AUSSTELLUNG ZUM 100. GEBURTSTAG VON FRITZ ......Bill Baker (Fritz Leonhardt Preisträger 2009) und...

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>>>>> VERANSTALTUNGEN Stuttgarter uni kurier Nr. 104 2/2009 74 Zum 100. Geburtstag des Bauingenieurs und früheren Rektor der Uni Stuttgart, Fritz Leonhardt, erinnerte eine Retrospektive im LBBW-Forum am Stuttgarter Hauptbahnhof an den Vater des Fernsehturms und weltbekannten Brückenbauer. Die Modelle für die Ausstellung entstanden in der Modellbauwerkstatt der Fakultät Architektur und Stadtplanung. Das Bild rechts zeigt die Neckartal-Brücke bei Weitingen. (Fotos: saai, Hechinger, Grohe) AUSSTELLUNG ZUM 100. GEBURTSTAG VON FRITZ LEONHARDT >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Visionär und Brückenbauer Er galt als Brückenbauer und Vater des Stuttgarter Fern- sehturms: Prof. Fritz Leonhardt, ehemaliger Ordinarius für Massivbau und Rektor der Universität Stuttgart, war einer der bekanntesten Konstrukteure der Nachkriegszeit. Am 11. Juli 2009 wäre der berühmte Bauingenieur 100 Jahre alt geworden. Das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) ehrte ihn aus diesem Anlass mit einer umfassenden Retrospektive im LBBW-Forum am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Vorbereitungen wie auch das Rahmenprogramm der sehr gut besuchten Schau mit dem Titel „Die Kunst des Konstruierens“ wurden durch die Uni in vielfacher Weise unterstützt. „Schlank, aber nicht zu schlank, um noch Vertrauen zu wecken“ – so wollte Fritz Leonhardt den 1956 als erstes Bauwerk dieser Art errichteten Stuttgarter Fernsehturm, und löste mit seiner kühnen Betonnadel zunächst einmal heftige Debatten aus. Nicht weniger Aufsehen erregte das längst zum Wahrzeichen gewordene und zigfach kopierte „Schandmal“ von einst im Zentrum der Präsentation, die das Lebenswerk Fritz Leonhardts auf acht chronologisch angeordneten „Brückentischen“ aufblätterte. Die innovative Ausstellungsarchitektur hatte durchaus Symbolkraft, denn der Brückenbau, die Königsdisziplin der Ingenieure, nahm eine zentrale Rolle im Schaffen Fritz Leonhardts ein. 34 Neuerungen gehen allein in diesem Bereich auf ihn zurück, darunter Schrägkabelbrücken, deren überlegene Technik er als einer der ersten erkannte und aerodynamisch stabile Hängebrücken mit windschnittigen flachen Quer- schnitten. „Ohne die genialen Ideen Fritz Leonhardts wäre der moderne Brückenbau in Deutschland kaum denkbar“, betonten die Projektleiter Dr. Joachim Kleinmanns und Christiane Weber vom saai bei der Eröffnung. Inspiriert von frühen Aufenthalten in den USA hatte es sich der geborene Stuttgarter und Alumnus der Uni dabei zum Leitsatz gemacht, technische Innovationen mit hohen gestalterischen Maßstäben zu verbinden. „Die Ästhetik muss stimmen“, betonte er immer wieder. Sichtbar wird dieser Anspruch an Bauwerken, an denen man im Alltag all- zu oft gedankenlos vorüber fährt und die doch vielfach Superlative in sich bergen: Der Reichsautobahnbrücke bei Köln-Rodenkirchen, 1941 nach einem Entwurf von Paul Bonatz fertig gestellt als erste Hängebrücke Europas, weni- ge Kilometer weiter an der Köln-Deutzer Rheinbrücke, der 1948 noch vor den Kulissen der Trümmerstadt als Ausdruck des Aufbruchs und der Hoffnung eingeweihten ersten Stahl- kastenträgerbrücke der Welt, oder an der Kochertalbrücke zwischen Heilbronn und Nürnberg, der mit 185 Metern über Grund höch- sten Talbrücke in Deutsch- land. Spektakuläre Impulse gingen von Fritz Leonhardt und dem durch ihn gegrün- deten Ingenieurbüro Leon- hardt, Andrä & Partner auch auf dem Gebiet der Trag- werksplanung aus. Hier arbeitete er mit den kreativ- sten Architekten und Inge- nieuren seiner Zeit zusam- men, darunter Frei Otto, Rolf Gutbrod sowie den Architekten Behnisch & Partner. Entstanden sind dabei so repräsentative Bauten wie der Pavillon der Bundesrepublik Deutschland auf der Weltausstellung in Montreal oder das berühmte Zeltdach des Olympiastadions in München. Fritz Leonhardt (1909-1999)

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  • > > > > >V E R A N S T A L T U N G E N Stuttgarter unikurier Nr. 104 2/2009

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    Zum 100. Geburtstag des Bauingenieurs und früheren Rektor der Uni Stuttgart, Fritz Leonhardt, erinnerte eine Retrospektive im LBBW-Forum amStuttgarter Hauptbahnhof an den Vater des Fernsehturms und weltbekannten Brückenbauer. Die Modelle für die Ausstellung entstanden in derModellbauwerkstatt der Fakultät Architektur und Stadtplanung. Das Bild rechts zeigt die Neckartal-Brücke bei Weitingen.

    (Fotos: saai, Hechinger, Grohe)

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    Visionär und BrückenbauerEr galt als Brückenbauer und Vater des Stuttgarter Fern-sehturms: Prof. Fritz Leonhardt, ehemaliger Ordinarius fürMassivbau und Rektor der Universität Stuttgart, war einerder bekanntesten Konstrukteure der Nachkriegszeit. Am11. Juli 2009 wäre der berühmte Bauingenieur 100 Jahre altgeworden. Das Südwestdeutsche Archiv für Architekturund Ingenieurbau (saai) ehrte ihn aus diesem Anlass miteiner umfassenden Retrospektive im LBBW-Forum amStuttgarter Hauptbahnhof. Die Vorbereitungen wie auchdas Rahmenprogramm der sehr gut besuchten Schau mitdem Titel „Die Kunst des Konstruierens“ wurden durch dieUni in vielfacher Weise unterstützt.

    „Schlank, aber nicht zu schlank, um noch Vertrauen zuwecken“ – so wollte Fritz Leonhardt den 1956 als erstesBauwerk dieser Art errichteten Stuttgarter Fernsehturm,und löste mit seiner kühnen Betonnadel zunächst einmalheftige Debatten aus. Nicht weniger Aufsehen erregte daslängst zum Wahrzeichen gewordene und zigfach kopierte„Schandmal“ von einst im Zentrum der Präsentation, diedas Lebenswerk Fritz Leonhardts auf acht chronologischangeordneten „Brückentischen“ aufblätterte. Die innovativeAusstellungsarchitektur hatte durchaus Symbolkraft, dennder Brückenbau, die Königsdisziplin der Ingenieure, nahmeine zentrale Rolle im Schaffen Fritz Leonhardts ein. 34 Neuerungen gehen allein in diesem Bereich auf ihnzurück, darunter Schrägkabelbrücken, deren überlegeneTechnik er als einer der ersten erkannte und aerodynamischstabile Hängebrücken mit windschnittigen flachen Quer-schnitten. „Ohne die genialen Ideen Fritz Leonhardts wäreder moderne Brückenbau in Deutschland kaum denkbar“,betonten die Projektleiter Dr. Joachim Kleinmanns und Christiane Weber vom saai bei der Eröffnung.

    Inspiriert von frühen Aufenthalten in den USA hatte essich der geborene Stuttgarter und Alumnus der Uni dabei

    zum Leitsatz gemacht, technische Innovationen mit hohengestalterischen Maßstäben zu verbinden. „Die Ästhetikmuss stimmen“, betonte er immer wieder. Sichtbar wirddieser Anspruch an Bauwerken, an denen man im Alltag all-zu oft gedankenlos vorüber fährt und die doch vielfachSuperlative in sich bergen: Der Reichsautobahnbrücke beiKöln-Rodenkirchen, 1941 nach einem Entwurf von PaulBonatz fertig gestellt als erste Hängebrücke Europas, weni-ge Kilometer weiter an der Köln-Deutzer Rheinbrücke, der1948 noch vor den Kulissen der Trümmerstadt als Ausdruckdes Aufbruchs und der Hoffnung eingeweihten ersten Stahl-kastenträgerbrücke der Welt, oder an der Kochertalbrücke

    zwischen Heilbronn undNürnberg, der mit 185Metern über Grund höch-sten Talbrücke in Deutsch-land.

    Spektakuläre Impulsegingen von Fritz Leonhardtund dem durch ihn gegrün-deten Ingenieurbüro Leon-hardt, Andrä & Partner auchauf dem Gebiet der Trag-werksplanung aus. Hierarbeitete er mit den kreativ-sten Architekten und Inge-nieuren seiner Zeit zusam-men, darunter Frei Otto,Rolf Gutbrod sowie denArchitekten Behnisch &Partner. Entstanden sinddabei so repräsentative

    Bauten wie der Pavillon der Bundesrepublik Deutschlandauf der Weltausstellung in Montreal oder das berühmteZeltdach des Olympiastadions in München.

    Fritz Leonhardt (1909-1999)

  • Das dritte Jahrtausend bauenDie Ausstellungseröffnung war gleichzeitig der Auftaktzu hochkarätigen weiteren Veranstaltungen. So initiier-ten das saai und das Institut für Architekturgeschichte(IFAG) der Uni Stuttgart eine Vortragsreihe, die ausge-wählte Aspekte des Werks Fritz Leonhardts beleuchte.Ein wissenschaftliches Highlight war das internationa-le Symposium „Building the third Millenium“, dasProf. Werner Sobek, der in der Tradition von Leonhardtund Jörg Schlaich dem heutigen Institut für Leichtbau,Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Uni vorsteht,leitete. Zu den Referenten zählten unter anderem JörgSchlaich, der Schweizer Brückenbauer Christian Menn,der für seine Wolkenkratzer berühmte BauingenieurBill Baker (Fritz Leonhardt Preisträger 2009) und derArchitekt Volkwin Marg. Im Mittelpunkt des Sympo-siums standen die neuesten Entwicklungen in derArchitektur und im Bauingenieurwesen. Um den Bezug zu Fritz Leonhardt herzustellen, wurde jederSession ein Vortrag mit historischen Inhalten vor-angestellt.

    Die Themen spannten den Bogen von aktuellenTendenzen im Bauwesen über Beton- und Brücken-bau sowie Leichtbau bis hin zur Thematik des nach-haltigen Bauens mit Rednern aus der universitären For-schung, der Baupraxis sowie der Architektur- und Technik-geschichte. Von besonderer Bedeutung war die hochkarätigbesetzte Opening-Session, die in einer Standortbestimmungarchitekturtheoretische und interdisziplinäre Themen be-handelte. Ein weiterer Höhepunkt war die von Prof. JörgSchlaich moderierte „Brücken-Session“ mit dem Titel„widespans“ (weit gespannt). amg

    Nach Anschlussausstellungen der Komplettschau in Köln und Berlinwerden die Brücken ab 2010 im Deutschen Museum in München zusehen sein. Weitere Informationen unter www.fritz-leonhardt.de.

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    Kritisches Plädoyer für rebellierende StudentenEin Talar in der Ausstellung weist auf das Wirken Leonhardtsan der Universität Stuttgart, an der er von 1927 bis 1931 stu-dierte, 1938 promovierte und 20 Jahre später den Lehrstuhlfür Massivbau übernahm. In den turbulenten Jahren von1967 bis 1969 lenkte er als Rektor die Geschicke der Uni undforderte in seiner mit „Anregungen zur Bildungspolitik“ über-schriebenen Rede Entlastung „in Form spürbaren Freiraums,ohne den eine forschende und lehrende Universität nichtleben, nicht atmen kann“. „Das ist heute aktueller denn je“,so Uni-Rektor Prof. Wolfram Ressel. In einer Diaserie, die das„Geschmier an Uni und Kunstakademie“ zeigt, setzt Leon-hardt sich kritisch mit den Studentenunruhen auseinanderund ergreift doch Partei für die rebellierenden jungen Men-schen: Eine Publikation aus der Zeit trägt den Titel „Studen-tenunruhen – Ein Plädoyer für die Jugend.“

    Exponate wie diese machten hinter dem Ingenieur undWissenschaftler Leonhardt den Menschen sichtbar. Dass auchdessen Bauprinzipien erfahrbar wurden, dafür sorgten Studie-rende der Architektur, die in der Modellbauwerkstatt derFakultät Architektur und Stadtplanung unter der Leitung vonMartin Hechinger die 21 Modelle für die Ausstellung angefer-tigt hatten, darunter die Fernsehtürme von Stuttgart undFrankfurt, die Hubbrücke von Porto Allegre sowie ein Modellder Alster-Schwimmhalle in Hamburg. Beratend unterstütztwurden sie dabei durch den Bauingenieur Henning Dürr vonder Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften.Hans-Joachim Heyer und Boris Miklautsch aus der Werkstattfür Fotografie der Fakultät für Architektur und Städtebauhaben die Architekturmodelle für Publikationen fotografiert.Und unter der Leitung von Prof. Erwin Herzberger vom Institutfür Darstellen und Gestalten entstanden filmische Visualisie-rungen zu den Fundamenten von Fernsehtürmen und zumTaktschiebeverfahren für Brücken.

    U N G E W Ö H N L I C H E G E S T A L T U N G S Ü B U N G F Ü R S T U D I E R E N D E D E R A R C H I T E K T U R > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    KörpererweiterungenRäumliches Denken gelingt vom eigenen Körper aus besserals mit dem Zollstock. Deshalb werden Architekturstudenten,die Zwischenräume denken können, besser entwerfen. Die-ser Überlegung folgte eine plastische Gestaltungsübung fürStudienanfänger der Architektur, die im Rahmen eines Netz-werks mit mehreren Universitäten und Hochschulen durch-geführt wurde. Die durchaus skurrilen Ergebnisse des Experiments warenim Juni in der Ausstellung „Körpererweiterungen“ im Foyerdes Kollegiengebäudes K I zu sehen: Kissenplastiken, die dasThema Beziehungen in Szene setzen, Behältnisse aus Latex,in die man sich hineinhocken kann, Knie zum Anziehen oderüberdimensionale Gipsnasen, die einen Blick in ihr Innen-gerüst erlauben. Über die Auseinandersetzung mit demeigenen Körper als scheinbar bekannter Größe konnten sichdie Studienanfänger neue Sichtweisen auf Formzusammen-hänge und Formgesetze erschließen und sich dabei Grund-wissen über plastische Materialien und Techniken aneignen.Das Foto zeigt die Stuttgarter Initiatorin des Projekts, Prof.Sybil Kohl vom Institut für Darstellen und Gestalten (Mitte)mit Ausstellungsbesuchern bei der Vernissage. /amg

    (Foto: Heyer/Miklautsch)

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    A U S S T E L L U N G I M I N S T I T U T F Ü R A U S L A N D S B E Z I E H U N G E N > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Die Welt wird Stadt„Die Welt wird Stadt“ lautete der Titel einer Ausstellung, diesich mit der weltweiten Verstädterung und den Bau- undWohnformen in den außereuropäischen Regionen und Kul-turen beschäftigt. Sie war vom Juli bis September in derGalerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stutt-gart zu sehen und wanderte dann weiter in das ifa-InstitutBerlin, wo sie noch bis 6. Dezember zu sehen ist. Der Kura-tor ist Prof. Eckhard Ribbeck vom Städtebau-Institut der UniStuttgart, das auch wesentliche Teile der gezeigten Materia-len und Bilder im Rahmen verschiedener Forschungsprojek-te zusammengetragen hat.

    Die Ausstellung stellt das Phänomen der globalen Ver-städterung in drei Themenfeldern dar: Satellitenbilder las-sen in einem „Blick von oben“ aktuelle städtebauliche Struk-turen und räumliche Entwicklungen erkennen. ZahlreicheStädtebeispiele zeigen die enorme Vielfalt von Bau- undWohnformen, die es derzeit auf der Welt gibt. Ergänzt wirddies durch eine Internet-Präsentation, die wichtige Daten

    und Fakten zu den Megastäd-ten enthält.

    Die Städte-Präsentationbildet den Hauptteil der Aus-stellung. Rund 1.000 Bilderdokumentieren alte undneue, reiche und arme Wohn-typologien in Dubai, Oman,Aleppo, Palästina, Hongkong,Peking, Mumbai, Singapur,Brasilia, Mexiko-Stadt, Rio deJaneiro und anderen Städtenim Nahen und MittlerenOsten, in Asien und Lateina-merika. Darunter sind armeund hoch verdichtete Mega-städte, reiche „Global Cities“mit extrem exklusiven Bau-und Wohnformen, sowie„Informal Cities“, die durchdie ungeplante Landnahme der Bewohner und im Zugeeines routinierten Selbsthilfe-Städtebaus wachsen. Zusehen sind unter anderem traditionelle Hofhaus-Viertel(Hutongs) und neuer Investoren-Städtebau in China, abge-schottete Luxus-Quartiere (Gated Communities) in den Golf-staaten, islamisch-orientalische Altstädte, Favelas in Rio deJaneiro und luxuriöse Wohntürme in Sao Paolo. Insgesamtlenkt die Ausstellung den Blick auf die fragmentiertenLebenswelten einer zunehmend urbanisierten Welt und aufdie soziale Realität des dynamischen städtischen Wachs-tums in vielen außereuropäischen Ländern. Der rund 100Seiten starke Ausstellungskatalog mit dem Titel „Die Weltwird Stadt“ ist zu beziehen über die ifa-Galerie Stuttgart,Charlottenplatz 17, 70173 Stuttgart. uk

    Die Landflucht in armen Ländern führt zu Wohnformen, die von informel-len Bauten Marke Eigenbau …

    … bis zu modernen Wohn- undBürotürmen reichen. (Fotos: Ribbeck)

  • Normalerweise wird sie vonStudierenden, Wissenschaft-lern und Praktikern genutztsowie von den Doktorandender Graduiertenschule füradvanced ManufacturingEngineering (GSaME), diehier praxisnah wie sonst nir-gendwo erlernen, wie Unter-nehmen auf Markt-Turbulen-zen bei laufender Produktionschnell reagieren können.

    Von sprechenden Computernund „rechnenden“ Diamanten„Wann kann ich die Uhrtesten?“ Die sechsjährigeBianca kann es kaum erwar-ten. Im Jahr der Astronomiekann sie in der Sternwarte aufdem Campus eine Sonnenuhrbasteln und einen Blick aufdie Sonne werfen. Wie undworan die Entdecker voneinst forschten, interessiertdie Wissenschafts- und Tech-nikhistoriker vom Histori-schen Institut, Abteilung fürGeschichte der Naturwissen-schaften und Technik, die inMuseen und Archiven glei-chermaßen gefragt sind wieetwa in Firmen.

    Computer können strenggenommen nur Nullen undEinsen unterscheiden. Wieman ihnen das Reden bei-bringt, erforschen die Com-puterlinguistin Fabienne Frit-zinger und ihre Kollegen vomInstitut für MaschinelleSprachverarbeitung. Ein paarLabore weiter experimentie-ren der Physiker Dr. FedorJelezko und seine Kollegenvom 3. Physikalischen Institutmit den reinsten Diamantender Welt. Die Wissenschaftlerhaben freilich keine Schmuck-stücke im Sinn, sonderneinen besonders schnellenComputer, den so genanntenQuantencomputer. Außerdemsoll die Technologie einmaleine zu fast 100 Prozent siche-re Datenübertragung ermögli-chen. Julia Alber

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    F A S Z I N I E R E N D E E X P E R I M E N T E B E I M T A G D E R W I S S E N S C H A F T > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    „Zukunft entdecken“Viele große und noch weit mehr kleine Zukunftsforscherhatten sich am 27. Juni auf dem Vaihinger Campus zumTag der Wissenschaft eingefunden. Unter dem Motto„Zukunft entdecken“ präsentierten dort über 100 Uni-Insti-tute und benachbarte Forschungseinrichtungen Wissen-schaft zum Mitmachen und gaben einen Einblick in ihreArbeit.

    „Ich will einmal Astronaut werden“, sagt der siebenjährigeMaximilian begeistert. Mit Papa hat er gerade Prof. ErnstMesserschmids Vortrag über die Internationale RaumstationISS gelauscht, nun schaut er, was die Wissenschaftler amInstitut für Raumfahrtsysteme noch zu bieten haben. ImRahmen des „Stuttgarter Kleinsatellitenprogramms“ wirdhier beispielsweise an der ersten universitären Raumsondegebaut, dem Mondorbiter Lunar Mission BW 1, der in weni-gen Jahren mit neuesten Experimenten Oberfläche undUmgebung unseres Erdnachbarn erforschen soll. Ebenfallsunbemannt, aber nicht gar so hoch, fliegt der StuttgarterAdler. Das Elektroflugzeug hat zu Versuchszwecken derzeitmit verschiedensten Kameras Felder im Blick. Die Ideedahinter: Mit der Kombination von Bild- und GPS-Daten denAcker optimal bestellen.

    Studienberatung, Fachschaftsvertreter, Wissenschaftler,Gleichstellungsbeauftragte – Maria und Elena haben keineFragemöglichkeit ausgelassen. Auch bei der TechnologieTransfer Initiative, die Starthilfe für Existenzgründer anbie-tet, wollen die 16-jährigen Mädchen noch vorbeischauen.

    „Vielleichthaben wir jaauch einmaleine tolleIdee“, sagtElena, diegerade beimmit der UniverbundenenInstitut fürTextil- undVerfahrens-technik Den-kendorf übereinen neuarti-gen wasserab-weisendenStoff für Bade-anzügegestaunt hat.Beim Institutfür Siedlungs-wasserbaugestalten jun-ge Wasserbau-er mit vollemKörpereinsatz

    einen mäandrierenden Flusslauf. Auch die digitale Lernfa-brik des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbe-trieb (IFF) ist fest in der Hand junger „Zukunftsforscher“.

    Nachwuchsdesigner am Stand des Instituts für Kon-struktionstechnik und Technisches Design.

    (Fotos: Eppler)

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    Flächendeckend dreidimensionalOb im Navigationssystem oder bei Google Earth: Hinterden virtuellen Modellen steckt eine traditionsreiche Wis-senschaft, die sich mit der Ausmessung von Photographienund Bildern befasst: Die Photogrammetrie. Seit nunmehr100 Jahren werden die neuesten Trends auf diesem Gebietim Rahmen der Photogrammetrischen Woche diskutiert,die seit 1973 alle zwei Jahre vom Institut für Photogram-metrie der Uni ausgetragen wird. Bei der Jubiläumsveran-staltung im September im Haus der Wirtschaft präsentiertesich ein Forschungsgebiet, das flächendeckend immerhöher auflösende dreidimensionale Bilder, Landschafts-und Stadtmodelle liefert und damit auch wirtschaftlich vordem Durchbruch steht.

    In der Photogrammetrie werden Photographien und Bilderausgemessen, die von der Erde aus (terrestrisch), vom Flug-zeug oder von Satelliten digital und mit hoher Auflösungaufgenommen und ausgewertet werden. Die dafür erforder-lichen Technologien haben in den vergangenen Jahrenenorme Fortschritte gemacht. „Die Branche ist erwachsengeworden“, resümierte Tagungsleiter Prof. Dieter Fritschvor rund 440 Teilnehmern aus Wissenschaft und Wirtschaft.

    Neue, laser- beziehungsweise radarbasierte Aufnahmetech-niken machen es künftig möglich, ein Land wie die USAflächendeckend auf 50 bis 100 Zentimeter genau dreidimen-

    sional abzubilden. Solche Modelle ermöglichen beispiels-weise eine neue Generation von Navigationsgeräten, dienicht länger Schematisches zeigen, sondern detailgetreudas Straßenbild, durch das sich der Fahrer bewegen sollte.„Dann genügt ein Blick auf das Display, um abzugleichen,ob Anzeige und Realität übereinstimmen und man richtigunterwegs ist“, so Fritsch.

    Koppelt man ein dreidimensionales Stadtmodell mitWärmebildern aus dem mittleren Infrarot-Bereich, so erge-ben sich Hinweise auf Energieeinsparpotenziale einergesamten Stadt - und das gebäudescharf. Ebenso kann fürjedes Dach die Solarstromkapazität berechnet werden,indem neben dem Sonnenstand und der Sonnenscheindau-er auch Abschattungen Berücksichtigung finden. Ein weite-rer Anwendungsbereich ist der Denkmalschutz. So könnenKulturdenkmäler wie etwa im Tal der Könige beiLuxor/Ägypten durch die Kombination von dreidimensiona-len Laserscan-Punktwolken und Bildern von hoher Auflö-sung erfasst und rekonstruiert werden. „Statt in muffigenGrabkammern könnten die Besucher die Wandmalereiendann dreidimensional im Internet bestaunen“, sagt Fritsch.Jedermanns Sache mag das vielleicht nicht sein, aber ange-sichts der 40.000 Besucher, die sich jeden Tag schwitzend inden Gräbern drängeln, ein wichtiger Beitrag zur Entlastungund zum Erhalt der empfindlichen Bausubstanz.

    Ein großes Anliegen ist den Wissenschaftlern der Tech-nologietransfer in die Wirtschaft. Die FotogrammetrischeWoche, an der als so genannte OpenPhowo-Partner Firmenwie Leica Geosystems, Intergraph, Trimble oder VexcelMicrosoft beteiligt sind, bietet hierfür eine hervorragendePlattform. amg

    KONTAKT

    Prof. Dieter FritschInstitut für PhotogrammetrieTel. 0711/685-83386 e-mail: [email protected]> > > www.ifp.uni-stuttgart.de/phowo/index.html

    Hochaufgelöstes dreidimensionales Modell eines Straßenzugs in Berlin.(Foto: Institut)

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    Wofür brauchen wir noch Ingenieure?„Bei der Planung dieser Veranstaltung vor wenigen Mona-ten haben wir noch nicht gedacht, dass uns derart aufre-gende Zeiten bevorstehen“, erklärte Manuel J. Hartung,Moderator einer Diskussionsrunde zum Thema „Wofürbrauchen wir noch Ingenieure?“ an der Uni Stuttgart, diejust in die Woche des Bildungsstreiks im Juni fiel. Als Teilder Reihe „Zeit Campus Dialog“ griff die Veranstaltung einbrisantes Thema auf, was sich auch an einem bis an denRand seiner Kapazitäten gefüllten Hörsaal zeigte.

    Noch vor der eigentlichen Diskussion kritisierte ChristophGmoser vom Streik-Komitee die Umstellung der Studienab-

    schlüsse auf Bachelor und Master und forderte mehr Demo-kratie und Mitspracherecht für Studierende an Hochschulen.Anschließend begrüßte Uni-Rektor Prof. Wolfram Ressel dieAnwesenden und betonte, dass das Thema der Diskussiongut zur Universität Stuttgart und ihrem regionalen Umfeldpasse. „Die Zukunft der Ingenieurwissenschaften ist eineheiße Frage, und Geisteswissenschaftler bringen Fähigkeitenmit, die unsere Ingenieure dringend brauchen“, so Ressel.

    Wie viel Zündstoff in dem Thema steckt, spiegelte auchdie Diskussionsrunde, die sich im Verlauf des Gesprächsnur in einzelnen Punkten einig werden konnte. „Was mir inder öffentlichen Debatte um Hochschulpolitik wirklich auf

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    den Keks geht, ist, dass oft von wichtigen und unwichtigenFächern gesprochen wird. Ich bin selbst Sozialwissenschaft-ler und die Sozialwissenschaften werden immer zu denunwichtigen Wissenschaften gezählt“, ereiferte sich Dr.

    Werner Widuckel, Vorstand für Personal- und Sozialwesender Audi AG. Ein solches Auseinanderdividieren von Ingeni-eur- und Sozialwissenschaften mache keinen Sinn. „Manmuss allgemein mit der Schwarz-Weiß-Malerei aufhören“,betonte auch der baden-württembergische Wissenschafts-minister Prof. Peter Frankenberg. „Was zählt, ist ein geisti-

    ges Klima der Innovation.“ Von besonderer Wichtigkeit seidabei eine hervorragende Forschung.

    Dr. Wolfgang Malchow, Geschäftsführer und Arbeitsdi-rektor der Robert Bosch GmbH, sah keine Konkurrenz zwi-schen Geistes- und Ingenieurwissenschaften. „Wir brau-chen beides.“ Vor dem Hintergrund der zwei Wochen vorder Diskussion vorgestellten Vorschläge zur Profilschärfungder Uni mit Blick auf die zweite Runde der Exzellenzinitiativebetonte Malchow, dass es an der Universität Stuttgartohnehin einen technologischen Schwerpunkt gebe. Dem-entsprechend würden sich die angedachten Umstrukturie-rungen keineswegs gegen die Geisteswissenschaften alssolche richten. „Wenn ganze geisteswissenschaftliche Stu-diengänge gestrichen werden sollen, sehe ich das durchausgegen die Geisteswissenschaften gerichtet“, antworteteBen Voss, der an der Uni Stuttgart Germanistik und Philoso-phie studiert. (Eine solche Streichung war allerdings niegeplant, Anmerkung der Redaktion).

    Prof. Sandra Richter vom Institut für Literaturwissen-schaft der Uni Stuttgart erklärte in der abschließendenregen Publikumsfragerunde: „Die Exzellenzinitiative hatdurchaus viel bewegt, aber das Problem dabei ist die Wei-terfinanzierung. Die Schwerpunktbildung geht auf Kostender Basis. Es wird eine wichtige Frage in den nächsten Jah-ren sein, wie dies ausbalanciert wird.“ Eine harte Trennungzwischen Ingenieur- und Geisteswissenschaften gebe esjedoch nicht, betonte Richter. „Vor allem nicht an der UniStuttgart.“ Johannes Baral

    Heiße Debatte um die Zukunft von Ingenieur- und Geisteswissenschaf-ten: (v.l.n.r.) Dr. Werner Widuckel (Audi), Prof. Sandra Richter (Uni Stutt-gart), Moderator Manuel J. Hartung, Dr. Wolfgang Malchow (Bosch), BenVoss (Student Uni Stuttgart). (Foto: Eppler)

    K I N D E R - U N I I N D E R W E L T D E R A S T R O N O M I E > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Erstmal ab ins Jahr 1800Bei einer Kinder-Uni zum Jahr der Astronomie unternah-men die Mädchen und Jungen zunächst eine Raum- undZeitreise nach England ins Jahr 1800. Dort trafen sie dendeutsch-britischen Astronomen und Komponisten WilhelmHerschel sowie dessen Schwester Katharina und entdeck-ten mit den historischen Gestalten „live“ die Strahlungunterhalb des roten Lichts, die Infrarotstrahlung. Nach derRückkehr ins Jahr 2009 tauchte dann „zufällig“ Prof. AlfredKrabbe vom Deutschen SOFIA-Institut im Hörsaal auf.Gemeinsam mit den jungen Studierenden nahm er diesesneue und andere Licht - heute bekannt als Wärmestrahlung- genauer unter die Lupe: Wie sieht ein Mensch im Infraro-ten aus? Wird Wärme reflektiert wie Licht? Und scheint siedurch Glas genauso durch wie die Sonnenstrahlen?

    Nachdem die Kinder die infrarote Strahlung mit der Hilfevon zahlreichen Experimenten besser kennen gelernt hat-ten, zeigte ihnen Prof. Krabbe, was er mit Hilfe dieser Strah-lung alles über Planeten und Sterne lernen kann: So hatzum Beispiel nicht nur der Saturn, einer unser Nachbarpla-neten in unserem Sonnensystem, Ringe aus Eis und Staub,

    sondern auch der Uranus. „Nur könnenwir die Uranusringe mit unseren Augenund normalen Kameras nicht sehen“,erklärte Krabbe, „im Infraroten dagegenverraten sie sich durch Ihre Wärmestrah-lung.“

    Zum Schluss erklärte Krabbe dem stu-dentischen Nachwuchs, warum er für dieErforschung von Planeten, Sternen undfremden Galaxien SOFIA, das „Stratos-phären Observatorium für Infrarot Astro-nomie“ an der Uni Stuttgart, braucht. Dieinfrarote Strahlung von Himmelsobjektenkann nämlich den Wasserdampf in unse-rer Atmosphäre nicht durchdringen. „Des-halb sind wir von der Erde aus blind fürden infraroten Weltraum“, so Krabbe. Umdie Geheimnisse des Kosmos dennochlüften zu können, haben die amerikani-sche Weltraumbehörde NASA und dasDeutschen Zentrum für Luft- und Raum-fahrt (DLR) ein Loch in eine Boeing 747SPschneiden lassen und ein 17 Tonnenschweres Teleskop darin eingebaut – und SOFIA war ent-standen. In einer Flughöhe von etwa 13 Kilometern hat die-se einzigartige fliegende Sternwarte, die ab dem kommen-den Jahr die ersten Bilder senden soll, freie Sicht auf dasinfrarote Universum. Dörte Mehlert

    (Fotos: Eppler/Archiv)

    Der Forscher Wilhelm Her-schel alias Prof. AlfredKrabbe bei der Kinder-Unizum Jahr der Astronomie.

    (Foto: Institut)

  • Ob es nun Skihelme, Kraftwerke, Raketenantriebe, Fertig-häuser oder denkmalgeschützte Bauten betrifft - seit 1884,und damit seit mittlerweile 125 Jahren, sorgt die Material-prüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) mit ihren fünfFachbereichen „Baustoffe und Brandschutz“, „Baukons-truktionen und Werkstofftechnik“, „Berechnung, Ausle-gung und Betriebsverhalten“, „Erhaltung von Bauten undAnlagen“ und „Geotechnik“ für Sicherheit und Zuverlässig-keit.

    Deshalb freute sich der geschäftsführende Direktor Prof.Eberhard Roos am 8. Oktober, dieses Jubiläum mit Kolle-ginnen und Kollegen aus aller Welt begehen zu dürfen. Ent-spannt führte der Journalist Jo Frühwirth im Vortragssaalder Staatsgalerie Stuttgart durch das Programm. ZurErleichterung vieler Gäste entpuppte sich die lange Liste derGrußworte als eine lockere Reihe von Interviews. In gelö-ster Atmosphäre gab Frühwirth den Referenten Gelegen-heit, ihre eigene Beziehung zur MPA darzustellen und derenArbeit und Erfolge zu würdigen. Stolz blickte Roos auf dieGeschichte „seiner“ MPA zurück, die durch den legendären

    Ingenieur Prof. Carl vonBach (1847 – 1931)gegründet wurde undsich heute sich als welt-weit größte universitäreEinrichtung dieser Art mitallen Fragen rund um dasWerkstoffverhalten inBauteilen sowie derenSicherheit beschäftigt.„Die Materialprüfung hatsich verändert“, so Roos.Während es früher vorallem darum ging, Werk-stoffe und einfache Bau-teile unter realen Bedin-gungen im Großversuchzu testen, erfordert dieheutige komplexe Technikentsprechende „moder-ne“ Materialien, wie etwaVerbundwerkstoffe, diegenaue Kenntnis derWerkstoffgesetze und Ver-sagensmechanismen und

    den Einsatz leistungsfähiger Rechner. Ohne Simulationenist dies in keinem Bereich mehr möglich. Änderungen imindustriellen und förderungspolitischen Umfeld zwangendie MPA in den letzten Jahren zudem, ihre Schwerpunkteneu zu definieren. Während noch vor fünfzehn Jahren weni-ge Branchen einen hohen Anteil am Umsatz ausmachten,ist das Branchenspektrum heute deutlich breiter. „Dies hatsich insbesondere in der aktuellen Wirtschaftskrisebewährt“, sagte Roos.

    Die Interviews bildeten den Rahmen für sechs Fachvor-träge, in denen die Bedeutung der Materialprüfung unteranderem für den Bau und Betrieb von Kraftwerken, insbe-

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    1 2 5 J A H R E M A T E R I A L P R Ü F U N G S A N S T A L T > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Keine Ermüdungserscheinungensondere auch Kernkraftwerken dargestellt wurde. Etwa 200Gäste aus Wissenschaft und Industrie, die aus aller Weltangereist waren, folgten der Veranstaltung mit großemInteresse. Sie belegten damit die internationale Bedeutungder Stuttgarter Prüfer, die sich auch in vielfältigen For-schungskooperationen mit Japan, Korea und den USA

    widerspiegelt. So wurde denn auch die Carl-von-Bach-Gedenkmünze in diesem Jahr an Professor Teruo Kishi, denehemaligen Präsidenten des japanischen National Institutefor Materials Science (NIMS) verliehen. Kishis Wirken lag imSinne Carl von Bachs in der ganzheitlichen Betrachtung vonWerkstoffverhalten unter Bauteilbeanspruchung.

    Die Festveranstaltung bildete den Auftakt für das in die-sem Jahr auf einen Tag verkürzte 35. MPA-Seminar, bei demVorträge zu Material- und Komponenten-Verhalten im Kraft-werksbereich auf dem Programm standen. In vier Arbeitssit-zungen diskutierten die Teilnehmer Vorträge zu Hochtempe-raturtechnik, zerstörungsfreiem Testen, Bruchmechanik undErmüdungsverhalten von Materialien. Diese jährlich stattfin-dende Fachtagung trägt neben der alltäglichen Prüfarbeitdazu bei, die herausragende Stellung der Stuttgarter Materi-alprüfer zu behaupten.

    Die Rolle der MPA, die sich mit ihren rund 400 Mitarbei-tern zu 80 Prozent selbst finanziert, beschränkt sich nichtnur auf Forschung und Prüfung - auch in der Lehre und derFörderung wissenschaftlichen Nachwuchses sind die Wis-senschaftler der Prüfungsanstalt aktiv. Roos sieht sich hierin der Tradition Carl von Bachs: Schon der bestand darauf,dass die Aufgabe der MPA, wie in der Gründungsbekannt-machung beschrieben, „darin liegen müsse, den Interessender Industrie wie auch denen des Unterrichts zu dienen”.

    Tobias Klaus/amgKONTAKT

    Prof. Eberhard RoosMaterialprüfungsanstaltTel. 0711/685-62604e-mail: [email protected]

    Von links: Moderator Jo Frühwirt im Gesprächmit MPA-Direktor Prof. Eberhard Roos.

    (Foto: T. Klaus)

    Spektakulärer Berstversuch eines Behälters zur Bestimmung der Trag-fähigkeitsgrenzen. (Foto: MPA)

  • Stuttgarter unikurier Nr. 104 2/2009 V E R A N S T A L T U N G E N8 1

    K U R Z B E R I C H T E T > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Vertiefte ZusammenarbeitIm Rahmen des fünften „Kumamoto International Works-hops on Fracture, Acoustic Emission and Non-destructiveEvaluation in Concrete" unterzeichnete die Materialprü-fungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) im September inKumamoto/Japan einen Vertrag, der die Universitäten inKumamoto, Edinburgh/Schottland und die UniversitätStuttgart enger aneinander bindet. Das sogenannte KIFA-Abkommen beinhaltet eine vertiefte Kooperation auf denGebieten Bruchmechanik, Schallemissionsanalyse undZerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen. So wird dieZusammenarbeit im Bereich der Normung vertieft wer-

    W I L L I - H E N N I G - S Y M P O S I U M Z U M D A R W I N J A H R > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Vom Ursprung des Lebens zur BiomechanikVor 200 Jahren wurde Charles Darwin geboren und vor 150Jahren veröffentlichte er sein Hauptwerk „On the Origin ofSpecies“. Darwins Theorie hat die moderne Evolutionsbio-logie entscheidend geprägt und bildet in ihrer Weiterent-wicklung die Basis für eine der wichtigsten Theorien derNaturwissenschaften. Den heutigen Stand der Evolutions-forschung zeigte im September und Oktober eine gemein-same Veranstaltungsreihe der Universitäten Stuttgart undHohenheim und des Staatlichen Museums für NaturkundeStuttgart. Wissenschaftlicher Höhepunkt war neben einerSummer School und der Eröffnung einer Sonderausstel-lung zur Evolutionstheorie das Willi-Hennig-Symposium.

    „Es heißt, dass Willi Hennig bereits in seiner Kindheit einrecht eigener Mensch war, der sich schon früh lieber mitTieren als mit Menschen beschäftigte“, erklärte Prof. Dr.Michael Schmitt vom ZoologischenForschungsmuseum AlexanderKönig der Universität Bonn schmun-zelnd. Schmitt schilderte anlässlichdes viertägigen Willi-Hennig-Sym-posiums zur Phylogenetik und Evo-lution das Leben des berühmtenNamensgebers der Veranstaltungund beschrieb ihn aufgrund seineseher schüchternen Charakters als„zurückhaltenden Revolutionär“.Willi Hennig (1913-1976) gilt alsStuttgarter Begründer der phyloge-netischen Systematik. Ziel des Sym-posiums war es, im Darwin-JahrEvolutionsbiologen vieler Fachrich-tungen zusammenzubringen. Prof.Hans-Dieter Görtz vom BiologischenInstitut der Universität Stuttgart hat-te das Symposium gemeinsam mitden Professoren Martin Blum undJohannes Steidle vom Institut für Zoologie der Uni Hohen-heim organisiert. Themen waren unter anderem derUrsprung des Lebens, die Artbildung, die Embryonalent-wicklung, die Entwicklung der Sprache, die Entwicklung des

    Sehens und die Biomechanik. Prof. Hartmut Seyfried vom Institut für Planetologie der

    Universität Stuttgart widmete sich dem Thema „Ein Planetorganisiert sich selbst“. Kern, Mantel und Kruste der Erdehätten im Laufe ihrer Geschichte eine komplexe Selbstorga-nisation im Zusammenwirken mit der Entwicklung desLebens entwickelt, so Seyfrieds Ansatz. Bill Martin (Univer-sität Düsseldorf) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit„Hydrothermalen Spalten und dem Ursprung des Lebens“und Prof. Henry Strasdeit vom Institut für Chemie der Uni-versität Hohenheim behandelte die „Chemische Evolutionund den frühen Zustand der Erde“. Bereits die ersten Vor-träge regten lebhafte Diskussionen bei den Teilnehmern desinternational besetzten Kolloquiums an, die auch im weite-ren Verlauf der Veranstaltung nicht zu kurz kamen.

    Über das Symposium und eine Summer School zur Evo-

    lutionsbiologie für Studierende aus ganz Europa hinausbeteiligten sich die Universitäten Stuttgart und Hohenheimauch an der Vorbereitung der Sonderausstellung mit demTitel „Der Fluss des Lebens – 150 Jahre Evolutionstheorie“

    Beim Willi-Hennig-Symposium präsentierte sich die Evolutionsbiologie eine hochdynamische Wissen-schaft. (Foto: Uni Hohenheim/ Schmid & Weber)

    den, wo eine länderübergreifende Erstellung von Prüf-richtlinien, insbesondere im Bereich bruchmechanischerUntersuchungen mit Hilfe von zerstörungsfreien Prüfver-fahren, beabsichtigt ist.

    Die Koordinatoren der Kooperation sind Prof. MichaelForde (University of Edinburgh), Prof. Masayasu Ohtsu(Kumamoto University) sowie Prof. Christian Große (Uni-versität Stuttgart). Die geplante Zusammenarbeit soll sichaußerdem auf die Bereiche Forschung und Ausbildungerstrecken. Geplant sind gemeinsame Tagungen sowieder Austausch von Diplomanden und Doktoranden. amg

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    im Stuttgarter Museum Schloss Rosenstein. Die viel beach-tete Schau ist noch bis Ende Mai 2010 zu sehen und wirdvon einer Reihe wissenschaftlicher Vorträge begleitet.Gefördert werden die Veranstaltungen von der Europäi-schen Kommission im Rahmen des Projekts „EUvolution“,der VolkswagenStiftung, von den Universitäten Stuttgartund Hohenheim sowie von der Vereinigung der Freunde derUniversität Stuttgart. Johannes Baral

    KONTAKT

    Prof. Hans-Dieter GörtzTel. 0711/685-65080Biologisches Institut, Abteilung Zoologiee-mail: [email protected]> > > www.darwinjahr.uni-hohenheim.de

    K U L T U R W I S S E N S C H A F T L I C H E T A G U N G Z U F R I E D R I C H T H E O D O R V I S C H E R > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Zwitter zwischen Philosophie und Poesie„Friedrich Theodor Vischer und die Kunst- und Denkfor-men seiner Zeit“ lautete der Titel einer Tagung, die dasInstitut für Literaturwissenschaft in Zusammenarbeit mitdem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikfor-schung der Universität Stuttgart im Juni veranstaltete.19 Forscher verschiedener Nationalitäten kamen zusam-men, um sich drei Tage lang intensiv mit dem Werk desBegründers der Stuttgarter Germanistik auseinanderzu-setzen.

    Die Beschäftigung mit dem Werk Vischers stellt eine beson-dere Herausforderung dar: Vischer war nicht nur als Philo-soph und Schriftsteller tätig, sondern auch als Kunst- undLiteraturhistoriker, Theologe, Zeichner, Politiker, Journalist,Essayist und Professor. Sich selbst bezeichnete er als „Zwit-ter zwischen Philosophie und Poesie“. Vischers schillerndeIntellektualität übersteigt herkömmliche disziplinäre Ord-nungssysteme. Gefragt war dem entsprechend ein offenerDialog zwischen den verschiedenen Fachrichtungen, der die

    I N T E R N A T I O N A L E T A G U N G Z U „ L O C A T I N G P O S T C O L O N I A L N A R R A T I V E G E N R E S ” > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Grenzüberschreitende ErzählmodelleDas Forschungsgebiet „postcolonial studies“ wirkt wie einMotor, der die Literatur- und Kulturwissenschaftenantreibt, sich den Prozessen der Globalisierung zu zuwen-den. Welche Transformationen sind zu erwarten, wenn ineinem grenzüberschreitenden Kulturmarkt die Erzählungenverschiedener Völker, Sprachen und Kulturen aufeinander-treffen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Tagungdes Instituts für Literaturwissenschaft, Abteilung Amerika-nistik und Anglistik, und des Internationalen Zentrums fürKultur- und Technikforschung (IZKT) im Juli.

    War der Blick auf die postkoloniale Literatur bislang vorran-gig auf die politische Agenda gerichtet, so erfahren nun dieästhetischen Aspekte des oftmals von Gewalt geprägten Kul-turkontakts besondere Aufmerksamkeit. Der entscheidendeImpuls für die „postcolonial studies“ erfolgte 1989 mit derStudie „The Empire Writes Back“. Einer ihrer Verfasser, BillAshcroft (Sydney/Hongkong), eröffnete das Symposium.Ashcrofts vielbeachteter Vortrag in der Stuttgarter Stadt-bücherei zu „The Multipicity of Modernity – Postcolonial Stu-dies and Globalization“ setzte den programmatischenAkzent: Wie Modernität nicht mehr monolithisch homogen,sondern spannungsreich im Plural zu begreifen ist, so erfah-ren auch die tradierten Gattungen und Erzählmuster durchihre Translation, also ihre Übersetzung im geographischenund sprachlichen Sinn, eine erstaunliche Dynamisierung.

    Historisch entstand der Roman zur gleichen Zeit, wie imWesten die Prozesse der Kolonisierung, der Aufklärungsowie der Disziplinierung seiner sich herausbildenden bür-gerlichen Subjekte einsetzten. Doch was passiert mit denGattungen des Erzählens, wenn sie auf völlig andere Bedin-gungen von Modernisierungen treffen? Ob grenzüberschrei-

    tende Utopie, collagenhafte Autobiographie,metafiktionale Liebesromanze oderparodierter Bildungsroman: DieTagungsteilnehmer aus einemDutzend Länder und mehre-ren Kontinenten fandenüberraschende Gattungs-transformationen an denSchnittstellen von lokal tra-dierten Formen und inter-nationalen Mustern. Diesgilt sowohl in Indien, als auchin der Karibik, in Ägypten, oderin Nigeria. So steht eine postkolo-niale Ästhetik vor der Herausforde-rung innovativer Erzählmodellewie zum Beispiel im Genre dessurrealen Thrillers in Angolaoder im Kongo, transnationalenKurzgeschichtenzyklen, oder einer neuen, spezifisch australi-schen Form des Entschuldigungs-Romans. Eine Welt, in derGrenzen eine immer geringere Rolle spielen, bietet ein rei-ches Angebot an hybriden, parodistischen und innovativenAusdrucksformen, die es in einer postkolonialen Ästhetik zubeschreiben gilt. Elfi Bettinger

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    Prof. Walter GöbelInstitut für LiteraturwissenschaftTel. 0711/685-83105e-mail: [email protected]

    Postkoloniale Erzählgenres bewegensich an der Schnittstelle von lokalerTradition und innovativen Erzählm-odellen. (Foto: Institut)

  • Stuttgarter unikurier Nr. 104 2/2009 V E R A N S T A L T U N G E N8 3

    K O L L O Q U I U M Z U M 8 0 . G E B U R T S T A G V O N P R O F . E B E R H A R D J Ä C K E L > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Hitler und der Holocaust„Die Deutschen sind von Hitler befreit worden und werdenihn wohl dennoch niemals loswerden“, sagte EberhardJäckel einmal über seine Forschung zum Nationalsozialis-mus. Wie sehr seine Anstöße die internationale Forschungüber Hitler und die Ermordung der europäischen Juden bisheute befruchten, brachte eine Festveranstaltung zu Ehrenseines 80. Geburtstags am 29. Juni zum Ausdruck. Dievom Historischen Institut der Universität Stuttgart, demVerein der Freunde des Historischen Instituts und demStadtarchiv Stuttgart ausgerichtete Symposium im bis aufden letzten Platz gefüllten großen Sitzungssaal des Stutt-garter Rathauses reihte sich in die Tradition der histori-schen Kolloquien ein, die Jäckel an gleicher Stelle zu ver-anstalten pflegte.

    Prof. Jäckel leitete 30 Jahre lang die Abteilung für NeuereGeschichte an der Universität Stuttgart; auch nach seinerEmeritierung 1997 blieb er einer der führenden und interna-tional bekannten deutschen Historiker. Jäckel gebührt dasVerdienst, dass er auch in einer Zeit, in der die Bedeutungvon Personen dem Gesichtskreis vieler Historiker ent-schwunden war, auf die zentrale Rolle Hitlers bei der For-mulierung der NS – „Weltanschauung“ und der verbrech-erischen Umsetzung der darin enthaltenen Vernichtungsab-sichten verwiesen hat.

    Daher kam alles, was in der internationalen Forschungs-gemeinschaft Rang und Namen hat, nach Stuttgart, um die

    von Eberhard Jäckel ausgehenden Impulse zu würdigen.Den Festvortrag hielt mit Sir Ian Kershaw (Sheffield) derVerfasser der von der Forschung einhellig gerühmten Hit-ler–Biographie. Grüße aus der israelischen Forschergemein-schaft überbrachte Otto Dov Kul-ka. Auf der von Jäckels Nachfol-ger Wolfram Pyta moderiertenPodiumsdiskussion erörtertenneben Kershaw Ulrich Herbert(Freiburg), Dieter Pohl (Institut fürZeitgeschichte, München) undGerhard Weinberg (University ofNorth Carolina, Chapel Hill) dieneuen Trends der Forschungen zuHitler und dem Holocaust. DieZuhörer erhielten dabei einenlebendigen Einblick in den aktuel-len Forschungsstand.

    Das letzte Wort freilich gebühr-te dem Jubilar, der in seinerunnachahmlichen Weise auchsehr persönlich begründete, war-um er den Verbrechen Hitlers sointensiv auf den Grund gehenwollte. „Es ist für mich unvorstell-bar, dass die Nazis vorgehabt hat-ten, meinen in Hannover gebore-

    „Die Deutschen werden Hitler nieloswerden“: Prof. Eberhard Jäckel.

    (Foto: Eppler)

    übergreifendenDenkstrukturenVischers auch inden Randphä-nomenen erkenn-bar werden lassensollte.

    Neben VischersHauptwerken, derÄsthetik und denliterarischenSchriften, unter-suchten die Refe-renten auch weni-ger bekannteAspekte wieVischers Engage-ment als Politikerund Tierschützer,seine Essays zurMode und seineSelbstkarikaturen.Der gewählte kulturwissenschaftliche Ansatz ermöglichtees, komplexe Wechselbeziehungen zwischen Kunst, Wis-senschaft und Lebensführung, zwischen Theorie und Praxisoffen zu legen, ohne über unauflösbare Widersprüche imVischerschen Werk hinwegzutäuschen.

    Diesem Gedanken der multiperspektivischen Annähe-rung war auch der öffentliche Abendvortrag „Zwischen

    Dilettantismus und Wissenschaft – Friedrich TheodorVischer“ verpflichtet, den Prof. Hermann Bausinger von derUniversität Tübingen vor dem vollbesetzten Auditorium desMax-Bense-Saals der Stadtbücherei Stuttgart hielt: Vischer,der von 1869 bis zu seinem Tod 1887 am StuttgarterPolytechnikum lehrte, sei alles andere als ein „Fachidiot“gewesen. Er verstand es nicht nur Studenten, sondern auchinteressierte Bürger in seine Vorlesungen zu locken. DerStuttgarter Professor der Ästhetik habe einen lebendigenAustausch zwischen der akademischen Welt und der Bevöl-kerung angeregt, der damals wie heute für die Kultur einerStadt unverzichtbar sei. In diesem Sinne fiel auch die Bilanzder Tagung aus: Das Werk des Stuttgarter Geisteswissen-schaftlers müsse wieder stärker ins Zentrum rücken, da vonVischers Wissenschafts-, Kultur- und Alltagsbegriff wichtigeImpulse für die Gegenwart ausgehen könnten.

    Im Jahr 2010 werden die Veranstalter, Dr. Barbara Pott-hast und Dr. Alexander Reck, einen Tagungsband in der Rei-he „Beihefte zum Euphorion“ (Winter-Verlag) mit allenBeiträgen der Referenten herausgeben. Petra Mayer

    KONTAKT

    Dr. Barbara PotthastInstitut für LiteraturwissenschaftAbteilung Neuere Deutsche Literatur ITel. 0711/685-83070e-mail: [email protected]> > > www.friedrich-theodor-vischer.de

    Friedrich Theodor Vischer (1807–1887). (Foto: Städtisches Museum Ludwigsburg)

  • V E R A N S T A L T U N G E N Stuttgarter unikurier Nr. 104 2/20098 4

    nen Altersgenossen Gerhard Weinberg umzubringen, mitdem ich seit fünfzig Jahren wissenschaftlich eng verbundenbin“, betonte Jäckel. Wie auch das Podium plädierte erdafür, dass die Politik endlich den Weg freimachen solle füreine historisch-kritische Edition des Buches „Mein Kampf“,um die Öffentlichkeit über die trüben Quellen aufzuklären,aus denen Hitler seine Anregungen bezog. Bettina Wagner

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    Prof. Wolfram PytaHistorisches InstitutAbteilung für Neuere GeschichteTel. 0711/685-83450e-mail: [email protected]

    S Y M P O S I U M Z U H I S T O R I S C H E N G Ä R T E N > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > > >

    Kunstwerk, Denkmal oder Freizeitpark?Historische Gärten erinnern wie Baudenkmale an dieLebens- und Kunstideale einer Gesellschaft, die in derGestaltung von Gärten auf vielfältige Weise mit hoher tech-nischer und handwerklicher Kunstfertigkeit ihren Ausdruckfanden. Für die heutige Gesellschaft dagegen sind dieseAnlagen geschätzte Erfahrungs- und Erholungsräume,deren Erhalt zwar im öffentlichen Interesse, aber oft imKonflikt mit den kunsthistorischen Vorgaben steht. DiesemSpannungsfeld widmete sich das Symposium „Der Gartenals Kunstwerk – Der Garten als Denkmal“ im November,das vom Institut für Kunstgeschichte der Uni in Zusammen-arbeit mit dem Zentrum für Gartenkunst und Landschafts-architektur (Hannover) und der Deutschen Gesellschaft fürGartenkunst und Landschaftskultur (Berlin) organisiertwurde.

    In der Bundesrepub-lik Deutschland gibtes nach einer grobenInventarisierungetwa 6.000 privateund öffentliche alteGärten. Ihre unbe-dingte Abhängigkeitvon einer regelmäßi-gen und sachkundi-gen Pflege macht siezu äußerst gefährde-ten Kulturzeugnis-sen. Eine wesentli-che Voraussetzungfür ihre Erhaltung istein gesichertes Wis-sen über dieGeschichte undkünstlerische Eigen-art der jeweiligenAnlage. Die kunstge-schichtliche For-schung wie auch die

    Gattungen, die im System der Künste Architektur und Tech-nik mit der Gartenkunst in Beziehung stehen, haben in denletzten Jahrzehnten hierfür wesentliche Grundlagen erarbei-tet.

    Historische Gärten werden heute sinn- und zielgemäßnach einer Denkmaltheorie bewertet, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst nur für Baudenkmale erdachtworden war. „Nach dieser Sicht ist ein Denkmal etwas mit

    der Zeit nur an einemOrt Entstandenes,also etwas Einmali-ges, nicht beliebigwieder Herstellba-res“, erklärtTagungsleiter AlfonsElfgang, Honorarpro-fessor am Institut fürKunstgeschichte.Ihre geistige und kul-turelle Funktionerschließt sich ausihrer originalenmateriellen Subs-tanz, nach der diegeschichtlichen,künstlerischen undwissenschaftlichenWerte eines Denk-mals bestimmt wer-den. Die Methodenund Standards zurErmittlung der Denk-maleigenschaftenund zur Pflege und Erhaltung historischer Gärten, die sichan dieser Theorie orientieren, standen im Mittelpunkt derVeranstaltung.

    Übertragen auf historische Gärten führt ein solcher Theo-rieansatz jedoch in der Praxis schon deshalb zu Problemen,weil ihre „Bausubstanz“, anders als Gebäude, aufgrund desWachstums und des Wandels der Jahreszeiten einem perma-nenten Veränderungsprozess unterliegen. Dazu kommen ver-änderte wirtschaftliche und technische Bedingungen sowiedie Wünsche einer Freizeitgesellschaft, die die Parks zuneh-mend als grüne Lunge, Spielangebot oder Bühne für Kulture-vents nutzt. „Die Gartenkunst muss sich vor diesem Hinter-grund der Frage stellen, welche Idee hinter einem Konzeptsteht“, sagt Elfgang. „Gefragt sind realisierbare Theorien,und das macht auch Kompromisse erforderlich.“ amg

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    Prof. Alfons ElfgangInstitut für KunstgeschichteTel. 0711/685-83585e-mail: [email protected]

    Park nach der Wiederherstellung 1996. (Fotos: Staatliche Schlösser und GärtenBaden-Württemberg)

    Schlossgarten Weikersheim: Plan des Hof-gärtners Matthäus Lebl aus dem Jahr 1862.

    VERANSTALTUNGENAUSSTELLUNG ZUM 100. GEBURTSTAG VON FRITZ LEONHARDTUNGEWÖHNLICHE GESTALTUNGSÜBUNG FÜR STUDIERENDE DER ARCHITEKTURAUSSTELLUNG IM INSTITUT FÜR AUSLANDSBEZIEHUNGEN100 JAHRE PHOTOGRAMMETRISCHE WOCHEBRISANTES THEMA BEIM ZEIT CAMPUS DIALOGKINDER-UNI IN DER WELT DER ASTRONOMIE125 JAHRE MATERIALPRÜFUNGSANSTALTKURZ BERICHTETVertiefte Zusammenarbeit

    WILLI-HENNIG-SYMPOSIUM ZUM DARWINJAHRINTERNATIONALE TAGUNG ZU „LOCATING POSTCOLONIAL NARRATIVE GENRESKULTURWISSENSCHAFTLICHE TAGUNG ZU FRIEDRICH THEODOR VISCHERKOLLOQUIUM ZUM 80. GEBURTSTAG VON PROF. EBERHARD JÄCKELSYMPOSIUM ZU HISTORISCHEN GÄRTEN