Auswirkungen des Klimawandels auf DeutschlandB1, die den Zeitraum 2001 bis 2100 decken und...

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m i t e x k u r s n r w

A u s w i r k u n g e n

d e s K l i m a w a n d e l s

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Einleitung 3

1. Das Klima in Deutschland 4

2. Szenarien zum Klimawandel in Deutschland 4

3. Auswirkungen des Klimawandels auf Deutschland 83.1. Meeresspiegelanstieg 93.2. Extremwetterereignisse 123.2.1. Hitzewellen 123.2.2. Stürme 143.2.3. Starkniederschläge 153.3. Gletscherschmelze 163.4. Hochwasser an Flüssen 17

4. Anpassung an den Klimawandel in Deutschland 18

Fazit 22

Quellenverzeichnis 23

Inhalt

durch den Meeresspiegelanstieg, Extremwettersitua-tionen, die Gletscherschmelze und Hochwasser anFlüssen treffen. Oft ist eine Anpassung an die abseh-baren Veränderungen möglich und notwendig. Einesolche Strategie muss aber zugleich auf die starke Begrenzung des Klimawandels drängen, damit sie nichtletztlich von diesem überrollt wird. Das vorliegendePapier stellt die jüngsten Forschungsergebnisse darund macht Handlungsvorschläge zur Zusammenarbeitzwischen Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirt-schaft und Zivilgesellschaft.

Die ärmsten Länder trifft der Klimawandel am stärk-sten. Doch auch in Deutschland zeigen nicht nurHerbststürme, die im Januar Osterglocken abknicken,dass sich hier einiges ändert. Zahlreiche Ökosystemesehen sich schon jetzt durch den bereits spürbarenWandel herausgefordert.

Höhere Temperaturen, veränderte Niederschlagsmus-ter und steigende Meeresspiegel lassen Deutschlandnicht unberührt. Nach bisherigem Kenntnisstand wirdder Klimawandel Deutschland am schwerwiegendsten

Zusammenfassung

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deutliches Warnsignal. Und der Extremsommer 2003mit mehr als 30.000 Toten – die größte Naturkatastro-phe in Europa seit Jahrhunderten – hatte einen Auf-wacheffekt zur Folge. Die Dringlichkeit einer Begren-zung des Wandels sowie einer nachhaltigen Strategiezur Anpassung, d. h. zum Umgang mit den Konsequen-zen, drängt sich auf. Dazu hat das IPCC-Gremium fol-gende Übersicht entworfen:

Mit dem Wort Klimawandel assoziieren viele MenschenKatastrophen auf anderen Kontinenten und vermeint-lich wenig einschneidende Veränderungen in Deutsch-land, wie z. B. die Ausbreitung südlicherer Weinsortenoder die Umstellung der Sportaktivität von Abfahrtskiauf Wasserski. Allmählich dämmert es vielen, dass auchhier mehr auf dem Spiel stehen könnte. Die starkenÜberschwemmungen in Mitteleuropa 2002 waren ein

papier gibt einen Überblick über den aktuellen Standder Forschung bezüglich der zukünftigen Klimaent-wicklungen in Deutschland, beschreibt deren abseh-bare Auswirkungen und Deutschlands Verwundbarkeit.Darüber hinaus stellt es erste Anpassungsmechanismenvor.1

Das Verständnis der möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Region ist jedoch noch begrenzt. Regionale Änderungen sind wesentlichschwieriger zu prognostizieren als die Veränderungglobaler Durchschnittswerte. Aber in den letzten Jah-ren hat sich hier einiges getan. Dieses Hintergrund-

Klimawandel:Temperaturanstieg,

veränderte Niederschlagsmuster,Meeresspiegelanstieg,

Extremwettersituationen wie Dürrenund Überschwemmungen

Folgen für natürliche und anthropogene Systeme:

Lebensmittel- und Wasserversorgung,Ökosysteme und biologische Vielfalt,

Siedlungen

Anpassung

Anpassung

Minderung

Emissionen und Konzentrationen:Treibhausgase und Aerosole

Sozioökonomischer Entwicklungsweg:

Wirtschaftswachstum,Technologie,

Bevölkerungswachstum,„gute Regierungsführung“

Einleitung

Abb. 1: Die zwei Seiten des Klimawandels: Emissionsminderung und Anpassung an die Folgen

1 Grundlegende Informationen zum Klimawandel könnennachgelesen werden in: Germanwatch 2005.

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2 DWD 2004a3 IPCC 2007

rung, menschliche Aktivität im Allgemeinen und somitfür ein gesichertes Leben. Klimaforscher prophezeienfür das kommende Jahrhundert jedoch besorgniserre-gende Änderungen des Erdklimas, die, wie Klimaände-rungssignale bereits andeuten, auch Deutschland be-einflussen werden. Mit welchen Veränderungen wir inZukunft konkret zu rechnen haben, ist Gegenstand derderzeitigen Klimaforschung. Bislang stand Klima fürStabilität und Wetter für Variabilität. Inzwischen stehtauch der Begriff Klima für Wandel; im Bereich des Wetters nehmen die Extremereignisse zu.

Das Klima in Deutschland hat sich über die letzten Jahr-hunderte als relativ stabil erwiesen. Wir genossen ver-lässliche Klima- und Wetterverhältnisse und bliebenvon Extremwettersituationen wie monsunartigen Re-genfällen oder Wirbelstürmen, die unser Alltagsleben

unterbrechen könnten, weitestgehend verschont. Diedurchschnittliche Jahrestemperatur betrug ca. 8,2 °C inDeutschland und die Niederschlagssumme ca. 750 mmpro Jahr 2. Aufgrund seiner Stabilität aber auch wegendieser günstigen Temperatur- und Niederschlagsver-hältnisse bildete das Klima in Deutschland eine solideBasis für die grundlegende Versorgung der Bevölke-

1. Das Klima in Deutschland

Szenarien die Ausmaße des Klimawandels in verschie-denen Regionen zu verstehen. Da viele Informationenüber die Zukunft heute noch nicht vorliegen, basierenSzenarien allerdings immer auf Annahmen über zukünf-tige Entwicklungen, die natürlich heute noch nicht genau vorhersehbar sind. So wird eine Welt mit ent-schiedenem Klimaschutz grundlegend anders aussehen als ohne diesen. Jedes vermeidbare Zehntel Grad an Temperaturerhöhung kann Ursache für gewaltige Ver-änderungen sein, die an bestimmten Kipppunkten ein-setzen.

Auch in Deutschland werden immer genauere regiona-le Klimaszenarien angewandt, um die Veränderungendes Klimas und ihre Folgen besser abschätzen zu kön-nen. Die aktuellste dieser regionalen Studien fürDeutschland ist derzeit die im April 2006 veröffentlich-te Szenarienreihe des Max-Planck-Institutes für Mete-

Dass der Klimawandel als globales Phänomen auchDeutschland beeinflusst, zeichnete sich schon an den klimatologischen Veränderungen während der vergan-genen 100 Jahre ab. Registriert wurden in diesem Zeit-raum ein Temperaturanstieg der durchschnittlichenJahrestemperatur um 0,8 bis 1 °C, eine Zunahme derNiederschläge während der Winter und zugleich eineAbnahme der Schneedecke. Klimaextreme wie Hitze-wellen, Starkniederschläge und Sturmböen traten vorallem in den letzten 20 Jahren vermehrt auf3. Auf derBasis der beobachteten Veränderungen der letztenJahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende versuchenKlimaforscher mit Hilfe von so genannten Szenarien(siehe Info-Kasten 2), den zukünftigen Klimawandel sorealistisch wie möglich zu modellieren.

Einerseits werden die globalen Veränderungen er-forscht, andererseits versucht man, mit regionalen

2. Szenarien zum Klimawandel in Deutschland

Abb. 2: Überschwemmungen Deutschland 2006

Abb. 3: Hitzewelle in Deutschland 2006

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4 UBA 2006a5 IPCC 20076 MPI-M 2006

Temperaturanstieg zwar, dennoch wurde für die Küs-tenregion eine winterliche Erwärmung um ca. 3,5 °C be-rechnet7. Diese Differenz ist mit der ausgleichendenFunktion der Meere zu begründen, die sich relativ lang-sam erwärmen. Auch für den Sommer zeichnet sich derhöchste Temperaturanstieg mit ca. 3 bis 4 °C für denSüden Deutschlands ab (Abb. 5 )8.

Die durch den verstärkten Treibhauseffekt bedingtezukünftige Erwärmung Deutschlands zeigt sich denMPI-M Modellen nach im Winter am deutlichsten. Mitder höchsten Erwärmung von mehr als 4 °C ist dem Sze-narium A1B zufolge in den Wintermonaten in Süd- undSüdost-Deutschland zu rechnen. Nach Norden undWesten, d. h. zur Atlantikküste hin, verringert sich der

7 UBA 2006a8 UBA 2006a

Quelle: MPI-M 2006

orologie (MPI-M). Mit Hilfe des vom MPI-M erarbeite-ten Regionalmodells REMO errechneten die Forscherdie Entwicklung der Temperaturen und Niederschlägein Deutschland bis zum Jahr 2100. Die hohe Auflösungdes Modells von zehn mal zehn Kilometern ermöglichtbislang einen außergewöhnlich detaillierten Überblicküber die einzelnen Gebiete Deutschlands, wobei auchauf die jahreszeitlichen Unterschiede und das ReliefRücksicht genommen werden konnte.

So kommt das MPI-M zu dem Schluss, dass die durch-schnittlichen Jahrestemperaturen in Deutschland bis2100 im Vergleich zur Periode 1961 bis 1990 um 2,5 bis3,5 °C steigen könnten (Abb. 4)4. Zum Vergleich: DieIPCC-Szenarien berechneten 2007 einen globalen Tem-peraturanstieg von 1,8 bis 4 °C bis 21005. Die Ergebnis-spanne der MPI-M-Szenarien von einem Grad Celsius

resultiert aus der Anwendung von drei Szenarien, diesich in der eingeschätzten Höhe der zukünftigen Treib-hausgasemissionen unterscheiden. Zugrunde liegenden REMO-Modellen die IPCC-Szenarien A2, A1B undB1, die den Zeitraum 2001 bis 2100 decken und unter-schiedliche Annahmen über demografische, gesell-schaftliche, ökonomische und technische Strukturenbis 2100 berücksichtigen. Die optimistischen Struktu-ren des Szenarios B1, das von der Annahme des Leit-gedanken der Nachhaltigkeit, hohem Wirtschafts-wachstum trotz abnehmender Materialintensität undsauberen sowie ressourcenschonenden Technologienausgeht, spiegelt den relativ geringen Temperaturan-stieg von 2,5 °C wider. Die Szenarien A1B und A2 erge-ben eine höhere Erwärmung, da ihnen weniger nach-haltige Entwicklungen mit gemischten Energiequellenbzw. hohem Wirtschaftswachstum zugrunde liegen6.

Jahrestemperaturänderung gegenüber dem Zeitraum 1961-1990 (10 Jahre gleitendes Mittel)

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090 2100

C20

+ 6

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A1B B1 A2

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Abb. 4: Zeitlicher Verlauf der simulierten Lufttemperatur (°C) in Deutschland

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9 UBA 2006a

Den MPI-M-Szenarien nach werden sich auch dieNiederschlagsverhältnisse regional und saisonal verän-dern. Mit einem bis zu 40%igen Rückgang der Nieder-schläge ist im Sommer in Süd-, Südwest- und Nordost-

Deutschland zu rechnen, während sich für den Winterfast im gesamten Land stärkere Niederschläge andeu-ten (Abb. 5 und 6)9.

Abb. 5 : Temperaturanstieg im Winter (links) und Sommer (rechts) in °C im Jahresmittelfür die Jahre 2071-2100 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1961-90, Szenario A1B

Quelle: MPI-M 2006

Quelle: MPI-M 2006

Abb. 6: Sommerliche (links) und winterliche (rechts) Niederschlagsveränderung im Jahresmittelfür die Jahre 2071-2100 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1961-90, Szenario A1B

4,54,2543,753,53,2532,752,5

504020105-5-10-20-30-50

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10 UBA 2006a11 dsa 200612 PIK 2005

Die Begriffe "Prognose" und "Szenario" sind keine Syn-onyme! Bei einer Prognose, wie z. B. der Ankündigungder nächsten Sonnenfinsternis, handelt es sich um diegenaue Berechnung zukünftiger Verhältnisse unterBerücksichtigung aller beeinflussenden Faktoren. Sze-narien, wie z. B. Klimaprojektionen, sind keine exaktenDarstellungen der klimatischen Verhältnisse im Jahre2100, sondern plausible Zukunftswelten. Viele dereingehenden Rahmenbedingungen wie Bevölkerungs-wachstum, ökonomische und soziale Entwicklung, Ein-satz neuer Technologien, Ressourcenverbrauch und Um-weltmanagement lassen sich nicht exakt vorhersagen.

Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass die Entwicklungvon Entscheidungen abhängt, die erst in der Zukunftgetroffen werden. Von den verschieden Klima-Szena-rien werden also vermutlich diejenigen, die einen un-gebremsten CO2-Ausstoß annehmen, nicht eintreten.Denn indem sie die Konsequenzen von mangelndemKlimaschutz illustrieren, können sie Einfluss auf ent-sprechende Entscheidungen ausüben und somit zur"self-destroying Prophecy" werden.

Hinzukommt, dass aufgrund der eigenen Ungewiss-

heit eines chaotischen Systems wie dem Klima selbstdann, wenn all diese Rahmenbedingungen ebenso wiedie durch den Klimawandel direkt beeinträchtigtenParameter (z. B. Atmosphäre, Wasserkreislauf, Bio-sphäre und atmosphärische Treibhausgaskonzentra-tion durch menschliche Aktivität) im Detail bekanntwären, eine exakte Prognose nicht möglich wäre. Den-noch spricht vieles für die Robustheit eines Szenarios,wenn andere Szenarien, in denen viele der getroffe-nen Annahmen auch plausibel, aber anders ausgewähltwurden, dennoch zu einem sehr ähnlichen Gesamter-gebnis führen. Dies gilt zumindest solange, wie nichtdurch mögliche Rückkopplungsprozesse nicht-lineareEntwicklungen ins Spiel kommen. Bis vor wenigen Jah-ren waren die Computermodelle zu grob, um kleinräu-mige Szenarien für spezifische Regionen Deutschlandszu entwickeln. Dies ist nun möglich, allerdings sind dieUnsicherheiten hier größer als bei globalen Szenarien.

Die oft geübte Kritik, Szenarien seien zu ungenau,gründet sich daher auf dem gegenüber Szenarien nichtangemessenen Anspruch des Betrachters, exakte Vorhersagen zu erhalten. Sie sind aber eine wichtigeGrundlage für Entscheidungen unter Unsicherheit.

So drohen in den Sommermonaten im NordostenDeutschlands Dürreperioden, während die Wintermo-nate in Süd- und Südwest-Deutschland feuchter wer-den. Der im Sommer fallende Niederschlag wird zudemvoraussichtlich nicht länger regelmäßig verteilt vor-kommen, sondern zunehmend in Starkniederschlägen,z. B. während Wärmegewittern, auftreten. Zwar ändertsich durch diese Verschiebungen die durchschnittlicheNiederschlagsmenge nur unwesentlich, doch auch dieVerteilung der Niederschläge spielt vor allem für dieForst- und Landwirtschaft eine wichtige Rolle.

Basierend auf dem Temperaturanstieg wird regionalweniger Schnee erwartet. Fällt momentan etwa einDrittel des Niederschlags in den Alpen als Schnee,könnte der Schneeanteil der Niederschläge am Endedes Jahrhunderts nur noch ein Sechstel ausmachen10.Außerdem wird sich die Schneefallgrenze wahrschein-lich so weit nach oben verschieben, dass die meistenSkigebiete Deutschlands darunter liegen werden.Wenn dadurch nur noch wenige Wintersportgebietegenutzt werden können, intensiviert sich deren ökolo-gische Belastung drastisch, während die anderen

Gebiete renaturiert werden können11. Die ökonomi-schen Konsequenzen für letztere können durch denWegfall des Skitourismus natürlich gravierend sein.

Der Vergleich dieser Ergebnisse des MPI-M mit ande-ren Szenarien zeigt, dass die neuen Ergebnisse alte Resultate tendenziell bestätigen und konkretisieren.So ergab eine Studie des Potsdam-Instituts für Klima-folgenforschung (PIK) im Juni 2005 mit einen Tempera-turanstieg von 1,6 bis 3,8 °C bis 2080 eine stärkere Erwärmung Süd- und Ostdeutschlands sowie eine Verschiebung der Regenfälle auf die Wintermonate mit der stärksten Zunahme der Winterniederschläge in Süd-Deutschland12. Die Übereinstimmung unter-schiedlich modellierter Szenarien spricht für deren zunehmende Robustheit. Nichts desto trotz bleiben –gerade bei kleinräumiger Betrachtung – erheblicheUngewissheiten bestehen. Außerdem berücksichtigendie Szenarien mögliche nicht-lineare Effekte des Klimawandels wie etwa eine erhebliche Abschwächungdes Golfstroms oder einen „Run-away“-Treibhausef-fekt aufgrund von Rückkopplungseffekten nicht.

Info-Kasten 2: Szenarien ≠ Prognosen!

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13 Leuschner 200514 BfN 2004

beeinflussen Temperaturanstieg und veränderte Nie-derschlagsmuster zahlreiche Ökosysteme teilweise biszum völligen Zusammenbruch, was wiederum oftmalsnegative Konsequenzen für Lebensgrundlagen des Men-schen und sozioökonomische Vorgänge hat. Nach bishe-rigen Einschätzungen wird sich der Klimawandel inDeutschland am schwerwiegendsten durch den Meeres-spiegelanstieg, Extremwettersituationen, die Glet-scherschmelze und Hochwasser an Flüssen äußern. Derfolgende Abschnitt beschreibt diese Auswirkungen de-taillierter und erläutert ihren Einfluss auf verschiedeneSektoren wie Landwirtschaft und Lebensmittelsicher-heit, Gesundheit, Tourismus und Ökonomie.

Der schnelle Temperaturanstieg und die Veränderungender Niederschlagsmuster global sowie über Deutschlandbewirken direkte Veränderungen für das natürliche Um-feld des Menschen und spiegeln sich in unserem wetter-abhängigen Alltagsleben auf vielfältige Art wider. DieNatur reagiert mit verlängerten Vegetationsperiodenund sich verändernder biologischer Vielfalt (siehe Info-Kasten 3). Ebenso wird die menschliche Gesundheit, beispielsweise durch verlängerte Allergie-Perioden, direkt vom Klimawandel beeinflusst. Die Zahl von Hitze-wellen nimmt mit steigender Temperatur exponentiellzu – was das bedeutet, wurde während der Hitzewellevon 2003 deutlich, der bislang größten bekannten Na-turkatastrophe Europas mit mehr als 30 000 Toten. Auch

3. Auswirkungen des Klimawandels auf Deutschland

Die tendenziell von allen Szenarien errechneten Tem-peraturveränderungen und die Abweichungen desWasservorrats für das begonnene Jahrhundert führeneine globale Verschiebung der Klimazonen mit sich.Die Vegetationsperioden verlängern sich, Arten wan-dern ab oder sterben aus, andere Arten wandern inÖkosysteme neu ein. So bestimmen die Faktoren Temperatur und Wasserverfügbarkeit die biologischeVielfalt (Biodiversität) eines Ökosystems, womit derKlimawandel starken Einfluss auf die Verteilung derArten, ihre genetische Ausstattung und die Strukturder Ökosysteme hat.

Der voraussichtliche Verlust der Biodiversität führt inDeutschland zu funktional einfacheren Ökosystemen,dem Vorherrschen von Generalisten, verstärkter Prä-senz von gebietsfremden Arten, verschlechtertenÖkosystemleistungen und geringerer Anpassungsfä-higkeit der Ökosysteme an eine veränderte Umwelt13.

Umgekehrt hat auch der Biodiversitätsverlust Auswir-kungen auf den Klimawandel. Die Albedo, also dasRückstrahlungsvermögen der Oberflächen, verändertsich ebenso wie die Verdunstungsrate, der Wasser-kreislauf und die Fähigkeit zur Kohlenstoffspeiche-rung14. Man spricht von so genannten Rückkopplungs-mechanismen, denn die Auswirkungen eines Prozesseshaben ihrerseits Folgen für den ursprünglichen Prozess.

Besonders betroffene Gebiete sind erstens die Alpen,

denn Arten haben in den Bergen oftmals keine Mög-lichkeiten, abzuwandern, und zweitens Feuchtgebie-te, da saisonal weniger Wasser im System ist. Als drit-tes sind Küsten zu nennen, wo z.B. die Robben bei stei-gendem Meeresspiegel keine Sandbänke mehr vorfin-den können. Dagegen profitieren immergrüne Pflan-zen vom Klimawandel, und der Schmetterlingsstrauchist ein Beispiel für eine Art, die in unseren Breiten gän-giger wird.

Die Verschiebung der Klimazonen beeinträchtigt nichtnur die natürlichen Ökosysteme, sondern auch dieLandwirtschaft. Landwirte könnten gezwungen wer-den, andere Getreidesorten oder sogar völlig andereProdukte anzubauen bzw. Gebiete nicht länger land-wirtschaftlich zu nutzen. Zu den eher seltenen positi-ven Folgen des Klimawandels könnten in Deutschlanddie günstigeren Voraussetzungen für den Weinbau inRegionen wie Brandenburg gehören, wo dieser bisherunmöglich ist.

Das Eindringen gebietsfremder Arten in neue Regio-nen erschwert Wald- und Forstwirtschaft ebenso wiedie Landwirtschaft, denn so genannte Schädlinge dominieren in zuvor unbetroffenen Regionen und rich-ten durch Zerfraß gravierende Waldschäden und Miss-ernten an. Die Bewertung der Entwicklung in Deutsch-land erweist sich als äußerst schwierig, denn der Be-drohung ursprünglicher Arten und Systeme stehenneue Möglichkeiten gegenüber.

Info-Kasten 3: Biologische Vielfalt und Verschiebung der Vegetationsperioden

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stiegsgeschwindigkeit nicht über 5 cm pro Jahrzehntliegen sollte18. In diesem Jahrhundert sollte der An-stieg also auf allenfalls 50 cm begrenzt werden.

Art und Umfang der Gefährdung durch den Meeres-spiegelanstieg hängen neben der tatsächlichen globa-len Erwärmung stark von den betroffenen ökologi-schen und sozialen Systemen ab. An Deutschlands Küs-ten wird der Meeresspiegel im globalen Vergleichüberdurchschnittlich stark ansteigen. Des Weiterenbeeinflussen nicht nur die thermische Ausdehnung derOzeane, das Schmelzen des Polareises und der Inland-gletscher den Meeresspiegelanstieg im Nordatlantik,sondern zusätzlich bedeutet jedes Prozent Abschwä-chung des Nordatlantikstroms einen weiteren Zenti-meter Meeresspiegelanstieg für den Nordatlantik.Derzeit scheint es plausibel, mit 20 bis 40 cm bis 2100 alleine deshalb zu rechnen19.

Nordseeküste

Die deutsche Nordseeküste ist wegen ihrer Lage an derWestküste stark den Gezeiten, dem Tidenhub und derSturmflutgefahr ausgesetzt, was sie für Klimaverände-rungen und Meeresspiegelanstieg nicht nur wegen ihrer geringen Höhe empfindlich macht. Wie aus Abbil-dung 7 hervorgeht, ist damit zu rechnen, dass Deutsch-land von den Nordseeanrainerstaaten durch den Klima-wandel bedingt am meisten unter den verstärktenSturmfluten zu leiden haben wird, was mit der geogra-phischen Lage und den vorherrschenden Windrichtun-gen zu begründen ist. Die Abbildung verdeutlicht, dasszusätzlich zum Meeresspiegelanstieg bis 2100 bei un-gebremstem Klimawandel an der schleswig-holsteini-schen Nordseeküste mit einer Erhöhung der jährlichenwindbedingten Wasserstände um etwa 40 cm zu rech-nen ist.

Für die deutsche Nordseeküste sind weiterhin das tek-tonische Absinken und Reibungsverluste von Bedeu-tung, die mit jeweils 15 cm bis 2050 zum Tidehochwas-ser beitragen könnten20. Insgesamt muss also an derdeutschen Nordseeküste im schlimmsten Fall bis 2100mit einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 1,80 m undextremen Tidehochwassern von nochmals mindestens70 cm darüber ausgegangen werden. Diese Berech-nung verdeutlicht, wie fatal es wäre, die Deichhöhen

3.1. Meeresspiegelanstieg

Der Meeresspiegelanstieg wurde als reale Konsequenzder vom Menschen verursachten Klimaerwärmung inden vergangenen Jahren bereits nachgewiesen. Ab-schließende Aussagen über sein zukünftiges Ausmaßlassen sich zwar noch nicht treffen, eindeutig ist aber,dass der Anstieg die Entwicklung der Küstenregionenweltweit stark gefährden wird. Nach heutigem Erkenntnisstand ist bis 2100 mit einem Meeresspiegel-anstieg von bis zu 1,4 m im globalen Mittel gegenüberdem Niveau von 1990 zu rechnen15. Dies übertrifft dieBerechnungen des IPCC-Berichts von 2001 um ca. 50 cm, nach denen der Meeresspiegel bis 2100 "nur" biszu 88 cm steigen könnte16. Allerdings weist der IPCCausdrücklich darauf hin, dass er die bisher unterschätz-ten Abschmelzprozesse des Grönlandeises und derWestantarktis noch nicht mit berücksichtigt hat. Eineaktuelle Studie weist darauf hin, dass ein langsamerMeeresspiegelanstieg in geringerem Ausmaß eher un-wahrscheinlich ist17.

Kurz gesagt: Die IPCC-Abschätzungen stellen den unteren Rand der Möglichkeiten dar. Es muss damit gerechnet werden, dass der Meeresspiegelanstiegnoch schneller und zusätzlich in stärkerem Ausmaß verläuft als zunächst befürchtet. Die vorgeschlagene„Leitplanke” für den Meeresspiegelanstieg ist, dass erdauerhaft 1 m nicht überschreiten sollte, wobei die An-

15 Rahmstorf 200616 IPCC 2001a17 Rahmstorf 2006

18 WBGU 200619 Rahmstorf & Schellnhuber 200620 Luhmann 2005

Abb. 7: Erwartete Änderung in den jährlichen maxi-malen windbedingten Wasserständen in Metern zwischen 2071 bis 2100 bei relativ starkem Treibhaus-gasanstieg

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u. a. entlang der 2389 km langen Küstenlinie Deutsch-lands, die nur maximal 2 m über dem heutigen Meeres-spiegel liegen. Die Nordseeküste ist durch das einzig-artige Wattenmeer und die flach anschließendeMarschlandschaft dem Meeresspiegelanstieg stärkerausgesetzt als die relativ steile und hohe Ostseeküste.

In Ortschaften, in denen die Bebauung heute bis an dieDeiche heranreicht, kann es zu Nutzungs- und damitauch Rechtskonflikten z. B. mit Eigenheimbewohnernkommen. Dort, wo heute neue Küstenschutzmaßnah-men durchgeführt werden, die sich aber nicht an denneuen Erkenntnissen zum Meeresspiegelanstieg orien-tieren, wird eine Anpassung an diese neuen Realitätenmöglicherweise technisch und politisch sehr schwierigwerden.

Als Folgen des Meeresspiegelanstiegs und vermehrtauftretenden Sturmfluten an der Nordseeküste sind eine erhöhte Überflutungs- und Überschwemmungs-gefahr, Erosion sowie Trinkwasserversalzung, Ver-schlechterung der Böden und Bedrohung des Ökosys-tems Wattenmeer zu erwarten. Zusätzlich zu ihrer öko-logischen Empfindlichkeit gehören die Küstenregionenzu den eher strukturschwachen Regionen Deutsch-lands. Sie sind durch relativ hohe Arbeitslosigkeit unddie starke Abhängigkeit von der Natur durch Landwirt-schaft, Fischerei und Tourismus gekennzeichnet, wasihre Empfindsamkeit Veränderungen gegenüber nochverstärkt. In Zukunft rechnet man zudem mit steigen-

Effektiver Küstenschutz ist an der deutschen Nordsee-küste daher unumgänglich. Und zwar schon heute: InSchleswig-Holstein belaufen sich die jährlichen Kostennach Angaben der dortigen Landesregierung für denHochwasser- und Küstenschutz auf insgesamt über 30Mio. Euro22, um Besiedlung im tief gelegenen Marsch-land überhaupt zu ermöglichen. Von künftig extremsteigenden Kosten aufgrund des Klimawandels ist aus-zugehen. Gerade der Kostenaspekt hält aber dieniedersächsische Landesregierung davon ab, ihren Küs-tenschutz den aktuellen Szenarien anzupassen; siesetzt lediglich darauf, dass der Meeresspiegel so ge-mächlich weiter steigt wie im vergangenen Jahrhun-dert. Bestätigen sich doch die sich heute abzeichnen-den Wasserhöchststände, hätte der in Niedersachsenvernachlässigte Deichbau sogar katastrophale Auswir-kungen auf Städte wie Bremen.

Erneuerung, Verbreiterung und Erhöhung von Deichensind aber nicht nur kostenintensive Infrastrukturmaß-nahmen. In der Regel geht ihnen eine langjährige Pla-nungsphase voraus. Für die Verbreiterung der Deichebesteht zudem ein nicht unerheblicher Platzbedarf.

21 Molter 200222 Ministerium für ländliche Räume, Landesplanung, Landwirt-

schaft und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein 2001

Quelle: WBGU 2006

Abb. 8: Küstengebiete von weniger als 2 m Höhe entlang der Nord- und Ostsee (ohne Berücksichtigung von künftigen Küstenschutzmaßnahmen)

lediglich dem Meeresspiegelanstieg anzupassen undweitere Effekte des globalen Wandels zu vernachläs-sigen. Unter diesen Umständen würden bei einemMeeresspiegelanstieg von einem Meter 88% der FlächeBremens und immerhin 30 % von Hamburg betroffensein21. Die Karte in Abbildung 8 zeigt Küstengebiete

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Betroffene Über Erhöhte Erosion Über- Eindringen Sektoren flutungen Sturmfluten- schwemmungen von Salzwasser

frequenz in Grundwasser

Wasserversorgung X X X

Landwirtschaft X X X X X

Fischerei X X

Gesundheit X X X X

Tourismus X X X X

Infrastruktur X X X X

gen des Klimawandels starke Einbußen hinnehmenbzw. sich den veränderten Verhältnissen stark anpas-sen müsste23. Zwar gilt die Nordseeküste in Deutsch-land als strukturschwach, doch wächst die Bedeutungeines Industriezweiges in der Region: die zur Linde-rung des Klimawandels beitragende Windenergie.Auch beim Bau von Windkraftwerken – vor allem in denOffshoreparks vor der Küste – müssen die zukünftigenGefahren durch den Meeresspiegelanstieg und ver-stärkte Sturmfluten berücksichtigt werden.

der Besiedlung der Küstenregion und einer damit ver-bundenen wachsenden Ansammlung von Sachgütern.In Kombination mit den Folgen der Klimaveränderungresultiert diese Besiedlungsentwicklung in einer Risi-koerhöhung, die zusätzlich vorausschauender Planungbedarf.

Der im Fall unzulänglichen Küstenschutzes eintref-fende Landverlust würde sich auf die Gesellschaft vor allem durch die Minimierung von Lebensraum undAckerfläche auswirken, aber auch Infrastrukturen undSachwerte würden zerstört und Arbeitsplätze vernich-tet. Von besonderer Wichtigkeit ist in der deutschenKüstenregion der Tourismus, der hier bis zu 20 % desVolkseinkommens ausmacht und von den Auswirkun-

Dorsch und Sprotte samt einiger Pflanzengruppen.Dies gefährdet wiederum die Existenz von Fischern unddie Lebensmittelsicherheit. Dazu kommt das erhöhteRisiko von Algenblüten, die wie die Blaualgenblüte imSommer 2006 das Gleichgewicht des Ökosystems stören und Badeverbote auslösen könnten. Ob verän-derte Windverhältnisse in Zukunft den ausschlag-gebenden Wassermassenaustausch zwischen Nord-und Ostsee verbessern, verschlechtern oder unverän-dert belassen wird, kann heute noch nicht eingeschätztwerden. Man rechnet jedoch insgesamt mit erschwer-ten Lebensbedingungen im Ökosystem Ostsee.

Die Ostsee stellt der Klimawandel vor ganz andere Her-ausforderungen. Zwar ist sie ebenfalls vom Meeres-spiegelanstieg betroffen; da die Küste relativ steil ist,ergeben sich jedoch lediglich an FlussmündungenÜberflutungsgefahren, und von Sturmfluten bleibt dieOstseeküste ebenfalls verschont. Problematischer fürden Ostseeraum sind der Temperaturanstieg und diedamit verbundenen erhöhten Niederschläge. Die Zu-fuhr von größeren Regenwassermengen in die Ostseeverringert den ohnehin geringen Salzgehalt des Mee-res zunehmend. Mit noch geringerem Salzgehalt ste-hen viele Lebewesen der Ostsee, die heute schon ander Existenzgrenze leben, zusätzlich unter extrememDruck, und man fürchtet um die Bestände von Hering,

Ostseeküste

23 Ministerium für ländliche Räume, Landesplanung, Landwirt-schaft und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein 2001

Quelle: Eigene, erweiterte Erstellung nach Klein & Nicholls 1999

Tabelle 1: Effekte des klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs an Nord- und Ostseeauf verschiedene sozioökonomische Sektoren

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24 IPCC 200725 Rahmstorf & Schellnhuber 200626 Rahmstorf 200627 Stott et al. 2004

28 Rahmstorf & Schellnhuber 200629 Stott et al. 200430 DWD 2003

Beobachtungen belegen, dass der Meeresspiegel im20. Jahrhundert bereits um 10-20 cm angestiegen ist.Das führende Wissenschaftsgremium IPCC geht 2007davon aus, dass sich der Meeresspiegel als Folge desKlimawandels bis 2100 um weitere 18-59 cm anhebenwird24. Insbesondere neuere Erkenntnisse über be-schleunigte Abschmelzprozesse in Teilen Grönlandsund der Westantarktis lassen bei Klimawissenschaft-lern die Besorgnis wachsen, dass bereits jetzt, auch beianspruchsvollem Klimaschutz, in diesem Jahrhundertein Anstieg von einem Meter unvermeidbar sein könn-te25. Einer neuen Studie zufolge könnte der Meeres-spiegel bis 2100 sogar um 1,4 m ansteigen26. Schon indiesem Jahrhundert könnte ein Schmelzprozess inGrönland angestoßen werden, der unumkehrbar inden nächsten Jahrhunderten zu einem Meeresspiegel-

anstieg von 5 Metern oder mehr führen könnte. DerKlimawandel verursacht den Meeresspiegelanstiegdurch die wärmebedingte Ausdehnung des Wassersund das Abschmelzen von Gebirgsgletschern und desGrönlandeises sowie eventuell von Eismassen derWestantarktis durch den Temperaturanstieg derAtmosphäre.

Trotz der Bedrohung von Siedlungs-, Lebens- undWirtschaftsräumen in Küstengebieten durch den Mee-resspiegelanstieg werden Küstenregionen immer be-liebtere Wahlheimaten. Dieser Trend verschärft dieNotwendigkeit eines effektiven Küstenschutzes, derdem Landverlust, der Trinkwasserversalzung und derZerstörung einzigartiger Ökosysteme entgegenwirkt.

Info-Kasten 4: Meeresspiegelanstieg

land relevante Extremereignisse, deren Vorkommensich mit der Klimaveränderung mit großer Wahrschein-lichkeit vermehren wird, sind vorwiegend Hitzewellen,Starkniederschläge und Stürme wie z. B. Tornados, wiedie folgenden Abschnitte beschreiben.

3.2. ExtremwetterereignisseExtremwetterereignisse sind kurzzeitige aber gravie-rende Abweichungen von den statistisch durchschnitt-lichen Witterungsbedingungen einer Region. Auf-grund ihrer Intensität können extreme Wettersituatio-nen umfangreiche Schäden verursachen. Für Deutsch-

Hitzebedingt leiden Menschen häufiger unter Herz-kreislauferkrankungen, und auch die Entstehung vonSommersmog über Großstädten gefährdet die Gesund-heit. Von Hitzewellen ausgelöste direkte Gesundheits-belastungen – auch solche durch erhöhte Ozonwerte –können Arbeitsfähigkeit und somit ökonomische Leis-tungen einschränken. Im Sommer 2003 wie auch imSommer 2006 mussten außerdem einige Atomkraft-werke ihre Stromproduktion drosseln bzw. zeitweiligvollständig einstellen, da die Flüsse für die Kühlung zu warmes Wasser führten. Als Folge dessen stiegen dieStrompreise in diesen heißen Tagen extrem an, undkonventionelle Großkraftwerke erwiesen sich als nichtvorbereitet auf diese Situation. Durch Niedrigwasserwurde in diesen heißen Sommern die Schifffahrt auf großen Flüssen wie Elbe und Rhein stark ein-geschränkt. Auch der Straßenverkehr wurde durchschmelzenden Asphalt während der Hitzewellen be-hindert.

3.2.1. Hitzewellen

Forscher zeigten, dass mit mehr als 90%iger Wahr-scheinlichkeit der menschbedingte Treibhausgasaus-stoß das Risiko des Auftretens von Hitzewellen in Euro-pa wie 2003 zumindest verdoppelt hat und dass er mit50%iger Wahrscheinlichkeit dieses Risiko bereits ver-vierfacht hat27. Bis Ende dieses Jahrhunderts könnenHitzewellen wie 2003 bei ungebremstem Klimawandelsogar zur Normalität werden28. In Deutschland forder-te die Hitze 2003 ca. 7.000 Menschenleben, in Frank-reich waren es sogar knapp 15.000 und in Europa insgesamt ca. 30.00029. Damit war diese Hitzewelle die größte Naturkatastrophe in der europäischen Geschichte. Gefährdet sind bei Hitzewellen besondersalte und kranke Menschen, Säuglinge und Kleinkinder.Hitzeanfälligkeit definiert sich nicht nur über die tatsächliche Lufttemperatur; ausschlaggebend ist diegefühlte Temperatur, d. h. eine Zusammenfassung vonLufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind30.

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Hitzewellen gefährden Ökosysteme nicht nur durch extreme Temperaturen, sondern ebenfalls durch star-ken Wassermangel. Somit ging beispielsweise wäh-rend der Hitzewelle im Sommer 2003 die Produktivitätder Vegetation in Europa um ca. 30% zurück, was sichauf das Waldwachstum sowie die landwirtschaftlichenErträge negativ auswirkte. Diese Schwächung der Ve-getation hatte außerdem als Rückkopplung zufolge,dass weniger Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphärevon den Pflanzen aufgenommen wurde. Diese Beob-achtung widerspricht der früheren generellen An-nahme, dass der Klimawandel dem Pflanzenwuchs und damit der CO2-Speicherung förderlich sei31. In der Folge der Hitzewelle gab es ein sehr starkes Auftretenvon Schädlingen32. Waldbrände sind weitere häufige Effekte von Hitzewellen, die auch eine Gefahr fürmenschliche Lebensräume darstellen können. ErhöhteWassertemperaturen in Flüssen und Meeren können zuFischsterben führen.

31 Ciais et al. 200532 Umwelt 2005

Quelle: NASA, 2003

Betroffene Sektoren Hitze Dürre Vegetations- Gletscher- Verminderterückgang schmelze Luftqualität

Wasserversorgung X X X

Landwirtschaft X X X X

Fischerei X X

Gesundheit X X X

Stromproduktion X

Verkehr X

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 2: Auswirkungen von Hitzewellen auf verschiedene sozioökonomische Sektoren

Eine Hitzewelle ist als eine Periode von mindestensdrei Tagen mit extrem hohen Lufttemperaturen de-finiert. "Extrem hohe Lufttemperaturen" ist ein rela-tiver Begriff, und somit gibt es in den unterschied-lichen Regionen verschiedene Schwellenwerte, um ei-ne Hitzewelle festzustellen. In südlichen Ländern als normal angesehene Temperaturverhältnisse können

infolgedessen weiter nördlich als Hitzeextreme be-wertet werden. In Deutschland bezeichnet man Tagemit Temperaturen über 25 ºC als Sommertage und Tage, an denen das Thermometer über 30 ºC anzeigt,als heiße Tage. Abbildung 9 zeigt die Differenz zwi-schen den langjährigen Mittelwerten und den extre-men Temperaturen im Sommer 2003 in Europa.

Info-Kasten 5: Hitzewellen

Abb. 9: Hitzewelle 2003: Die Grafik zeigt die Abwei-chung der Temperaturen vom langjährigen Mittelwertin Europa im Sommer 2003. Je intensiver das rot ist,desto höher ist die Abweichung.

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33 WWF 200634 Das 1997 gegründete Netzwerk TorDACH sammelt Infor-

mationen zu Tornados, Wasserhosen und Gewitterfallböenin Deutschland, Österreich und Schweiz, um eine belast-

bare und vollständige Klimatologie dieser lokalen Wetter-phänomene in den drei Ländern zu erstellen, siehe http://www.tordach.org.

35 DWD 2004b

3.2.2. Stürme

Abb. 11: Alle seit 1950 erfassten Tornados (ohne reineWasserhosen)

Abb. 10: Tornado über Deutschland

durch den Klimawandel häufiger zu Tornados kommenkönnte. Diese Erwartung lässt sich dadurch erklären,dass durch den Temperaturanstieg mehr Wasserdampfin der Atmosphäre gespeichert wird, was ein höheresEnergieangebot für Gewitter mit sich führt. Da heftigeGewitter als Voraussetzung zur Entstehung von Torna-dos aufgrund ihrer sehr speziellen und kleinräumigenGegebenheiten schwer zu berechnen sind, ist eine Mo-dellierung schwierig. Aus methodischen Gründen lässtsich die plausible Vermutung eines Zusammenhangszwischen dem Klimawandel und der Tornadohäufigkeitin Deutschland bisher nicht absichern35.

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rot = Tornadogrün = Land erreichende Wasserhoseblau = Tornado oder Kleintrombe

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Was die Auswirkung der Klimaveränderung auf Sturm-aktivität in Europa betrifft, herrscht bislang große wissenschaftliche Unsicherheit. Plausibel, aber nichtgesichert, scheint eine Zunahme der Anzahl von Stür-men in der nördlichen Erdkugel zu sein. Unter der Voraussetzung eines ungebremsten Klimawandels istanzunehmen, dass es in Norddeutschland zu 1. einersteigenden Anzahl von Winterstürmen, 2. einer höhe-ren Anzahl von Tagen mit extrem hohen Wind-geschwindigkeiten und 3. höheren maximalen Wind-geschwindigkeiten kommt. Die Anzahl der Tage mitextrem hohen Windgeschwindigkeiten könnte dem-nach um 50 % ansteigen, die maximale Windgeschwin-digkeit um 10 % und das Auftreten von Sturmfluten sogar um 50 -100 %33.

Die Forschergruppe TORDACH34 untersucht das Auf-treten von Tornados unter veränderten klimatischenBedingungen in Deutschland, Österreich und derSchweiz. Tornados kennt man eher aus dem mittlerenWesten der USA, doch treten Tornados von geringererStärke auch in Deutschland auf. Sie konzentrieren sichder Statistik nach auf Nordwestdeutschland und denRheingraben (Abbildung 11). Den geringen Datenmen-gen, die auf subjektiven Beobachtungen und Einschät-zungen beruhen, zufolge ist eindeutig, dass heutemehr über Tornados in Deutschland berichtet wird alsfrüher. Ob dies ein Effekt zunehmender Beobach-tungsdichte und zahlreicher Videokameras ist oder ei-nen realen Trend widerspiegelt, lässt sich auf der Basisder vorliegenden Daten bislang nicht eindeutig sagen.Dennoch gibt es durchaus eine Plausibilität, dass es

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36 www.tordach.org37 Rahmstorf & Schellnhuber 2006

Tornados sind kurzlebige und räumlich stark begrenz-te, aber vehement rotierende Luftmassen mit Boden-kontakt, die oft durch einen Wolkenschlauch mit rüs-selartigem Luftsog sichtbar werden. Sie entstehenbeim Aufeinandertreffen großer Luftmassen vonunterschiedlicher Temperatur und Luftfeuchtigkeit,also unter Voraussetzungen wie bei Gewittern. StarkeLuftwirbel bilden sich aus, wenn der Temperaturunter-schied zwischen den beiden Luftmassen groß ist. Star-ker Wind in der Höhe kurbelt diese Wirbel an, und auseiner Gewitterwolke kann sich eine Windhose Rich-tung Boden entwickeln. Erst wenn diese in Berührungmit dem Boden kommt, spricht man von einem Tornado.

Infolge ihrer räumlichen Begrenzung führen Tornadoslediglich in den relativ kleinen betroffenen Gebietenverheerende Flur- und Sachschäden sowie Lebens-gefahr durch umher fliegende Gegenstände mit sich.Häuser können abgedeckt, Bäume entwurzelt werden.Somit verursachen Tornados trotz geringer Lebens-dauer und räumlicher Ausbreitung hohe Kosten. Alsstärkster in Deutschland beobachteter Tornado giltder "Pforzheim-Tornado", der im Juli 1968 zwei Men-schenleben kostete und 300 Menschen verletzte. Erhinterließ eine Schneise von 27 km Länge und dieSachschäden beliefen sich auf ca. 55 Millionen Euro36.

Info-Kasten 6: Tornados

ge. Längere Trockenheit verhärtet die Böden, was dazuführt, dass bei starken Regenfällen ein größerer Was-seranteil vom Boden nicht aufgenommen werden kannund somit oberflächlich abfließt. Bei brachliegendenoder nur spärlich bewachsenen Flächen beschleunigtsich mit diesem Vorgang der Erosionsprozess, und dieWasserlagerung verringert sich, was die landwirt-schaftliche Nutzung ebenso erschwert wie die verhär-teten Erdkrusten bei längerer Trockenheit. Lang anhal-tende, starke Regenfälle können ferner Hangrutschun-gen auslösen, da Erdmassen bei zu großem Feuchtig-keitsgehalt ihre Haltfestigkeit verlieren. Auch die erwartete stärkere Konzentration der Niederschlägeauf die Wintermonate erhöht die Wahrscheinlichkeitvon vermehrten Wetterextremen. Die Tragweite vonStarkniederschlägen in Form von Schnee erfuhren der Süden und Südosten Deutschlands im Frühjahr 2006,als der lange Winter Schneemassen u. a. nach Bayernbrachte, zu Verkehrschaos führte und Dächer unterSchneelast zusammenbrechen ließ.

3.2.3. Starkniederschläge

Starkniederschläge, d. h. die Konzentration der Regen-fälle auf einige wenige Niederschlagsereignisse, undihre Konsequenzen stellen weitere klimawandel-bedingte Gefährdungen dar. Der Temperaturanstiegführt erhöhte Verdunstung mit sich, denn mit jedemGrad Celsius Lufterwärmung kann die Luft ca. 7 % mehrWasserdampf aufnehmen. Wegen Zusammenstößenvon immer wärmeren mit kalten Luftmassen wird esdurch den Klimawandel in zunehmendem Maße zuStarkniederschlägen – oft in Verbindung mit Gewittern– kommen, aber auch Steigungsregen fallen in ihrer Intensität stärker aus37.

Diese können Überflutungen an Seen, Flüssen und anderen Gewässern bewirken, was Leben gefährden,Infrastruktur beschädigen und menschliche Aktivitätbehindern kann. Die vom MPI-M und PIK berechneteEntwicklung zur Konzentration der Niederschläge aufweniger, dafür aber heftigere Regenfälle hat starkenEinfluss auf den Wasserhaushalt und Erosionsvorgän-

Betroffene Über- Erosion Erdrutsche Schnee- Ungleichmäßige Sektoren schwemmungen massen Niederschlags-

verteilung

Wasserversorgung X X

Landwirtschaft X X X

Gesundheit X X X X

Infrastruktur X X X X

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 3: Auswirkungen von Starkniederschlägen auf verschiedene sozioökonomische Sektoren

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3.3. Gletscherschmelze

Der Gletscherschwund an sich wird voraussichtlich da-zu führen, dass die Hälfte der heutigen Skigebiete derAlpenregion bis 2050 geschlossen werden müssen40.Der Einfluss der Klimaänderung auf den Wintersport inden Alpen ist damit gravierend. Eine weitere Bedro-hung stellt das Tauen der Permafrostböden dar, das ansteilen Hängen Hangrutschungen verursachen kann,die wiederum Gefahren für Menschenleben und Infra-struktur und damit für den Tourismus bergen. Die Glet-scherschmelze resultiert zusätzlich in erhöhter Lawi-nengefahr, was ähnliche Gefahren wie Erdrutsche mitsich führt.

Nicht nur das Eis der Arktis, sondern auch die Inland-gletscher müssen infolge der Temperaturerhöhung Volumeneinbußen hinnehmen. Sie gelten als Fieber-thermometer des globalen Klimawandels. Bei einemsommerlichen Temperaturanstieg von 3 Grad Celsius,der ohne massiven Klimaschutz sehr wahrscheinlich ist,könnten nach neuesten Einschätzungen 80 % der 1990 vorhandenen Eismassen in den Alpen bis 2100 abschmelzen. Stiegen die Sommertemperaturen um 5 Grad, würden die Alpen praktisch eisfrei. Die deut-schen Alpen könnten der gleichen Studie zufolge bereits in 20 Jahren eisfrei sein38.

Zwar betrifft die Gletscherschmelze nur einen gerin-gen Teil der deutschen Alpen, da es in Deutschland nurfünf Gletscher gibt. Dennoch beeinflusst die Schmelzeder Gletscher darüberhinaus in anderen Alpengebietenden hydrologischen Kreislauf und die Wasserwirt-schaft, so auch im deutschen Voralpenland. Währendder Jahrzehnte einer beschleunigten Schmelze werdendie Flusspegel durch erhöhte Schmelzwasserzufuhr an-steigen, und es ist mit vermehrten Überschwemmun-gen zu rechnen.

Nach dem Abschmelzen der alpinen Gletscher drohenim Sommer niedrige Flusspegelstände und regionaleEinschränkungen der Trinkwasserverfügbarkeit. Diesbetrifft nicht nur die Trinkwasserversorgung der Men-schen der Region, sondern ebenfalls die Wasserversor-gung der alpinen Ökosysteme. Weiterhin kann es durchdie Gletscherschmelze zu Engpässen in der Energiever-sorgung kommen, da der Wassermangel zum Ausfallvon Wasserkraftwerken führt39.

38 Zemp et al 200639 Weber 200340 Zemp et al 2006

Betroffene Gletscherschwund Veränderter Tauen Erhöhte Sektoren Wasserhaushalt Permafrostböden Lawinengefahr

Wasserversorgung X X

Gesundheit X X X

Tourismus X X X

Infrastruktur X X

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 4: Auswirkungen der Gletscherschmelze auf verschiedene sozioökonomische Sektoren

Abb. 12: Aletschgletscher, größter Gletscher der Alpen

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3.4. Hochwasser an Flüssen

über ihre Ufer treten. Es wächst nach Überflutungendas Risiko schlechter Trinkwasserqualität und bak-teriell übertragener Infektionskrankheiten. Die Land-wirtschaft ist von Überschwemmungen besonders negativ betroffen, falls schadstoffreicher Schlick aufFeldern abgelagert wird oder durch Wassermassen dieErnten vernichtet werden.

Hinzu kommt, dass die Ansammlung von teuren Bautenan Flussufern zunimmt, was regelmäßig die Hochwas-serschäden erhöht. Infolgedessen werden die Schädenkünftiger Überschwemmungen absehbar weiter stei-gen, selbst ohne Zunahme durch den Klimawandel.Häufige Hochwasser multiplizieren sich mit diesem oh-nehin vorhandenen Anstieg. Im August 2002 verur-sachte das Elbehochwasser in Deutschland Schädenvon etwa 10 Milliarden Euro42. Mit Schadensübernah-me von Seiten der Versicherungen oder des Staates istin Zukunft nur begrenzt zu rechnen, so dass Flussan-rainer selbst Maßnahmen gegen Hochwasserschädenvornehmen sollten.

Die Oderflut 1997 und das Elbehochwasser 2002 sindvielen Deutschen noch gut in Erinnerung, währendzahlreiche direkt Betroffene bis heute unter den Nach-wirkungen leiden. Aber auch bei anderen großen Flüs-sen Deutschlands und ihren Nebenflüssen herrschthäufig Hochwassergefahr. Zu extremen Pegelständenund Hochwassern können aufgrund des Klimawandelsbesonders lange und intensive Niederschläge, dieNiederschlagskonzentration auf die Wintermonateoder extreme Schnee- und Gletscherschmelze führen.Betroffen sein werden in den nächsten Jahrzehnten inDeutschland hauptsächlich Flüsse mit Ursprung im südlichen Deutschland und speziell in der Alpenregion,da hier schmelzende Gletscher und zunehmende Star-kniederschläge erwartet werden, z. B. der Rhein. DasAusmaß der Überschwemmungen hängt ausschlagge-bend von den Verhältnissen im Flusseinzugsgebiet ab.Untersuchungen im Einzugsgebiet des Neckars ergaben für das Jahr 2050 eine Zunahme der mittlerenHochwasserabflüsse um ca. 40-50 % und eine Zunahmevon 100-jährigen Hochwasserständen um 15 %41.

Ökosysteme werden durch Hochwasser meist nichtdauerhaft direkt geschädigt. Überschwemmungen mithohen Fließgeschwindigkeiten verstärken allerdingsdie Erosion, was Ökosysteme, Landwirtschaft und In-frastruktur gleichermaßen beeinträchtigt. Das Ausmaßder Überschwemmungen wird durch menschliches Eingreifen auf die Wasserspeicherfähigkeit der Land-schaft oft verstärkt, denn Änderungen der Landnut-zung, Zerstörung von Feuchtgebieten durch Bodenver-siegelungen im Auenbereich, Urbanisierung und Fluss-begradigungen führen zu erhöhter Hochwassergefahr.Problematisch werden Hochwasser insbesondere da-durch, dass Flussauen zu besiedelten Gebieten umge-wandelt werden, sodass Infrastruktur überschwemmtwird, sogar wenn Flüsse nur in natürlichem Ausmaß

41 UBA 2006b42 PIK 2005

Betroffene Sektoren Überschwemmungen Erosion

Ökologie X X

Wasserversorgung X

Landwirtschaft X X

Gesundheit X

Infrastruktur X X

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 5: Effekte von Überschwemmungen auf verschiedene sozioökonomische Sektoren

Abb. 13: Hochwasser in deutschen Städten

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4. Anpassung an den Klimawandel in Deutschland

wird durch integrierte Analysemodelle Wissen zu-sammengetragen. Eine nächste Phase ist die Erfassungdes Risikos einer bestimmten Ereignisart, worauf dieBewusstseinsbildung und der Aufbau von Wissen beiInvolvierten und der Bevölkerung folgen. Idealerweisemündet das in ein „Mainstreaming“ der Klimaanpas-sung in politischen Plänen und Strategien. Die umge-setzten Anpassungsmaßnahmen sollten fortwährendbeobachtet und ihre Effektivität ausgewertet werden44.

Unter dem Begriff Anpassung oder Adaptation ver-steht man in Zusammenhang mit der Klimaveränderungdie anpassende Reaktion natürlicher und sozioökono-mischer Systeme an geschehende oder erwartete klimatische Veränderungen und deren Folgen. Ziel derAnpassung ist es, einerseits Schäden zu begrenzen, andererseits eventuelle Vorteile des Klimawandels zunutzen43. Der Anpassungsprozess verläuft in verschie-denen miteinander interagierenden Phasen. Zunächst

soll gegenwärtig in Deutschland beginnen. Zur Unter-stützung dieses Prozesses wurde im Oktober 2006 dasbeim Umweltbundesamt angesiedelte Kompetenzzen-trum Klimafolgen und Anpassung (KomPass) einge-weiht.46

Entsprechend der dargestellten erwarteten Klima-folgen zeigen sich die in Tabelle 6 gezeigten Hand-lungsfelder als besonders gewichtig. Sie könntenSchwerpunkte einer deutschen Anpassungsstrategiesein.

Kenntnis über die Art und das Ausmaß der Verände-rung für Deutschland liefert das MPI-M mit den vorlie-genden Szenarien bezüglich der veränderten Nieder-schlagsmuster und der Temperaturerhöhung. Der be-gonnenen Vulnerabilitätsanalyse zufolge sind die Sek-toren Wassermanagement, Forst- und Landwirtschaft,Gesundheit, Elektrizitätswirtschaft, Tourismus undVerkehr als dem Klimawandel gegenüber empfindlichbeurteilt worden45. Die nächste zentrale Phase der Planung und Umsetzung einer nachhaltigen nationalenAnpassungsstrategie an den begonnenen Klimawandel

Bewusstseinschaffen

Wissen schaffen

Risiko-bewertung

Auswertung

Umsetzung

MainstreamingKlimawandel inpol. Strategien

Abb. 14: Ganzheitlicher Anpassungsprozess an den KlimawandelQuelle: Verändert nach Warrick 2000

43 IPCC 2001b44 Warrick 2000

45 BMBF 200446 http://osiris.uba.de/gisudienste/Kompass 2006

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Quelle: Eigene, erweiterte Darstellung nach Wuppertal Institut 2004

Tabelle 6: Geplante Anpassungsmaßnahmen auf der Basis politischer Entscheidungen zueinzelnen Klimawandelfolgen und Verantwortlichkeit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Auswirkungen desKlimawandels

Beispiele für notwendigeAnpassungsmaßnahmen

Verantwortlichkeit

Meeresspiegelanstieg

Überschwemmungenan Flüssen

Hitzewellen

Starkniederschläge

Stürme

Gletscherschmelze

■ effektiver Küsten- und Erosionsschutz sowieHochwasserschutz gemäß erwarteter Küsten-veränderungen

■ Renaturierung von Flusslandschaften■ eingeschränkte Nutzung von Flussauen ■ Einbezug der Hochwassergefahren in infra-

strukturelle Planung■ Ausbau der Warnsysteme■ technischer Hochwasserschutz

■ effektives Wassermanagement mit Bewässe-rungsinfrastruktur

■ verbesserte Information über angepasstesVerhalten an die Bevölkerung

■ Kühlräume für gefährdete Personen

■ bessere Vorhersagen und Frühwarnsysteme■ Einbezug von Hangrutschrisiken in infrastruk-

turelle Planung

■ Stabilität der Infrastruktur verbessern■ verbesserte Warnsysteme

■ verstärkte Dämme und Hangbefestigungen■ Wassermanagement■ Lawinensicherung

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Anrainer (privat & kommerziell)■ Nutzer, etc.

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Anrainer (privat & kommerziell)■ Nutzer (Verkehrswesen, Fischerei, etc.)■ Wasserwirtschaft, etc.

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Bevölkerung■ Landwirtschaft■ Wasserwirtschaft■ Gesundheitssektor, etc.

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Landschafts- und Städteplaner, etc.

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Bauwirtschaft, etc.

■ Regierungen (Bund & Länder)■ Landwirtschaft■ Wasserwirtschaft■ Bevölkerung, etc.

Wassermanagement

lung und Rückgängigmachung von Flussbegradigungenstellen Hochwasserschutz an Flüssen und Anpassungs-methoden an erhöhte Hochwassergefahr im Zuge desKlimawandels dar.

Besonders schwierig erweist sich die Anpassung an dieVeränderung der von Gletschern gespeisten Flüsse.Denn zunächst wird die Gletscherschmelze zu verstärk-ten Überschwemmungen führen. Sind die Gletscheraber abgeschmolzen, tritt der gegenteilige Effekt ein:Flüsse führen mit entsprechenden Konsequenzen Nie-drigwasser. Um Nahrungsmittelsicherheit zu gewähr-leisten, müssen das Wassermanagement verbessertund Agrarprodukte wie Getreidesorten (weiter)ent-wickelt werden, damit sie auf Trockenheit flexibler reagieren. Gentechnisch veränderte Saatgüter stellenjedoch eine äußerst umstrittene Anpassungsmethodedar, da ihre möglichen gesundheitlichen Folgen derzeitnicht vollständig abgeschätzt werden können.

Die größte Herausforderung stellt, wie in Tabelle 6 demonstriert, das Wassermanagement in Deutschlanddar. Sowohl der Meeresspiegelanstieg, Hochwasser,Hitzewellen, Starkniederschläge wie auch die Glet-scherschmelze beeinflussen den Wasserhaushalt.Gleichzeitig sind Wasservorrat und -qualität ausschlag-gebend für Land- und Forstwirtschaft, Biodiversität,menschliche Gesundheit, Energieversorgung und denSchiffsverkehr. Während vor allem der Osten Deutsch-lands mit dem fortschreitenden Klimawandel unterTrockenheit und Wassermangel zu leiden haben wird,werden hauptsächlich größere Flüsse wegen der Glet-scherschmelze zunächst häufiger von Überschwem-mungen bedroht werden, und die Küstenregionen wer-den gegen Sturmfluten kämpfen müssen. Wasser mussdaher mancherorts gespeichert und die Vorräte müs-sen über das Jahr verteilt für Landwirtschaft, Industrieund Privathaushalte zur Verfügung gestellt werden. Andernorts muss Wasser gestaut werden, um Über-schwemmungen zu verhindern. Auch Bodenentsiege-

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Die Zukunft der marinen Ökosysteme sowie die Nut-zungsmöglichkeiten der Meere durch den Menschenhängen stark von der Wirksamkeit des Klimaschutzesab. Parallel zur Minderung der Klimaveränderung unddamit des Meeresspiegelanstiegs muss aktive Anpas-sung an den steigenden Meeresspiegel und vermehrtauftretende Sturmfluten geleistet werden. Neben derStärkung der Widerstandsfähigkeit der Meeresöko-systeme als Anpassungsmaßnahme der Natur an dieKlimawandelfolgen ist der integrierte Küstenschutzein zentraler Ansatz, um auch anthropogene Systemedem Wandel anzupassen. Schützende Anpassungs-maßnahmen, seien es technische Verbesserungen undInnovationen, politische Strukturen oder Verhaltens-änderungen, gibt es zahlreiche. Sie reichen vom Bauhöherer Deiche und zweiter Deichlinien über das Errichten von teuren Sperrwerken gegen Sturmfluten-gefahren bis zum Anlegen von Überschwemmungs-gebieten wie Salzwiesen, die Raum für den Küsten-rückgang oder Küstenschutz reservieren.

Künstliche Sandzufuhr zur Erosionsbekämpfung istuns z. B. von der Insel Sylt bereits bekannt. Die Um-stellung auf nachhaltige Landnutzung durch optimaleBewässerung und Bodennutzung sollte selbstver-ständlich sein. Das Einrichten von Off-Shore-Häfen z. B. vor Hamburg und Bremen, damit Flüsse nicht weiter vertieft werden müssen, ist dahingegen einebislang noch ungewöhnlichere Maßnahme. Weiterkönnte man die Verantwortung der Deichinstandhal-tung neu verteilen, so dass nicht nur Bund und Länder,sondern gegebenenfalls auch Anlieger und Emittentenentsprechend dem Verursacherprinzip zur Kosten-übernahme verpflichtet werden. Schließlich bleibt alsletzte Möglichkeit der Rückzug aus überflutungsge-fährdeten Küstengebieten.

Experten gehen davon aus, dass der Meeresspiegelan-stieg eine starke Kostenerhöhung für den Küsten-schutz mit sich bringen wird, will man die heutigen Sicherheitsstandards beibehalten. Schon auf relativkleinen Küstenabschnitten können dadurch hohe Kos-ten entstehen, wie folgende Beispiele zeigen. Für dasGebiet Wangerland rechnet das KRIM-Projekt (Klima-wandel und präventives Risiko- und Küstenschutzma-nagement an der deutschen Nordseeküste) mit Kosten

von ca. 10 Mio. Euro für Deicherhöhungen um 0,75 müber 28 km Länge. Eine zweite Deichlinie von 3 m Hö-he und 17 km Länge würde ca. 20 Mio. Euro kosten. ImFall von Sylt geht man bei einem Meeresspiegelan-stieg von nur 25cm davon aus, dass man die Insel durchSandvorspülungen sichern könnte. Die Kosten für diese Vorspülungen wurden für Sylts Westküste auf 33Mio. Euro bis 2050 beziffert47. Allerdings kann diese„weiche“ Schutzmaßnahme durch heftige Stürmeoder Sturmfluten stark beschädigt werden und damitdie Wirkung der Investitionen in kurzer Zeit zunichtegemacht werden. Des Weiteren muss der Wert des Ge-bäudebestands in den Regionen, die von Meeresspie-gelanstieg und vermehrten Sturmfluten betroffen seinkönnten, vom Finanz- und Versicherungssektor neuberechnet werden. Zudem bleibt die Zuständigkeits-frage ungeklärt. Dazu gehört auch die Frage, ob sichBundesländer ohne Küstenanteil weiterhin finanziellam Küstenschutz beteiligen oder ob die Küstenländereinzig für den Küstenschutz verantwortlich gemachtwerden.

Abgesehen von der Finanzierung treten weitere Pro-bleme auf, denn die einzelnen Anpassungsmaßnah-men bergen großes Konfliktpotential zwischen denverschiedenen involvierten Interessengruppen: Natur-schützer fordern natürliche Buchten, Krabbenfischerdagegen freie Durchfahrten zum offenen Meer, dieTourismusbranche baut auf hübsche Häfen und Bauernbenötigen Entwässerungskanäle. Deshalb muss in einem integrierten Küstenzonenmanagement auchKonfliktmanagement inbegriffen sein48.

Essentiell ist es jedoch vor allem, die neusten For-schungsergebnisse zum Ausmaß des Meeresspiegel-anstiegs bei allen Anpassungsmaßnahmen zu Grundezu legen, auch wenn diese in den Berichten des IPCCnoch nicht enthalten sind. Um für einen Meeres-spiegelanstieg von 1,80 m vorzusorgen, reicht eine Deicherhöhung um "nur" 1,80 m nicht aus, da weitereEffekte für erhöhte Tiden sorgen. In diesem Fall müssten die Deiche um ca. 2,50 bis 3 Meter erhöht unddamit bis zu zehn Meter verbreitert werden, um dieBevölkerung der überflutungsgefährdeten Küsten-niederungen zu schützen.

Info-Kasten 7: Integrierter Küstenschutz zur Anpassung an den Klimawandel

47 WBGU 200648 BMU 2006

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Abgesehen von diesen Ungewissheiten bestehen wei-tere Schwierigkeiten in der■ Geschwindigkeit der Veränderungen,■ Übertragung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in

politische Entscheidungen,■ Komplexität und Verflochtenheit der Handlungs-

ebenen von lokal bis global,■ Interessenkonflikte zwischen involvierten Akteuren,■ Frage um die Entscheidungs- und Kostenträger,■ Umsetzbarkeit und Realitätssinn erster Anpassungs-

maßnahmen und■ Gefahr von „one-size-fits-all“-Denkweise50.

Auf globaler Ebene existieren bereits erste Finanzie-rungsmechanismen wie der im Kyoto-Protokoll veran-kerte Adaptation-Fonds, der Anpassungsprojekte und-programme in Entwicklungsländern finanzieren soll.Wie die Kosten der nationalen Adaptation in Deutsch-land verteilt werden sollen, ist noch nicht entschieden.Bisher sind die Kosten des Küstenschutzes beispiels-weise auf den Bund und alle Bundesländer verteilt. Obdie Binnenländer sich aber auf Dauer und bei deutlichsteigenden Kosten weiterhin im gleichen Verhältnis andem angepassten Küstenschutz beteiligen werden, istsicherlich fraglich. Der Klimawandel wird vermutlichauch von dieser Seite her verteilungspolitische Debat-ten anstoßen. Zentral für die Finanzierung wird sein,durch Umsetzung des Verursacherprinzips die Treib-hausgasemittenten zumindest zur Teilfinanzierung derAnpassungsmaßnahmen und Schäden heranzuziehen.Eine Möglichkeit ist z. B., die Zertifikate im Rahmendes EU-Emissionshandels zu versteigern und den Erlöseinem entsprechendem Versicherungsfonds zuzu-führen.

Im Rahmen der Anpassung spielt auch die Bewusst-seinsbildung für die drohenden Gefahren und even-tuellen Vorteile des Klimawandels bei Entscheidungs-trägern und in der Öffentlichkeit eine Rolle. Zu diesemBewusstsein gehört auch Wissen über den vernünf-tigen Umgang mit den vielen Unsicherheiten des Klimawandels und der zukünftigen Entwicklungen.Denn trotz Unsicherheiten kann mit der Anpassungnicht abgewartet werden, sondern Realitätssinn undFlexibilität sind heute wie morgen Voraussetzung fürnachhaltige Adaptationsstrategien. Zudem muss er-kannt werden, dass Adaptation eine gesamtgesell-schaftliche Herausforderung ist.

Nicht nur politische Entscheidungsträger und Treib-hausgas ausstoßende Industrien sind für die erfolgrei-che Umsetzung der Anpassungsschritte verantwort-lich, sondern ebenfalls Verwaltung, Medien, Umwelt-verbände, Bildung, Forschung sowie jeder einzelneMitbürger sind zur aktiven Mitgestaltung der Anpas-sung verpflichtet. Zum Dialog dieser Akteure solltenNetzwerke geschaffen werden, die die Zusammen-arbeit der Akteure ebenso wie den Austausch mit an-deren Ländern vereinfacht49. Entscheidend ist die Zu-sammenarbeit der einzelnen Sektoren, Akteure, Stake-holder und Politikfelder auf lokaler, regionaler, natio-naler und globaler Ebene mit gemeinsamem Ziel.

Auch aufgrund dieser Komplexität wurden Anpas-sungsmaßnahmen bisher noch nirgendwo hundert-prozentig erfolgreich umgesetzt, und niemand wird behaupten, die Anpassung sei eine simple Aufgabe.Wie passt man sich schon einem ständigen Wandel an,über den zudem noch große Unsicherheit besteht?

Das Klima Nordrhein-Westfalens ist durch den Rhein-graben und die Nähe zum Atlantik bedingt relativ mild.Hier beträgt die Durchschnittstemperatur heutzutage9,1 °C, womit sie ca. 1 °C über Deutschlands Durch-schnitt liegt. Durch die Nähe zum Atlantik ist auch derNiederschlag mit 876 mm pro Jahr höher als in denmeisten anderen Gebieten Deutschlands.

Nach Angaben der Klimaszenarien des MPI-M entspre-chen sowohl die Trends der Temperatur- als auch dieNiederschlagsveränderungen bis 2100 in NRW denen

der Bundesrepublik, nämlich Temperaturanstieg undVerlagerung des Niederschlages in die Wintermonate.Es ist jedoch zu bemerken, dass die Veränderungen in NRW im Vergleich zum übrigen Deutschland unterdurchschnittlich ausfallen könnten. Die Tem-peratur könnte demnach im Winter in NRW um ca. 2,3bis 3,5 °C ansteigen (Abb. 4), in anderen GebietenDeutschlands um 3 bis über 4 °C. Die Niederschlägekönnten sich im Sommer um ca. 10-20 % vermindernund im Winter um 11 bis 24 % ansteigen (Abb. 6 so-wie Tabelle 7), während die Veränderungen in anderen

Exkurs: Auswirkungen des Klimawandels auf NRW & NRWs Adaptationsmaßnahmen

49 PIK 200550 Dietz 2006

Herausforderungen

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Regionen Deutschlands bis zu 50 % betragen können.Zu verdanken sind diese angenommenen geringerenVeränderungen der Nähe zum Atlantik, der ausglei-chend wirkt.

Schon heute beginnt in NRW die Apfelblüte neun Tagefrüher als in der vorindustriellen Zeit. Die Verlänge-rung der Vegetationszeiten beträgt ebenfalls ca. neunTage und auch das Eindringen neuer Tier- und Pflan-zenarten wurde beobachtet: Wespenspinne, Dornfin-gerspinne, Robinien und Schmetterlingsstrauch fühlensich zunehmend wohl in NRW. Die wahrscheinlich imWinter stark zunehmenden Niederschläge in Süd-deutschland nähren den Rhein, was auch in NRW inKombination mit vermehrter Gletscherschmelze zuhäufigeren Hochwassersituationen führen könnte.Diese werden aber abnehmen, sobald die Alpenglet-scher weitgehend geschmolzen sind und den Rheinnicht mehr mit Schmelzwasser speisen – also schon inzwei Jahrzehnten. Daraufhin droht dem Rhein Niedrig-wasser, was Nutz- und Trinkwasserknappheit bedeu-tet und die Schifffahrt einschränkt, wie schon bei denHitzewellen der letzten Jahre beobachtet. Problema-tisch für die Anpassungsstrategie ist, dass zunächstvor allem verstärkter Hochwasserschutz, später dannin erster Linie Anpassung an Niedrigwasserstände not-

wendig sein könnte. Außer den Rheinpegelschwan-kungen sind in NRW Starkniederschläge, Hitzewellenund Tornados zu erwarten – wie auch im übrigenDeutschland.

Anpassung geschieht bereits im Sektor der Wasser-wirtschaft: Die Emschergenossenschaft betreibt Renaturierung von Flüssen und Bächen, Auen werdenausgeweitet, und Talsperreneinsatz bei Hochwasserist geplant. Gefordert wird eine Umkehr des Trendsvon Versieglung hin zu Entsieglung. Maßnahmen zurBewusstseinsbildung wurden begonnen. Zumeist be-finden sich die Anpassungsaktivitäten auch in NRWnoch in der Planungsphase oder höchstens im frühenStadium der Umsetzung. Auch hier sind Entschei-dungs- und Kostenträger oft noch nicht identifiziert.Ein erstes Hintergrundpapier zur Anpassungsstrategiein NRW soll im Frühjahr 2007 vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vor-gelegt werden, das die momentane Situation in NRW(Klimatrends, konkret feststellbare Veränderungen für Vegetation, Wasser, Boden, Naturschutz) erfasst. Daraus soll dann eine Strategie entwickelt werden, die Forschungsbedarf und Handlungsempfehlungenableitet und in die Umsetzung bringt.

Jahresdurchschnitt Anstieg um 1,8 bis 2,9 °C

Temperatur Sommer Anstieg um 2 bis 3,2 °C

Winter Anstieg um 2,3 bis 3,5 °C

Jahresdurchschnitt Anstieg um 5 bis 10 %

Niederschlag Sommer Abnahme um 10 bis 16 %

Winter Anstieg um 11 bis 24 %

Quelle: MPI-M 2006

Tabelle 7: Veränderungen von Temperatur und Niederschlag bis 2100 in NRW

Fazit

annimmt, die sich auch durch Anpassung nicht mehr bewältigen lassen. Minderung des Klimawandels undAnpassung – also Bewältigung der unvermeidbarenKonsequenzen des Klimawandels – müssen daher Handin Hand gehen. Hierzu gilt es, mit allen beteiligten Akteuren wie Politik, Industrie, Gesellschaft, NROs,etc. gemeinsame Ziele auf der Grundlage der jüngstenForschungsergebnisse zu erarbeiten und zu verfolgen.

Klimawandel geschieht nicht nur in anderen Teilen derWelt, sondern auch hier in Deutschland – und zwar heute. Die Veränderungen von Temperaturverhältnis-sen und Niederschlagsmustern haben zum Teil auch beiuns starke Auswirkungen auf verschiedenste Sektoren.Eine Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels ist möglich und sinnvoll. Es ist alles dar-an zu setzen, dass der Klimawandel keine Dimensionen

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Februar 2007

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