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AUSLAND FREIDEG, DE 14. NOVEMBER 2019 ZEITUNG VUM LËTZEBUERGER VOLLEK 6 A uch am 28. Tag gingen im Libanon Proteste und Straßenblockaden wei- ter. Die Demonstranten wollen nach der Regierung auch den Präsidenten sowie das Parla- ment zur Aufgabe zwingen. Gesprächsangebote werden abgelehnt, eine politische Füh- rung fehlt. Südlich von Beirut, unweit des Vorortes Khalde wurde am Dienstag ein Mann tödlich ge- troffen, als Soldaten unter dem Einsatz von Schußwaffen ver- suchten, eine Menschenan- sammlung nach einem hefti- gen Streit von einer wichtigen Verkehrskreuzung zu vertrei- ben. Der Mann, dessen Na- men mit Alaa Abou Fakher an- gegeben wird, war Mitglied der Progressiven Sozialistischen Partei (PSP), für die er im Stadtrat von Khaldeh saß. Der PSP-Vorsitzende und Drusen- führer Walid Jumblatt forderte die Demonstranten auf, »auf den Staat zu zählen«, weil »das Land sonst ins Chaos ge- stürzt« werde. Die Armeefüh- rung leitete eine Untersuchung gegen den Soldaten ein. Präsident Michel Aoun äu- ßerte sich am Dienstag im Rahmen ein Interviews mit dem Sender »Al Mayadeen« zu den Forderungen der De- monstranten nach einer Regie- rung aus Technokraten. »Eine Regierung nur aus Technokra- ten kann nicht die Politik des Landes bestimmen«, so Aoun. Er wolle eine Regierung je zur Hälfte aus Technokraten und Politikern bilden. Die Demon- stranten forderte Aoun auf, nach vier Wochen Protesten das Land wieder frei zu geben: »Wenn Sie so weitermachen, zerstören Sie den Libanon und ihre Interessen.« Man arbeite »Tag und Nacht daran, die La- ge zu stabilisieren«. Auf die Frage, ob der zurückgetretene Ministerpräsident Saad Hariri in sein Amt zurückkehren wer- de, erwiderte Aoun, noch sei nichts entschieden. IWF und Weltbank warten schon Am vergangenen Wochen- ende hatte die Weltbank den Libanon aufgefordert, »inner- halb einer Woche« ein neues Kabinett zu berufen, um den weiteren wirtschaftlichen Ab- sturz zu stoppen. Der Libanon ist hoch verschuldet, und ob- wohl die im Ausland lebenden Libanesen Milliarden von US- Dollar auf den libanesischen Banken haben, können sie über ihr Geld nicht verfügen. Die Banken haben seit Jahren private Einlagen an die libane- sische Zentralbank zur Finan- zierung der Regierungsge- schäfte abgegeben, erklärte der Leiter der Zentralbank Riad Salame kürzlich in einem CNN- Interview. Man habe den Ban- ken bis zu 20 Prozent Zinsen zugesagt. Doch weder die Zin- sen wurden bezahlt noch wur- de das geborgte Geld zurück- gegeben. Seit Wochen bleiben die Banken geschlossen und ha- ben nur vereinzelt für wenige Stunden geöffnet. Auch Inha- bern von US-Dollar-Konten bleibt der Zugang zu ihrem Geld verwehrt, in den Banken soll es teilweise zu Handgreif- lichkeiten zwischen den Konto- inhabern und dem Bankperso- nal gekommen sein. Geldauto- maten, die bis Anfang Oktober noch US-Dollar und libanesi- sche Währung ausgaben, stel- len nur noch Libanesische Pfund (LBP) zur Verfügung. Die Landeswährung, die seit dem Ende des Bürgerkrieges 1990 mit 1.500 pro 1 US-Dollar gebunden ist, hat an Wert ver- loren. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein US-Dollar inzwi- schen bis zu 2.000 LBP. Preise für Lebensmittel sind bis zu 20 Prozent gestiegen, auch private Strom- und Was- serversorger verlangen mehr. Hart trifft es ausländische Ar- beitskräfte, die in Hotels und privaten Haushalten arbeiten und ihren monatlichen Lohn in US-Dollar erhalten. Meist wird ein großer Teil des Geldes in die Heimatländer der Arbeiter überwiesen, wo sie ihre Fami- lien unterstützen. Unterneh- men haben keinen Zugang zu ihrem US-Dollarvermögen und geraten mit der Zahlung in Ver- zug. Der Anstieg der Lebens- haltungskosten führt dazu, daß die Arbeiter mehr verlangen, um den Preisanstieg ausglei- chen zu können. Neue Kredite nur bei Verkauf des Tafelsilbers Am Dienstag traf sich Präsi- dent Michel Aoun mit Vertre- tern der Internationalen Unter- stützungsgruppe, in der die UNO, China, Frankreich, Deutschland, Italien, Rußland, Britannien und die USA sowie die Europäische Union und die Arabische Liga vertreten sind. Westliche Staaten sowie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank fordern vom Libanon den Verkauf staatli- chen Tafelsilbers wie den Mo- bilfunk- und den Elektrizitäts- sektor. Um bei der Geberkon- ferenz in Paris 2018 (CEDAR) zugesagte Kredite zu erhalten, soll die Privatisierung vorange- trieben werden. Begierig sind Investoren auch auf den Öl- und Gassektor, dessen Explo- ration im östlichen Mittelmeer wegen Grenzstreitigkeiten mit Israel noch nicht begonnen hat. Von den arabischen Golf- staaten, die im Libanon seit En- de des Bürgerkriegs Milliarden- summen investiert haben, bleibt Hilfe weitgehend aus. Le- diglich das Golfemirat Katar zahlte im Juni 500 Millionen US-Dollar an die Regierung. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben neue In- vestitionen zwar zugesagt, bis- her aber nichts überwiesen. Saudi Arabien, das Milliarden US-Dollar zur Unterstützung von Premierminister Saad Ha- riri im Libanon investiert hat, hält ebenfalls sein Geld zurück. Grund dafür ist der wachsende Einfluß der libanesischen His- bollah, die mit einem Bündnis aus den Wahlen im Mai 2018 als Sieger hervorging. In der Regierung, die nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Saad Hariri vor zwei Wochen nur noch eine Übergangsregie- rung ist, ist das Hisbollah- Bündnis mit vier Ministern ver- treten. Parolen wie zu Beginn des Krieges in Syrien Der ursprünglich von wirt- schaftlichen Sorgen ausgelös- te Aufstand von Hunderttau- senden Libanesen Mitte Okto- ber wird inzwischen von Kräf- ten instrumentalisiert, die nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament zu Fall bringen wollen. Verschiedene Parteien, darunter auch die »Libanesischen Kräfte«, mobi- lisieren ihre Anhänger auf die Straßen und lehnen bisher je- des Angebot ab. Das Bündnis um die Hisbollah und die Freie Patriotische Bewegung, der auch Präsident Michel Aoun angehört, fordern zum Dialog auf und drängen die Demon- stranten, die Straßen freizuge- ben. Die Kommunistische Partei des Libanon, die vor allem im Süden des Landes eng mit der Hisbollah kooperiert, hatte Teile der Proteste zu Beginn Mitte Oktober angeführt. Ein Ge- sprächspartner der Partei, der namentlich nicht genannt wer- den wollte, räumte nun ein, daß inzwischen andere Kräfte versuchten die Proteste zu steuern. Die Lage sei unklar und gefährlich. Ähnlich beschreibt Sofia Saadeh, emeritierte Professo- rin für neue Geschichte des Mittleren Ostens in Beirut, die Situation. Anfangs sei es um gerechte Löhne, um Strom, Wasser, Gesundheitsversor- gung gegangen, die Leute hät- ten gegen Korruption protes- tiert. Nun ähnelten die Parolen denen, die man aus Syrien kenne: »Sie wollen den ‚Sturz des Regimes’, aber im Libanon gibt es kein ‚Regime’ wie in Sy- rien.« Nicht nur die Regierung, auch der Präsident und vor al- lem das Parlament sollten ge- hen, beschreibt Sofia Saadeh die Forderungen der Demons- tranten. »Regierung und Präsi- dent haben zum Dialog einge- laden, Reformvorschläge ge- macht, das Parlament soll da- rüber beraten. Aber die Leute wollen mit niemandem reden. Was wollen sie?« Sie sei der festen Überzeu- gung, daß die berechtigte Kritik der Bevölkerung an den vielen Mißständen benutzt werde, um die Regierung zu stürzen, der die Hisbollah angehöre. Das Parlament sei schließlich erst vor eineinhalb Jahren gewählt worden, doch die USA hätten das Ergebnis wegen des star- ken Abschneidens der Hisbol- lah und ihres Bündnisses von Anfang an abgelehnt. Hinter- grund des Konflikts sei die schlechte ökonomische Lage, die sich mit den USA-Sanktio- nen gegen die Hisbollah ver- schärft habe. Hisbollah fordert Handel mit dem Osten Der Vorsitzende der Hisbol- lah, Hassan Nasrallah, kritisier- te am Montag den ökonomi- schen und finanziellen Druck der USA gegen den Libanon scharf. Die USA verhinderten den Kapitalfluß in den Zedern- staat, davon seien auch chine- sische Investitionen betroffen. Der Libanon werde bedroht, weil er mit seinen natürlichen Nachbarn Syrien, Irak oder dem Iran Handel treibe. Der Druck sei so groß, daß libane- sische Firmen inzwischen Angst hätten, in Syrien zu in- vestieren, so Nasrallah. Das Land müsse sich da- von frei machen und solle eine eigene Landwirtschaft und In- dustrie aufbauen. Chinesische Investitionen dafür seien zuge- sagt, das sei im nationalen In- teresse. Der »Markt im Irak ist eine historische Gelegenheit für den Libanon«. Der anhal- tende Streit um die Seegrenze mit Israel entlang der Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer verhindere, daß der Libanon sein Öl und Gas för- dern könne. Strafrechtliche Ermittlun- gen gegen Politiker und Offi- zielle wegen möglicher Korrup- tion unterstütze man, erklärte Nasrallah weiter. »Sollte es ei- nen Fall geben, der mit einem Vertreter der Hisbollah zu tun hat, fordere ich Sie auf, mit uns anzufangen. Ich garantiere Ih- nen den Respekt der Hisbol- lah.« Karin Leukefeld Libanon – Quo Vadis? Straßenblockade im östlichen Stadtteil Jal el-Dib der libanesischen Hauptstadt Beirut am 13. November 2019 (Foto: EPA-EFE/Nabil Mounzer)

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AUSLANDFREIDEG, DE 14. NOVEMBER 2019ZEITUNG VUM

LËTZEBUERGER VOLLEK 6

Auch am 28. Tag gingen im Libanon Proteste und Straßenblockaden wei-

ter. Die Demonstranten wollen nach der Regierung auch den Präsidenten sowie das Parla-ment zur Aufgabe zwingen. Gesprächsangebote werden abgelehnt, eine politische Füh-rung fehlt.

Südlich von Beirut, unweit des Vorortes Khalde wurde am Dienstag ein Mann tödlich ge-troffen, als Soldaten unter dem Einsatz von Schußwaffen ver-suchten, eine Menschenan-sammlung nach einem hefti-gen Streit von einer wichtigen Verkehrskreuzung zu vertrei-ben. Der Mann, dessen Na-men mit Alaa Abou Fakher an-gegeben wird, war Mitglied der Progressiven Sozialistischen Partei (PSP), für die er im Stadtrat von Khaldeh saß. Der PSP-Vorsitzende und Drusen-führer Walid Jumblatt forderte die Demonstranten auf, »auf den Staat zu zählen«, weil »das Land sonst ins Chaos ge-stürzt« werde. Die Armeefüh-rung leitete eine Untersuchung gegen den Soldaten ein.

Präsident Michel Aoun äu-ßerte sich am Dienstag im Rahmen ein Interviews mit dem Sender »Al Mayadeen« zu den Forderungen der De-monstranten nach einer Regie-rung aus Technokraten. »Eine Regierung nur aus Technokra-ten kann nicht die Politik des Landes bestimmen«, so Aoun. Er wolle eine Regierung je zur Hälfte aus Technokraten und Politikern bilden. Die Demon -stranten forderte Aoun auf, nach vier Wochen Protesten das Land wieder frei zu geben: »Wenn Sie so weitermachen, zerstören Sie den Libanon und ihre Interessen.« Man arbeite »Tag und Nacht daran, die La-

ge zu stabilisieren«. Auf die Frage, ob der zurückgetretene Ministerpräsident Saad Hariri in sein Amt zurückkehren wer-de, erwiderte Aoun, noch sei nichts entschieden.

IWF und Weltbank warten schon

Am vergangenen Wochen-ende hatte die Weltbank den Libanon aufgefordert, »inner-halb einer Woche« ein neues Kabinett zu berufen, um den weiteren wirtschaftlichen Ab-sturz zu stoppen. Der Libanon ist hoch verschuldet, und ob-wohl die im Ausland lebenden Libanesen Milliarden von US-Dollar auf den libanesischen Banken haben, können sie über ihr Geld nicht verfügen. Die Banken haben seit Jahren private Einlagen an die libane-sische Zentralbank zur Finan-zierung der Regierungsge-schäfte abgegeben, erklärte der Leiter der Zentralbank Riad Salame kürzlich in einem CNN-Interview. Man habe den Ban-ken bis zu 20 Prozent Zinsen zugesagt. Doch weder die Zin-sen wurden bezahlt noch wur-de das geborgte Geld zurück-gegeben.

Seit Wochen bleiben die Banken geschlossen und ha-ben nur vereinzelt für wenige Stunden geöffnet. Auch Inha-bern von US-Dollar-Konten bleibt der Zugang zu ihrem Geld verwehrt, in den Banken soll es teilweise zu Handgreif-lichkeiten zwischen den Konto-inhabern und dem Bankperso-nal gekommen sein. Geldauto-maten, die bis Anfang Oktober noch US-Dollar und libanesi-sche Währung ausgaben, stel-len nur noch Libanesische Pfund (LBP) zur Verfügung. Die Landeswährung, die seit dem Ende des Bürgerkrieges

1990 mit 1.500 pro 1 US-Dollar gebunden ist, hat an Wert ver-loren. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein US-Dollar inzwi-schen bis zu 2.000 LBP.

Preise für Lebensmittel sind bis zu 20 Prozent gestiegen, auch private Strom- und Was-serversorger verlangen mehr. Hart trifft es ausländische Ar-beitskräfte, die in Hotels und privaten Haushalten arbeiten und ihren monatlichen Lohn in US-Dollar erhalten. Meist wird ein großer Teil des Geldes in die Heimatländer der Arbeiter überwiesen, wo sie ihre Fami -lien unterstützen. Unterneh-men haben keinen Zugang zu ihrem US-Dollarvermögen und geraten mit der Zahlung in Ver-zug. Der Anstieg der Lebens-haltungskosten führt dazu, daß die Arbeiter mehr verlangen, um den Preisanstieg ausglei-chen zu können.

Neue Kredite nur bei Verkauf des Tafelsilbers

Am Dienstag traf sich Präsi-dent Michel Aoun mit Vertre-tern der Internationalen Unter-stützungsgruppe, in der die UNO, China, Frankreich, Deutschland, Italien, Rußland, Britannien und die USA sowie die Europäische Union und die Arabische Liga vertreten sind. Westliche Staaten sowie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank fordern vom Libanon den Verkauf staatli-chen Tafelsilbers wie den Mo-bilfunk- und den Elektrizitäts-sektor. Um bei der Geberkon-ferenz in Paris 2018 (CEDAR) zugesagte Kredite zu erhalten, soll die Privatisierung vorange-trieben werden. Begierig sind Investoren auch auf den Öl- und Gassektor, dessen Explo-ration im östlichen Mittelmeer wegen Grenzstreitigkeiten mit

Israel noch nicht begonnen hat.

Von den arabischen Golf-staaten, die im Libanon seit En-de des Bürgerkriegs Milliarden-summen investiert haben, bleibt Hilfe weitgehend aus. Le-diglich das Golfemirat Katar zahlte im Juni 500 Millionen US-Dollar an die Regierung. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben neue In-vestitionen zwar zugesagt, bis-her aber nichts überwiesen. Saudi Arabien, das Milliarden US-Dollar zur Unterstützung von Premierminister Saad Ha-riri im Libanon investiert hat, hält ebenfalls sein Geld zurück. Grund dafür ist der wachsende Einfluß der libanesischen His-bollah, die mit einem Bündnis aus den Wahlen im Mai 2018 als Sieger hervorging. In der Regierung, die nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Saad Hariri vor zwei Wochen nur noch eine Übergangsregie-rung ist, ist das Hisbollah-Bündnis mit vier Ministern ver-treten. Parolen wie zu Beginn des Krieges in Syrien

Der ursprünglich von wirt-schaftlichen Sorgen ausgelös-te Aufstand von Hunderttau-senden Libanesen Mitte Okto-ber wird inzwischen von Kräf-ten instrumentalisiert, die nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament zu Fall bringen wollen. Verschiedene Parteien, darunter auch die »Libanesischen Kräfte«, mobi-lisieren ihre Anhänger auf die Straßen und lehnen bisher je-des Angebot ab. Das Bündnis um die Hisbollah und die Freie Patriotische Bewegung, der auch Präsident Michel Aoun angehört, fordern zum Dialog auf und drängen die Demon -

stranten, die Straßen freizuge-ben.

Die Kommunistische Partei des Libanon, die vor allem im Süden des Landes eng mit der Hisbollah kooperiert, hatte Teile der Proteste zu Beginn Mitte Oktober angeführt. Ein Ge-sprächspartner der Partei, der namentlich nicht genannt wer-den wollte, räumte nun ein, daß inzwischen andere Kräfte versuchten die Proteste zu steuern. Die Lage sei unklar und gefährlich.

Ähnlich beschreibt Sofia Saadeh, emeritierte Professo-rin für neue Geschichte des Mittleren Ostens in Beirut, die Situation. Anfangs sei es um gerechte Löhne, um Strom, Wasser, Gesundheitsversor-gung gegangen, die Leute hät-ten gegen Korruption protes-tiert. Nun ähnelten die Parolen denen, die man aus Syrien kenne: »Sie wollen den ‚Sturz des Regimes’, aber im Libanon gibt es kein ‚Regime’ wie in Sy-rien.« Nicht nur die Regierung, auch der Präsident und vor al-lem das Parlament sollten ge-hen, beschreibt Sofia Saadeh die Forderungen der Demons-tranten. »Regierung und Präsi-dent haben zum Dialog einge-laden, Reformvorschläge ge-macht, das Parlament soll da-rüber beraten. Aber die Leute wollen mit niemandem reden. Was wollen sie?«

Sie sei der festen Überzeu-gung, daß die berechtigte Kritik der Bevölkerung an den vielen Mißständen benutzt werde, um die Regierung zu stürzen, der die Hisbollah angehöre. Das Parlament sei schließlich erst vor eineinhalb Jahren gewählt worden, doch die USA hätten das Ergebnis wegen des star-ken Abschneidens der Hisbol-lah und ihres Bündnisses von

Anfang an abgelehnt. Hinter-grund des Konflikts sei die schlechte ökonomische Lage, die sich mit den USA-Sanktio-nen gegen die Hisbollah ver-schärft habe. Hisbollah fordert Handel

mit dem Osten Der Vorsitzende der Hisbol-

lah, Hassan Nasrallah, kritisier-te am Montag den ökonomi-schen und finanziellen Druck der USA gegen den Libanon scharf. Die USA verhinderten den Kapitalfluß in den Zedern-staat, davon seien auch chine-sische Investitionen betroffen. Der Libanon werde bedroht, weil er mit seinen natürlichen Nachbarn Syrien, Irak oder dem Iran Handel treibe. Der Druck sei so groß, daß libane-sische Firmen inzwischen Angst hätten, in Syrien zu in-vestieren, so Nasrallah.

Das Land müsse sich da-von frei machen und solle eine eigene Landwirtschaft und In-dustrie aufbauen. Chinesische Investitionen dafür seien zuge-sagt, das sei im nationalen In-teresse. Der »Markt im Irak ist eine historische Gelegenheit für den Libanon«. Der anhal-tende Streit um die Seegrenze mit Israel entlang der Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer verhindere, daß der Libanon sein Öl und Gas för-dern könne.

Strafrechtliche Ermittlun-gen gegen Politiker und Offi-zielle wegen möglicher Korrup-tion unterstütze man, erklärte Nasrallah weiter. »Sollte es ei-nen Fall geben, der mit einem Vertreter der Hisbollah zu tun hat, fordere ich Sie auf, mit uns anzufangen. Ich garantiere Ih-nen den Respekt der Hisbol-lah.«

Karin Leukefeld

Libanon – Quo Vadis?

Straßenblockade im östlichen Stadtteil Jal el-Dib der libanesischen Hauptstadt Beirut am 13. November 2019 (Foto: EPA-EFE/Nabil Mounzer)