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Auswirkungen von demographischen Entwicklungen auf die berufiche Ausbildung

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Auswirkungen von demographischen Entwicklungen auf die berufliche Ausbildung

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Die Berufsbildungsforschungsinitiative des BMBF

Zur Stärkung der Attraktivität und Zukunftsfähigkeit des Berufsbildungssystems sowie zur Erhöhung der Integrationschancen von Jugendlichen an der ersten und zweiten Schwelle bedarf es einer konsistenten und konsequenten Berufsbildungspolitik. Mit Blick auf die Komplexität der für die Berufsbildungspolitik entscheidungsbeeinflussenden Faktoren und Rahmen-bedingungen sollen die Erkenntnisse der Berufsbil-dungsforschung eine Grundlage für die politische Entscheidungsfindung sein.

Die im Jahr 2006 gestartete Initiative des BMBF un-terstützt durch das Bundesinstitut für Berufsbildung orientiert sich kontinuierlich in seiner inhaltlichen Ausrichtung an programmatischen bildungspoli-tischen Anforderungen. Das Ziel der im Rahmen der Berufsbildungsforschungsinitiative durchgeführten Forschungsvorhaben ist es, Informationen, Daten und Vorschläge in Form von Expertisen und empirischen Untersuchungen für bildungspolitisches Handeln zu generieren. Darüber hinaus soll diese Initiative zu einer Intensivierung der Kommunikation zwischen Wissen-schaft und Politik beitragen.

Impressum

Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Grundsatzfragen der beruflichen Bildung 53170 Bonn

Bestellungen

Schriftlich an den Herausgeber Postfach 30 02 35 53182 Bonn

oder per Tel.: 01805 - 262 302 Fax: 01805 - 262 303 (0,14 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz)

E-Mail: [email protected] Internet: http://www.bmbf.de

Gestaltung Hauke Sturm Design, Berlin

Produktion W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld

Bonn, Berlin 2009

Autoren Dr. Iris Pfeiffer Simone Kaiser

Prognos AG, Berlin Geschäftsführer: Christian Böllhoff Goethestraße 85 10623 Berlin Tel.: +49 30 52 00 59-200 Fax: +49 30 52 00 59-201 www.prognos.com E-Mail: [email protected]

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InHAlT �

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis..................................................................................................................................................................................................�

Abbildungsverzeichnis......................................................................................................................................................................................... 4

Tabellenverzeichnis .............................................................................................................................................................................................. 6

Zusammenfassung.................................................................................................................................................................................................7

� Ziele und Herangehensweise................................................................................................................................................................... ��

1.1 Zielsetzung des Projektes .......................................................................................................................................................................111.2 Projektdesign........................................................................................................................................................................................... 121.3 Trendanalyse und Trenddarstellung ................................................................................................................................................... 121.4 Delphi-Befragung ................................................................................................................................................................................... 131.5 Szenarioanalyse....................................................................................................................................................................................... 14

2 Gesellschaftspolitischer Hintergrund....................................................................................................................................................�6

2.1 Wandel zur Wissensgesellschaft.......................................................................................................................................................... 162.2 Demographischer Wandel .................................................................................................................................................................... 182.3 Globalisierung und Internationalisierung......................................................................................................................................... 192.4 Neue Technologien................................................................................................................................................................................. 21

3 Konsequenzen des gesellschaftspolitischen Wandels für die berufliche Ausbildung................................................................. 22

3.1 Konsequenzen des gesellschaftspolitischen Wandels aus Sicht der Experten ........................................................................... 25

4 Ausbildungsanfänger in Deutschland...................................................................................................................................................29

4.1 Mittelfristige Entwicklungen................................................................................................................................................................ 314.2 Herausforderungen und Perspektiven .............................................................................................................................................. 324.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung ....................................................................................................................................................... 32

5 Die Situation der Bildungsanbieter.......................................................................................................................................................34

5.1 Mittelfristige Entwicklungen............................................................................................................................................................... 365.2 Herausforderungen und Perspektiven ...............................................................................................................................................375.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung ....................................................................................................................................................... 38

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6 Angebot an dualen Ausbildungsplätzen ...............................................................................................................................................4�

6.1 Mittelfristige Entwicklungen............................................................................................................................................................... 426.2 Herausforderungen und Perspektiven .............................................................................................................................................. 436.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung ....................................................................................................................................................... 44

7 Verwertbarkeit beruflicher Ausbildung ...............................................................................................................................................46

7.1 Mittelfristige Entwicklungen............................................................................................................................................................... 497.2 Herausforderungen und Perspektiven .............................................................................................................................................. 507.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung ........................................................................................................................................................ 51

8 Organisation beruflicher Bildung .......................................................................................................................................................... 53

8.1 Mittelfristige Entwicklungen............................................................................................................................................................... 558.2 Herausforderungen und Perspektiven .............................................................................................................................................. 568.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung ........................................................................................................................................................57

9 Szenarien Zeitraum 20�6–2025 ..............................................................................................................................................................60

9.1 Variante I: Angebot und Nachfrage stehen in einem ausgewogenen Verhältnis ....................................................................... 619.1.1 Beschreibung des Szenarios..................................................................................................................................................... 619.1.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren ......................................................................................................... 639.1.3 Zentrale Einflussfaktoren auf die berufliche Ausbildung ................................................................................................. 639.1.4 Empfehlungen für das Szenario 2016–2025: „Trotz umfangreicher Reformen sinkende

Ausbildungsbeteiligung von Unternehmen“...................................................................................................................... 64

9.2 Variante II: Das Angebot an Ausbildungsplätzen übersteigt deutlich die Nachfrage............................................................... 659.2.1 Beschreibung des Szenarios.................................................................................................................................................... 659.2.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren ......................................................................................................... 679.2.3 Zentrale Einflussfaktoren auf die berufliche Ausbildung ................................................................................................. 679.2.4 Empfehlungen für das Szenario 2016–2025: „Vielfalt der Ausbildung als Strategie gegen

den Fachkräftemangel“........................................................................................................................................................... 68

9.3 Variante III: Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen übersteigt deutlich das Angebot ......................................................... 699.3.1 Beschreibung des Szenarios.................................................................................................................................................... 699.3.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren .......................................................................................................... 719.3.3 Zentrale Einflussfaktoren auf die berufliche Ausbildung .................................................................................................. 719.3.4 Empfehlungen für das Szenario 2016–2025: „Duale Ausbildung verliert im Wettbewerb“.........................................72

�0 Übergreifende Empfehlungen für eine zukunftsfähige berufliche Ausbildung............................................................................ 73

10.1 Stärkere Verzahnung zwischen dualer Ausbildung und Hochschule ...........................................................................................7310.1.1 Befund .........................................................................................................................................................................................7310.1.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................73

10.2 Integration in die berufliche Ausbildung durch Basisqualifikation und Durchlässigkeit verbessern ....................................7410.2.1 Befund .........................................................................................................................................................................................7410.2.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................74

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10.3 Flächendeckender Aufbau branchenspezifischer regionaler Aus- und Weiterbildungszentren ............................................7510.3.1 Befund .........................................................................................................................................................................................7510.3.2 Empfehlung ............................................................................................................................................................................... 76

10.4 Mobilität von Jugendlichen erhöhen ................................................................................................................................................. 7610.4.1 Befund ........................................................................................................................................................................................ 7610.4.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................77

10.5 Neue Instrumente zur Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung..........................................................................7710.5.1 Befund .........................................................................................................................................................................................7710.5.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................77

10.6 Förderung der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund .................................................................................7810.6.1 Befund .........................................................................................................................................................................................7810.6.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................78

10.7 Sicherung einer bedarfsgerechten Ausbildungsinfrastruktur ...................................................................................................... 7910.7.1 Befund ........................................................................................................................................................................................ 7910.7.2 Empfehlung ............................................................................................................................................................................... 79

10.8 Systematisierung von Angeboten zur Bildungsberatung und Berufswahl ................................................................................. 8010.8.1 Befund ........................................................................................................................................................................................ 8010.8.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................ 81

10.9 Qualität und Transparenz von Ausbildungsangeboten sichern..................................................................................................... 8110.9.1 Befund ......................................................................................................................................................................................... 8110.9.2 Empfehlung ................................................................................................................................................................................ 81

�� literatur......................................................................................................................................................................................................83

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4 ABBIlDunGSVErZEIcHnIS

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Arbeitsschritte im Projekt.......................................................................................................................................................11

Abbildung 2: Angebots-Nachfrage-Relationen ................................................................................................................................................ 12

Abbildung 3: Einflussfaktoren der Arbeitswelt................................................................................................................................................. 16

Abbildung 4: Arbeitsplätze in Deutschland – Entwicklung nach Tätigkeiten 1995 – 2010 (in %) .............................................................. 17

Abbildung 5: Arbeitsplätze in Deutschland – Entwicklung nach Qualifikationsniveau 1995 – 2010 (in %) ............................................ 17

Abbildung 6: Erwerbspersonenpotenzial nach Altersklassen ....................................................................................................................... 19

Abbildung 7: Entwicklung der Beschäftigung nach Qualifikation .............................................................................................................. 20

Abbildung 8: Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse in der beruflichen Ausbildung ................................................... 26

Abbildung 9: Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der beruflichen Ausbildung ..................................27

Abbildung 10: Privatisierung von Einrichtungen beruflicher Ausbildung ...................................................................................................27

Abbildung 11: Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Integrationschancen bildungsferner Ausbildungsbewerber.................................................................................................................................................................. 28

Abbildung 12: Bildungsabschlüsse von Absolventen allgemeinbildender Schulen im Jahr 2007............................................................ 29

Abbildung 13: Konkurrenzverhältnis akademischer und beruflicher Bildung ........................................................................................... 33

Abbildung 14: Systematisierung des Systems der beruflichen Ausbildung.................................................................................................. 34

Abbildung 15: Zukunftsperspektiven von Bildungsdienstleistern ................................................................................................................ 39

Abbildung 16: Infrastrukturrückbau nach Regionen ....................................................................................................................................... 40

Abbildung 17: Zukünftige Bedeutung des Übergangssystems....................................................................................................................... 40

Abbildung 18: Kooperation und Konkurrenz in der beruflichen Ausbildung ............................................................................................. 44

Abbildung 19: Zukünftige Bedeutung der Verbundausbildung .................................................................................................................... 45

Abbildung 20: Entwicklung der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge, absolut, 2000 bis 2005.......................................................... 46

Abbildung 21: Berufswechselquoten................................................................................................................................................................... 48

Abbildung 22: Arbeitsmarktungleichgewichte................................................................................................................................................. 49

Abbildung 23: Zusammenhang zwischen Fachkräftemangel und Verwertbarkeit der beruflichen Ausbildung.................................. 51

Abbildung 24: Verwertbarkeit schulischer Ausbildungsformen.................................................................................................................... 52

Abbildung 25: Bildungsausgaben im dualen System nach Finanzierungsträgern 2006 ........................................................................... 55

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5 ABBIlDunGSVErZEIcHnIS

Abbildung 26: Ausmaß von Modularisierung in der beruflichen Ausbildung..............................................................................................57

Abbildung 27: Europäische Vergleichbarkeit beruflicher Bildung................................................................................................................ 58

Abbildung 28: Strukturelle Veränderungen beruflicher Bildung .................................................................................................................. 58

Abbildung 29: Lernformen in der beruflichen Ausbildung ............................................................................................................................. 59

Abbildung 30: Übersicht der Deskriptoren......................................................................................................................................................... 63

Abbildung 31: Übersicht der Deskriptoren......................................................................................................................................................... 67

Abbildung 32: Übersicht der Deskriptoren.......................................................................................................................................................... 71

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6 TABEllEnVErZEIcHnIS

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ausgewählte Deskriptoren und jeweilige Ausprägungen ............................................................................................................. 14

Tabelle 2: Bevölkerung Deutschlands nach Altersklassen, ausgewählte Jahre............................................................................................ 18

Tabelle 3: Einnahmen und Ausgaben der Gebietskörperschaften, absolut und Veränderung in % p.a., 2004 bis 2030 ....................... 24

Tabelle 4: Entwicklung der deutschen Studienanfänger seit 2000................................................................................................................ 30

Tabelle 5: Übergangsquote von der Schule an die Hochschule in Deutschland .......................................................................................... 30

Tabelle 6: Neueintritte in das berufliche Bildungssystem ............................................................................................................................... 35

Tabelle 7: Beschäftigte, Auszubildende und Ausbildungsquote .................................................................................................................... 42

Tabelle 8: Betriebe, Ausbildungsbetriebe und Ausbildungsbetriebsquote .................................................................................................. 42

Tabelle 9: Ausbildungsbetriebsquote für Deutschland nach Betriebsgröße................................................................................................ 43

Tabelle 10: Lösungsquoten in %, 2000 bis 2005 .....................................................................................................................................................47

Tabelle 11: Übernahmequoten nach Betriebsgrößen......................................................................................................................................... 48

Tabelle 12: Bruttoinlandsprodukt und Hauptverwendungskomponenten, absolut und Veränderung in %, 2004–2030 ..................... 50

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Zusammenfassung

Auftrag und Methode

Mit der vorliegenden Studie werden Trends und Szenarien für die berufliche Bildung für den Zeitraum von heute bis 2035 vorgestellt. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sollen dabei die folgenden Konstellationen am Ausbildungsmarkt berücksichtigt werden:

Das Angebot an Ausbildungsplätzen übersteigt die Nach-frage.

Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen übersteigt das Angebot.

Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen sind ausgewogen.

Dabei sollen sich die Szenarien auf drei unterschiedliche Zeiträume beziehen:

1) Heute bis 2015: In diesem Zeitraum wird der Wendepunkt bei der Zahl der Schulabsolventen erreicht.

2) 2015 bis 2025: In diesem Zeitraum wird das Minimum der Schulabsolventen erreicht.

3) 2025 bis 2035: In diesem Zeitraum wird der Wendepunkt bei der Zahl der Erwerbstätigen erreicht.

Für die Entwicklung der Szenarien wurden drei Arbeitsschritte durchgeführt:

1) Trendanalysen, die Entwicklungen der Vergangenheit betrachten und diese weiter fortschreiben. Dabei werden mögliche Trendbrüche in die Überlegungen zur Fortschrei-bung einbezogen.

2) Delphi-Befragung von Experten der beruflichen Bildung aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Bildungseinrich-tungen, die anhand von ausgewählten Thesen zukünftige Entwicklungen der beruflichen Bildung bewerten und zeitlich einordnen.

3) Entwicklung von 12 Zukunftsszenarien, die für die vorgege-benen Konstellationen zum Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen mit ausgewählten Indikatoren systematisch entwickelt werden.

Entwicklung zentraler Rahmenbedingungen

Die Zukunft der beruflichen Bildung ist vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels zu sehen. Vier zentrale Entwicklungen prägen Deutschland in den nächsten Jahren:

Der Strukturwandel wird eine starke strukturelle Verschie-bung der Beschäftigung nach sich ziehen und die Beschäfti-gung in Dienstleistungsberufen stärken. Für die berufliche Bildung bedeutet dies, mit dynamischen Entwicklungen im Hinblick auf Kompetenz- und Tätigkeitsprofile umgehen zu müssen, die zugleich eine deutlich stärkere Leistungsdifferen-zierung erfordern als bislang.

Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl der ausbildungsberechtigten Jugendlichen deutlich zurückgehen, und zwar um knapp 1,5 Millionen (20%) bis 2035. Diese Entwicklungen treten regional unterschiedlich und zeitlich versetzt auf. Neben Auswirkungen auf den Bedarf an Infrastruktur wird es zu einem Fachkräftemangel kommen, dessen Konsequenzen kontrovers diskutiert werden.

Die Globalisierung führt zu steigenden Anforderungen an die Internationalisierung der Unternehmen und geht mit einer zunehmenden Bedeutung von Abstimmungsprozessen auf europäischer Ebene einher. Gleichzeitig wird die interna-tionale Mobilität von Jugendlichen zunehmen, was sowohl die Auswanderung als auch die Einwanderung betrifft und damit neue Anforderungen an interkulturelle Kompetenzen sowie den Umgang mit Migranten stellt.

Die technologische Entwicklung prägt einerseits die Branchen und Tätigkeitsfelder der Beschäftigten und wirkt andererseits unmittelbar auf die Ausgestaltung der Ausbil-dung selbst. Verbunden wird dies insbesondere mit steigenden Leistungsanforderungen.

Vor dem Hintergrund der genannten Rahmenbedin-gungen werden zukünftige Entwicklungen in folgenden Bereichen der beruflichen Bildung analysiert:

Zahl der Ausbildungsanfänger und Veränderungen in ihrer Bildungsentscheidung

Die Zahl der Jugendlichen, die dem Ausbildungsmarkt potenziell zur Verfügung stehen, wird demographisch bedingt zurückgehen. Bis 2030 schrumpft die Altersgrup-

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pe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 17 und 25 Jahren – diejenige Altersgruppe, die die Ausbil-dungsplatznachfrage im Wesentlichen bestimmt – um rund ein Fünftel. Gleichzeitig verändert sich die Bildungs-entscheidung der Jugendlichen. Der Trend zu höheren Schulabschlüssen hält an, gleichzeitig erhöhen die Stu-diengangsreformen des Bologna-Prozesses die Attrakti-vität einer akademischen Ausbildung. Die Konkurrenz zwischen dualer Ausbildung und Hochschulausbildung um den Fachkräftenachwuchs nimmt vor diesem Hinter-grund zu.

Anpassungs- und Modernisierungsbedarf für die Bildungs-anbieter in den einzelnen Säulen des Systems beruflicher Bildung

Veränderte sozioökonomische Rahmenbedingungen machen quantitative und qualitative Anpassungen innerhalb des Systems der beruflichen Bildung notwen-dig. Auf der quantitativen Seite wird der Rückbau von Infrastruktur notwendig werden. Auszubildende werden daher häufiger als bisher in bundes- oder landesweiten Fachklassen gebündelt werden. In qualitativer Hinsicht ergeben sich neue Herausforderungen für die Bildungs-dienstleister insbesondere durch eine höhere Autonomie und Verantwortung der regionalen Akteure. Dezentrale Steuerungs- und Koordinierungsmechanismen gewinnen an Bedeutung. Bildungsdienstleister, die bisher bspw. im Rahmen der außerbetrieblichen Ausbildung innerhalb des Übergangssystems tätig waren, sind von dieser Entwick-lung besonders betroffen. Sinkende Schülerzahlen werden zu einer Verkleinerung des Übergangssystems führen. Bildungsanbieter in diesem Bildungsbereich müssen vor diesem Hintergrund neue Märkte erschließen, wollen sie ihren Bestand zukünftig sichern.

Zahl und Art der angebotenen dualen Ausbildungsplätze sowie Formen der betrieblichen Zusammenarbeit in der dualen Ausbildung

Das unternehmerische Verhalten wird durch den erwart-baren Fachkräftemangel kaum beeinflusst. Die Ausbil-dungsbereitschaft bleibt im Wesentlichen stabil. Dies betrifft auch die qualifikatorischen Anforderungen an den Fachkräftenachwuchs. Sind Ausbildungsanfänger nicht ausreichend qualifiziert, werden sie auch trotz Fachkräf-temangel nicht eingestellt. Eher bleiben Ausbildungs-plätze unbesetzt. Deutlich verändern wird sich jedoch das Verhältnis ausbildender Unternehmen untereinander. Die Konkurrenz um geeignete Auszubildende macht eine Zusammenarbeit der Unternehmen in der Ausbildung bspw. im Rahmen von Verbundausbildungen oder in über-betrieblichen Bildungsstätten unwahrscheinlicher.

Zukünftige Verwertbarkeit beruflicher Ausbildung für die Unternehmen vor dem Hintergrund einer zuneh-menden Konkurrenz um Fachkräfte und gestiegener Flexibilitätsanforderungen

Veränderte ökonomische Rahmenbedingungen können die Verwertbarkeit der beruflichen Ausbildung für die Unternehmen verringern: Berufliche Qualifikationen können schneller veralten, flexiblere Arbeitnehmer die Dynamik von Arbeitsplatz- und Berufswechsel erhöhen. Dennoch reduzieren sich die Einstellungs- und Übernah-mechancen für Auszubildende dadurch nicht. Im Gegen-teil werden sich Einstellungs- und Übernahmechancen für ausreichend qualifizierten Fachkräftenachwuchs sogar erhöhen. Diese Entwicklung ist jedoch an eine Vorausset-zung gebunden: Die Dualität der beruflichen Ausbildung bleibt auch bei einer formalen Gleichstellung schulischer Ausbildungsformen eine wesentliche Voraussetzung für den Arbeitsmarkterfolg.

Organisation beruflicher Bildung in einem einheitlichen europäischen Bildungsraum

Ein einheitlicher europäischer Bildungsraum wird mittel-fristig für die berufliche Ausbildung erreicht werden: Die Vergleichbarkeit und Anerkennung beruflicher Qualifi-kationen wird sich deutlich erhöhen. EU-weite Vorgaben zu beruflichen Kompetenzen werden hierfür das zentrale Instrument darstellen. Durch die stärkere Kompetenzori-entierung werden informelle Formen des Lernens nicht nur für die Gestaltung der lebenslangen Bildungsbiogra-phie immer wichtiger, sondern gewinnen auch in der beruflichen Ausbildung an Bedeutung.

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Szenarien

Die zukünftigen Entwicklungen in diesen Schwerpunkt-bereichen sind nicht unabhängig voneinander zu betrach-ten, da sie in komplexen Wirkungszusammenhängen zueinander stehen. Die Szenarien berücksichtigen diese Wirkungszusammenhänge und beschreiben auf der Grund-lagen unterschiedlicher Annahmen zu den Angebots- und Nachfrageverhältnissen auf dem Ausbildungsmarkt für drei Betrachtungszeiträume kohärente Zukunftsoptionen für die unterschiedlichen Bereiche beruflicher Bildung.

Beispielhaft werden drei Szenarien für den Zeitraum von 2016 bis 2025 dargestellt.

Szenario � – Trotz umfangreicher reformen sinken-de Ausbildungsbeteiligung von unternehmen (Angebot und nachfrage stehen in einem ausge-wogenen Verhältnis)

Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen entwickeln sich in einer wirtschaftlich wenig dynamischen Zeit parallel rückläufig. Der Rückgang der Schulabsolventen geht einher mit einer Rückbesinnung der Unternehmen auf die Weiterbil-dung vorhandener Fachkräfte und die vermehrte Einstellung von Hochschulabsolventen.

Die Anforderungen an die duale Ausbildung sind deutlich gestiegen. Mit entsprechenden schulischen Reformen und er-heblichen Investitionen in die berufliche Ausbildung ist es je-doch gelungen, diesen Anforderungen erfolgreich zu begegnen.

Dennoch können nicht alle Jugendlichen in gleichem Maße vom ausgeglichenen Ausbildungsmarkt profitieren: Jugendli-che mit Migrationshintergrund gehören auch mittelfristig zu den benachteiligten Gruppen am Ausbildungsmarkt. Ähn-liches gilt für Frauen in technischen und naturwissenschaft-lichen Berufen. Trotz Förderung der für diese Berufe notwen-digen Kompetenzen in der Vergangenheit, konnte in diesem Bereich keine Änderung des traditionellen geschlechtsspezi-fischen Berufswahlverhaltens erreicht werden.

Szenario 2 – Vielfalt der Ausbildung als Strategie gegen den Fachkräftemangel (Angebot an Aus-bildungsplätzen übersteigt die nachfrage)

Der Rückgang der Schülerzahlen führt zu einem erheblichen Nachwuchskräftemangel aufseiten der Unternehmen. Zahl-reiche Ausbildungsplätze bleiben aufgrund fehlender geeig-neter Bewerber unbesetzt. Vor diesem Hintergrund gewinnen betriebliche Maßnahmen zur besseren Integration älterer Arbeitnehmer und zur Förderung des lebenslangen Lernens einen deutlichen Bedeutungsaufschwung. Die Förderung betrieblicher Weiterbildung wird zur zentralen Strategie der Unternehmen zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses.

Parallel zu dieser Entwicklung haben die Anforderungen der Unternehmen an die duale Ausbildung zugenommen. Durch umfangreiche Investitionen in die allgemeinbildende und berufliche Bildung konnte diesen neuen Anforderungen Rechnung getragen werden. Die hohen Investitionen haben sich ausgezahlt.

Gleichzeitig wurden im Bereich der beruflichen Bildung umfangreiche Strukturreformen umgesetzt. Der Erwerb von Einstiegs- und Teilqualifikationen und von zusätzlichen Zertifi-katen ist umfassend möglich, die Orientierung an beruflichen Kompetenzen in der beruflichen Ausbildung hat zugenom-men. Die Durchlässigkeit zwischen einzelnen Berufsgruppen, zwischen dem Übergangssystem und der dualen Ausbildung sowie zwischen der dualen Ausbildung und der akademischen Bildung konnte dadurch umfassend erhöht werden.

Die Vielfalt der Angebote beruflicher Bildung nimmt dadurch zu. Gleichzeitig reizt der Wettbewerb um die besten Köpfe auch private Bildungsanbieter an, sich stärker im Bereich der beruflichen Ausbildung zu engagieren. Diese Anbieter finden und gestalten damit einen neuen Markt: Vor dem Hintergrund der Wissensgesellschaft sind immer mehr Menschen bereit, auch privat in die berufliche Ausbildung zu investieren.

Szenario 3 – Duale Ausbildung verliert im Wettbe-werb (nachfrage nach Ausbildungsplätzen über-steigt das Angebot)

Trotz zurückgehender Schülerzahlen bekommen nicht alle Ausbildungssuchenden einen Ausbildungsplatz im dualen System, sondern die Unternehmen ziehen sich mehr und mehr aus der beruflichen Ausbildung zurück. Ein deutlicher Ausbil-dungsplatzmangel ist das Resultat. Gründe für diesen Rückzug der Unternehmen aus der beruflichen Ausbildung sind dabei fehlende finanzielle Ressourcen aufgrund einer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung sowie eine mangelnde Qua-lität der dualen Ausbildung sowie der allgemeinbildenden Schulen.

Vor diesem Hintergrund nutzen die Unternehmen ver-stärkt andere Märkte zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs. Ältere Arbeitnehmer werden kontinuierlich betrieblich quali-fiziert und die Bemühungen, sie länger in den Unternehmen zu halten, ausgeweitet. Zusätzlich werden verstärkt Hoch-schulabsolventen eingestellt sowie internationale Arbeits-kräfte angeworben.

Die schlechte Qualität der beruflichen Ausbildung wird auch nicht durch private Bildungsangebote und Bildungs-anbieter aufgefangen. Aufgrund der fehlenden Nachfrage vonseiten der Unternehmen investieren sie insbesondere in tertiäre Ausbildungsformen sowie die Weiterbildung.

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Konsequenzen

Die Szenarioanalyse erlaubt über ihre Abbildung von Wir-kungszusammenhängen nicht nur die Beschreibung von Zukunftsoptionen, sondern insbesondere auch die Ableitung der zentralen politischen Stellhebel, die für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Systems der beruflichen Bildung ent-scheidend sind. Die Konsequenzen, die aus der Identifikation der Stellhebel resultieren, werden begründet, priorisiert und in Empfehlungen konkretisiert.

Diese umfassen:

1) Stärkere Verzahnung zwischen dualer Ausbildung und Hochschule

2) Integration in die berufliche Ausbildung durch Basis-qualifikation und Durchlässigkeit verbessern

3) Flächendeckender Aufbau branchenspezifischer regio-naler Aus- und Weiterbildungszentren

4) Mobilität von Jugendlichen erhöhen

5) Neue Instrumente zur Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung

6) Förderung der Integration von Jugendlichen mit Migra-tionshintergrund

7) Sicherung einer bedarfsgerechten Ausbildungsinfra-struktur

8) Systematisierung von Angeboten zur Bildungsberatung und Berufswahl

9) Qualität und Transparenz von Ausbildungsangeboten sichern

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ZIElE unD HErAnGEHEnSWEISE ��

1 Ziele und Herangehensweise

1.1 Zielsetzung des Projektes

Detaillierte Prognosen zur mittel- bis langfristigen Bevölke-rungsentwicklung und eine inzwischen auch im öffentlichen Diskurs sehr präsente Diskussion um gesellschaftliche und ökonomische Auswirkungen des demographischen Wandels machen es inzwischen möglich und notwendig, konkrete und tragfähige Konzepte für die gesellschaftliche Zukunft Deutsch-lands zu entwickeln. In seiner Bedeutung für eine wettbe-werbsfähige, wissensbasierte Gesellschaft kommt dabei dem Bereich der beruflichen Bildung und Ausbildung eine wichtige strategische Position zu.

Angesichts der komplexen Problemlage von unterschied-lichen Einflussfaktoren und vielschichtigen Anforderungen werden im Projekt „Auswirkungen von demographischen Entwicklungen auf die berufliche Ausbildung“ mögliche alternative Entwicklungsszenarien und tragfähige Hand-lungsoptionen für die Einrichtungen der beruflichen Bildung aufgezeigt. Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

sollen damit in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf Entwicklungen zu reagieren und ggf. erforderliche Maß-nahmen zu initiieren. Ein Ignorieren der sich deutlich ab-zeichnenden Umfeldveränderungen könnte dramatische Auswirkungen für die Leistungsfähigkeit des bundesdeut-schen Systems der beruflichen Ausbildung und damit der gesamten Wirtschaft haben. Ausgehend vom aktuellen Entwicklungsstand ist es das Ziel des Forschungsvorhabens, die wichtigsten Auswirkungen der demographischen Verän-derungen auf die berufliche Ausbildung bis zum Jahr 2035 zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund soll ein realistisches Bild der zu erwartenden Entwicklungen gezeichnet und rechtzeitig auf Handlungserfordernisse und -optionen hin-gewiesen werden.

Die Studie „Auswirkungen der demographischen Verände-rungen auf die berufliche Ausbildung“ soll eine aus Fakten, breitem Expertenwissen und realistischen Erwartungen begründete Orientierung für politisches Handeln, adminis-trative Planungen und Entscheidungen von Akteuren der Bildungspolitik bieten.

Abb. �: Die Arbeitsschritte im Projekt

Modul 1 Indikatorenanalyse und Rahmenbedingungen

Modul 2 Expertenworkshop

Modul 3 Delphi-Befragung I

Modul 4 Deskriptorenanalyse

Modul 5 Hearing-Cross-Impact-Analyse

Modul 6 Delphi-Befragung II

Modul 7 Szenarioentwicklung

Modul 8 Hearing & Bewertung

Modul 9 Berichtslegung & Dokumentation

Quelle: Prognos AG 2008

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�2 ZIElE unD HErAnGEHEnSWEISE

1.2 Projektdesign

Die Arbeitspakete des Forschungsvorhabens „Demographische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die berufliche Bil-dung“ dienen der Gewinnung eines differenzierten Einblicks in die Zukunft der beruflichen Bildung. Die Forschungsleitfra-ge lautet:

„Welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen des demographischen Wandels lassen sich auf verschiedene Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung erkennen?“ Die Abbildung 1 zeigt das für die Untersuchung zur Bedeutung des demographischen Wandels für die Zukunft der Berufsaus-bildung entwickelte Projektdesign und gibt eine Übersicht über die einzelnen Arbeitsschritte und anzuwendenden Methoden.

Aufbauend auf einer Trendanalyse der vorhandenen Stu-dien und Erkenntnisse werden Experten im Rahmen von Work-shops und einer Delphi-Befragung zu ihren Einschätzungen der zukünftigen Entwicklungen befragt. Diese bilden die Grundlage für die Definition von zentralen Bestimmungsgrö-ßen, die die wesentlichen Parameter für die zu erarbeitenden Szenarien darstellen (Deskriptoren). Die Deskriptoren werden systematisch auf ihre gegenseitigen Wirkbeziehungen hin analysiert und anschließend in einer zweiten Befragungsrunde erneut den Experten vorgelegt.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgegebenen Rahmenbedingungen definieren den Raum für die Szenarioentwicklung: Auftrag war es, für die Zeiträume 2007–2015, 2016–2025 sowie 2026–2035 Szenarien zur Zukunft der beruflichen Ausbildung für alle denkbaren Angebots-Nach-

frage-Relationen zu entwickeln. Für den Zeitraum bis 2015 sollten zudem unterschiedliche Entwicklungen für Ost und West angenommen werden. Insgesamt waren damit 12 Szena-rien zu erstellen (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Angebots-nachfrage-relationen

20�5 2025 Wendepunkt Minimum Schulabsolventen Schulabsolventen

Ost West bundesweit

nachfrage > Angebot

nachfrage = Angebot

nachfrage < Angebot

Quelle: Prognos AG 2008 auf Grundlage der Projektausschreibung

2035 Wendepunkt Erwerbstätige

bundesweit

Die Angebots-Nachfrage-Relationen für die unterschied-lichen Zeiträume sind aufgrund der weitgehend feststehenden demographischen Entwicklung nicht gleich wahrscheinlich. Ziel der vorliegenden Studie war damit nicht die Darstellung der wahrscheinlichsten Zukunftsszenarien, sondern vielmehr die Darstellung unterschiedlicher denkbarer Entwicklungspfade und ihrer zentralen Stellhebel.

1.3 Trendanalyse und Trend-darstellung

Im Rahmen einer Trendanalyse wurden Trends und Prognosen in sechs Themenbereichen erarbeitet, die die wesentlichen Entwicklungen für die Zukunft der beruflichen Bildung in Deutschland skizzieren. Die definierten Themenfelder und die zugeordneten Indikatoren konstituieren damit gleichzeitig die relevanten Variablengruppen für die Delphibefragung und die Beschreibung der geplanten Szenarien im späteren Projektverlauf.

Die Trendanalysen wurden für die sechs Themenfelder

Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen der beruf-lichen Bildung in Deutschland und Europa,

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ZIElE unD HErAnGEHEnSWEISE �3

Ausbildungsanfänger in Deutschland,

Situation der Bildungsanbieter,

Angebot an dualen Ausbildungsplätzen,

Verwertbarkeit beruflicher Ausbildung sowie

Organisation der beruflichen Bildung

durchgeführt.

Die Trendanalyse unterscheidet zwischen der Darstellung der Ausgangslage anhand eines Stützzeitraums und der Be-schreibung der potenziellen Entwicklungen in der Zukunft.

Der Stützzeitraum beschreibt die Entwicklung der beruf-lichen Bildung in den letzten Jahren bis hin zum aktuellen Rand. Die Darstellung in den Themenfeldern erfolgt anhand ausgewählter Indikatoren, die den Status quo und zukünftige Entwicklungen in ihrer quantitativen und qualitativen Dimen-sion beschreiben. Die Auswahl der Indikatoren beschränkt sich auf Faktoren, die zur Beantwortung der Frage nach der Zukunft der beruflichen Bildung wesentlich und relevant beitragen (Zweckmäßigkeit). Daneben ist die Auswahl insbe-sondere der quantitativen Kennzahlen von ihrer Verfügbarkeit bestimmt. Hier wird auf bestehende Datenquellen der offi-ziellen Statistik bzw. eigene Daten und Trendberechnungen zurückgegriffen.

Die Trendanalysen haben den Charakter von modifizierten Business-as-usual-Fortschreibungen. Das bedeutet, die heute absehbaren Trends werden in die Zukunft fortgeschrieben, wobei wahrscheinliche politische Reaktionen auf die ein-tretenden Entwicklungen in die Betrachtung einbezogen werden.

Die zukünftige Entwicklung der beruflichen Bildung wird auf Basis dieser Bestandsaufnahme dargestellt, und die zentralen zukünftigen Herausforderungen für das System der beruflichen Bildung werden abgeleitet. Dabei wird unterschie-den zwischen

1) zukünftigen Entwicklungen, die aufgrund relativ fest-stehender Rahmenbedingungen (z.B. Verkürzung der Schulzeit) oder stabiler Trends in der Vergangenheit bereits heute absehbar sind,

2) zukünftigen Trends, die heute bereits sichtbar sind und dis-kutiert werden, ohne dass schon erkennbar ist, in welchem Rahmen sich diese Entwicklungen tatsächlich manifestie-ren werden, da sie bspw. von politischen Entscheidungen abhängig sind (z.B. zunehmende Privatisierung des Bil-dungssektors) und

3) sog. Trendbrüchen und Wildcards1, also Entwicklungen, die vom heutigen Standpunkt betrachtet als unwahrscheinlich eingestuft werden müssen, jedoch wesentliche Auswir-kungen auf die berufliche Bildung haben können.

� WildcardssindplötzlichezufälligeundunerwarteteEreignisseinder Zukunft,dieeinesehrgeringeWahrscheinlichkeithaben,aberwesent-licheÄnderungenbewirken(z.B.FallderMauer).

Insbesondere für den Zeitraum bis 2035 besteht die Heraus-forderung darin, nicht nur aktuelle Entwicklungen und Diskussionen fortzuschreiben, sondern auch Entwicklungs-linien zu antizipieren, für die zum derzeitigen Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang Anzeichen zu erkennen sind.

1.4 Delphi-Befragung

Für die Validierung der Aussagen zur zukünftigen Entwick-lung in der beruflichen Bildung wurde eine zweistufige Delphi-Befragung durchgeführt. Mit einer Delphi-Befragung wird die Wahrscheinlichkeit und der Zeitpunkt zukünftiger Entwicklungen durch Experten eingeschätzt.

Erste Befragungswelle der zweistufigen Delphi-Befragung

In einer ersten Runde der Delphi-Befragung wurden insgesamt 500 Experten/innen mit einem rund 20-seitigen Fragebogen angeschrieben. Dabei dienten die Ergebnisse der Delphi-Befra-gung zum einen der Plausibilisierung der Trendanalysen, vor allem aber auch der Identifikation zentraler Einflussfaktoren (Deskriptoren) für die Zukunft der beruflichen Ausbildung. Die Rücklaufquote der ersten Befragungsrunde lag bei 33,8% (N = 169).

Zweite Befragungswelle der zweistufigen Delphi-Befragung

In der zweiten Runde der Delphi-Befragung wurden dieselben Experten/innen mit einem leicht modifizierten Fragebogen erneut angeschrieben. Dabei wurden die Ergebnisse der ersten Befragungsrunde den Experten mitgeteilt mit der Bitte, die eigenen Einschätzungen an den Gesamtbewertungen zu prüfen und ggf. anzupassen. Sollten abweichende Meinungen beibehalten werden, wurden diese schriftlich begründet.

Durch diesen Reflexionsprozess wird ein Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander ermöglicht, der die Ergebnisse fokussiert und validiert. In der zweiten Be-fragungsrunde lag die Rücklaufquote bei 27,2% (N = 136).

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�4 ZIElE unD HErAnGEHEnSWEISE

1.5 Szenarioanalyse

Die Szenarien selbst wurden in vier aufeinander aufbauenden methodischen Schritten entwickelt. Im Mittelpunkt der einzel-nen Schritte stand dabei:

Arbeitsschritt 1 Identifikation der wichtigen Einfluss-faktoren

Arbeitsschritt 2 Definition der Wirkungszusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren

Arbeitsschritt 3 Berechnung von möglichen und wahr-scheinlichen Zukunftsoptionen

Arbeitsschritt 4 Auswahl der Szenarien und damit Bestim-mung plausibler Zukunftsoptionen

Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte der Szena-rioentwicklung im Überblick dargestellt.

�. Deskriptorenanalyse

Die Deskriptorenanalyse legt fest, welche Aspekten und Ent-wicklungen im Rahmen der Szenarien thematisiert werden. Die Deskriptorenanalyse definiert damit auch den Rahmen und die Reichweite der Szenarioanalyse. Für jeden Deskriptor werden mögliche zukünftige Ausprägungen definiert, die sich gegenseitig ausschließen. Bezogen auf den Deskriptor „An-gebots- Nachfrage-Relation auf dem Ausbildungsmarkt“ lauten die alternativen Ausprägungen beispielsweise A = Angebot entspricht der Nachfrage, B = Angebot übersteigt Nachfrage, C = Nachfrage übersteigt Angebot.

Um die Plausibilität der Szenarien einschätzen zu können, wird die Eintrittswahrscheinlichkeit der einzelnen Ausprä-gungen bewertet. Tabelle 1 zeigt die 19 Deskriptoren (fett gedruckt) mit ihren jeweiligen Ausprägungen.

Tabelle �: Ausgewählte Deskriptoren und jeweilige Ausprägungen

Angebots-nachfrage-relation auf dem Ausbildungsmarkt – Angebot und Nachfrage stehen in einem ausgewo-

genen Verhältnis – Das Angebot übersteigt deutlich die Nachfrage – Die Nachfrage übersteigt deutlich das Angebot

Demographische Entwicklung der Ausbildungsbevölkerung – Ausbildungsbevölkerung sinkt – Trend wird gestoppt

2

Entwicklung des sektoralen Fachkräftebedarfs

– Die Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften im Dienstleistungssektor ist höher als nach einfachen Dienstleistungen

– Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften im Dienstleistungssektor ist niedriger als nach einfachen Dienstleistungen

3

Internationale Mobilität der Auszubildenden Nimmt zu Behält Niveau

4

neue Technologien in der Ausbildung – Umfangreicher Einsatz neuer Technologien im

Bildungsbereich – Technologische Lösungen finden nur in Einzelfällen

Anwendung

5

Integration von Migranten – Gelingt schlechter – Gelingt besser

6

Bildungsbeteiligung von Mädchen – Erhöht sich – Status quo bleibt bestehen

7

Übergangsquoten an Hochschulen und in die duale Ausbildung – Attraktivität dualer Ausbildung geringer – Attraktivität dualer Ausbildung höher

8

Bedeutung des Übergangssystems – Nimmt zu – Nimmt ab

9

regionalisierung in der beruflichen Ausbildung – Nimmt zu – Nimmt ab

�0

Attraktivität vollzeitschulischer Ausbildungsgänge – Duale Ausbildung wird gegenüber vollzeitschulischer

Ausbildung bevorzugt – Vollzeitschulische Ausbildung als gleichwertiges

Äquivalent zur dualen Ausbildung

��

leistungsanforderungen in der beruflichen Ausbildung – Nehmen zu – Bleiben unverändert

�2

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ZIElE unD HErAnGEHEnSWEISE �5

Alter(n)sgerechte Personalpolitik – Alter(n)sgerechte Personalpolitik – Jugendzentrierte Personalpolitik

�3

Ausbildungsquote – Sinkt – Steigt

�4

Übernahmequoten – Steigen – Sinken

�5

Flexibilisierung der beruflichen Ausbildung – Modularisierung tritt ein – Modularisierung tritt nicht ein

�6

Zunahme privater Bildungsangebote – Private Angebote nehmen zu – Status quo bleibt erhalten

�7

Qualität der primären und sekundären Bildung – Nimmt zu – Bleibt gleich

�8

Bedeutung der Erstausbildung vor dem Hinter-grund des lebenslangen lernens – Nimmt ab – Verbleibt im Status quo

�9

Quelle: Prognos AG 2008

2. Definition der Wirkungszusammenhänge

Die Deskriptoren sind in ihren Wirkungen nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in komplexen Abhängigkeitsbe-ziehungen: Sie überlagern und verstärken, widersprechen und hemmen sich. Welche Ausprägung ein Deskriptor innerhalb eines Szenarios annimmt, hängt entscheidend davon ab, in welcher Wirkungsbeziehung er zu anderen Einflussfaktoren steht. Die Analyse der Wirkungsbeziehungen zwischen den ausgewählten Deskriptoren wurde in einem zweistufigen Verfahren vorgenommen:

2.� Vernetzungsmatrix

Die Vernetzungsmatrix beschreibt den grundsätzlichen Zu-sammenhang zwischen den Deskriptoren. Die Interdepen-denzen zwischen den Deskriptoren werden in einer Matrix dargestellt. Leitfrage ist, wie stark der Einfluss von Deskriptor A auf Deskriptor B ist.

2.2 cross-Impact-Matrix

Die Cross-Impact-Matrix präzisiert die Wirkungszusammen-hänge aus der Vernetzungsmatrix für die unterschiedlichen

Ausprägungen der Deskriptoren. Ziel ist, Interdependenzen zwischen den einzelnen Einflussfaktoren auf Ebene der möglichen Ausprägungen zu bestimmen. Leitfrage für die Erstellung der Cross-Impact-Matrix ist, inwiefern das Eintreten einer bestimmten Entwicklung die Eintrittswahrscheinlichkeit einer anderen möglichen Entwicklung beeinflusst. Während die Vernetzungsmatrix die Stärke der gegenseitigen Beein-flussung bestimmt, wird in der Cross-Impact-Matrix deren Wirkungsrichtung (positiver oder negativer Zusammenhang) berücksichtigt.

3. Szenarienberechnung

Ein Zukunftsszenario definiert sich über die spezifische Kombination von Deskriptorausprägungen. Da sich die Aus-prägungen, die ein Deskriptor annehmen kann, gegenseitig ausschließen, definieren sie die Rahmenbedingungen für ein spezifisches Szenario eindeutig. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Szenarioberechnung ein doppeltes Ziel:

Für jede Deskriptorausprägung soll – unabhängig von ih-rer Eintrittswahrscheinlichkeit – ein rechnerisch mögliches Szenario ausgegeben werden. Damit wird ein möglichst breites Spektrum an möglichen zukünftigen Entwick-lungen aufgezeigt. Auch zunächst weniger naheliegende Szenarien sollen in die Zukunftsbetrachtung mit einbezo-gen werden können.

Bestimmte Ausprägungskombinationen sind wahrschein-licher als andere. Ausschlaggebend für diese Häufung bestimmter Kombinationen ist die spezifische Ausprägung von kritischen und treibenden Deskriptoren. Damit auch dieser Aspekt in der Szenarioanalyse berücksichtig werden kann, wird bei der Ausgabe der unterschiedlichen Szena-rien auch die Häufigkeit des Auftretens einer spezifischen Kombination gezählt. Damit wird in der Szenarioberech-nung ein Anhaltspunkt für die Eintrittswahrscheinlichkeit spezifischer Szenarien mitgeliefert. Je häufiger eine be-stimmte Ausprägungskombination auftritt, desto größer ist rechnerisch die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Szenarios.

Die Berechnung der Szenarien wurde mit der Software Szeno-Plan durchgeführt.

4. Szenarienauswahl und -interpretation

Aus den berechneten Szenarien wurden im letzten Schritt der Szenarioanalyse für jeden der vier definierten Betrachtungs-zeiträume Szenarien ausgewählt und interpretiert. Ziel dabei war es, die zukünftigen Rahmenbedingungen und Entwick-lungen in ihrer Auswirkung auf das System der beruflichen Ausbildung zu beschreiben und die Wirkungszusammenhän-ge innerhalb der Szenarien zu identifizieren.

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�6 GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD

2 Gesellschaftspolitischer Hintergrund

Die Arbeitswelt von morgen wird durch vier wesentliche Me-gatrends geprägt (vgl. Abb. 3). Der sich im Zuge der Globali-sierung verschärfende internationale Wettbewerb und ein immer rascherer technologischer Wandel in einer wissens- und informationsbasierten Ökonomie erfordern ein immer höheres Ausbildungsniveau und höhere Flexibilität. Dabei kann dieser Bedarf nicht nur durch exzellentes akademisch ausgebildetes Personal gedeckt werden. Die Vermittlung be-rufsbezogener Kompetenzen im Rahmen einer hochwertigen, anspruchsvollen und kontinuierlichen beruflichen Aus- und Weiterbildung ist vorrangig.

l

Abb. 3: Einflussfaktoren der Arbeitswelt

Die Arbeitswelt von morgen wird durch vier zentrale Trends geprägt:

WIrTScHAFTlIcHEr STruKTurWAnDEl

• Übergang in wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft

Eigenve

rantw

ortung

lebenslange

ernfä

higkeit

Selbstorganisation

Kooperationsfähigkeit

• Projektzentrierte Arbeitsorganisation

• Selbstbeschäftigung • Flexibilisierung der

Unternehmensorgani-sation

• Diskontinuität der (Erwerbs-)biographien

• Wechselhäufigkeit des Fachwissens

GlOBAlISIErunG

• Zunahme internationaler Konkurrenz

• Verkürzung der Produktzyklen • Verringerung der Halbwerts-

zeit von Fachwissen

DEMOGrAFIScHEr WAnDEl

• Stagnation/Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials

• Verlängerung der Lebens-arbeitszeit

• Anstieg der Qualifikationsniveaus

nEuE TEcHnOlOGIEn

• Dominanz der Verbund-technologien

• IuK-Technologie erlaubt - Flexibilität von Arbeitszeit und -ort - Dezentrale Produktion • Anstieg der Erwerbsbeteiligung

Quelle: Prognos AG 2008

2.1 Wandel zur Wissensgesellschaft

Die zentrale Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland (wie in anderen entwickelten Volkswirtschaften) ist der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesell-schaft. Der wirtschaftliche Strukturwandel führt zur Auswei-tung des Dienstleistungssektors bei gleichzeitigem Rückgang von Landwirtschaft und Industrie. In der Vergangenheit wie auch in Prognosen für die zukünftige Entwicklung zeigt sich, dass sich der sektorale Strukturwandel weiter fortsetzen wird. Während sekundäre Wirtschaftsbereiche wie das Produzieren-

de Gewerbe und die Bauwirtschaft langfristig an Bedeutung verlieren und in ihren Anteilen an der Bruttowertschöpfung zurückgehen, gehen vom Dienstleistungssektor weiter Wachs-tumsimpulse aus. Mit 1,6 % p.a. wird dieser langfristig etwas stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft (mit rund 1,4 % p.a.) und zudem seinen Anteil an der Bruttowertschöpfung bis zum Jahr 2030 auf fast drei Viertel erhöhen (71,8%).

Mit dem Strukturwandel geht zudem eine starke struk-turelle Verschiebung der Beschäftigung einher. Mit dem Wechsel zur Dienstleistungsgesellschaft ist – bezogen auf die

Erwerbstätigenstrukturen – die Zunahme der Beschäftigung in den Dienstleistungsberufen bei gleichzeitiger Abnahme im primären und sekundären Sektor verbunden. Das Ausmaß der Verschiebung in den Tätigkeitsstrukturen in Deutschland ist bereits heute quantifizierbar: Der Arbeitskräftebedarf für pro-duktionsorientierte Tätigkeiten und primäre Dienstleistungen, welcher in den 90er-Jahren noch drei Viertel des Gesamtbe-darfs ausmachte, wird bereits bis 2010 nur noch zwei Drittel betragen. In gleichem Umfang werden sekundäre Dienstleis-tungen wie Betreuung, Beratung, Lehre, Management sowie Forschung und Entwicklung an Bedeutung gewinnen (vgl. Abbildung 4).

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GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD �7

Abb. 4: Arbeitsplätze in Deutschland – Entwicklung nach Tätigkeiten �995–20�0 (in %)

Quelle: Prognos / IAB-Projektion

�995 20�0

III Sekundäre

Dienstleistungen

22,8%

II Primäre

Dienstleistungen

42,4%

I Produktions-

orientierte Tätigkeiten

34,9%

Betreuen, Beraten, Lehren, Publizieren u. Ä.

Organisation, Management

Forschung, Entwicklung

Reparatur

Einrichtung und Wartung von Maschinen

Gewinnen, Herstellen

35,4%

Allgemeine Dienste (Trans-portieren, Lagern, Reinigen, Bewirten etc.)

Bürotätigkeiten

Handelstätigkeiten

36,2%

�4,6

6,7

5,0

�4,2

�7,4

��,4

6,6

7,2

�6,9 28,3%

�7,7

8,4

5,5

�3,2

�7,7

�3,5

5,3

6,0

�2,7

Abb. 5: Arbeitsplätze in Deutschland – Entwicklung nach Qualifikationsniveau �995–20�0 (in %)

�995 20�0

höher qualifizierte Tätigkeiten

mittel qualifizierte Tätigkeiten

einfache Tätigkeiten

35

46

20

Führungsaufgaben, Organisation und Management, qualifizierte Forschung und Entwicklung, Betreu-ung, Beratung, Lehren u.Ä.

4�

44

�6

Fachtätigkeiten in der Produktion, Maschinen einrichten u.Ä., Fach-verkäufer, Sachbearbeiter, Assistententätigkeit in Forschung und Entwicklung, nicht akade-mische Betreuung u.Ä.

Hilfstätigkeiten in Produktion, Reini-gung, Bewirtung, Lagerhaltung, Transport, einfache Bürotätigkeiten, Verkaufshilfen u.Ä.

Quelle: Prognos / IAB-Projektion

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�8 GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD

Mit dem Strukturwandel steigen die Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte. Bis 2010 wird der Anteil der höher qualifizierten Tätigkeiten (Führungsaufga-ben, Organisation, qualifizierte Forschung und Entwicklung etc.) bereits über 40% sämtlicher Berufstätigkeiten ausma-chen, während der Anteil mittel qualifizierter Tätigkeiten weitgehend stabil bleiben und derjenige der einfachen (Hilfs-) Tätigkeiten zurückgehen wird. Der Trend zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft wird damit zu einer zunehmenden Bedrohung für die berufliche Existenz gering qualifizierter Personen (vgl. Abbildung 5).

Aber auch der Dienstleistungscharakter beruflicher Tä-tigkeiten außerhalb des Dienstleistungssektors ist gestiegen, soziale Kompetenzen oder Kundenorientierung sind auch in Produktionsberufen unverzichtbar. Die Aufnahme und Mitge-staltung dieses Wandels in den Beschäftigungsstrukturen stellt eine der großen Herausforderungen für das Ausbildungssys-tem dar. Die Erhaltung der hohen sozialen und arbeitsmarkt-bezogenen Integration der Auszubildenden und Absolventen des dualen Systems einerseits und die Sicherstellung von aus-reichendem Fachkräftenachwuchs andererseits bedarf der vorausschauenden politischen Gestaltung.

2.2 Demographischer Wandel

Die weltweiten demographischen Verhältnisse werden sich in den kommenden 25 Jahren dramatisch verändern. Wäh-rend in allen anderen Kontinenten die Bevölkerung wächst, geht in Europa die Bevölkerungszahl um über 4 % zurück. Als Konsequenz der konstant niedrigen Geburtenraten, einer zunehmenden Lebenserwartung und eines moderaten Saldos der Auswanderung wird auch in Deutschland die Bevölke-rungszahl langfristig schrumpfen. Zwar nimmt sie noch bis zum Jahr 2011 leicht auf etwas mehr als 83 Millionen zu, geht aber dann bis zum Ende des Prognosezeitraums um rund zwei Millionen zurück. Entscheidender als die Veränderungen der absoluten Bevölkerungszahl ist der dahinterstehende Wandel der Altersstruktur. Während mit steigender Lebenserwartung die Besetzungsstärken der älteren Kohorten größer werden, ist jeder nachwachsende Jahrgang zahlenmäßig schwächer besetzt als der vorhergehende (vgl. Tab. 2).

Tabelle 2: Bevölkerung Deutschlands nach Altersklassen, ausgewählte Jahre

Alter in Jahren Veränderung 2005–30

Mio. Personen 2005 2010 2020 2030 %

0 bis 19 16,6 15,4 14,4 13,8 –16,5

20 bis 34 14,8 15,3 14,7 13,1 –1 1,1

35 bis 49 20,3 19,0 15,6 16,0 –2 1,0

50 bis 64 1 5 , 1 16,4 19,5 16,3 7,9

65 bis 79 12,2 12,4 12,5 15,7 28,9

80 und älter 3, 7 4,2 5,8 6 , 1 65,4

Summe 82,6 82,8 82,6 8 1, 1 –1,8

Anteile in % 2005 2010 2020 2030 %

0 bis 19 20,0 18,6 17,5 17,1 –14,9

20 bis 34 17,9 18,5 17,8 16,2 –9,5

35 bis 49 24,5 22,9 18,9 19,7 –19,5

50 bis 64 18,3 19,8 23,6 20,2 9,9

65 bis 79 14,7 15,0 15,2 19,3 31 , 3

80 und älter 4,5 5,1 7,0 7,5 68,5

Summe 100,0 100,0 100,0 100,0 0,0

Quelle: Statistisches Bundesamt, Prognos Deutschland Report 2030

Der demographische Wandel wirkt unmittelbar auf die Erwerbstätigenstruktur und hat gravierende Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot. Die Altersgruppe der unter

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GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD �9

20-Jährigen schrumpft in den kommenden Jahren um 16,5%. Die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen – die Kohorte, die das Arbeitskräfteangebot im Wesentlichen bestimmt – nimmt im gleichen Zeitraum um 9,4 % ab. Diese Entwicklung hat auch eine Verschiebung in der Altersverteilung des Erwerbsper-sonenpotenzials zur Folge (vgl. Abbildung 6).

1991

55+ 25–3940–54 15–24

Abb. 6: Erwerbspersonenpotenzial nach Altersklassen

0%

12,6

2005 2010 2020 2030

20%

40%

60%

80%

100%

40,7

33,8

12,9

10,6

33,4

41,1

15,0

10,6

30,8

42,1

16,5

9,7

32,9

35,8

21,7

9,9

32,3

38,1

19,8

Quelle: Prognos Deutschland Report 2030

2.3 Globalisierung und Internationalisierung

Die fortschreitende Globalisierung und die verstärkte Verla-gerung von Produktionsprozessen in das Ausland werden bis zum Jahr 2035 erhebliche strukturelle Veränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach sich ziehen. Die Zunahme internationaler Konkurrenz führt zu neuen Herausforde-rungen an die interkulturellen Kompetenzen der Mitarbeiter. Gleichzeitig verkürzen sich Produktzyklen, finden Herstellung

und Produktion in internationaler Arbeitsteilung statt und führen so zu hohen Anforderungen an die Flexibilität der Belegschaften. Als Konsequenzen der internationalen Öffnung der Arbeitsmärkte werden diskutiert:

Die umfangreiche Verlagerung von Tätigkeiten und der entsprechenden Arbeits- und Ausbildungsplätze in das Ausland.

Die Vergrößerung des in Deutschland verfügbaren Arbeits-kräftepotenzials durch zuwandernde Arbeitskräfte.

Die Eröffnung zunehmender Beschäftigungsoptionen im Ausland für deutsche Arbeitnehmer.

Dabei hängt der Grad der individuellen Betroffenheit ent-scheidend von der Qualifizierung ab. Während die Gesamtbe-schäftigung in Deutschland nicht zwangsläufig zurückgeht, wirken der steigende internationale Wettbewerb und die damit einhergehenden Anpassungsprozesse im Inland zu

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20 GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD

Ungunsten der gering qualifizierten Beschäftigten. Unter der vereinfachten Annahme, dass sich dieser Trend weiter fortset-zen wird, gehen im Niedriglohnsegment weitere Arbeitsplätze verloren, während die Zahl der Erwerbstätigen mit beruflicher und Hochschulausbildung weiter zunimmt (vgl. Abb. 7).

Abb. 7: Entwicklung der Beschäftigung nach Qualifikation

Erw

erbs

täti

ge

in Ts

d.

30.000

25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

0 1975 1985 1995 2005 2015 2025

ohne Ausbildung mit beruflicher Ausbildung mit Hochschulausbildung

Quelle: Prognos Deutschland Report 2030

Zuwanderung als demographische notwendigkeit und Konsequenz aus der zunehmenden Internatio-nalisierung

Mit Ausnahme der Gastarbeiterabkommen – und in jüngster Zeit durch das Zuwanderungsgesetz – war die Zuwanderung nach Deutschland in der Vergangenheit stets ungesteuert. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und be-sonders des in zunehmendem Maß virulenten Fachkräfteman-gels wird der Druck seitens der Wirtschaft steigen, selektiv Zuwanderung zu erleichtern.

Deutschland wird daher auch zukünftig ein Zuwande-rungsland sein: Im Hinblick auf den langfristigen durch-schnittlichen Wanderungssaldo der vergangenen 50 Jahre kann zukünftig eine Nettozuwanderung von rund 200.000 Personen pro Jahr angenommen werden. Diese Entwicklung wird maßgeblich durch die zunehmende Internationalisie-

rung und die steigende Arbeitskräftemobilität beeinflusst. Dabei bietet die kulturelle und soziale Heterogenität der Zu-wanderungspopulation ein großes Entwicklungspotenzial für die deutsche Gesellschaft und stellt zugleich eine erhebliche Herausforderung nicht zuletzt für das Ausbildungswesen dar.

Europäische Ausbildungspolitik mit dem Ziel der Harmonisierung

Für Deutschland steht die berufsbildungspolitische Zusam-menarbeit in und mit der Europäischen Union im Vorder-grund. Zukünftige Anforderungen an das System der beruf-lichen Bildung werden sich insbesondere im europäischen Kontext ergeben: Gemeinsame Bildungsziele und der Kopen-hagen-Prozess, nicht nur die Mobilitätsförderung, auf der weiterhin der Schwerpunkt europäischer Kooperation im Bildungsbereich liegt, sondern auch die gegenseitige Aner-kennung von Abschlüssen weisen bereits heute auf die verstärkte Harmonisierung der Bildungspolitiken in Europa hin.

Mit der Vision eines gemeinsamen europäischen Bildungs-raumes soll es allen Bürgern Europas ermöglicht werden, Bildungs- und Arbeitsplatzangebote bedarfsgerecht und

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GESEllScHAFTSPOlITIScHEr HInTErGrunD 2�

bestmöglich zu nutzen. Im Fokus der aktuellen Aktivitäten zur Schaffung eines gemeinsamen und einheitlichen europä-ischen Bildungsraumes steht auch die berufliche Bildung. In der Kopenhagen-Erklärung verständigen sich die Bildungsmi-nister gemeinsam mit den europäischen Sozialpartnerverei-nigungen auf vier wesentliche Prioritäten für die europäische Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung:

Stärkung der europäischen Dimension,

Verbesserung der Transparenz, Information und Beratung,

Anerkennung der Kompetenzen und Qualifikationen sowie

Verbesserung der Qualitätssicherung.

2.4 Neue Technologien

Vor dem Hindergrund einer schrumpfenden Bevölkerung und eines noch stärker rückläufigen Erwerbspersonenpotenzials wird es für die künftige wirtschaftliche Entwicklung Deutsch-lands entscheidend darauf ankommen, Wachstumspotenziale aus Innovationen und technischem Fortschritt zu schöpfen.

Der technologische Wettbewerb wird zur Herausforderung, denn nur mit einer hohen technologischen Leistungsfähig-keit wird es gelingen, die bestehenden Lohnkostennachteile Deutschlands zu kompensieren.

Für die kommenden 25 Jahre zeichnen sich Trends bzw. Bereiche ab, die unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung technischer Neuerungen ausüben werden: Statt einzelner Technologien werden themenübergreifende Verbundtechno-logien im Vordergrund stehen. Zukünftige Ausbildungsgänge erfordern daher mehr denn je die Verknüpfung von Kompe-tenzen unterschiedlicher Disziplinen. Zugleich ermöglichen IuK-Technologien die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort sowie die Dezentralisierung von Wertschöpfungs- und Produktionsprozessen. Einzelne Branchen werden zunehmend wichtiger werden. Als Beispiele seien genannt: Medizintechnik und personenbezogene Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologien, Life Sciences oder Umwelt-technologien. Dies zeigt auch der Technologiereport der Prognos AG.

Um die Chancen, die diese Entwicklungen eröffnen, nutzen zu können, müssen in Deutschland die Investitionen in For-schung und Entwicklung, aber auch in die Ausbildung junger Menschen forciert werden. Es wird zunehmend schwieriger werden, die steigenden Qualifikationsanforderungen durch ein entsprechendes Angebot an Fachkräften zu erfüllen.2

� Vgl.:Reinberg,Alexander/Hummel,Markus(�003):SteuertDeutsch-landlangfristigaufeinenFachkräftemangelzu?,in:IABKurzbericht Nr.9,S.�–7.

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22 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

3 Konsequenzen des gesellschaftspolitischen Wandels für die berufliche Ausbildung

Die skizzierten Entwicklungen (Wandel zur Wissensgesell-schaft, Demographie, Globalisierung und Internationalisierung sowie neue Technologien) werden sich in den nächsten 30 Jah-ren direkt und indirekt auf die berufliche Ausbildung auswir-ken.

Wissensgesellschaft

Mit dem Wandel zur Wissensgesellschaft wird es wichtig, die berufliche Ausbildung als geeignete „Fachkräfteschmiede“ zu bewahren. Herausforderungen, die für das System der beruf-lichen Ausbildung diskutiert werden, sind:

Schwierigkeiten bei der überbetrieblichen Normierung und Standardisierung der beruflichen Ausbildung, da die größere Vielfalt der Beschäftigungsfelder und Qualifika-tionsanforderungen neue und flexiblere Tätigkeitsprofile erfordern.

Die Entwicklung neuer Kompetenz- und Tätigkeitsprofile, die der Flexibilisierung und Dynamisierung betrieblicher Organisations- und Arbeitskonzepte sowie der hetero-genen Zusammensetzung der Auszubildenden gerecht werden.

Die Gestaltung einer stärkeren Leistungsdifferenzierung insbesondere durch die Förderung von Höherqualifizie-rung im Rahmen der beruflichen Ausbildung, um den un-ternehmerischen Bedarf an praxiserfahrenen und zugleich theoretisch qualifizierten Nachwuchskräften decken zu können.

Vier wesentliche Kompetenzen erhalten vor diesem Hinter-grund eine neue Bedeutung:

1) Eigenverantwortung in der projektzentrierten Arbeits-organisation,

2) Kooperationsfähigkeit zur Arbeit in interdisziplinären Teams,

3) Selbstorganisation in flexibilisierten Unternehmens-organisationen sowie

4) nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit und lebenslange Lernfähigkeit zur erfolgreichen Gestaltung diskontinuier-licher Erwerbsbiografien.

Demographischer Wandel

Der demographische Wandel führt dazu, dass die Anzahl der ausbildungsberechtigten Jugendlichen zwischen 17 und 25 Jahren im Prognosezeitraum bis 2035 um knapp 1,5 Millionen und damit um 20% abnimmt. Dabei treten diese Entwick-lungen regional in durchaus unterschiedlicher Intensität und zeitlich versetzt auf.

Der demographische Wandel führt in seiner Konsequenz nicht nur zu einem steigenden Durchschnittsalter der Beschäf-tigten in den Betrieben, sondern insbesondere auch dazu, dass die Zahl von Nachwuchskräften für und in den Betrieben weiter zurückgeht.

Für das berufliche Bildungssystem ergeben sich daraus die folgenden beispielhaften Herausforderungen:

Die sinkende Zahl an Schulpflichtigen geht mit sinkenden Zahlen bei den Ausbildungsanfängern einher, was die Übergangsquoten an der ersten Schwelle verbessern wird (siehe Kapitel 4).

Infrastrukturen und Bildungsanbieter für berufliche Bildung besonders in den neuen Bundesländern können nicht mehr ausgelastet werden und werden geschlossen, was finanzielle Mittel freisetzt (siehe Kapitel 5).

Die duale Ausbildung in den Betrieben ist durch den Strukturwandel, alternde Belegschaften und fehlende Nachwuchskräfte vor neue Anforderungen gestellt (siehe Kapitel 6).

Der fehlende Nachwuchs junger Fachkräfte führt zu ver-besserten Übergangsquoten an der zweiten Schwelle und sinkender Jugendarbeitslosigkeit bei gleichzeitig verstärk-tem Auftreten von Mismatch-Phänomenen bei Gering-qualifizierten (siehe Kapitel 7).

Die geringe Anzahl von Jugendlichen bei gleichzeitig zunehmender Spezialisierung der Berufswelt sowie die Harmonisierungsbemühungen der EU erfordern einen flexiblen Umgang mit Ausbildungsinhalten (siehe Kapi-tel 8).

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23 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

Internationalisierung und Globalisierung

Internationale Mobilität von Jugendlichen und Auszubildenden

Für die Zu- und Abwanderung von Auszubildenden liegen keine Angaben vor, da die amtliche Statistik keine qualifika-torischen Merkmale der abwandernden Personen erfasst. Es ist zu vermuten, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäisierung bzw. Mobilisierung im europäischen Ausbil-dungsmarkt, durch die gezielte Förderung der grenzüber-schreitenden Verbundausbildung oder auch der begrenzten Auslandsaufenthalten die Zahl international mobiler Jugend-licher in Zukunft ansteigen wird.

Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland

Ausländische Jugendliche verfügen derzeit über deutlich schlechtere Chancen im deutschen Ausbildungssystem: Ausländische Jugendliche erreichen seltener hochwertige Schulabschlüsse. 20% eines Altersjahrgangs ausländischer Jun-gen bleiben ohne Hauptschulabschluss. Zudem hat eine 2004 durchgeführte Befragung der BA sowie des BIBB zur Situation auf dem Lehrstellenmarkt ergeben, dass Jugendliche mit Mi-grationshintergrund bei gleichen Ausgangsbedingungen und ähnlichen Bewerbungsstrategien geringere Chancen auf eine vollqualifizierende Ausbildung haben: Während 2006 40% der befragten Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ein po-sitiver Ausstieg aus der Ausbildungssuche gelungen ist, waren dies unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur 29%.3 Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage ist aber auch der Übergang an der zweiten Schwelle in den letzten Jahren deutlich problematischer geworden.

Gleichzeitig erhalten Migranten der 2. und 3. Generation etwa ebenso häufig die Hochschulreife wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. Personen aus sonstigen EU-15-Staaten bzw. sonstigen Staaten verfügen sogar deutlich häufiger über einen Hochschulabschluss als Deutsche ohne Migrationshin-tergrund. Dem deutschen Bildungssystem gelingt es also, qualifizierte Migranten zu fördern und zu integrieren, nicht jedoch die Bildungshemmnisse bei Problemgruppen auszu-gleichen. Insbesondere beim Übergang in das Beschäftigungs-system sind systematischere Anstrengungen und Unterstüt-zungsangebote notwendig.

Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland

Für Unternehmen wird zunehmend das Ausland als Arbeits- und Produktionsstätte interessant. Fraglich ist, inwiefern diese Offshoring-Aktivitäten auch die berufliche Ausbildung betreffen. Derzeit findet vor allem eine Verlagerung niedrig qualifizierter Arbeitsplätze in das Ausland statt, während hoch

3 BefragtwurdendabeiJugendliche,diebeiderBerufsberatungals Ausbildungsstellenbewerbergemeldetwaren.

qualifizierte Tätigkeiten, z.B. in Forschung und Entwicklung, in Deutschland verbleiben bzw. nach Deutschland verlegt werden. Diese Verschiebung von Arbeitsplätzen wird sich mit-telfristig auch auf die Berufsausbildung auswirken.

Grundsätzlich werden außerdem die Anforderungen an die internationale Mobilität und interkulturelle Kompetenz steigen. Für die Ausbildung der Fachkräfte gewinnen da-mit Zusatzqualifikationen wie Sprachkenntnisse, kulturelle Offenheit und Flexibilität an Bedeutung und müssen bei der Neugestaltung zukünftiger Berufsbilder stärker berücksichtigt werden.

Finanzsituation der öffentlichen Haushalte

Bildung – und damit auch die berufliche Bildung als ein Teilbereich – ist ein öffentliches Gut, das in erheblichem Um-fang öffentliche Ausgaben bindet. Die Lage der öffentlichen Haushalte ist seit Jahren äußerst angespannt und hat sich vor allem durch steigende Zins- und Versorgungslasten in den vergangenen Jahren verschärft. Für eine dauerhafte Kon-solidierung wird daher die zukünftig erwartete verbesserte konjunkturelle Entwicklung nicht ausreichen. Die öffentlichen Haushalte in Deutschland leiden an einem strukturellen Defi-zit, das auch mittelfristig bestehen bleiben wird.

Gleichwohl ging die Verschlechterung der finanziellen Lage der öffentlichen Haushalte in den vergangenen Jahren nicht zulasten des Bildungsbereichs. Ausgaben für Bildung blieben anteilig an den Gesamthaushalten von Bund und Ländern stabil bzw. sind leicht angestiegen. Der Bund erhöhte seinen Anteil seit dem Jahr 2000 kontinuierlich von 1,89% auf 3,23% 2007, auf Länderseite waren es im Jahr 2000 19,45% und 2007 20,60%.4 Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit seinen gesamten Bildungsausgaben jedoch unterhalb des Durchschnitts: So liegt der OECD-Durchschnitt für Bildungs-ausgaben 2005 bei 5,8% des Bruttoinlandsproduktes. Deutsch-land erreicht demgegenüber nur 5,1%.5

Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Situation der öffent-lichen Haushalte maßgeblich verbessert. Stattdessen werden steigende Belastungen den finanziellen Handlungsspielraum zunehmend einschränken. Dies wird auch die Bereitstellung öffentlicher Mittel für die Gestaltung der beruflichen Ausbil-dung betreffen.

� Vgl.Destatis(�008):Bildungsfinanzbericht�008–AusgabenfürBil-dung–Tabellenteil,Tabelle�.�.

� OECD(�008):BildungaufeinenBlick�008.OECD-Indikatoren,Paris, S.��7.

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24 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

Tabelle 3: Einnahmen und Ausgaben der Gebietskörperschaften, absolut und Veränderung in % p.a., 2004 bis 2030

in Mrd. € 2004 20�0 20�5 2020 2025 2030

Einnahmen Verkäufe

Produktions- und Importabgaben Einkommen- und Vermögensteuern Unterstellte Sozialbeiträge Übrige Einnahmen

Ausgaben Vorleistungen

Arbeitnehmerentgelt Vermögenseinkommen Subventionen Monetäre Sozialleistungen

– Pensionen und Beihilfen – Kindergeld – Arbeitslosenhilfe – Geldleistungen der Sozialhilfe – Übrige soziale Geldleistungen

Soziale Sachleistungen Lfd. Transfers innerhalb des Staates Bruttoinvestitionen Übrige Ausgaben

Finanzierungssaldo

579 41

260 221

21 36

659 82

154 63 26

123 38 35 19 16 16 23 90 30 69

–80

707 52

336 256

25 38

770 97

175 88 26

142 46 37 23 16

20 27

101 33 81

–63

8�5 59

388 298

29 40

867 110

204 95 25

159 58 40 23 16 23 29 117 36 92

–52

92� 66

439 340

35 41

980 124

238 104

23 180

72 42 23 16 27 32

137 39

103 –60

�’03� 73

489 383

43 43

�’��6 138 283 114

19 204

88 46 24 16 31

34 166

42 115

–85

�’�50 81

538 434

51 45

�’266 153 331 132

14 227 104

49 23 16

36 37

199 46 127

–��6 Quoten in % 2004 20�0 20�5 2020 2025 2030

Steuerquote Investitionsquote nettoneuverschuldungsquote Verschuldungsquote

2�.7 4.6

–3.6 67.7

22.6 4.4

–2.4 73.2

22.4 4.2 –�.7 7�.5

22.2 4.0 –�.7

70.3

2�.9 3.8

–2.� 7�.�

2�.8 3.6

–2.6 75.�

in % p.a. 04–�0 �0–�5 �5–20 20–25 25–30 04–30 Einnahmen

Verkäufe Produktions– und Importabgaben Einkommen- und Vermögensteuern Unterstellte Sozialbeiträge Übrige Einnahmen

Ausgaben Vorleistungen

Arbeitnehmerentgelt Vermögenseinkommen Subventionen Monetäre Sozialleistungen

– Pensionen und Beihilfen – Kindergeld – Arbeitslosenhilfe – Geldleistungen der Sozialhilfe – Übrige soziale Geldleistungen

Soziale Sachleistungen Lfd. Transfers innerhalb des Staates Bruttoinvestitionen Übrige Ausgaben

Quelle: Prognos Deutschland Report 2030

3.4 4.0 4.3 2.5 2.6 1.2

2.6 2.9 2.2 5.7

–0.3 2.4 3.4 1.0

3.0 0.3 4.0 2.9 2.0 1.8 2.7

2.9 2.4 3.0 3.1

3–3 0.9 2.4 2.6 3.0 1.7

–0.7 2.3 4.6 1.6 0.1

–0.2 2.3 1.6

3.0 1.5

2.6

2.5 2.3 2.5 2.6

3–6 0.7 2.5 2.4 3.2 1.8

–1.9 2.6 4.5 1.4

0.5 0.1 3.2 1.7

3.2 1.5 2.3

2.3 2.1 2.2 2.5

4–2 0.9 2.6 2.2 3.5 1.9

–3.5 2.5 4.0 1.4 0.1

0.0 3.0 1.5

3.9 1.8 2.2

2.2 2.0 2.0 2.5 3.8 0.9 2.5 2.1

3.2 2.9

–6.4 2.2 3.4 1.2

–0.3 –0.2

2.8 1.2 3.7 1.7 2.1

2.7 2.6 2.8 2.6 3.5 0.9 2.5 2.4 3.0 2.9

–2.5 2.4 4.0 1.3

0.8 0.0

3.1 1.8 3.1 1.7

2.4

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25 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

Auf der anderen Seite können aufgrund demographisch bedingter Einspareffekte zusätzliche Finanzmittel für die Investition in qualitative Verbesserungen der beruflichen Bildung entstehen (demographische Rendite). Der Rückgang der Schüler- und Auszubildendenzahlen bietet die Chance, die Pro-Kopf-Ausstattung im Bildungs- und Ausbildungsbereich erheblich zu erhöhen und damit die Qualität zu verbessern. Durch Investitionen in den gesamten Bildungsbereich, und insbesondere in die frühzeitige und umfassende Kompe-tenzentwicklung bei Kindern und Jugendlichen, können so qualitative Verbesserungen erzielt werden, die sich im spä-teren Bildungsverlauf positiv auswirken. Hierzu liegen für den Bereich der beruflichen Ausbildung bislang keine Investitions-rechnungen vor, jedoch wird zum Thema „Bildungsrenditen im frühkindlichen Bereich“ derzeit viel diskutiert, wovon u.U. auch die berufliche Ausbildung profitieren kann.6

� Vgl.Anger,Christina/Plünnecke,Axel/Tröger,Michael(�007):Rendi-tenderBildung–InvestitionenindenfrühkindlichenBereich,Institut derDeutschenWirtschaftKöln.

Zudem bieten neue Formen der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteuren die Möglichkeit, Investi-tionen in die berufliche Ausbildung zu erhöhen. Neue Formen der Private-Public Partnerships oder Innovationspakte mit So-zialpartnern ermöglichen es, privates Kapital in die Gestaltung der beruflichen Ausbildung zu investieren und gleichzeitig den staatlichen Bildungsauftrag fortzuführen. Auch Privatisie-rungen im Bildungsbereich werden derzeit verstärkt diskutiert und durchgeführt. Ähnlich den Entwicklungen im Hochschul-bereich ist zu vermuten, dass sich dieser Trend weiter fortfüh-ren wird.

neue Technologien

Der Bedeutungszuwachs neuer Technologien hat konkrete Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung, denn nur durch den konsequenten Einsatz und die aktive Weiterentwicklung neuer Technologien können Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben.

Für die berufliche Ausbildung bedeutet dies, dass

die Nachfrage nach und das Angebot an beruflicher Ausbil-dung in neuen Technologien steigen wird und

gleichzeitig die Anwendung technologischer Neuerungen in der beruflichen Ausbildung immer wichtiger wird.

Ausbildung in neuen Technologien

Um die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirt-schaft zu gewährleisten, wird es immer wichtiger, qualifizierte Fachkräfte auf allen Ebenen – Ausbildung und Hochschulbil-dung – auszubilden. Damit ändern sich die Anforderungen an die Ausbildungsinhalte und die Auszubildenden. Durch Anpassungen oder Entwicklung neuer Berufe müssen diese

veränderten Anforderungen berücksichtigt werden. Es gilt, auch im Bereich der Neuen Technologien Ausbildungsplätze anzubieten bzw. die Ausbildungsbereitschaft der Unterneh-men zu erhöhen sowie eine qualitativ hochwertige Ausbildung anzubieten.

Neue Technologien in der Ausbildung

Der Einzug neuer Technologien in das Bildungs- und damit auch in das Ausbildungswesen ist eine Frage der Ausrüstung und der Lehrmethoden. Die technologischen Fortschritte stellen vor diesem Hintergrund auch eine Lösungsmöglichkeit demographischer Herausforderungen dar, da sie über eine verstärkte Virtualisierung von Ausbildungselementen den demographiebedingten Rückbau von Infrastrukturleistungen der beruflichen Ausbildung auffangen können. Zukünftig wird es darum gehen, die technischen Entwicklungen über die Förderung von bundes- und landesweiten Fachklassen und Ausbildungsverbünden, aber auch den umfassenden Einsatz von Open-Access-Angeboten in der Ausbildung zu unterstüt-zen.

3.1 Konsequenzen des gesellschafts-politischen Wandels aus Sicht der Experten

Im Rahmen der Delphi-Befragung wurden die befragten Experten auch nach ihrer Einschätzung der Konsequenzen des gesellschaftspolitischen Wandels gefragt. Die oben dargestell-ten Herausforderungen und Konsequenzen wurden von den Experten dabei grundsätzlich bestätigt und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die berufliche Bildung konkretisiert.

Internationalisierung und Globalisierung

Internationale Mobilität von Jugendlichen und Auszubildenden

Auch aus Sicht von Experten werden Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse zukünftig auch die berufliche Ausbildung erreichen. Im Zuge dieser Entwicklung wird sich die Mobilität von Auszubildenden erhöhen und internationale (Unternehmens-)Kooperationen in der Ausbildung zunehmen (vgl. Abbildung 8).

Dabei wird diese Entwicklung jedoch nicht von den Auszu-bildenden selbst forciert, sondern die treibenden Kräfte für diese Entwicklung sind die Unternehmen. Die Implementierung von neuen internationalen Ausbildungskooperationen zieht erst zeitlich verzögert eine höhere internationale Mobilität der Auszubildenden nach sich. Dies bezieht sich jedoch vor allem auf inländische Auszubildende und begrenzte zeitliche

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26 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

Abb. 8: Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse in der beruflichen Ausbildung

Internationale Mobilität der Azubis steigt (N = 168)

Internationale Kooperationen nehmen zu (N = 133)

Unternehmen verlagern Ausbildungsteile ins Ausland (N = 131)

0% 20% Angabe in gültigen %

hochmittel

48% 24%

59% 12%

14% 1%

Wahrscheinlichkeit:

40% 60% 80% 100%

Quelle: Prognos AG 2008

Auslandsaufenthalte im Rahmen einer dualen Ausbildung im Inland. Eine flächendeckende Anwerbung ausländischer Auszubildender, um den Fachkräftemangel zu decken, wird auch zukünftig nicht stattfinden. Auch werden Unternehmen Ausbildungsaktivitäten zukünftig nicht ins Ausland verlagern.

Trotz zunehmender internationaler Mobilität bleibt ein Auslandsaufenthalt und eine internationale Orientierung der Eigeninitiative der Auszubildenden überlassen. 85% der Exper-ten sind der Ansicht, dass sich verpflichtende Auslandsaufent-halte nicht bzw. nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu einem Standard in der beruflichen Ausbildung entwickeln.

Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland

Die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist auch auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft eine wichtige Aufgabe. Zurückgehende Schülerzahlen machen die umfas-sende Ausschöpfung von Beschäftigungspotenzialen dieser Zielgruppe notwenig. Dabei ist es aus Sicht der Experten ent-scheidend, die bestehenden schulischen Benachteiligungen von Migranten aufzubrechen. Nur dann haben Jugendliche mit Migrationshintergrund verbesserte Chancen auf dem Ausbildungsmarkt (vgl. Abbildung 9).

Finanzsituation der öffentlichen Haushalte

Trotz der geringen finanziellen Spielräume öffentlicher Haus-halte wird sich diese Situation aus Sicht der befragten Experten zukünftig nicht zulasten der öffentlichen Bildungsfinanzie-rung durch Bund und Länder auswirken. Die Wahrscheinlich-keit, dass Einrichtungen beruflicher Ausbildung zukünftig privatisiert werden und die Finanzierung durch die öffent-lichen Haushalte damit substanziell verändert wird, wird nur von 6% der Experten als hoch eingeschätzt (vgl. Abbildung 10). Weitere 13% der Experten sehen eine zunehmende Konkurrenz für die traditionelle duale Ausbildung durch private Ausbil-dungsangebote innerhalb der dualen Ausbildung. Kosten-pflichtige duale Ausbildungsgänge halten sogar nur 2% für sehr wahrscheinlich. Auch mehrheitlich privatisierte Berufs-bildungszentren sowie Fach- und Berufsschulen wird es nach Einschätzung von 78% bzw. 89% der Experten zukünftig nicht geben.

Die absolute Höhe der Ausgaben wird demographisch be-dingt dennoch sinken: Vier Fünftel der Experten halten es für realistisch, dass zurückgehende Schülerzahlen zu Einspar-effekten im Bereich der beruflichen Ausbildung führen werden. Dabei gehen die Experten davon aus, dass diese frei werdenden Mittel nicht zur Qualitätssteigerung im System der beruflichen Ausbildung reinvestiert werden, sondern für andere staatliche Aufgaben aufgewendet werden.

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Abb. 9: Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der beruflichen Ausbildung

... mit Migrations-hintergrund (N = 130)

0%

These: Es werden vermehrt Jugend-liche ausgebildet, die bisher auf dem Ausbildungsmarkt benach-teiligt waren. Davon profitieren Jugendliche ...

0,5%

1%

1,5%

2%

2,5%

3%

... ohne Bildungsabschluss (N = 129)

... mit niedrigem Bildungsabschluss (N = 129)

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittsswahrscheinlichkeit ist gering 2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel 3 = Eintrittsswahrscheinlichkeit ist hoch

Quelle: Prognos AG 2008

Abb. �0: Privatisierung von Einrichtungen beruflicher Ausbildung

0% 20% 40% 60%

Quelle: Prognos AG 2008

100%80%

Hoch

Gering

Null

Angabe in gültigen %

6,0%

50,0%

1,0%

43,0%

Mittel

These: Einrichtungen der beruflichen Ausbildung werden zunehmend privatisiert (N = 130)

Wahrscheinlichkeit

27 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

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28 KOnSEQuEnZEn DES GESEllScHAFTSPOlITIScHEn WAnDElS

neue Technologien

Der technologische Wandel wirkt sich auf die Ausbildung in zweifacher Hinsicht aus. Zum einen gewinnt die Ausbildung in neuen Technologiefeldern an Bedeutung. Damit verän-dern sich Berufe, Tätigkeitsbereiche und Qualifizierungsan-forderungen. Zum anderen halten neue Technologien auch Einzug in die Ausbildungs- und Lernmethoden. Beiden Ent-wicklungen schreiben die befragten Experten einen großen Einfluss auf die zukünftige Gestalt der beruflichen Ausbildung zu.

Berufe, Tätigkeitsbereiche und Qualifizierungsanforde-rungen in der beruflichen Ausbildung werden sich in der Folge des technologischen Wandels ausdifferenzieren. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Qualifikation und Kompe-tenz von Auszubildenden und Ausbildern. Hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen an die Ausbilder gewinnen dabei nonformale Kompetenzen sowie Soft Skills gegenüber fachlichen Kompetenzen immer mehr an Bedeutung.

Die Nachfrage nach mittleren Schulabschlüssen und Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung in der dualen Ausbildung nimmt vor dem Hintergrund steigender Anforderungen zu. In der Konsequenz dieser Entwicklungen

verschlechtern sich die Chancen bildungsferner Jugendlicher auf Integration in die berufliche Ausbildung bereits kurzfristig (vgl. Abbildung 11). Darüber hinaus werden Belastungs- und Überforderungssituationen in der dualen Ausbildung häu-figer.

Abb. ��: Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Integrationschancen bildungsferner Ausbildungsbewerber

0% 20% 40% 60% Quelle: Prognos AG 2008

100%80%

Hoch

Gering

Null

Angabe in gültigen %

74,0%

23,0%

0,0%

3,0%

Mittel

These: Zunehmender Einsatz neuer Technologien ver-schlechtert die Zukunfts-chancen zur Ausbildung für bildungsferne Gruppen (n = �3�)

Wahrscheinlichkeit

Der technologische Wandel verändert jedoch nicht nur die Ausbildungsinhalte und Anforderungen, sondern hat auch Ausbildungs- und Lernmethoden in der Ausbildung selbst. Zwei Drittel der befragten Experten gehen davon aus, das Ausbildungselemente in der beruflichen Ausbildung zukünf-tig verstärkt virtuell vermittelt werden. Der Einsatz neuer Technologien ist aus Sicht der Experten dabei weitgehend kostenneutral. Nur ein Fünftel geht von höheren Ausbildungs-kosten aufgrund des Einsatzes neuer Technologien aus. Insge-samt stellt der stärkere Einsatz neuer Technologien für zwei Drittel der Experten einen Qualitätsgewinn in der beruflichen Ausbildung dar.

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29 AuSBIlDunGSAnFänGEr In DEuTScHlAnD

4 Ausbildungsanfänger in Deutschland

Die Zahl der Ausbildungsanfänger wird wesentlich über die Alterskohorte der Ausbildungsbevölkerung sowie deren Ausbildungsentscheidung beeinflusst. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, eines im Vergleich wenig integrativen Bildungssystems sowie des Wandels hin zu einer wissensbasierten Gesellschaft werden derzeit für beide Indika-toren zentrale Veränderungen erkennbar, was für die Zukunft des Berufsbildungssystems in Deutschland eine erhebliche Herausforderung darstellt.

Eine der wichtigsten Einflussgrößen für die Entwicklung der Nachfrage in der beruflichen Ausbildung ist die Alters-verteilung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes

lebten zum Jahresende 2007 82,2 Millionen Menschen in der Bundesrepublik. Der Anteil der schulpflichtigen Bevölkerung zwischen 6 und 18 Jahren betrug dabei 12%, der Anteil der Aus-bildungsbevölkerung zwischen 17 und 25 Jahren 9,5%.7

7 Vgl.Destatis(�007):BevölkerungundErwerbstätigkeit.Bevölkerungs-fortschreibung.Fachserie�,Reihe�.3,Tabelle�.�.

Demo-graphisch bedingt sind die Schülerzahlen in den letzten Jahren bereits gesunken. Die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden

Schulen sank zwischen 1995 und 2007 um 7,5% von 9,9 Millio-nen auf 9,2 Millionen Schüler. Auf den Ausbildungsmarkt wirkt dieser Rückgang allerdings erst mit Verzögerung: Die Zahl der Schulabsolventen/-abgänger stieg im gleichen Zeitraum um 12% von 861.669 auf 964.848 Absolventen/Abgänger.8

8 Vgl.Destatis(�008):BildungundKultur.AllgemeinbildendeSchulen. Fachserie��,Reihe�,Tabelle3.�,Tabelle�.�.

Seit 1992 hat sich dabei die Bedeutung einzelner Abschluss-arten verschoben. Besonders der Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss ist gesunken. Damit hat der Anteil derje-nigen Absolventen mit mittleren und höheren Abschlussarten weiter zugenommen. Dies gilt besonders für Absolventen mit Fachhochschulreife. Ihr Anteil hat sich in diesem Zeitraum von 0,7% (1992) auf 1,5% (2007) nahezu verdoppelt.9

9 Vgl.Destatis(�008):BildungundKultur.AllgemeinbildendeSchulen. Fachserie��,Reihe�,Tabelle�.�.

Absolventen allgemeinbildender Schulen erreichten im Entlassjahr 2007 die in Abbildung 12 dargestellten Schulab-schlüsse.

Abb. �2: Bildungsabschlüsse von Absolventen allgemeinbildender Schulen im Jahr 2007

26,8%Þ

mit allgemeiner HochschulreifeÞ

1,5%Þmit FachhochschulreifeÞ

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur, S. 256Þ

7,3% ohne Hauptschulabschluss

23,7% mit Hauptschulabschluss

40,7% mit Realschulabschluss

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30 AuSBIlDunGSAnFänGEr In DEuTScHlAnD

Für die Absolventen mit Studienberechtigung ist festzustel-len, dass ein immer geringerer Teil diese Berechtigung auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Zwar hat die absolute Zahl der Studienanfänger seit 2000 zugenommen und sich auch der Anteil der Studierenden an der altersspezifischen Bevölkerung erhöht (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4: Entwicklung der deutschen Studienanfänger seit 2000 �0

Studienanfänger Anteil an der altersspezifischen

Bevölkerung in %

2000 314.539 33,5

2001 344.659 36,1

2002 358.792 37,1

2003 377.395 38,9

2004 358.704 37,1

2005 355.961 37,0

2006 344.822 35,7

2007 1) 358.673 36,6

1) Für 2007 vorläufige Zahlen

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008

Gleichzeitig verringerten sich jedoch die Übergangsquoten der Absolventen mit Studienberechtigung an Hochschulen (vgl. Tabelle 5). Betrug die Übergangsquote der Studienberech-tigten an Universitäten und Fachhochschulen 1990 noch 83,9%, so bewegt sie sich 2006 voraussichtlich nur noch zwischen 68% und 74%.

An dieser Entwicklung wird deutlich, dass die zunehmende Neigung zu höheren Schulbildungsabschlüssen und die stei-gende Zahl der Abiturienten nicht zwangsläufig zu einem hö-heren Anteil von Absolventen mit Studienberechtigung führt, die sich für ein Hochschulstudium entscheiden. Vielmehr spiegelt sich in diesen Zahlen auch die gestiegene Nachfrage nach Auszubildenden mit (Fach-)Abitur für die berufliche Aus-bildung wider. Es ist zu vermuten, dass die Studierenden ihre Studienberechtigung immer mehr als eine zusätzliche Mög-lichkeit im Rahmen ihrer Bildungsentscheidungen begreifen.

Darüber hinaus hängt die Bildungsentscheidung in Deutschland in besonderem Maße von der sozialen Herkunft des Einzelnen ab. Bildungschancen sind schichtspezifisch sehr ungleich verteilt. Dabei wirkt sich u.a. ein hoher Berufs-bildungsabschluss und beruflicher Status der Eltern sowie ein hohes Elterneinkommen positiv auf die Bildungsentscheidung

eines Kindes aus.10

�0 Vgl.BMBF(Hrsg.)�00�:BildungundLebenslageninDeutschland –AuswertungenundAnalysenfürdenzweitenArmuts-undReich-tumsberichtderBundesregierung,Bonn.

Da die schulische Vorbildung auch für die Zugangschancen zum System der beruflichen Ausbildung entscheidend ist, werden ungleiche Zugangschancen und Bil-dungsdisparitäten auch innerhalb des Systems der beruflichen Ausbildung reproduziert.

Analysen der Ausbildungsplatzsuche von Bewerbern für betriebliche Ausbildungsplätze zeigen, dass die Bildungs- und Berufsentscheidung von einer hohen inhaltlichen und regio-nalen Flexibilität charakterisiert wird. Eine gemeinsam von der BA und BIBB durchgeführte repräsentative Befragung von Lehrstellenbewerbern 2004 belegt die hohe berufliche und regionale Mobilität der Bewerber. Über 70% der Bewerber ha-ben sich im Rahmen ihrer Ausbildungsplatzsuche auf mehr als einen Beruf beworben. Die regionale Mobilität ist besonders in den neuen Bundesländern stark ausgeprägt, wo sich knapp 40% der Ausbildungsplatzsuchenden auf Lehrstellen beworben haben, die über 100 km vom Wohnort entfernt sind.11

�� Vgl.http://www.bibb.de/de/wlk����9.htm.

Tabelle 5: Übergangsquote von der Schule an die Hochschule in Deutschland

Studienberechtigtenjahrgang in %

1980 86,9

1985 78,3

1990 83,9

1995 75,9

1996 76,8

1997 74,2

1998 73,9

1999 76,0

2000 76,1

2001 74,6

2002 77–80

2004 71–7 7

2005 69–76

2006 68–74

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008

Page 35: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

AuSBIlDunGSAnFänGEr In DEuTScHlAnD 3�

Gender-Mainstreaming

In der Bildungsbeteiligung zeigen sich auch aktuell ge-schlechtsspezifische Ungleichgewichte: Im Jahr 2006 er-reichten Mädchen systematisch höhere Bildungsabschlüsse als Jungen. Der höhere Bildungsgrad von Mädchen ist dabei sowohl bei deutschen als auch bei ausländischen Jugendlichen festzustellen – eine Entwicklung, die seit den 90er-Jahren sichtbar ist.12

�� Vgl.KonsortiumBildungsberichterstattung(Hrsg.)(�00�):Bildung inDeutschland.EinindikatorengestützterBerichtmiteinerAnalyse zuBildungundMigrationinDeutschland,Bielefeld,S.73;oderauch BMFSFJ(Hrsg.)(�00�):Gender-Datenreport.�.DatenreportzurGleich-stellungvonFrauenundMännerninderBundesrepublikDeutschland, München;sowieAutorengruppeBildungsberichterstattung(Hrsg.) (�008):BildunginDeutschland.EinindikatorengestützterBerichtmit einerAnalysezuÜbergängenimAnschlussandenSekundarbereichI, Bielefeld,S.�7�,Tab.D7-�A.

In der Konsequenz offenbaren sich geschlechts-spezifische Unterschiede auch in der beruflichen Bildung, und zwar sowohl in der Ausbildungsbeteiligung als auch zwischen den einzelnen Ausbildungsgängen.

Während im dualen System als auch im Übergangssystem die männlichen Auszubildenden dominieren (58,2% bzw. 57,3%), beträgt der Anteil der weiblichen Neuzugänge bei den vollschulischen Ausbildungsgängen 69,0%.13

�3 Vgl.AutorengruppeBildungsberichterstattung:BildunginDeutsch-land�008,S.3�0,Tab.H3-3A.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass der Anteil der Mädchen an den Neuzugän-gen in allen drei Säulen seit 2000 gesunken ist.14

�� Vgl.ebd.,S.3�8,Abb.H3-9A.

Ursache hierfür ist die steigende Tendenz von jungen Frauen, eine akademische Ausbildung zu beginnen. Trotz guter schulischer und akademischer Ausbildung sind die beruflichen Perspekti-ven junger Frauen hinsichtlich Aufstiegschancen, Einkommen und Prestige im Vergleich zu denen junger Männer jedoch weiterhin schlechter.

Zu den Herausforderungen der Zukunft wird es daher gehören,

1) geschlechterspezifische Ungleichgewichte im Bildungs-niveau, wie die mangelnde schulische Qualifizierung von männlichen Jugendlichen, gezielt abzubauen,

2) Mädchen und junge Frauen vermehrt für Berufe und Aus-bildungsgänge zu interessieren, die attraktive berufliche Perspektiven eröffnen.

4.1 Mittelfristige Entwicklungen

Eine veränderte Altersstruktur führt zu einer erheblichen Verringerung der Ausbildungs-bevölkerung

Das Bevölkerungsmodell der Prognos AG prognostiziert aus-gehend vom Basisjahr 2004 einen Rückgang der Bevölkerung auf 81,1 Millionen Menschen bis 2030. Die in das Bildungs- und Ausbildungssystem hineinwachsenden Alterskohorten wer-den sich durch diese Entwicklung bis zum Jahr 2035 deutlich verkleinern:

Die Anzahl der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren wird sich nach Prognosen in den nächsten Jahrzehnten weiter verringern. Bis zum Jahr 2030 nimmt diese Alterskohorte im Vergleich zum Jahr 2004 um knapp 1,9 Millionen ab. Dies entspricht einem Rückgang von über 18%. Die Gruppe der 17- bis 25-Jährigen – diejenige Kohorte, die die Ausbildungsplatznachfrage im Wesentlichen bestimmt – sinkt im Zeitraum von 2004 bis 2030 von 7,7 Millio-nen auf 6,2 Millionen und damit um 19,7%.

Detailanalysen unterhalb dieser aggregierten Ebene zei-gen, dass diese Veränderungen regional in unterschiedlicher Intensität und zeitlich versetzt auftreten. In den ostdeutschen Bundesländern erreicht die Zahl der Schulpflichtigen bereits 2009 ihren Tiefstand, in Westdeutschland sinkt ihre Anzahl dagegen kontinuierlich bis 2023. Ähnlich stellt sich die Ent-wicklung für die Ausbildungsbevölkerung dar. Während in Ostdeutschland die Zahl der Jugendlichen im Ausbildungsalter aufgrund des Geburtenknicks im Zuge der Wiedervereinigung bereits 2016 am niedrigsten ist und anschließend bis 2030 wieder leicht ansteigt, wird in Westdeutschland die niedrigste Zahl von Jugendlichen zwischen 17 und 25 Jahren erst im Jahre 2030 erreicht. Im Vergleich ist der Rückgang dieser Altersko-horte von 2004 bis 2030 in Ostdeutschland mit 37,3% (gegen-über 14,5% in Westdeutschland) weitaus dramatischer.

Der Trend zu höheren Schulabschlüssen hält an

Die Vorausberechnung der Absolventenzahlen der KMK bestätigt in ihrer Prognose bis zum Jahr 2020 den anhaltenden Trend zu höheren Schulabschlüssen. Gegenüber der Fachhoch-schulreife und der allgemeinen Hochschulreife verlieren alle anderen Abschlüsse sowie der Anteil derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, an Bedeutung.15 Doppeljahrgänge bzw. der Ausfall von Jahrgängen aufgrund der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Schuljahre wurden, so-weit zum Erhebungszeitraum bekannt, in der Prognose bereits berücksichtigt.

�� KMK(Hrsg.)(�00�):VorausberechnungderSchüler-undAbsolventen-zahlenderKultusministerkonferenz(DokumentationNr.�73),Berech-nungaufBasisdesJahres�003.

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32 AuSBIlDunGSAnFänGEr In DEuTScHlAnD

4.2 Herausforderungen und Perspektiven

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen müssen die Anforderungen, die auf der Nachfrageseite für das System der beruflichen Ausbildung entstehen, differenziert betrachtet werden:

Ausschöpfung der Ausbildungspotenziale wird angestrebt

Für die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung wird es zukünftig entscheidend sein, Beschäftigungs- und Ausbil-dungspotenziale umfassend auszuschöpfen und damit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dazu gehört nicht nur, formal immer höher qualifizierte Schulabsolventen für hochwertige Ausbildungsformen zu gewinnen, sondern um-gekehrt die Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Bildung auch für weniger Qualifizierte zu erhalten. Vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung wird darüber hinaus die Forderung lauter, die Befähigung zu lebenslangem Lernen als zentralen Bestandteil der Ausbildungscurricula und der betrieblichen Praxis stärker zu betonen und umzusetzen.

Wettbewerb um die besten Köpfe verschärft sich auch für das System der beruflichen Ausbildung

Vor dem Hintergrund einer Entwicklung hin zu einer wis-sensbasierten Ökonomie wird der Trend zu höheren Schul-abschlüssen weiter anhalten. Da die steigende Zahl der Schulabsolventen mit Studienberechtigung derzeit nicht mit steigenden Übergangsquoten an die Hochschulen einhergeht, spiegelt sich in diesen Zahlen auch die gestiegene Nachfrage nach Auszubildenden mit Hochschulzugangsberechtigung im Rahmen der beruflichen Ausbildung. Zu fragen bleibt, wie sich das System der beruflichen Ausbildung zukünftig im Wettbe-werb und in Ergänzung zu alternativen Bildungsangeboten von Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten platzieren kann. Es bleibt offen, ob die hohe Nachfrage nach Auszubildenden mit Hochschulzugangsberechtigung weiter anhält und wie bisher mit einer verringerten Studienneigung einhergeht oder ob es den Hochschulen stärker gelingt, Jugendliche für ein Studium zu gewinnen. Die zunehmende Deregulierung und Professionalisierung der Hochschulen im Hinblick auf Profilbildung, Marketing und (internationalen) Wettbewerb16 könnte sich im langfristig zu erwartenden Wett-bewerb als strategischer Vorteil für die Hochschulen gegen-über den beruflichen Bildungsanbietern erweisen.

�� Vgl.PrognosAG(Hrsg.)(�007):UnternehmenHochschule.DieZukunft derHochschulenimWettbewerb,Berlin.

In der Studienentscheidung überlagern sich finanzielle, or-ganisatorische sowie strukturelle und konjunkturelle Aspekte

wie bspw. die zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarkts für Akademiker. Auf allen vier Ebenen werden derzeit innerhalb des Hochschulsystems erhebliche Veränderungen erkenn-bar. Noch nicht absehbar sind derzeit die Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren17 bzw. die Umstellung auf das MA-/BA-System im Rahmen des Bologna-Prozesses. Damit zusammenhängende Entwicklungen wie der zunehmende Praxisbezug der Curricula, die kürzere Studiendauer und nicht zuletzt die Kosten des Studiums werden damit indirekt auch Auswirkungen auf die Ausbildungsnachfrage haben.

�7 BisaufNRWundNiedersachsenwurdenStudiengebührenerstnach �00�eingeführtundsinddamitinderaktuellenStatistiknochnicht abgebildet.

Eine erste Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft zu Berufswegen und Berufschancen von Bache-lor-Absolventen ergab, dass der neue Studienabschluss sowohl vonseiten der Absolventen als auch von den Unternehmen gut angenommen wird. Die befragten Unternehmen betrachten die neuen Bachelor-Abschlüsse mehrheitlich als vollwertigen akademischen Abschluss mit vergleichbaren Karrierechan-cen. Allerdings äußern die Unternehmen auch die Absicht, diese Einschätzungen ggf. wieder zu revidieren, sollte sich im Verlauf der Zeit zeigen, dass die neuen Bachelor-Absol-venten nicht entsprechend qualifiziert sind. Eine skeptischere Haltung wird den neuen Bachelor-Abschlüssen vor allem in forschungsnahen Bereichen oder analytisch-strategisch sehr anspruchsvollen Tätigkeiten entgegengebracht.18

�8 Vgl.StifterverbandfürdieDeutscheWissenschaft(Hrsg.)(�00�):Kar-rieremitdemBachelor,BerufswegeundBerufschancen,Essen.

Bestätigen sich diese ersten Ergebnisse auch nach der flächendeckenden Einführung der neuen Abschlüsse, ist zu vermuten, dass Bache-lor-Abschlüsse für die berufliche Ausbildung eine ernst zu neh-mende Konkurrenz im Wettbewerb qualifizierter Absolventen mit Hochschulzugangsberechtigung darstellen.

Eine gegenläufige Entwicklung könnte sich allerdings aus einer sinkenden Bildungsrendite ergeben. Investitionen in akademische Bildung lohnen sich nicht mehr in gleichem Um-fang wie früher.19

�9 Frietsch,Rainer(�00�):EntwicklungderprivatenBildungsrenditen �980–�00�,Mannheim.

Dabei bleibt auch abzuwarten, wie sich die noch relativ neue Entwicklung vermehrt prekärer Berufsein-stiege auch unter Akademikern auf die zukünftige Bildungs-rendite und damit ein zentrales Kriterium für die Studienent-scheidung von Schulabsolventen auswirkt.20

�0 Grühn,Dieter/Hecht,Heidemarie(�007):GenerationPraktikum? PrekäreBeschäftigungsformenvonHochschulabsolventen,Berlin.

4.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung

Die im Rahmen der Delphi-Erhebung befragten Experten sehen eine deutliche Konkurrenz zwischen dualer Ausbildung und Hochschulbildung. Insbesondere die im Rahmen des

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33 AuSBIlDunGSAnFänGEr In DEuTScHlAnD

Bologna-Prozesses erfolgte Stärkung der Berufsorientierung wird als Vorteil für die Hochschulen gesehen. Die Vorteile eines Hochschulstudiums werden damit bis 2015 erheblich zunehmen und die Berufsausbildung für Absolventen mit Hochschulzugangsberechtigung in ihrer Attraktivität deutlich schwächen. Eine Gegenbewegung kann aus Sicht der Experten vor allen durch hohe Studiengebühren ausgelöst werden (vgl. Abbildung 13).

Abb. �3: Konkurrenzverhältnis akademischer und beruflicher Bildung

Attraktivität dualer Ausbildung ist höher (N = 125)

Attraktivität der Hochschule ist höher (N = 159)

0% 20%

Angabe in gültigen %

hochmittel

30% 3%

44% 32%

Wahrscheinlichkeit:

40% 60% 80% 100%

Quelle: Prognos AG 2008

Insgesamt ist daher nicht mit einem Gegentrend zur sinkenden Zahl von Ausbildungsanfängern in Deutschland zu rechnen. Die Wahrscheinlichkeit eines weiterhin beste-henden Mangels an Ausbildungsplätzen bis zum Ende des Betrachtungszeitraums 2035 ist extrem gering. Mit großer

Wahrscheinlichkeit ist von einem andauernden Mangel an Auszubildenden auszugehen. Dieser setzt in den östlichen Bundesländern deutlich früher ein, führt jedoch trotz feh-lender Ausbildungsplätze in den westlichen Bundesländern nicht zu Wanderungsbewegungen von Auszubildenden in den Osten.

Nur geringe Chancen werden einer erfolgreichen Reform des Schulsystems von den Experten eingeräumt. Zwar wird schulische Bildung als zentraler Stellhebel für die Sicherung der Qualität in der beruflichen Bildung gesehen, jedoch bleibt die Einschätzung pessimistisch, dass die notwendigen Prozesse so umgesetzt werden, dass die Qualität der Schulabgänger sich bis 2035 entscheidend verbessert.

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34 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

5 Die Situation der Bildungsanbieter

In Anlehnung an die Systematik des Konsortiums Bildungsbe-richterstattung21 können im System der beruflichen Ausbil-dung in der Bundesrepublik drei Säulen unterschieden werden (vgl. Abbildung 14):22

�� HeuteAutorengruppeBildungsberichterstattunggenannt. �� ZurAbgrenzungderTeilsystemevgl.KonsortiumBildungsbericht-

erstattung:BildunginDeutschland,S.8�.

Abb. �4: Systematisierung des Systems der beruflichen Ausbildung

• Teilzeitberufsschule im Rahmen einer Berufsausbildung

• Außerbetriebliche Ausbildung

• Kooperatives Berufsgrund-bildungsjahr

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006

Duale Ausbildung (nur Schüler mit Ausbildungsvertrag)

• Ausbildung an Berufsfachschulen innerhalb BBiG/HwO

• Ausbildung an Berufsfachschulen außerhalb BBiG/HwO

• Ausbildung an Schulen des Gesundheitswesens

• Fachschulen (nur Erstausbildung)

Schulberufssystem

• BGJ (ohne Anerkennung), BVJ

• Berufsfachschulen, die keinen beruflichen Abschluss vermitteln, eventuell aber das Nachholen eines allgemeinbildenden Abschlusses eröffnen

• Schüler auf Berufsschulen ohne Ausbildungsvertrag

• Maßnahmen der BA (Jugend-sofortprogramm und Maßnahmen nach SGB III)

Übergangssystem (ohne qualifizierten Berufsabschluss)

Ausbildung im Rahmen des dualen Systems,

vollschulische Ausbildung und

(Aus-)Bildung im Rahmen eines Überganssystems, dass nicht zu einem qualifizierenden Berufsabschluss führt.

Vom dualen System unterscheiden sich die beiden anderen Systeme durch folgende Charakteristika:

Das Schulberufssystem umfasst vor allem die Ausbildung an Berufsfachschulen außerhalb und innerhalb des Geltungs-bereichs von BBiG und HwO, die Erstausbildung an Fachschu-len sowie die Ausbildung an Schulen des Gesundheitswesens. Gemeinsam ist den Angeboten dabei, dass sie zu einem qua-lifizierten Berufsabschluss führen. Im Mittelpunkt dieser Aus-bildungsgänge stehen dabei Ausbildungen im Bereich per-sonennaher Dienstleistungen (bspw. Kinder- und Altenpfleger, Kosmetiker, Ergotherapeuten etc.) bzw. medizinisch-tech-nische Assistentenberufe.

Im Übergangssystem sind heterogene (Aus-)Bildungsan-gebote zusammengefasst, die in der Regel allgemeinbildende mit beruflichen Bildungs- und Qualifizierungsteilen kombi-nieren. Die Angebote des Übergangssystems vermitteln dabei keinen qualifizierten beruflichen Abschluss. Sie zielen auf die Herstellung bzw. Erweiterung der Ausbildungsfähigkeit und werden teilweise durch die Bundesagentur für Arbeit finan-ziert. Einen großen Anteil am Übergangssystem haben dabei die Berufsfachschulen, an denen allgemeinbildende Schulab-schlüsse nachgeholt werden können und gleichzeitig beruf-liche Grundkenntnisse vermittelt werden. Darüber hinaus sind das schulische Berufsvorbereitungsjahr sowie das schulische Berufsgrundbildungsjahr von besonderer Bedeutung.

Vor dem Hintergrund dieser Klassifizierung lassen sich für die Vergangenheit erhebliche Verschiebungen im System der beruflichen Ausbildung erkennen, in denen sich wesentliche sozioökonomische Entwicklungen widerspiegeln und aus denen zentrale zukünftige Herausforderungen für das System der beruflichen Bildung abgeleitet werden können.

Die Neueintritte in das System der beruflichen Ausbildung sind zwischen 1995 und 2006 um knapp 18,7% gestiegen. Betrachtet man die absoluten Zahlen, ergeben sich für diesen Zeitraum folgende Veränderungen (vgl. Tab. 6).23

�3 Vgl.AutorengruppeBildungsberichterstattung:BildunginDeutsch-land�008,S.9�,Abb.E�-�.

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35 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

Tabelle 6: neueintritte in das berufliche Bildungssystem

�995 2004 2006 Veränderung 2006 zu �995

Anzahl Anzahl in %

Duales System 547.062 535.322 551.434 4.372 0,8%

Schulberufssystem 180.27 1 21 1.531 212.984 32.713 18,1%

Übergangssystem 341.137 505.197 503.401 162.264 47,6%

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008

Zusätzlich zu diesen quantitativen Steigerungen zeichnen sich jedoch auch qualitative Verschiebungen innerhalb der Berufsbildungsstrukturen ab:24

�� Vgl.ebd.,S.�7�,TabelleE�-�AsowieS.98,Abb.E�-3.

Das System der dualen Ausbildung verliert tendenziell an Bedeutung. Der Anteil an den Neueintritten in das System der beruflichen Bildung ist zwischen 2000 und 2006 von 47,8% auf 43,5% gesunken.

Der Anteil vollzeitschulischer Ausbildung nahm dagegen zwischen 2000 und 2006 zu. Der Anteil an den Neueintrit-ten stieg von 14,4% auf 16,8%.

Auch das Übergangssystem erfährt einen Bedeutungsge-winn: Der Anteil an den Neuzutritten stieg von 2000 bis 2006 von 37,8% auf 39,7%.

In den skizzierten Verschiebungen zeigen sich die Auswir-kungen des sozioökonomischen Strukturwandels:

Die abnehmende Bedeutung des industriellen Sektors artikuliert sich im Rückgang der dualen Ausbildung an den Neuzugängen. Dabei kann dieser Bedeutungsver-lust innerhalb der dualen Ausbildung nicht durch einen Anstieg von Ausbildungsplätzen im Dienstleistungssektor kompensiert werden.

Nach der oben dargestellten Charakterisierung von voll-zeitschulischen Ausbildungsangeboten artikuliert die Zunahme in diesem Bereich die zunehmende Bedeutung personenbezogener Dienstleistungen.

Die Ausweitung des Übergangsystems weist darauf hin, dass der Übergang von der Schule in Ausbildung bzw. in Beschäftigung zunehmend problematischer geworden ist.

Betrachtet man die Zugangschancen zu den einzelnen Säulen der beruflichen Bildung nach Art des Schulabschlusses, wer-

den zentrale Integrationsdefizite des Systems der beruflichen Ausbildung erkennbar:

2006 erhielten von den Neuzugängen ohne Hauptschulab-schluss 78,7% einen Platz im Übergangssystem. Auch unter den Neuzugängen mit Hauptschulabschluss war 2006 noch mehr als jeder Zweite (50,8%) im Übergangssystem. Erst die Neuzu-gänge mit einem mittleren Schulabschluss erreichen in der Mehrheit einen Ausbildungsplatz in der dualen Ausbildung (47,4%) bzw. im Schulberufssystem (24,4%) und damit Zugang zu einem qualifizierenden Berufsabschluss. Die Neuzugänge mit Hochschul- bzw. Fachhochschulreife absolvierten dagegen zu 67,4% eine Ausbildung in der dualen Ausbildung und zu 28,5% im Schulberufssystem. 2006 sind damit zwei Drittel der Ausbildungsplätze in der dualen Ausbildung von Absolventen mit mittlerem Schulabschluss bzw. Hochschulreife besetzt worden, im Schulberufssystem sogar 83%.25

�� Vgl.AutorengruppeBildungsberichterstattung:BildunginDeutsch-land�008,S.��8,TabelleH3-3A.

Diese Verteilung bestätigt damit auch Ergebnisse des BIBB-Expertenmonitors 2005, wonach die Anforderungen am Ausbildungsplatz in den letzten 15 Jahren gestiegen sind und sich die Ansprüche an die Bewerber erhöht haben.26

�� Ehrenthal,Bettina/Eberhard,Verena/Ulrich,JoachimGerd(�00�): Ausbildungsreife–auchunterFachleuteneinheißesEisen,Fachbeitrag imInternet,Bonn,S.�.

Die Chancen von Absolventen mit bzw. ohne Hauptschul-abschluss auf eine qualifizierte berufliche Ausbildung sind an-gesichts dieser Entwicklung deutlich verringert. Vor dem Hin-tergrund der geringen sozialen Mobilität in Deutschland sind besonders männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund von diesem Exklusionsprozess bedroht (vgl. auch Abschnitt 3). Die hohe Integrationsfähigkeit gerade auch von Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten – bislang als eine zentrale Stärke des bundesdeutschen Ausbildungssystems gewertet – wird durch diese Polarisierungstendenzen zunehmend in Frage ge-stellt. Für die soziale Teilhabe des Einzelnen, aber auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels, ist dies eine höchst problematische Entwicklung. Qualifizierungs- und Beschäftigungspotenziale werden hier nicht ausgeschöpft.

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36 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

In diesen Entwicklungen – abnehmende Bedeutung der dualen Ausbildung sowie abnehmende Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung – überlagern und verstärken sich individuelle Problemlagen sowie ein unzu-reichendes Angebot an betrieblicher Ausbildung. Ein enger Ausbildungsmarkt lässt alternative Angebote wie bspw. eine Ausbildung im Schulberufssystem attraktiver werden, erhöht gleichzeitig aber auch die Hürden für den Zugang zur qualifi-zierenden Ausbildung bei individuellen Beeinträchtigungen der Beschäftigungs- und Ausbildungsfähigkeit. Politisch kommt dem Übergangssystem damit eine doppelte Funk-tion zu: Die Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmer soll hergestellt bzw. verbessert und gleichzeitig die Situation auf dem Ausbildungsmarkt durch diese Angebote entschärft werden.

5.1 Mittelfristige Entwicklungen

Über den drohenden Verlust der Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung hinaus geraten die Bil-dungsanbieter durch den sozioökonomischen Strukturwandel von zwei Seiten unter Druck:

Zum einen stellt der technologische Wandel das System der beruflichen Ausbildung vor neue qualitative Herausfor-derungen. Es stellt sich die Frage, inwieweit innerhalb der traditionellen Strukturen der Dynamik der sich ändernden Rahmenbedingungen ausreichend Rechnung getragen wer-den kann. Dabei wird in Frage gestellt, dass die notwendige Flexibilität und Professionalität innerhalb des bestehenden Systems erreicht werden kann.

Zum anderen stellt auch der demographische Wandel die Bildungsanbieter vor neue Herausforderungen. Vor dem Hintergrund einer sinkenden Ausbildungsbevölkerung ver-ändert sich die Situation der Bildungsanbieter. Ging es in der Arbeit der Bildungsanbieter in der Vergangenheit zentral um die Abschwächung der Auswirkungen des Ausbildungsplatz-mangels, wird es vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zukünftig nun darum gehen, den jeweiligen Fach-kräftebedarf einzelner Regionen bzw. einzelner Unternehmen zu decken und vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräf-temangels die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmter Regionen sicherzustellen.

Die demographischen Herausforderungen sind in Ost-deutschland besonders hoch. Zum einen fällt der Rückgang der Ausbildungsbevölkerung deutlicher aus als in West-deutschland und setzt auch deutlich früher ein (vgl. Kapitel 4), zum anderen spielen aufgrund der angespannteren Lage auf dem Ausbildungsmarkt über- und außerbetrieblich tätige und öffentlich geförderte Bildungsträger zur Ergänzung des betrieblichen Ausbildungsangebots eine zentrale Rolle. Dies wird auch deutlich am Verhältnis von betrieblichen und nicht

betrieblichen Ausbildungsplätzen: Während in Westdeutsch-land der Anteil der nicht betrieblichen Plätze in den Jahren zwischen 2000 und 2006 bei rd. 5 % lag, betrug dieser Anteil in Ostdeutschland im gleichen Zeitraum zwischen einem guten Viertel und fast einem Drittel aller Ausbildungsverträge.27

�7 Vgl.BMBF(Hrsg.)(�00�):Berufsbildungsbericht�00�,Bonn,Berlin, S.��;BMBF(Hrsg.)(�008):Berufsbildungsbericht�008,Bonn,Berlin, S.���.

Die Entwicklung der öffentlichen Förderung von außerbe-trieblichen bzw. betriebsnahen Ausbildungsplätzen ist damit für die zukünftige Entwicklung der Bildungsanbieter von entscheidender Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund ist die zukünftige Rolle der Bildungsanbieter noch weitgehend offen. Es ist zu fragen, inwieweit die Bildungsanbieter den neuen technologischen und soziodemographischen Anforderungen gerecht werden und damit eventuell auch neue Märkte und Tätigkeitsfelder erschließen können oder ob die sinkende Nachfrage nach den traditionellen Leistungen von Bildungsanbietern auch ihr Verschwinden zur Folge hat.

Im Folgenden sollen bereits erkennbare Trends und mög-liche Entwicklungen für einzelnen Bildungsanbieter getrennt betrachtet werden.

Autonomie und regionalisierung beruflicher Schulen als zentrale Modernisierungsstrategie

Um die konstatierte fehlende Anpassungsfähigkeit der beruflichen Schulen zu überwinden, wird derzeit vor allem die Erhöhung von Autonomiespielräumen sowie die stärkere regionale Einbettung und Vernetzung beruflicher Schulen diskutiert. Beide Aspekte – sowohl die größere staatliche Unabhängigkeit als auch die regionale Einbettung – werden idealtypisch im Konzept der regionalen Kompetenznetze diskutiert, zu denen sich berufliche Schulen weiterentwickeln sollen. Innerhalb dieses Konzepts werden zentrale Elemente der Modernisierungsdiskussion von beruflichen Schulen zusammengefasst. Sie sollen sich in diesen Netzwerken zu-künftig als regional und kundenorientierte Bildungsdienst-leister verstehen und damit auf neue Bedarfe sehr viel flexi-bler reagieren können als im traditionellen System. Zentrales Charakteristikum innerhalb dieses Konzeptes ist die höhere Autonomie der beruflichen Schulen. Dazu gehört vor allem die eigenverantwortliche Bewirtschaftung von Personal- und Sachmitteln. Aus- und Weiterbildung werden inner-halb dieser Netzwerke enger verzahnt, der Innovations- und Technologietransfer zwischen regionalen Ausbildungsnach-fragern und -anbietern verbessert. Damit soll vor allem den erhöhten Qualifizierungs- und Fachkräftebedarfen kleiner und mittlerer Unternehmen besser Rechnung getragen werden können. Flexibilität, Qualität und Passgenauigkeit der beruflichen Ausbildung sollen durch die Kompetenznetze erhöht werden.

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37 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

Erste Reformansätze in diese Richtung sind bereits erkenn-bar. Beispielsweise steuert Hamburg die beruflichen Schulen über Ziel- und Leistungsvereinbarungen und erhöht über diese Outputsteuerung deren Autonomie. Modellversuche zu regionalen Kompetenznetzwerken werden beispielsweise in Niedersachen aktuell durchgeführt. Vor dem Hintergrund der Privatisierungsdiskussion im gesamten Bildungswesen und der Autonomiegewinne, die jüngst für die Hochschulen erzielt werden können, steht zu vermuten, dass sich dieser Trend auch bei den beruflichen Schulen verstärken wird.

Zusätzlich werden die neuen Herausforderungen und die damit verbundene qualitative Herausforderung durch den vorhersehbaren Mangel an Lehrkräften an beruflichen Schulen verschärft. Die KMK prognostiziert bis 2015 für die be-ruflichen Schulen 600 nicht besetzte Stellen für Lehrpersonal.28

�8 Vgl.KMK(Hrsg.)(�003):Lehrereinstellungsbedarfund-angebotinder BundesrepublikDeutschland.Modellrechnung�00�–�0��,Bonn,S.��.

Hält der oben beschriebene Trend zu schulischen Ausbildungs-formen und zur Ausweitung des Übergangssystems an, wird sich dieser gravierende Mangel noch zusätzlich erhöhen und sich der Engpass noch weiter zuspitzen.

5.2 Herausforderungen und Perspektiven

Über die begonnenen Reformschritte zur Modernisierung der beruflichen Schulen hinaus ist auch die zukünftige Rolle und Bedeutung anderer Bildungsanbieter im Wesentlichen noch offen. Darüber hinaus ist die Frage nach der notwendigen Qualifikation des Ausbildungspersonals ein wichtiger Aspekt in der Reformdiskussion.

Trotz hohen Veränderungsdrucks ist die zukünftige Bedeutung und das leistungsprofil von Bildungs-trägern noch weitgehend offen

Die veränderten Rahmenbedingungen stellen die Bildungsträ-ger vor allem in Ostdeutschland vor neue Herausforderungen. Obwohl durch eine sehr heterogene Struktur gekennzeich-net, stellt sich für alle Bildungsträger die Frage, wie sie vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und einer dadurch möglicherweise sinkenden öffentlichen Förderung der Erstausbildung ihr Überleben im Bildungsmarkt sichern können. Eine Studie des BIBB zur Rolle der Bildungsträger in den neuen Ländern ergab, dass die Bildungsträger vor diesem Hintergrund einen hohen Veränderungsdruck wahrnehmen und ihre Situation insgesamt relativ pessimistisch einschätzen – konkrete Veränderungsaktivitäten und Bemühungen zur strategischen Anpassungsbemühungen sind jedoch noch relativ wenig erkennbar.29

�9 Grünert,Holle/Burkart,Lutz/Wiekert,Ingo(�00�):Zukunftsperspek-tivenderBerufsausbildungindenneuenLändernunddieRolleder

Bildungsträger.AbschlussberichtzumProjekt,Halle.

Dennoch können auf Grundlage

dieser Untersuchung mögliche Entwicklungsperspektiven für die Bildungsträger identifiziert werden.

Im Mittelpunkt der Reformbemühungen stehen für die Bildungsträger dabei vor allem die Erschließung neuer Kun-denkreise sowie die Ausweitung und Modifizierung traditio-neller Tätigkeitsfelder. Zentral sollte dabei die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln reduziert und zunehmend über die Finanzierung durch private Mittel ersetzt werden. Dabei sind als neue Kundenkreise sowohl Privatpersonen als auch private Unternehmen interessant.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich auch die Tätigkeitsfelder der Bildungsträger verändern: An-gebote im Rahmen der beruflichen Erstausbildung rücken in den Hintergrund. Stattdessen rücken Leistungen der Aus- und Weiterbildung sowie Personaldienstleistungen im Bereich der beruflichen Bildung in den Mittelpunkt einer zukunftsfähigen Entwicklungsstrategie. Auch externes Ausbildungsmanage-ment für Unternehmen kann hierbei eine Rolle spielen.

Gleichzeitig ergeben sich auch bei den verbleibenden Tä-tigkeiten im Bereich der Erstausbildung Veränderungen: Das Angebot an einzelnen Ausbildungsmodulen sowie berufsü-bergreifender Kurse sollte ausgeweitet werden, und auch im verstärkten Engagement in Ausbildungsverbünden liegt ein potenziell zukunftsträchtiger Arbeitsbereich. Auch können im Aufbau neuer (kostenpflichtiger) schulischer Bildungsgänge oder einer verstärkten internationalen Orientierung weitere Betätigungsfelder gesehen werden.

Überbetrieblichen Bildungsstätten kann zukünftig im System der beruflichen Ausbildung eine wich-tige rolle zukommen

Für die Sicherung der Qualität der beruflichen Ausbildung kommt den überbetrieblichen Bildungsstätten eine erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der neuen technologischen Herausforderungen. Für den Ausbau des Leistungsangebots überbetrieblicher Bildungsstätten bestehen dabei durchaus noch Potenziale:30

30 Vgl.Autsch,Bernhardu.a.(�00�):Perspektivenvonergänzendenüber-betrieblichenMaßnahmeninderAusbildungdesHandwerksunter besondererBerücksichtigungberufspädagogischerAspekte,Bonn.

Analog zur Diskus-sion an den beruflichen Schulen wünschen sich die Betriebe von den überbetrieblichen Bildungsstätten zukünftig eine stärkere Orientierung an der jeweiligen Betriebspraxis sowie die Vermittlung von Kompetenzen beim Umgang mit neuen Technologien. Dazu gehört auch eine stärkere Kunden- und Auftragsorientierung in der überbetrieblichen Ausbildung. Gleichzeitig soll auch eine stärkere Flexibilisierung und Indivi-dualisierung des Angebots bspw. durch Zusatzqualifikationen für leistungsstarke und Förderangebote für weniger leistungs-starke Auszubildende erreicht werden.

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38 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

Über diese inhaltlichen Potenziale hinaus werden inner-halb der Studie auch organisatorische Reformnotwendig-keiten angesprochen, über die die Zukunftsfähigkeit der überbetrieblichen Bildungsstätten gesichert und ausgebaut werden kann. Hierzu gehört analog zu den Reformbemü-hungen an den beruflichen Schulen zentral die Professio-nalisierung des Managements der überbetrieblichen Bildungs-stätten durch ein adäquates Marketing und Qualitätsmanage-ment. Nur über einen solchen Wandel des Selbstverständnisses kann zukünftig eine erfolgreiche Posi-tionierung am Markt erreicht werden. Auch überbetriebliche Bildungsstätten sollten sich vor diesem Hintergrund zukünftig als regionale Bildungsdienstleister verstehen, ihre kooperative Funktion an der Schnittstelle der Lernorte von Ausbildungsbetrieb und Berufsschule betonen und ausbauen und damit den neuen Bedarfen der Ausbildungsbetriebe besser Rechnung tragen.31

3� Vgl.ebd.

Adäquate Qualifikation der Berufschullehrer als offene Frage

Ausgangssituation für die Diskussion der Qualitätssicherung und -verbesserung des Lehrpersonals an beruflichen Schulen ist eine auch im internationalen Vergleich sehr hohe Hetero-genität sowohl der beruflichen Schulen selbst als auch der Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen. Diese Vielfalt wird durch die föderale Verantwortungsteilung für die beruflichen Schulen noch zusätzlich erhöht. Die Hetero-genität ist auch in der Qualifikation der Berufsschullehrer anzutreffen – dies gilt trotz des seit 1973 von der KMK festge-schriebenen Lehrerbildungsmodells, das sowohl den Status als auch die Ausbildung des Berufsschullehrers am Vorbild des Gymnasiallehrers orientiert. Zentral geht es innerhalb dieser Reformdebatten um die Art und Tiefe der fachlich-inhaltlichen Qualifikationen von Berufsschullehrern. Offen ist dabei, ob die adäquate fachliche Ausbildung auf Hochschulniveau erfolgen soll oder ob nicht vielmehr eine fundierte berufliche Aus- und Weiterbildung und damit Lehrkräfte aus der Praxis sehr viel besser geeignet wären, die zukünftigen inhaltlichen Anforde-rungen im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit zu erfüllen.

Erhalt und Ausbau der Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung als wichtige Herausforderung

Die soziale und ökonomische Herausforderung für das Ausbil-dungssystem wird darin bestehen, seine Integrationsfähigkeit wieder zu erreichen. Die nachlassende Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung wirkt dabei nicht nur auf das System selbst, sondern auch auf das Schulsystem zurück. Die bestehenden Entwicklungen entwerten untere Bildungsabschlüsse systematisch. Dabei wird zukünftig vor allem zu fragen sein, inwieweit diese Polarisierungstendenzen auf eine mangelnde Ausbildungsreife der Absolventen von

Haupt- und auch Realschulen hinweisen bzw. inwieweit hier über eine Differenzierung des Berufsbildungssystems eine höhere Integrationsfähigkeit des Systems gerade auch nach unten erreicht werden kann.

Bedarfsgerechte Anpassung der regionalen Infrastruktur

Vor dem Hintergrund sinkender Schülerzahlen und der schrumpfenden Ausbildungsbevölkerung bleibt offen, wie vor allem in ländlichen Gebieten der Zugang zu den Infrastruktur-leistungen im Rahmen der beruflichen Ausbildung sicherge-stellt werden kann. Den unterschiedlichen Zeithorizonten und Ausmaßen, mit denen einzelne Länder und Regionen von den demographischen Entwicklungen betroffen sind, sollte dabei Rechnung getragen werden. Die besondere Herausforderung liegt dabei nicht nur in der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur für die Ausbildungsnachfrager, sondern auch in der inhaltlichen Ausrichtung der Infrastruktur am jeweiligen Bedarf der Ausbildungsanbieter und der Region.

Während die demographische Entwicklung bisher vorwie-gend in ihren negativen Konsequenzen diskutiert wird, sollten auch die Chancen dieser Entwicklung zukünftig stärker betont werden: Durch die demographische Entwicklung werden auch finanzielle Ressourcen freigesetzt, die zu einer möglichen Re-investition und qualitativen Verbesserung bestehender Struk-turen zur Verfügung stehen.32

3� Vgl.PrognosAG(�00�):DemographiealsChance:Demographische EntwicklungundBildungssystem–finanzielleSpielräumeundReform-bedarf,Stuttgart.

5.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung

Veränderte Formen der regulierung beruflicher Bildung

Was sich jenseits der Finanzierungsverantwortung zukünftig verändern wird, ist jedoch die Art und Weise der Regulierung der beruflichen Bildung. Alle Experten sind sich zwar einig, dass sich die öffentlichen Akteure zukünftig nicht vollständig aus der Regulierungsverantwortung zurückziehen. Dennoch gewinnen dezentrale Steuerungs- und Koordinationsmecha-nismen an Bedeutung. Die Autonomie der Akteure vor Ort wird sich erhöhen. Dies gilt insbesondere für die Autonomie beruflicher Schulen, die sich nach Einschätzung von knapp drei Viertel der Experten zukünftig weiter erhöhen wird – auch wenn sie nicht vollständig in kommunale Trägerschaft über-gehen. Regionale Kompetenzzentren als Mechanismus der dezentralen Koordination und Profilbildung werden ebenfalls an Bedeutung gewinnen.

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39 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

Die Zukunft von Bildungsdienstleistern insbesondere in Ostdeutschland ist ungesichert

Die Zukunftsperspektiven für Bildungsträger werden von den befragten Experten sehr kritisch gesehen. Ursächlich für die neuen Herausforderungen ist eine bereits bis 2015 sinkende öf-fentliche Nachfrage nach außerbetrieblicher Ausbildung, die insbesondere in Ostdeutschland nicht durch die gleichzeitige Zunahme der privaten Nachfrage kompensiert werden kann (vgl. Abbildung 15).

Öffentlich finanzierte Nachfrage sinkt Privat finanzierte Nachfrage steigt

Abb. �5: Zukunftsperspektiven von Bildungsdienstleistern

Quelle: Prognos AG 2008

West

Ost

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist gering

1,93

1,68

2,06

1,28

(N = 127)

(N = 129)

(N = 129)

(N = 130)

2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel 3 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch

Die Hauptgründe für den Nachfragerückgang aufseiten der öffentlichen Hand sehen die Experten dabei vor allem im demographisch bedingten Rückgang der Ausbildungsbevölke-rung sowie in einem ausgeglichenen Ausbildungsmarkt.

Bereitstellung einer bedarfsgerechten Infrastruktur wird schwierig

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels geraten nicht nur private Bildungsdienstleister zunehmend unter Druck, sondern die Aufrechterhaltung der Bildungsinfrastruk-tur insgesamt wird vor neue Herausforderungen gestellt. Eine ausreichende Versorgung mit Angeboten der beruflichen Bildung kann aus Sicht der Experten zukünftig nicht mehr flächendeckend zur Verfügung gestellt werden. Der Rück-bau der Infrastruktur wird dabei bis 2015 zumindest bereits

begonnen haben und vor allem strukturschwache Regionen und Ostdeutschland betreffen (vgl. Abbildung 16). Der Zugang zu den Bildungsangeboten wird dabei jedoch nicht durch virtuelle Bildungsangebote kompensiert. Stattdessen werden landes- und bundesweite Fachklassen eingerichtet, in denen die Auszubildenden überregional gebündelt werden.

Der Rückbau der Infrastruktur wird dabei alle Einrich-tungen beruflicher Bildung betreffen. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten besonderen Problematik außerbetrieb-licher Bildungsstätten sind diese Einrichtungen vom notwen-digen Rückbau besonderes früh betroffen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Bildung und Qualifizierung ist bemerkenswert, dass vier Fünf-tel der befragen Experten davon ausgehen, dass diese durch den demographischen Wandel frei werdenden Mittel nicht in die berufliche Bildung reinvestiert werden.

Sinkende Schülerzahlen führen zu einer Verkleinerung des Übergangssystems

Mit 77% geht die Mehrzahl der Experten davon aus, dass der Rückbau der Infrastruktur beruflicher Bildung auch zu einer Verkleinerung des Übergangssystems führt (vgl. Abbildung 17). Aus Sicht der Experten wirkt diese Entwicklung hauptsächlich durch den Rückgang der Ausbildungsbevölkerung verursacht.

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40 DIE SITuATIOn DEr BIlDunGSAnBIETEr

Knapp vier Fünftel sehen hier den Hauptgrund für den Rück-gang. Diese demographische Entwicklung wird für knapp zwei Drittel der Experten zumindest zusätzlich durch eine neue politische Schwerpunktsetzung verstärkt.

Der Bedeutungsverlust des Übergangssystems im Vergleich zum Status quo bedeutet aus Sicht der Experten jedoch nicht, dass der damit verbundene finanzielle Aufwand automatisch zurückgeht. 64% gehen davon aus, dass die Kosten zur Finan-zierung des Übergangssystems zukünftig steigen werden.

Abb. �6: Infrastrukturrückbau nach regionen

strukturschwache regionen (N = 162)

0

These: regional betrifft diese Entwicklung besonders ...

0,5

1

1,5

2

2,5

3

West (N = 159)

Ost (N = 161)

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist gering 2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel 3 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch

Quelle: Prognos AG 2008

Abb. �7: Zukünftige Bedeutung des Übergangssystems

hochmittel

Übergangssystem wird kleiner (N = 119)

Übergangssystem wächst (N = 119)

64% 13%

52% 6%

Wahrscheinlichkeit:

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Angabe in gültigen % Quelle: Prognos AG 2008

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AnGEBOT An DuAlEn AuSBIlDunGSPläTZEn 4�

6 Angebot an dualen Ausbildungsplätzen

Nach wie vor hat die duale Ausbildung für das System der beruflichen Ausbildung einen zentralen Stellenwert. Die meis-ten Neuzugänge in das System der beruflichen Ausbildung kommen nach wie vor im Rahmen der dualen Ausbildung unter. Der rechnerische Anteil der neuen Ausbildungsverträge an allen Schulabgängern 2007 betrug 66%.33

33 Vgl.BMBF(Hrsg.)(�008):Berufsbildungsbericht�008,Bonn,Berlin, S.�7f.AufgrundunterschiedlicherAbgrenzungenstimmendieAnga-benzuNeuzugängenindasdualeSystemdesBerufsbildungsberichts nichtmitdenAngabendesKonsortiumsBildungsberichterstattung überein.DieseDifferenzenbeeinflussendieAussagenzugrundle-gendenEntwicklungennicht.

Das Verhältnis zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage fiel insbesondere in den Jahren 2004 bis 2006 sehr ungünstig aus. 2006 betrug die Angebots-Nachfrage-Relation nur 94,6. Das bedeutete, dass auf 100 Ausbildungsplatzbewer-ber rechnerisch nur 94,6 Ausbildungsstellen entfielen. 2007 hat sich infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs die Situa-tion auf dem Ausbildungsmarkt allerdings wieder entspannt. 2007 standen 654.967 Ausbildungssuchenden wieder 644.057 Ausbildungsplätze gegenüber. Vor diesem Hintergrund stieg auch die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge erstmals wieder deutlich. 2007 wurden 625.914 neue Verträ-ge abgeschlossenen, dies bedeutete gegenüber 2006 eine Zunahme von 8,6%. Damit konnte nach einer Phase einer stark sinkenden Angebots-Nachfrage-Relation erstmals wieder ein Verhältnis von 98,3 Ausbildungsplatzangeboten für 100 Bewerber erreicht werden.34

3� Vgl.AutorengruppeBildungsberichterstattung:BildunginDeutsch land�008,S.�7�,TabelleE�-�A.

Die sektorale Betrachtung macht deutlich, dass zwischen 2000 und 2006 vor allem das Ausbildungsplatzangebot im Handwerk überproportional zurückgegangen ist (–20,1%). Auch hat sich der Anteil der Ausbildungsverträge im Hand-werk an allen abgeschlossenen Verträgen von 35% auf 30,3% verringert und verzeichnet damit den größten Rückgang unter allen Sektoren. Dieser Rückgang wurde fast vollständig kompensiert von einer steigenden Zahl an Ausbildungen im Bereich Industrie und Handel. Ihr Anteil an allen Ausbildungs-verträgen stieg im gleichen Zeitraum von 50,6% auf 55,6%.35

3� Vgl.BMBF:Berufsbildungsbericht�008,S.���.

Bereits auf Grundlage des bei den Arbeitsagenturen ge-meldeten Ausbildungsangebots ist ein Mismatch von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zu erkennen. 2007 betrug die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze 18.359, denen 29.102 Ausbildungssuchende ohne Ausbildungsplatz gegenüberstanden. In den neuen Bundesländern und Berlin ist das Verhältnis dabei mit 8.551 Bewerben gegenüber 2.338 offenen Stellen deutlich schlechter als in den alten Bundeslän-

dern mit 20.546 unvermittelten Bewerben gegenüber 15.953 freien Stellen.36

3� Vgl.ebd.,S.3�0,Tab.�.

Zum 31. Dezember 2006 standen nach Angaben des BMBF 1.412.578 betrieblichen Ausbildungsplätzen 158.037 außer-betriebliche Ausbildungsplätze gegenüber. Der Anteil der betrieblichen Ausbildungsverträge betrug damit knapp 89,9%. Dabei unterschied sich die Verteilung zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungen in Ost- und West-deutschland erheblich: Der Anteil der außerbetrieblichen Ausbildung betrug in Ostdeutschland 28,4%, in den alten Bundesländern nur 5%.37

37 Vgl.BMBF(Hrsg.):Berufsbildungsbericht�008,S.���.

Die Entwicklung der außerbetrieblichen Ausbildungsver-träge ist im Wesentlichen abhängig von politischen Finan-zierungszusagen und -entscheidungen und wird derzeit hauptsächlich finanziert über die Regelförderung der BA im Rahmen des SGB III und Sonderprogramme des Bundes sowie der Länder.

Neben der außerbetrieblichen Ausbildung sind auch die Verbundausbildung und damit auch überbetriebliche Bildungs-stätten wichtige Elemente der dualen Ausbildung. Beide Instru-mente zielen sowohl auf die Erhöhung der Ausbildungsbereit-schaft von Unternehmen als auch auf die Sicherung und Erhö-hung der Ausbildungsqualität in KMU. Mit der Reform des Be-rufsbildungsgesetzes (BBiG) 2005 wurde die Bedeutung der Ver-bundausbildung (und der überbetrieblichen Bildungsstätten) nochmals gesetzlich betont. Darüber hinaus fördern EU, Bund und Länder über spezifische Programme Verbundausbildung und die Einrichtung überbetrieblicher Ausbildungsstätten.

Die Ausbildungsquote für Deutschland ist seit 1999 relativ konstant bei knapp über 6% (vgl. Tabelle 7). Auch die Ausbil-dungsbetriebsquote nach Betriebsgröße hat sich in diesem Zeitraum nur marginal verändert (vgl. Tabelle 8).

Auch wenn die Zahl der Ausbildungsbetriebe von 2005 auf 2006 um fast 18.000 Betriebe zugenommen hat, so zeigt die Betrachtung seit 1999, dass trotz sehr konstanter Aus-bildungs- und Ausbildungsbetriebsquote sowohl die Zahl der Auszubildenden als auch die Zahl der Ausbildungsbetrie-be abgenommen hat.

Die Ausbildungsbeteilung der Unternehmen hängt dabei zentral von der Betriebsgröße ab: je größer das Unter-nehmen, desto größer auch die Ausbildungsbeteiligung (vgl. Tabelle 9). Ausbildungsquote und Ausbildungsbetriebs-

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42 AnGEBOT An DuAlEn AuSBIlDunGSPläTZEn

Tabelle 7: Beschäftigte, Auszubildende und Ausbildungsquote

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Differenz 1999 bis

2006

Beschäftigte 27.756.492 27.979.593 27.864.091 27.360.497 26.746.384 26.381.842 26.205.969 26.636.361 –1.120.131

Auszubildende 1.759.931 1.779.376 1.787.469 1.738.013 1.704.034 1.700.093 1.706.858 1.728.332 –31.599

Ausbildungsquote 6,3 6,4 6,4 6,4 6,4 6,4 6,5 6,5 +0,2

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; eigene Berechnungen 2009

Tabelle 8: Betriebe, Ausbildungsbetriebe und Ausbildungsbetriebsquote

Betriebe/ Ausbildungs-betriebe/ Ausbildungs-betriebsquote

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Änderung 2004

gegenüber 1999

Betriebe 2.127.831 2.118.252 2.107.467 2.079.157 2.041.662 2.024.039 2.003.217 2.021.053 –106.778

Ausbildungs-betriebe

501.326 501.616 496.476 483.959 478.096 481.763 482.439 485.054 –16.272

Ausbildungs-betriebsquote

23,6% 23,7% 23,6% 23,3% 23,4% 23,8% 24,1% 24,0% +0,4%

Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008

quote verhalten sich in Bezug auf die Unternehmensgröße jedoch genau gegensätzlich. Während die Ausbildungsbe-triebsquote für kleine Unternehmen geringer ist als in Großun-ternehmen, ist die Ausbildungsquote in kleinen Unternehmen höher als in Großunternehmen.

Tabelle 9: Ausbildungsbetriebsquote für Deutschland nach Betriebsgröße

Ausbildungsbetriebsquote in % 1999 2004 2005 2006

1 bis 9 Beschäftigte 16,6 16,9 1 7 , 1 16,9

10 bis 49 Beschäftigte 47,4 47,5 48,0 48,2

50 bis 499 Beschäftigte 68,9 69,9 70,5 70,4

500 und mehr Beschäftigte 91,4 90,7 90,8 90,5

Quelle: Berufsbildungsbericht 2006

Als zentrale Indikatoren für die zukünftige Ausbildungsbe-reitschaft der Unternehmen in der dualen Ausbildung werden vor allem folgende Merkmale diskutiert:

Wirtschaftliche Entwicklung operationalisiert über die Entwicklung der Erwerbstätigkeit

Fachkräftebedarf (Ersatz- und Neueinstellungen)

Ausbildungstradition des Betriebes

Ausbildungsreife der Schulabsolventen und Bewerber

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43 AnGEBOT An DuAlEn AuSBIlDunGSPläTZEn

Staatliche Unterstützung / Subventionen

Betriebs- und Praxisbezug der Ausbildungsinhalte sowie Organisation und bürokratischer Aufwand der Ausbildung

Die Entwicklungen dieser wichtigen Indikatoren sowie erkennbare Trends werden im Folgenden beschrieben und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die duale Ausbildung analysiert.

6.1 Mittelfristige Entwicklungen

unklarer Ausbildungs- und Ersatzbedarf in den unternehmen

Sowohl der Bedarf an Ersatz- als auch an Neueinstellungen hängt u.a. von der Altersstruktur der Betriebe ab. Wenn die Mitarbeiter länger im Unternehmen verbleiben, kann der Bedarf an Ersatz- und Neueinstellungen der Betriebe sinken. Hier ist zu vermuten, dass sich zukünftig weitreichende Ver-änderungen ergeben. Die Altersstruktur in den Betrieben wird sich aufgrund des demographischen Wandels deutlich zugunsten der Älteren verschieben. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der vielfältigen politisch initiierten Unterstützungsleistungen zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und zahlreicher Kam-pagnen, die auf einen Bewusstseinswandel der Betriebe zielen, der Trend zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer tendenziell zunimmt. Fraglich ist, ob die Beschäftigung Älterer so weit zunimmt, dass es zu einer Verdrängung jüngerer Arbeitneh-mer und zu einer Abnahme von Ausbildungsplätzen in den Betrieben kommt.

Unterstützt wird dieser Trend durch den Wandel der Tätigkeitsstrukturen hin zu einer stärkeren Dienstleistungs-orientierung. Dieser Wandel macht es älteren Arbeitnehmern zunehmend möglich, länger als bisher berufstätig zu sein.

Nach dem Beschluss der schrittweisen Erhöhung des Ren-teneintrittsalters auf 67 Jahre werden erstmals mit Beginn des Jahres 2012 die Erwerbstätigen ab der Alterskohorte des Jahr-gangs 1947 nicht mit 65 aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, sondern ihm schrittweise länger zur Verfügung stehen. Die Er-höhung des Renteneintrittsalters erreicht ihre volle Wirkung im Jahr 2029, wenn die Erwerbstätigen ab der Alterskohorte der 1964 geborenen erstmals mit 67 Jahren in Rente gehen. Das dem Arbeitsmarkt faktisch zur Verfügung stehende Erwerbs-personenpotenzial wird sich durch diese Entwicklungen erhöhen. Dadurch kann auch der Bedarf an Auszubildenden für die Unternehmen sinken. Falls die vergleichsweise hohen Beschäftigungspotenziale unter der älteren Bevölkerung zukünftig besser genutzt und ausgeschöpft werden, kann sich dies negativ auf das Ausbildungsangebot auswirken.

6.2 Herausforderungen und Perspektiven

unternehmen in neu entstehenden Wirtschaftszweigen beteiligen sich weniger an dualer Ausbildung

Vor dem Hintergrund, dass die Ausbildungsbereitschaft von Unternehmen auch von einer bereits bestehenden Ausbil-dungstradition abhängt, ist zu vermuten, dass gerade in den hochdynamischen neu entstehenden Wirtschaftsbereichen die Ausbildungsneigung deutlich geringer ausfallen wird. Da diesen Wirtschaftszweigen in einer wissensbasierten Gesell-schaft voraussichtlich eine immer höhere Bedeutung zukom-men wird, wird eine entscheidende zukünftige Herausforde-rung darin bestehen, den Unternehmen adäquate Anreize zu bieten, sich an der dualen Ausbildung zu beteiligen.

Anforderungen an Auszubildende werden deutlich zunehmen

Vor dem Hintergrund des Strukturwandels, der damit einher-gehenden technologischen Entwicklung und der neuen An-forderungen an die individuelle Beschäftigungsfähigkeit wer-den die Anforderungen an Auszubildende und angehende Fachkräfte zukünftig weiter zunehmen. Es ist zu fragen, in-wieweit die bestehenden Schulstrukturen diesen neuen Anfor-derungen tatsächlich gerecht werden können. Dies gilt umso mehr, wenn die mangelnde Integrationsfähigkeit der dualen Ausbildung, z.B. für Hauptschüler, weiterhin bestehen bleibt (vgl. Kapitel 5). Die beachtliche Zahl von über 18.000 nicht besetzten gemeldeten Ausbildungsstellen 2007 verweist auf einen erheblichen qualifikatorischen Mismatch auf dem Aus-bildungsmarkt.

Entwicklung staatlicher Finanzierungs- und Unterstützungsleistungen zur Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung noch offen

Staatliche Unterstützungsleistungen zur Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung können erhebliche Auswirkungen auf das Angebot an Ausbildungsplätzen haben. Gleichzeitig sind Prognosen über zukünftige politische Entscheidungen kaum zu treffen. Unmittelbar abhängig von gesellschaftlichen Koalitionen und politischen Rationalitäten ist die Identifika-tion von Trends hier von hohen Unsicherheiten geprägt. Das Spektrum der aktuellen Debatte reicht von wiederkehrenden Argumenten zur Einführung von Ausbildungsplatzabgaben für nicht ausbildende Unternehmen über verstärkte Selbst-verpflichtungen der Sozialpartner (vgl. Ausbildungspakt) bis hin zur Ausweitung finanzieller Anreize für Ausbildungsbe-triebe, wie sie derzeit vor allem zur Unterstützung leistungs-schwacher Jugendlicher in vielfältiger Form bestehen.

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44 AnGEBOT An DuAlEn AuSBIlDunGSPläTZEn

6.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung

Wie reagieren Unternehmen auf die sinkende Zahl der Schul-abgänger und den zu erwartenden Fachkräftemangel? Ins-gesamt wird die Ausbildungsbereitschaft im Wesentlichen stabil bleiben. Die befragten Experten gehen davon aus, dass es zu einer deutlichen Steigerung der Konkurrenz um Be-werber („War for Talents“) kommen wird. Da sich die Alters-struktur in den Unternehmen zugunsten älterer Mitarbeiter verschieben wird, werden Ausbildungsaktivitäten tendenziell intensiviert und jüngere Mitarbeiter eine stärkere Wertschät-zung erfahren.

Insgesamt wird von den Experten nicht mit einer Auswei-tung der Ausbildungsquote gerechnet. Potenzial besteht lediglich bei jungen und technologieintensiven sowie Dienst-leistungsunternehmen, also in Unternehmen, die heute über eine unterdurchschnittliche Ausbildungsbeteiligung verfü-gen. Hauptgrund für eine Ausweitung der Ausbildungsan-strengungen wird in externen Faktoren wie dem Fachkräfte-mangel gesehen. Ausbildungsimmanenten Faktoren wie der

Ausgestaltung einzelner Berufsbilder wird nur ein geringer Einfluss auf die zukünftige Ausbildungsentscheidung von Unternehmen zugesprochen.

Eine geringe Wahrscheinlichkeit wird der Ausweitung ko-operativer Modelle, z.B. der Verbundausbildung, Ausbildungs-netzwerken o.Ä., zugesprochen (vgl. Abb. 18). Dies gilt auch für überbetriebliche Ausbildungsteile und -stätten. Die Unterneh-men werden stattdessen in einem intensiven Wettbewerb um Köpfe gesehen.

Die Verbundausbildung wird als Instrument struktur-schwacher Regionen zwar bestehen bleiben, sich jedoch auf die östlichen Bundesländer konzentrieren. In Westdeutsch-land werden auch in Zukunft trotz Fachkräftemangel Aus-bildungsverbünde nur wenig verbreitet sein (vgl. Abb. 19). Der Bezugsraum bleibt im Wesentlichen national: Auch in grenznahen Regionen wird die Zahl grenzüberschreitender Verbünde kaum zunehmen (58% der Experten).

Abb. �8: Kooperation und Konkurrenz in der beruflichen Ausbildung

... die Ausbildungsbereitschaft der unternehmen abnimmt (N = 129)

0

These: Die Zahl geeigneter Bewerber für die vorhandenen Ausbildungsplätze sinkt, wodurch ...

0,5

1

1,5

2

2,5

3

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist gering 2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel 3 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch

Quelle: Prognos AG 2008

... die Konkurrenz um Bewerber zunimmt (N = 129)

... die Kooperation zwischen unternehmen zunimmt (N = 128)

... unternehmen Ein-gangsvoraussetzungen senken (N = 128)

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45 AnGEBOT An DuAlEn AuSBIlDunGSPläTZEn

Abb. �9: Zukünftige Bedeutung der Verbundausbildung

strukturschwache ausbildungsplätze nimmt zu. These: Der Anteil der Verbund- 3

regionen (N = 164) regional betrifft diese Entwick- 2,5lung besonders …

2

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist gering 2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel 3 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch

West Ost (N = 163) (N = 162)

Quelle: Prognos AG 2008

0

0,5

1

1,5

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46 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

7 Verwertbarkeit beruflicher Ausbildung

Die wesentliche Funktion der beruflichen Bildung ist es, das Beschäftigungssystem mit kompetenten und qualifizierten Nachwuchskräften zu versorgen. In Zeiten des beschleunigten sozioökonomischen Strukturwandels ist der Übergang von der Berufsausbildung in den Beruf nicht mehr selbstverständ-lich, sondern im Gegenteil eher schwierig geworden. An der Schwelle zum Berufsleben offenbaren sich die beruflichen und materiellen Entwicklungschancen in Abhängigkeit von der Ausbildung der Jugendlichen. Nicht zu vernachlässigen ist der individuelle und gesellschaftliche Nutzen, der als Ertrag von Bildung und Bildungsinvestitionen abgeleitet werden kann. Diese sogenannte Bildungsrendite38 spiegelt sich letztlich im qualifikationsabhängigen Einkommen wider, dem die getätigten Investitionen in die Ausbildung gegenübergestellt werden müssen.

38 „AlsBildungsrenditewirdüblicherweisederprozentualeZugewinnam Arbeitseinkommenverstanden,deneinIndividuumaufgrundeinerzu-sätzlichenBildungsmaßnahmebzw.einerzusätzlichenHumankapital-investitionerzielt“(Pohlmeier,Winfried[�00�]:Bildungsrendite.Vortrag vorbereitetfürdenBMBF-Workshop„InvestitionindasHumankapital,S.�).

Damit setzt die Verwertbarkeit der ausbildungsbezoge-nen Qualifikationen einerseits Signale für die Berufswahl nachfolgender Generationen. Darüber hinaus hängt die Zukunftsfähigkeit des Drei-Säulen-Modells der beruflichen Bildung entscheidend davon ab, inwieweit die Ausbildungs-qualifikationen bei einer anschließenden beruflichen Tätigkeit genutzt werden können. Arbeitsmarktresultate von Ausbil-dungsabsolventen sind also nicht zuletzt Kriterium, um die erfolgreiche Gestaltung des Systems der beruflichen Bildung zu messen.

Bereits die Wahl der Berufsausbildung – Ausbildung im dualen System, vollschulische Ausbildung oder ein Start in die berufliche Ausbildung über die Schleife des Übergangssystems – bestimmt den Erfolg des späteren Berufseinstiegs. Die enge

Verflechtung des Bildungs- und Beschäftigungssystems im Rahmen der betrieblichen Ausbildung (duales System) führt tendenziell zu einem reibungsloseren Berufseinstieg derAbsolventen als die vollschulische Ausbildung oder eine au-

Abb. 20: Entwicklung der vorzeitig gelösten Ausbildungsverträge, absolut, 2000 bis 2005

180.000

160.000

140.000

120.000

100.000

80.000

60.000

40.000

20.000

0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Deutschland Früheres Bundesgebiet (ohne Berlin) Neue Länder (einschl. Berlin)

Quelle: Statistisches Bundesamt 2008

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47 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

ßerbetriebliche Ausbildung. Ohne abgeschlossene Berufsaus-bildung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass kein reibungsloser Berufseinstieg gelingt, erheblich an. Rund 45% aller jugend-lichen Arbeitslosen (Personen unter 25 Jahren) haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Darunter fallen auch die Teilnehmer des Übergangssystems. Die Zunahme der Neuzu-gänge im Übergangssystem zeigt, dass diese Risikogruppe des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist.39

39 Blossfeld,Hans-Peter(�993):DieBedeutungderBildungimArbeits-einkommensverlauf–TheoretischeAnsätzeimLichtederErgebnisse einerLängsschnittuntersuchung,in:ReinarLüdeke(Hrsg.):Bildung, BildungsfinanzierungundEinkommensverteilungI,Berlin,S.8�–�0�; Struck,Olaf/Simonson,Julia(�000):ÜbergängeimErwerbsleben. TheoretischeKonzepteundempirischeBefundezurbetrieblichen Lebenslaufpolitik.in:George,Rainer/Struck,Olaf(Hrsg.):Generatio-nenaustauschimUnternehmen,München/Mehring,S.��–��.

Die Zahlen zur Vertragsauflösungsquote40 bei Auszubil-denden liegen durchschnittlich unter den Abbruchquoten im tertiären Bereich von Studienanfängern an Hochschulen (Uni-versitäten und Fachhochschulen). Nicht nur im Vergleich zu anderen Bildungswegen, sondern insbesondere auch bei der Betrachtung des zeitlichen Verlaufs wird deutlich, dass die vor-zeitige Lösung von Ausbildungsverträgen seltener wird. Heute wird etwa jeder fünfte Ausbildungsvertrag wieder gelöst (19,8% in 2006).41

�� BMBF(Hrsg.):Berufsbildungsbericht�008,S.���,Übersicht�7.

In den neuen Ländern einschl. Berlin sind die Quo-ten insgesamt etwas höher, jedoch gehen sie im Betrachtungs-zeitraum ebenfalls zurück (s. Abbildung 20; Tab. 10).

�0 DabeiistdieVertragslösungnichtimmermiteinemendgültigen AbbruchderbetrieblichenAusbildunggleichzusetzen.Oftmalsverblei-bendieAuszubildendenimSystemderbetrieblichenAusbildungund wechselndenBerufoderBetrieb.

Tabelle �0: lösungsquoten in %, 2000 bis 2005

lösungsquoten für Ausbildungsverträge 2000 bis 2005

land 2000 200� 2002 2003 2004 2005 2006

Deutschland 20,2 23,7 24,1 21,9 2 1 , 0 19,9 19,8

18,9

23,0

Alte Länder 23,4 23,3 23,5 21,6 20,4 19,3

Neue Länder und Berlin 24,7 25,0 26,1 22,8 23,0 21,7

Quelle: Statistisches Bundesamt 2008

Eine genauere Betrachtung zeigt, dass knapp zwei Drittel (62%) der Auszubildenden, die einen Vertrag vorzeitig lösen, im Ausbildungssystem verbleiben und auf betrieblichem oder vollschulischem Weg eine Ausbildung abschließen. Aus zahl-reichen Studien ist bekannt, dass als Gründe für die vorzeitige Auflösung von Ausbildungsverträgen ungeklärte Fragen der Berufswahl und der beruflichen Orientierung zu Beginn einer Ausbildung im Vordergrund stehen. Enttäuschte Erwartungen (42%) werden am häufigsten genannt.42

�� Vgl.fürdieseDiskussion:Baethge,Martin(�003):Dasberufliche BildungsweseninDeutschlandamBeginndes��.Jahrhunderts,in:Cor-

tina,K.S./Baumert,J./Leschinsky,A./Mayer,K.U./Frommer,L.(Hrsg.): DasBildungsweseninderBundesrepublikDeutschland,Reinbek, Hamburg,S.���–�8.

Der größte Teil der Aus-

zubildenden (rund 69%) löst den Ausbildungsvertrag im ersten, nur 10% im letzten Ausbildungsjahr.

Für die Gruppe derjenigen, die ihre Ausbildung ersatzlos beenden und auf eine weitere Ausbildung verzichten, ver-schlechtern sich die Chancen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt erheblich. Als Ursache werden neben Veränderungen in der Erwerbslandschaft und der sinkenden Nachfrage nach niedrig qualifizierten Tätigkeiten auch die mangelnde soziale Durchlässigkeit und die soziale Undurch-lässigkeit unserer Gesellschaft diskutiert.43

�3 Dietrich,Hans/Abraham,Martin(�00�):EintrittindenArbeitsmarkt, in:Abraham,Martin/Hinz,Thomas(Hrsg.):Arbeitsmarktsoziologie, Wiesbaden,S.�9–98.

Das Modell des internen Arbeitsmarktes, nach dem Be-triebe auf den eigenen ausgebildeten Nachwuchs zurückgrei-fen, galt in der Vergangenheit als einer der entscheidenden Vorteile der deutschen Wirtschaft im internationalen Ver-gleich. Der Blick in die Übernahmequoten der Betriebe zeigt deutlich, dass die Zahl erfolgreicher Übernahmen von Lehrlin-gen nach Beendigung der Ausbildung stark gesunken ist.

Die Übernahmequoten waren auch in der Vergangenheit in Abhängigkeit von Betriebsgröße, Wirtschaftszweig und Regionen heterogen, jedoch wird die negative Entwicklung der Übernahmequoten in den letzten Jahren vor allem als Resultat der ökonomisch-konjunkturellen Entwicklung gewer-tet: Die schlechte gesamt- und einzelwirtschaftliche Lage der Unternehmen äußert sich in Zurückhaltung bei verbindlichen Personalentscheidungen (vgl. Tab. 11).

Weniger erfolgreich gelingt der Übergang an der zweiten Schwelle den Absolventen vollschulischer Ausbildungen bzw. Ausbildungen im Übergangssystem. Die Lebensverlaufsstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zeigt, dass sich die Übergangsphase zwischen Schule und Aufnahme der Erst-erwerbstätigkeit für diese Gruppen zusätzlich verlängert.44

�� Z.B.Hillmert,Steffen(�00�):AusbildungssystemeundArbeitsmarkt. LebensverläufeinGroßbritannienundDeutschlandimKohortenver-gleich.

Page 52: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

48 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

Tabelle ��: Übernahmequoten nach Betriebsgrößen

Übernahmequoten nach Betriebsgröße, in % 2000 bis 2006

2000 200� 2002 2003 2004 2005 2006

Alte länder

1 bis 9 Beschäftigte 45,7 44,3 46,6 49,3 39,1 47,0 44,4

10 bis 49 Beschäftigte 59,7 50,6 51,4 53,9 51,7 49,7 56,0

50 bis 499 Beschäftigte 65,3 65,5 61,8 57,5 59,0 57,4 57,3

500 und mehr Beschäftigte 72,4 76,9 72,1 69,4 66,2 68,0 72,5

Insgesamt 60,4 58,8 57,0 56,7 53,8 55,0 57,0

neue länder

1 bis 9 Beschäftigte 48,8 41,3 39,6 30,2 37,1 31,9 43,5

10 bis 49 Beschäftigte 49,5 45,9 49,8 43,8 48,7 49,4 47,0

50 bis 499 Beschäftigte 40,7 43,7 42,4 39,4 41,4 33,5 41,5

500 und mehr Beschäftigte 48,3 35,9 43,5 36,9 33,2 30,0 45,8

Insgesamt 46,0 42,7 44,1 38,7 41,2 37,4 44,2

Quelle: Autorengruppe Berufsbildungsberichterstattung 2008

1980

Absolventenjahrgänge

Abb. 2�: Berufswechselquoten

10 1983 1986 1989 1998

15

20

25

30

Quelle: Beschäftigten- und Leistungsempfängerhistorik 1977–2004; die Werte für 1991 können wegen Änderungen im Meldeverfahren nicht ausgewiesen werden. © IAB

1977 1992 1995 20042001

Anteile in %

Männer

Frauen

Page 53: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

49 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

Der gelungene Übergang im erlernten Beruf gilt als zu-sätzlicher Erfolgsindikator: Durch einen Verbleib im erlernten Berufsfeld können Auszubildende und Betriebe optimal an die erlernten Fähigkeiten und sozialen Bindungen der Lehrzeit anschließen. In den vergangenen Jahren ist der Übergang innerhalb des erlernten Berufsfeldes durchschnittlich 80% der Ausbildungsabsolventen gelungen.45

�� Vgl.hierzu:Seibert,Holger(�007):WennderSchusternichtbeiseinem Leistenbleibt…,in:IAB-KurzberichtNr.�/�007.

Die Berufswechselquote unter den Ausbildungsabsolventen ist dabei im Stützzeitraum leicht angestiegen (vgl. Abbildung 21). Hauptursache für den Berufswechsel ist die Nichtübernahme durch den ausbilden-den Betrieb, was in vielen Fällen zunächst zu einer Phase der Arbeitslosigkeit führt. Studien belegen, dass zwischen Wech-selhäufigkeit und konjunktureller Lage Zusammenhänge bestehen.46

�� Haas,Anette(�00�):ArbeitsplatzmobilitätnachAbschlusseinerdualen Berufsausbildung.IAB-Historikdatei�99�bis�997.IABWerkstattbe-richt03/�00�.

7.1 Mittelfristige Entwicklungen

Wesentliche Fragestellungen für die zukünftige Gestaltung und Entwicklung der beruflichen Bildung beziehen sich auf die quantitative und qualitative Dimension des Übergangs zwischen Ausbildung und Beruf: Wie groß ist der Anteil der-jenigen, die ihre Ausbildung vorzeitig beenden und nicht in den Beruf eintreten? Welchen Umfang haben die Übergangs-quoten? Mit welcher Qualifikation treten die Jugendlichen in den Arbeitsmarkt ein? Von welchen Determinanten hängt der Erfolg beim Berufseintritt ab?

Dabei bilden insbesondere absehbare Veränderungen in drei Bereichen den Rahmen für die zukünftigen Entwick-

lungen für die erfolgreiche Verwertung von Abschlüssen der beruflichen Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt:

Wirtschaftliche Entwicklung als Rahmenbedingung für die Übernahme- und Einstellungspraxis der Betriebe

Strukturwandel als Einflussfaktor für die Übernahmen in der dualen Ausbildung

Fachkräftebedarf der Unternehmen vs. Qualifikationen der Auszubildenden (qualifikatorischer Mismatch)

Wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst die Übernahme- und Einstellungspraxis

Die Übernahme- und Einstellungsbereitschaft der Betriebe hängt entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Gemäß den Prognosen des Prognos Deutschland Reports wird das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland bis zum Jahr 2030 um jahresdurchschnittlich 1,4% zunehmen (vgl. Tab. 12). Die Wirtschaftsleistung steigt in diesem Zeitraum nominal von heute 2,22 Billionen Euro auf 4,35 Billionen Euro an. Zwar zeigt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in diesem Zeitraum keine Dynamik, jedoch gelangt die deutsche Wirtschaft all-mählich auf einen höheren Wachstumspfad.

Der Strukturwandel beeinflusst auch die Übernahmequoten

Insbesondere in den traditionell ausbildungsstarken Wirt-schaftszweigen wie bspw. dem produzierenden Gewerbe oder

auch im Baugewerbe sind die Übernahmequoten um rund 10% gesunken. Lediglich bei den Dienstleistungsbranchen blieben die Übernahmequoten in den letzten Jahren stabil oder stiegen leicht an.

Abb. 22: Arbeitsmarktungleichgewichte

Mangel

Quelle: Prognos AG 2008

Mismatch

Abgeschlossener Teilarbeitsmarkt

Überangebot

Arbeitslosenquote

niedrig hoch

Vaka

nz

nied

rig

ho

ch

Page 54: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

50 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

Tabelle �2: Bruttoinlandsprodukt und Hauptverwendungskomponenten, absolut und Veränderung in %, 2004–2030

in Mrd. € 2004 20�0 20�5 2020 2025 2030

Bruttoinlandsprodukt 2.119 2.312 2.508 2.687 2.857 3.016

Private Konsumausgaben 1.239 1.322 1.432 1.528 1.616 1.693

Konsumausgaben des Staates 394 397 418 444 480 517

Bruttoanlageinvestitionen 397 441 497 547 589 620

Exporte 855 1.198 1.414 1.623 1.832 2.041

Importe 765 1.049 1.257 1.664 1.664 1.860

Außenbeitrag 90 149 157 164 168 181

in % p.a. 2004-�0 20�0-�5 20�5-20 2020–25 2025–30 2004–30

Bruttoinlandsprodukt 1,5 1,6 1,4 1,2 1,1 1,4

Private Konsumausgaben 1,1 1,6 1,3 1,1 0,9 1,2

Konsumausgaben des Staates 0,1 1,0 1,2 1,6 1,5 1,1

Bruttoanlageinvestitionen 1,8 2,4 1,9 1,5 1,0 1,7

Exporte 5,8 3,4 2,8 2,5 2,2 3,4

Importe 5,4 3,7 3,0 2,7 2,2 3,5

Quelle: Prognos AG, Deutschland Report 2030

Auf dem Ausbildungsmarkt besteht ein qualifikatorischer Mismatch

Bereits heute beklagen Unternehmen, ihren Fachkräftebedarf nicht decken zu können. Der Widerspruch zwischen fehlenden Ausbildungsplätzen und nicht zu besetzenden offenen Stellen spiegelt wider, was in der Diskussion über den Fachkräfteman-gel häufig übersehen wird: Dass es sich nicht nur um ein quantitatives, sondern auch um ein qualitatives Problem am Arbeitsmarkt handelt (s. Abbildung 22).

Aussagen, dass das Arbeitskräfteangebot – bedingt durch die demographische Entwicklung und Abwanderung – zurück-gehen wird, bleiben an der Oberfläche, wenn nicht aufgezeigt werden kann, für welche Tätigkeiten in welchen Branchen Fachkräfte benötigt werden. Der Mismatch wird durch Berufs-wahlentscheidungen verstärkt, die sich nicht am Marktbedarf orientieren. Eine entsprechende Entwicklung ist für die aka-demischen Berufe in den Ingenieur- und Naturwissenschaften seit einigen Jahren zu beobachten. Auch die Berufswahlpräfe-renzen von Jugendlichen in der dualen Ausbildung orientie-ren sich nur selten am Marktbedarf. Mit Kfz-Mechaniker und Friseurin stehen seit Jahren Berufswünsche ganz oben, die nur eingeschränkt Perspektiven für die Jugendlichen beinhalten.

7.2 Herausforderungen und Perspektiven

Angesichts des prognostizierten Fachkräftemangels kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, Jugendliche ohne adäquate Ausbildung und Arbeit zu lassen. Vielmehr gilt es, möglichst allen Jugendlichen eine Chance zu geben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und sich in der Arbeitswelt zu bewähren.

Gering qualifizierte Jugendliche bleiben eine Problemgruppe für den Arbeitsmarkt

Insbesondere für niedrig qualifizierte Jugendliche, Teilnehmer des Übergangssystems bzw. diejenigen, die die Ausbildung ohne einen Abschluss verlassen, wird es zukünftig immer schwieriger werden, den Übergang in Beschäftigung zu schaf-fen. Auch die erwartbare quantitative Entlastung aufgrund der sinkenden Anzahl an Ausbildungsanfängern wird das Übergangssystem nicht überflüssig werden lassen. Trotz einer möglichen Entspannung durch die Vermittlung einer größe-ren Anzahl Jugendlicher in die reguläre Ausbildung werden weiterhin Jugendliche ohne Ausbildungsplatz bleiben.

Steigende nachfrage nach qualifizierten Absolventen

Für qualifizierte Absolventen der dualen Ausbildung ist anzu-nehmen, dass sich die Übergangsquoten verbessern. Für die

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VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG 5�

Absolventen vollschulischer Ausbildungen ist die Entwicklung schwer einzuschätzen. Aufgrund der zu erwartenden Zunah-me und Aufwertung der vollschulischen Ausbildungsgänge könnte sich der Übergang in Beschäftigung auch hier verbes-sern.

Die Modularisierung reduziert Abbrüche, erhöht aber die Dynamik der Berufswechsel

Die zunehmende Modularisierung der beruflichen Ausbildung wird sich auf die Berufswahlorientierung und damit die Ab-bruchquoten auswirken. Einerseits ist damit zu rechnen, dass Berufsorientierung und Berufswahl durch die Vielzahl (neuer) Berufe und Berufsbilder erschwert werden. Je komplexer das System der beruflichen Ausbildung, desto schwieriger wird es für die Jugendlichen, „ihren“ Beruf zu finden. Andererseits ist davon auszugehen, dass durch die zunehmenden Wahl-möglichkeiten und die Übertragbarkeit von Teilleistungen in unterschiedliche Ausbildungsfelder und -gänge Fehlent-scheidungen bei der Berufswahl nicht mehr automatisch zum vorzeitigen Abbruch führen. Vorzeitige Vertragslösungen aufgrund falscher Berufswahl sollten so minimiert werden.

Die Aufweichung von Übernahmequoten kann auf die Ausbildungsbereitschaft von unternehmen zurückwirken

Insgesamt kann die konstatierte Aufweichung der Übernah-mepraxis der Betriebe als Bedrohung für die betriebliche Ausbildung wahrgenommen werden. Die Aufnahme und

Durchführung einer Ausbildung bedeutet insbesondere für kleine und mittlere Betriebe eine in vielen Fällen erhebliche Investition, die sich nur rentiert, wenn der Auszubildende dem Betrieb langfristig als Nachwuchskraft zur Verfügung steht. Sinkende Übernahmequoten signalisieren damit u.U. auch sin-kende Renditen für Unternehmen bei eigener Ausbildung des Fachkräftenachwuchses, die sich mittelfristig negativ auf die Ausbildungsbereitschaft von Unternehmen auswirken können.

Diese negativen Auswirkungen sind dabei relativ unab-hängig von den Gründen der Aufweichung. Eine unsichere wirtschaftliche Lage, eine fehlende Bedarfsgerechtigkeit der beruflichen Ausbildung und negative Erfahrungen mit Auszubildenden bzw. deren Ausbildungsreife können sich hier gegenseitig verstärken.

7.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung

Übernahmequoten werden zukünftig nicht sinken

Trotz der Abhängigkeit von konjunkturellen Entwicklungen sehen die Experten keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Übernahmequoten und damit die Verwertbarkeit der be-ruflichen Ausbildung zukünftig deutlich verringern werden. Nicht einmal jeder zehnte Experte hält ein solches Negativ-szenario für plausibel. Auch eine zunehmende Konkurrenz um Fachkräftenachwuchs wird sich nicht in einer höheren Zahl an Ausbildungsabbrechern bzw. der vorzeitigen Vertrags-

Abb. 23: Zusammenhang zwischen Fachkräftemangel und Verwertbarkeit der beruflichen Ausbildung

These: Der Mangel an qualifizierten Fachkräften führt zu einer steigenden Übernahme- und Einstellungspraxis der Betriebe. Dies gilt für Absolventen ...

... der dualen Ausbildung (N = 130)

... der vollzeitschulischen Ausbildung (N = 130)

Angabe der Mittelwerte mit 0 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist null 1 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist gering

hochmittel

59% 39%

56% 4%

Wahrscheinlichkeit:

0% 20% 40% 60% 80% 100%

2 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist mittel Quelle: Prognos AG 2008 3 = Eintrittswahrscheinlichkeit ist hoch

Page 56: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

52 VErWErTBArKEIT BEruFlIcHEr AuSBIlDunG

lösungen niederschlagen. Hier wird sich nach Einschätzung der Experten im Vergleich zum Status quo keine signifikante Veränderung ergeben.

Damit kann für die Zukunft von einer gleichbleibenden hohen Attraktivität und Verwertbarkeit der beruflichen Aus-bildung ausgegangen werden. Investitionen in Ausbildung werden sich für die Unternehmen auch zukünftig lohnen. Im Gegenteil wird die Ausbildung von qualifiziertem Fachkräf-tenachwuchs für die Unternehmen eher noch attraktiver.

nachfrage nach qualifizierten Absolventen steigt

Der Fachkräftemangel wird die Verwertbarkeit der beruf-lichen Ausbildung bereits kurzfristig bis 2015 erhöhen. Für qualifizierten Fachkräftenachwuchs werden sich aus Sicht der Experten zukünftig die Einstellungs- und Übernahmechancen verbessern. Alternde Belegschaften wirken sich hier nicht auf die Übernahmequoten in den Betrieben aus. Im Gegenteil: Für Absolventen einer dualen Ausbildung wird von 98% der Experten mit steigenden Übernahmequoten gerechnet. Für Absolventen vollzeitschulischer Ausbildungsgänge sehen 62% der Experten höhere Einstellungschancen (vgl. Abbildung 23).

Auf der anderen Seite führt der Fachkräftemangel je-doch nicht dazu, dass Unternehmen ihre Anforderungen an Schulabsolventen und potenzielle Auszubildende senken. Für Jugendliche im Übergangssystem und Ausbildungsabbre-cher erhöhen sich die Chancen auf einen Ausbildungs- oder

Arbeitsplatz trotz Fachkräftemangel nicht. Weniger als 10% der Experten sehen für diese Gruppen durch den Fachkräfteman-gel erhöhte Einstellungschancen.

Dualität auch zukünftig zentrale Voraussetzung für Verwertbarkeit

Trotz aktueller Tendenzen, schulische Ausbildungsteile und -formen formal mit der dualen Ausbildung gleichzustellen, ist die Dualität der Ausbildung für die Unternehmen nach Einschätzung der Experten auch zukünftig ein entscheidendes Kriterium für die Verwertbarkeit der beruflichen Ausbildung. 56% halten es für unwahrscheinlich, dass zunehmend mehr Tä-tigkeiten eine vollzeitschulische Ausbildung voraussetzen. Im Gegenteil werden an der zweiten Schwelle Absolventen dualer Ausbildungsformen von den Unternehmen auch zukünftig bevorzugt werden (vgl. Abbildung 24).

Abb. 24: Verwertbarkeit schulischer Ausbildungsformen

These: Trotz formaler Gleichstellung von vollzeitschulischer und dualer Ausbildung bevorzugen unter-nehmen an der zweiten Schwelle Absolventen der dualen Ausbildung (n = �29)

Hoch 86%

Wahrscheinlichkeit

Mittel 12%

Gering 1%

Null

Angabe in gültigen %

0%

1%

20% 40% 60% 80% 100%

Quelle: Prognos AG 2008

Trotz der Bemühungen um die formale Aufwertung schu-lischer Ausbildungsgänge und -formen ist es vor diesem Hin-tergrund aus Sicht der Experten auch unwahrscheinlich, dass alle Ausbildungsberufe zukünftig sowohl vollzeitschulisch als auch dual erlernt werden können. Nur für 2% der Experten stellt dies eine realistische Zukunftsoption dar.

Page 57: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

53 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

8 Organisation beruflicher Bildung

Vor dem Hintergrund einer dynamischen technologischen Entwicklung, steigender Flexibilitäts- und Qualifizierungsan-forderungen in einer wissensbasierten Ökonomie sowie der Harmonisierungsbestrebungen der EU werden auch an die Gestaltung, Organisation und Finanzierung der beruflichen Bildung neue Anforderungen gestellt. Verschärft werden die Anforderungen durch den in Kapitel 5 skizzierten tenden-ziellen Bedeutungsverlust der dualen Ausbildung, die Aus-weitung des Übergangssystems und den damit verbundenen Integrationsdefiziten.

Modernisierung und Flexibilisierung im rahmen des BBiG

In Anbetracht dieser Entwicklungen wird ein zunehmender Modernisierungs- und Flexibilisierungsbedarf für die be-rufliche Bildung diskutiert. Dabei stehen unterschiedliche Aspekte in der Kritik, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Von einer erhöhten ökonomischen und technologischen Dynamik wird die Notwendigkeit abgeleitet, Ausbil-dungsinhalte schneller und flexibler an aktuelle und sich ändernde Bedarfe von Unternehmen anzupassen.

Ein flexibles Ausbildungssystem, das das Postulat des lebenslangen Lernens ernst nimmt und gleichzeitig den bestehenden Integrationsdefiziten effektiv begegnen will, sollte die Durchlässigkeit zwischen den unterschied-lichen Säulen der beruflichen Ausbildung erhöhen. Damit verbunden ist die Forderung nach einer verbesserten vertikalen Integration von Formen der beruflichen Aus-bildung, die nicht zu einem qualifizierten Berufsabschluss führen, sowie die verbesserte Integration weiterführender allgemeinbildender Schulabschlüsse sowie von tertiären Ausbildungsformen.

Die Monoberuflichkeit des deutschen Systems der be-ruflichen Ausbildung wird infrage gestellt. Eine stärkere Flexibilisierung erfordert eine ausgeprägte Kompetenz-orientierung anstelle der Orientierung an abgegrenzten Berufen. Gefordert wird damit eine verbesserte horizontale Integration einzelner Ausbildungsberufe und -formen. Der Übergang zwischen einzelnen Berufen soll erleichtert, die Flexibilität der Ausbildungsabsolventen erhöht werden. Gleichzeitig würde die Integration von leistungsschwä-cheren Jugendlichen in das System der beruflichen Ausbil-dung verbessert.

Ein einheitlicher europäischer Ausbildungsmarkt verlangt vergleichbare und anschlussfähige Zertifizierungsverfah-

ren. Hier wird die eingeschränkte Vergleichbarkeit der deutschen mit der europäischen Systematik kritisiert.

In aktuellen Reformprozessen wird dieser Handlungsbe-darf in Teilen bereits aufgegriffen. Flexibilisierungs- und Modernisierungsprozesse wurden z.B. mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) 2005 eingeleitet. Im Folgen-den werden zentrale, bereits umgesetzte Reformschritte kurz geschildert. Anschließend werden weiter gehende Reformvorschläge diskutiert und in ihrer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Organisation der beruflichen Ausbildung bewertet.

Zum 1. August 2007 existierten in Deutschland 344 aner-kannte Ausbildungsberufe.47 Anpassungen der Ausbildungs-ordnungen werden je nach Reform- und Anpassungsbedarfen in den einzelnen Berufs- und Wirtschaftszweigen beständig vorgenommen. Dennoch hat die Dynamik der Anpassungen in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Während im Zeitraum von 1980 bis 1996 jährlich im Durchschnitt gut 11 Ausbildungsberufe neu eingeführt oder modernisiert wor-den sind48, waren es im Zeitraum von 1996 bis 2008 durch-schnittlich 23 pro Jahr.49 Dem Anpassungsbedarf der Ausbil-dungsinhalte sowie der wachsenden Bedeutung neuer Berufs-felder wird damit bereits Rechnung getragen. Betrachtet man die Gesamtsumme der modernisierten bzw. neu geschaffenen Berufe, wird deutlich, dass zwischen 1996 und 2008 mit 294 Berufen rund 85% der bestehenden Ausbildungsberufe Gegenstand von Neuordnungsprozessen waren.50

Die Verfahrensvereinfachung zur Modernisierung und Ein-führung neuer Ausbildungsberufe wurde mit der Novellierung des BBiG 2005 vorangetrieben. Auch der Forderung nach einer stärkeren vertikalen Integrationsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung ist durch jüngste Reformen in Teilen bereits Rechnung getragen worden.

Über die mögliche Gleichstellung von schulischen Berufs-ausbildungszeiten in anerkannten Ausbildungsberufen mit betrieblichen Ausbildungszeiten werden neue Koope-rationsformen zwischen Schulen und Betrieben in der beruflichen Ausbildung möglich. Damit können nicht nur fehlende betriebliche Ausbildungskapazitäten ausgegli-chen und/oder Potenziale besser ausgeschöpft werden

�7 Vgl.BMBF(Hrsg.):Berufsbildungsbericht�008,S.�0�. �8 Vgl.Euler,Dieter/Severing,Eckart(�00�):FlexibleAusbildungswegein

derBerufsbildung,Nürnberg/St.Gallen,S.�7. �9 Vgl.BIBB(Hrsg.)(�008):NeueundmodernisierteAusbildungsberufe

�008.Kurzbeschreibungen,S.�. �0 Vgl.ebd.

Page 58: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

54 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

(bspw. durch Ausbildungsverbünde in der Trägerschaft von Schulen), sondern es wird auch die vertikale Integration verbessert.

Die Anrechnung von Qualifikationen, die in berufsvor-bereitenden Maßnahmen erworben werden, wurde erleichtert. Zertifizierbare Qualifikationsbausteine wurden zu einem zentralen Element der Berufsvorbereitung gemacht und verkürzen so Warteschleifen und Ausbil-dungszeit. Die Effizienz der Ausbildungszeit erhöht sich, Mehrfachbeschulungen werden vermieden.

Schülerinnen und Schülern von vollzeitschulischen Aus-bildungsangeboten wurde der Zugang zu Kammerprü-fungen erleichtert.

Berufliche Ausbildungsabschlüsse können zukünftig besser mit weiterführenden Schulabschlüssen verbunden werden. Die formale Gleichwertigkeit allgemeinbildender und beruflicher Bildung wird weiter ausgebaut.

Zusatzqualifikationen werden als eigenständige, geson-dert zu zertifizierende Leistungen eingeführt. Fort- und Weiterbildung können damit schon während der beruf-lichen Ausbildung begonnen werden

Auch die horizontale Integration der beruflichen Ausbildung mit der damit verbundenen stärkeren Kompetenzorientierung wurde in den letzten Jahren verstärkt:

Ausbildungsordnungen wurden flexibilisiert. Durch die Schaffung von Wahlmöglichkeiten zwischen einzelnen Fachrichtungen, Schwerpunkten und Wahlqualifikationen sowie die Zusammenfassung zu verwandten Berufsgrup-pen und die mögliche Definition von Einsatzgebieten wird die Modularisierung vorangetrieben.

Die dreijährigen Ausbildungsgänge der dualen Ausbil-dung wurden verstärkt durch zweijährige Ausbildungs-berufe ergänzt (in Ausnahmefällen auch nur 18-monatige Ausbildungsdauer). Der Anteil neu abgeschlossener zwei-jähriger Ausbildungsverträge hat zwischen 1995 und 2004 deutlich zugenommen und ist von 2,6% auf 6,5% gestie-gen.51

�� Vgl.BMBF(Hrsg.):Berufsbildungsbericht�00�,S.�37.

2005 und 2006 wuchs der Anteil nochmals auf 7,6% bzw. 8,4%.52

�� Vgl.BMBF(Hrsg.):Berufsbildungsbericht�008,S.��3,Übersicht30.

Gleichzeitig ist die Weiterqualifizierung aus einer verkürzten Ausbildung in die dreijährige Ausbildung in vielen Fällen möglich. Darüber hinaus wurde in der No-vellierung des BBiG 2005 die Möglichkeit zur Anrechnung einschlägiger Vorqualifikationen explizit betont.

Den Anforderungen einer steigenden Internationalisie-rung wurde Rechnung getragen, indem Ausbildungs-abschnitte im Ausland nun als gleichwertig anerkannt

werden. Auch die verstärkte Förderung europäischer Ausbildungsverbünde trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Die Reformen streben an, es Betrieben zu erleichtern, gemäß ihren Bedürfnissen Fachkräfte flexibel und passgenau durch entsprechende Ausbildungsgänge zu qualifizieren. Umge-kehrt will man auch den Auszubildenden so ein bedarfs-gerechtes und leistungsdifferenziertes Angebot machen. Leistungsschwächere Jugendliche sollen besser in qualifizie-rende berufliche Ausbildungen integriert und Aufstiegs- bzw. Weiterqualifizierungen für besonders leistungsstarke Jugend-liche erleichtert werden.

Finanzierung beruflicher Bildung

Charakteristisch für die Finanzierung der beruflichen Aus-bildung in Deutschland ist ihre Mischfinanzierung über die unterschiedlichen Gebietskörperschaften sowie die Ausbil-dungsbetriebe.

Die Bildungsausgaben je Teilnehmer im dualen System sind im Vergleich unterschiedlicher Bildungsgänge am höchsten. 2005 betrugen die Kosten für einen Bildungsteilnehmer im dualen System 10.900 Euro. 2.200 Euro je Teilnehmer entfielen dabei auf die Ausbildungsteile in den Berufsschulen, weitere 8.700 Euro auf die betrieblichen Ausbildungsteile. Damit sind die Kosten für die duale Ausbildung fast doppelt so hoch wie die Kosten je Bildungsteilnehmer an Universitäten, die 5.700 Euro betrugen – allerdings ohne Berücksichtigung der Forschungsausgaben. Die Ausbildungsvergütung ist in den aufgeführten Kosten nicht berücksichtigt.53

�3 Vgl.AutorengruppeBildungsberichterstattung:BildunginDeutsch-land�008,S.3�f.

2006 betrugen die Gesamtkosten für die duale Ausbildung nach Schätzungen des BMBF 34,763 Milliarden Euro.54

�� Vgl.BMBF(Hrsg.)(�007):Berufsbildungsbericht�007,Bonn,Berlin, Übersicht��.DabeisinddieAufwendungenderBetriebemitBrutto-kosteneingegangen.

Die Trä-ger dieser Gesamtkosten sind in Abbildung 25 wiedergegeben.

Die Ausgaben für die beruflichen Schulen betrugen im Jahr 2005 7,2 Milliarden Euro. Knapp 2,9 Milliarden Euro entfal-len dabei auf Teilzeitberufsschulen im dualen System (in der obigen Gesamtsumme mit eingerechnet), 2,4 Milliarden Euro entfallen auf die Berufsfachschulen. Knapp 1,6 Milliarden ent-fallen auf weitere berufliche Schulformen, darunter auch die Ausgaben für das Berufsvorbereitungsjahr sowie das Berufs-grundbildungsjahr.55

�� Vgl.ebd.,S.���.

Page 59: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

55 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

Abb. 25: Bildungsausgaben im dualen System nach Finanzträgern 2006

11,2% BA

9,1% Bund und Länder

Quelle: Berufsbildungsbericht 2007, eigene Berechnungen

79,6%

Betriebe

8.1 Mittelfristige Entwicklungen

Die Flexibilisierung und Modularisierung der beruflichen Ausbildung wird weiter zunehmen

Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Reformen ist davon auszugehen, dass sich das System der beruflichen Aus-bildung weiter flexibilisiert und modularisiert. Dies gilt umso mehr, wenn die einzelnen Bundesländer die neuen Autono-miespielräume umfassend ausschöpfen und innerhalb der no-vellierten Rahmengesetzgebung beginnen, den Wettbewerb um Best Practices der beruflichen Ausbildung zu forcieren.

Auch über die bestehende Gesetzgebung hinaus werden von der Bundesregierung weitere Initiativen und Anstöße in Richtung einer stärkeren horizontalen und vertikalen Inte-grationsfähigkeit unterstützt. Diese Bemühungen spiegeln sich z.B. auch in den Themenschwerpunkten des Innovati-onskreises berufliche Bildung, die im Frühjahr 2006 definiert wurden.

Europäische Diskussion verstärkt Trend zur Modularisierung

Weiter forciert wird diese Entwicklung durch die Europä-ischen Diskussionen und Bemühungen um den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF). Als Instrument soll er dazu die-nen, Barrieren zwischen den Bildungsbereichen abzubauen,

die Verständlichkeit zu erhöhen und mögliche Bildungswege erkennbar zu machen. Dabei baut die Entwicklung eines EQF auf sehr unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze der Mitgliedstaaten auf. Während einige Länder wie bspw. Groß-britannien, die Niederlande, Italien etc. bereits nationale Qualifikationsrahmen etabliert haben, stecken andere noch in den Kinderschuhen. Der EQF fördert nicht nur die Mobilität zwischen den Bildungssystemen der europäischen Mitglied-staaten, sondern auch die Vernetzung zwischen dem Berufs-bildungs- und dem Hochschulsystem sowie zwischen den im formalen Bildungssystem erworbenen Kompetenzen und denen anderer Lernorte, wie bspw. im Betrieb.56

�� Vgl.McCullough,Colinu.a.(�00�):BerufsausbildunginEuropa–auf demWegzueinergemeinsamenStrategie,in:JensU.Prager/Clemens Wieland(Hrsg.):VonderSchuleindieArbeitswelt,Gütersloh,S.��3–�3�.

Der derzei-tige Vorschlag zur Gestaltung des EQF sieht unterschiedliche Bezugsebenen vor, die auf erworbenen Kompetenzen beruhen und nicht auf den üblichen Einteilungen formaler Ausbil-dungsstrukturen, wie sie bspw. auch im deutschen berufsbezo-genen System vorherrschen.

Transparenz und Anerkennung über Europass und EcVET als zentrale Maßnahmen

Wesentlich für die erfolgreiche Umsetzung des EQF sind zusätzliche Mechanismen zur Offenlegung, Übertragung und Anrechnung von Qualifikationen und Kompetenzen.

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56 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

Über den seit 2005 vorliegenden Europass sollen Qualifika-tionen und Kompetenzen sichtbar und verständlich gemacht werden. Durch die einheitliche Darstellung des Kompetenz-profils eines Bewerbers in den fünf Bereichen des Europasses – Lebenslauf, Zeugniserläuterung, Diplomzusatz, Mobilitäts-nachweis, Sprachenportfolio – wird die Aussagekraft der Zeug-nisse erhöht und Akzeptanz der erworbenen Qualifikationen in anderen Ländern erhöht.

Als „Weiterentwicklung“ des Europasses soll mit einem europäischen Kreditpunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) insbesondere die Bewertung von Qualifikationen, aber auch die Transparenz der Berufsqualifikationen erhöht werden.

Mit der Betonung der Monoberuflichkeit, einer vor diesem Hintergrund eher schwach ausgeprägten Binnendifferenzie-rung im Hinblick auf Niveauabstufungen und erwerbbare Teilqualifikationen ist das deutsche System der beruflichen Ausbildung kaum kompatibel mit den europäischen Verein-heitlichungsbemühungen. Der allenfalls implizit mögliche Nachweis informell erworbener Kompetenzen verstärkt die Unterschiedlichkeit. Vor dem Hintergrund der skizzierten europäischen Bemühungen ist zu erwarten, dass das deutsche System der beruflichen Ausbildung noch erhebliche Verände-rungen bis zum Jahr 2035 erfahren wird.

Duale Studiengänge gewinnen an Bedeutung

Charakteristisch für duale Studiengänge ist die Kombination und Integration von betrieblicher Ausbildung und Hochschu-le. Über diese Kooperationsformen wird dabei meist sowohl ein Hochschuldiplom als auch ein Berufsabschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf erworben. Dabei war vor allem in den Jahren 1998 bis 2002 ein regelrechter Boom neu einge-richteter dualer Studiengänge zu erkennen. Von Schulabgän-gern wird das Angebot gut angenommen. Auf einen Ausbil-dungs- bzw. Studienplatz bewerben sich ca. 50 Absolventen.57

�7 Vgl.Waldhausen,Verena/Werner,Dirk(�00�):InnovativeAnsätzein derBerufsausbildung.HöhereDurchlässigkeitundFlexibilitätdurch ZusatzqualifikationenunddualeStudiengänge,Köln,S.33ff.

Vor dem Hintergrund des anhaltenden Bedarfs zur Höherqua-lifizierung ist zu vermuten, dass dieser Trend auch in Zukunft anhalten wird. Mit der Einführung von Studiengebühren wird die Attraktivität dieses Angebots weiter erhöht, da der duale Studiengang zumeist durch die Betriebe finanziert wird.

8.2 Herausforderungen und Perspektiven

Die Beruflichkeit des Ausbildungssystems wird infrage gestellt

Weitgehend offen ist vor dem Hintergrund dieser Entwick-lungen die zukünftige Rolle und Bedeutung der Berufsorien-tierung im deutschen System der beruflichen Ausbildung. Bis-her ist unklar, ob die europäischen Modularisierungsprozesse zu einer weitgehenden Atomisierung von Beruflichkeit führen (angelehnt an das englische System der National Vocations Qualifications) oder ob Modularisierung und Flexibilisierung künftig als standardisierte Strukturierung und Systematisie-rung von Teilqualifikationen einer nach wie vor abgegrenzten Beruflichkeit verstanden werden. Letzteres würde für das deut-sche System der beruflichen Ausbildung zwar eine Modernisie-rung bedeuten, aber nicht einen völligen Systembruch.

Staatliche Verantwortung für die Finanzierung des Systems der beruflichen Bildung auch zukünftig hoch

Die Entwicklung der zukünftigen Finanzierung der beruf-lichen Ausbildung ist noch weitgehend offen. Allerdings ist zu vermuten, dass trotz Privatisierungs- und Autonomiedis-kussionen auch und besonders an beruflichen Schulen die staatliche Verantwortung für ihre Finanzierung weiterhin sehr hoch sein wird. Dafür sprechen auch die Erfahrungen und Ergebnisse der Autonomiediskussionen an den Hochschulen – denjenigen Bildungseinrichtungen, für die die Autonomie von staatlicher Verantwortung in den letzten Jahren bereits deutlich erhöht werden konnte.58

�8 Vgl.PrognosAG(Hrsg.):UnternehmenHochschule.

Dennoch bleibt zu konstatieren, dass je erfolgreicher und flächendeckender Autonomiespielräume auch an beruflichen Schulen erhöht werden können, je stärker berufliche Schulen sich als regionaler Bildungsdienstleister mit klarem Profil ver-stehen, desto eher können auch finanzielle Spielräume für das System der beruflichen Schulen erhöht werden und stärker als bisher auch private Finanzierungsquellen erschlossen werden.

Darüber hinaus fließen große Teile der öffentlichen Bil-dungsausgaben in das Übergangssystem. Vor diesem Hinter-grund wird für die zukünftige Finanzierung des Systems der beruflichen Ausbildung auch entscheidend sein, inwiefern die Integration auch lernschwächerer Jugendlicher in berufsquali-fizierende Berufsabschlüsse verbessert werden kann.

Umgekehrt ist die zukünftige Ausbildungsbereitschaft der Betriebe weitgehend eine offene Größe. Falls zukünftig die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zurückgeht, ist zu vermuten, dass der Staat noch stärker als bisher in die Verant-

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57 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

wortung genommen werden wird und sich damit auch die staatliche Verantwortung für die Finanzierung der beruflichen Bildung weiter erhöht.

8.3 Ergebnisse der Delphi-Befragung

Flexibilisierung und Modularisierung der beruflichen Ausbildung

In der aktuellen Diskussion um die Zukunft der beruflichen Ausbildung spielt eine stärkere modulare Gestaltung der beruflichen Ausbildung eine wichtige Rolle. Dennoch besteht unter den Experten noch weitgehend Uneinigkeit dahin gehend, ob eine stärkere Modularisierung in der beruflichen Ausbildung zukünftig tatsächlich umgesetzt wird. Der Anteil der Experten, die von einer umfassenden Modularisierung des Ausbildungssystems ausgehen, ist fast ebenso hoch wie der An-teil derjenigen Experten, die die Wahrscheinlichkeit für eine solche Entwicklung als gering einschätzen (vgl. Abbildung 26).

Abb. 26: Ausmaß von Modularisierung in der beruflichen Ausbildung

These: Es kommt zu einer umfassenden Modularisierung des Ausbildungssystems (n = �22)

Wahrscheinlichkeit

Hoch 22%

54%Mittel

Gering 24%

Null 0%

0% 20% 40%

Angabe in gültigen %

60% 80% 100%

Quelle: Prognos AG 2008

Inhaltlich verbinden die Experten mit einer stärkeren Modularisierung vor allem die Einführung zertifizierbarer Teilqualifikationen sowie die Reduzierung von Berufsbildern. Das Ziel, durch eine stärkere Modularisierung die vertikale und horizontale Durchlässigkeit zu erhöhen, wird dabei nach

Einschätzung der Experten erreicht. Knapp vier Fünftel der Ex-perten halten es dabei auch für wahrscheinlich, dass gleichzei-tig die Beruflichkeit des Ausbildungssystems der Orientierung an berufsübergreifenden Kompetenzen weicht.

Vergleichbarkeit und Anerkennung beruflicher Bildung in Europa verbessert sich

Im Zuge der europäischen Harmonisierungsbestrebungen wird sich zukünftig die Vergleichbarkeit von beruflicher Aus-bildung in Europa verbessern. Dies gilt sowohl für die Anerken-nung von Berufsabschlüssen wie auch für die Anerkennung von Teilqualifikationen. Trotz dieser Entwicklung wird die duale Ausbildung allerdings ein rein deutsches Modell blei-ben. Duale Ausbildungsgänge werden im europäischen Aus-land auch zukünftig nicht angeboten werden (vgl. Abbildung 27). Im Zuge dieser Entwicklung wird es nach Einschätzung von 79% der Experten auch EU-weite Vorgaben zu den Kom-petenzen geben, die in der beruflichen Ausbildung erlernt werden sollen. Die europäische Anerkennung und Vergleich-barkeit ist dabei jedoch nicht kurzfristig zu erreichen. Sie wird erst bis 2025 erreicht sein.

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58 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

Abb. 27: Europäische Vergleichbarkeit beruflicher Bildung

0% 20% 40% 60%

Quelle: Prognos AG 2008

100%80%

... Vergleichbarkeit der Abschlüsse (N = 130)

... Anerkennung von Teilqualifikationen (N = 130)

... Ausweitung dualer Ausbildung nach Europa (N = 130)

Angabe in gültigen %

57% 25%

52% 25%

14% 2%

... Anerkennung der Abschlüsse (N = 130)

58% 29%

These: Europäische Harmonisierungsprozesse führen zu ...

Wahrscheinlichkeit

hochmittel Wahrscheinlichkeit

Abb. 28: Strukturelle Veränderungen beruflicher Bildung

Akademisierung dualer Ausbildung (N = 131)

Dualisierung vollzeit-schulischer Ausbildung (N = 130)

Dualisierung der Hochschulausbildung (N = 131)

hochmittel 49% 7%

61% 21%

42% 24%

Wahrscheinlichkeit

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Angabe in gültigen % Quelle: Prognos AG 2008

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59 OrGAnISATIOn BEruFlIcHEr BIlDunG

Die Struktur der dualen Ausbildung wird sich zukünftig nicht verändern

Die duale Ausbildung wird zukünftig stärker als bisher in Kon-kurrenz zu alternativen Ausbildungsformen stehen. Schulische Ausbildungsgänge werden formal mit der dualen Ausbildung gleichgestellt, gleichzeitig wird der Praxisbezug und die Nähe zu Unternehmen auch in der Hochschulausbildung und in vollzeitschulischen Ausbildungsgängen immer wichtiger. Trotz dieser stärkeren Konkurrenz wird sich die Struktur der dualen Ausbildung vergleichweise wenig verändern: Der Anteil der Experten, die eine Akademisierung der dualen Ausbildung für wahrscheinlich halten, ist deutlich geringer (vgl. Abbildung 28). 90% der Experten sind der Ansicht, dass die berufliche Ausbildung auch zukünftig die Anforderungen der Unternehmen erfüllt. 70% der Experten halten es für

wahrscheinlich, dass duale Ausbildung und Studium auch zukünftig nebeneinander bestehen werden. Auch Berufs- und Fachhochschulen werden nach Ansicht von 96% der Experten nicht zusammengeführt.

lebenslanges lernen wird in Zukunft zur realität

Aus Sicht fast aller Experten wird lebenslanges Lernen zu-künftig wichtiger und damit zur gesellschaftlichen Realität. Für 30% der Experten findet lebenslanges Lernen mit hoher Wahrscheinlichkeit informell statt. Für formale Lernformen treffen diese Einschätzung nur 15%. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der beruflichen Ausbildung wider: Informelle und selbstorganisierte Formen des Lernens werden zukünftig immer bedeutsamer (vgl. Abbildung 29).

Abb. 29: lernformen in der beruflichen Ausbildung

0% 20% 40% 60%

Quelle: Prognos AG 2008

100%80%

Zertifizierung informeller Kompetenzen (N = 130)

Selbstorganisiertes Lernen (N = 133)

Informelles Lernen (N = 129)

Angabe in gültigen %

57% 22%

56% 32%

56% 28%

These: Folgende lernformen prägen zukünftig die Ausbildung:

hoch

mittel

Wahrscheinlichkeit

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60 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9 Szenarien Zeitraum 2016–2025

Wirtschaftliche Dynamik: Die Wirtschaftsleistung steigt gemessen am BIP ( jährliches Wachstum zwischen 1,2% und 1,4 %) weiter an, verbleibt jedoch auch weiterhin ohne große Dynamik (Prognos Deutschland Report 2030).

Erwerbsbevölkerung: Die Zahl der Erwerbspersonen geht von über 43 Millionen auf rund 40,9 Millionen in 2025 zurück (Prognos Deutschland Report 2030).

Arbeitsmarktentwicklung: Die Zahl der Arbeitslosen sinkt bis zum Jahr 2025 unter die 3-Millionen-Grenze und liegt bei etwa 6,9 % (Prognos Deutschland Report 2030).

Zahl der Schulpflichtigen: In Gesamtdeutschland sinkt die Zahl der Schulpflichtigen zwischen 2016 und 2025 leicht auf einen Anteil von 10,5 % an der Gesamtbevölkerung (10,9 % in 2015). In Westdeutschland erreicht sie ihren Tiefststand in 2023, in Ostdeutschland erreicht sie im selben Jahr ihren Höchststand (Prognos Deutschland Report 2030).

Ausbildungsbevölkerung: Rückgang in Gesamtdeutschland auf 7,7 % (von 8,5 % in 2015). Nach Erreichen des Tiefststandes in Ostdeutschland im Jahr 2016 steigt sie leicht wieder an, in Westdeutschland sinkt die Zahl der Jugendlichen hingegen stetig (Tiefststand erst 2030) (Prognos Deutschland Report 2030).

Ausbildungsmarkt 2025: Noch nie standen dem Ausbildungsmarkt so wenig junge Leute zur Verfügung, die Absolven-tenzahlen sinken bis zum Jahr 2020 deutlich auf 790.000 Jugendliche. Damit entspannt sich die Situation auf dem Ausbil-dungsmarkt bezogen auf das quantitative Verhältnis von Angebot und Nachfrage (Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen bis 2020 durch die KMK, Fortschreibung durch Prognos).

Im Folgenden wird eine Auswahl der erarbeiteten Szenarien dargestellt. Im Anschluss an das jeweilige Szenario werden die relevanten Deskriptoren anhand ihrer Wirkungsweise syste-matisiert. Jeder Deskriptor wird einer der folgenden Funktions-gruppen zugeordnet:

Kritische Faktoren: Wirken stark auf andere Einflussfaktoren, werden gleich-zeitig aber auch stark von anderen Faktoren beeinflusst. Di-ese Deskriptoren beeinflussen die Zukunft der beruflichen Ausbildung sehr stark, haben über ihre hohe Passivität aber auch eine ambivalente Wirkungen. Diese Deskriptoren liegen im I. Quadranten.

Treibende Faktoren: Wirken sehr stark auf andere Einflussfaktoren, werden jedoch nur vergleichsweise schwach von anderen Faktoren beeinflusst. Hier finden sich die zentralen Stellhebel für die zukünftige Gestalt der beruflichen Ausbildung. Diese Deskriptoren liegen im II. Quadranten.

Puffernde Faktoren: Wirken weder deutlich auf andere Deskriptoren, noch werden sie von anderen Einflussfaktoren besonders stark beeinflusst. Auf die zukünftige Gestalt der beruflichen Ausbildung wirken diese Einflussfaktoren damit schwach. Diese Deskriptoren liegen im III. Quadranten.

Getriebene Faktoren: Werden von anderen Faktoren stark beeinflusst, gleichzei-tig wirken sie nur schwach auf andere Deskriptoren. Damit ist die Wirkung dieser Deskriptoren zukünftig vor allem indirekt. Diese Einflussfaktoren liegen im IV. Quadranten.

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SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025 6�

9.1 Variante I: Angebot und Nachfrage stehen in einem ausgewogenen Verhältnis

9.�.� Beschreibung des Szenarios

Trotz umfangreicher reformen sinkende Ausbildungsbeteiligung von unternehmen

Sinkende Ausbildungs-bevölkerung

Seit dem Jahr 2016 ist der Ausbildungsmarkt in Deutschland in einem ausgeglichenen Verhält-nis. Es ist vor allem der demographische Wandel, der hierzu führt: Die in das Bildungs- und Ausbildungssystem hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen werden immer weniger und reduzieren so die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Während es hier in früheren Jahren deutliche regionale Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gab, betrifft der Bevölkerungsrückgang mittlerweile die gesamte Bundesrepublik. Der Nachfrageüberhang der vergangenen Jahre kann abgebaut werden, und die Ausbildungsplatzlücke schließt sich nahezu.

Internationale Mobilität Zudem führt der Prozess der Internationalisierung dazu, dass sich die internationale

Mobilität der Auszubildenden erhöht und sich so neue Ausbildungsmärkte vor allem im euro-päischen Umland eröffnen.

Ausbildungs- und Übernahmequoten sinken

Denn auf der anderen Seite reicht die wirtschaftliche Dynamik nicht aus, um die Ausbil-dungsbereitschaft der Unternehmen zu stabilisieren bzw. zu erhöhen. Zudem gelingt es nicht in ausreichendem Maße, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. In der Folge sinkt nicht nur die Ausbildungsquote, sondern auch die Übernahmequote der Betriebe. Die Ausbildung bedeutet für die Unternehmen eine erhebliche finanzielle Investition, die sie immer seltener leisten.

Alternsgerechte Personalpolitik und LLL

In diesen Zeiten haben die Unternehmen angefangen, sich nicht mehr nur auf die jungen Ar-beitskräfte zu verlassen, sondern die in den Unternehmen vorhandenen Personalressourcen besser zu nutzen. Immer mehr tragen auch die politischen Bemühungen zur Sensibilisierung der Unternehmen für den demographischen Wandel Rechnung, und die Personaler in den Unternehmen setzen die schon lange geforderte alters- und alternsgerechte Personalpolitik um.

Höherqualifizierung Nicht nur die ausgeprägte Jugendzentrierung findet hier ein Ende, sondern auch die

herausragende Bedeutung der Erstausbildung. Tatsächlich ist es so, dass Veränderungen wie der Strukturwandel, die zunehmende Bedeutung der Wissensgesellschaft und höher qualifizierter Tätigkeiten, aber auch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu einer stärker laufbahnbegleitenden Qualifizierung nach dem Leitbild des lebenslangen Lernens führen.

Bildungsqualität steigt

Anders als in früheren Zeiten sehen sich die Auszubildenden bzw. jungen Fachkräfte einer Konkurrenz älterer Arbeitnehmer gegenüber, die sie so nicht kennen. Dabei unterstützt die qualitative Verbesserung der primären und sekundären Bildung grundsätzlich die Aus-gangsposition der Ausbildungsbewerber und Auszubildenden.

Hochschulen attraktiver

Die verbesserte schulische Vorbildung führt jedoch auch dazu, dass sich der Anteil der Jugendlichen mit Hochschulzu-gangsberechtigung weiter erhöht. Die Attraktivität der dualen Ausbildung scheint für diese gut qualifizierten Schulabsolventen deutlich geringer zu sein; die Übergangsquoten an die Hochschulen steigen weiter an.

Mangelhafte Integration von Migranten

Gleichwohl ist es so, dass die positiven Entwicklungen, die der von den Unternehmen in der Vergangenheit oft beklagten „mangelnden Ausbildungsreife“ entgegenwirken, zwar für die Breite der Jugendlichen gelten, jedoch nicht zu einer umfassenden Integration aller Jugend-lichen führen. Migranten gehören auch in den Jahren 2016 bis 2025 zu den benachteiligten Gruppen am Ausbildungsmarkt und können nicht von den skizzierten Veränderungen profi-tieren. Dabei sind es immer noch sprachliche und kulturelle Hindernisse, die eine Integration verhindern.

Tradierte Rollenbilder

Auch geschlechterbedingte Unterschiede in der Bildungsbeteiligung können nicht abgebaut werden. Die Förderung technischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen in der Vergangenheit konnte die Berufswahl der Mädchen kaum beeinflussen und den Entscheidungs- bzw. Wahlhorizont letztlich nicht nachhaltig erweitern. Sinkende Ausbildungs- und Übernah-mequoten verunsichern die Bewerberinnen und lassen tradierte Rollenbilder verharren.

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Mangelhafte Integrati-on von Migranten

è

62 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

Steigende Leistungs-anforderungen

Auch wenn die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen nicht gesteigert werden kann, gelingt es durch strukturelle Anpassungen im System der beruflichen Ausbildung, den Ausbil-dungsmarkt positiv zu beeinflussen. Um den veränderten Anforderungen Rechnung tragen zu können, wurden in den vergangenen Jahren die Gesamtausgaben für Ausbildung deutlich erhöht und zur Qualitätssteigerung investiert. Durch die gezielte Anpassung der Ausbildungs-inhalte an die gestiegenen Leistungsanforderungen in der beruflichen Ausbildung hat sich die Qualität der Ausbildung erhöht, und die Ausbildungsinhalte haben sich an den wach-senden Bedarf theoretischen Wissens in der beruflichen Ausbildung angepasst.

Äquivalenz der Ausbildungsformen

Das früher bestehende Ungleichgewicht zwischen vollzeitschulischer und dualer Ausbildung ist nicht mehr vorhanden, und beide Ausbildungsformen sind an der zweiten Schwelle gleichermaßen anerkannt. Die vollzeitschulischen Angebote können damit nicht nur fehlende betriebliche Ausbildungsplätze ergänzen, sondern bestehen als gleichwertige Ausbildungsformen auf dem Ausbildungsmarkt.

Zunahme privater Bildungsangebote

Es entsteht ein neuer Markt, der zunehmend auch durch private Bildungsanbieter wahrgenommen wird. Private Angebote ergänzen einerseits die öffentlichen und betrieb-lichen Ausbildungsangebote, die vor dem Hintergrund der notwendigen Schließung von Infrastruktureinrichtungen weiter zurückgehen. Der demographische Wandel, aber auch der Rückgang der öffentlichen Förderung wirken sich dabei deutlich stärker auf die außer- und überbetrieblichen Bildungsstätten aus als auf Berufsschulen.

Zunehmende Technologisierung und Regionalisierung

Andererseits ergänzen die privaten Angebote nicht nur die Versorgung mit Ausbildungsangeboten, sondern eröffnen zudem auch mehr Freiheiten und Handlungsspielräume, um moderne und neue Konzepte in der Ausbildung anzuwenden. Private Ausbildungsangebote treiben den Einsatz neuer Tech-nologien, aber auch kooperative Formen der Ausbildung in regionalen Bildungsnetzwerken gezielt voran.

Übergangssystem verliert an Bedeutung

Die Entwicklung des sektoralen Fachkräftebedarfs hin zu einer stärkeren Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften ist eine Folge des Wandels hin zu einer wissensbasierten Gesellschaft und Ökonomie. Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung, die sich nicht nur in neuen und veränderten Ausbildungsberufen zeigt, sondern auch Folgen auf die Organisation von Ausbildung hat. Die Bedeutung des Übergangssys-tems nimmt immer weiter ab, da die dort vermittelten Teil- und Ersatzqualifikationen durch die Teilnehmer nicht verwertet werden können.

Modularisierung

Diese Erkenntnis ist umgesetzt durch eine stärkere Flexibilisierung der Ausbildung. Durch ein modular gestaltetes Ausbildungssystem ist es möglich, flexibel kombinierbare und zertifizierbare Teil- und Schlüsselqualifikationen zu vermitteln und auch als Instrument zur Erhöhung der Integrationsfähigkeit einzusetzen. Vor allem für gering qualifizierte Jugendliche hat sich so der Einstieg in das Erwerbsleben deutlich verbessert.

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63 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.�.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren

Sinkende Ausbildungsquote

Abb. 30: Übersicht der Deskriptoren

Abnehmende Bedeu-tung der Erstausbildung

Modularisierung der Ausbildung

Altersgerechte Personalpolitik

Äquivalenz vollzeit-schulischer Ausbildungen

Zunahme privater BildungsangeboteUmfangreicher

Einsatz neuer Technologien

Steigende Hochschul-Übergangs-quoten

Steigende internationale Mobilität

Steigende BildungsqualitätAusgeglichenes

Verhältnis zwischen Angebot & Nachfrage

Abnehmende Bedeutung des ÜbergangssystemGeringe Inte-

gration von Migranten

Erhöhte Bildungs-beteiligung von Mädchen

Leistungsan-forderungen nehmen zu

Sinkende Ausbildungs-bevölkerung

Steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten

Sinkende Übernahmequoten

Treibende Faktoren Kritische Faktoren

Puffernde Faktoren Getriebene Faktoren

Zunehmende Regionalisierung

Quelle: Prognos AG 2008

9.�.3 Zentrale Einflussfaktoren für die berufliche Ausbildung

Sinkende Ausbildungsbevölkerung

Sinkende Übernahmequoten der Betriebe

Stärkere Nachfrage nach wissensintensiven Tätigkeiten

Abnehmende Bedeutung der Erstausbildung vor dem Hintergrund des LLL

Alter(n)sgerechte Personalpolitik

Modularisierung

Zunahme privater Bildungsangebote

Sinkende Ausbildungsquote

Äquivalenz vollzeitschulischer Ausbildungen

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64 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.�.4 Empfehlungen für das Szenario 20�6–2025: „Trotz umfangreicher reformen sinkende Ausbildungsbeteiligung von unternehmen“

�. Sicherung von Qualität und Transparenz in der beruflichen Ausbildung, um Ausbildungsengagement und Ausbildungsbereitschaft zu erhalten

Die Ausbildungslandschaft hat sich in Quantität und Qualität deutlich verändert. Durch die Modularisierung der Ausbildungsgänge ist die früher zwei- bis dreijährige Ausbildung heute ähnlich dem Kurssystem an den Hochschulen gestaltet und setzt sich aus unterschiedlichen Bestandteilen theoretischer und praktischer Lerneinheiten zusammen. In Ergänzung der rückläufigen öffentlichen und betrieblichen Bildungsangebote haben sich die Anbieter-strukturen auf dem Ausbildungsmarkt diversifiziert. Hoch qualifizierte Tätigkeiten und technologische Neuerungen stellen zudem immer mehr Anforderungen an die Ausbildungs-inhalte. Die Beschreibung einheitlicher Kompetenzstandards für alle Ausbildungsgänge durch den Deutschen bzw. Europäischen Qualifikationsrahmen bildet eine Grundlage. Das Kreditpunktesystem für die berufliche Bildung (European Credit Transfer System in Vocatio-nal Education and Training, ECVET) ist ein Instrument zur Herstellung von Transparenz über erworbene Kompetenzen.

Mögliche Instrumente zur Sicherung von Qualität und Transparenz sind:

Einführung eines individuellen „Ausbildungsbuches“, das Stand der Ausbildung und absolvierte Ausbildungskurse dokumentiert

Akkreditierung von Ausbildungsgängen und Anbietern

Regelmäßige Evaluationen zur Überprüfung von Ausbildungsanbietern und Ausbildungs-angeboten

Page 69: Auswirkungen von demographischen Entwicklungen …...Der demographische Wandel sorgt für eine schrumpfen-de Bevölkerung, die zugleich deutlich älter wird. Dadurch wird die Zahl

Übergangssystem schrumpft

65 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.2 Variante II: Das Angebot an Ausbildungsplätzen übersteigt deutlich die Nachfrage

9.2.� Beschreibung des Szenarios

Vielfalt der Ausbildung als Strategie gegen den Fachkräftemangel

Sinkende Ausbildungs-bevölkerung

Im Zeitraum zwischen 2016 bis 2025 führt der kontinuierliche Geburtenrückgang und damit die rückläufige Zahl von Schulabsolventen, die an der ersten Schwelle auf den Ausbildungs-markt strömen, zu einem Nachwuchskräftemangel bei den Unternehmen. Trotz bereits sinkender Ausbildungsquoten übersteigt das Angebot an Ausbildungsplätzen deutlich die Nachfrage, sodass zahlreiche Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben.

Steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten

Neben diesen rein zahlenmäßigen Entwicklungen verschiebt sich der Fachkräftebedarf auch in Bezug auf die nachgefragten Tätigkeiten: Die Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften im Dienstleistungssektor ist höher als nach einfachen Dienstleistungen. Mit diesem Wandel in den Tätigkeitsstrukturen geht ein Anstieg des Qualifikationsniveaus einher.

Leistungsanforde-rungen nehmen zu

Die Ansprüche an die Kompetenzprofile der Arbeitskräfte verändern sich, mit der Folge, dass die Qualifikationsanforderungen an die Auszubildenden immer weiter ansteigen. Um diesen Wandel aufzunehmen und mitzugestalten, werden die Bildungsausgaben deutlich erhöht und es vollzieht sich eine Steigerung der Leistungsanforderungen in der beruflichen Ausbildung. Durch umfangreiche Investitionen in die Qualität des Lehrpersonals und die Ausstattung der Bildungseinrichtungen ist es gelungen, die duale Ausbildung zukunftsfähig zu gestalten und zu organisieren. „Arbeitsqualifikationen“ werden zunehmend berufsüber-greifend und handlungsbezogen angeboten und enthalten stärker theoretische Inhalte. Durch die Durchsetzung der Produkte und Produktionsverfahren mit wissensbasierten Ele-menten werden Schlüsselqualifikationen immer wichtiger, und Kompetenzen wie Team- oder Selbstlernfähigkeit, Sprachen, abstraktes Denkvermögen, kulturelle Offenheit etc. gewinnen an Bedeutung.

Bildungsqualität steigt

Um die Anforderungen einer zukunftsfähigen Gesellschaft erfüllen zu können, wurden umfangreiche Anstrengungen zur Verbesserung des primären und sekundären Bildungs-angebotes unternommen. Als Resultat dieser Entwicklungen sind Schulabsolventen heute besser qualifiziert und verfügen über höhere Schulabschlüsse der Fachhochschul- und Hochschulreife.

Hochschulen attraktiver

Durch die Einführung von dualen Studiengängen und eine Ausweitung von BA- und MA-Studiengängen auf den gesamten Hochschulbetrieb hat sich zudem die Studien-dauer verkürzt, der Praxisbezug erhöht und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschul-ausbildung deutlich gesteigert. Ein größer werdender Teil der Jugendlichen mit Hochschul-zugangsberechtigung entscheidet sich gegen die Aufnahme einer dualen Ausbildung und für eine Hochschulausbildung.

Internationale Mobilität

Fit für die Zukunft zu sein bedeutet für Ausbildungsbewerber und Auszubildende auch, die Herausforderungen einer immer stärker globalisierten Welt anzunehmen. Während früher der nationale und internationale Ortswechsel im Rahmen der Ausbildung den Hochschulen und ihren Studierenden vorbehalten war, ist heute die internationale Mobilität von Auszu-bildenden fast selbstverständlich. Dabei sind es nicht nur Teilqualifikationen, die im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes erworben werden: Durch die fortschreitende Internationalisie-rung der beruflichen Ausbildung gibt es immer mehr Jugendliche, die sich für eine Ausbil-dung im Ausland entscheiden. Es sind vor allem die gut qualifizierten Schulabsolventen, die den Standort verlassen und damit die Nachfragesituation am deutschen Ausbildungsmarkt weiter schwächen.

Modularisierung Um die nationale und internationale Anschlussfähigkeit des deutschen Ausbildungs-

systems zu erhöhen, ist die berufliche Ausbildung deutlich flexibilisiert worden. Ein breites Angebot an zusätzlichen Teilqualifikationen und Zertifikaten gewährleistet die notwendige

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66 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

Flexibilität der beruflichen Ausbildung im Hinblick auf andere Ausbildungsformen, aber auch der Hochschulbildung sowie der Fort- und Weiterbildung.

Äquivalenz der Ausbildungsformen

Nicht zuletzt, weil im europäi-schen und internationalen Umland vollzeitschulische Ausbildungsformen dominieren, ist es wichtig, dass sich das deutsche System international anpassungsfähig zeigt. Im Wettbewerb um Nachwuchskräfte ist dies ein wichtiger Standortvorteil. Vollzeitschulische Ausbildungs-gänge werden daher auch in Deutschland zunehmend anerkannt.

Übergangssystem schrumpft

Ein modular gestaltetes Ausbildungssystem schränkt die Bedeutung des Übergangssystems als „Auffangbecken“ nicht vermittelter Ausbildungsplatzbewerber ein: Indem das reguläre System auch Einstiegsqualifi-kationen ermöglicht, gelingt es, die Jugendlichen unmittelbar in das berufliche Ausbildungs-system zu integrieren.

Integration von Migranten gelingt nicht

Trotz des Überangebots an Ausbildungsplätzen gelingt die Integration von Migranten nicht. Obwohl durch die verbesserten Bildungsangebote auch aufseiten der Migranten qua-lifikationsbezogene Schwächen und Nachteile abgebaut sind, können Migranten nicht vom allgemeinen Wettbewerb um Ausbildungsanfänger profitieren. Sprachliche und kulturelle Barrieren verhindern weiterhin ihre Integration.

Bildungsbeteiligung von Mädchen steigt

Die Mädchen hingegen profitieren von der angebotsseitigen Öffnung des Ausbildungsmarktes: Die gezielte Förderung von technischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen hat dazu geführt, dass sich die Bildungsbeteili-gung von Mädchen weiter erhöht hat. Geschlechterbedingte Unterschiede in der Auswahl von Ausbildungsberufen und -inhalten werden zunehmend geringer.

Neue Technologien Das Ausbildungssystem muss sich anpassen. Dabei geht es vor allem auch darum, die „Ab-

wanderung“ von Schul- und Ausbildungsabsolventen in andere Ausbildungsformen, an die Hochschulen und in andere Länder zu verhindern. Durch den umfangreichen Einsatz neuer Technologien wie Internet 3.0 oder den Einsatz bundesweiter Fachklassen soll die Ausbildung „interessanter“ und zukunftsfähig gemacht werden. Es gelingt so zudem, den demographisch bedingten Rückbau von öffentlichen Infrastrukturleistungen auszugleichen.

Alter(n)sgerechte Personalpolitik und LLL

Die Unternehmen reagieren auf den Nachwuchskräftemangel, indem sie sich von der Jugendzentrierung hin zu einer alters- und alternsgerechten Personalpolitik bewegen. Die Förderung der besseren Integration auch älterer Arbeitnehmer und des Bewusstseins für den demographischen Wandel trägt Früchte. Das zeigt sich auch darin, dass die herausgehobene Bedeutung der Erstausbildung vor dem Hintergrund des lebenslangen Lernens abnimmt. Mehr und mehr Unternehmen realisieren, dass sie nicht ausreichend junge Nachwuchskräfte bekommen können, und beginnen, sich auch auf andere Zielgruppen zu konzentrieren.

Regionale Initiativen

Die Sicherung des Fachkräftebedarfs erfolgt zunehmend auch auf alternativen Wegen, denn die Unternehmen sehen, dass sie es alleine nicht schaffen. Die Förderung regionaler (Aus-)Bildungsnetzwerke in den vergangenen Jahren hat eine Dynamik entfaltet, die zu einer ausgeprägten Kooperation von Unternehmen, Bildungsträgern, politischen und weiteren ausbildungsrelevanten Akteuren führt. Über eine Professionalisierung und Erweiterung des regionalen Ausbildungsangebotes versuchen die Unternehmen, den Wettbewerb um Nachwuchskräfte zu gestalten. Der „Wettbewerb um Köpfe“ ruft auch private Bildungsan-bieter auf den Plan, die unter den steigenden Anforderungen ihr Marktpotenzial suchen und finden. Moderne Techniken, flexible Lösungen, die Möglichkeit von passfähigen Anschluss-qualifizierungen bieten Raum, die staatlichen Angebote gezielt zu ergänzen. Indem Bildung und Qualifikation für den Einzelnen in der Wissensgesellschaft immer wichtiger werden, sind auch immer mehr Menschen dazu bereit, für ihre Ausbildung zu bezahlen.

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67 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.2.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren

Abb. 3�: Übersicht der Deskriptoren

Sinkende Ausbildungsquote

Abnehmende Bedeutung der Erstausbildung (LLL)

Modularisierung der Ausbildung

Altersgerechte Personalpolitik

Äquivalenz vollzeit-schulischer Ausbildungen

Zunehmende Leistungs-anforderungen

Umfangreicher Einsatz neuer Technologien

Steigende internationale

Mobilität

Steigende Bildungsqualität

Attraktivität dualer Ausbildung

geringer

Abnehmende Bedeutung des Übergangssystems

Geringe Integration von Migranten

Erhöhte Bildungs-beteiligung von Mädchen

Sinkende Ausbildungs-bevölkerung

Rückläufiger Übergang in den Arbeits-markt

Zunehmende Regionalisierung

Zunahme privater Bildungsangebote

Angebot über-steigt Nachfrage

Steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten

Treibende Faktoren Kritische Faktoren

Puffernde Faktoren Getriebene Faktoren

Quelle: Prognos AG 2008

9.2.3 Zentrale Einflussfaktoren auf die berufliche Ausbildung

Sinkende Übernahmequoten

Steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten

Sinkende Ausbildungsquote

Sinkende Ausbildungsbevölkerung

Abnehmende Bedeutung der Erstausbildung vor dem Hintergrund des LLL

Modularisierung der Ausbildung

Umfangreicher Einsatz neuer Technologien

Äquivalenz vollzeitschulischer Ausbildungen

Zunehmende Leistungsanforderungen

Alter(n)sgerechte Personalpolitik

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68 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.2.4 Empfehlungen für das Szenario 20�6–2025: „Vielfalt der Ausbildung als Strategie gegen den Fachkräftemangel“

�. Internationale Abschlüsse anerkennen, um den Markt potenziellen nachwuchses zu vergrößern

Der demographische Wandel hat zu einem deutlichen Rückgang der Ausbildungsbevölke-rung geführt. Auf dem Ausbildungsmarkt besteht ein deutlicher Überhang des Ausbildungs-angebotes, die Unternehmen haben Schwierigkeiten, ihren Bedarf an Nachwuchskräften zu decken. Immer mehr Unternehmen verbreitern ihre Personalstrategie und werben neue Arbeitskräfte bspw. aus Hochschulen an bzw. verfolgen eine langfristige Personalentwicklung ihrer Mitarbeiter. Angesichts der weiter rückläufigen Bevölkerungszahlen und des hohen internationalen Wettbewerbs reichen diese Aktivitäten nicht aus. Es gilt, die europäische und internationale Zusammenarbeit in der beruflichen Ausbildung zu verstärken. Mit der Einführung des EQR, des DQR und des ECVET sind die Grundlagen für die Anerkennung inter-nationaler Schul- und Ausbildungsabschlüsse und die Förderung von Mobilität innerhalb und zwischen den nationalen Bildungs- und Beschäftigungssystemen in Europa gegeben.

Beispielhafte Aktivitäten sind:

Einrichten einer zentralen Stelle zur Prüfung und Bewertung internationaler Abschlüsse (vgl. Zentralstelle für Ausländisches Bildungswesen beim Sekretariat der Kultusminister-konferenz für Schulabschlüsse)

Beratungsstelle für Unternehmen zur Begleitung der internationalen Aktivitäten

Vermittlungsstelle für interessierte Jugendliche und Unternehmen („Ausbildungs-Börse“)

2. Internationale Auszubildende rekrutieren, um dem Mangel an nachwuchskräften entgegenzuwirken

Das deutsche Berufsbildungssystem ist international anerkannt und gilt insbesondere auf-grund der dualen Ausbildung als Erfolgsmodell. Über internationale Kooperationen kann der Bekanntheitsgrad und die Anziehungskraft des deutschen Ausbildungssystems besser vermarktet werden und so neue Ausbildungsbewerber gewonnen werden. Beispielhafte Aktivitäten sind:

Internationale Kooperationen für Berufsschulen nach dem Vorbild der „Schulpartner-schaften“ an den allgemeinbildenden Schulen initiieren.

Kampagne: „Deutschland das Land der Ausbildung“

3. Förderung des „regaining“ von nachwuchs- und Fachkräften, um die dauerhafte Abwanderung zu verhindern

Der internationale Austausch zu Ausbildungszwecken wird intensiv betrieben. Von zentraler Bedeutung ist dabei, die dauerhafte Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland zu ver-hindern bzw. ihr entgegenzuwirken. Das „Regaining“ von Arbeitskräften muss eine zentrale Aufgabe des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes sein.

Denkbare „Regaining“-Instrumente:

Informationsbroschüre und aktives Marketing „Standort Deutschland“

Angliederung der Marketingaufgaben an bestehende Strukturen bspw. der Außenhan-delskammern oder der Goethe-Institute

„Tag der offenen Tür“ in Außenhandelskammern zur Informationen über den Arbeits-markt in Deutschland

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69 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

9.3 Variante III: Die Nachfrage nach Ausbildungs-plätzen übersteigt deutlich das Angebot

9.3.� Beschreibung des Szenarios

Duale Ausbildung verliert im Wettbewerb

Sinkende Ausbildungsbevölkerung

-Entgegen aller Prognosen zu einer demographisch bedingten Entspannung am Ausbildungs-markt besteht die Ausbildungsplatzlücke weiterhin. Der starke Bevölkerungsrückgang führt nicht dazu, dass alle ausbildungssuchenden Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekom-men.

Rückläufige Ausbildungsquote

Die sinkende Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen der vergangenen Jahre setzt sich weiter fort. Immer mehr Unternehmen ziehen sich aus der Ausbildung zurück und sind nicht mehr bereit, in junge Menschen zu investieren. In den Unternehmen hat sich eine Personalstrategie durchgesetzt, die sich stark auf die vorhandenen Personalressourcen stützt und in eine alternsgerechte Unternehmensorganisation mündet.

Alternsgerechte Personalpolitik und LLL

Unterstützt wird diese Entwicklung durch die breite Anerkennung und Umsetzung des Leitbildes des lebenslangen Lernens. Das Konzept hat sich von einem Schlagwort zu einer anerkannten Personalentwick-lungsstrategie entwickelt, das die Erstausbildung als ersten Schritt für eine kontinuierliche be-rufliche Kompetenzentwicklung versteht.

Höherqualifizierung gefragt

In einer Wirtschaft, in der die Nachfrage nach hoch qualifizierten Fachkräften zu ungunsten einfacher Dienstleistungen wächst, kommt dem kontinuierlichen Kompetenzerwerb der Arbeitskräfte im Erwerbsleben eine entscheidende Bedeutung zu.

Keine Anpassung an steigende Leistungsanforderungen

-

Ein Grund der sinkenden Ausbildungsbereitschaft ist die wirtschaftliche Entwicklung, die es vor allem kleinen und mittleren, aber zunehmend auch großen Unternehmen nicht erlaubt, finanziell, aber auch personell und zeitlich in Auszubildende zu investieren. Da außer- und überbetriebliche Bildungsstätten demographisch bedingt an Bedeutung verlieren und ge-schlossen werden müssen, wird die Situation vor allem für die KMU weiter verschärft. Immer mehr geraten auch berufliche Schulen in den „Sog“ der Schließungen, sodass in den Regionen die Organisation der Ausbildung für Unternehmen (und Auszubildende) immer schwieriger wird. Dem System der beruflichen Ausbildung ist es nicht gelungen, sich den Herausforde-rungen einer zukunftsfähigen Arbeitswelt zu stellen. Frei werdende Mittel werden nicht zur Qualitätssteigerung reinvestiert und öffentliche Ausgaben reduziert. Dies führt dazu, dass es auch Gestalt und Ruf der beruflichen Ausbildung sind, die die Unternehmen verstärkt dazu veranlassen, ihre Nachwuchskräfte auf anderen „Märkten“ – ältere Arbeitnehmer, Hochschul-absolventen, internationale Arbeitskräfte – zu suchen. Die berufliche Ausbildung verliert als „Fachkräfteschmiede“ immer mehr an Bedeutung.

Schulische Qualität unverändert

Bemühungen, die Qualität der schulischen Vorbildung der Jugendlichen zu erhöhen und mit dem Argument der „mangelnden Ausbildungsreife“ aufzuräumen, sind gescheitert. Besonders deutlich macht das die unverändert schlechte Situation von Migranten auf dem Ausbildungsmarkt. Die Leistungsanforderungen in der Ausbildung sind nicht mit den Anfor-derungen der Unternehmen gestiegen. Was an theoriebasiertem Wissen vermittelt werden muss, passiert weiter zu großen Teilen an den Hochschulen. Vollzeitschulische

Ausbildung anerkannt Die Säulen der beruflichen Ausbil-

dung haben sich zugunsten vollzeitschulischer Ausbildungsgänge verschoben, von denen die Unternehmen einen Ausgleich der fehlenden Ausbildungsreife und die Vermittlung theore-tischer Wissensgrundlagen erwarten. Gleichzeitig werden so die betrieblichen Ausbildungs-kosten reduziert.

Modularisierung Mit der Flexibilisierung der Ausbildung wurde nicht die erhoffte Anschlussfähigkeit erreicht: Zwar konnte die Bedeutung des Übergangssystems reduziert werden, indem einem Großteil der Auszubildenden Teilqualifikationen und Basiskompetenzen für die schulische

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70 SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025

Ausbildung anerkannt werden, die Betriebe ziehen sich dennoch mehr und mehr aus der Ausbildung zurück.

Internationale Mobilität nimmt zu Durch die mangelnden Perspektiven und die geringe Qualität der Ausbil-

dung in Deutschland sehen immer mehr Jugendliche die Notwendigkeit, mobil zu werden. Der Fachkräftebedarf im europäischen Ausland und die erfolgreiche Umsetzung des EQF erhöht die Zahl von Jugendlichen deutlich, die sich auch international um Ausbildungsplätze bemühen.

Regionalisierung gestoppt

Auch Ansatzpunkte wie die Regionalisierung oder die Öffnung des Ausbildungsmarktes für private Bildungsanbieter und -angebote können die Attraktivität der Ausbildung nicht erhöhen. Die politische Förderung regionaler Netzwerkstrategien zum Ausgleich fehlender Ausbildungsplätze ist eingestellt worden, und ein Eigenengagement der Unternehmen erfolgt nicht. Sie konkurrieren vielmehr um die gut qualifizierten Ausbildungsabsolventen, die der Markt hervorbringt. Berufswechsel mit dem Ende der Ausbildung bzw. in den ersten Jahren der Berufstätigkeit nehmen zu.

Privater Markt nicht entwickelt

Für private Bildungsanbieter hat sich der Ausbildungs-markt nicht als gewinnträchtig gezeigt. Obwohl mit dem Rückgang der öffentlich finan-zierten Nachfrage das Potenzial für die privat finanzierte Berufsausbildung weiter zunimmt und ihnen durch gesetzliche Grundlagen der Markt geöffnet wurde, hat sich der gewünschte Wettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt nicht eingestellt. Die privaten Träger sehen ihr Potenzial weiterhin im Bereich der Hochschulen und in anderen Bereichen wie bspw. der Se-niorenbildung.

Keine neuen Technologien

Der Bedeutungszuwachs neuer Technologien für das Arbeitsleben, aber auch für Lehr- und Lernmethoden ist an der beruflichen Ausbildung vorübergegangen. Besondere IT-Lösungen oder virtuelle Seminare finden nur in Einzelfällen Anwendung. Die berufliche Ausbildung konzentriert sich weiterhin auf die traditionellen Berufe. Den Wettbewerb um Nachwuchs-kräfte haben vor allem die dualen Studiengänge gewonnen.

Hochschulen attraktiver

Für die Jugendlichen erhöht sich der Leistungsdruck. Diejenigen, die eine Hochschul-zugangsberechtigung haben, führt der Weg an die Hochschulen. Jugendliche mit guten mittleren Abschlusszeugnissen, die sich mit ihrer Berufswahl stark an den Interessen der Un-ternehmen orientieren, finden zumeist einen Ausbildungsplatz.

Mangelhafte Integrationsfähigkeit

Dennoch bleiben vor allem Migranten, aber auch Mädchen, die immer noch stark in traditionellen Berufswahlmustern verhaftet sind, als Ausbildungsbewerber übrig.

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SZEnArIEn ZEITrAuM 20�6–2025 7�

9.3.2 Funktionen und Wirkungsweisen der Deskriptoren

Abb. 32: Übersicht der Deskriptoren

Sinkende Ausbildungsquote

Treibende Faktoren Kritische Faktoren

Puffernde Faktoren Getriebene Faktoren

Modularisierung der Ausbildung

Alter(n)sgerechte Personalpolitik

Äquivalenz vollzeit-schulischer Ausbildungen

Steigende inter-nationale Mobilität

Attraktivität dualer Ausbildung geringer

Abnehmende Bedeutung des Übergangssystems

Geringe Integration von Migranten

Gleichbleibende Bildungsbeteiligung von Mädchen

Sinkende Ausbildungsbevölkerung

Abnehmende Regionalisierung

Unveränderte private Bildungs-angebote

Steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten

Unveränderte Bildungsqualität

Einsatz neuer Techno-logien nur in Einzelfällen

Die Nachfrage über-steigt das Angebot

Unveränderte Leistungs-anforderungen

Sinkende Übernahmequoten

Abnehmende Bedeutung der Erstausbildung (LLL)

Quelle: Prognos AG 2008

9.3.3 Zentrale Einflussfaktoren auf die berufliche Ausbildung

Sinkende Übernahmequoten

Abnehmende Regionalisierung

Unveränderte Qualität der primären und sekundären Bildung

Nachfrage übersteigt das Angebot

Einsatz neuer Technologien nur in Einzelfällen

Alternsgerechte Personalpolitik

Äquivalenz vollzeitschulischer Ausbildungen

Abnehmende Bedeutung der Erstausbildung vor dem Hintergrund des LLL

Sinkende Ausbildungsquote

Modularisierung der Ausbildung

Attraktivität dualer Ausbildung geringer (steigende Übergangsquoten an die Hochschulen)

Sinkende Ausbildungsbevölkerung

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9.3.4 Empfehlungen für das Szenario 20�6–2025: „Duale Ausbildung verliert im Wettbewerb“

�. Sicherung und Förderung der sozialen Verantwortung der unternehmen für die Ausbildung, um Jugendliche zu integrieren

Der größte Teil der Jugendlichen erwirbt mit dem Abschluss der Schule eine Hochschulzu-gangsberechtigung und entscheidet sich für eine Ausbildung an der Hochschule. Gleich-zeitig hat der allgemeine Strukturwandel den Trend zur Höherqualifizierung immer weiter verschärft und führt zu einer hohen Nachfrage nach hoch qualifizierten Dienstleistungstätig-keiten. Vor allem für diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die dem allgemei-nen Trend an die Hochschulen nicht folgen können, stehen keine Ausbildungsangebote zur Verfügung.

Um der verschärften Situation am Ausbildungsmarkt entgegenzutreten, müssen Unter-nehmen die – soziale – Verantwortung für die eigene Nachwuchssicherung, aber auch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt annehmen. Eine möglichst große Zahl an Jugendlichen soll Perspektiven für den Einstieg in die berufliche Ausbildung und den Arbeitsmarkt erhalten.

Beispielhafte Aktivitäten sind:

Aufrechterhalten der Ausbildungspaktes

Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu Ausbildungszwecken durch steuerliche Vergünstigungen oder Prämienregelungen

2. Durch „Beratung und Matching“ ausbildungswillige unternehmen und Jugendliche erfolgreich vermitteln und so die Ausbildungsquote erhöhen

Die erfolgreiche Vermittlung von ausbildungswilligen Jugendlichen an ausbildende Un-ternehmen wird in einer immer bunteren Bildungslandschaft deutlich schwieriger. Sowohl aus Sicht des einzelnen Jugendlichen und seiner Eltern als auch aus Sicht des Unternehmens gewinnen Beratungs- und Vermittlungsangebote immer mehr an Bedeutung.

Instrumente können sein:

Fortführung und Ausweitung von Programmen zur Förderung der passgenauen Vermitt-lung Auszubildender. Wichtige Elemente sind hierbei eine individuelle Unterstützung von Unternehmen und Auszubildenden durch den flächendeckenden Einsatz von:

– „Ausbildungsmanagern“, welche den Bewerbungs- und Auswahlprozess im Rahmen der Ausbildung für beide Seiten unterstützen

– „Ausbildungsberatern“, die gezielt als Mentoren für Auszubildende und Unternehmen eingesetzt werden

Flächendeckende Implementierung eines Netzwerks regionaler Bildungsberatungsbüros mit einem Beratungs- und Informationsangebot zu allen Stationen der Bildungsbiographie

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73 ÜBErGrEIFEnDE EMPFEHlunGEn

10 Übergreifende Empfehlungen für eine zukunftsfähige berufliche Ausbildung

Die dargestellten Szenarien zeigen auf, dass bestimmte Hand-lungsfelder wiederholt auftreten. So stellt die Integration von gering Qualifizierten eine wesentliche Herausforderung der zukünftigen Bildungspolitik dar. Ein ähnlicher Bedarf wird für den Aufbau einer Infrastruktur gesehen, die mit Beratungsan-geboten zu Bildungsmöglichkeiten Eltern, junge Erwachsene und Personalverantwortliche aus Unternehmen durch die vielfältigen Bildungswege leitet. Handlungsfelder, denen ein übergeordneter Stellenwert zukommt, werden im Folgenden nochmals ausführlich begründet und entsprechende Lösungs-ansätze skizziert.

10.1 Stärkere Verzahnung zwischen dualer Ausbildung und Hochschule

�0.�.� Befund

Ergebnisse Delphi

Die Verbesserung und Ausweitung der Schnittstellen zwischen dualer Ausbildung und Studium stellt ein übergreifendes Handlungsfeld für die nachhaltige Gestaltung der beruflichen Ausbildung dar. Trotz steigender Leistungsanforderungen werden nach Einschätzung der im Delphi befragten Experten Hochschule und duale Ausbildung nebeneinander bestehen bleiben. Die stärkere Verzahnung von dualer Ausbildung und Hochschulausbildung ist daher für die Qualitätssicherung und -entwicklung der beruflichen Ausbildung entscheidend.

Ergebnisse Szenarien

In den Szenarien wird deutlich, dass der stärkeren Verzahnung dabei eine doppelte Funktion zukommt: Auf der einen Seite kann die Anerkennung der dualen Ausbildung sowohl bei Be-trieben als auch bei gut qualifizierten Schulabsolventen erhöht werden. Niveau und Qualität der dualen Ausbildung erhöhen sich, steigenden Leistungsanforderungen kann besser Rech-nung getragen werden. Gleichzeitig kann auf der anderen Sei-te dem wachsenden Bedarf an wissenschaftlich qualifizierten Beschäftigten Rechnung getragen werden.

Neben den vertieften fachlichen Kenntnissen der Auszu-bildenden liegen weitere Vorteile für die Betriebe in einer geringeren Fluktuation begabter Auszubildender sowie einer

Verkürzung der Ausbildungsdauer für Jugendliche, die ihrer Ausbildung ein Hochschulstudium anschließen wollen. Aus-bildungsabschluss und Diplom können insgesamt schneller erreicht werden. Aus der Perspektive der Hochschulen werden durch die engere Zusammenarbeit neue Möglichkeiten zum Wissens- und Technologietransfer ermöglicht. So können neue finanzielle und personelle Ressourcen erschlossen werden.

�0.�.2 Empfehlung

Es wird die stärkere Öffnung der Hochschulen für beruflich er-worbene Kompetenzen empfohlen. Neben der Anerkennung von Kompetenzen gehört dazu auch die quantitative Auswei-tung entsprechend verzahnter Angebote.

Wichtigkeit

Mittlere Wichtigkeit, durch steigende Anforderungen an Kompetenzen und Qualifikationen aller Mitarbeiter sowie die hohe Bedeutung des lebenslangen Lernens in einer wissensbasierten Ökonomie

Dringlichkeit

Hohe Dringlichkeit, da steigende Leistungsanforderungen bereits jetzt wirksam werden, Unternehmen bereits heute über Fachkräftemangel klagen und die Studienquote in Deutschland im internationalen Vergleich immer noch vergleichsweise gering ist.

Denkbare Lösungsansätze

Begabte Absolventen der dualen Ausbildung als wichtige Zielgruppe für tertiäre Bildungsgänge an Hochschulen neu definieren und gewinnen, bspw. durch spezifische Stipendien und finanzielle Förderung

Berufliche Qualifikationen bei der Aufnahme eines Studi-ums anerkennen und anrechnen, bspw. durch verkürzte oder komprimierte Studienordnungen

Zentrale und bundeseinheitliche Definition von Hoch-schulzugangskriterien für Absolventen dualer Ausbil-dungsgänge

Kooperation zwischen Kammern, Unternehmen und Hochschulen in der beruflichen Ausbildung fördern und weiterentwickeln

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74 ÜBErGrEIFEnDE EMPFEHlunGEn

Flächendeckende Verfügbarkeit dualer Studiengänge erreichen, Berufsakademien in allen Bundesländern flächendeckend einführen, Kapazität dieser Studiengänge ausbauen, dies gilt insbesondere für berufsbegleitende Studiengänge.

Verantwortlichkeit

Bildungs- und Hochschulpolitik fallen in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer, Hochschulbau und -entwick-lung, Zulassungsstandards und Anerkennungsfragen kön-nen daher nur auf Ebene der Länder entschieden werden.

Koordinierungsorgan für bundeseinheitliche Regelungen auf der Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen der Länder ist die KMK.

10.2 Integration in die berufliche Aus-bildung durch Basisqualifikation und Durchlässigkeit verbessern

�0.2.� Befund

Ergebnisse Delphi

Die Integration von gering qualifizierten Jugendlichen in die berufliche Ausbildung und den Arbeitsmarkt ist auch zukünf-tig ein zentrales Handlungsfeld. Steigende Leistungsanforde-rungen und die Einführung neuer Technologien verschlech-tern nach Einschätzung der Experten die Zugangschancen für diese Gruppe.

Ergebnisse Szenarien

In den Szenarien wird deutlich, dass eine sinkende Aus-bildungsbevölkerung die Integrationsproblematik nicht zwangsläufig entschärft. Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels bleiben adäquate Qualifikationen und Kompetenzen der Schulabsolventen das entscheidende Ein-stellungsmerkmal.

In der Folge besteht für die Zukunftsfähigkeit des Systems der beruflichen Ausbildung eine doppelte Herausforderung. Auf der einen Seite sollen über eine Diversifizierung des Sys-tems der beruflichen Ausbildung neue Einstiegs- und Inte-grationsmöglichkeiten für Jugendliche mit Startschwierig-keiten geschaffen werden. Auf der anderen Seite muss die Durchlässigkeit des Systems der dualen Ausbildung weiter erhöht werden, sodass Einstiegs- und Teilqualifikation nicht ohne Anschluss- und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten verbleiben.

�0.2.2 Empfehlung

Die unterschiedlichen bestehenden Angebote des Übergangs-systems (BVJ, BGJ, EQJ etc.) werden durch die Einführung einer einheitlichen und arbeitsmarkrelevanten (anerkannten) beruflichen Basisqualifikation für einfache Tätigkeiten ersetzt. Gleichzeitigkeit wird die Durchlässigkeit der dualen Ausbil-dung weiter erhöht, die berufliche Basisqualifikation muss voll auf anschließende Weiterqualifikationen und Ausbildungsmo-dule angerechnet werden.

Wichtigkeit

Hoch, da Integrationsproblematik zunimmt:

2006 waren 40% der Ausbildungssuchenden Altbewerber. Die Hälfte der Altbewerber war dabei bereits zwei Jahre oder länger auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Dabei verschlechtern sich Vermittlungschancen, je älter der Bewerber wird und je länger die Ausbildungsplatz-suche andauert.

Knapp 40% aller Neuzugänge im System der beruflichen Ausbildung waren 2006 im Übergangssystem zu verzeich-nen.59

�9 BildunginDeutschland�008,S.9�,Abb.E�-�.

Nach wie vor besteht hier die Gefahr von Maßnah-menkarrieren: Bildungsmaßnahmen im Übergangssystem werden mehrfach hintereinander durchlaufen, ohne dass dies mit einem nachhaltigen Zuwachs an verwertbaren Kompetenzen oder verbesserten Chancen auf dem Arbeits-markt verbunden wäre.

Dringlichkeit

Hohe Dringlichkeit, da Exklusionstendenzen bereits heute deutlich erkennbar sind und sich mit steigenden Anforde-rungen weiter verschärfen werden.

Denkbare Lösungsansätze

Einführung einer einjährigen beruflichen Basisqualifi-kation, die das erste Ausbildungsjahr der dualen Ausbil-dung vollständig ersetzt. Die klassische duale Ausbildung schließt sich (dann in verkürzter Form) erst an diese beruf-liche Basisqualifikation an.

Besteht kein Ausbildungsvertrag oder wird keine weiterfüh-rende Schule besucht, ist das Absolvieren der beruflichen Basisqualifikation für alle unter 18-Jährigen verpflichtend.

Die Aufteilung von schulischem und betrieblichem Lern-ort ist an der bestehenden Form der dualen Ausbildung orientiert: Der schulische Teil der Basisqualifikation findet dabei an den Berufsschulen statt, betriebspraktische Erfah-rungen werden in einem Praktikumsbetrieb gesammelt.

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75 ÜBErGrEIFEnDE EMPFEHlunGEn

Die berufliche Basisqualifikation wird branchenspezifisch angeboten. Beispielsweise sind die Bereiche Pflege, Tech-nik, Bau, Verkauf etc. denkbar.

Im Mittelpunkt steht die Vermittlung fachpraktischer Kompetenzen in den Praktikumsbetrieben. Dies wird ergänzt durch die zielgerichtete Schulung methodischer, sozialer und personaler Kompetenzen in den schulischen Teilen, bspw. durch Kurse zur Dienstleitungs- und Kunden-orientierung, Telefonschulungen, Kassenkurse etc. Über einen Kompetenztest am Ende des Schuljahres werden die erworbenen Kompetenzen nachgewiesen und festgehal-ten.

Die berufliche Basisqualifikation ist zukünftig die aner-kannte Zugangsvoraussetzung für sämtliche einfache Tätigkeiten in allen Branchen (Verkaufstätigkeiten im Einzelhandel, Hilfstätigkeiten am Bau und im Handwerk, einfache pflegerische Aufgaben etc.).

Um die Weiterqualifizierung zu ermöglichen und die Durchlässigkeit zu erhöhen, muss die berufliche Basis-qualifikation voll auf eine mögliche anschließende weitere (Teil-)Qualifizierung oder duale Ausbildung angerechnet werden. Durch die berufliche Basisqualifikation entsteht für den Auszubildenden kein Zeitverlust.

Über eine solche Umsetzung ist die Basisqualifizierung an-schlussfähig an bestehende Strukturen und Diskussionen. Im Vergleich zu bestehenden Angeboten des Übergangssystems weist sie jedoch deutliche Vorteile auf:

Durch die Verbindung von schulischen und betrieblichen Elementen können die Vorteile beider Lernorte genutzt werden: Unternehmen können potenzielle Auszubilden-de und Mitarbeiter kennenlernen, gleichzeitig kann die Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Schulabsol-venten weiter erhöht werden.

Die Einstellungschancen nach dem Absolvieren der Ba-sisqualifikation erhöhen sich für Jugendliche mit Start-schwierigkeiten: Der Jugendliche verfügt bereits über eine Grundqualifikation für einfache Tätigkeiten, ggf. konnten Auszubildender und Unternehmen sich bereits im Rahmen des Praktikums kennenlernen. Darüber hinaus stellt das Unternehmen den Absolventen der Basisqualifikation über einen normalen Arbeitsvertrag an, das Unternehmen muss sich nicht mehr im Rahmen eines Ausbildungsvertrags langfristig binden.

Eine Stigmatisierung der Jugendlichen im Übergangs-system als „BVJ-ler“ etc. wird vermieden, indem jeder Auszubildende die Basisqualifikation absolviert und sich erst danach entscheidet, ob er eine vollständige duale Ausbildung absolviert.

Durch die verpflichtende Anrechung der Basisqualifikation auf weiterführende Qualifizierungen wird der bestehen-den Praxis entgegengewirkt, nach der die Anrechung einzelner im Übergangssystem erworbener Kompetenzen in der dualen Ausbildung bereits möglich ist, in der Praxis allerdings noch selten durchgeführt wird. Nicht zuletzt ist hier die fehlende Akzeptanz der Anrechnung in den Betrie-ben entscheidend für die Nichtinanspruchnahme dieses Anrechungsanspruchs.

Verantwortlichkeit

Die Zuständigkeit für die Reform und Modernisierung der Aus-bildungsordnungen liegt bei den Sozialpartnern sowie dem Bund und den Ländern, die in einem kooperativen Verfahren Inhalte und Verfahren festlegen.

10.3 Flächendeckender Aufbau branchenspezifischer regionaler Aus- und Weiterbildungszentren

�0.3.� Befund

Ergebnisse Delphi

Die Konkurrenz um geeignete Auszubildende wird sich durch den demographischen Wandel deutlich erhöhen. Die Chancen für kooperative Elemente in der Ausbildung werden sich vor diesem Hintergrund nach Einschätzung der Experten nicht er-höhen. Trotz dieser ungünstigen Ausgangssituation schreiben die Experten überbetrieblichen Ausbildungsabschnitten eine hohe Bedeutung für die Qualitätssicherung und -entwicklung der dualen Ausbildung zu.

Ergebnisse Szenarien

Der sich verschärfende Wettbewerb um die besten Köpfe wird auch in den Szenarien thematisiert. Dies stellt insbesondere KMU vor neue Herausforderungen, da sie hinsichtlich der Personalrekrutierung oft finanziell und personell gegenüber Großunternehmen benachteiligt sind. Zusätzlich verschärft wird der Wettbewerb um eine geringer werdende Zahl poten-zieller Auszubildender durch steigende Anforderungen an die Technologisierung.

Vor diesem Hintergrund sind die Verbindung von Perso-nalrekrutierungsstrategien mit Angeboten zum lebenslangen Lernen, die zunehmende Verzahnung von Aus- und Weiterbil-dung und die Aktualisierung von Wissen über die gesamte Bildungs- und Arbeitsbiographie hinweg zentrale Kriterien für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh-men.

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�0.3.2 Empfehlung

Flächendeckender und abgestimmter Aufbau regionaler Aus- und Weiterbildungszentren, um neue Spielräume für einen hochwertigen Technologieeinsatz in der beruflichen Bildung zu schaffen und insbesondere KMU bei der Personalrekrutie-rung und -bindung zu unterstützen. Regionale Ressourcen, vor allem regionale Entwicklungs- und Kooperationspotenziale sollen für eine Qualitätssteigerung der beruflichen Bildung genutzt werden und damit die regionale Wettbewerbsfähig-keit insgesamt erhöhen.

Wichtigkeit

Hoch, zunehmende Technologisierung und zunehmende Schwierigkeiten von KMU bei der Stellenbesetzung ma-chen die rasche Implementierung passender Instrumente erforderlich.

Dringlichkeit

Mittel, denn die Förderung regionaler Bildungsnetzwerke ist bereits ein Förderschwerpunkt der Bundesregierung im Bereich Bildung: Jobstarter-Programm, Förderprogramm Lernende Regionen, Ausbau von ÜBS zu Kompetenzzentren. Hier können die vorhandenen Programme entsprechend den unten stehenden Empfehlungen angepasst werden.

Denkbare Lösungsansätze

Eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung macht es not-wendig, Ressourcen branchenspezifisch zu konzentrieren. Regionen brauchen zukünftig nicht mehr mehrere Bran-chen in der Aus- und Weiterbildung abzudecken, sondern Konzentrationsprozesse können gezielt und bedarfsge-recht forciert werden. Statt einer Breitenförderung muss zunehmend die Förderung von Exzellenz in der Aus- und Weiterbildung in den Mittelpunkt gerückt werden.

Über die starke Spezialisierung der Aus- und Weiterbil-dungszentren sollen zusätzliche finanzielle Mittel für eine technologisch hochwertige Ausstattung erschlossen wer-den (bspw. über EU-Mittel, private Spenden durch die Her-steller etc.). Auch in der Kooperation mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen vor Ort sowie in der Anbindung an regionale Wirtschaftscluster liegen hier Potenziale.

Im Mittelpunkt steht die Förderung innovativer Koopera-tionen und Strukturen, nicht die Förderung bestimmter Institutionen oder Träger. Neben Schulen, Berufsschulen, Kammern und Unternehmen (insbesondere KMU) sollen auch private Bildungsanbieter in die regionalen Bildungs-zentren mit einbezogen werden. Innovative Träger- und Finanzierungsmodelle wie bspw. Bildungsstiftungen oder Bildungsfonds können dabei helfen, institutionelle Barrie-ren zu überwinden.

Verantwortlichkeit

Die Verantwortlichkeit für regionale Bildungszentren liegen in der Region selbst. Vor dem Hintergrund der Notwendig-keit eines bedarfsgerechten Ausbaus und der Initiierung von Konzentrationsprozessen sollten dennoch auf Bundes- und Landesebene koordinierte Verfahren in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts (Bundesministerium für Wirtschaft, Bun-desministerium für Arbeit) implementiert werden, um über entsprechende Anreizsysteme eine zielgerichtete Entwicklung zu unterstützen.

10.4 Mobilität von Jugendlichen erhöhen

�0.4.� Befund

Ergebnisse Delphi

Da die internationale Aufstellung von Unternehmen immer weiter zunimmt, gehen die Experten auch von einer zuneh-menden Internationalisierung der Ausbildung aus. Diese wird vor allem durch länderübergreifende Kooperationen der Unternehmen in der Ausbildung realisiert.

Auch im Inland werden die Anforderungen an die Mobi-lität von Jugendlichen deutlich zunehmen, da eine flächen-deckende Infrastruktur in strukturschwachen Regionen nicht aufrechterhalten werden kann. Eine vollständige Kompensa-tion durch virtuelle Bildungsangebote ist unwahrscheinlich, stattdessen werden landes- und bundesweite Fachklassen eingerichtet.

Ergebnisse Szenarien

Auch die Szenarien verweisen darauf, dass durch den Fachkräf-temangel regionale und internationale Mobilität wichtiger wird. Der Abbau von Infrastruktur, die regionale Spezialisie-rung und die Internationalisierung erhöhen den Bedarf, sich schon in der Ausbildung national bzw. international zu orien-tieren. Zugleich wird der Fachkräftemangel dazu führen, dass verstärkt Nachwuchskräfte aus dem Ausland gesucht werden.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich als neue Herausfor-derungen die Erhöhung der Mobilität deutscher Jugendlicher, die Gewinnung ausländischer Jugendlicher für eine qualifi-zierte Ausbildung sowie der Regain junger deutscher Fachkräf-te aus dem Ausland.

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77 ÜBErGrEIFEnDE EMPFEHlunGEn

�0.4.2 Empfehlung

Bereitstellung regionaler Infrastruktur für Jugendliche aus dem In- und Ausland, um den Umzug in eine fremde Umge-bung zu erleichtern. Nutzung vorhandener Infrastrukturen im Ausland, um Beratungsangebote für Ausbildung in Deutsch-land zu etablieren und Bildungsangebote im Ausland nach dem Vorbild der dualen Ausbildung zu schaffen.

Wichtigkeit

Hoch, da bereits heute das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt in einem Missver-hältnis steht.

Dringlichkeit

Hoch, da ein hoher zeitlicher Vorlauf beim Aufbau entspre-chender Infrastrukturen einzukalkulieren ist und schon heute branchenspezifischer und regionaler Fachkräf-temangel besteht.

Denkbare Lösungsansätze

Regionale „Kümmerer“, also Ansprechpartner, die in Zu-sammenarbeit mit den Betrieben günstige Wohnmöglich-keiten organisieren, Unterstützung bei Behördengängen leisten und bei sonstigen Problemen des Alltags helfen

Ausbau von internationalen Schulpartnerschaften für die berufsbildenden Schulen

Die Förderung deutscher Schulen im internationalen Ausland, das nicht oder nur in geringem Umfang vom demographischen Wandel betroffen ist, um frühzeitig sprachliche und kulturelle Barrieren abzubauen

Vermarktung des dualen Systems im internationalen Aus-land durch Kampagnen und Unterstützung beim Ausbau nationaler Ausbildungsstrukturen im Ausland

Verantwortlichkeit

Die Verantwortlichkeit für den Aufbau regionaler Strukturen obliegt den Städten und Kommunen; die Aktivitäten im Aus-land werden durch den Bund initiiert und gemeinsam mit den entsprechenden Partnern (z.B. Goethe-Institute) umgesetzt.

10.5 Neue Instrumente zur Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung

�0.5.� Befund

Ergebnisse Delphi

Insbesondere die Ergebnisse der Delphi-Befragung zeigen, dass die rückläufigen Schülerzahlen bereits kurzfristig zu Einspareffekten im System der beruflichen Ausbildung führen: Frei werdende Mittel werden nicht mehr für die berufliche Ausbildung aufgewendet und stehen dem System nicht mehr zur Verfügung.

Ergebnisse Szenarien

Durch die Szenarien wird der drohende Qualitätsverlust und die damit verbundene sinkende Attraktivität der beruflichen Ausbildung deutlich. Steigende Leistungsanforderungen und sich wandelnde Bedürfnisse der Wirtschaft werden in vielen Szenarien nicht vom Ausbildungssystem aufgegriffen. Die Anforderungen an die Ausbildungsanfänger werden stabil gehalten und nicht angepasst.

Die Schere zwischen möglicher und notwendiger Finan-zierung der beruflichen Ausbildung wird zunehmend breiter, und das System der Mischfinanzierung gerät immer mehr unter Druck:

Die Kostenanteile der verschiedenen Akteure (öffentliche Hand, Betriebe und Individuen) verschieben sich.

Steigende Qualifizierungs- und Leistungsanforderungen können vielfach nur durch private Angebote aufgenom-men und vermittelt werden, da die öffentlichen Mittel stagnieren.

Individuen müssen immer mehr auch auf kostenpflichtige Angebote beruflicher Ausbildung und weiterer Qualifizie-rungen im Erwerbsverlauf zurückgreifen, um eine qualita-tiv hochwertige Ausbildung zu erhalten.

�0.5.2 Empfehlung

Empfehlungen für neue Instrumente der Finanzierung der beruflichen Ausbildung müssen die Besonderheiten der Mischfinanzierung und die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Akteure aufgreifen. Für die öffentliche Hand bedeutet dies, demographisch bedingt frei werdende Mittel zur Sicherung von Qualität und Modernität der beruflichen Ausbildung in das System zu reinvestieren. Für Betriebe und Individuen bedeutet es, das durchschnittliche Bildungs- und Qualifikationsniveau zu erhöhen und die individuelle und

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betriebliche Personalentwicklung bewusst als eine lebenslauf-bezogene Qualifizierungsstrategie zu verstehen.

Betriebe und Individuen müssen in die Lage versetzt werden, ihre Aus- und Weiterbildungsbeteiligung zu erhö-hen. Finanzierungsinstrumente müssen bestehende Nach-teile – sozioökonomischer Hintergrund, starke Korrelation zwischen Vorbildung und Bildungsverhalten, finanzielle Einschränkungen bei Individuen und Betrieben etc. – gezielt ausgleichen. Zudem kann es über eine stärkere Nachfrageori-entierung auf dem Markt für Aus- und Weiterbilder zu einem qualitativ verbesserten Angebot kommen; hierzu sind subjekt-finanzierte Instrumente einzuführen.

Wichtigkeit

Hoch, denn kostenpflichtige Angebote in der Ausbildung nehmen zu, und die Weiterbildungsteilnahme in Deutsch-land ist zwar gestiegen, hängt jedoch stark von externen Faktoren (Vorbildung, Betriebsgröße etc.) ab.

Dringlichkeit

Hoch, da Qualifizierung der entscheidende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit (des Einzelnen und der Wirtschaft) ist.

Denkbare Lösungsansätze

Einführung des Bildungskontos und -sparens als obligato-risches Instrument: Mit Beginn der Ausbildung erhalten Auszubildende ein Bildungskonto mit einer staatlichen Ersteinlage als Anreiz.

Einführung von „Ausbildungsgutscheinen“ für unter-schiedliche Nachfrager: Im Rahmen der Gutscheine können die individuellen Merkmale des Bildungsnach-fragers nicht nur auf der Seite der Auszubildenden und Arbeitskräfte berücksichtigt werden, sondern auch KMU sachgerecht gefördert werden.

Anpassung von Leistungshöhen bestehender Finanzie-rungsinstrumente (Meister-BAföG, steuerliche Berücksich-tigung von individuellen Weiterbildungsaufwendungen, Prämien- und Darlehensregelungen)

Verantwortlichkeit

Die Verantwortlichkeit für die Einführung neuer Finanzie-rungsinstrumente richtet sich im Einzelnen nach der Auswahl des Ansatzes.

10.6 Förderung der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund

�0.6.� Befund

Internationale und nationale Leistungsvergleiche zeigen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht nur im Bildungs-wesen, sondern auch auf dem Ausbildungsmarkt bei gleichen Ausgangsbedingungen und ähnlichen Bewerbungsstrategien geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. In der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen blieben im Jahr 2003 mehr als ein Drittel zugewanderter Jugendlicher ohne Berufs-abschluss.

Ergebnisse Delphi

Die Delphi-Befragung liefert erste Hinweise auf eine Entspan-nung der Situation in der Zukunft: Bereits bis zum Jahr 2015 wird die Integration in den Ausbildungsmarkt weniger über die Herkunft der Jugendlichen als über den Schulabschluss determiniert. Bei steigenden formalen Qualifikationen von Schulabsolventen werden Zuwanderer im Vergleich zu Jugendlichen mit niedrigen oder keinen Bildungsabschlüssen am wenigsten benachteiligt.

Ergebnisse Szenarien

Die Szenarien weisen jedoch darauf hin, dass die Gewinnung und Sicherung der Potenziale der Jugendlichen mit Migra-tionshintergrund heute und zukünftig von hoher Bedeutung ist. Steigende Leistungsanforderungen, zunehmende Migra-tionsströme und sinkende Nachwuchszahlen führen in den Szenarien oftmals dazu, dass die Integrationseffektivität des Ausbildungssystems nicht ausreicht und neue Möglichkeiten für diese Zielgruppe eröffnet werden müssen.

�0.6.2 Empfehlung

Das System der beruflichen Ausbildung muss so gestaltet sein, dass es den steigenden Ansprüchen einer globalisierten und technologisierten Arbeitswelt und Gesellschaft gerecht werden kann, ohne seine eigene Integrationsfähigkeit zu gefährden. Dabei geht es einmal darum, möglichst allen Jugendlichen den Weg in die Ausbildung zu eröffnen. Vor dem Hintergrund der sinkenden Zahl von Ausbildungsanfängern gewinnt jedoch ebenso die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus volks- und betriebswirtschaftlicher Sicht (Nachwuchskräftesicherung) immer mehr an Bedeutung. Der Nationale Integrationsplan bietet einen guten Rahmen, der durch gezielte Maßnahmen und Unterstützungsleistungen gefüllt werden muss.

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Wichtigkeit

Hoch, denn die Ausbildungsbeteiligungsquote auslän-discher Jugendlicher ist mit knapp 24% weniger als halb so groß, wie die der deutschen Jugendlichen.

Dringlichkeit

Hoch, im langfristigen Zeitraum ist eher mit einer Entspan-nung zu rechnen.

Denkbare Lösungsansätze

Erweiterung des Erkenntnisstandes im Hinblick auf die berufliche Aus- und Weiterbildung von Migranten und Migrantinnen durch wissenschaftliche Studien und For-schung

Definition interkultureller Bildung als fester Bestandteil in der beruflichen Ausbildung bspw. durch die Aufnahme in die Ausbilder- Eignungsverordnung, Fortbildungen von Lehrkräften zur Wahrnehmung des Sprachbildungsauf-trags, Steigerung der Sprachfähigkeit von Auszubildenden durch Fremdsprachenunterricht oder die Integration von Muttersprachenunterricht

Auflösen vorhandener Stereotype, bspw. die Verbesserung der Wahrnehmung von kultureller Heterogenität als be-triebswirtschaftliches Potenzial

Begleitung des Übergangs der Jugendlichen von der Schu-le in die Ausbildung und während der Ausbildung bspw. durch Mentoring-Programme, berufsbegleitende Nach-qualifizierungen etc.

Verantwortlichkeit

Die Steigerung der Integrationseffektivität des Ausbil-dungssystems in Bezug auf Jugendliche mit Migrationshin-tergrund ist Bestandteil des staatlichen Bildungsauftrags. Entsprechend den Mischzuständigkeiten von Bund und Ländern sind beide Ebenen gefordert. Für das BMBF be-steht die Möglichkeit, Fördermaßnahmen aufzusetzen.

10.7 Sicherung einer bedarfsgerech-ten Ausbildungsinfrastruktur

�0.7.� Befund

Ergebnisse Delphi

Nach Einschätzung der Experten wird die Schließung von Infrastruktureinrichtungen und eine damit verbundene Reduzierung des Ausbildungsangebots mittelfristig wirksam. Der Abbau der Infrastruktur betrifft dabei vor allem struk-turschwache Regionen und die ostdeutschen Bundesländer. Alle Einrichtungen der beruflichen Bildung stehen vor diesen Herausforderungen, jedoch sind außerbetriebliche Bildungs-stätten früher betroffen.

Während die öffentlich finanzierte Nachfrage nach Leistungen sinkt, steigt die Nachfrage nach privat finanzierten Leistungen schon ab dem Jahr 2007 deutlich an.

Ergebnisse Szenarien

Auch in den Szenarien wird deutlich, dass die Einrichtungen der beruflichen Bildung zukünftig vor neuen Herausforde-rungen stehen werden. In den Szenarien zeigen sich unter-schiedliche Schwerpunkte:

Verhältnis öffentlicher und privater Angebote

Anbieterstrukturen und Art und Umfang öffentlicher Bildungsträger

Leistungsumfang und Angebotsspektrum der Bildungs-anbieter

Der demographisch bedingte Rückgang der Ausbildungs-bevölkerung führt folglich absehbar dazu, dass bestehende Infrastruktur überflüssig wird und rückgebaut werden muss. Gleichzeitig besteht auch weiterhin der Bedarf, den ausbil-dungswilligen Jugendlichen auf der einen Seite und den ausbildungswilligen Betrieben auf der anderen Seite eine flächendeckende Ausbildungsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen, um die Funktionsfähigkeit des Ausbildungssystems zu erhalten.

�0.7.2 Empfehlung

Der bereits begonnene Rückbau der bestehenden Ausbil-dungsinfrastruktur muss den notwendigen Bedarfen von Aus-bildungsanfängern und ausbildenden Unternehmen folgen. Die demographisch bedingte Schließung von Infrastrukturein-richtungen muss durch den Auf- und Ausbau bedarfsgerechter Angebote aufgefangen bzw. ergänzt werden. Dabei ist auch das Verhältnis zwischen staatlichen Interventionen und pri-vaten Angeboten neu zu bestimmen.

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Auf der Seite der Auszubildenden sind Angebote zu schaf-fen, welche den Jugendlichen flächendeckend den Zugang zu einer Ausbildung ermöglichen und gleichzeitig die geringe Mobilität der Auszubildenden berücksichtigen. Für die Unter-nehmen sind insbesondere qualitative Elemente nachgefrag-ter Qualifizierungsanforderungen und betriebliche Einschrän-kungen (vor allem bei KMU) von Bedeutung.

Wichtigkeit

Hoch, denn die Schließung von Infrastruktureinrichtungen hat bereits begonnen; wichtig ist ein gesteuerter Rückbau.

Dringlichkeit

Hoch, neben der Nutzung bestehender Förderprogramme sollten bereits heute Modellprojekte erprobt werden, um dem übergreifenden Trend mittelfristig begegnen zu kön-nen.

Denkbare Lösungsansätze

Neben Bundes- und Fachklassen sollten virtuelle Bildungs-angebote stärker gefördert und für die berufliche Ausbil-dung nutzbar gemacht werden. Aufbau und Gestaltung von Fernstudiengängen an Hochschulen können interes-sante Hinweise geben.

Die Mobilität der Jugendlichen sollte durch Angebote wie bspw. Internatsplätze erhöht werden (siehe hierzu Empfeh-lung 10.4: Mobilität von Jugendlichen erhöhen).

Regionale Bildungszentren als Weiterentwicklung und Zusammenschluss heute bestehender Ausbildungsein-richtungen (Berufsschulen, außer- und überbetriebliche Bildungsstätten) sind auch vor dem Hintergrund des gesteuerten Rückbaus wichtig und weiter zu fördern (siehe hierzu Empfehlung 10.3: Flächendeckender Aufbau branchenspezifischer regionaler Aus- und Weiterbildungs-zentren).

Verantwortlichkeit

Aufgrund der föderalen Strukturen und der unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten ist die Verantwortlichkeit unklar. Not-wendig ist eine gemeinsame Strategie aller politisch Verant-wortlichen, die über das BMBF initiiert werden kann.

10.8 Systematisierung von Angeboten zur Bildungsberatung und Berufswahl

�0.8.� Befund

Ergebnisse Delphi

Mehr als die Hälfte der Experten geht davon aus, dass es zu einer stärkeren Diversifizierung der Ausbildungslandschaft kommt, die durch die zunehmende Modularisierung, die stei-gende Konkurrenz mit den Hochschulen sowie die Zunahme betriebspraktischer Anteile in vollzeitschulischen Ausbil-dungsgängen entsteht.

Auch die wenig flexible Berufswahl von Mädchen und Jungen verweist auf einen geringen Kenntnisstand der beruflichen Möglichkeiten. Die Delphi-Befragung zeigt, dass Experten zumindest mittelfristig von einem Berufswahlverhal-ten ausgehen, das den traditionellen Rollenbildern verhaftet bleibt.

Ergebnisse Szenarien

Auch in den Szenarien wird die zunehmende Differenzierung der beruflichen Ausbildung hinsichtlich der Tätigkeitsbe-reiche, Ausbildungsorganisation und Qualifizierungsanforde-rungen deutlich. Darüber hinaus wird sehr stark deutlich, dass die quantitativen und qualitativen Veränderungen der Ausbil-dungslandschaft die Vermittlung von Ausbildungsbewerbern an ausbildende Betriebe (insbesondere KMU) erschweren.

Die Szenarien verweisen ebenso darauf, dass trotz guter Ausgangsvoraussetzungen der Mädchen das geschlechtsspezi-fische Berufswahlverhalten nur langsam aufgebrochen wird.

Die Ausbildungslandschaft hat sich in Quantität und Qualität bereits heute deutlich verändert und wird sich durch Prozesse wie die zunehmende Modularisierung und die stetige Anpassung von Ausbildungsinhalten und -gängen z.B. aufgrund technologischer Neuerungen weiter diversifizieren. Insbesondere vor dem Hintergrund notwendiger lebenslanger Qualifizierungsstrategien ist eine bildungsbereichs- und trä-gerübergreifende Information und Beratung für Jugendliche, Eltern und Unternehmen notwendig. Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsentscheidungen können nur auf der Grundlage umfassender Kenntnisse über vorhandene Bildungsangebote getroffen werden. Dies liegt auch im Interesse der Unterneh-men, die auf der Suche nach „passenden“ Nachwuchskräften für die unterschiedlichen Berufsfelder sind. „Passend“ bezeich-net dabei zum einen die Ausbildung in Berufen, die geeignet sind, das unternehmerische Tätigkeitsspektrum abzubilden, und zum anderen die Suche nach Persönlichkeiten, die diesen Ausbildungsplatz ausfüllen können.

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�0.8.2 Empfehlung

Der Bedarf an umfassenden Beratungsangeboten für Bildungs-entscheidungen wächst kontinuierlich und muss durch ein bundesweites Angebot befriedigt werden. Da bereits viele An-gebote bestehen, sollten Anstrengungen sich vor allem darauf richten, Ausbildungsberatung sowie Angebote zur Vermitt-lung von Ausbildungsbewerbern an ausbildende Stellen weiter-zuentwickeln und zu systematisieren. Dies betrifft z.B. Ange-bote der Bundesagentur für Arbeit und bestehende Förderpro-gramme – wie bspw. das BMWi-Programm zur „Passgenauen Vermittlung von Auszubildenden an ausbildungswillige Unternehmen“ oder Bestandteile der Programme Jobstarter, Lernende Regionen (Themen- und Forschungsschwerpunkt Bildungsberatung) etc., die anhand vorgegebener Kriterien (Zielgruppe, Teilnehmerkreis, Ressortverantwortung, föderale Zuständigkeit etc.) systematisiert und aufeinander abge-stimmt werden sollten. So kann ein kohärentes und bundes-weites Angebot etabliert werden. Bestehende Aktivitäten zur Harmonisierung im Rahmen des Nationalen Forums Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung bieten Anknüpfungs-punkte, müssen aber gezielt erweitert werden.

Wichtigkeit

Hoch, da

die Abbruchquoten in der beruflichen Ausbildung trotz der schwierigen Situation am Ausbildungsmarkt zu hoch sind. Ein Fünftel aller Ausbildungsverträge wurde 2006 vorzeitig gelöst; die Abbruchquoten der Hochschulen sind ebenfalls kritisch.

das Berufswahlverhalten (die 10 beliebtesten Ausbil-dungsberufe für Männer und Frauen) seit Jahren konstant ist. 2007 sind die beliebtesten Berufe bei den Mädchen Einzelhandels- und Bürokauffrau sowie Friseurin, bei den Jungen Kfz-Mechatroniker, Einzelhandelskaufmann sowie Industriemechaniker

Dringlichkeit

Hohe Dringlichkeit, da schon heute in der bildungspoli-tischen Diskussion auf die fehlende berufliche Orientie-rung von Schülerinnen und Schülern verwiesen wird. Diese wird mit der zunehmenden Vielfalt an Bildungsmöglich-keiten weiter zunehmen.

Denkbare Lösungsansätze

Ermittlung von vorhandenen Bedarfen für Beratungs- und Matchingangebote aufseiten der Jugendlichen und der Betriebe als Ausgangspunkt für die Systematisierung

Verankerung von Beratungsstrukturen (z.B. Bildungsbü-ros) in allen Kommunen

Entwicklung einheitlicher Standards für Matchingange-bote und Professionalisierung des Personals durch die Definition von Qualifikationsanforderungen und Kompe-tenzen

Verantwortlichkeit

Notwendig ist eine gemeinsame Strategie aller politisch Ver-antwortlichen, die über das BMBF initiiert werden kann.

10.9 Qualität und Transparenz von Ausbildungsangeboten sichern

�0.9.� Befund

Die Vielfalt der Bildungsangebote geht auch mit einer zuneh-menden Diversifizierung der Anbieterstrukturen einher (vgl. auch Kapitel 6.8.1).

Ergebnisse Delphi

Die Experten sagen zwar voraus, dass die Vielfalt der Angebote und Anbieter zunimmt, jedoch wird es keinen signifikanten Anstieg privater Bildungsangebote geben (nur 13% stimmen einem solchen Trend zu). Stattdessen werden schulische Aus-bildungsangebote an Bedeutung gewinnen.

Ergebnisse Szenarien

Die Szenarien verweisen darauf, dass die Vielfalt des Bildungs-systems weiter zunehmen wird. Um den Anforderungen an Flexibilität und Durchlässigkeit Genüge zu tun, werden immer mehr alternative Angebote entwickelt, die sich im Hinblick auf Umfang, Dauer, Trägerschaft etc. unterscheiden.

�0.9.2 Empfehlung

Der Sicherung und Entwicklung von Qualität kommt mit zunehmender Vielfalt eine wachsende Bedeutung für die Zu-kunft der dualen Ausbildung zu. Das neue Berufsbildungsge-setz (BBiG) betont, dass Qualitätssicherung eine gemeinsame Aufgabe aller Akteure beruflicher Bildung ist. Auf europäi-scher Ebene erhält die Qualitätsdiskussion durch die Arbeiten zum EQF einen hohen Stellenwert. Zwar wird Qualität in der beruflichen Ausbildung durch Rahmenvorgaben gesichert, jedoch ist in vielen Feldern unbekannt, inwiefern die Vorgaben tatsächlich erreicht werden. Die Diskussion um sinnvolle Qua-litätssicherungssysteme bzw. Qualitätsentwicklungsprozesse steht jedoch noch am Anfang und sollte zielgerichtet vorange-trieben werden.

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Wichtigkeit

Hoch, da die Überlegungen zur Qualitätssicherung und -ent-wicklung in der beruflichen Ausbildung dem Stand der De-batte in anderen Bildungsbereichen (Fort- und Weiterbildung, Schulbildung, tertiäre Bildung) deutlich hinterherhinken, obwohl der Handlungsbedarf vergleichbar ist.

Dringlichkeit

Hoch, da die zunehmende Konkurrenz mit anderen Bildungs-gängen steigt und die Einschätzung der Qualität wichtiges Entscheidungskriterium für die Auswahl von Bildungsgängen ist.

Denkbare Lösungsansätze

Diskussion und Verbreitung systematischer Evaluationsan-sätze für alle Beteiligten (ausbildende Betriebe, berufsbil-dende Schulen, Bildungseinrichtungen)

Diskussion und Verbreitung von weiteren Verfahren der Qualitätssicherung, wie z.B. Akkreditierung, Qualitäts-normen etc.

Verantwortlichkeit

Notwendig ist die systematische Entwicklung und Prüfung der verschiedenen Ansätze im Rahmen von Modellvorhaben und Pilotprojekten z.B. durch das BMBF.

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