das Phasendiagramm Al-Cu ist in Abbildung 3 wiedergegeben.

Homogenisiert man diese Legierung im Bereich des (Al)-Mischkristalls und kühlt sie langsam

ab, so scheidet sich aus den anfänglich homogenen Substitutionsmischkristallen die sogenannte

-Phase Al2Cu aus, und der Mischkristall verarmt entsprechend der Löslichkeitslinie an Cu.

Kühlt man sehr schnell aus dem homogenen Gebiet ab, so wird die Ausscheidung von Al2Cu

unterdrückt. Der bei Raumtemperatur übersättigte Mischkristall ist jedoch nur metastabil.

Lagert man bei Raumtemperatur oder etwas höheren Temperaturen über eine Zeit von wenigen

Minuten bis zu mehreren Tagen aus, so geht der übersättigte Mischkristall durch Ausscheiden

einer zweiten Phase in den gesättigten Mischkristall über. Dabei werden je nach

Abschreckgeschwindigkeit, dem Temperaturbereich der Auslagerung und der Cu-Konzentra-

(a) (b)

Abbildung 2: Gegenüberstellung der Gefüge von eutektischem Al-Si [2]. Gleichgewichtszustand mit heller (Al)-

Matrix und groben (Si)-Kristallen (links) und abgeschrecktes Gefüge mit feinlamellarem

Eutektikum und (Al)-Kristallen (rechts).

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tion vor Beginn der Ausscheidung der stabilen Phase verschiedene metastabile Ausschei-

dungsarten gebildet. Die Keimbildung der metastabilen Phasen geschieht relativ leicht, weshalb

die Ausscheidungen sehr feindispers sind (Teilchendichte ca. 1016-1018 cm-3, Teilchengröße ca.

10 m) und die Festigkeit und Härte der Legierung wesentlich erhöhen.

Die Eigenschaften der verschiedenen metastabilen Phasen im System Al-Cu sind im Folgenden

kurz beschrieben.

4.1.1 Guinier-Preston-Zonen (GP I-Zonen)

Hierbei handelt es sich um eine monoatomare Schicht von Cu-Atomen auf {100}-Ebenen. Bei

Al-Cu treten diese Ausscheidungen in Form von Scheiben mit einem Durchmesser von 30 bis

100 Å auf. Die Keimbildung für diese GP I-Zonen setzt an regellos im Kristallgitter verteilten

Konzentrationsschwankungen ein und erfolgt daher relativ einfach. Eine solche Keimbildung,

die gleich verteilt im gesamten Gitter auftritt, nennt man homogene Keimbildung.

Die GP I-Zonen weisen kohärente Grenzflächen zum Mischkristall auf, d.h. die Anzahl und

Lage der Gitterpunkte in beiden Strukturen weicht in der Grenzfläche nicht oder nur un-

wesentlich voneinander ab (Abbildung 4). Die an den kohärenten Grenzflächen auftretenden

elastischen Verspannungen führen in Verbindung mit einem kritischen Dispersionsgrad der

Zonen zu außerordentlichen Härtesteigerungen. Diese Härteerhöhung durch Bildung

kohärenter Ausscheidungen wird Kaltaushärtung (bis ca. 150 °C Auslagerungstemperatur)

genannt. Charakteristisch für die Kaltaushärtung ist ihre leichte Rückbildbarkeit durch eine

kurzzeitige Glühbehandlung bei etwas höherer Temperatur (Rückbildungstemperatur).

Abbildung 3: Zustandsdiagramm des binären Systems Al-Cu [1]. Die Ausscheidungsvorgänge erfolgen

aus dem übersättigten (Al)-Mischkristall.

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4.1.2 GP II-Zonen; ’’-Phase

Diese Phase bildet sich nach einer zur Keimbildung notwendigen Inkubationszeit. Sie besteht

aus einer Überstruktur von abwechselnden Schichten aus Cu- und Al-Atomen parallel zu den

100-Ebenen. Die ’’-Phase hat ungefähr die Zusammensetzung Al2Cu, aber eine gegenüber

dem -Mischkristall tetragonal verzerrte Gitterstruktur (a = 4,04 Å, c = 7,68 Å). Sie tritt in

Form von plattenförmigen Ausscheidungen mit Durchmessern von bis zu etwa 1500 Å und

einer Plattendicke von unter 100 Å auf. Auch hier liegt noch kohärente Verknüpfung mit der

Matrix vor.

4.1.3 Nichtgleichgewichtsphase ’

Sie hat ein tetragonales Gitter (a = 4,04 Å, c = 5,80 Å), die Zusammensetzung Al2Cu und weist

nur noch teilweise kohärente Grenzflächen (Bild 5) mit dem Mischkristall auf. Die Dicke der

Plättchen erreicht Werte von etwa 300 Å, ihr Durchmesser liegt bei einigen 1000 Å. Mit der

Ausscheidung der Phasen ’’ und ’ ist eine Warmaushärtung (oberhalb 150 °C) verbunden.

4.1.4 -Phase

Bei der -Phase handelt es sich um die stabile Gleichgewichtsphase. Sie hat eine tetragonale

Struktur (a = 6,07 Å, c = 4,87 Å) und ist zum Mischkristall vollständig inkohärent. Sie tritt nur

noch in vergleichsweise groben Ausscheidungen auf. Aufgrund der fehlenden Kohärenz und

der großen Differenzen zwischen den Gitterparametern werden Fehlpassungsversetzungen in

die Grenzflächen eingebaut, die die Verzerrung des Matrix-Gitters minimieren. Somit trägt die

Gleichgewichtsphase auch kaum mehr zur Festigkeitssteigerung bei.

Abbildung 4: Schematischer Schnitt durch

eine GP I-Zone.

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4.1.5 Keimbildung bei der Aushärtung von Al-Cu-Legierungen

Die o.g. metastabilen Phasen treten bei niedrigen Auslagerungstemperaturen deshalb auf, weil

dort die Keimbildung der Gleichgewichtsphase aufgrund der hohen Grenzflächenenergie sehr

ungünstig ist. Erste Voraussetzung für die Aushärtungsvorgänge bei tieferen Temperaturen ist

eine genügend hohe Leerstellenkonzentration, die eine ausreichende Diffusion der Gitteratome

ermöglicht. Diese Voraussetzung wird dadurch geschaffen, dass die während des

Lösungsglühens (also bei hoher Temperatur) vorliegende Leerstellenkonzentration durch

rasches Abschrecken im Gitter „eingefroren“ wird.

Die homogene Keimbildung von GP I-Zonen tritt bereits unterhalb von 160 °C auf. Diese Art

der Keimbildung stellt allerdings eine Ausnahme dar. Speziell bei Ausscheidungs- und

Umwandlungsvorgängen in polykristallinen Festkörpern tritt die Keimbildung aus

energetischen Gründen bevorzugt an Korngrenzen, Versetzungen etc. auf (heterogene

Keimbildung). Im vorliegenden Fall bilden sich GP I und GP II (’’) homogen, ’ bevorzugt

an Versetzungen und schließlich bevorzugt an Korngrenzen.

4.1.6 Überalterung

In Abschnitt 1 wurde bereits angedeutet, dass die Festigkeitszunahme unter anderem mit den

Gitterverzerrungen durch die kohärenten Teilchen zusammenhängt. Mit der fortschreitenden

Ausscheidung der GP I- und GP II-Zonen nimmt daher die Festigkeit der Legierung immer

weiter zu.

Nach einer gewissen zur Inkubation benötigten Zeit bilden sich bei der Warmaushärtung dann

die ’-Phase (nur teilkohärent) und schließlich die -Phase (völlig inkohärent) auf Kosten der

kohärenten GP-Zonen, weshalb die Festigkeit langsam wieder sinkt. Wird die optimale

Verteilung und Größe der ausgeschiedenen Partikel durch zu lange Auslagerung überschritten,

so nimmt die Festigkeit der Legierung wieder ab (Abbildung 6). Diesen Vorgang nennt man

Überalterung.

Abbildung 5: Gitterstrukturen von α-Mischkristall, ’, ’’ und (von links nach rechts). Al , Cu [3].

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5 Untersuchungsmethoden

5.1 Härteprüfung nach Vickers

Unter Härte versteht man die Eigenschaft eines Stoffes, dem Eindringen eines festeren Körpers

Widerstand entgegenzusetzen. Als Maß des Widerstandes gilt der Grad der sich aus der

Beanspruchung ergebenden, bleibenden Verformung. Diese Beanspruchung kann statisch

(Druckhärte) oder dynamisch (Fall- oder Schlaghärte) erfolgen. Die Art der Härtebestimmung

muss bei der Angabe des Härtewertes mit angegeben werden. Im Falle der Vickershärte werden

sowohl die Kraft der Belastung, als auch die Belastungsdauer mit angegeben, z.B. HV 5/20

bedeutet eine Kraft von 5 kP für 20 s.

Bei der Vickershärteprüfung wird eine Diamantpyramide mit einem Flächenöffnungswinkel

von 136° verwendet. Als Härte ist das Verhältnis von Belastung F zur Eindruckoberfläche S

festgelegt. Die Vickers-Härte ergibt sich dann zu:

Dabei ist d die Diagonale des quadratischen Eindrucks. Man spricht von einer Kleinlast-

härteprüfung, wenn eine Belastung zwischen 0,3 und 10 kp und von einer Mikrohärteprüfung,

wenn eine Belastung zwischen 0,2 und 150 p gewählt wird. Für die Prüfung nach Vickers ist

eine sehr saubere Oberfläche erforderlich. Wegen ihrer Empfindlichkeit ist die Vickers-

Härteprüfung vor allem ein Laborverfahren. Der Abstand zwischen den Eindruckmitten sowie

vom Probenrand soll mindestens 3d betragen. Die Dicke des zu prüfenden Werkstückes muss

mindestens 1,5d sein. Für die Ermittlung des Härtewertes benutzt man das arithmetische Mittel

der Eindruckdiagonalen d1 und d2 (Abbildung 7).

Abbildung 6: Verlauf der Vickers-Härte für isotherme Auslagerung bei 190°C.

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5.2 Elektrische Widerstandsmessung

Elektrischer Strom wird in Metallen typischerweise durch Elektronen geleitet. Die Elektronen

bewegen sich dabei als delokalisierte Wellenpakete (so genannte Bloch-Wellen) durch den

Kristall. Durch Stöße zwischen den Leitungselektronen und Defekten, Phononen

(Gitterschwingungen) oder anderen Elektronen wird die mittlere Flugdauer zwischen zwei

Stößen τ und damit die mittlere freie Weglänge l reduziert. Diese Größen sind ein gutes Maß

für den elektrischen Widerstand einer Probe.

Stöße zwischen zwei Elektronen tragen nur zu einem sehr kleinen Bruchteil zum elektrischen

Widerstand bei Raumtemperatur bei und können daher in guter Näherung vernachlässigt

werden1. Der durch Stöße mit Phononen und Defekten verursachte Widerstand kann mit der

empirischen Matthiesenschen Regel beschrieben werden [6], S. 342:

𝜌(𝑇) = 𝜌Defekte + 𝜌Phononen

Der Phononen-Beitrag ρPhononen ist temperaturabhängig, dies beruht auf der Tatsache, dass mit

steigender Temperatur mehr Phononen im Material vorhanden sind und somit die

Streuwahrscheinlichkeit erhöht wird. Wird dieser Beitrag durch einfache Stöße mit Phononen

verursacht, so kann in guter Näherung die Temperaturabhängigkeit

𝜌Phononen(𝑇) ∝ (𝑇

𝜃)

5

angenommen werden. Dabei steht θ für die Debye-Temperatur, bei dieser Temperatur sind alle

möglichen Phononen-Moden im Material angeregt (für weitere Informationen, siehe [5] S. 101

ff). Der durch Defekte verursachte Restwiderstand ρDefekte hingegen ist temperaturunabhängig.

Er ist ein gutes Maß für die Defekt-Dichte in einem Material und lässt sich am besten bei tiefen

Temperaturen messen, da dort ρPhononen klein ist. Bei Mischkristallbildung wird überwiegend

1 Dies ist der Fall, da Stöße zwischen Elektronen nur möglich sind falls für beide Endzustände freie Energieniveaus

vorhanden sind (Pauli-Prinzip). Außerdem muss beim Stoß sowohl Impuls- als auch Energieerhaltung gelten.

Diese Effekte reduzieren die Stoßrate zwischen Elektronen drastisch. Obwohl sich Leitungselektronen in

Metallen in einem typischen Abstand von ca. 0.2 nm befinden ist die mittlere freie Weglänge bei

Raumtemperatur normalerweise größer als 1 μm [5], S. 456.

Abbildung 7: Schematische Darstellung der

Härteprüfung nach Vickers.

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der Restwiderstand ρDefekte erhöht. In heterogenen Zustandsgebieten erfolgt die

Widerstandsänderung näherungsweise nach der Mischungsregel (Nordheim Regel):

𝜌 = ∑ 𝑥𝑖 ⋅ 𝜌𝑖

𝑖

hier stehen xi für den Molenbruch und ρi für den spezifischen Widerstand der Komponente i.

Im Spezialfall der Aushärtung einer Al-4%Cu Legierung beobachtet man während der

Kaltaushärtung zunächst einen Anstieg des elektrischen Widerstands (anormales Verhalten)

nach dem Durchlaufen eines Maximums fällt dann der Widerstand mit steigender

Auslagerungsdauer ab. Eine Erhöhung des Legierungszusatzes führt zu einem ausgeprägten

Widerstandsanstieg und verkürzt die Anlasszeit bis zum Erreichen des Widerstandsmaximums.

Zur Erklärung des Widerstandsanstieges nimmt man an, dass die zur Kaltaushärtung führende

Ansammlung der gelösten Atome bei einer bestimmten Größe einen maximalen

Widerstandsbeitrag ergeben, der größer ist als der des übersättigten Mischkristalls [7,8]. Dieser

anomale Widerstandsanstieg zu Beginn der Kaltaushärtung soll im Folgenden nicht weiter

berücksichtigt werden. Abgesehen von dieser anormalen Widerstandserhöhung zu Beginn der

Kaltaushärtung nimmt der elektrische Widerstand während der Kalt- und Warmaushärtung

kontinuierlich ab. Es muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich beim

anfänglichen Anstieg des Widerstands um einen Spezialfall handelt. Fast alle aushärtbaren

Legierungen, die ein ausgeprägtes Härtemaximum aufweisen, zeigen von Beginn an einen

monotonen Widerstandsabfall mit zunehmender Auslagerungsdauer.

Von zahlreichen Widerstandsmessmethoden wird in diesem Versuch die Vierpunktmessung

(Abbildung 8) verwendet. Da auf einfache Weise der Kontaktwiderstand, der bei einer

Zweipunktmessung zu systematischen Messfehlern führt, eliminiert werden kann.

Bei der Vierpunktmessung ergibt sich folgender Zusammenhang:

𝑈𝑀

𝐼0= 𝜌 ⋅

𝑙

𝑑 ⋅ 𝑏− 2 𝑅𝐾 ⋅

𝐼𝑀

𝐼0

Hierbei ist UM die Spannung die am Messgerät bei gemessen wird, I0 der Strom der bei Anlegen

einer Spannung fließt. RK kennzeichnet die Widerstände, die an den Kotaktstellen entstehen

Abbildung 8: Schematischer Aufbau einer Vierpunktmessung zur Bestimmung

des spezifischen Widerstands.

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und 𝜌 ist der spezifische Widerstand der Probe mit Länge l Breite b und Dicke d. Bei

hinreichend großem Innenwiderstand RM des Messgeräts fließt ein vernachlässigbar kleiner

Strom I2, womit sich die Gleichung vereinfacht und die Kontaktwiederstände keinen Einfluss

auf die Messung haben:

𝑈𝑀

𝐼0= 𝜌 ⋅

𝑙

𝑑 ⋅ 𝑏

6 Aufgabenstellung

An lösungsgeglühten (ca. 30 min. bei 550 °C) und anschließend in Wasser abgeschreckten

Proben der Zusammensetzung Al-4 gew.-% Cu und Al-12 gew.-% Si ist die zeitliche Änderung

der Härte sowie des spezifischen Widerstands während isothermer Auslagerung zu messen.

Messung: HV 2/20 (Last 2 kp, Lastdauer 20 s), Messung des Ausgangswertes vor Auslagerung

(0 min), dann nach 2, 5, 7, 10, 15, 20, 30, 45, 60 und 80 min. Es sind jeweils drei Eindrücke

auszumessen, aus dem Mittelwert der Diagonalen werden die Härtewerte berechnet. Unter

Annahme eines Messfehlers von d = ± 0,002 mm sollen mit Fehlerfortpflanzung die absoluten

Fehler der Härtewerte bestimmt werden und als Fehlerbalken mit in die graphischen

Auftragungen übernommen werden.

Zur Messung des spezifischen Widerstands wird ein Strom von 0,8 A erzeugt. Die Proben sollen

dafür auch für die oben genannten Zeiten ausgelagert werden.

7 Literatur

[1] T. B. Massalski: Binary Alloy Phase Diagrams. 2nd edition (ASM International, 1992).

[2] H. Schumann: Metallographie. 14. Auflage (Wiley VCH Verlag, Weinheim, 2005).

[3] G. Gottstein: Physikalische Grundlagen der Materialkunde. 3. Auflage (Springer

Verlag, Berlin, 2007).

[4] E. Macherauch: Praktikum in Werkstoffkunde. 10. Auflage (Vieweg Verlag,

Braunschweig, 2002).

[5] C. Kittel und S. Hunklinger (Hrsg.): Einführung in die Festkörperphysik. 14. Auflage

(Oldenbourg Verlag, München, 2006).

[6] S. Hunklinger: Festkörperphysik. 3. Auflage (Oldenbourg Verlag, München, 2011).

[7] P. L. Rossiter und P. Wells, Philosophical Magazine 24 (1971), 425-436.

[8] K. Osamura, et al. Philosophical Magazine Part B 45 (1982), 583-599.