Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz Produktion: DLF 2016€¦ · Brennpunkte im Kampf um die Kohle...

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Australien. Indien. Lausitz. Brennpunkte im Kampf um die Kohle Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Freitag, 18.11.2016, 19.15 Uhr Manuel Waltz: Andreas Potulski Tom Morton: der Autor Sprecherin: Sylvia Systermans Sprecher 1: Michael Witte Sprecher 2: Jochen Kolenda Sprecher 3: Chrisoph Wittelsbürger Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

Transcript of Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz Produktion: DLF 2016€¦ · Brennpunkte im Kampf um die Kohle...

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Dossier

Australien. Indien. Lausitz.

Brennpunkte im Kampf um die Kohle

Autoren: Tom Morton und Manuel Waltz

Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr

Produktion: DLF 2016

Erstsendung: Freitag, 18.11.2016, 19.15 Uhr

Manuel Waltz: Andreas Potulski

Tom Morton: der Autor

Sprecherin: Sylvia Systermans

Sprecher 1: Michael Witte

Sprecher 2: Jochen Kolenda

Sprecher 3: Chrisoph Wittelsbürger

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ©

- unkorrigiertes Exemplar -

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O-Ton Tadzio Müller:

„Ich bin Tadzio Müller von der Kampagne Ende Gelände. Wir sind hier mit ein

bisschen mehr als tausend Leuten als ein Teil einer großen Aktion in der Lausitzer

Braunkohlegrube Welzow Süd.

Wenn man sich die Geschichte des zivilen Ungehorsams anschaut, ob in der

Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, in der Frauenbewegung, in der Bürgerinnen-

und Bürgerrechtsbewegung in den USA, in der Homobewegung - hat man immer

wieder gesehen, dass, um gesellschaftliche Veränderungen im Grunde anzustoßen,

muss man die Regeln einer ungerechten Gesellschaft auch brechen.“

Ansage:

Australien. Indien. Lausitz.

Brennpunkte im Kampf um die Kohle

Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz

Sprecherin:

[Aus dem Abschlussbericht der Aktion „Ende Gelände“, Mai 2016]

„Grandios, rund 4000 Menschen haben sich an den Aktionen zivilen Ungehorsams

beteiligt. Bereits am Freitag haben über 1500 Menschen den Tagebau Welzow Süd

blockiert, indem sie Braunkohlebagger und Verladestation besetzten. Am Samstag

zogen rund 2000 Menschen in Richtung Kraftwerk Schwarze Pumpe und legten die

Versorgung mit Kohle lahm. Daraufhin wurde Block B auf 40% Leistung gedrosselt

und Block A vollständig abgeschaltet - ein voller Erfolg!

Bis Sonntagnachmittag harrten Hunderte auf den Gleisen und Baggern aus. 48

Stunden nach Beginn der ersten Blockade und 24 h nachdem das Kraftwerk vom

Nachschub getrennt wurde, verließ der größere Teil der Aktivist*innen die

Blockadeorte, […]. Auf den Gleisen wurden die letzten Blockierenden, […] von der

Polizei geräumt, während die Blockade der Bagger bis Montag in den frühen

Morgenstunden gehalten wurde.“

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Manuel Waltz:

„Ende Gelände“ hat sich im Jahr 2015 in Deutschland als Zusammenschluss von

Umweltgruppen und Menschen aus der Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegung

gegründet. Im ersten Jahr blockierte das Bündnis den RWE- Tagebau Garzweiler in

Nordrhein-Westfalen. Im Mai 2016 schlossen sich die Aktivisten der weltweiten

Aktionswoche „Break Free!“ der Bewegung für Klimagerechtigkeit an.

Und am 11. Oktober demonstrierten die „Ende- Gelände- Aktivisten“ in Cottbus. An

diesem Tag konstituierte sich dort der Vorstand des neuen Betreibers der Lausitzer

Braunkohlensparte: Der tschechische Konzern EPH. Auf Druck der rot-grünen

Regierung in Stockholm hatte der Staatskonzern Vattenfall seine deutsche

Braunkohlesparte verkaufen müssen. Die war schlecht fürs Image: Sie stieß mehr

CO2 aus als ganz Schweden.

Ich verfolge den Protest gegen den Braunkohleabbau in Deutschland seit mehreren

Jahren als Journalist.

Bei der spektakulären Aktion von „Ende Gelände“ im Mai in der Lausitz habe ich Tom

Morton getroffen. Tom ist studierter Germanist, Radiojournalist und Hochschullehrer

aus Sydney. Und Forschungsreisender in Sachen Kohle.

Tom Morton:

Vor fünf Jahren habe ich Graham Brown kennengelernt, einen ehemaligen

Bergmann im australischen Hunter Valley. Die Verbindung zwischen Kohle und

Klimawandel wurde ihm auf einer Urlaubsreise in Patagonien bewusst, als er die

schmelzenden Gletscher sah. Nach dem Urlaub gab er seinen Job im Tagebau auf

und wurde Aktivist.

Seine Geschichte hat mich fasziniert. Ich wollte mehr über die Beweggründe der

Menschen wissen, die sich dem Kampf gegen Kohleabbau und für Klimaschutz

anschließen. Ich wurde Mitglied eines internationalen Forschungsteams, das diesen

Kampf auf drei Kontinenten verfolgt. Anfang 2016 war ich in Indien, und Deutschland

interessiert mich, weil es weltweit als „das Land der Energiewende“ gilt. Wenig

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bekannt dagegen ist bei uns in Australien, dass man hier nach wie vor im großen Stil

auf die Braunkohle setzt.

Waltz:

Dieser Widerspruch zwischen politischen Verlautbarungen - zuletzt wieder auf der

Pariser Klimakonferenz - und Realität treibt das Bündnis „Ende Gelände“ um.

Die Aktivisten fordern, und zwar global: Fossile Brennstoffe im Boden zu lassen und

eine neuartige gerechte Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien

aufzubauen.

Sie fanden Mitstreiter aus der ganzen Welt, vor allem aus den Kohle fördernden

Ländern - wie diese junge Frau aus Schweden.

O-Ton Schwedische Aktivistin

Sprecherin:

„Wir wollen mit unserem zivilen Ungehorsam deutlich machen, dass wir für eine

bessere Welt kämpfen. Denn durch zivilen Ungehorsam genießen wir heute viele

Rechte, die wir für selbstverständlich halten. Zum Beispiel für mich als Frau, dass ich

hier stehe, für mich selbst spreche und wählen gehen kann, dass ich Hosen trage, all

diese Rechte wurden durch zivilen Ungehorsam erstritten, von Menschen, die

erkannt haben, dass etwas falsch läuft und dass das geändert werden muss.“

Morton:

Während Manuel die Aktivisten im Tagebau befragt, treffe ich Monika

Schulz-Höpfner. Sie ist CDU-Politikerin, ehemalige Bürgermeisterin des Dorfes

Atterwasch, wo sie seit mehr als 30 Jahren lebt. Ihr Haus und Hof soll - mit dem

ganzen Dorf - dem Tagebau Jänschwalde weichen.

Im ihrem Garten spürt man nichts von Kohleabbau oder einer Demo. Sonne, Grün,

Vögel- die Illusion einer Idylle…

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Auf dem Dach ihres Hauses dreht sich ein Windrad, das Strom für ihr Elektroauto

produziert.

O-Ton Monika Schulz-Höpfner:

„Eins ist in den letzten Jahren insgesamt deutlich geworden, dass man mit dieser

Gegenwehr in der Region hier überhaupt nicht gerechnet hat. Man hat gemeint, man

könne so weiter machen wie in den vergangenen Jahrzehnten, wie auch schon in der

DDR. Aber heute lassen sich die Leute so leicht die Heimat nicht mehr streitig

machen. Und, man hat nie so viel Solidarität mit anderen Regionen geübt, wie es

heute der Fall ist.“

Waltz:

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird in der Lausitz Braunkohle gewonnen. Ihre

Geschichte kennt Professor Rolf Kuhn aus dem Effeff. Der Experte für

Gebietsplanung und Städtebau leitete von 2000 bis 2010 die „Internationale

Bauausstellung Fürst- Pückler- Land“, die Ideen für die Lausitz nach der Kohle

präsentierte. Heute lebt er in Großräschen, am Rande eines riesigen ehemaligen

Tagebaus. Für ihn sind diese gigantischen Löcher Spuren und auch Symbole der

Industrialisierung des Ostens Deutschlands - auch für den Aufstieg Berlins zu einer

Weltmetropole, wo Anfang des 20. Jahrhunderts Konzerne wie Siemens, AEG,

Telefunken oder Osram entstanden.

O-Ton Rolf Kuhn:

„Also, Berlin hätte ohne die Lausitz, ohne diese Braunkohleindustrie, keine Wärme

und auch keinen Strom, also kein Licht gehabt. Wenn man immer dieses Bild vom

glitzernden Berlin der 1920er-Jahren sieht, dann ist dieses Bild ohne die Lausitz nicht

vorstellbar.“

Waltz:

Auch in der Lausitz entwickelten sich wichtige Industrien, Glas- und Textilwerke

beispielsweise entstanden in dieser Zeit reihenweise. In der DDR dann, etwa seit

1950, wurde der Braunkohleabbau im ganz großen Stil gefördert, es war der

wichtigste Energieträger des Arbeiter- und-Bauern-Staates. Damals wurden

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massenweise Menschen umgesiedelt und es gab auch - vorsichtigen - Protest

dagegen.

Morton:

Ich hatte vermutlich den längsten Weg in die Lausitz - aber es waren bei weitem nicht

nur Europäer bei der Aktionswoche von Ende Gelände. Und zeitgleich gab es auf der

ganzen Welt Proteste, koordiniert von der US-amerikanischen

Umweltschutzorganisation 350.org. Der Name verweist auf das Ziel, das die

Weltgemeinschaft auf dem Klimagipfel in Paris beschlossen hat. Denn will die

Menschheit die Erderwärmung wirklich auf maximal zwei Grad begrenzen, dann darf

der Anteil von CO2 in der Atmosphäre nicht mehr als 350 „parts per million“ betragen,

also 350 Kohlendioxidmoleküle zu einer Million anderer Moleküle. In Brasilien,

Neuseeland, Kanada, den USA, Nigeria, den Philippinen, Südafrika, Australien und

weiteren Ländern machten Menschen mit Demonstrationen und Akten zivilen

Ungehorsams auf die Gefahren durch fossile Energien aufmerksam.

O-Ton Kastubh Srkanth

Sprecher 1:

„Wir alle hier sind Teil einer großen, einer globalen Bewegung. Wir wollen keine

neuen Kohleminen.“

Waltz:

Kastubh Srkanth kommt aus Indien. Dort, im Bundesstaat Chattisgarh, wird

Steinkohle gefördert - in riesigen Tagebauen. Mit katastrophalen Folgen für die

Natur.

O-Ton Kastubh Srkanth

Sprecher 1:

„Sehr viele Menschen, die in Indien heute gegen Kohle kämpfen, wurden erst zu

Aktivisten, weil ihre Lebenswelt vom Kohleabbau bedroht wird. Eines der größten

Probleme für diese Menschen ist die massive Umsiedelung.“

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Morton:

Dass Kastubh Srkanth in die Lausitz gereist ist, wundert mich überhaupt nicht. Ich

habe in seiner Heimat Einheimische getroffen, die gegen den indischen

Bergbaukonzern Adani und für den Erhalt ihrer Dörfer kämpfen - und einen wichtigen

Erfolg errangen.

O-Ton Chetu Ram

Sprecher 2:

„Wir sind die Ureinwohner von Indien. Seit vielen Generationen leben wir hier und wir

werden uns nicht so einfach vertreiben lassen.“

Morton:

Chetu Ram ist Stammesältester im Dorf Sahli. Er wurde 1942 geboren, als Indien

noch zum britischen Empire gehörte. Die Dorfbewohner sind Adivasis - ein Volk, das

seit Jahrhunderten in dieser Gegend lebt.

O-Ton Chetu Ram

Sprecher 2:

WWir sind die Könige hier. Dies ist unser Land, wir leben darauf und wir wollen über

dieses Land bestimmen. Wenn uns unser Land genommen wird, dann nimmt man

uns alles, was wir haben.W

Morton:

Sahli liegt in der Region Hasdeo Arand, am Rande des Urwaldes, der hier noch

erhalten geblieben ist. Noch, denn unter den Bäumen und dem Dorf Sahli liegt Kohle.

Das Flöz soll ungefähr eine Milliarde Tonnen umfassen. Dort, wo die Kohle jetzt ist,

unter der Erde, dort soll sie auch bleiben. Dafür kämpft Alok Shukla. Er ist ein junger

Aktivist bei Jan Abhivakti, einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Kohleabbau und

für die Rechte der Einheimischen einsetzt.

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O-Ton Alok Shukla

Sprecher 1:

„In Hasdeo Arand gibt es noch wertvollen, dichten Urwald mit einer hohen

Artenvielfalt. Er ist ein wichtiger Lebensraum für viele Wildtiere. Allerdings hat die

Regierung bereits für 30 Tagebaue auf einer Fläche von insgesamt 1.800

Quadratkilometern eine Genehmigung erteilt. Für diese Abbaugebiete soll Hasdeo

Arand verschwinden. Wir suchen derzeit nach Wegen, dies zu verhindern.“

Morton:

Für die Adivasis ist der Wald Existenzgrundlage. Sechs Monate im Jahr sammeln sie

Pflanzen, Samen und Wurzeln, die sie als Heilmittel verkaufen. Die übrigen sechs

Monate betreiben sie Landwirtschaft.

O-Ton Alok Shukla

Sprecher 1:

„Eigentlich hat das Umweltministerium diese Region als No-Go Area für den Bergbau

erklärt. Aber seit kurzer Zeit versucht die Regierung, hier den Abbau der Kohle

durchzusetzen.“

Morton:

300 Millionen Inder - ein Viertel der Gesamtbevölkerung - leben immer noch ohne

Strom. Das will die Regierung unbedingt ändern, erklärt mir Anil Swarup. Er ist der

Chef des Kohleministeriums im 1.000 Kilometer vom Dorf Sahli entfernten Neu Delhi.

O-Ton Anil Swarup

Sprecher 3:

„In den 1970er-Jahren wurde wegen der wachsenden Bedeutung der Kohle ein

eigenes Ministerium dafür gegründet, um das weitere Wachstum der indischen

Wirtschaft sicherzustellen. Um genau zu sein: Wir planen die Kohleproduktion in

Indien in den kommenden fünf Jahren von 500 Millionen Tonnen pro Jahr auf eine

Milliarde Tonnen zu verdoppeln.“

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O-Ton Anil Swarup

Sprecher 3:

„Tatsächlich haben wir keine andere Wahl. Gegenwärtig ist unser Energieverbrauch

pro Kopf so hoch wie in den USA Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenn

wir uns irgendwann eine Industrienation nennen wollen, dann brauchen wir eine

Menge Energie. Und wir werden so lange auf Kohle setzen, bis es eine vernünftige

Alternative dazu gibt. Und die sehen wir im Moment nicht.“

Morton:

2012 erteilte Jairem Ramesh, der damalige Umweltminister von der Kongresspartei,

dem Konzern Adani die Erlaubnis für einen Tagebau in der Region Hasdeo-Arand in

Chattisgarh - in genau jener Region, die sein eigenes Ministerium vorher als No-Go-

Area erklärt hatte.

O-Ton Jairem Ramesh

Sprecher 3:

„Ausschlaggebend für mich war, dass es eine Nachfrage nach der Energie gab und

bereits Kraftwerke in der Region existierten, in denen die Kohle verstromt werden

sollte. Dennoch habe ich strikte Auflagen für den Tagebau erlassen.“

Morton:

Trotz dieser „strikten Auflagen“ bedeutet die Entscheidung des Ministers, dass die

Dörfer und der Urwald abgebaggert werden sollen. Dagegen wehren sich die

Adivasis aus Chattisgarh und die sie unterstützenden Aktivisten. Sie legten

Einspruch beim National Green Tribunal ein. Das indische Umweltgericht ist eines

der mächtigsten seiner Art auf der Welt. 2010 durch das nationale Parlament ins

Leben gerufen, soll es das in der Verfassung verankerte Recht der Bürger auf eine

gesunde Umwelt schützen. Nur noch das Oberste Gericht ist dem Green Tribunal

übergeordnet. Im Kampf gegen Indiens größten Kohlekonzern hatten die Adivasis

einen großen Verbündeten im Urwald, erzählt der Bauer Ram Pravesh aus dem Dorf

Sahli.

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O-Ton Ram Pravesh

Sprecher 1:

„Elefanten wandern jedes Jahr hier durch unser Gebiet. Wenn ihnen ein Haus im

Weg ist, dann zerstören sie es, sie fressen die Früchte auf den Feldern, sie töten

Tiere und Menschen, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie haben schon Häuser hier

direkt in meinem Dorf zerstört.“

Morton:

Um die Dörfer in Chattisgarh zu retten, haben die Kläger vor dem Gericht gezeigt,

dass eine Erweiterung des Kohleabbaus in der Region den Elefanten-Korridor stören

würde:

O-Ton Ritwick Dutta

Sprecher 2:

„Elefanten legen weite Strecken zurück und dafür brauchen sie diese Korridore.

Wenn man ihre Wege zerstört, dann provoziert man damit mehr Konflikte zwischen

Menschen und Elefanten. Schon heute sterben viele Menschen durch Elefanten.“

Morton:

Rechtsanwalt Ritwick Dutta von der Legal Initiative for Forest and Environment

führte den Prozess vor dem Umweltgericht.

O-Ton Ritwick Dutta

Sprecher 2:

„Das Green Tribunal hat in diesem Fall einen Grundsatz angewandt, der das

Bedürfnis einer Spezies in den Vordergrund stellt. Elefanten sind eine vom

Aussterben bedrohte Tierart und der Lebensraum der Elefanten würde durch die

Mine erheblich eingeschränkt.“

O-Ton Morton

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Morton:

„Sie sagten, dass der Kohlekonzern Adani bestritten hat, dass es sich überhaupt um

einen Elefantenkorridor handelt. Wie kann das sein?”

O-Ton Ritwick Dutta

Sprecher 2:

„Nicht nur der Konzern, auch staatliche Stellen haben beharrlich bestritten, dass es

dort Elefanten gibt. Aber wir konnten in diesem Fall sehr leicht den Gegenbeweis

erbringen. Denn in der Gegend gab es mehrere Tote durch Angriffe von Elefanten.

Das staatliche Forstamt hat Ausgleichzahlungen für diese Todesfälle geleistet -

dasselbe staatliche Forstamt, das kurze Zeit später einen Report für den

Kohlekonzern verfasst und darin erklärt hat, dass es keine Elefanten in der

betroffenen Gegend gibt.“

Morton:

2014 stoppte das Umweltgericht den weiteren Abbau von Kohle in der Region

Hasdeo Arand. Nur im einzigen bestehenden Tagebau darf weitergearbeitet werden.

Gegen das Urteil des Umweltgerichts hat Adani vor dem höchsten Gericht des

Landes, dem Indian Supreme Court, Einspruch eingelegt. In den Dörfern von

Chattisgarh geht der Kampf weiter.

Waltz:

Kastubh Srkanth aus Indien sitzt neben mir auf einer Bank am Rande des

Klima-Camps. Die große Wiese vor uns ist von den vielen Menschen plattgetreten.

O-Ton Kastubh Srkanth

Sprecher 1:

„Land für Kohle bedeutet, dass Tausende Menschen ihr Zuhause verlieren. Es

bedeutet auch, dass große Umweltprobleme entstehen, durch den Staub aus den

Tagebauen beispielsweise oder durch Abwässer, die die Fischgründe verseuchen.

Das ist an der indischen Ostküste der Fall. Und all das hat direkte Auswirkungen auf

das Leben und die Gesundheit der Menschen. Deshalb beginnen sie zu protestieren.

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Inzwischen gibt es Netzwerke und Organisationen, die diese lokalen Aktivisten

unterstützen und beraten. Es gibt also eine ziemlich starke Verbindung zwischen den

direkt betroffenen Menschen vor Ort und externen Unterstützern.“

O-Ton Tadzio Müller:

„Und woanders sind noch 500 Leute von uns ungefähr. Und zusammen haben wir

diesen Braunkohletagebau dicht gemacht.

Warum machen wir das? Fossile Brennstoffe verursachen Klimawandel und von den

fossilen Brennstoffen ist die Braunkohle der dreckigste. Man muss vielleicht noch

dazu sagen, dass unter dem Klimawandel immer vor allem die leiden, die am

wenigsten dazu beigetragen haben und die, die am meisten dazu beigetragen

haben, leiden am wenigsten darunter. Der Klimawandel ist also nicht nur

Öko-Katastrophe, der ist eine Gerechtigkeits-Katastrophe. Und deswegen sind wir

hier, um das aufzuhalten.“

Waltz:

Tadzio Müller blickt sich um. Den riesigen Bagger hinter ihm, der ununterbrochen

Kohle fördern soll, bei Tag und bei Nacht, sieben Tage die Woche, halten in dieser

Woche im Mai viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter besetzt. Bunte

Transparente fordern den Ausstieg aus der Kohle. Die Aktivisten tragen weiße

Papieroveralls, der Tagebau wimmelt von weiß gekleideten Menschen. Die Polizei

hält sich zurück.

O-Ton Tadzio Müller:

„Es sind andere Leute auch noch gleichzeitig dabei, die Zuggleise zu blockieren, die

die Kohle von hier in das Kraftwerk Schwarze Pumpe bringen. Weil wir müssen uns

einfach mal die Frage stellen: Wann fangen wir eigentlich an, Teile dieser wahnsinnig

destruktiven industriellen Infrastruktur abzuschalten. Wir haben in Paris gesagt, oder

die Regierungen haben gesagt: Wir wollen den Klimawandel aufhalten. Ja, was

bedeutet denn das? Das bedeutet, mit diesem zerstörerischen Wahnsinn

aufzuhören. Und schaut euch mal um: In dieser Kohlegrube. Das ist gar nicht mehr

die Erde, das ist irgendeine zerstörte Mondlandschaft. Und wenn wir die fossilen

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Industrien gewähren lassen, dann sieht die Erde irgendwann so aus. Und deswegen

sind wir hier.“

Waltz:

Die Aktivisten von „Ende Gelände“ haben in ihrem Camp eine beachtliche

Infrastruktur aufgebaut: mehrere Info-Zelte, eines für die Presse, ein großes

Zirkuszelt für Podiumsdiskussionen beispielsweise. Eine Bar, eine Großküche. Es

gibt schnelleres Internet als im nächsten Dorf, in Welzow.

O-Ton Kastubh Srkanth

Sprecher 1:

„Man könnte ein solches Klimacamp in Indien nicht durchführen. Die Polizei würde

nicht Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen, sie würde eher scharf schießen. Aber

das hält die Menschen dort nicht von Protesten ab. Ich war oft dabei und habe viel

mehr Gewalt gesehen als hier.

Meistens werden die Protestaktionen nicht so gut vorbereitet und geplant wie dieses

Klimacamp hier. Der Frust lässt die Menschen protestieren. Und das, obwohl es

immer wieder hässliche Szenen gibt und Demonstranten schon schwer verletzt oder

sogar getötet wurden. Auf der anderen Seite haben die Aktivisten bereits große

Erfolge erzielt. Deshalb wehren sich auch immer mehr Menschen und die Proteste

werden größer. Die Leute suchen immer mehr die direkte Aktion. Und tatsächlich

sind in den vergangenen Jahren einige Kohleprojekte verhindert worden oder

bestehende wurden verkleinert. Diese Erfolge stärken die neuen politischen

Bewegungen aus der Zivilgesellschaft heraus, lässt sie stärker werden und das bringt

wiederum neue politische Akteure hervor.“

O-Ton Roland Lehmann

„Die Zeche, die werden wir irgendwann alle bezahlen müssen. Wir vielleicht direkt

nicht mehr. Aber unsere Kinder oder Kindeskinder. Und das kann nicht sein, das.

Man muss endlich mal, man muss endlich mal hier einen anderen Weg einschlagen.

Das ist einfach so.“

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Morton:

Roland Lehmann ist Ortsvorsteher von Kerkwitz. Auch sein Dorf könnte dem

Tagebau Jänschwalde zum Opfer fallen. Roland fährt regelmäßig zu Protestaktionen

in andere Dörfer in der Lausitz, die von der Braunkohle betroffen sind.

Als junger Mann in der DDR war Roland Lehmann Hochseefischer, jetzt arbeitet er

im Straßenbau. Ich besuche ihn auf seinem Hof, wo er Pferde hält.

O-Ton Roland Lehmann:

„Im lokalen, oder für uns persönlich ist es ja, uns bedroht es ja in unserer Existenz.

Hier in der Lausitz sind seit den 1920er-Jahren, sind über 130 Orte, mussten der

Kohle weichen. Die sind…die gibt es definitiv nicht mehr.“

O-Ton Morton:

„Wenn es nach den Plänen der Landesregierung von Brandenburg und dem

Energiekonzern EPH geht, wird sich dieser Hof in eine Mondlandschaft verwandeln.

60 Meter Abraum müssen weggeschafft werden, bevor man hier in der Lausitz an die

Kohle kommt.“

O-Ton Roland Lehmann:

„Und ich denke, es ist jetzt ja wirklich an der Zeit, mit diesem Wahnsinn aufzuhören.

Keine Orte, keine Dörfer der Kohle mehr zu opfern. Und das, das sind unsere

Beweggründe. Aber die Dimensionen sind heute viel weitreichender, viel. Sie sind

letztendlich, letztendlich sind sie existenzbedrohend für die ganze Menschheit.“

Morton:

Die meist städtischen Klima-Aktivisten haben mit den Dorfbewohnern sehr wenig

gemein, oft unterscheiden sie sich auch in ihrem politischen Denken grundsätzlich.

Die einen wollen die Welt retten.

Waltz:

Die anderen wollen ihren Hof retten und merken dann, dass diese Rettung ihres Hofs

mit den großen Menschheitsfragen verbunden ist.

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Morton:

Die einen wollen der guten Sache durch direkte Aktionen Nachdruck verleihen und

fürchten sich nicht vor Zusammenstößen mit der Polizei.

Waltz:

Die anderen fürchten genau das und lassen sich leicht verunsichern, wenn einige

Aktivisten - und das passiert immer wieder - übers Ziel hinausschießen.

Aber wenn sie erfolgreich sein wollen, müssen beide Seiten zusammenhalten.

O-Ton Monika Schulz-Höpfner:

„Was Ende Gelände da macht, ist sicherlich nicht meine persönliche Form des

Widerstandes. Aber ich denke, gerade in diesen angespannten Zeiten und in der

Situation, in der wir alle stehen, ist dieser zivile Ungehorsam durchaus tolerabel, und

deswegen werde ich mich auch und habe ich mich auch nicht davon distanziert.

Dass es tatsächlich so ist, wie man mir berichtet hat, dass es jetzt an der einen oder

anderen Stelle dazu gekommen ist, dass da doch einige Leute über die Stränge

geschlagen haben und da eventuell an irgendwelchen Geräten was abgebaut haben

oder so, das finde ich nicht gut, ich finde, es schadet unserer Sache, aber ob man

das bei einer so logistischen Herausforderung, wie die Aktionen jetzt waren, wirklich

immer verhindern kann, dass darf man dann auch mal anzweifeln.“

O-Ton Sumu

Sprecher 1:

„Für den lokalen Protest vor Ort ist es sehr wichtig, sich mit anderen zu vernetzen,

um Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen auszutauschen. Es gibt ja offensichtliche

Unterschiede zwischen dem lokalen Protest und uns. Vor ein paar Tagen haben wir

hier ein Dorf besucht und etwas über die sorbische Kultur gelernt, die eine lange

Tradition und Geschichte in der Lausitz hat. Für sie ist das etwas ganz anderes hier,

als für mich beispielsweise, ich komme hierher aus einer ganz anderen Ecke der

Welt und gehe nach dem Wochenende wieder.“

Morton:

Sumu ist ein Landsmann von mir.

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Er gehört zu denen, die in der Lausitz bei der Ende-Gelände-Aktion auf den Gleisen

sitzen und die Zufahrt der Kohlezüge zum Kraftwerk Schwarze Pumpe blockieren.

O-Ton Sumu

Sprecher 1:

„Ich denke auch darüber nach, was ich von hier berichten werde, wenn ich wieder

zurück bin. Ich habe hier Sachen gelernt, die ich an andere Anti-Kohle- oder

Klimaaktivisten in Australien weitergeben kann, zu denen ich bisher kaum Kontakt

hatte. Das wird interessant sein, wie diese Ideen hier sich weiter verbreiten und wie

neue Verbindungen entstehen können.“

Morton:

Australien, dieses riesige dünn besiedelte Land, versorgt die Welt mit Rohstoffen -

mit Agrargütern - Weizen zum Beispiel - genauso wie mit Bodenschätzen. Während

Sumu in der Lausitz die Schienen besetzt hält, haben australische Ureinwohner mit

Kajaks den größten Kohlehafen der Welt blockiert. Australien ist einer der

weltgrößten Kohleexporteure. Und ein großes Braunkohlenflöz liegt unter einem der

fruchtbarsten Landstriche des Landes, den Liverpool Plains.

O-Ton John Hamparsum

Sprecher 2:

Ich heiße John Hamparsum und bin Farmer der zweiten Generation hier auf

den Breeza Plains in New South Wales. Uns gehört diese Farm seit 1961.

O-Ton Morton

Morton:

„Was baut ihr hier an?“

O-Ton John Hamparsum

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Sprecher 2:

„Wir bauen viele verschiedene Sorten an. Im Moment Sonnenblumen um Öl daraus

zu pressen und Baumwolle, beides für den Export. Dazu kommen noch Bohnen,

Erbsen und Hirse. Im Winter bauen wir verschiedene Weizensorten an, für Pasta und

zum Brotbacken. Manchmal auch Kichererbsen.“

O-Ton Morton

Morton:

„Ganz schön viel Unterschiedliches.“

O-Ton John Hamparsum

Sprecher 2:

„Ja, das ist das Schöne an diesem Boden. Man kann fast alles anbauen, sei es Mais

oder grüne Bohnen. Das Klima und der Boden erlauben es einem, sehr flexibel zu

sein. Was gebraucht wird, das können wir auch anbauen, das ist toll.

Wir bewirtschaften 1.500 Hektar hier und 1.000 Hektar davon werden bewässert. Für

uns ist das ein gutes Geschäft, der Umsatz ist in Ordnung. Zweieinhalb Millionen

australische Dollar etwa im Jahr. Das Ganze hat eine gute Größe, ich beschäftige

vier Leute in Vollzeit, dazu noch meine Schwester, meine Frau, die Kinder und ich

selbst. In dieser Größe gibt es hier noch ein paar Farmen in der Gegend, ich bin nicht

der Einzige.“

O-Ton Morton

Morton:

„Also kann man sagen, dass es hier um Bergbau gegen Agrobusiness geht?“

O-Ton John Hamparsum

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Sprecher 2:

„Nein, ich würde sagen es geht um Essen gegen Bergbau. Es geht darum, dass wir

in der Lage sind, Nahrungsmittel zu produzieren, und zwar für immer, solange es

diese Erde gibt. Ein Tagebau wird 30 Jahre lang Kohle fördern. Wenn er ausgekohlt

ist, dann … Der Boden wird nichts mehr hervorbringen, nicht so wie er es heute tut.“

Morton:

Etwa zwei Kilometer entfernt von John Hamparsums Getreidefeldern soll ein

Tagebau entstehen - auf einer Fläche von 3.500 Hektar. Er ist ein Projekt des

chinesischen Staatskonzerns Shenhua, dem größten Kohleproduzent der Welt. Seit

2007 kämpfen Grundbesitzer wie John Hamparsum gegen Shenhua und für die

Zukunft der Landwirtschaft auf den Liverpool Plains. Sie befürchten, dass die Grube,

die 300 Meter tief werden soll, die Grundwasserader unter ihren Feldern zerstört.

Gerade diese Grundwasserader, der besonders fruchtbare schwarze Boden und der

für australische Verhältnisse sehr regelmäßige Regen machen die Liverpool Plains

zu einer der ergiebigsten Agrarregionen des Landes.

O-Ton John Hamparsum

Sprecher 2:

„Als Farmer werde ich besonders vom Klimawandel betroffen sein und ich sehe, dass

sich bereits viel verändert.“

O-Ton Morton

Morton:

„Was verändert sich denn?“

O-Ton John Hamparsum

Sprecher 2:

„Das Wetter wird extremer. Unsere Sommer beginnen früher als noch vor einigen

Jahren und sie enden später. Auch der Regen verändert sich, die durchschnittliche

Menge bleibt zwar gleich, aber es gibt mehr Starkregen auf einmal und dann lange

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Zeit nichts mehr. Vielleicht erleben wir auch einen langen Kreislauf, den wir nicht

erkennen, aber was die Wissenschaftler zum Klimawandel sagen, ich glaube, das

stimmt.

Ich mache mir große Sorgen, was passiert, wenn wir weiter auf Kohle setzen. Wohin

führt das? Ich war zwei Wochen lang in China und habe erstaunliche Sachen

gesehen. Ehrlich. Davor habe ich nicht an den Klimawandel geglaubt. Aber der

Himmel war die ganze Zeit grau von Smog, ich konnte direkt in die Sonne schauen

und alles was ich gesehen habe, war eine braune glimmende Scheibe am Himmel.

Ich habe chinesischen Bauern Bilder von meiner Baumwolle und meiner Hirse

gezeigt. Die Pflanzen haben sie nicht interessiert. Sie haben sich den Himmel

angesehen und dachten, das Bild sei mit Photoshop bearbeitet. Das war es nicht. So

sieht der Himmel bei uns aus. Ich kam zurück aus China und dachte, wow, das ist

wirklich ernst. Es muss sich wirklich etwas an der Welt verändern, wenn wir solche

Mengen CO2 in die Atmosphäre pumpen. Das muss eine Auswirkung haben.

Wir sehen diese Auswirkung nicht in Australien, weil wir so wenige sind, nur um die

20 Millionen Menschen. So viele leben dort in einer Stadt. Ich habe dort Kohleberge

gesehen und riesige Kraftwerke, die die ungefilterten Abgase in die Atmosphäre

geblasen haben. Da habe ich angefangen nachzudenken, wo die Kohle herkommt.

Sie kommt von uns, sie kommt aus der Mongolei, aus Südafrika, aus der ganzen

Welt und ein Großteil davon geht nach Asien, wird verbrannt und zu Strom gemacht.

Wir müssen klüger werden. Überall dort sieht man Windräder, fast jedes Haus hat

Solarzellen auf dem Dach. Auch wir hier bauen Solarzellen auf alle unsere Häuser,

aber wir müssen mehr Alternativen finden, damit wir nicht das Land aufreißen und

es ausrauben. Davor habe ich Angst.“

Morton:

Bei einem Treffen auf der Spring Ridge Station, einer großen Farm mitten in diesem

reichen Agrargebiet, verbündeten sich die Farmer offiziell mit Umweltgruppen wie

350.org und der Wilderness Society, einer australischen Umweltschutzorganisation.

Zum Programm gehörte auch eine Einführung in die Praxis des zivilen Ungehorsams:

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O-Ton Andrew Pursehouse

Sprecher 1:

„So etwas haben wir bisher noch nicht gemacht. Wir haben kaum Erfahrung in

gewaltfreiem Widerstand. Aber das hier hat uns darauf vorbereitet, was passieren

kann, wenn große Menschenmengen aufeinanderprallen. Und wir erwarten große

Menschenmengen, wenn die Regierung nicht bis dahin zur Vernunft kommt.“

Morton:

Andrew Pursehouse. Seine Familie betreibt seit mehr als 40 Jahren Landwirtschaft

im großen Stil. In seiner Scheune lagern normalerweise 2000 Tonnen Getreide.

Stattdessen findet heute darin das erste Treffen der Liverpool Plains Alliance statt.

Ungefähr 500 Farmer, Umweltschützer und Mitglieder der Gomeroi Nation, eines

Aborigines-Stammes, diskutieren über Taktiken und Strategien ihres Widerstandes.

O-Ton Andrew Pursehouse

Sprecher 2:

„Als Farmer machen wir das nicht gerne. Aber wir müssen unser Recht verteidigen,

wir müssen die Zukunft der Landwirtschaft in diesem Land verteidigen und dafür

werden wir tun, was immer notwendig ist.“

O-Ton Morton

Morton:

„War es eine schwierige Entscheidung, euch mit den Umweltgruppen zusammen zu

tun?“

O-Ton Andrew Pursehouse

Sprecher 2:

„Es war eine sehr schwere Entscheidung. Aber die Voraussetzung für die

Zusammenarbeit mit den Umweltgruppen war, dass die Farmer die Protestaktionen

leiten. Es werden die Farmer sein, die sich an die Bagger anketten.“

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Morton:

Die Grundbesitzer in Australien liefern ein deutliches Beispiel dafür, wie sehr die

Kohle die Menschen verändern kann. Vor der Kohle betrachtete Andrew Pursehouse

Grüne eher als politische Gegner; sein Vater war lange Zeit Schatzmeister der

örtlichen National Party - der konservativen Bauernpartei Australiens. Heute sind die

Grünen Verbündete: Pursehouse meint, sie verstehen und vertreten die Anliegen der

Farmer besser als die Partei seines Vaters.

Waltz:

So unterschiedlich die Situation in den kohlefördernden Ländern auch sein mag - es

zeigen sich viele Parallelen. Eine ähnliche Bedrohungslage erzeugt ein ähnliches

Vorgehen. Sie macht aus einfachen Menschen politische Akteure.

Morton:

Monika Schulz-Höpfner sagt, sie sei zu DDR-Zeiten unpolitisch gewesen. Als die

Tagebaue nach der Wende weiterliefen und schließlich das Dorf Hornow gegen alle

Versprechen der sozialdemokratischen Landesregierung abgebaggert wurde, ging

sie in die Politik und vertrat die CDU im brandenburgischen Landtag.

Und die Adivasis in Indien waren bis vor kurzen politisch nicht in Erscheinung

getreten, sie kannten ihre Rechte kaum - und haben nun vor Gericht gegen den

größten Bergbaukonzern Indiens gewonnen.

Waltz:

Empowerment, Selbstermächtigung, nennt der Soziologe Daniel Häfner diesen

Prozess, der dazu führt, dass sich die Menschen der eigenen Macht bewusst

werden.

O-Ton Daniel Häfner:

„Klar ist aber auch, dass solche sozialen Bewegungen immer dann erfolgreich sind

oder schneller erfolgreich sind, wenn viele Leute betroffen sind, wenn sie ihre eigene

Lebenswelt bedroht sehen in einer gewissen Art und Weise. Das ist natürlich bei

Atomfragen einfacher, wenn dann gezeigt wird: Ja, in Tschernobyl entsteht eine

radioaktive Wolke, die bis nach Bayern geht, das heißt Radioaktivität und Atomkraft

21

ist ein Thema, das jeden und jede potenziell betreffen kann, ist das natürlich

mobilisierender als immer der Klimawandel, der so ja völlig in der Ferne scheinbar

stattfindet. Ja, also die Bedrohungsszenarien sind im globalen Süden und das jetzt

wieder nach Norden zu übersetzen, das ist eben Aufgabe verschiedener

Organisationen.

Es ist dann aber schon so,wenn ich das mittel- und langfristig mache, solche

Proteste mit, verändert das auch mich selbst oder meine Identität, weil ich mich eben

auch selbst als Umweltaktivist oder als Aktivist gegen XYZ verstehe. Und so eine

gemeinsame Entwicklung von Identitäten, das ist ja das, was auch soziale

Bewegungen wieder ausmacht. Da entwickelt sich was, da wird eine gemeinsame

vielleicht Kunst, Kultur entwickelt, man entwickelt gemeinsame ökonomische

Alternativen, da gibt es dann Innovationsprozesse, die dazu führen, dass es eben

doch sozusagenim Kern der Identität einen Wandel gibt.“

Waltz:

Nach der Wende brach in der Lausitz die Wirtschaft zusammen, Betriebe wurden

geschlossen, viele Menschen entlassen. Sehr viele, gerade die jungen Leute, zogen

weg, nach Westen, nach Berlin oder in andere große Städte. Was blieb, ist die

Braunkohle - der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber in der Region. Viele können sich

nicht vorstellen, was passiert, wenn auch die Tagebaue dicht machen.

O-Ton Daniel Häfner:

„Für Innovationsprozesse brauche ich ja dann - also sowohl für kulturelle als auch für

ökonomische, für gesellschaftliche, brauche ich ja dann Leute, die Innovatoren sein

können und dann muss ich schauen, dass es sozusagen andere Teilidentitäten gibt,

auf die ich aufbauen kann. Das kann hier vor Ort sozusagen das Vor-Ort-Indigene,

das Sorbisch-Wendische sein, das können Leute sein, die hier Öko-Tourismus

angefangen haben. Das sind genau die Leute aus den Universitäten, die neue

Firmen gründen, die neue Ideen haben, die hier rein zu tragen. Also die Innovation

hier in der Lausitz und die Zukunft der Lausitz wird genau von den Leuten abhängen,

oder wesentlich auch mitgetragen werden, die bisher zu den Protestierenden gehört

haben.“

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Morton:

Die Herausforderungen sind gewaltig. Menschen müssen vorleben, dass das fossile

Zeitalter abgelöst werden kann, dass beispielsweise Indien mit Energie versorgt

werden kann, ohne dass der Urwald in Chattisgarh für die Kohle gerodet wird.

Menschen wie Alok Shukla

O-Ton Alok Shukla

Sprecher 1:

„Deshalb haben wir unseren Kampf um Hasdeo Aran mit dem Kampf gegen den

Klimawandel verbunden. Denn es geht uns nicht nur darum, Kohleminen zu

schließen. Wir wollen alternative Energien.“

Morton:

Die Großbauern in Australien haben den zivilen Ungehorsam für sich entdeckt, um

klar zu machen, dass die Kohle in der Erde bleiben muss. Inzwischen sind sie nicht

mehr allein.

O-Ton John Hamparsum

Sprecher 2:

„In diesem Kampf, in den zehn Jahren, die er nun schon dauert, haben wir immer

versucht, den Leuten zu zeigen, wofür die Liverpool Planes stehen. Warum sie so

wertvoll sind. Leute aus der Stadt haben sich uns via Social Media angeschlossen

und wollen uns unterstützen.“

Waltz:

In der Lausitz will Monika Schulz-Höpfner den Strukturwandel vorantreiben. Sie ist

mit Studenten und Absolventen der Brandenburgischen Technische Universität

Cottbus in Kontakt, und will ihnen helfen, neue Ideen - weg von der Braunkohle -

umzusetzen. Sie lädt Menschen auch zum Gespräch auf ihren Hof ein - auf den Hof

mit Solarpaneelen, Windrad und Elektroauto.

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O-Ton Monika Schulz-Höpfner:

„Wir werden demnächst einen Tag der offenen Tür machen, dass die Leute

‘reingucken können, sich informieren können auch wissen, dass so was Geld kostet,

dass es noch relativ teuer ist. Aber wenn keiner anfängt, dann wird sich da nichts

entwickeln. Also muss man das ja einfach mal anfangen. Und das leben wir einfach

vor. Ich meine andere fahren was weiß ich, drei Mal im Jahr in Urlaub.“

Waltz:

Das Klima-Camp in der Lausitz liegt ein halbes Jahr zurück. Vattenfall hat sich aus

der schwierigen Region zurückgezogen, der tschechische Konzern EPH hat das

Ruder übernommen - unter dem Beifall der Regierungen von Brandenburg und

Sachsen, die - wie viele Gewerkschafter - glauben, auf die Arbeitsplätze in dieser

Region nicht verzichten zu können.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks plädiert für den Ausstieg aus der fossilen

Energie. Ihr Kabinetts- und Parteikollege, Wirtschaftsminister Gabriel, widerspricht

ihr: Die Bundestagswahl 2017 steht am Horizont.

O-Ton Monika Schulz-Höpfner:

„Also da werden wir in keinster Weise nachlassen, bevor wir nicht irgendwann mal so

weit sind, dass diese Landesregierung tatsächlich ihre Verantwortung wahrnimmt

und sagt, ihr könnt jetzt alle mal etwas in Ruhe euer Leben weiterleben. Ihr habt das

Damoklesschwert nicht mehr über euch. Ihr dürft alle euer Zuhause behalten, eure

Nachbarschaft erhalten und bleiben und es wird kein tiefes Loch geben und

Atterwasch fällt rein und Grabko fällt rein, Kerkwitz fällt rein, Welzow fällt rein,

zumindest in Teilen... Vorher werden wir nicht aufhören. Und wenn ich mit dem

Rollator noch an der Tagebaukante protestiere... Bis zum bitteren Ende… [lacht] Das

verspreche ich!“

Absage:

Australien. Indien. Lausitz.

Brennpunkte im Kampf um die Kohle

Ein Dossier von Tom Morton und Manuel Waltz

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Es sprachen: Jochen Kolenda, Sylvia Systermans, Michael Witte, Christoph

Wittelsbürger, Andreas Poltulski und Tom Morton.

Ton und Technik: Daniel Dietmann und Jens Müller

Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.