Ausschussvorlage Ausschuss: INA -...
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Schriftliche Anhörung (öffentlich) Ausschussvorlage/INA/18/116 – Teil 2 – Stand: 01.11.13 Ausschussvorlage Ausschuss: INA Stellungnahmen zu: Gesetzentwurf Drucks. 18/7522 – HSOG – 12. Amnesty International, Bezirk Frankfurt/Main S. 40 13. Bund Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Hessen S. 47 14. Humanistische Union e. V., Bundesgeschäftsstelle S. 49 15. Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. S. 52 16. Prof. Dr. Hartmut Aden, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin FB 5 – Polizei/Sicherheitsmanagement S. 56 17. Initiative „Für eine transparente/bürgerfreundliche Polizei“ S. 58
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Berlin, 28.10.2013
SCHRIFTLICHE STELLUNGNAHME ZUM GESETZENTWURF FÜR EIN ZEHNTES GESETZ ZUR ÄNDERUNG DES HSOG – DRUCKSACHE 18/7522, KENNZEICHNUNGSPFLICHT IN HESSEN
VORBEMERKUNG
Amnesty International bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme.
Amnesty International ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich auf Grundlage der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderer zentraler Menschenrechtsverträge für die
Achtung und den Schutz der Menschenrechte einsetzt.
Amnesty International arbeitet seit über zwanzig Jahren zur Polizei in Deutschland. Bei der Recherche
von Einzelfällen ist Amnesty International immer wieder auf die Problematik gestoßen, die dieser
Gesetzentwurf aufgreift. Aus Sicht von Amnesty International hat die Polizei als Hüterin des
Gewaltmonopols des Staates eine zentrale Funktion für den Schutz der Menschenrechte. Die Polizei
bedarf aber auch der besonderen Transparenz und Kontrolle, da sie als zentrales Staatsorgan befugt ist,
unmittelbare Gewalt auszuüben.
ANWENDUNG MENSCHENRECHTLICHER BESTIMMUNGEN AUF DEN GESETZESENTWURF
Der vorliegende Gesetzentwurf (Drucksache 18/7522) fügt dem Hessischen Gesetz über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung (HSOG) eine Legitimations- und Kennzeichnungspflicht hinzu. Amnesty
International beurteilt dieses Vorhaben vor dem Hintergrund international anerkannter
Menschenrechtsstandards, zu deren Achtung, Schutz und Gewährleistung auch die Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet ist.
Eine Kennzeichnungspflicht selbst ist nicht unmittelbar in internationalen Verträgen normiert. Sie ist
aber eine Vorbedingung für die Durchführung effektiver Ermittlungsverfahren bei Vorwürfen zu
Misshandlungen oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Polizistinnen und Polizisten. In der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht eines jeden Menschen auf
Leben und Sicherheit der Person festgeschrieben.1 Niemand darf der Folter oder grausamer,
1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 3. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Artikel 6
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unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.2 Diese Bestimmungen stehen
nicht der Praxis entgegen, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in manchen Situationen befugt
sind, Gewalt anzuwenden, sie verlangen aber, dass Gewalt nur dann angewandt wird, wenn sie
unbedingt notwendig ist und dass die Anwendung selbst immer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
genügen muss.3
Die Tatsache, dass die Polizei in zentraler Weise befugt ist, Gewalt anzuwenden, koppelt dieses Privileg
zudem an eine besondere Verantwortung4 und spricht der Aufklärung von unverhältnismäßiger
Gewaltanwendung einen herausgehobenen Stellenwert zu.5 Das Recht auf einen wirksamen
Rechtsbehelf darf gerade bei der Überprüfung des Einsatzes staatlicher Gewalt nicht ausgehöhlt
werden.6 Um seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen gerecht zu werden, muss der Staat deshalb
in jedem Fall, in dem der Vorwurf von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung erhoben wird, effektive
Ermittlungen gewährleisten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat zudem immer wieder festgestellt, dass
solche Ermittlungsverfahren nur effektiv sind, wenn sie zur Identifizierung des Täters führen.7
Insbesondere, wenn Polizistinnen und Polizisten in geschlossenen Einheiten agieren, ist dies nicht
immer der Fall und Ermittlungsverfahren scheitern daran, dass nicht festgestellt werden kann, welche
Polizistin oder welcher Polizist unverhältnismäßige Gewalt angewendet hat.8
Deshalb wurde in verschiedenen Standards und Stellungnahmen wiederholt die individuelle
Identifizierbarkeit von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten angemahnt. Der Europäische Kodex für
Polizeiethik des Europarates9, der vom Ministerrat des Europarats angenommen wurde und deswegen
ein hohes Maß an Verbindlichkeit hat, betont die persönliche Verantwortlichkeit und die
Rechenschaftspflicht von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihr eigenes Tun und
Unterlassen.10 Zudem verweist der Kodex auf die Verpflichtung von Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten, sich während der Ausübung ihres Dienstes sowohl als Mitglied der Polizei als auch
über ihre/seine berufliche Identität auszuweisen.11 Der Kommentar zum Kodex schlussfolgert
zutreffend, dass „ohne die Möglichkeit eine/n Polizisten/in persönlich zu identifizieren“, „der Begriff
der persönlichen Verantwortung sinnentleert“ werde.12 Auch das Europäische Komitee zur Verhütung
von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) weist in seinen
Standards explizit darauf hin, wie wichtig die Möglichkeit der Identifizierung von Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten ist, insbesondere wenn es um die Vermeidung von Misshandlungen in
Polizeigewahrsam geht.13 Das CPT unterstreicht, dass die Vermummung von Polizistinnen und
Polizisten im Dienst nur in absoluten Ausnahmefällen gestattet sein kann, da hierdurch die
und 9. Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 2.
2 vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 5. 3 UN Code of Conduct for Law Enforcement Officials, Artikel 3; UN Basic Principles on the Use of Force and Firearms by Law
Enforcement Officials, Nr. 4 und 5; und Europäischer Kodex für Polizeithik, Nr. 37. Im deutschen Recht ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in § 15 BpolG und § 4 (1) und (2) UzwG sowie konkret für Hessen in §4 HSOG normiert.
4 UN Code of Conduct for Law Enforcement Officials, Artikel 1. 5 UN Basic Principles on the Use of Force and Firearms by Law Enforcement Officials, Nr. 7. 6 z.B. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 8 sowie Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 13. 7 vgl. z. B. Ogur ./. Turkei, Urteil der Grosen Kammer vom 20. Mai 1999, Rn. 88, und finucane./. Grosbritannien, Urteil vom 1.
Juli 2003, Rn, 67. 8 vgl. Ramsahai und Andere .1 Die Niederlande, Urteil vom 15.05,2007, Nr. 324, Selmouni .1. Frankreich, Urteil vom
28.07,1999, Rn.79. 9 Europäischer Kodex für Polizeiethik, Europarat, 19.09.2001, Rec(2001)10, Nr. 61. 10 vgl. The European Code of Police Ethics, Council of Europe, 19.09,2001, Rec(2001)10, Nr, 16. 11 ebd. Nr. 45. 12 ebd. Nr. 45, Kommentar. 13 Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT), CPT
Standards, CPT/Inf/E (2002) 1 - Rev. 2006, Deutsch, S. 92, Nr. 33-34.
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Identifikation eines polizeilichen Täters nur schwer möglich ist.14 Konkret für Deutschland hat der VN-
Ausschuss gegen Folter (CAT) in seinen Abschlussbemerkungen zum 5. Staatenbericht Deutschlands
ausdrücklich empfohlen, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte „in allen Ländern […] jederzeit
[…] wirksam identifiziert […] werden können“ und in diesem Zusammenhang seine Besorgnis über
eine fehlende Verpflichtung zum Tragen individueller Namens- oder Nummernschilder zum Ausdruck
gebracht.15 Ebenso hob der damalige Europäische Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg in
einem Brief an den Bundesinnenminister de Maizière vom 15.11.201016 hervor, dass die individuelle
Erkennbarkeit von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten aus menschenrechtlicher Sicht von großer
Bedeutung ist.
UNAUFGEKLÄRTE FÄLLE VON MUTMASSLICHER POLIZEIGEWALT IN DEUTSCHLAND
Amnesty International hat in Deutschland umfassende Recherchen zu Vorwürfen von
unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Polizistinnen und Polizisten vorgenommen. Dabei wurde
keine systematische Polizeigewalt in Deutschland festgestellt. Die große Mehrheit der deutschen
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erfüllt ihre Aufgaben professionell und in Einklang mit dem
Gesetz. Dennoch können Vorfälle von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung vorkommen und sie
kommen in Deutschland auch vor. Den bislang letzten Bericht zur deutschen Polizei veröffentlichte
Amnesty International im Jahr 2010
(http://www.amnesty.de/files/Amnesty_Polizeibericht_Deutschland_2010.pdf). Er trägt nicht ohne
Grund den Titel „Täter unbekannt“. Über achthundert Fälle mutmaßlich illegaler Polizeigewalt waren
an Amnesty International heran getragen worden. Eine erhebliche Anzahl bezog sich auf solche Fälle, in
denen die Täter in Uniform nicht identifiziert werden konnten. Drei dieser Fälle hat Amnesty
International im Bericht exemplarisch herausgegriffen.
Diese Fälle demonstrieren auch, dass gerade wenn Einsatzkräfte in geschlossenen Einheiten agieren,
eine fehlende individuelle Kennzeichnung dazu führen kann, dass die aus menschenrechtlicher Sicht
unerlässlichen effektiven Ermittlungen nicht stattfinden, weil Beschuldigte nicht identifiziert werden
können. Im Fall von MM und anderen17 konnte beispielsweise nach einem Einsatz des Berliner SEK18
in der Diskothek Jeton, bei dem auch die Staatsanwaltschaft unverhältnismäßige Gewaltanwendung
feststellte, keiner der beteiligten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zur Verantwortung gezogen
werden. Trotz zahlreicher Zeugen war es nicht möglich, die konkreten Handlungen einzelnen
Einsatzkräften zuzuordnen. Zwar wurde sechs Betroffenen des Einsatzes Schadensersatz zugesprochen,
effektive strafrechtliche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen blieben durch die fehlende
Identifizierbarkeit aus.
Auch die Staatsanwaltschaft München I hat bei einer Anhörung im bayrischen Landtag auf
Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Einsatzkräften hingewiesen.19 So „stehen sowohl
Staatsanwaltschaften wie auch die Gerichte bei der Auswertung von Videoaufnahmen im
14 vgl. ebd. S. 92 Nr. 34. 15 Consideration of reports submitted by States parties under article 19 of the Convention, Concluding observations of the
Committee against Torture, Germany, CAT/C/DEU/CO/5, article 30. 16 Veröffentlicht unter:
https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=1964863&SecMode=1&DocId=1669020&Usage=2.
17 Täter Unbekannt, S. 49 ff. für die Fallbeschreibung, sowie S. 75 ff. für die anschließenden Ermittlungen. Bei den anderen beiden Fällen handelt es sich um AW, S. 52 ff. für die Fallbeschreibung und S. 77 ff. für die anschließenden Ermittlungen, sowie RI, S. 54 ff. für die Fallbeschreibung und S. 102 ff. für die anschließenden Ermittlungen.
18 Das Berliner SEK wurde anschließend zur ersten Polizeieinheit in Deutschland, bei der eine individuelle Identifizierung verpflichtend eingeführt wurde.
19 Expertenanhörung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit des Bayerischen Landtags am 29.06.2011 zum Thema „Individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten“, Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München I.
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Zusammenhang mit Demonstrationsgeschehen immer wieder vor dem Problem, dass Beamte im
geschlossenen Verband oftmals wegen ihres uniformen Auftretens gar nicht identifiziert werden können
und damit weder als Beschuldigte noch als Zeugen für strafbares Verhalten anderer Personen für ein
Verfahren zur Verfügung stehen.“20 Ein weiterer Sachverständiger vor dem Innenausschuss des
bayrischen Landtags, der Münchner Rechtsanwalt Noli, hat exemplarisch auf zwei Fälle verwiesen, bei
denen Ermittlungen wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung aufgrund der fehlenden
Identifizierbarkeit der Einsatzkräfte ins Leere liefen.21
Diese Fälle machen deutlich, dass in Deutschland ohne eine individuelle Identifizierbarkeit von
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten effektive Ermittlungen nach internationalen Standards oft nicht
möglich sind. Die recherchierten Einzelfälle betrafen Einsatzkräfte, die einer vergleichbaren Form der
taktischen Kennzeichnung unterlagen, wie sie bei der hessischen Polizei verwendet werden. Auch in
Hessen wurden beispielsweise im Rahmen der Aufarbeitung des Umgangs mit den Blockupy-Protesten
vom 1. Juni 2013 Vorwürfe laut, dass die fehlende Identifizierbarkeit der Einsatzkräfte wirksame
Beschwerden von Verletzten verhinderten.
Eine gestärkte individuelle Verantwortlichkeit ist zudem nicht nur ein menschenrechtliches Erfordernis.
Schon die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums postulieren die persönliche
Verantwortlichkeit für jegliches dienstliches Handeln. Gemäß § 36 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung
des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern tragen Beamtinnen und Beamte für die
Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. Es muss den durch
polizeiliches Handeln Geschädigten möglich gemacht werden, ihre individuellen Rechte durchsetzen zu
können. Es ist außerdem ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, dass das individuelle Handeln von
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in einem so grundrechtssensiblen Bereich jederzeit voll
überprüfbar ist. Die Einführung einer Kennzeichnungspflicht sorgt so für die bessere Durchsetzung von
geltendem Recht.
WEITERE ARGUMENTE FÜR EINE KENNZEICHNUNGSPFLICHT
Nicht nur die Sicherstellung effektiver Ermittlungen spricht für die Einführung einer individuellen
Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Auch vier weitere Gründe legen die
Einführung einer Kennzeichnungspflicht nahe.
(1) Die individuelle Kennzeichnungspflicht stärkt die Transparenz polizeilicher Arbeit
Durch die individuelle Kennzeichnungspflicht wird die Transparenz polizeilicher Arbeit erhöht, denn für
den Betroffenen wird deutlich, wer handelt. Wie in der Begründung des Gesetzentwurfs zu Recht
ausgeführt wird, bedeutet die Kennzeichnungspflicht, dass die Bürgerinnen und Bürger keiner
anonymen Staatsgewalt gegenüberstehen.
(2) Verbesserung der Fehlerkultur der Polizei
Die Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht kann auch zu einer Verbesserung der
Fehlerkultur führen, weil sie die individuelle Verantwortlichkeit stärkt und dazu beiträgt, Beschwerden
von Bürgerinnen und Bürgern umfassend aufzuarbeiten. Bereits der Alternativentwurf einheitlicher
Polizeigesetze des Bundes und der Länder betonte, die Kennzeichnungspflicht verhindere „vom
Polizeibeamten her gesehen den Rücktritt in die Anonymität, welche erst die sozialpsychologische
20 ebd. S. 1. 21 Expertenanhörung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit des Bayerischen Landtags am 29.06.2011
zum Thema „Individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten“, Stellungnahme zum Fragenkatalog von Rechtsanwalt Marco Noli, S.4. Bei den angesprochenen Fällen handelt es sich um eine durch Schlagstockeinsatz hervorgerufene Kopfverletzung eines unbeteiligten Besuchers am Rande eines Fußballspiels im Münchner Stadion an der Grünwalder Straße im Jahr 2007 sowie um den Fall eines Nürnberger Gitarristen im Jahr 2010.
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Voraussetzung der meisten Übergriffe ist“22. Für die Polizei ist es von großer Bedeutung, eine
angemessene Fehlerkultur zu etablieren, um sicherzustellen, dass die Polizei als Institution aus Fehlern
lernen kann und Fehlentwicklungen möglichst schnell entgegen treten kann.
(3) Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei
Durch die individuelle Kennzeichnungspflicht wird auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei
gestärkt. Durch eine Kennzeichnung tritt die Polizei selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf und das
Verhältnis zu Bürgerinnen und Bürgern verbessert sich. Die wichtige Arbeit der Polizei kann durch
einen persönlichen Bezug auch mehr Anerkennung erfahren.
Zwar genießt die Polizei sehr großes Vertrauen der Bevölkerung. Das Vertrauen wird aber dann
erschüttert, wenn eine Person eine Beschwerde gegen eine Polizeibeamtin oder einen Polizeibeamten
erhebt und dieser Beschwerde nicht nachgegangen werden kann, weil die/der handelnde PolizistIn
nicht identifiziert werden konnte. Dies haben Betroffene unserer Organisation immer wieder berichtet.
Exemplarisch dafür steht folgendes Zitat einer jungen Frau, die auf ihrem Heimweg am 1. Mai 2007 in
Berlin so geschlagen wurde, dass eine Rippe brach.
„Noch heute empfinde ich tiefe Hilflosigkeit, weil es nicht möglich war, die fraglichen Polizeibeamten
ausfindig zu machen und für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen."
(4) Schutz vor falschen Anschuldigungen
Die individuelle Kennzeichnungspflicht schützt auch die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten selbst,
denn diese können besser von Zeugen identifiziert werden. Dadurch wird ihre Entlastung sowie die
Anerkennung guter Arbeit einfacher. In einem Gespräch mit Amnesty International verwies die Berliner
Polizei auf einen Fall, in dem von Zeugen der Vorwurf erhoben wurde, dass männliche (behelmte)
Beamte eine Demonstrantin durchsucht hätten. Durch Abgleich der individuellen Nummern konnte der
Vorwurf entkräftet werden. Zudem wird es leichter, einzelne Beschuldigte in der mehrheitlich gute
Arbeit leistenden Polizei zu identifizieren und – wenn nötig - zur Verantwortung zu ziehen. Auch
dadurch wird das gute Ansehen der Polizei gestärkt.
MÖGLICHE GEFÄHRDUNGEN FÜR POLIZEIBEAMTINNEN UND POLIZEIBEAMTE UND IHRE ANGEHÖRIGEN DURCH EINE
INDIVIDUELLE KENNZEICHNUNG
Amnesty International ist sich der Tatsache bewusst, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in
Deutschland eine schwierige, gefährliche und oft mit großen persönlichen Risiken verbundene Aufgabe
erfüllen. Deswegen ist es von großer Bedeutung sicherzustellen, dass Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamte durch eine individuelle Kennzeichnung nicht gefährdet werden. Sollte eine namentliche
Kennzeichnung gewählt werden, muss eine Ausnahme davon möglich sein, wenn es begründete
Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Polizeibeamtin oder der Polizeibeamte durch die Preisgabe seines
Namens gefährdet sein könnte. In diesen Situationen muss aber eine andere Form der individuellen
Kennzeichnung sichergestellt werden, die gewährleistet, dass die Handlungen einzelnen
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zugeordnet werden können. Bei uniformierten Einsatzkräften
darf es keine Ausnahmen von einer zumindest numerischen Kennzeichnung geben.
An dieser Stelle ist zudem anzumerken, dass durch eine Kennzeichnung durch Nummern, wie sie der
Gesetzentwurf ermöglicht, nicht mehr Informationen über eine Polizeibeamtin oder einen
Polizeibeamten bekannt werden, als dies heute schon in den Verfahren der Fall ist, in denen die
22 Arbeitskreis Polizeirecht: AE PolG. Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder.
Neuwied/Darmstadt 1979: §36 Ausweispflicht für Polizeibeamte, S. 112 – 113.
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Beschuldigten bestimmt werden können. Dies ist in einem Rechtsstaat unvermeidbar. Wenn Einzelne
dieses Wissen nutzen, um Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zu bedrohen oder ihnen nachzustellen,
muss dies konsequent strafrechtlich verfolgt werden.
Außerdem möchte Amnesty International betonen, dass die bisherige Praxiserfahrung mit
verschiedenen Formen der Kennzeichnungspflicht ohnehin keine erhöhte Gefährdung für
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte oder ihre Angehörigen erwarten lässt. So teilte die Polizei Berlin
der Organisation mit, dass es durch die Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht bei SEK-
Beamtinnen und -Beamten zu keiner erhöhten Gefährdung gekommen sei.23 Auch nach der Ausweitung
der Kennzeichnungspflicht auf alle uniformierten Einheiten ergab sich laut Auskunft gegenüber
Amnesty International keine mit der individuellen Kennzeichnung im Zusammenhang stehende
Gefährdung.24 In Sachsen-Anhalt hat die Landesregierung auf eine Kleine Anfrage ausgeführt, dass
keine Fälle von „Straftaten oder tätlichen Angriffen bzw. Bedrohungen (die nicht vom Strafrecht erfasst
werden)“ bekannt sind, die mit dem Tragen eines Namensschildes im Zusammenhang stehen.25
Amnesty International weist aber auch darauf hin, dass auch andere Berufsgruppen, die durch ihr Amt
gefährdet sind, mit ihrem Namen auftreten müssen. Dies gilt nicht nur für Richterinnen und
Richterund Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, sondern selbst für Angehörige der Bundeswehr, auch
wenn diese im Ausland im Einsatz sind. Privatwirtschaftlich tätigen Wachleuten ist rechtlich
vorgeschrieben, ein Namensschild zu tragen26, Taxifahrer müssen in manchen Regionen ein
Namensschild in ihrem Fahrzeug anbringen.
Auch in anderen Staaten tragen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte bereits verpflichtend eine
individuelle Kennzeichnung. In Großbritannien ist das Tragen von individuellen Identifikationsnummern
auf den Schulterklappen von Polizistinnen und Polizisten bereits langjährige Praxis. Bei der Londoner
Metropolitan Police ist das jederzeit sichtbare Tragen von individuellen ID Nummern auf den
Schulterklappen Teil der Uniformordnung. Zuwiderhandlungen sind daher ein Verstoß gegen die
Standards professionellen Verhaltens und können disziplinarrechtlich verfolgt werden.27
Auch bei einigen Polizeien in Spanien besteht seit einigen Jahren eine Kennzeichnungspflicht für
Polizistinnen und Polizisten aller Einheiten mit sichtbar auf der Uniform angebrachten, individuellen
Identifikationsnummern.28 Dies sind die Policia Nacional und die Guardia Civil auf Bundesebene und
auf regionaler Ebene die Polizei von Katalonien.
WIE SOLLTE DIE KENNZEICHNUNG ERFOLGEN?
Nach diesen Ausführungen ist festzuhalten, dass die Einführung der Kennzeichnungspflicht
menschenrechtlich erforderlich und durch konkrete Fälle in Deutschland notwendig geworden ist. Eine
erhöhte Gefährdung für Polizistinnen und Polizisten ist aus der bisherigen Praxis nicht zu befürchten.
Ausnahmen dürfen, wie in der Antragsbegründung korrekt ausgeführt, nur in klar definierten Fällen, wie
beispielsweise bei verdeckten Ermittlungen, gewährt werden.
Es stellt sich also nicht die Frage, ob, sondern nur wie genau eine Kennzeichnungspflicht umgesetzt
werden soll. Amnesty International spricht sich dabei für jede Form der Kennzeichnung aus, die dazu
dient, den oben ausgeführten Anforderungen an effektive Ermittlungen gerecht zu werden. Ob diese mit
23 Brief des damaligen Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch vom 23.08.2010 an Amnesty International. 24 Gespräch mit dem Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt am 11.04.2013 25 Landtag von Sachsen-Anhalt, Drucksache 6/503. 26 §9 Abs. 1 Satz 1 Bewachungsverordnung. 27 Diese Standards sind festgelegt in den Police (Conduct) Regulations 2008, Statutory Instruments 2008, Police, England And
Wales, Ne. 2864. 28 vgl. Amnesty International, Spain: Adding Insult to Injury: Police Impunity Two Years On. 2009, EUR 41/010/2009: S. 7.
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Namen oder Nummern, mit fixen Zahlen oder einem rotierenden System zu gewährleisten ist, ist aus
menschenrechtlicher Sicht offen – solange die Kennzeichnung individuell, klar erkennbar und
einprägsam ist.
Klar erkennbar muss die gewählte Form der Kennzeichnung aus verschiedenen Perspektiven und auch
in unübersichtlichen Situationen sein. Dazu sollte die Kennzeichnung in ausreichender Größe und
möglichst an verschiedenen Stellen angebracht werden. Mindestens sollte eine Kennzeichnung auf
Vorder- und Rückseite der Uniform erfolgen. Der Gesetzesentwurf sollte dahingehend präzisiert werden.
Nur so können durch Betroffene, Zeugen, Foto- oder Videomaterial die Handlungen in möglichst vielen
Situationen einer einzelnen Polizeibeamtin oder einem einzelnen Polizeibeamten zugeordnet werden.
Sollte eine Nummer verwendet werden, dann muss diese so gewählt werden, dass sie leicht zu merken
und auch im Affekt einprägsam ist (z.B. ein Buchstabe und 3 Ziffern).
FAZIT
Die Wahrung der Menschenrechte verlangt, dass in jedem Fall von mutmaßlicher unverhältnismäßiger
Gewaltanwendung durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte effektive Ermittlungen erfolgen. Dazu
muss der Beschuldigte zweifelsfrei festgestellt werden, was in Hessen zur Zeit jedoch nicht in jedem
Fall möglich ist. Für Bundesländer mit vergleichbaren Regelungen haben Amnesty International und
andere Stellen wie die Münchner Staatsanwaltschaft Fälle dokumentiert, in denen es wegen einer
fehlenden Identifizierbarkeit von Einsatzkräften zur Einstellung von Verfahren gekommen ist. Dies
widerspricht dem Grundsatz effektiver Ermittlungen beim Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen
und dem auch im deutschen Beamtenrecht verankerten Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit.
Um effektive Ermittlungen in jedem Einzelfall zu gewährleisten, ist die Einführung einer
Kennzeichnungspflicht eine menschenrechtliche Notwendigkeit.
Die Kennzeichnung uniformierter Einsatzkräfte kann dabei in Form von Namen oder Nummern
erfolgen, solange sie individuell, klar erkennbar und einprägsam ist. Bei der Wahl der Kennzeichnung
muss auch der Sicherheit der Einsatzkräfte Rechnung getragen werden. Die Erfahrungen aus Sachsen-
Anhalt und Berlin sowie aus anderen Staaten, in denen eine individuelle Kennzeichnung seit Jahren
gute Praxis ist, lassen jedoch weder bei einer Kennzeichnung durch Namen noch durch Nummern auf
eine erhöhte Gefährdung für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte oder ihre Angehörigen schließen.
In diesem Sinne begrüßt Amnesty International den vorliegenden Antrag. Hinzuzufügen ist, dass eine
effektive Kennzeichnung in einer Größe und Anzahl angebracht werden muss, dass auch in
unübersichtlichen Situationen die Kennzeichnung aus verschiedenen Richtungen klar erkennbar ist.
Außerdem stellt Amnesty International fest, dass die Einführung einer Kennzeichnungspflicht nur ein
Aspekt zur Wahrung transparenter und menschenrechtlich verantwortlicher Polizeiarbeit ist. Deshalb
setzt sich Amnesty International auch für eine Audio- und Videoüberwachung in Gewahrsamsbereichen,
für verpflichtende und praxisnahe Menschenrechtsbildung in Aus- und Fortbildung der Polizei sowie für
die Einführung von unabhängigen Untersuchungsmechanismen ein.
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Landesverband Hessen
Bund Deutscher Kriminalbeamter
Mitglied im
Conseil Européen des
Syndicats de Police
Mitglied des Stifterrates
Deutsches Forum für
Kriminalprävention
B u n d D e u t s c h e r K r i m i n a l b e a m t e r Landesverband Hessen
Alt Langenhain 35 | D-65719 Hofheim/Ts.
Tel.: +49 (0) 6192.24 381 | Fax: +49 (0) 6192.13 70
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Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen für ein Zehntes Gesetz zur Änderung des Hessischen Ge-setzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) -
Drucks. 18/7522 hier: Schriftliche Stellungnahme vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK),
Landesverband (LV) Hessen
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Vorsitzender Klee,
der BDK LV Hessen bedankt sich für das entgegengebrachte Vertrauen und nimmt gern
zum Gesetzentwurf Stellung.
Der BDK LV Hessen sieht den Gesetzentwurf zur Legimitations- und Kennzeichnungs-
pflicht eher kritisch. Wir sehen eine freiwillige Möglichkeit als zielführend. Die bisherigen
Erfahrungen lassen das nach unserer Auffassung zu.
Es bleibt auch fraglich, ob diese Regelung per Gesetz verabschiedet werden muss. Eine
Regelung per Verordnung reicht unserer Meinung nach aus.
BDK Landesvorstand| Alt Langenhain 35| D-65719 Hofheim/Ts.
Hessischer Landtag Innenausschuss Postfach 3240 65022 Wiesbaden
Ihr/e Zeichen/Nachricht vom
Az. I A 2.2 vom 11.9.2013
Ihr/e Ansprechpartner/in
Günter Brandt
Funktion
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Bund Deutscher Kriminalbeamter
Landesverband Hessen
Seite | 2 B u n d D e u t s c h e r K r i m i n a l b e a m t e r Landesverband Hessen
Die derzeitige Praxis der Legimitations- und Kennzeichnungspflicht reicht unserer Auffas-
sung nach aus.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Brandt
Landesvorsitzender
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Bundesvorstand: Werner Koep-Kerstin, Vorsitzender Norman Bäuerle Tobias Baur Anja Heinrich Mara Kunz Prof. Dr. Martin Kutscha Helga Lenz Dr. Kirsten Wiese Prof. Dr. Rosemarie Will
Beiratsmitglieder: Prof. Edgar Baeger Prof. Dr. Thea Bauriedl Prof. Dr. Lorenz Böllinger Daniela Dahn Dr. Dieter Deiseroth Prof. Dr. Erhard Denninger Prof. Dr. Johannes Feest Ulrich Finckh Prof. Dr. Monika Frommel Prof. Dr. Hansjürgen Garstka
Dr. Klaus Hahnzog Dr. Heinrich Hannover Dr. Detlef Hensche Prof. Dr. Hartmut von Hentig Heide Hering Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch Friedrich Huth Prof. Dr. Herbert Jäger Elisabeth Kilali Dr. Thomas Krämer Ulrich Krüger-Limberger
Renate Künast, MdB Prof. Dr. Rüdiger Lautmann Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB Dr. Till Müller-Heidelberg Dr. Gerd Pflaumer Claudia Roth, MdB Jürgen Roth Prof. Dr. Fritz Sack Klaus Scheunemann Georg Schlaga Helga Schuchardt
Prof. Klaus Staeck Prof. Dr. Ilse Staff Werner Vitt Prof. Dr. Alexander Wittkowsky Rosi Wolf-Almanasreh Prof. Dr. Karl-Georg Zinn Geschäftsführung: Sven Lüders Stand: Juni 2013
BÜRGERRECHTSORGANISATION seit 1961, vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative HUMANISTISCHE UNION e.V. - Haus der Demokratie und Menschenrechte Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
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Sachverständige Stellungnahme der HUMANISTISCHEN UNION zum Zehnten Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit und
Ordnung (HSOG) Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Drucksache 18/ 7522 Die Humanistische Union empfiehlt die Verabschiedung des Gesetzentwurfs. Die Polizeikennzeichnung wird von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen seit Jahrzehnten gefordert, von der Humanistischen Union gab es hierzu bereits 1968 Vorschläge zur Gesetzgebung. In den letzten Jahren beobachten wir eine verstärkte Diskussion über entsprechende Regelungen in mehreren Bundesländern. In Berlin wurde die Polizeikennzeichnung im Januar 2011 eingeführt. In Brandenburg trat am 1. Januar 2013 ein entsprechendes Gesetz in Kraft. In beiden Bundesländern wurden gute Erfahrungen mit der Kennzeichnung gemacht. a) Welche Gründe sprechen für eine Kennzeichnungspflicht? Bürgernähe und Transparenz: Die Polizeikennzeichnung stärkt Transparenz und Bürgernähe bei der Polizei. Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Bürger und Polizei erleichtert i.d.R. auch die Arbeit der Polizeibediensteten und ist damit auch in deren Interesse. Effektiver Rechtsschutz: Zudem stellt eine Kennzeichnung sicher, dass polizeiliches Handeln individuell zurechenbar und kontrollierbar ist. Damit wird gewährleistet, dass Vorwürfe rechtswidrigen Handelns einzelner Polizeibeamter rechtsstaatlich überprüfbar sind. Die bundesweite Erfahrung hat gezeigt, dass die mangelhafte Identifizierbarkeit von Polizeibeamten den effektiven Rechtsschutz erheblich beeinträchtigen kann. Die Bürgerinnen und Bürger müssen aber darauf vertrauen können, dass Straftaten im Amt aufgeklärt werden und dass entsprechende Ermittlungen und Verfahren zumindest nicht daran scheitern, dass Täter nicht identifiziert werden können. Die Polizeikennzeichnung ist geeignet, diese Lücke zu schließen. Rechtsstaatliche Anforderungen: Die Kontrolle staatlichen Handelns gehört zu den Grundpfeilern des demokratischen Rechtsstaates. Wenn durch eine Kennzeichnung gewährleistet wird, dass polizeiliches Handeln auch in jedem Einzelfall individuell zurechenbar ist, stärkt dies das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Selbstverständlich ist die Polizei im gesetzlichen Rahmen zur Ausübung unmittelbaren Zwangs befugt. Die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols bezieht ihre Legitimation aber auch gerade daraus, dass sie demokratisch beschlossenen gesetzlichen
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Regeln und Grenzen unterliegt. Es muss daher auch im Interesse der Polizei selbst liegen, dass diese Grenzen eingehalten werden und dass Verstöße durch einzelne Vollzugsbeamte wirksam geahndet werden können. Prävention: Die Polizeikennzeichnung kann auf verschiedenen Ebenen auch präventive Wirkung entfalten. Sie kann als vertrauensbildende Maßnahme die Dialogbereitschaft erhöhen. Anonymität wirkt bedrohlich. Eine individuelle Kennzeichnung signalisiert dagegen Transparenz und Rechtsstaatlichkeit auch nach außen. Insbesondere kann auch die Möglichkeit der namentlichen Ansprache den durch die besondere Situation erschwerten Kontakt entkrampfen. Durch die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit seines Handelns nachzuprüfen, wird der einzelne Polizeivollzugsbedienstete stets dazu angehalten, in besonderem Maße auf die Professionalität seines Handelns zu achten. Nicht zuletzt kann und sollte aufgeklärtes Fehlverhalten dazu genutzt werden, Ursachen von unprofessionellem Verhalten zu ermitteln und zu beseitigen. Häufig beruht polizeiliches Fehlverhalten auf Überlastung oder Überforderung. Diese Vorteile rechtfertigen auch den mit der Kennzeichnung verbundenen Eingriff in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. b) Warum eine freiwillige Kennzeichnung nicht ausreicht Effektiver Rechtschutz und Kontrolle staatlichen Handelns dürfen in einem Rechtsstaat nicht auf Freiwilligkeit beruhen. Mechanismen zur Kontrolle staatlichen Handelns funktionieren naturgemäß nur dann, wenn sich die staatlichen Handlungsträger nicht aussuchen können, ob sie sich diesen unterwerfen. Nichts anderes kann bei der Polizei gelten. Eine Polizeikennzeichnung auf freiwilliger Basis erfüllt nicht die gewünschten Zwecke. Will man mit der Kennzeichnung sicherstellen, dass sich Polizeibedienstete an Recht und Gesetz halten, muss die Kennzeichnung auch für diejenigen Beamten gelten, die nicht an der Überprüfbarkeit ihres Handelns interessiert sind. c) Warum insbesondere geschlossene Einheiten in die Kennzeichnungspflicht einbezogen werden sollten Eine individuelle Kennzeichnung ist bei dem Einsatz von Polizisten in geschlossenen Einheiten von besonderer Bedeutung. Wenn dort faktisch bisher keine Kennzeichnung stattfindet, sollte dem durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfes abgeholfen werden. Denn bei geschlossenen Einheiten ist eine Identifikation der einzelnen Polizisten ohne eine Polizeikennzeichnung wegen der Bekleidung der Polizeibeamten (mit Schulterpolster, Helm etc.) unmöglich. Dabei kommt es gerade bei Einsätzen auf Massen- und Großveranstaltungen immer wieder zu Vorwürfen unverhältnismäßigen polizeilichen Handelns. Deshalb ist gerade hier eine nachträgliche Identifikationsmöglichkeit angezeigt. d) Zu Einwänden gegenüber der Kennzeichnungspflicht Die Humanistische Union verkennt nicht, dass Polizeibeamte im Dienst immer wieder von Gewalt bedroht sind. Für eine höhere Gefährdung durch eine individuelle Kennzeichnung sind aber keine empirischen Belege bekannt. Die Erfahrung aus anderen Staaten und Bundesländern, die eine
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Kennzeichnung eingeführt haben, spricht gegen die Annahme einer ansteigenden Gefährdung. In Berlin hat der Innensenator 2 Jahre nach der Einführung der Kennzeichnungspflicht deutlich gemacht, dass ihm weder vermehrte Bedrohungen von Polizeibeamten noch Angriffe auf deren Privatsphäre bekannt sind.1 Zudem sei darauf verwiesen, dass in Gerichtsverfahren auch hierzulande bereits jetzt die Namen der Polizeibeamten bekannt werden. Erinnert sei zudem daran, dass auch Richter und Staatsanwälte damit leben müssen und können, dass sie Straftätern namentlich bekannt sind. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist der Gefährdungseinwand, wenn er sogar gegenüber einer nichtnamentlichen Kennzeichnung vorgebracht wird. Der Kennzeichnungspflicht wird von Polizeigewerkschaften entgegengehalten, es handele sich dabei um ein „pauschales Misstrauensvotum“ gegenüber der Polizei. Dieser Einwand verkennt, dass die Kontrolle staatlichen Handelns zu den Grundpfeilern des demokratischen Rechtsstaates gehört. Dass Mitarbeiter der Polizei anders als Verwaltungsmitarbeiter nicht mit vollem Namen erkennbar und ansprechbar sind, stellt eine nicht nachvollziehbare Privilegierung der Polizisten gegenüber anderen Beamten dar. Denn die Eigenverantwortlichkeit der Amtsausübung, die durch die Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes konkretisiert wird, gilt in Deutschland für jede Beamtin und jeden Beamten (§ 36 BeamtStG, § 839 I BGB). Dabei ist bei Maßnahmen der Polizei die „Erkennbarkeit“ des polizeilichen Handlungsträgers in besonderem Maße geboten, denn jede polizeiliche Maßnahme und insbesondere Zwangsanwendung stellt einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar. Die Polizei unterscheidet sich von anderen Hoheitsträgern insbesondere durch ihre Zwangsbefugnisse. Jeder Verwaltungsakt kann ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit (zunächst) mit Zwang durchgesetzt werden, und die Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen oder Maßnahmen kann eine Straftat (z. B. § 113 StGB, § 23 VersG) oder Ordnungswidrigkeit darstellen (z. B. § 111 OWiG, § 113 OWiG, § 29 I Nr. 2 VersG). Diese weitreichenden Befugnisse erzeugen nicht selten ein Gefühl der Ohnmacht und bergen daher ein besonderes Konfliktpotential. Gerade Polizistinnen und Polizisten sollten sich daher bürgernah präsentieren und durch individuelle Ansprechbarkeit Vertrauen schaffen. e) Gesetz oder Verwaltungsvorschrift? Wenn eine Kennzeichnungspflicht politisch gewollt ist, empfiehlt die Humanistische Union, diese gesetzlich zu beschließen. Das Beispiel des Landes Berlin zeigt, dass die Einführung der Pflicht auf untergesetzlicher Ebene eine Vertagung auf unbestimmte Zeit bedeutete, obwohl die individuelle Kennzeichnung der Polizei von einer breiten Mehrheit der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, vom Berliner Senat und vom Polizeipräsidenten jahrelang befürwortet wurde. f) Ausnahmen des Gesetzentwurfs Ausnahmetatbestände dürfen die Möglichkeit der Individualisierung nicht vollständig aufheben.. Da sich die Ausnahmen des Gesetzentwurfs lediglich auf die namentliche Kennzeichnung beziehen, ist dies gewährleistet. Die Humanistische Union hat daher keine Bedenken gegen den Ausnahmetatbestand. Anja Heinrich für die Humanistische Union e.V.
1 Berliner Abgeordnetenhaus, Drs. 17/ 11 641.
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1
Komitee für Grundrechteund Demokratie e. V.
Aquinostr. 7-1150670 Köln
Telefon 0221 / 972 69 30Telefax 0221 / 972 69 31
Köln, 28. Oktober 2013
Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zehntes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) - Drucksache 18/7522 -
Vorbemerkungen
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie (kurz: Grundrechtekomitee) setzt sich seit 1980 für Menschen‐ und Bürgerrechte ein. Seit der Anti‐Atom‐Demonstration 1981 im norddeutschen Brokdorf nehmen regelmäßig Demonstrationsbeobachter*innen des Grund-rechtekomitees an regionalen und überregionalen Protestereignissen teil, um das Gesche-hen zu dokumentieren und auszuwerten. Unsere Erfahrungen mit Demonstrationsbeobach-tungen haben uns gelehrt, wie wichtig die öffentliche Kontrolle polizeilichen Verhaltens ist. Denn im Verlauf dieser zahlreichen Beobachtungen sind wir immer wieder mit Situati-onen konfrontiert gewesen, in denen die Nicht-Identifizierbarkeit der eingesetzten Polizei-bediensteten dazu führte, dass Übergriffe, Handgreiflichkeiten, Gewalttaten der Polizei gegenüber Demonstrierenden nicht verfolgt werden konnten. Unsere Stellungnahme speist sich daher aus jahrzehntelangen Erfahrungen in der Beobachtung des Demonstrationsge-schehens sowie der Erfahrung mit der Umsetzung der polizeilichen Kennzeichnungspflicht im Land Berlin.
Kennzeichnungs- und Legitimationspflicht für Polizeibedienstete
Bei anderen Verwaltungsträger*innen ist das Namensschild eine Selbstverständlichkeit. Nur die Polizei hat meist einen Sonderstatus. Als Vollstrecker des staatlichen Gewaltmo-nopols hat die Polizei jedoch die Befugnis zur Anwendung von Gewalt und Zwang. Des-halb ist es besonders angezeigt, dass ihr Handeln auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wer-den kann.
Eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibediensteten soll im Fall rechtswidrigen poli-zeilichen Handelns die Identifizierung der handelnden Polizeibediensteten ermöglichen und damit der Aufklärung dienen. Dadurch sollen Polizeibedienstete, die außerhalb ihrer Befugnisse handeln, insbesondere unbefugte oder unverhältnismäßige Gewalt gegen Bür-ger*innen ausüben, zur Verantwortung gezogen werden können. Denn Ermittlungsverfah-
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ren gegen Polizeibedienstete wegen Körperverletzung im Amt werden fast ausnahmslos eingestellt – unter anderem, weil die mutmaßlichen Täter*innen nicht identifizierbar sind. Die Hürden zur Klage gegen Polizeibedienstete bleiben erfahrungsgemäß auch bei einer Kennzeichnung groß. Eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfolgt fast regelmäßig.
In Deutschland gibt es bis heute keine generelle und für alle Bereiche der Polizeiarbeit verbindliche Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete. Aber seit Jahrzehnten wird die Diskussion über die generelle Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete geführt. Doch erst seit einigen Jahren kommt Bewegung in die Debatte. Zwei Bundesländer haben in den vergangenen Jahren die individuelle Kennzeichnung von Polizeibediensteten beschlossen (Berlin und Brandenburg), in anderen Bundesländern (Schleswig-Holstein, Thüringen etc.) wird sie diskutiert. In einigen Bundesländern wie Hessen, Thüringen und Hamburg ist das Tragen von Namensschildern bislang nur für ei-nen Teil der Polizeibediensteten vorgesehen. Bei der Bundespolizei gibt es keine individu-elle Kennzeichnungspflicht. Für alle Länderpolizeien außer Berlin und zukünftig Branden-burg sowie für die Bundespolizei gilt aber, dass es bei Einsätzen in geschlossenen Einhei-ten (z.B. in Hundertschaften) keine Kennzeichnungspflicht gibt. Hier ist sie aber besonders relevant, weil Polizeibedienstete in diesen Einsätzen häufig Masken oder Helme tragen und deswegen nicht individuell identifizierbar sind. Wenn Polizeibedienstete diese Anonymität ausnutzen, um unverhältnismäßige Gewalt anzuwenden, bleibt diese Tat in der Regel straf-los.
Erfahrungen aus Berlin nach anderthalb Jahren zeigen, dass die Einführung der individuel-len Kennzeichnungspflicht keine negativen Auswirkungen für die Polizeibediensteten hat. Weder hat sie zu einem Anstieg von unberechtigten Strafanzeigen gegen Dienstkräfte ge-führt, noch gibt es Erkenntnisse über Angriffe auf die Privatsphäre. Private Daten von Po-lizeibediensteten sind nicht in die Hände Dritter gelangt (vgl. Abgeordnetenhaus von Ber-lin, Drucksache 17/11641).
Der vorliegende Gesetzentwurf
Das Anliegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eine Kennzeichnungs- und Legi-timationspflicht für Polizeibedienstete gesetzlich fest zu schreiben ist grundsätzlich zu be-grüßen.
Die Legitimations- und die Kennzeichnungspflicht bedingen sich gegenseitig. In einer libe-ralen Demokratie sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich Polizeibedienstete gegenüber den Bürger*innen auszuweisen haben. Es ist sinnvoll – wie im Gesetzentwurf vorgeschlagen – die Legitimations- und Kennzeichnungspflicht gesetzlich zu regeln und im Landespolizeigesetz zu verankern. Dies bietet eine größere Rechtssicherheit und Trans-parenz. Während andere Bundesländer (z.B. Brandenburg, Bayern) diese Legitimations-pflicht gesetzlich verankert haben, gilt in Hessen bisher lediglich ein entsprechender Er-lass. In Berlin ist die Kennzeichnungspflicht lediglich in einer internen Geschäftsanwei-sung der Polizei verankert („Geschäftsanweisung ZSE Nr. 2/2009 über das Tragen von Namensschildern“ in der Fassung vom 20.09.2013).
Allerdings bleibt der vorliegende Gesetzentwurf in Teilen unkonkret und hinter den An-forderungen an eine nachvollziehbare und transparente Kennzeichnungspflicht zurück. In der Umsetzung werden die unklaren Regelungen mit großer Wahrscheinlichkeit zu Miss-verständnissen und Regelungslücken führen.
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Es erklärt sich nicht, warum sich Polizeibedienstete nur gegenüber von einer Maßnahme betroffenen Person auszuweisen haben; auf Verlangen sollten sie sich auch gegenüber an-deren, diese Situation beobachtenden Personen, ausweisen müssen.
Es sollte im Gesetz explizit klar gestellt werden, dass Polizeibedienstete in geschlossenen Einheiten in jedem Fall eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete zusätzliche große Kennzeichnung auf der Rückseite zu tragen haben.
Die im Gesetz definierten Ausnahmen von der Legitimations- und Kennzeichnungspflicht sind zu allgemein und unkonkret formuliert. Ausnahmen von der individuellen Kennzeich-nungspflicht sollten so eng und so unmissverständlich wie möglich bereits im Gesetz defi-niert werden und sich ausschließlich auf die im Einzelfall festgestellte konkrete Gefähr-dung von Polizeibediensteten beschränken. In Berlin wurde die individuelle Kennzeich-nungspflicht für die Spezialeinsatzkommandos (SEK) bereits 2008 eingeführt. Auch die damit gemachten Erfahrungen bestätigen, dass dadurch keine erhöhte Gefährdung der Po-lizeibediensteten eingetreten ist.
Zudem bedarf es im Gesetz einer Ermächtigungsgrundlage für das zuständige Hessische Ministerium des Innern und für Sport zum Erlass von Durchführungsbestimmungen zur Aus-führung der individuellen Kennzeichnungspflicht nach Anhörung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit durch Rechtsverordnung.
Weitergehende Anforderungen an die individuelle Kennzeichnungspflicht
Aus den bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung der polizeilichen Kennzeichnungs-pflicht sollte der vorliegende Gesetzentwurf an einigen Stellen konkretisiert werden, um die Umsetzung im Polizeialltag zu beschleunigen und zu einer transparenten und überprüf-baren Regelung für Bürger*innen und Polizei zu kommen.
Die individuelle Kennzeichnung (Namensschild/Schild mit der Dienstnummer) muss sowohl für den vom Einsatz Betroffenen als auch für Dritte gut erkennbar sein. Bei ge-schlossenen Einsätzen muss das Rückenschild eine Größe von mindestens 20x20 cm aufweisen. Kleine Namens- oder Nummernschilder sind äußerst schlecht zu erken-nen und lassen sich leicht abdecken.
Es müssen alle infrage kommenden Kleidungsstücke (Einsatzjacke, Oberkörper-schutz, Westen, Einsatzhemden, T-Shirts u.ä.) mit einer Befestigungsmöglichkeit für die individuelle Nummer versehen werden, damit keine Möglichkeiten zur Um-gehung der Kennzeichnungspflicht – etwa bei sommerlichen Temperaturen – ge-schaffen werden (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/10715).
Die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht im Alltag sollte zügig, transparent und nachvollziehbar stattfinden. In Berlin hat dieser Prozess viel zu lang gedauert.
Regelmäßig werden Polizeikräfte aus anderen Bundesländern bzw. der Bundespoli-zei in Hessen bei Versammlungen und anderen polizeilichen Großlagen eingesetzt. Wünschenswert wäre daher eine Regelung, die auch externe Polizeibedienstete beim Einsatz in Hessen zum Tragen einer individuellen Kennzeichnung verpflich-tet. Dies könnte übergangsweise dadurch geschehen, dass Hessen vorzugweise aus denjenigen Bundesländern Unterstützungskräfte anfordert, die bereits eine indivi-duelle Kennzeichnungspflicht haben.
Seit Jahren beobachtet das Grundrechtekomitee eine stetige Zunahme der Anzahl von Polizeikräften in bürgerlicher Kleidung (Zivilkräfte) bei Versammlungen in of-
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fenen oder geschlossenen Räumen oder bei anderen polizeilichen Großlagen. Sol-che Art Vermummung sollte in Versammlungen gar nicht stattfinden. Wenn Polizei-bedienstete aber in zivil auftreten, sollten sie sich auch bei der Ausübung ihrer Pflichten gegenüber der betroffenen Person und auf Verlangen auch gegenüber an-deren, diese Situation beobachtenden Personen, ausweisen. Sobald sich Polizeibe-dienstete in zivil bei Versammlungen oder Großlagen durch das Überziehen von Wes-ten als Dienstkräfte des Polizeivollzugsdienst zu erkennen geben, muss auf diesen Westen jeweils eine Dienstnummer in der Größe von mindestens 20x20 cm angebracht sein.
Fazit
Die Kennzeichnung der Angehörigen öffentlich agierender Staatsgewalt stellt eine Mini-malbedingung in einer auf Öffentlichkeit, Verantwortlichkeit und Kontrolle angelegten liberalen Demokratie dar. Die Kennzeichnungspflicht kann daher nur ein erster aber sehr wichtiger Schritt in Richtung Transparenz sein und die öffentliche Kontrolle des Einsatzes der Polizei etwas erleichtern. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass auch die Politik eine Ver-antwortung für die Art der Einsätze der Polizei hat. Werden Konflikte zwischen Politik und Bürger*innen nicht demokratisch-grundrechtlich bearbeitet, sondern der Polizei die Bear-beitung solcher Konflikte aufgebürdet, so besteht die Gefahr, dass sie vermehrt grund-rechtswidrig gegen Bürger*innen eingesetzt wird, wie etwa bei den Protesten gegen „Stuttgart 21“, den Castortransporten ins Wendland oder gegen die Krisenpolitik der Euro-päischen Union in Frankfurt/Main.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer Legitimations- und Kennzeichnungs-pflicht für Polizeibedienstete ist im Grundsatz zu begrüßen, sollte aber an benannten Stel-len nachgebessert werden, um die Umsetzung im Polizeialltag zu beschleunigen und zu einer transparenten und überprüfbaren Regelung für Bürger*innen und Polizei zu kommen.
gez. Christian Schröder
(Mitglied im Vorstand des Grundrechtekomitees)
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Prof. Dr. Hartmut Aden
Fachbereich 5
Polizei und
Sicherheitsmanagement
Professur für Öffentliches Recht
und Europarecht
Alt-Friedrichsfelde 60
D-10315 Berlin
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Nur per E-Mail an: [email protected] und
Datum: 28. Oktober 2013
Schriftliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für ein Zehntes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) – Drs. 18/7522 – Ihr Schreiben vom 11.9. d.J.
Sehr geehrter Herr Klee,
sehr geehrte Frau Dr. Lindemann,
ich beziehe mich auf Ihre Anfrage sowie auf den o.g. Gesetzentwurf und
nehme dazu wie folgt Stellung:
1. Die namentliche Kennzeichnung von Bediensteten ist heute in vielen
Unternehmen und Behörden selbstverständlicher Bestandteil einer
serviceorientierten Arbeits- und Dienstleistungskultur. Es gibt keine
Gründe, Polizeibehörden hiervon auszunehmen. Auf einigen Arbeitsfeldern
ist die individuelle namentliche Ansprechbarkeit von Polizeibediensteten
bereits heute selbstverständlich, so bei den meisten Tätigkeiten, die vor-
wiegend in Büros mit Türbeschilderung ausgeübt werden (weite Teile der
Kriminalpolizei).
2. Zahlreiche Fallschilderungen und Untersuchungen haben gezeigt, dass
die individuelle namentliche Kennzeichnung von Polizeibediensteten auch
hilfreich sein kann, wenn Vorwürfe im Raum stehen, dass Polizei-
bedienstete sich bei Einsätzen im Einzelfall unangemessen oder sogar
rechtswidrig verhalten haben. Eine effektive Aufklärung dieser Fall-
konstellationen scheiterte in der Vergangenheit häufig daran, dass eine
Fehlhandlung zwar objektiv feststand, die Verantwortung aber keiner Per-
Prof. Dr. Aden, HWR Berlin • Alt-Friedrichsfelde 60 • 10315 Berlin
An den Vorsitzenden des Innenausschusses des Hessischen Landtags Herrn Horst Klee/ Frau Dr. Ute Lindemann (Ausschusssekretariat) Schlossplatz 1-3 65183 Wiesbaden
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son zugeordnet werden konnte. Die deutsche Sektion von Amnesty Inter-
national hat im Jahr 2010 eine Reihe von einschlägigen Beispielen in einer
Veröffentlichung zusammengefasst (Amnesty international 2010: Täter
unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen
durch die Polizei in Deutschland, Bonn/Berlin). Zahlreiche Medienberichte
und Gerichtsverfahren zeigen, dass solche Fälle trotz der heute hohen
Professionalität der Polizeiarbeit in Deutschland keine Seltenheit sind.
3. Der in dem vorliegenden Entwurf gewählte Ansatz einer gesetzlichen
Regelung ist empfehlenswert. Die verpflichtende individuelle Kennzeich-
nung greift in die informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Poli-
zeibediensteten ein. Selbst wenn die Eingriffsintensität im Hinblick auf die
sehr beschränkten Informationen (Name oder Kennzeichen) gering ist,
erscheint eine gesetzliche Regelung angemessen. Zudem kann der
Landtag so die politische Verantwortung für dieses wichtige Anliegen
übernehmen.
4. Die in dem Entwurf für einen § 9a Abs. 3 vorgeschlagenen Ausnahme-
regelungen könnten wesentlich enger und präziser gefasst werden. Bereits
die Grundregelung in Absatz 2 trägt den schutzwürdigen Belangen der
Bediensteten dadurch Rechnung, dass sie auch eine Kennzeichnung statt
eines Namensschildes zulässt. Ich halte es im Hinblick auf den hohen
professionellen Ausbildungsstand der Polizei für angemessen, den Be-
diensteten insofern ein individuelles Wahlrecht einzuräumen, basierend
auf der jeweiligen Gefährdungseinschätzung.
Einen praktischen Bedarf für Ausnahmen gibt es nur für sehr eng umris-
sene Bereiche, insbesondere für verdeckte Ermittler und nicht offen ermit-
telnde Polizeibedienstete. Hierauf sollte die Ausnahmeregelung begrenzt
werden.
Fazit: Ich empfehle dem neu gewählten Hessischen Landtag, den Entwurf wieder aufzugreifen und mit den genannten Präzisierungen zu verabschieden.
Gez. Prof. Dr. Hartmut Aden
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Initiative „Für eine transparente/bürgerfreundliche Polizei“
www.transparente-polizei.de
c/o Rechtsanwalt Marco Noli
Ridlerstr.11, 80339 München
Telefon: 0049/89/50059130
Telefax: 0049/89/500591311
Email: [email protected] An den
Innenausschuss
des Hessischen Landtags
München, 28.10.2013
Schriftliche Stellungnahme
Anhörung im Innenausschuss des Hessischen Landtags
zu dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
für ein Zehntes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit
und Ordnung (HSOG)
-Drucks. 18/7522-
Vorbemerkung
Die Sicherheit und nicht nur die vage Hoffnung, dass polizeiliches Verhalten
individuell zuordenbar ist, sollte in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein.
In Fällen tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlverhaltens von Polizeibeamtinnen/-
en muss die handelnde Person feststellbar sein, wie dies bei anderen Beamten
selbstverständlich ist. Sonst ist der im Grundgesetz verankerte Anspruch des
betroffenen Bürgers auf effektiven Rechtsschutz verletzt.
Es gibt immer wieder Probleme, weil Polizeibeamte in geschlossenen Einheiten
oftmals wegen ihres uniformierten Auftretens und mangels Einzel-Kennzeichnung
nicht identifiziert werden können und daher im Einzelfall weder als Beschuldigte noch
als Zeugen zur Verfügung stehen. Der Menschenrechtskommissar des Europarats und
das UN-Antifolter-Komitee haben Deutschland für diesen Zustand, der gegen
völkerrechtliche Pflichten verstößt, wiederholt gerügt.
Zum Persönlichkeitsschutz der Beamten kann eine Kennzeichnung statt mit Namen
durch Zahlen oder Codes erfolgen, wie dies in den meisten europäischen Ländern
und mittlerweile auch in Berlin praktiziert wird. Damit wird nur den beteiligten
Ermittlungsbehörden und Verfahrensbeteiligten die Person des Beamten bekannt.
Die Codes sollten einprägsam und gut sichtbar angebracht sein. Sie könnten bei
jedem Einsatz verändert werden, solange im Nachhinein eine Zuordnung
gewährleistet ist.
Das Schönreden der Polizeigewerkschaften, es gebe keine Probleme mit der
Identifizierbarkeit, hilft weder dem betroffenen Bürger, noch dem Ansehen der
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Polizei. Es müsste eigentlich im Interesse einer bürgernahen und transparenten Polizei
liegen, Einzelfälle effektiv aufzuklären und dadurch einem Generalverdacht
vorzubeugen. Dadurch würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei gestärkt.
Welche Gründe sprechen für und welche gegen eine Kennzeichnungspflicht und
individuelle Identifizierbarkeit?
Die individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ist aus
rechtlichen Gründen und den Erfahrungen der anwaltlichen Praxis zwingend
erforderlich. Dies ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, dem Gebot effektiven
Rechtsschutzes, dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit der Beamten
und den internationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der UN-Antifolterkonvention
(CAT) ergeben.
Beispielsfälle aus der anwaltlichen Praxis zeigen, dass eine effektive Strafverfolgung
ohne individuelle Kennzeichnung - insbesondere bei geschlossenen Einheiten - in
vielen Fällen nicht möglich ist. Rechtsanwaltsverbände wie der Deutsche
Anwaltsverein (DAV) und die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und
Strafverteidiger e.V. halten daher die Einführung einer individuellen
Kennzeichnungspflicht für notwendig. Ebenso die Neue Richtervereinigung. Ein
Vertreter der Staatsanwaltschaft München I hat sich bei einer Anhörung im
Bayerischen Landtag ebenfalls für die Einführung einer Kennzeichnungspflicht
ausgesprochen.
Rechtsstaatlich erforderlich
Die individuelle Zuordnung und Kontrolle staatlichen Handelns gehört zu den
Mindestanforderungen des demokratischen Rechtsstaats, in dem staatliches
Handeln für den Bürger nach außen hin individualisierbar und kontrollierbar sein muss.
Die Amtshandlungen von Polizeibeamten müssen aufgrund des in Art. 20 Abs.3
Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsprinzips individuell einer Person zuordenbar
sein und diese muss für den Bürger identifizierbar sein. Die Individualisierbarkeit und
Identifizierbarkeit muss nach außen für den Bürger effektiv möglich sein. Dies leitet
sich auch aus der in Art. 19 Abs.4 Grundgesetz verankerten Rechtsschutzgarantie ab,
nach der ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein muss.
Gerade die besonders eingriffsintensive Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols
durch die Polizei, mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs, erfordert zu ihrer
Legitimation eine nach außen hin auch erkennbare individuelle Zurechnung des
polizeilichen Handelns. Die Polizei ist mit besonderen Eingriffs- und Zwangsbefugnissen
ausgestattet. Jeder Verwaltungsakt kann mit Zwang durchgesetzt werden und die
Nichtbefolgung kann eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat darstellen. Allein deshalb
besteht im Gegenzug die Verpflichtung zur Rechenschaft und Kontrollierbarkeit.
Anonymes staatliches Handeln ist nicht legitimiert.
Dieses rechtsstaatliche Erfordernis der Individualisierbarkeit und Identifizierbarkeit
kann, zumindest bei uniformierten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, nur durch
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eine Pflicht zur deutlich lesbaren individuellen Kennzeichnung gewährleistet werden.
Während man bei Zivilbeamten (bspw. Kriminalbeamten) darüber diskutieren kann,
ob hier die gesetzlich normierte Ausweispflicht und die Tatsache dass sich an den
Büros Namensschilder befinden -ebenso wie für andere Verwaltungsbeamte- für eine
effektive Individualisierung und Identifizierung genügen und daher eine Ausnahme
von der Kennzeichnungspflicht zu machen ist, kann bei uniformierten
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten das rechtsstaatliche Erfordernis der
Individualisierbarkeit und Kontrollierbarkeit nur durch eine individuelle und sichtbare
Kennzeichnung erreicht werden. Dies gilt insbesondere für die sog. geschlossenen
Einheiten, wie z.B. die Bereitschaftspolizei (BePo). Die dort eingesetzten Beamtinnen
und Beamten tragen einheitliche Einsatzanzüge und oftmals Helme und treten in der
Regel in Gruppen auf. Eine Individualisierung ist in diesen Fällen wegen fehlender
individueller Kennzeichnung nicht möglich. Dies gilt umso mehr, wenn für diese
Einheiten keine Ausweispflicht verlangt wird, die auch in der Realität kaum
durchführbar wäre und dem Einsatzzweck zuwider laufen würde.
Eine nachträgliche Ausweispflicht würde auch ins Leere greifen, da die Zuordnung
von Handlungen zu einem bestimmten Beamten meist gar nicht mehr möglich ist, da
es an individuellen Merkmalen fehlt. Mangels individueller Merkmale kann man eine
Handlung einer bestimmten Person gar nicht zuordnen, da die eingesetzten
Beamten alle dasselbe äußere Erscheinungsbild haben und sich zum Verwechseln
ähnlich sehen. Eine Personenbeschreibung ist daher nicht möglich. Somit kann man
unabhängig von Fragen der Namhaftmachung bereits gar nicht mehr feststellen,
welche Person eine bestimmte Handlung durchgeführt hat, selbst wenn
Videoaufnahmen des Geschehens vorhanden sind. Polizeiliches Handeln ist in diesen
Fällen nicht einmal einer konkreten Person zuordenbar, also nicht individualisierbar.
Nicht über jede Einsatzhandlung wird ein Protokoll angefertigt. Dies würde dem
Einsatzzweck auch zuwiderlaufen. Da oftmals bei Großveranstaltungen Einsatzkräfte
verschiedener Einheiten bzw. Hundertschaften eingesetzt werden, ist teilweise eine
Zuordnung selbst zu einer bestimmten Einheit sehr schwierig, da die taktischen
Symbole bzgl. der Einheiten meist schwer erkennbar bzw. für Nicht-Informierte nicht
verständlich sind.
Das Rechtsstaatsprinzip erfordert daher die Individualisierbarkeit staatlichen Handelns
im Sinne einer Zuordenbarkeit zu einer bestimmten Person und die Identifizierbarkeit,
also der Namhaftmachung, der handelnden Person. Zudem muss die
Individualisierung und Identifizierung nach außen hin dem Bürger effektiv möglich
sein. Dieses Erfordernis kann (zumindest bei den uniformierten Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten) grundsätzlich nur durch eine individuelle Kennzeichnungspflicht der
Polizeibeamten erreicht werden.
Völkerrechtliche und menschenrechtliche Verpflichtung
Nach der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen (CAT) vom 10.12.1984 (BGBl.
1990 II S.246) - ein völkerrechtlicher Vertrag, dem auch die Bundesrepublik
Deutschland beigetreten ist - sind die Vertragsstaaten verpflichtet, sicherzustellen,
dass alle Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizeibeamte unverzüglich und
gründlich von unabhängiger Stelle untersucht werden (Art. 12, 16 CAT). Jeder, der
behauptet, Opfer polizeilicher Gewalt oder Misshandlung geworden zu sein, hat das
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Recht auf Anrufung der Behörden und auf umgehende unparteiische Prüfung seines
Falles durch die Behörden (Art. 13, 16 CAT).
Vom UN-Antifolterkomitee (vgl. Abschlußbericht der 47. Sitzung vom 25.11.2011) wird
unter Berufung auf den völkerrechtlichen Vertrag der UN-Antifolterkonvention (CAT)
daher u.a. die Identifizierbarkeit von Polizisten gefordert. Da das Fehlen
unabhängiger Ermittlungen und fehlende individuelle Kennzeichnung in der
Bundesrepublik Deutschland kein Einzelfall ist und Deutschland damit gegen
völkerrechtliche Verpflichtungen aus der Antifolterkonvention der Vereinten
Nationen (CAT) verstößt, hatte das Antifolter-Komitee der Vereinten Nationen in
seinem letzten Deutschland-Bericht vom 25.11.2011 (unter Ziffer 19) diese Praxis
ausdrücklich gerügt
„Der Ausschuss bringt daher erneut seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass auf
Bundesebene wie auch in einigen Bundesländern keine unabhängigen und
wirksamen Ermittlungen bei Misshandlungsvorwürfen stattfinden.“
Zuvor wurde diese Praxis bereits durch den Menschenrechtskommissar des
Europarats Thomas Hammarberg moniert. In dem Bericht vom 11.07.2007 über
seinen Deutschlandbesuch im Oktober 2006
„...ruft der Kommissar die deutschen Behörden auf, zu diesem Zweck unabhängige
Beobachtungs- und Beschwerdegremien einzurichten. Die Unabhängigkeit dieser
Beobachtungsgremien kann nur wirksam gewährleistet werden, wenn sie außerhalb
der Polizei- und Ressortstrukturen angesiedelt werden.“
Da sich jedoch in der Folgezeit in Deutschland diesbezüglich nichts getan hat,
wiederholte der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg
seine Forderungen nach seinem Deutschlandbesuch im Oktober 2010 erneut in
seinem Brief vom 15.11.2010 an Bundesinnenminister Dr. De Maiziere:
Hinsichtlich des Verhaltens von Polizeibeamten ruft der Kommissar darin die
deutschen Bundes- und Landesbehörden zu einer Verbesserung der bereits
bestehenden Apparate auf, indem ein unabhängiges Organ für Beschwerden
gegen die Polizei eingerichtet wird. Hammarberg erwartet von der deutschen
Bundesregierung auch, ihm mehr Informationen über die verabschiedeten
Maßnahmen zur Erkennung der Identität einzelner Polizeibeamte zu geben,
vor allem, wenn ihre Ausstattung und Uniform eine Identifikation unmöglich
machen.
„In einer Demokratie ist es von äußerster Wichtigkeit, dass die Bevölkerung der Polizei
vertraut. Die Basis dafür kann jedoch nur geschaffen werden, wenn die Polizeikräfte
Transparenz auf ganzer Linie zeigen und für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen
werden können“,
fügte der Kommissar hinzu. Er fordert ausdrücklich eine individuelle Kennzeichnung
zumindest durch Nummern an der Uniform.
Ein Verzicht auf individuelle Kennzeichnung würde einen Verstoß gegen Art. 3 und
Art.13 EMRK (Verstoß gegen die Ermittlungspflicht) darstellen. Art. 3 EMRK schützt
eines der wichtigsten Rechtsgüter der demokratischen Gesellschaft. Das Verbot der
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ist absolut.
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Art. 3 EMRK begründet die Verpflichtung, Misshandlungen der in der Vorschrift
umschriebenen Art zu unterlassen. Das verpflichtet den Staat, der nach der
Konvention verantwortlich ist, nicht nur zu negativem Unterlassen, sondern auch zu
positivem Tun. Dazu gehört auch die Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung.
Ermittlungen müssen gründlich, wirksam und unvoreingenommen durchgeführt
werden. Die Ermittlungen müssen geeignet sein, die Verantwortlichen zu identifizieren
und zu bestrafen. Der Staat ist verpflichtet die entsprechenden Voraussetzungen
hierfür zu schaffen. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
in mehreren Entscheidungen unterstrichen. Die Pflicht zur individuellen
Kennzeichnung ergibt sich daher aus Art.3 und Art.13 EMRK. Sie läßt sich auch aus
der Europäischen Antifolterkonvention des Europarats vom 26.11.1987 (vgl. Ziffer VII.
der CPT-Standards des Europäischen Antifolter-Komitees aus dem Jahre 2010)
ableiten. Außerdem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
immer wieder unterstrichen, dass solche Ermittlungs-verfahren nur dann effektiv sind,
wenn sie zur Identifizierung des Täters führen.
Grundsatz eigenverantwortlicher Amtsausübung
Zudem ist in Deutschland in § 36 Beamtenstatusgesetz das Prinzip der vollen
persönlichen Verantwortlichkeit der handelnden Beamten normiert. Dies bedeutet,
dass der handelnde Beamte persönlich straf- und zivilrechtlich für schuldhaftes
Fehlverhalten haftet. Dieser Grundsatz der eigenverantwortlichen Amtsausübung
setzt voraus, dass das polizeiliche Handeln individuell einer bestimmten Person
zurechenbar ist.
Bei schuldhafter Dienstpflichtverletzung haften die Beamtinnen bzw. Beamten nicht
nur straf- und disziplinarrechtlich, sondern auch zivilrechtlich (§ 839 BGB). Im Falle von
erheblichen Schadensersatzforderungen einer Bürgerin bzw. eines Bürgers wegen
einer Dienstpflichtverletzung würde eine fehlende Individualisierbarkeit dazu führen,
dass nur die Staatskasse in Regress genommen wird, statt des handelnden Beamten,
weil dieser konkret nicht ermittelbar ist. Dies kann zu erheblichen finanziellen
Nachteilen für die Staatskasse führen.
Effektive Strafverfolgung
Die individuelle Identifizierbarkeit ist zu einer effektiven Strafverfolgung bei
Fehlverhalten von Polizeibeamten zwingend erforderlich.
Auch die anwaltliche Praxis zeigt, dass es Fälle gibt, in denen eine wirksame
Strafverfolgung polizeilicher Übergriffe an der fehlenden Identifizierbarkeit -
insbesondere Angehöriger geschlossener Einheiten - scheitert.
Beispielhaft kann (aus Bayern) der auch in der Öffentlichkeit bekannte Vorfall vom
09.12.2007 im Anschluss an ein Fußballspiel (Amateure-Derby) im Grünwalder Stadion
in München herangezogen werden. Nach zahlreichen Zeugenaussagen hatten dort
einzelne Beamte ohne Rechtfertigung mittels Schlagstöcken auf unbeteiligte
Besucher, teilweise sogar auf den Kopf, eingeschlagen. Zahlreiche Personen wurden
durch Schlagstöcke und eingesetztes Pfefferspray verletzt. Ein Besucher erlitt durch
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einen Schlagstock eine Platzwunde am Kopf und musste ärztlich behandelt werden.
Einige betroffene erstatteten Strafanzeige. Auch die Staatsanwaltschaft ging davon
aus, dass es zu Tätlichkeiten seitens der eingesetzten Polizeibeamten gekommen war.
Die Staatsanwaltschaft München I stellte das Ermittlungsverfahren mit der
Begründung ein, dass eine Individualisierung der eingesetzten Beamten mangels
individueller Kennzeichnung nicht möglich war.
Dieser in der Öffentlichkeit diskutierte Fall ist ein eindrucksvolles Beispiel aber
keineswegs ein Einzelfall, wie die anwaltliche Praxis zeigt. Es werden auch immer
wieder Fälle öffentlich bekannt, in denen mangelnde Identifizierbarkeit dazu führt,
dass ein individuell Verantwortlicher nicht ermittelt werden kann (z.B. der Fall des
Gitarristen Gymmick 2010 in Nürnberg).
Dabei ist auch zu bedenken, dass in vielen Fällen das Verfahren mangels
Anfangsverdacht erst gar nicht eröffnet oder „gegen Unbekannt“ geführt wird, weil
einzelne Tatverdächtige nicht individualisierbar sind. Zudem wird in vielen Fällen eine
Strafanzeige oder Dienstaufsichtsbeschwerde erst gar nicht erstattet, weil der
Betroffene/ die Betroffene den Eindruck hat, dass eine Beschwerde ohnehin
zwecklos ist, weil einzelne handelnde Beamte nicht individualisierbar sind. Die
fehlende Individualisierung führt also dazu, dass manche Vorfälle erst gar nicht
angezeigt werden.
Die Praxis zeigt, dass Sachverhalte auch trotz vorhandener Videoaufnahmen
nachträglich kaum mehr aufgeklärt werden können. Mangels individueller
Kennzeichnung ist es Polizeibeamten, die bspw. bei Gericht als Zeugen vernommen
werden, teilweise gar nicht möglich auf dem Video sich selbst oder Kollegen zu
identifizieren um Aussagen über z.B. den jeweiligen Standort zu treffen. Auch in
diesen Fällen würde eine individuelle Kennzeichnung, die auch zur Entlastung der
Polizeibeamten führen kann, die Effektivität der Strafverfolgung erhöhen.
Der Mangel individueller Kennzeichnung kann daher durch nachträgliche
Ermittlungen nicht geheilt werden. Die Praxis zeigt auch, dass keine Gewähr besteht,
dass die internen polizeilichen Ermittlungen zu einer effektiven
Sachverhaltsaufklärung führen. Es kommt vor, dass Ermittlungen schleppend
durchgeführt werden. Ermittlungen werden nicht von unabhängigen Stellen, sondern
Abteilungen des Polizeipräsidiums durchgeführt, dem die betroffene Einheit angehört.
Aufgrund von „Korpsgeist“ kommt es selten vor, dass sich Kollegen gegenseitig
belasten. Es gibt Fälle, in denen polizeiliches Videomaterial auf ungeklärte Art und
Weise verschwunden ist.
Steigendes Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei
Außerdem ist zu erwarten, dass mit einer individuellen Kennzeichnung uniformierter
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamter das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei
insgesamt steigt.
Namhaftmachung oder zumindest Identifizierbarkeit wirkt deeskalierend, im
Gegensatz dazu wirkt Anonymität bedrohlich. Durch individuelle Kennzeichnung
kann die Dialogbereitschaft gefördert werden. Ein „blindes Vertrauen“ in die Polizei
ist in der Bevölkerung nicht vorhanden. Dies hat auch damit zu tun, dass es in
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Einzelfällen immer wieder auch zu Fehlverhalten von Polizeibeamten kommt.
Transparenz und Bürgernähe stärkt das Vertrauen und erleichtert dadurch die Arbeit
der Polizei. Martialisch anmutende Bereitschaftspolizisten in Kampfanzug und Helm
ohne jegliche Individualisierungsmerkmale werden von vielen Bürgern als anonyme
Akteure mit staatlichen Gewaltbefugnissen wahrgenommen, deren im Einzelfall
immer wieder vorkommendes Fehlverhalten im rechtsfreien Raum mit staatlicher Hilfe
geschützt wird und ungesühnt bleibt. Dieses Gefühl der Ohnmacht bringt nicht selten
ein Konfliktpotential mit sich. Diesem Bild kann mit einer individuellen Kennzeichnung
entgegengewirkt werden. Es wird ein Zeichen nach außen gesetzt, dass auch
Polizeibeamte der geschlossenen Einheiten bei Großeinsätzen eigenverantwortlich
handeln.
Bezogen auf den Einsatz geschlossener Einheiten bei Fußballspielen bestätigt auch
die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) diesen Eindruck. Die BAG ist
ein fachlicher Zusammenschluss der Fanprojekte in Deutschland, die präventive und
sozialpädagogische Arbeit mit jugendlichen und heranwachsenden Fußballfans
leisten. Immer wieder werden auch nach dem Bericht der BAG Vorwürfe wegen
rechtswidriger Gewaltanwendung von Polizeibeamten, gerade auch im Umfeld von
Fußballspielen, laut. Die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten im Einsatz könnte
auch nach Ansicht der BAG das Verhältnis von Polizei und Fans erheblich
entspannen.
Präventivwirkung
Schließlich hat die individuelle Kennzeichnungspflicht auch eine präventive Wirkung
und reduziert dadurch das Fehlverhalten bei der Polizei.
Durch die Möglichkeit der individuellen Kontrolle wird der einzelne Beamte mehr
bedacht sein, auf die Rechtsmäßigkeit und Professionalität seines Handelns zu
achten, als im Schutze der Anonymität. Aufgrund des Prinzips der
Eigenverantwortlichkeit ist der einzelne Beamte bemüht, rechtmäßig zu handeln. Dies
setzt voraus, dass dem einzelnen Beamten die Amtshandlung konkret zugerechnet
werden kann. Dies macht dem einzelnen Beamten deutlich, dass er nicht blosser
Funktionsträger z.B. einer geschlossenen Einheit ist, sondern zu jedem Zeitpunkt
persönliche Verantwortung für seine Diensthandlungen trägt.
Bei Fehlverhalten können so die Verantwortlichen schneller ermittelt und zur
Rechenschaft gezogen werden.
Länderübergreifende Polizeieinsätze/ Auslandseinsätze
In Deutschland gibt es regelmäßig länderübergreifende Unterstützungseinsätze der
Polizei, insbesondere durch geschlossene Einheiten. Für die Einsätze und damit auch
für die Frage der Kennzeichnungspflicht gelten die Vorschriften der Polizeigesetze
des jeweiligen Einsatzlandes. In einigen Bundesländern ist die Kennzeichnungspflicht
bereits eingeführt bzw. wird dies demnächst (z.B. Baden-Württemberg). Das
bedeutet, dass hessische geschlossene Einheiten bei Unterstützungseinsätzen in den
jeweiligen Ländern ebenfalls individuell gekennzeichnet sein müssen.
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Dies gilt auch für Auslandseinsätze. Deutsche Bereitschaftspolizisten waren z.B. 2008
bei der Fußball-Europameisterschaft in Österreich eingesetzt, für die EM 2012 in
Polen/Ukraine war dies ebenfalls zumindest geplant. In Polen sind die Polizisten
verpflichtet, der Identifizierung dienende Merkmale an ihrer Uniform zu tragen. Dazu
zählen ein Etikett mit der Aufschrift „Polizei“, ein Namensetikett und das
Dienstrangabzeichen. In mehreren anderen europäischen Staaten tragen
Polizeibeamte ebenfalls bereits jetzt verpflichtend eine individuelle Kennzeichnung.
Ungeachtet der unsicheren rechtlichen Voraussetzung polizeilicher Auslandseinsätze
würde ein Verzicht auf individuelle Kennzeichnung auch hier zu erheblichen
praktischen und rechtlichen Problemen führen.
Verwaltungsmitarbeiter sind in der Regel mit vollem Namen bekannt
In der Diskussion um eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte ist auch zu
berücksichtigen, dass andere Verwaltungsmitarbeiter die auch mit dem Bürger in
Kontakt treten und unter Umständen auch Eingriffe in die Rechte des Bürgers
vornehmen und z.B. belastende Bescheide erlassen, in der Regel mit vollem Namen
bekannt sind (z.B. durch Türschilder oder die Unterzeichnung von Schreiben). Es stellt
sich daher die Frage, ob und welcher Unterschied besteht zu den im
Polizeivollzugsdienst tätigen Beamtinnen und Beamten.
Ein Unterschied ist insofern zu sehen, als die Maßnahmen uniformierter Polizeibeamter
in der Regel eingriffsintensiver sind und unmittelbar erfolgen. Rechtsmittel sind in der
Regel erst nach der Maßnahme möglich, z.B. nach einem Platzverweis oder eine
Ingewahrsamnahme. Die in der Öffentlichkeit handelnden Polizeibeamten haben
kein Türschild und führen ihre Amtshandlung vor Ort aus. Und ein Polizist der
Bereitschaftspolizei, der im Einsatzgeschehen z.B. zu Unrecht Pfefferspray sprüht oder
mit dem Schlagstock zuschlägt, wird in der Regel nicht über diesen Vorgang ein
Protokoll mit namentlicher Unterschrift anfertigen, wie die Praxis beweist.
Daher gilt für uniformierte Beamte, insbesondere für geschlossene Einheiten noch
mehr als für andere Verwaltungsmitarbeiter die Notwendigkeit individueller
Kennzeichnung. Diese kann nur durch deutlich sichtbare und merkbare individuelle
Kennzeichnung an der Einsatzkleidung durch Namensschilder oder andere
individuelle Kennzeichen erreicht werden.
Privatwirtschaftlich tätige Wachleute
Nach § 11 IV Bewachungsverordnung haben private Wachleute seit 2003 ein
deutlich sichtbares Schild mit dem Namen oder einer anderen individuellen
Kennzeichnung sowie den Namen des Sicherheitsunternehmens zu tragen. Dies zeigt,
dass der Bundesgesetzgeber selbst bei privaten Wachleuten eine individuelle
Kennzeichnung für notwendig erachtet. Private Wachleute haben keine hoheitlichen
Befugnisse, sondern lediglich die Rechte, die jeder Bürger hat, nämlich Notwehr und
das „Jedermann“-Festnahmerecht nach § 127 StPO. Diese Vorschrift berechtigt
jeden Bürger eine Person die einer Straftat verdächtig ist, vorläufig festzunehmen,
wenn deren Identität nicht sofort festgestellt werden kann.
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Die Polizeibeamten haben sehr viel weitreichendere Befugnisse als private
Wachleute. Daher muss die Pflicht zur individuellen Kennzeichnung für diese erst
Recht gelten. Die Bewachungsverordnung fordert bei der individuellen
Kennzeichnung nicht nur den Namen bzw. eine sonstige individuelle Kennzeichnung,
sondern auch die Angabe des zugehörigen Sicherheitsunternehmens. Dies ist
erforderlich, da nur so die Zuordnung zum einsetzenden Unternehmen möglich ist.
Keine nachvollziehbaren Gründe für gänzlichen Verzicht auf individuelle
Kennzeichnungspflicht uniformierter Polizeibeamtinnen/-beamten
Abgesehen von der Frage ob die Kennzeichnung namentlich oder nicht-namentlich
erfolgen soll, sind nachvollziehbare Gründe gegen eine grundsätzliche individuelle
Kennzeichnungspflicht uniformierter Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten,
insbesondere bei geschlossenen Einheiten, nicht ersichtlich.
Der einzige denkbare Grund wäre, dass anonymes polizeiliches Handeln ermöglicht
und vereinzelt vorkommendes Fehlverhalten gedeckt werden soll. Vorgebrachte
Argumente, die gegen eine grundsätzliche individuelle Kennzeichnungspflicht
sprechen sollen (z.B. Verletzung des Persönlichkeitsrechts), betreffen lediglich die
Frage, ob die Kennzeichnung namentlich oder nicht-namentlich erfolgen sollte.
Auf diese Frage wird daher nachfolgend eingegangen.
Namentliche oder Nicht-Namentliche Kennzeichnung
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht -je nach Einsatzbereich- eine Kennzeichnung
durch „ein deutlich sichtbares Namensschild“ oder eine „zur nachträglichen
Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung“ vor. Bei letzterem soll es sich nach
der Begründung des Gesetzesentwurfs um eine einprägsame Zeichenfolge handeln.
Grundsätzlich ist zu bemerken, dass eine namentliche Kennzeichnung besser ist, da
diese deeskalierender sein dürfte und ein Name besser zu merken ist. Im
Gesetzentwurf ist keine Regelung enthalten, ob das Namensschild den vollen Namen
oder nur bspw. den Nachnamen enthalten soll. Empfehlenswert wäre, auf dem
Namensschild den Nachnamen und den mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzten
Vornamen zu verzeichnen. Jedenfalls sollte die namentliche Kennzeichnung so
ausgestaltet sein, dass ein Namenszug zumindest innerhalb eines Einsatzgeschehens
nicht doppelt auftritt. Dies kann bei häufig auftretenden Nachnamen durch
Hinzustellen des Vornamens oder der Abkürzung des Vornamens erreicht werden.
Als nicht-namentliche Kennzeichnung kommen Buchstaben- und/oder Zahlen-
Kombinationen oder Aliasnamen in Betracht, wobei den Buchstaben-Zahlen-
Kombinationen der Vorzug zu geben wäre, was sich bei KFZ-Kennzeichen bewährt
hat. Reine Buchstaben- oder reine Zahlenkombinationen sind u.U. schwerer zu
merken, als die gemischte Kombination. Aliasnamen unterliegen Bedenken, weil die
Fälle der Verwendung von Falschpersonalien gesetzlich auf wenige Ausnahmen
beschränkt sind. Zu denken wäre auch an einprägsame Begriffe wie Sie etwa für
Streifenbesatzungen verwendet werden („Isar 3 bitte kommen“). Bei sämtlichen
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Pseudonymen müssten jedenfalls geeignete Maßnahmen der Dokumentations- und
Datensicherheit ergriffen werden damit eine Zuordnung effektiv und fehlerfrei
möglich ist.
Gegen eine namentliche Kennzeichnung wird angeführt, diese würde in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
(Art.2 Grundgesetz) unverhältnismäßig eingreifen. Namensschilder stellen zwar einen
Eingriff dar. Allerdings überwiegt das öffentliche Interesse an einer
Individualisierbarkeit und Identifizierbarkeit des handelnden Polizeibeamten. Der
Eingriff ist daher nicht per se unverhältnismäßig, sondern nur, wenn durch konkrete
Tatsachen belegte Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung vorliegen. Im
Übrigen müssen auch Richter und Staatsanwälte damit leben, dass sie namentlich
bekannt sind.
Es wird (von den Gegnern der Kennzeichnungspflicht, also den
Polizeigewerkschaften) argumentiert, das offene Tragen eines Namensschildes
würde dazu führen, dass der Name einem unkontrollierbaren dritten Personenkreis
bekannt wird und nicht nur dem Betroffenen einer Amtshandlung. Dagegen spricht,
dass die individuelle Kennzeichnung ein rechtsstaatliches Erfordernis ist und daher
das öffentliche Interesse an der Individualisierbarkeit und Identifizierbarkeit (durch
Namhaftmachung) überwiegt. Gerade bei öffentlichen und eingriffsintensiven
Einsätzen geschlossener Einheiten bei öffentlichen Großveranstaltungen und
Versammlungen besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der
Gewährleistung der Identifizierbarkeit. Die Tatsache dass der Name eines
Polizeibeamten auch weiteren Personen, als unmittelbar vom Einsatzgeschehen
betroffenen, bekannt wird, würde nur dann einen unverhältnismäßigen Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht des Polizeibeamten darstellen, wenn dies zu einer erhöhten
Gefährdung der Polizeibeamten führen würde. Allein die Tatsache, dass Dritte von
dem Namen Kenntnis nehmen ist kein unverhältnismäßiger Eingriff, ebenso wenig wie
die Tatsache, dass Dritte auch bspw. das Gesicht eines Streifenpolizisten oder das
Türschild eines Verwaltungsbeamten auf dem Behördenflur zur Kenntnis nehmen
können.
Es wird angeführt, die namentliche Kennzeichnung führe zu einer höheren
Gefährdung für Polizeibeamte und deren Familien. Es bestünde die Gefahr, dass
Polizeibeamte in ihrem privaten Leben aufgespürt oder belästigt werden könnten.
Auch hierfür gibt es keine Belege, weder national noch international. Dieser Einwand
kann sich auf nicht-namentlicher Kennzeichnung schon deshalb nicht beziehen, weil
eine codierte Kennzeichnung alleine noch keine direkten Rückschlüsse auf
persönliche Daten zulässt.
Auch bei Kenntnis des Namens der handelnden Polizeibeamten wird dem Schutz vor
„privater Racheaktionen“ oder dergleichen durch gesetzliche Vorschriften Sorge
getragen. So gibt es für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte die Möglichkeit
Auskunftssperren für Einwohnermeldedaten (Art. 31 MeldeG) und
Übermittlungssperren für KFZ-Kennzeichen (§ 41 StVG) einrichten zu lassen. Das
allgemeine Risiko, im Privatleben aufgespürt oder belästigt zu werden ist auch von
anderen Amtsträgern wie bspw. Verwaltungsangestellten, Staatsanwälten oder
Richtern zu tragen. Dieser Privatbereich wird durch zivilrechtliche Abwehrrechte,
strafrechtlichen Schutz (z.B Nachstellen § 238 StGB) und die genannten
Sperrvorschriften geschützt.
Dafür, dass bei Polizeibeamte/innen geschlossener Einheiten oder sogar deren
Familienangehörigen besondere Gefahren von Repressalien bestehen oder
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Übergriffe stattgefunden haben, gibt es keine Anhaltspunkte. Dies obwohl z.B. bei
Strafanzeigen durch die Polizei im Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen
Verfahren den Betroffenen die Personalien der Beamten - auch von geschlossenen
Einheiten - ohnehin bekannt werden. In diesen Fällen polizeilicher Anzeigen müsste
die Gefährdung von „Racheakten“ noch höher sein. Es mag sein, dass diese
Befürchtung erhöhter Gefahr im Bereich der organisierten Bandenkriminalität besteht.
Es kann wohl keine Aussage getroffen werden, ob eine individuelle Kennzeichnung
die Zahl der berechtigten Klagen erhöht, weil zwar einerseits die Effektivität der
Strafverfolgung erhöht wird aber andererseits auch das Fehlverhalten aufgrund der
Präventivwirkung geringer werden dürfte. Eine etwaige Zunahme von Beschwerden,
Anzeigen oder Klagen gegen Polizeibeamte führt auch nicht zu negativen Folgen für
die Einsatzbereitschaft, da die Tatsache eines Ermittlungsverfahrens wohl nicht zu
einer Suspendierung führen dürfte.
Von verschiedenen Innenpolitikern und Polzeigewerkschaftern wird immer wieder
berichtet, die Gewalt gegen Polizeibeamte im Dienst sei angestiegen. Dies ist für die
Frage der individuellen Kennzeichnungspflicht jedoch irrelevant. Die Bezug
genommenen Taten richteten sich gegen die jeweiligen Polizeibeamten
unabhängig von deren Namhaftmachung. Unter Umständen kann eine
Namhaftmachung eher deeskalierend wirken und daher die Übergriffe auf
Polizeibeamte verringern.
Grundsätzlich ist daher eine namentliche Kennzeichnung zu fordern. Zum Schutz der
Persönlichkeitsrechte ist in Ausnahmefällen eine nicht-namentliche Kennzeichnung
vorzunehmen. Ein unverhältnismäßiger Eingriff liegt aber nicht schon im Tragen des
Namensschildes, sondern ist nur bei konkreten Anhaltspunkten für die Gefahr von
Rechtsverletzungen gegeben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sowohl
allgemeine straf- und zivilrechtliche Abwehrrechte, sowie besondere
Schutzvorschriften für Polizeibeamte gibt.
Die in dem Gesetzesentwurf vorgenommene Differenzierung nach Einsatzbereichen
(regulärer Einsatz, konfliktträchtiger Einsatz, geschlossene Einheiten) erscheint insofern
ein sehr praktikabler Weg, um die genannten Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zu
berücksichtigen.
Es spricht daher nichts dagegen, bei Einsatz in konfliktträchtigen Bereichen und bei
den geschlossenen Einheiten codierte Identifizierungsmerkmale zu verwenden,
solange diese einprägsam und gut sichtbar sind. Diese könnten sogar bei jedem
Einsatz verändert werden (sog. rollierendes System), solange im Nachhinein eine
Zuordnung gewährleistet ist.
Ausnahmen
Kennzeichnungspflicht
In zivil agierende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte könnten von der individuellen
Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden. Insbesondere bei Kriminal-
beamtinnen/-en sind die Einsatzsituationen deutlich anders als bspw. bei
geschlossenen Einheiten. Daher dürfte bei den zivilen Kriminalbeamten die gesetzlich
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normierte Ausweispflicht und die Tatsache, dass sich an den Büros Namensschilder
befinden, für eine effektive Individualisierung und Identifizierung genügen und daher
eine Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht zu machen sein. Für nach den engen
gesetzlichen Voraussetzungen (§ 110 a StPO) verdeckt ermittelnde Polizeibeamte
ergibt sich dies von selbst, da in diesen -und nur in diesen Fällen- der Einsatzzweck
gefährdet wäre.
Für uniformierte Kräfte sollten Ausnahmen von der grundsätzlichen
Kennzeichnungspflicht nicht gemacht werden, am wenigsten für Beamte der
geschlossenen Einheiten, da bei diesen die größte Notwendigkeit für eine individuelle
Kennzeichnung gesehen wird. Bei nicht-namentlicher Kennzeichnung gibt es keinen
Grund für Ausnahmen, da ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte nicht besteht.
Legitimationspflicht
Bei den verdeckten Ermittlern ist schon aus der Natur der Sache auf eine
Legitimationspflicht zu verzichten. Weshalb auch bei Zivilbeamten „in kritischen
Umfeldern“ auf die Legitimationspflicht verzichtet werden soll, ist nicht
nachvollziehbar, zumal der Begriff viel zu unbestimmt ist. Ansonsten würden die
gesetzlichen Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler umgangen.
Im geschlossenen Einsatz ist wohl naheliegend, dass der Zweck der Massnahme
durch eine persönliche Ausweispflicht gefährdet werden kann. Deshalb könnte in
diesen Fällen eine Ausweispflicht nur für den Einsatzleiter gelten, um die Belange des
Einsatzes, d.h. den Zweck der Massnahme sicherzustellen. Immer vorausgesetzt, dass
es eine individuelle Kennzeichnung der einzelnen Beamtinnen und Beamten gibt, die
umso notwendiger wird, wenn auf eine Ausweispflicht verzichtet wird.
Für weitere Ausnahmen von der Legitimations- und Kennzeichnungspflicht, als die
beschriebenen, besteht kein sachlicher Grund. Der Gesetzesentwurf ist insofern
unklar, als nach der Begründung zu § 9a Abs.3 HSOG auch bei „Gefahr im
Verzug“ von der Legitimations- und Kennzeichnungspflicht abgesehen werden kann.
Dieser Begriff ist zu unbestimmt. Soll dies bedeuten, dass der uniformierte Polizist sein
Namensschild abnehmen darf, wenn er dem Dieb hinterherläuft? Oder die
Bereitschaftspolizei bei einer Hausdurchsuchung, die nachts und daher mangels
Richter wegen Gefahr im Verzug angeordnet wurde? Auch wenn sich dies nur auf
Zivilbeamte beziehen soll (was klargestellt werden müsste), ist der Begriff zu
unbestimmt und nicht nachvollziehbar, mit welcher Begründung eine solche
Ausnahme gemacht werden sollte. Daher sind weitere Ausnahmefälle abzulehnen
Marco Noli
Rechtsanwalt
Initiative „Für eine transparente/bürgerfreundliche Polizei“
www.transparente-polizei.de
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