„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des...

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_____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik www.zis-online.com 233 „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des gesetzlichen Richters am EuGH Von Prof. Dr. Thomas Rönnau, Wiss. Mitarbeiterin Annemarie Hoffmann, Bucerius Law School Hamburg I. Einleitung Eine „unabhängige, unpolitische und rein sachlich eingestell- te Rechtspflege“ als „unentbehrliche Bürgschaft des Rechts- staats“ aufzubauen, war eine der zentralen Aufgaben, die sich der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee gegeben hatte, als die Ausarbeitung eines Entwurfs für das Grundgesetz in Angriff genommen wurde. 1 Ein Resultat dieser Zielsetzung ist das in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankerte Recht auf den gesetzlichen Richter, dem „niemand […] entzogen werden“ darf. „Gesetzlicher Richter“ bedeutet im deutschen Normkon- text, dass vorab gesetzlich bestimmt ist, welcher Richter 2 einen konkreten Fall entscheiden wird. 3 Mit seinem normge- prägten Gewährleistungsbereich 4 ist das grundrechtsgleiche 5 Recht des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auf eine einfachgesetzli- che Ausgestaltung in Form von Zuständigkeitsregelungen angewiesen, bei deren Missachtung ein Grundrechtsverstoß gegeben und das Recht zur Verfassungsbeschwerde eröffnet ist. 6 Dementsprechend existieren Zuständigkeitsregelungen in den Prozessordnungen sowie Geschäftsverteilungspläne, die für jedes Gericht grundsätzlich vorab für das kommende Jahr aufgestellt werden müssen und in denen den Spruchkörpern bestimmte Rechtssachen zugeteilt werden. 7 Hierdurch wird die Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Ver- fahrensbeteiligten gesichert, die für die durch Art. 97 GG 1 Bericht des Verfassungsausschusses der Ministerpräsiden- tenkonferenz der westlichen Besatzungszonen über den Ver- fassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23.8.1948; näher Bucher, in: Dt. Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 572. 2 Jegliche Bezeichnung von Personen in männlicher Form schließt die weibliche Form mit ein. 3 Pars pro toto BVerfGE 17, 294 (298); 95, 322 Plenumsbe- schluss; 97, 1; BVerfG NJW 2017, 1233 (1234); BGH NStZ 2017, 429 (430 „Vorausprinzip“); Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 81. Lfg., Stand: September 2017, Art. 101 Rn. 11, 19 m.w.N. 4 Wolff, AöR 141 (2016), 40 (52); Höpfner, EuZA 2011, 97 (104). 5 Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 6. 6 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG. 7 BVerfGE 17, 294 (298 f.); 18, 344 (351 f.): Der Geschäfts- verteilungsplan muss die in einem Verfahren zur Entschei- dung berufenen Richter im Vorhinein „so eindeutig und ge- nau wie möglich“ bestimmen; vgl. auch BGH NStZ 2017, 429 (430): Der Fall muss „blindlings“ auf den jeweiligen Spruchkörper im Gericht bzw. auf den im Einzelfall ent- scheidenden Richter zukommen. Zur „Blindlingstheorie“ ausführlich Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfah- ren, 2002, S. 198 ff.; Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 43; Kissel, JZ 1994, 1178 (1179); BVerfGE 95, 322 (329); BGH wistra 2016, 499 (500); NJW 2015, 2597 (2598). gewährleistete Weisungsfreiheit und persönliche Unabhän- gigkeit der Richter unerlässlich ist. 8 In Deutschland herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein für die (Manipulations-)Gefahren, die durch eine willkürliche Besetzung der Richterbank entstehen. 9 Deshalb genießt Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG als „Grundpfeiler des Rechtsstaats“ 10 einen hohen Stellenwert. Insbesondere im Strafverfahren ist wegen der weitreichenden Folgen der Entscheidung für Täter und Opfer eine Beachtung des Rechts auf den gesetzlichen Richter geboten hier ist das Vertrauen des Rechtsuchenden im Hinblick auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Gerichts außerordentlich wichtig. Dies schlägt sich nicht zuletzt in § 338 Nr. 1 StPO 11 nieder, in dem die vorschrifts- widrige Besetzung des Gerichts zum absoluten Revisions- grund erklärt wird. 12 Im Rahmen der Europäisierung des Rechts auch des Strafrechts 13 sind zunehmend die Gerichte der Europäi- schen Union zur Entscheidungsfindung aufgerufen. 14 Ihr 8 BVerfGE 21, 139 (145 f.); in diesem Sinne auch BVerfGE 4, 412 (416, 418); 95, 322 (327); BVerfG NJW 2017, 1233 (1234). 9 Nach Schwarze, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 251 AEUV Rn. 7, und Alber, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Europäische Grundrechte- Charta, Kommentar 2016, Art. 47 Rn. 127, erklären sich die in Deutschland besonders strengen Regeln aus der NS- Vergangenheit. 10 v. Stackelberg, NJW 1959, 471; weiter Herzog, StV 1993, 609 (611); Theile, in: Hilgendorf/Rengier (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 892 (902), nach dem das Recht auf den gesetzlichen Richter „kein blos- ser Formalismus“ ist, sondern „zentrale Voraussetzung für die Herstellung materieller Rechtsstaatlichkeit“. 11 Vergleichbare Normen kennt allerdings z.B. auch der Zi- vilprozess (§ 547 Nr. 1 ZPO) sowie der Verwaltungsprozess (§ 138 Nr. 1 VwGO). 12 Dazu nur Widmaier/Momsen, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier (Hrsg.), Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2016, § 338 Rn. 5. 13 Man denke hier nur an die jüngeren Reformaktivitäten in Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 im Kapitalmarkt- recht, die sich strafrechtlich insbesondere in Form der Richt- linie 2014/57/EU (sog. CRIM-MAD) vom 16.4.2014, online abrufbar unter http://t1p.de/vf82 (13.7.2018), sowie der Ver- ordnung (EU) Nr. 596/2014 (sog. MAR), online abrufbar unter http://t1p.de/jgq2 (13.7.2018), niedergeschlagen haben. 14 2016 gingen beim EuG knapp 1.000 Rechtssachen ein. Den Großteil hiervon bildeten Klagen von natürlichen und juristi- schen Personen bzw. Personengesellschaften. Von den knapp 700 Neueingängen am EuGH entfielen 65 % auf Vorabent- scheidungsverfahren. In 25 % der Fälle wurde der EuGH als Revisionsgericht des EuG angerufen, in 5 % ging es um ein

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Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com

233

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des gesetzlichen Richters am

EuGH

Von Prof. Dr. Thomas Rönnau, Wiss. Mitarbeiterin Annemarie Hoffmann, Bucerius Law School

Hamburg

I. Einleitung

Eine „unabhängige, unpolitische und rein sachlich eingestell-

te Rechtspflege“ als „unentbehrliche Bürgschaft des Rechts-

staats“ aufzubauen, war eine der zentralen Aufgaben, die sich

der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee gegeben hatte,

als die Ausarbeitung eines Entwurfs für das Grundgesetz in

Angriff genommen wurde.1 Ein Resultat dieser Zielsetzung

ist das in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankerte Recht auf den

gesetzlichen Richter, dem „niemand […] entzogen werden“

darf.

„Gesetzlicher Richter“ bedeutet im deutschen Normkon-

text, dass vorab gesetzlich bestimmt ist, welcher Richter2

einen konkreten Fall entscheiden wird.3 Mit seinem normge-

prägten Gewährleistungsbereich4 ist das grundrechtsgleiche5

Recht des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auf eine einfachgesetzli-

che Ausgestaltung in Form von Zuständigkeitsregelungen

angewiesen, bei deren Missachtung ein Grundrechtsverstoß

gegeben und das Recht zur Verfassungsbeschwerde eröffnet

ist.6 Dementsprechend existieren Zuständigkeitsregelungen in

den Prozessordnungen sowie Geschäftsverteilungspläne, die

für jedes Gericht grundsätzlich vorab für das kommende Jahr

aufgestellt werden müssen und in denen den Spruchkörpern

bestimmte Rechtssachen zugeteilt werden.7 Hierdurch wird

die Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Ver-

fahrensbeteiligten gesichert, die für die durch Art. 97 GG

1 Bericht des Verfassungsausschusses der Ministerpräsiden-

tenkonferenz der westlichen Besatzungszonen über den Ver-

fassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23.8.1948;

näher Bucher, in: Dt. Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der

Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 572. 2 Jegliche Bezeichnung von Personen in männlicher Form

schließt die weibliche Form mit ein. 3 Pars pro toto BVerfGE 17, 294 (298); 95, 322 – Plenumsbe-

schluss; 97, 1; BVerfG NJW 2017, 1233 (1234); BGH NStZ

2017, 429 (430 – „Vorausprinzip“); Maunz, in: Maunz/Dürig,

Grundgesetz, Kommentar, 81. Lfg., Stand: September 2017,

Art. 101 Rn. 11, 19 m.w.N. 4 Wolff, AöR 141 (2016), 40 (52); Höpfner, EuZA 2011, 97

(104). 5 Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 6. 6 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG. 7 BVerfGE 17, 294 (298 f.); 18, 344 (351 f.): Der Geschäfts-

verteilungsplan muss die in einem Verfahren zur Entschei-

dung berufenen Richter im Vorhinein „so eindeutig und ge-

nau wie möglich“ bestimmen; vgl. auch BGH NStZ 2017,

429 (430): Der Fall muss „blindlings“ auf den jeweiligen

Spruchkörper im Gericht bzw. auf den im Einzelfall ent-

scheidenden Richter zukommen. Zur „Blindlingstheorie“

ausführlich Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfah-

ren, 2002, S. 198 ff.; Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 43; Kissel,

JZ 1994, 1178 (1179); BVerfGE 95, 322 (329); BGH wistra

2016, 499 (500); NJW 2015, 2597 (2598).

gewährleistete Weisungsfreiheit und persönliche Unabhän-

gigkeit der Richter unerlässlich ist.8

In Deutschland herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein für

die (Manipulations-)Gefahren, die durch eine willkürliche

Besetzung der Richterbank entstehen.9 Deshalb genießt

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG als „Grundpfeiler des Rechtsstaats“10

einen hohen Stellenwert. Insbesondere im Strafverfahren ist

wegen der weitreichenden Folgen der Entscheidung für Täter

und Opfer eine Beachtung des Rechts auf den gesetzlichen

Richter geboten – hier ist das Vertrauen des Rechtsuchenden

im Hinblick auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des

Gerichts außerordentlich wichtig. Dies schlägt sich nicht

zuletzt in § 338 Nr. 1 StPO11 nieder, in dem die vorschrifts-

widrige Besetzung des Gerichts zum absoluten Revisions-

grund erklärt wird.12

Im Rahmen der Europäisierung des Rechts – auch des

Strafrechts13 – sind zunehmend die Gerichte der Europäi-

schen Union zur Entscheidungsfindung aufgerufen.14 Ihr

8 BVerfGE 21, 139 (145 f.); in diesem Sinne auch BVerfGE

4, 412 (416, 418); 95, 322 (327); BVerfG NJW 2017, 1233

(1234). 9 Nach Schwarze, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.),

EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 251 AEUV Rn. 7, und

Alber, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Europäische Grundrechte-

Charta, Kommentar 2016, Art. 47 Rn. 127, erklären sich die

in Deutschland besonders strengen Regeln aus der NS-

Vergangenheit. 10 v. Stackelberg, NJW 1959, 471; weiter Herzog, StV 1993,

609 (611); Theile, in: Hilgendorf/Rengier (Hrsg.), Festschrift

für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 892 (902),

nach dem das Recht auf den gesetzlichen Richter „kein blos-

ser Formalismus“ ist, sondern „zentrale Voraussetzung für

die Herstellung materieller Rechtsstaatlichkeit“. 11 Vergleichbare Normen kennt allerdings z.B. auch der Zi-

vilprozess (§ 547 Nr. 1 ZPO) sowie der Verwaltungsprozess

(§ 138 Nr. 1 VwGO). 12 Dazu nur Widmaier/Momsen, in: Satzger/Schluckebier/

Widmaier (Hrsg.), Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl.

2016, § 338 Rn. 5. 13 Man denke hier nur an die jüngeren Reformaktivitäten in

Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 im Kapitalmarkt-

recht, die sich strafrechtlich insbesondere in Form der Richt-

linie 2014/57/EU (sog. CRIM-MAD) vom 16.4.2014, online

abrufbar unter http://t1p.de/vf82 (13.7.2018), sowie der Ver-

ordnung (EU) Nr. 596/2014 (sog. MAR), online abrufbar

unter http://t1p.de/jgq2 (13.7.2018), niedergeschlagen haben. 14 2016 gingen beim EuG knapp 1.000 Rechtssachen ein. Den

Großteil hiervon bildeten Klagen von natürlichen und juristi-

schen Personen bzw. Personengesellschaften. Von den knapp

700 Neueingängen am EuGH entfielen 65 % auf Vorabent-

scheidungsverfahren. In 25 % der Fälle wurde der EuGH als

Revisionsgericht des EuG angerufen, in 5 % ging es um ein

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Thomas Rönnau/Annemarie Hoffmann

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ZIS 7-8/2018

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Einfluss auf den Unionsbürger erhöht sich stetig. Dement-

sprechend muss (natürlich) auch vor dem EuG und dem

EuGH ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet sein.

Dazu gehört eine Besetzung der Richterbank, die transparent

und möglichst frei von Manipulationsgefahren gebildet wur-

de.15

Bei einem Blick in die – insbesondere für den EuGH gel-

tenden – Verfahrensvorschriften ist nun aber jedenfalls der

deutsche Rechtsanwender irritiert: Denn dort gibt es keinen

Geschäftsverteilungsplan und auch kein Äquivalent, das eine

Vorabfestlegung des zuständigen Spruchkörpers im Einzelfall

vorsieht.16 Aufgrund dieses Mankos lassen sich Szenarien mit

bedenklichen Konsequenzen entwickeln. Man stelle sich etwa

Folgendes vor:

Dem EuGH wird eine Frage zur Auslegung eines unbe-

stimmten Rechtsbegriffs der neuen Marktmissbrauchsrichtli-

nie (CRIM-MAD) vorgelegt. Der Gerichtspräsident und

Inhaber großer Aktienpakete lehnt allzu strikte Regulierun-

gen im Kapitalmarktrecht ab und bestimmt den Berichterstat-

ter deshalb nicht aus einer Kammer mit Richtern, die eine

stärkere Regulierung begrüßen, sondern aus einer Kammer

mit Richtern, die – wie er – eher wirtschaftsliberal gestimmt

sind.

Die Probleme verschärfen sich noch bei politisch und

emotional heiklen Fragen:

Aufgerufen sind etwa Entscheidungen zum Flüchtlings-

recht. Dem EuGH wird eine Frage zur Auslegung eines unbe-

stimmten Rechtsbegriffs der Richtlinie über die Aufnahme-

bedingungen von Flüchtlingen in der EU17 vorgelegt. Ein

Gerichtspräsident, der der Aufnahme von Flüchtlingen selbst

kritisch gegenübersteht, könnte geneigt sein, die Rechtssache

einem Berichterstatter zuzuweisen, der einer Kammer mit

Richtern angehört, die diesbezüglich ebenfalls eine kritische

Haltung vertreten und die Richtlinienbestimmungen deshalb

restriktiv auslegen.

Vertragsverletzungsverfahren, die restlichen 5 % entfallen

auf sonstige Verfahren (siehe EuGH Jahresbericht 2016,

online abrufbar unter http://t1p.de/tcuc [13.7.2018], S. 27). 15 BVerfGE 95, 322 (329); BGH NJW 2015, 2597 (2598);

wistra 2016, 499 (500). 16 Dazu nur Jacobs/Münder/Richter, Spezialisierung der

Unionsgerichtsbarkeit im Arbeitsrecht – Fachkammer für

Arbeitsrecht am EuGH, 2016, online abrufbar unter

http://t1p.de/6mjk (28.6.2018), S. 65 m.w.N.; Drews, BDVR-

Rundschreiben 1/2012, 19 (21 f.). Nach Mößlang, EuZW

1996, 69 könnte diese Praxis, die „den Anforderungen nach

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG schwerlich entspricht“, zur Folge

haben, dass der EuGH nicht mehr als gesetzlicher Richter

i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG angesehen wird. Dagegen

Wichard, EuZW 1996, 305, der betont, dass über die Ausge-

staltung des Prinzips nicht ein einzelner Mitgliedstaat ent-

scheiden kann, sondern diese aus der gemeinsamen Verfas-

sungstradition der Mitgliedstaaten geschöpft oder aus der

EMRK abgeleitet werden muss. 17 RL 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung

von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in

den Mitgliedstaaten.

Da ein Urteil des EuGH nicht mit Rechtsmitteln ange-

fochten werden kann, das gefundene Ergebnis vom Rechtsu-

chenden also hinzunehmen ist,18 erscheint es besonders

dringlich, auch hier manipulative Einflüsse auf die Fallzu-

weisung von vornherein auszuschließen, jedenfalls gering zu

halten – und somit der Besorgnis steuernder, interessengelei-

teter Eingriffe zu begegnen.19 Die erhebliche Bedeutung von

Entscheidungen des EuGH für die Rechtsentwicklung im

Unionsgebiet sowie ihre immense „Streuwirkung“ durch den

Einfluss auf Rechtssprüche der nationalen Gerichte zwingt

auch bei vorwiegend nur mittelbaren Auswirkungen auf den

Einzelnen20 zu einem Verfahren, in dem Manipulationsmög-

lichkeiten weitestgehend ausgeschlossen sind.21

18 Vgl. nur Art. 280 AEUV, nach dem die Urteile des Ge-

richtshofs nach Art. 299 AEUV vollstreckbar sind. Zu (hier

wohl nicht einschlägigen) Ausnahmen von diesem Grundsatz

der absoluten Unanfechtbarkeit siehe Rönnau/Wegner, GA

2013, 561 (578 ff.). 19 In diesem Sinne Theile (Fn. 10), S. 903 (906). Das Fehlen

einer abstrakt-generellen Geschäftsverteilung im Hinblick auf

das Prinzip des gesetzlichen Richters auf europäischer Ebene

kritisieren auch Paeffgen, ZStW 118 (2006), 275 (288 f.);

Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 105

(nach dem die durch Art. 23 Abs. 1 GG i.V.m. den Zustim-

mungsgesetzen bewirkte Öffnung des deutschen Hoheitsrau-

mes gegenüber dem Gemeinschaftsrecht dadurch jedoch

nicht berührt wird); Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.),

EUV/AEUV, Kommentar, 5. Aufl. 2016, Art. 251 AEUV

Rn. 6 („nicht gänzlich unproblematisch“); Ehlers, in: Eh-

lers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im öffentlichen Recht,

2009, § 6 Rn. 22 („die ‚freihändige‘ Art und Weise steht mit

dem Recht auf den gesetzlichen Richter nicht in Einklang,

das für die deutschen Gerichte gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2

GG gilt“); Szczekalla, EuZW 1995, 671 (672); und Puttler,

EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (159 ff.). Besonders harsche Kri-

tik übt Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar,

2. Aufl. 2012, Art. 251 AEUV Rn. 6 f., nach dem die Praxis

am EuGH einerseits gegen Art. 251 Abs. 1 AEUV verstoße,

der „offenkundig von einer ex-ante-Festlegung der Zustän-

digkeiten ausgeht“, sowie Art. 18 der EuGH-Satzung zuwi-

derlaufe, nach dem die Parteien die Möglichkeit haben müs-

sen, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit seitens

der Parteien abzulehnen (Letzteres wird ebenfalls kritisiert

von Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das

Recht der Europäischen Union, 63. Lfg., Stand: Dezember

2017, Art. 251 AEUV Rn. 19). 20 Eine (nur) mittelbare Wirkung der Entscheidung auf den

Einzelnen ergibt sich im Vorabentscheidungsverfahren nach

Art. 267 AEUV daraus, dass der EuGH zunächst eine (Aus-

legungs- oder Gültigkeits-)Frage des vorlegenden Gerichts

abstrakt beantwortet und auf dieser Grundlage erst das natio-

nale Gericht letztinstanzlich entscheidet. Im Vertragsverlet-

zungsverfahren nach Art. 258 AEUV streiten die Kommissi-

on und der verklagte Mitgliedstaat (die jeweils nicht grund-

rechtsfähig sind), sodass erst Folgemaßnahmen des jeweili-

gen Mitgliedstaats den Einzelnen betreffen. Nur bei der Nich-

tigkeitsklage nach Art. 263 AEUV (und bei der Untätigkeits-

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„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des gesetzlichen Richters am EuGH

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Vor diesem Hintergrund soll nach einer Betrachtung der

aktuellen Geschäftsverteilungspraxis an den Europäischen

Gerichten (II.) untersucht werden, ob bzw. woraus sich ein

Recht auf die vorhersehbare Fallzuteilung auf die Spruchkör-

per des EuGH ergeben kann (III.). Der EGMR hat sich hierzu

kürzlich geäußert und ein subjektives Recht auf eine gesetz-

lich vorherbestimmte Zusammensetzung der Richterbank im

Einzelfall angenommen.22 Die derzeit praktizierte Geschäfts-

verteilung (jedenfalls) am EuGH ist deshalb in hohem Maße

problematisch.

In einem letzten Schritt ist dann im Rahmen des Fazits

anzudeuten, wie eine angemessene Geschäftsverteilung am

EuGH de lege ferenda ausgestaltet werden könnte (IV.).

II. Aktuelle Geschäftsverteilungspraxis an den europäi-

schen Gerichten

1. Die derzeitige Situation am EuGH

a) Einschlägige Verfahrensvorschriften im Überblick

In den organisationsrechtlichen Vorschriften am EuGH gibt

es keinen Hinweis auf einen Geschäftsverteilungsplan. Bei

der Einsetzung des EuGH im Jahr 195723 war ein solcher

auch nicht notwendig, da der Gerichtshof lediglich aus einer

mit sieben Richtern besetzten Kammer bestand, die grund-

klage als deren Unterfall, Art. 265 AEUV), in der auch eine

natürliche oder juristische Person die Vornahme bzw. Nicht-

vornahme einer EU-Maßnahme rügen kann, ist der Bürger

direkt betroffen. 21 Dieses strikte Verständnis vom Prinzip des gesetzlichen

Richters befürworten allerdings nicht alle Diskutanten; so

betont etwa Dörr, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsge-

richtsordnung, Kommentar, 4. Aufl. 2014, Europäischer

Verwaltungsrechtsschutz, 1. Teil, B. Rn. 25, dass die Uni-

onsgerichtsbarkeit nicht den strengen Anforderungen des

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG unterliege; weiterhin Wichard, EuR

1995, 260 (266), der es allerdings dennoch für erforderlich-

hält, „daß auch im Gemeinschaftsrecht das Prinzip des ge-

setzlichen Richters thematisiert wird“; ebenso ders., EuZW

1996, 305 (306); Stotz, EuZW 1995, 749 (siehe hierzu noch

Fn. 161); Jung, EuR 1980, 372 (377 f.); Schwarze (Fn. 9),

Art. 251 Rn. 7; Haase, Die Anforderungen an ein faires Ge-

richtsverfahren auf europäischer Ebene, 2006, S. 305; Gun-

del, EuR 2008 (Beiheft 3), 23 (33 f. mit Verweis auf die

weniger strengen Regeln in anderen Mitgliedstaaten); so auch

Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Uni-

on, 2004, § 44 Rn. 1160. Mößlang, EuZW 1996, 69 (70 f.),

kritisiert die strikte deutsche Regelung, da diese Misstrauen

gegenüber der Justiz fördere. 22 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13 (Mi-

racle Europe KFT v. Ungarn). 23 Einsetzung des Gerichtshofs (heute: EuGH) mit den Römi-

schen Verträgen vom 25.3.1957; Zuständigkeitsübertragung

der Aufgaben, die die Verträge dem Gerichtshof zuschreiben,

durch Art. 3 des Abkommens über gemeinsame Organe für

die Europäischen Gemeinschaften vom 25.3.1958, beides

online abrufbar unter http://t1p.de/jnn9 (28.6.2018).

sätzlich im Plenum (also unter Beteiligung aller Richter)

entschied.24

Im Rahmen der steten Erweiterung der EU hat sich die

Organisation am EuGH immer weiter aufgegliedert.25 Heute

entscheiden dort insgesamt zehn Kammern. Davon sind sechs

Kammern mit fünf und vier Kammern mit drei Richtern be-

setzt, wobei insgesamt fünf Kammern jeweils mit einem

Richter „überbesetzt“26 sind.27 Darüber hinaus entscheidet die

mit 13 Richtern28 besetzte Große Kammer (von denen elf

Richter bei der Entscheidungsfindung anwesend sein müs-

sen29) in besonderen, von Art. 60 VerfO-EuGH genannten

Fällen.

Bislang hat niemand die zunehmende Ausdifferenzierung

der Binnenstruktur des EuGH zum Anlass genommen, Vor-

schriften zur Geschäftsverteilung in dessen Verfahrensregel-

werk aufzunehmen.30 Stattdessen gilt folgendes Procedere:

Art. 60 Abs. 1 VerfO-EuGH31 bestimmt, dass „der Gerichts-

24 Zu Ausnahmen von diesem Grundsatz vgl. Puttler, EuR

2008 (Beiheft 3), 133 (134 f.). 25 Hierzu Wichard, EuR 1995, 260 (266); zur sukzessiven

Ausdifferenzierung am EuGH seit 1957 vgl. ausführlich Putt-

ler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (134 ff.). Skizze der heutigen

Spruchkörpertypen bei Borchardt, in: Lenz/Borchardt

(Hrsg.), EU-Verträge, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 251

AEUV Rn. 1. Gesamtüberblick zur Anzahl der Mitglieder, zu

den beim EuGH anhängigen Rechtssachen etc. online abruf-

bar unter http://t1p.de/50jv (28.6.2018). 26 Zum Problem der Richterauswahl bei überbesetzten Kam-

mern am EuGH ausführlich Haase (Fn. 21), S. 306 ff.; Gun-

del, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grund-

freiheiten, 4. Aufl. 2014, § 27 Rn. 34 f.; Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (139 f.); zum Problem überbesetzter Kam-

mern an deutschen Gerichten vgl. BVerfGE 95, 322 (327 ff.)

m. Anm. Sangmeister, NJW 1998, 721 (722); BVerfGE 97, 1

(10 f.); BGH NJW 1994, 1735. 27 Eine Übersicht zur Organisation des EuGH ist online ab-

rufbar unter http://t1p.de/09hy (28.6.2018). 28 Darunter der Präsident und der Vizepräsident des Gerichts-

hofs, drei Präsidenten einer Kammer mit fünf Richtern sowie

der Berichterstatter. 29 Art. 17 Abs. 3 der Satzung des EuGH (konsolidierte Fas-

sung), 1.9.2016, online abrufbar unter http://t1p.de/zf0n

(28.6.2018). 30 Die Verträge von Maastricht und Amsterdam sahen die

Möglichkeit der Schaffung solcher Vorschriften jedoch vor,

worauf Puttler (EuR 2008 [Beiheft 3], 133 [135]) zutreffend

hinweist. Art. 221 Abs. 2 S. 2 EG (ex-Art. 165 Abs. 2 EG),

der bis zur Änderung durch den Vertrag von Nizza vom

1.2.2003 galt, erlaubte, dass der Gerichtshof aus seiner Mitte

Kammern bildet, die „bestimmte vorbereitende Aufgaben

erledigen oder bestimmte Gruppen von Rechtssachen ent-

scheiden“. Dafür sollten die „Vorschriften einer besonderen

Regelung“ gelten. 31 Gemäß Art. 251 AEUV ist hinsichtlich der Zuweisung

einzelner Rechtssachen an die Spruchkörper am EuGH des-

sen Satzung einschlägig. Diese verweist in ihrem Art. 50

Abs. 2 auf die Verfahrensordnung des EuGH (VerfO-EuGH

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hof […] alle bei ihm anhängigen Rechtssachen an die Kam-

mern mit fünf oder mit drei Richtern [verweist], sofern nicht

die Schwierigkeit oder die Bedeutung der Rechtssache oder

besondere Umstände eine Verweisung an die Große Kammer

erfordern, es sei denn, eine solche Verweisung ist gemäß

Artikel 16 Absatz 3 der Satzung von einem am Verfahren

beteiligten Mitgliedstaat oder Unionsorgan beantragt wor-

den.“32 Bei besonderen, in Art. 16 Abs. 4 der Satzung des

EuGH explizit bestimmten Fällen tagt der EuGH ausnahms-

weise im Plenum, d.h. mit mindestens 17 anwesenden Rich-

tern (vgl. Art. 17 Abs. 4 der Satzung).

In der Praxis wählt der Präsident des EuGH zunächst ge-

mäß Art. 15 VerfO-EuGH unter den (derzeit noch)33 28 Rich-

tern einen Berichterstatter34 aus. Dieser schlägt dann nach

intensiver Einarbeitung in den Fall in seinem Vorbericht der

Generalversammlung35 u.a. vor, an welchen Spruchkörper die

Rechtssache verwiesen werden soll (Art. 59 Abs. 2 VerfO-

EuGH). Die Generalversammlung entscheidet im Weiteren

über die Vorschläge des Berichterstatters nach Anhörung des

Generalanwalts (Art. 60 Abs. 3 VerfO-EuGH).36 Grundsätz-

lich empfiehlt der Berichterstatter den Spruchkörper, in dem

er selbst sitzt; ansonsten müsste ein neuer Berichterstatter

bestimmt werden, der sich dann erneut in den Fall und die

Rechtsmaterie einzuarbeiten hätte.37 Jeder Richter am EuGH

gehört höchstens zwei Kammern an. Durch die Wahl des

Berichterstatters kann der Präsident des Gerichtshofs also die

später zuständige Kammer indirekt bestimmen oder jeden-

falls erheblich eingrenzen.38 Die VerfO-EuGH sah in einer

v. 25.9.2012, online abrufbar unter http://t1p.de/77s0

[28.6.2018]). 32 Im Umkehrschluss können juristische oder natürliche Per-

sonen dieses Antragsrecht nicht wahrnehmen und müssen die

Entscheidung des Gerichtspräsidenten hinnehmen. 33 Voraussichtlich mit dem 29.3.2019 wird Großbritannien

aus der EU austreten, sodass sich die Anzahl der Richter ab

diesem Tag entsprechend auf 27 reduziert. 34 Der berichterstattende Richter fasst die schriftlichen Erklä-

rungen der Prozessparteien (ggf. versehen mit Bemerkungen

von nationalen Behörden, EU-Institutionen und in manchen

Fällen Einzelpersonen) zusammen. Nähere Informationen

zum Verfahren auch unter http://t1p.de/09hy (13.7.2018). 35 Der Generalversammlung am EuGH gehören alle Richter

und (General-)Anwälte an. 36 Zur Praxis der Zuweisung einer Rechtssache an eine

Kammer am EuGH kritisch Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3),

133 (141 ff.). 37 Nach Jung, EuR 1980, 372 (377), braucht es keine explizi-

te Regelung, denn es „versteht sich von selbst, dass der Be-

richterstatter dem Spruchkörper angehören muss, der für die

Entscheidung zuständig ist“. 38 Die zentrale Bedeutung der Person des Berichterstatters für

die Bestimmung der über die konkrete Rechtssache entschei-

denden Richter (insbesondere aufgrund der Reihenfolge, dass

zunächst der Berichterstatter vom EuGH-Präsident ausge-

sucht und die Rechtssache erst dann einem Spruchkörper

zugewiesen wird) betont auch Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3),

133 (157).

vorherigen Fassung39 vor, dass der Gerichtshof die Kriterien

zur Verteilung der Rechtssachen festlegt. Die Festlegung

erging als rein interner Beschluss und wurde nicht veröffent-

licht.40 Diese vom Gerichtspräsidenten zu beachtende Ermes-

sensrichtlinie wurde in der aktuellen VerfO-EuGH ohne

ersichtlichen Grund gestrichen. Der Gerichtspräsident muss

sich heute für die Wahl des Spruchkörpers (bzw. des Bericht-

erstatters, der sodann einen Spruchkörper empfiehlt) nicht

mehr rechtfertigen.

b) Begründungsversuche für einen fehlenden Geschäftsvertei-

lungsplan

Die Geschäftsverteilungspraxis am EuGH wird bisher vor-

nehmlich damit gerechtfertigt, dass der Berichterstatter auf

verschiedenen Ebenen kontrolliert werde, was einen Miss-

brauch ausschließe. Für Kontrolle sorge dabei zunächst die

Tatsache, dass der Berichterstatter nie allein, sondern stets in

einer Kammer von mindestens drei Richtern entscheidet.41

Weiterhin erhöhen die vom Generalanwalt formulierten

Schlussanträge den Rechtfertigungsdruck für das Urteil.42

Eine dritte Kontrollinstanz stelle die Generalversammlung

dar, die dem Vorschlag des Berichterstatters bezüglich des

zuständigen Spruchkörpers zustimmen muss.43

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sämtli-

che Begründungsversuche die Bedenken wegen des fehlen-

den Geschäftsverteilungsplans nicht ausräumen können:

Auch wenn der Berichterstatter stets mit zumindest zwei

weiteren Richtern entscheidet, ändert dies nichts daran, dass

der Gerichtspräsident durch die Wahl des Berichterstatters

erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung des entschei-

39 Art. 9 § 3 der VerfO-EuGH vom 19.6.1991, ABl. EU L

176 vom 4.7.1991, online abrufbar unter http://t1p.de/1kpt

(28.6.2018). Vgl. noch zur alten Rechtslage Grzybek, Pro-

zessuale Grundrechte im Europäischen Gemeinschafts-

recht, 1993, S. 82 f. Seiner Ansicht nach konnte die interne

Ermessensrichtlinie einen fehlenden Geschäftsverteilungs-

plan ersetzen. Unerörtert (allerdings im heutigen Kontext

nicht mehr relevant) bleibt die Frage, wer die Nichtbeachtung

dieser internen Richtlinie seitens des Gerichtspräsidenten

rügen konnte. 40 Dazu Jung, EuR 1980, 372 (377), der ebenfalls betont, dass

Art. 9 § 3 VerfO a.F. nicht zu einem starren Automatismus

bei der Verteilung der Rechtssachen zwang. Nach dieser

internen Ermessensrichtlinie konnten – ausgehend von der

Reihenfolge des Eingangs der Rechtssachen – auch der

„Sachzusammenhang einer Rechtssache mit anderen anhän-

gigen oder bereits entschiedenen Rechtssachen, die Erforder-

nisse einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeitslast sowie

erforderlichenfalls auch die Notwendigkeit der Kenntnis der

Verfahrenssprache oder einer nationalen Rechtsordnung zu

berücksichtigen“ sein. 41 Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (469). 42 Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (469). 43 So Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (470); Haase

(Fn. 21), S. 303; Jung, EuR 1980, 372 (378).

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denden Spruchkörpers nimmt.44 Auch die Autorität der vom

Generalanwalt formulierten Schlussanträge kann die Ver-

drängung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – jeden-

falls nach deutschem Verständnis – nicht rechtfertigen. Denn

der Generalanwalt hat nicht zwingend Einfluss auf das Urteil.

Das Gericht muss sich dessen Ansichten nicht anschließen

und es besteht auch keine Pflicht, sich mit seinem Vorbringen

im Urteil überhaupt auseinanderzusetzen. Die Generalver-

sammlung stellt ebenfalls keine ausreichende Kontrollinstanz

dar; sie entscheidet letztlich nur darüber, welcher Art von

Spruchkörper (Plenum, Große Kammer, Fünfer- oder Dreier-

kammer) der Fall zugewiesen wird. Das wiederum geschieht

in Abhängigkeit von der Schwierigkeit oder der Bedeutung

sowie von den „besonderen Umständen“ des Falles (vgl. Art.

60 VerfO-EuGH). Dabei kann die Generalversammlung nur

den Vorschlag des Berichterstatters annehmen oder ablehnen.

Abgesehen davon, dass die zuletzt genannten Kriterien äu-

ßerst unbestimmt sind45 und der Generalversammlung somit

ein breites Ermessen zusteht, ersetzt auch die Berücksichti-

gung dieser Instanz nicht das schematische Vorgehen nach

einem Geschäftsverteilungsplan (als „Verteilungsautomat“46),

bei dem die Einbeziehung von sachfremden Kriterien

schlechthin ausgeschlossen ist.

Der EuGH hat sich bislang nur einmal selbst zur Vorher-

bestimmung des zuständigen Spruchkörpers geäußert. In der

Rechtssache Gaal47 rügte die deutsche Bundesregierung, dass

nicht vorab geklärt worden sei, welche Richter einer überbe-

setzten Kammer den Fall entscheiden werden. Der General-

anwalt reagierte in seinen Schlussanträgen auf diesen Ein-

wand mit Unverständnis und erklärte ohne weitere Ausfüh-

rungen, dass die Rüge „offensichtlich unbegründet“ sei. Es

falle „ganz offensichtlich in die interne Organisationsgewalt

des Gerichtshofes, die fünf Richter, aus denen der Spruch-

körper besteht, unter den sechs Richtern der Kammer selbst

zu bestimmen.“48 In der Entscheidung des EuGH wurde auf

die Zusammensetzung der Kammer nicht weiter eingegangen.

Dies zeigt, dass am EuGH kaum Sensibilität für die Verknüp-

fung von organisatorischen Vorschriften und einer möglichen

Verletzung elementarer Rechte in Form des gesetzlichen

Richters vorhanden ist. Es überwiegt die Auffassung, dass

44 Dies räumen Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (469),

auch selbst ein. 45 Kritisch hierzu vor allem Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3),

133 (156, 159). 46 Zur Erforderlichkeit eines „starren Normensystems“, um

den „angestrebten Automatismus“ bewerkstelligen und

dadurch das „bereichspezifische […] Bestimmtheitsgebot“

des gesetzlichen Richters einhalten zu können, siehe Sowada

(Fn. 7), S. 120. 47 EuGH, Urt. v. 4.5.1995 – C-7/94 (Landesamt für Ausbil-

dungsförderung Nordrhein-Westfalen v. Gaal), Rn. 15. 48 Schlussanträge Generalanwalt Tesauro vom 9.2.1995, I –

1034; zustimmend die Besprechung von Wichard,

EuR 1995, 261.

Zweckmäßigkeitserwägungen das Fehlen eines Geschäftsver-

teilungsplans rechtfertigen können.49

2. Die Zuweisungspraxis am EuG

Eine andere Gerichtsorganisation findet sich dagegen beim

EuG. Auch dort werden Kammern mit drei bzw. fünf Rich-

tern gebildet (Art. 13 § 1 VerfO-EuG).50 Die Rechtssachen

werden grundsätzlich51 von diesen Kammern entschieden

(Art. 14 § 1 VerfO-EuG). Nach Art. 25 § 1 VerfO-EuG legt

das Gericht Kriterien52 fest, nach denen sich die Verteilung

der Rechtssachen auf die Kammern richtet. Diese Entschei-

dung ist keine bloß interne Ermessensregel für den Präsiden-

ten, sondern wird gemäß Art. 25 § 2 VerfO-EuG im EU-

Amtsblatt veröffentlicht. Somit kann hier ein Verstoß gegen

die Kriterien vom Rechtsuchenden wahrgenommen und vor

dem EuGH (als Revisionsgericht des EuG) gerügt werden.

Zwar kann der Präsident des EuG gem. Art. 27 § 3 VerfO-

EuG „ausnahmsweise“ im Interesse einer geordneten Rechts-

pflege von den veröffentlichten Kriterien abweichen. Jedoch

muss er diese Entscheidung begründen und zuvor die „be-

troffenen Richter anhören“ (Art. 27 § 3 S. 1 VerfO-EuG)53

bzw. die Stellungnahmen der für den Fall zuständigen Kam-

merpräsidenten einholen (Art. 27 § 4 VerfO-EuG). Ebenfalls

49 Jedoch ist das Prinzip des gesetzlichen Richters dem EuGH

nicht gänzlich unbekannt, wie er in einem 1995 vorgelegten

Bericht über bestimmte Aspekte der Anwendung des Ver-

trags über die Europäische Union (in: Tätigkeiten des Ge-

richtshofes und des Gerichts erster Instanz der Europäischen

Gemeinschaften, Woche vom 22. bis 26.5.1995, Nr. 15/95,

S. 9 f.) erkennen ließ. Dort lehnte er den Vorschlag, einzelne

Vorabentscheidungsverfahren vom EuGH an das EuG zu

verweisen, mit der Begründung ab, dass „dies mit bestimm-

ten Vorstellungen vom gesetzlichen Richter kollidieren könn-

te“. Vgl. hierzu auch Wichard, EuR 1995, 260 (265 f.). 50 Verfahrensordnung des Gerichts vom 4.3.2015, konsoli-

dierte Fassung, ABl. EU 2015, L 105, S. 1, online abrufbar

unter http://t1p.de/jt1c (28.6.2018). 51 Zu Ausnahmen (Große Kammer bzw. Einzelrichter) siehe

Art. 14 § 2 und § 3 VerfO-EuG. 52 Vgl. ABl. (EU) 2016/C 296/04. Die Rechtsmittelsachen

werden nach vier Kriterien gemäß der Reihenfolge der Ein-

tragung der Rechtssachen in das Register aufgeteilt: Zu un-

terscheiden ist zwischen 1. Rechtssachen betreffend die

Durchführung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbs-

regeln, die Vorschriften über staatliche Beihilfen und die

Vorschriften über handelspolitische Schutzmaßnahmen, 2.

den im Vierten Titel der Verfahrensordnung genannten

Rechtssachen, den Rechten des geistigen Eigentums sowie 3.

den Rechtssachen des öffentlichen Dienstes und 4. allen

anderen Rechtssachen. Rechtsmittel gegen Entscheidungen

des Gerichts für den Öffentlichen Dienst (GöD – eine Spezi-

alkammer, die sich mit Klagen von Mitarbeitern der EU be-

fasste) wurden bis zu dessen Eingliederung in das EuG im

September 2016 nach Eingang der Rechtsmittelschrift der

Rechtsmittelkammer zugewiesen. 53 Unklar bleibt an dieser Stelle, welche Richter bei einer

solchen Abweichung „betroffen“ sind.

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ZIS 7-8/2018

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kann er von den jeweiligen Kriterien abweichen, „um dem

Zusammenhang zwischen bestimmten Rechtssachen Rech-

nung zu tragen oder eine ausgewogene Verteilung der Ar-

beitsbelastung sicherzustellen.“ Zwar wären in diesem Zu-

sammenhang eindeutige Kriterien, die ein Ermessen des

Gerichtspräsidenten gänzlich ausschließen, wünschenswert.54

Allerdings bleibt hier wie auch im Fall des Art. 27 § 3 VerfO-

EuG – jedenfalls theoretisch55 – die Rügemöglichkeit vor

dem EuGH. Die Entscheidung des Gerichtspräsidenten wird

also auf verschiedenen Ebenen kontrolliert, sodass er die

Verteilung der Rechtssachen jedenfalls nicht unerkannt be-

einflussen kann.56

Die erheblich größeren Bedenken mit Blick auf den ge-

setzlichen Richter bestehen somit gegenüber den (fehlenden)

Organisationsregelungen am EuGH, auf die sich die folgen-

den Ausführungen konzentrieren werden.

III. Gibt es ein subjektives Recht auf den gesetzlichen

Richter bei Entscheidungen des EuGH? – die Rechtslage

de lege lata

Nach dieser Befundaufnahme stellt sich die Frage, ob der

gegenwärtige Zustand hingenommen werden muss oder ob

ein Fehlen des gesetzlichen Richters im Bereich des EuGH

auf dem Rechtsweg eingefordert werden kann. Dies setzt ein

subjektives Recht darauf voraus, dass der entscheidende

Spruchkörper auch am EuGH gesetzlich vorherbestimmt ist.

Art. 251 AEUV, der als Primärnorm die Organisation der

Europäischen Gerichte regelt, schweigt zur Frage. Es ist also

unklar, ob nur das Gericht als Ganzes (gerichtsexterner Be-

reich)57 oder auch innerhalb des Gerichts der jeweilige

Spruchkörper bzw. sogar der jeweils entscheidende Richter

(gerichtsinterner Bereich) festgelegt sein muss. Eine Orien-

tierung zum Verständnis des Rechts auf den gesetzlichen

Richter in der EU könnte eine Untersuchung ausgewählter

54 Dies fordert ebenfalls Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133

(156 f.). 55 Ob eine gegen Art. 47 GRCh verstoßende Spruchkörperbe-

setzung des EuG beim EuGH geltend gemacht werden kann,

ist mangels einschlägiger Rechtsprechung nicht ausgemacht.

In der Rechtssache Gaal reagierte der EuGH mit Unverständ-

nis auf eine entsprechende Rüge (siehe hierzu bereits unter II.

1. a); kritisch auch Puttler, EuR 2008 [Beiheft 3], 133 [144],

die betont, dass ein Recht auf den gesetzlichen Richter nur

Wirksamkeit entfalten kann, wenn es justiziabel ausgestaltet,

d.h. rügefähig ist [156]). 56 Ähnlich verhielt es sich mit den einschlägigen Verfahrens-

vorschriften des GöD (siehe bereits Fn. 52). Zu den Beset-

zungsvorschriften am EuG und GöD auch Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (141, 155 f.), nach der die Zuweisung dort

jedenfalls transparenter verlief bzw. verläuft als am EuGH. 57 Die Einteilung der Schutzrichtung des Rechts auf den ge-

setzlichen Richter in einen gerichtsexternen und gerichtsin-

ternen Bereich erläutert im Rahmen der Entstehungsge-

schichte des Rechts auf den gesetzlichen Richter Seif, Recht

und Justizhoheit: historische Grundlagen des gesetzlichen

Richters in Deutschland, England und Frankreich, 2003,

S. 310 ff.

Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten geben, aus denen

möglicherweise eine gemeinsame Verfassungstradition her-

geleitet werden kann (1.). Zu untersuchen ist weiter, ob eine

direkte Ableitung eines Rechts auf den gesetzlichen Richter

im Sinne eines per Gesetz vorherbestimmten Spruchkörpers

innerhalb des Gerichts aus Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh in Be-

tracht kommt (2.), der im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK

auszulegen ist (3.).

1. Ein Recht auf den gesetzlichen Richter aufgrund „gemein-

samer Verfassungsüberlieferungen“ – mitgliedstaatliche

Rechtsordnungen im Vergleich

Um sich der Frage zu nähern, wie weit die Gerichtsbesetzung

am EuGH im Einzelfall (in welcher Form auch immer) fest-

gelegt sein muss, ist ein Vergleich verschiedener mitglied-

staatlicher Rechtsordnungen in der EU hilfreich. Die EU-

Grundrechte werden durch die gemeinsamen Verfassungs-

überlieferungen der Mitgliedstaaten beeinflusst: Gemäß

Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der

EMRK und der GRCh gewährleistet sind und wie sie sich aus

den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitglied-

staaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unions-

rechts. Die GRCh selbst bestimmt in Art. 52 Abs. 4, dass die

Grundrechte der Charta, soweit sie sich aus den gemeinsamen

Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, „im

Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt“ werden

(müssen).58 Im Folgenden sollen neben dem deutschen Mo-

dell des Rechts auf den gesetzlichen Richter (a) exemplarisch

das englische (b) sowie das französische Verständnis (c)

überprüft werden. Die drei Rechtsordnungen stehen stellver-

tretend für markante, innerhalb der Union vorfindliche

Grundhaltungen im Umgang mit dem gesetzlichen Richter:

Während das deutsche Recht hier durch ein sehr strenges

Verständnis geprägt ist, ist dem englischen Recht dieses

Prinzip – soweit ersichtlich – gänzlich unbekannt. Das fran-

zösische Modell kennt das Recht auf den gesetzlichen Rich-

ter, pflegt aber eine großzügigere Handhabung der Ge-

schäftsverteilungspraxis.

a) Das deutsche Verständnis vom gesetzlichen Richter

Die deutsche Rechtsordnung zeichnet sich – wie bereits er-

wähnt – durch ein außerordentlich rigides Verständnis vom

Recht auf den gesetzlichen Richter aus, das in Art. 101

Abs. 1 S. 2 GG als grundrechtsgleiches Recht59 bzw. als

58 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

Kommentar, 3. Aufl. 2016, Art. 52 Rn. 66; Kingreen, in:

Calliess/Ruffert (Fn. 19), Art. 52 GRCh Rn. 39 f.; ausführlich

Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der

Europäischen Union, Kommentar, 4. Aufl. 2014, Art. 52

Rn. 44 ff. 59 Hömig, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Grundgesetz, Handkom-

mentar, 11. Aufl. 2016, Art. 101 Rn. 1; Degenhart, in: Sachs

(Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 101

Rn. 1.

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Justizgrundrecht60 ausgestaltet und einfachgesetzlich in § 16

S. 2 GVG geregelt ist.61 Als gesetzlicher Richter gilt nicht

nur das Gericht als organisatorische Einheit bzw. als Gegen-

teil zum ad hoc eingesetzten Gericht,62 sondern auch der

jeweils erkennende Spruchkörper sowie der im Einzelfall zur

Entscheidung berufene Richter (ad personam).63

Da der Gesetzgeber schon aus praktischen Gründen nicht

jeden Fall der Verteilung der Rechtssachen auf die Spruch-

körper innerhalb eines Gerichts regeln kann,64 wird den deut-

schen Gerichten (konkret: dem Präsidium) in § 21e GVG die

Pflicht auferlegt, ihre Geschäftsverteilung selbst im Voraus

für das kommende Geschäftsjahr zu regeln (geläufige Vertei-

lungssysteme: Alphabet, Sachbereich oder Eingang der

Rechtssachen). Der hieraus resultierende Geschäftsvertei-

lungsplan muss den zuständigen Richter für den Einzelfall

nach objektiven Kriterien und so genau bestimmen, dass

sachfremde Einflüsse nicht zu befürchten sind.65 Für Ermes-

sensentscheidungen ist hier kein Platz, selbst wenn diese auf

sachgerechten Gründen beruhen.66

Diese strikte Haltung zum Recht auf den gesetzlichen

Richter wurzelt in der deutschen Geschichte: In der Zeit der

Aufklärung reifte die Erkenntnis, dass sachfremde Eingriffe

des Landesherrn (damals der Monarch im absolutistischen

System) in die Rechtsprechung (sog. Kabinettsjustiz) beendet

werden müssen.67 Zunächst fand sich das Recht auf den ge-

setzlichen Richter nur in seiner gerichtsexternen Ausprägung,

d.h. als Verbot von Ad-hoc-Gerichten. Schon damals genoss

es als „Ergebnis des Kampfes des Bürgertums um die Siche-

rung seiner freiheitlichen Rechtsstellung“68 einen sehr hohen

Stellenwert.69

60 Vgl. nur BVerfGE 28, 314 (323): „prozessuales Grund-

recht“. 61 BGH NStZ 2017, 720; FGPrax 2010, 100 (101). 62 Seif (Fn. 57), S. 310; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber

(Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, Grundgesetz, Stand:

15.8.2017, Art. 101 Rn. 11. 63 Morgenthaler (Fn. 62), Art. 101 Rn. 11; Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (147); zudem Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 11

m.w.N.; aus der Rspr. nur BVerfGE 17, 294 (298 f.); 18, 344

(349); 40, 356 (361); BVerfG BeckRS 2009, 31748 Rn. 8. 64 Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 43. 65 „Gebot der normativen Vorausbestimmung“, dazu Mor-

genthaler (Fn. 62), Art. 101 Rn. 17, 19; BVerfGE 18, 423

(426). 66 Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 44; BVerfGE 18, 65. 67 Sowada (Fn. 7), S. 5 (ausführlich S. 33 ff.). 68 Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 1; zur Entwicklung des Prin-

zips auf den gesetzlichen Richter äußert sich auch BVerfG

NJW 1954, 593. 69 Das Recht auf den gesetzlichen Richter war anerkannt als

Sicherung der Rechtsstaatlichkeit auf dem Gebiet der Ge-

richtsbarkeit schlechthin, so Maunz (Fn. 3), Art. 101 Rn. 1.

Instruktiv zur Geschichte des gesetzlichen Richters in

Deutschland Seif (Fn. 57), S. 214 ff.; Sowada (Fn. 7), S. 33

ff.; und Kellermann, Probleme des gesetzlichen Richters:

Unter besonderer Berücksichtigung der großen Strafverfah-

ren, 1971, S. 48 ff.

1849 mahnte Rudolf von Jhering an, dass eine Ausdeh-

nung des Rechts auf den gesetzlichen Richter auf den ge-

richtsinternen Bereich erforderlich sei, um die vollständige

Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten.70 Ansonsten

könne die Exekutive innerhalb eines durch Gesetz errichteten

Gerichts die Spruchkörper bzw. Richter nach Belieben beru-

fen und abbestellen und damit den Sinn des Verbotes von

Ad-hoc-Gerichten unterlaufen.71 Die Anregung wurde 1876

umgesetzt und die richterliche Selbstverwaltung einfachge-

setzlich im GVG erfasst.72 Nach der Beratung im Herren-

chiemsee-Konvent 1949 wurde die gerichtsinterne Kompo-

nente des Rechts (auch aufgrund der Erfahrungen der Justiz-

willkür in der Zeit des Nationalsozialismus) verfassungs-

rechtlich verankert.73

Das deutsche Verständnis des Rechts auf den gesetzlichen

Richter bezweckt somit im Kern den Schutz von Vertrauen:

Zum einen wird der Glaube an die Neutralität desjenigen

bewahrt, der die Richter nach seinem Ermessen einsetzt.74

Deshalb werden strikte, objektive Kriterien gefordert, die

dessen Spielraum weitestgehend begrenzen oder gar aus-

schließen. Daneben wird auch das Vertrauen gegenüber den

entscheidenden Richtern selbst gesichert: Es soll von vornhe-

rein der Eindruck vermieden werden, dass der eingesetzte

Richter sich in seiner Entscheidung aus Opportunitätsgründen

nicht von ausschließlich im Gesetz angelegten Motiven leiten

lässt.75

70 v. Jhering, Der Zweck im Recht, 1898, Bemerkung 407;

Seif (Fn. 57), S. 311 f. 71 „Achillesferse“ der Einrichtung, vgl. v. Jhering (Fn. 70),

Bemerkung 407. 72 Ausführlich zur Historie insb. der gerichtsinternen Rege-

lung Seif (Fn. 57), S. 310 ff. 73 Vgl. die Vorgängerregelung in Art. 105 WRV: „Ausnah-

megerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzli-

chen Richter entzogen werden […]“. 74 Nach damaligem Verständnis der Landesherr (so die Be-

gründung durch v. Jhering [Fn. 70], Bemerkung 407). Heute

richtet sich der Schutz typischerweise gegen die Judikative,

die sich den Geschäftsverteilungsplan selbst gibt (Maunz

[Fn. 3], Art. 101 Rn. 43): Nach § 21e Abs. 1 GVG bestimmt

das Präsidium des Gerichts unter anderem die Besetzung der

Spruchkörper vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen

Dauer. Die Richter, die dem Präsidium nicht angehören, sind

zuvor anzuhören (Abs. 2). Nachträgliche Änderungen dürfen

nur bei besonderen, in § 21e Abs. 3 S. 2 GVG explizit ge-

nannten Anlässen vorgenommen werden. 75 Das BVerfG betonte selbst die Bedeutung des „Vertrau-

en[s] der Rechtsuchenden und auch der Öffentlichkeit in die

Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte“, BVerfGE 4,

412 (416); Morgenthaler (Fn. 62), Art. 101 Rn. 3. Erst vor

Kurzem bestätigte der BGH diese strenge Sichtweise: Es

müsse „im Voraus so eindeutig wie möglich“ festgelegt sein,

„welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter

zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Geschäftsver-

teilungs- und Mitwirkungsregelungen bedürfen deshalb auch

der Schriftform“ (BGH NStZ 2017, 429 [430]). Jüngst dazu

noch einmal das BVerfG, wonach ein Geschäftsverteilungs-

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Thomas Rönnau/Annemarie Hoffmann

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ZIS 7-8/2018

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Nach deutschem Verständnis dürfte die Verfahrensord-

nung dem Präsidenten des EuGH bei der Wahl des Berichter-

statters (der sodann den zuständigen Spruchkörper vor-

schlägt) somit keinerlei Auslegungsspielraum belassen – ein

vorformulierter Geschäftsverteilungsplan mit unbeeinflussba-

ren Zuweisungskriterien wäre nötig.76

b) „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“: Kein Recht auf

den gesetzlichen Richter in England

Das englische Recht kennt das Prinzip des gesetzlichen Rich-

ters nicht – weder als geschriebenen noch als ungeschriebe-

nen Grundsatz.77 Somit stellt es den „prinzipiellsten Gegen-

satz“78 zum deutschen Modell dar. Es gibt in der englischen

Gerichtsbarkeit keinen Geschäftsverteilungsplan; der Vorsit-

zende Richter kann (mit Unterstützung der Gerichtsverwal-

tung) beliebig den jeweiligen Spruchkörper zusammenstel-

len.79

Die Gründe für diese Abweichung vom deutschen Ver-

ständnis liegen insbesondere in einem anderen Richterbild.

Der Richter in Deutschland wird (unabhängig von seinen

objektiven Kenntnissen und Fähigkeiten) von der Öffentlich-

keit als „Angestellter“ des Staatsapparates wahrgenommen,

dessen Aufgabe es ist, seine Fälle nach Abwägung unter-

schiedlicher Standpunkte nach bestem (menschlichen) Ge-

wissen zu entscheiden. In England hingegen genießt der

Richter in seiner Rolle seit jeher ein sehr hohes Ansehen.80

Insgesamt gibt es dort nur etwa 200 Berufsrichterstellen.81

Grundsätzlich kann in England nur ein Jurist mit langjähriger

Berufserfahrung zum Richter ernannt werden; das Richteramt

ist dort das Berufs(end-)ziel.82 Dem Richter im englischen

Rechtssystem wird von der Öffentlichkeit allgemein ein gros-

plan grundsätzlich erforderlich sei, dieser jedoch während

eines anhängigen Verfahrens nachträglich geändert werden

könne, sofern die Regelung generell gilt, vgl. BVerfG NJW

2017, 1233 (1234). Wird eine Änderung des Geschäftsvertei-

lungsplans auf eine Arbeitsüberlastung gestützt, muss der

Gerichtspräsident die tatsächlich bestehende Arbeitsbelastung

hinreichend darlegen, vgl. BVerfG NJW 2005, 2689 (2690). 76 Ganz grundsätzlich kann das Prinzip in Frage gestellt wer-

den, nach dem zunächst der Berichterstatter und erst dann der

(dem Berichterstatter grundsätzlich zugehörige) Spruchkör-

per bestimmt wird (dies kritisiert auch Puttler, EuR 2008

[Beiheft 3], 133 [157 f.]). Zwar erscheint es aus Effizienz-

gründen gerechtfertigt, dass der Berichterstatter der entschei-

denden Kammer angehört. Ebenso könnte jedoch zunächst

die entscheidende Kammer bestimmt und aus dieser sodann

der Berichterstatter ernannt werden. 77 Sowada (Fn. 7), S. 125. 78 Sowada (Fn. 7), S. 125. 79 Vgl. Sowada (Fn. 7), S. 125. 80 So auch Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (149). 81 Sowada (Fn. 7), S. 126 m.w.N. 82 In diesem Sinne Sowada (Fn. 7), S. 125, mit Verweis auf

Roellecke, DRiZ 1983, 258 (260), der die Richter in England

als „Fürsten“, die Richter in Deutschland demgegenüber als

„Staatsdiener“ bezeichnet.

ses Vertrauen entgegengebracht;83 er gilt als „unfehlbar“,

sodass es im englischen Rechtssystem als unerheblich er-

scheint, welcher Richter den Prozess entscheiden wird.84

Darüber hinaus ist die Aufgabe des Richters (jedenfalls

im Strafprozess) in England eine gänzlich andere als die des

Richters in Deutschland. Der deutsche Strafprozess ist ge-

prägt von den Grundsätzen der Amtsaufklärung (§ 244 Abs. 2

StPO) und der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261

StPO). Der Richter nimmt danach als „Repräsentant der

Staatsgewalt die Aufgabe der Wahrheitsermittlung wahr

[…]“85 und entscheidet über das Ergebnis der Beweisauf-

nahme „nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhand-

lung geschöpften Überzeugung“. Die Gerichtsmitglieder,

insbesondere der Vorsitzende des Spruchkörpers, dominieren

das Verfahren. Der (Straf-)Prozess in England lässt sich da-

gegen eher als „Zweikampf“ der beiden prozessualen Gegner

– Angeklagter und Staatsanwaltschaft – charakterisieren, den

der Richter als „Schiedsrichter“ begleitet. In diesem „Partei-

enprozess“ kommt dem Richter eine eher passive Rolle zu; er

nimmt weniger Einfluss auf das Verfahren.86 Eine etwaige

Manipulation in der Zuweisung einer Rechtssache an den

Richter hätte (nach englischem Grundverständnis) demnach

keine großen Auswirkungen auf das Ergebnis. Das Recht auf

den gesetzlichen Richter spielt vor diesem Hintergrund keine

Rolle.87 Die Möglichkeit der Ablehnung eines ernannten

Richters aufgrund seiner Befangenheit reicht den Beteiligten

zum Schutz vor einer Manipulation der Geschäftsverteilung

aus.88

83 Für Viele Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (149). 84 Ganz nach dem Motto „Richter gleich Richter“, dazu Kel-

lermann (Fn. 69), S. 88; Sowada (Fn. 7), S. 96; siehe noch

unter IV. 85 Sowada (Fn. 7), S. 126 f. 86 Sowada (Fn. 7), S. 127. Ausführlicher zu diesem Punkt

Damaska, ZStW 87 (1975), 714, der näher auf den Unter-

schied zwischen dem „adversatorischen“ Modell im Common

Law und dem „nicht-adversatorischen“ Modell in Kontinen-

taleuropa eingeht. Die Differenzen veranschaulicht Damaska

am Beispiel der abweichenden Behandlung des Nichtbestrei-

tens der Anklage durch den Beschuldigten (719 f.): Während

der Richter im adversatorischen System sich nicht von der

Schuld des Angeklagten überzeugen muss und dieser ohne

Hauptverhandlung verurteilt werden kann („conviction by

plea“), ist die Einstellung des Beschuldigten gegenüber der

Anklage im nicht-adversatorischen Modell bedeutungslos.

Ein Hauptverfahren, in dem die tatsächlichen und rechtlichen

Probleme erörtert werden und der Richter sich von der

Schuld des Angeklagten überzeugen muss, findet dennoch

statt. 87 Siehe ausführlich und instruktiv zum Recht auf den gesetz-

lichen Richter in England Sowada (Fn. 7), S. 125 ff.; vgl.

auch Seif (Fn. 57), S. 151 ff.; ebenfalls Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (149). 88 Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (150).

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„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des gesetzlichen Richters am EuGH

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c) „Le droit au juge naturel“ in Frankreich

Im Gegensatz zur englischen Rechtsordnung ist das Recht auf

den gesetzlichen Richter im französischen Recht („le droit au

juge naturel“) nicht gänzlich unbekannt. Während das Prinzip

im 18. und 19. Jahrhundert noch als expliziter Verfassungs-

grundsatz niedergeschrieben war,89 ist es in der aktuellen

Verfassung90 nicht mehr verankert. Jedoch besteht das Recht

auf den gesetzlichen Richter als ungeschriebener Verfas-

sungsgrundsatz weiter und leitet sich aus der Erklärung der

Menschen- und Bürgerrechte von 178991 ab, auf die die aktu-

elle Verfassung in ihrer Präambel verweist.92 Nach ganz

überwiegender Ansicht entspringt das Recht auf den gesetzli-

chen Richter dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz

(„égalité devant la loi“ – Art. 6 der Erklärung der Menschen-

und Bürgerrechte von 1789).93 Mit diesem Grundsatz gehe

die Gleichheit der Rechtsuchenden vor dem Gericht einher

(„l’égalité des justiciables devant les juridictions“). Hiernach

muss eine Rechtssache gleicher Natur von demselben Gericht

(bzw. von demselben Spruchkörper) entschieden werden, das

sich jeweils nach den gleichen Regeln zusammensetzt („dé-

signation et composition“).94

Insgesamt herrscht in Frankreich nach wie vor eine große

Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite des Rechts auf den

gesetzlichen Richter.95 Den Gerichten (bzw. ihren Präsiden-

ten) wird ein großer Ermessensspielraum hinsichtlich der

Verteilung der Rechtssachen auf die Kammern zugespro-

chen.96 Zwar werden den Spruchkörpern einzelne Rechtsge-

89 Constitution de 1791 (Titre III, Chapitre V, art. 4); Consti-

tution de 1795 (art. 204); Charte Constitutionnelle de 1814

(art. 62); Charte additionnelle de 1815 (art. 60); Charte de

1830 (art. 53), Constitution républicaine de 1848. 90 Constitution de la 5e République du 4. Oct. 1958, Text

online abrufbar unter http://t1p.de/lu5k (28.6.2018). 91 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, Text

online abrufbar unter http://t1p.de/ce79 (mit deutscher Über-

setzung – 28.6.2018). 92 Vgl. Renoux, RTD civ. 92 (1), 33 (34). 93 Dazu Jeuland, RFAP n° 125 (1/2008), 33 Rn. 3; Renoux,

RTD civ. 92 (1), 33 (34). Nach a.A. ist das Recht auf den

gesetzlichen Richter aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit

des Verfahrens (Art. 7 der Erklärung der Menschen- und

Bürgerrechte von 1789) herzuleiten; vgl. Royer, RSC 2006,

787 (794). 94 „La règle est que toutes les affaires juridiquement de même

nature doivent être jugées selon des juridictions strictement

identiques, composées selon les mêmes règles“, dazu Renoux,

RTD civ. 92 (1), 33 (54) mit dem Hinweis, es sei jedoch

gleichzeitig unklar, wann genau zwei Rechtssachen gleicher

Natur sind, damit ein Anspruch auf die gleiche Zusammen-

setzung desselben Gerichts besteht. 95 Jeuland, RFAP n° 125 (1/2008), 33 Rn. 3. 96 Seif (Fn. 57), S. 385, nimmt an, dass der Gerichtspräsident

bei der Verteilung der Rechtssachen auf die Spruchkörper

nicht willkürlich handeln darf („Für die Ausübung des Er-

messens zieht die gerichtsinterne Schutzrichtung der Garantie

des gesetzlichen Richters eine Willkürgrenze“). Diese An-

nahme bleibt allerdings unbelegt.

biete vorab zugeteilt; jedoch darf von dieser Verteilung zum

Zweck der Flexibilität des Systems und somit der Effizienz97

abgewichen werden.98

Der Einfluss, den die Person des entscheidenden Richters

auf das Urteil hat, ist in der französischen Rechtsordnung

also bekannt. Dementsprechend wird dem Prinzip des gesetz-

lichen Richters (über den Umweg des Prinzips der Gleichheit

vor dem Gericht99 bzw. der Gesetzmäßigkeit des Verfah-

rens100) auch Verfassungsrang zugemessen.101 Die Anforde-

rungen, die an dessen Beachtung gestellt werden, sind jedoch

ungleich geringer als die Ansprüche, die die deutsche

Rechtsordnung diesbezüglich stellt.102

d) Zwischenergebnis

Mag es innerhalb der EU auch grundsätzlich einen (Minimal-)

Konsens über die Berechtigung des Instituts des gesetzlichen

Richters geben, werden doch in den einzelnen Mitgliedstaa-

ten sehr unterschiedliche Anforderungen an diesen gestellt.103

Eine konkrete „grundlegende Grundrechtsüberzeugung“,104

die von der EU zwingend aufzunehmen wäre, ist nicht er-

sichtlich.105 Deshalb ist im Weiteren darauf einzugehen, ob

97 „Bonne administration de la justice“ (vgl. Royer, RSC

2006, 787 [805]). 98 Diesen Zustand kritisieren Jeuland, RFAP n° 125 (1/2008),

33 Rn. 7; und Royer, RSC 2006, 787 (805). 99 Vgl. Jeuland, RFAP n° 125 (1/2008), 33 Rn. 3; Renoux,

RTD civ. 92 (1), 33 (34). 100 Royer, RSC 2006, 787 (794). 101 So erklärte der Conseil Constitutionnel ein Gesetz für

verfassungswidrig (Cons. Const. N° 75-56 DC, 23.7.1975),

das dem Gerichtspräsidenten bei der gerichtsinternen Zutei-

lung einer (strafrechtlichen) Rechtssache die Entscheidung

beließ, ob diese ein Spruchkörper mit drei Richtern oder ein

Einzelrichter bearbeiten solle. 102 Vgl. m.w.N. zum Recht auf den gesetzlichen Richter in

Frankreich Eser, in: Eser/Kullmann/Meyer-Gossner/Odersky/

Voß (Hrsg.), Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Ver-

kehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl Salger

zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesge-

richtshofes, 1995, S. 247 (259 f.); Puttler, EuR 2008 (Beiheft

3), 133 (150 f.); Seif (Fn. 57), S. 379 ff. 103 Mit Blick auf die deutlich flexibleren Regelungen in ande-

ren Mitgliedstaaten der EU lehnen Rengeling/Szczekalla u.a.

(vgl. Fn. 21) einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzli-

chen Richter am EuGH ab. 104 Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 19), Art. 6

EUV Rn. 52. 105 Selbst wenn man davon ausginge, dass es eine gemeinsa-

me (Grundrechts-)Überzeugung hinsichtlich des Bestehens

des Rechts auf den gesetzlichen Richter gibt, so ist jedenfalls

unklar, wie weit dieses Recht reichen soll. Generell zur Ab-

leitung eines Grundrechts aus der gemeinsamen Verfassungs-

tradition nur Schorkopf (Fn. 10419), Art. 6 EUV Rn. 50 ff.

Insbesondere kann nicht automatisch der Minimal- (England)

oder der Maximalstandard (Deutschland) in der EU ange-

nommen werden (Puttler, EuR 2008 [Beiheft 3], 133 [151

m.w.N.]). Wichard (EuZW 1996, 305 [306]) betont, dass

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ZIS 7-8/2018

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sich aus den europäischen Vorschriften ein Recht auf den

gesetzlichen Richter ableiten lässt, das auch eine Vorabbe-

stimmung des entscheidenden Spruchkörpers gewährleistet.

2. Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh

Ein dem Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG entsprechendes Recht

könnte sich aus der Europäischen Grundrechtecharta106 erge-

ben. Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh normiert das Recht jeder Per-

son, ihre Sache von einem „unabhängigen, unparteiischen

und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht […]“ verhandeln

zu lassen.

Einigkeit herrscht nun in der einschlägigen Literatur dar-

über, dass nach Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh zwar die Errich-

tung der Gerichte sowie der organisatorische Aufbau und die

sachlichen sowie örtlichen Zuständigkeiten vorab „in den

Grundlagen“107 zu regeln sind; jedoch müsse nicht im Detail

festgelegt sein, welcher zur Entscheidung berufene Richter

welche Fälle bearbeitet.108 Unklar bleibt dementsprechend

weiterhin, ob sich das „zuvor durch Gesetz errichtete Ge-

richt“ auf das Gericht als Ganzes, auf den einzelnen Spruch-

körper oder sogar auf den einzelnen Richter innerhalb eines

Spruchkörpers bezieht.109

Weiteren Aufschluss zu dieser Frage können die Erläute-

rungen zu Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh110 geben, die das Präsi-

dium des Grundrechtekonvents bei der Ausarbeitung der

Grundrechtecharta ausgearbeitet hat.111 Danach entspreche

auch das BVerfG die Herleitung der EU-Grundrechte aus der

gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten gebil-

ligt, aber ebenfalls ausdrücklich anerkannt habe, dass die

„Ziele und besonderen Strukturen der Gemeinschaft“ die

Grundrechte in einen „besonderen Sinnzusammenhang“

stellen, deren „Konkretisierung dem EuGH anheimgegeben“

sei. 106 Diese gilt seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissa-

bon mit Wirkung vom 1.12.2009 verbindlich; siehe nur Voet

van Vormizeele, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Fn. 9),

Art. 47 GRCh Rn. 1. 107 Vgl. Blanke, in: Calliess/Ruffert (Fn. 19), Art. 47 GRCh

Rn. 13. 108 Eser, in: Meyer (Fn. 58) Art. 47 Rn. 30 f.; Jarass (Fn. 58),

Art. 47 Rn. 18. Alber (in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Kölner

Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-

Charta, 2006, Art. 47 Rn. 56) erwähnt den organisatorischen

Aufbau nicht; hiernach schütze Art. 47 GRCh nur vor Aus-

nahmegerichten. 109 Den Meinungsstreit andeutend Rengeling/Szczekalla

(Fn. 103), § 44 Rn. 1159. 110 Online abrufbar unter http://t1p.de/qi3e (28.6.2018), S. 41;

so i.E. auch Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (469 m.w.N.). 111 Borowsky (Fn. 58), Art. 52 Rn. 47 ff. Gemäß Art. 52

Abs. 7 GRCh sind diese Erläuterungen von den Gerichten der

Union und den Mitgliedstaaten „gebührend zu berücksichti-

gen“ (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 EUV). Dementsprechend kön-

nen diese Grundsätze jedenfalls zur Auslegung der vagen

Bestimmungen der GRCh herangezogen werden. Zum Streit,

ob und inwiefern die Erläuterungen der GRCh auch Rechts-

Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh in seinem Inhalt dem Art. 6 Abs. 1

EMRK. Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh erweitere lediglich den

Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, dessen Inhalt

bereits über Art. 53 GRCh112 in der Grundrechtecharta beach-

tet werden muss.113

Deshalb ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob

und inwiefern Art. 6 Abs. 1 EMRK ein Recht auf den gesetz-

lichen Richter kennt.

3. Art. 6 Abs. 1 EMRK als Auslegungshilfe für Art. 47 Abs. 2

S. 1 GRCh

Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bestimmt, dass „Jede Person […]

ein Recht darauf [hat], dass […] von einem unabhängigen

und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht […]

verhandelt wird.“114

a) Der interne Schutzcharakter des Art. 6 Abs. 1 EMRK

aa) Uneinigkeit in Literatur und Rechtsprechung

In der Literatur wird unterschiedlich beurteilt, ob sich Art. 6

Abs. 1 EMRK auf die interne Verteilung der Rechtssachen an

die Spruchkörper bzw. die einzelnen Richter bezieht. Teil-

weise wird angenommen, Art. 6 Abs. 1 EMRK verlange, dass

jedenfalls der zuständige Spruchkörper für jeden Fall vorab

bestimmt ist.115 Nach anderer Ansicht lässt sich aus

wirkungen entfalten können, Borowsky (Fn. 58), Art. 52

Rn. 47b m.w.N. 112 Art. 53 GRCh füllt den Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 EUV

aus, nach dem die EU die „Rechte, Freiheiten und Grundsät-

ze“ anerkennt, die in der GRCh niedergelegt sind. 113 Art. 6 Abs. 1 EMRK gilt nur für strafrechtliche Anklagen

und zivilrechtliche Ansprüche bzw. Verpflichtungen. Die

GRCh hingegen kennt diese Einschränkung nicht (für Viele

Voet van Vormizeele [Fn. 106], Art. 47 GRCh Rn. 2); vgl.

auch Kraus, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG,

Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 3 Rn. 71, nach

dem die GRCh von den EMRK-Gewährleistungen als Grund-

lage ausgeht. 114 Hervorhebung durch die Verfasser. 115 Valerius, in: Graf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar,

Strafprozessordnung, Stand: 1.7.2017, Art. 6 EMRK Rn. 8

(der gleichzeitig betont, dass die Anforderungen an Art. 101

Abs. 1 S. 2 GG über die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1

EMRK hinausgehen). So auch Esser, in: Erb u.a. (Hrsg.),

Löwe/Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichts-

verfassungsgesetz, 11. Bd., 26. Aufl. 2012, Art. 6 EMRK und

Art. 14 IPBPR Rn. 134, nach dem die „Grundlagen für die

Errichtung und die Organisation des jeweiligen Spruchkör-

pers, also auch seine Zusammensetzung und seine Zuständig-

keiten, durch Gesetz abstrakt-generell vorbestimmt sein müs-

sen“; ebenfalls Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Mey-

er-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg.), Europäische

Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 4. Aufl. 2017,

Art. 6 Rn. 71; Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier

(Fn. 12), Art. 6 EMRK Rn. 19 f. (vorab geregelt sein müssen

Organisation, Zuständigkeit, Zusammensetzung); unklar

Paeffgen, in: Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zur

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„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des gesetzlichen Richters am EuGH

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Art. 6 Abs. 1 EMRK ausschließlich das Verbot der Errich-

tung von Ad-Hoc-Gerichten ableiten, was eine gerichtsinter-

ne Schutzwirkung nicht notwendigerweise einschließt.116

Der EGMR117 äußerte sich (soweit erkennbar) erstmals im

Jahre 1978 zu dieser Frage118 und legte den Satzteil des „auf

Gesetz beruhenden Gericht[es]“ gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK

weit aus: Die gesamten organisatorischen Rahmenbedingun-

gen – und damit auch das im Einzelfall entscheidende Gericht

– müssten vorab festgelegt sein. Zwar habe das Gesetz nicht

jede Einzelheit der gerichtlichen Zusammensetzung zu re-

geln, jedoch solle darin zumindest das organisatorische

Grundgerüst festgelegt werden. Im Jahr 2000119 stellte der

EGMR dann explizit fest (nachdem er die Frage zunächst

offengelassen hatte120), dass die Gesetzlichkeit eines Gerichts

nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht nur verlange, dass die Ein-

richtung des Gerichts selbst auf einer Rechtsvorschrift beruht;

auch seine Zusammensetzung im Einzelfall müsse qua Gesetz

geregelt sein.121

Strafprozessordnung, GVG und EMRK, Bd. 10, 4. Aufl.

2011, Art. 6 EMRK Rn. 64, nach dem u.a. die Besetzung des

Gerichts „einigermaßen vorhersehbar generell-abstrakt“ fest-

gelegt sein soll. Nicht erläutert wird sowohl bei Paeffgen als

auch bei Satzger, ob mit „Zusammensetzung“ die generelle

Gerichtsbesetzung gemeint ist oder die Besetzung in einer

einzelnen Rechtssache. Nach Gundel, EuR 2008 (Beiheft 3),

23 (32) ist „geklärt […], dass das Erfordernis verlangt, dass

nicht nur die Existenz des Gerichts, sondern auch seine Zu-

sammensetzung im konkreten Einzelfall sich aus gesetzlichen

Regeln ergibt“. Begründet wird dies jedoch ausschließlich

mit Verweis auf die EGMR-Rechtsprechung im Fall Buscari-

ni (Fn. 119) und ohne Hinweis auf die neuere Entscheidung

des EGMR im Fall Coëme (Fn. 123), in dem der Entschei-

dungsspielraum des jeweils entscheidenden Gerichts bei der

Auslegung der Organisationsregeln betont wurde. 116 Schultze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kom-

mentar, 2. Aufl. 2008, Art. 101 Rn. 8; Seif (Fn. 57), S. 421 f. 117 Bei der Auslegung der vagen Bestimmungen der EMRK

ist auf die Rechtsprechung des EGMR zurückzugreifen (in

Rechtsprechung und Literatur anerkannter Grundsatz, siehe

nur BVerfGE 111, 307; 128, 326; ähnlich Kraus [Fn. 113],

Kap. 3 Rn. 74, der gleichzeitig darauf hinweist, dass jeden-

falls der EuGH selbst die EMRK in der ihr durch den EGMR

gegebenen Auslegung heranzieht [Rn. 50]). 118 EGMR, Urt. v. 12.10.1978, Beschwerde-Nr. 7360/76

(Zand v. Österreich), Rn. 68 ff. 119 EGMR, Urt. v. 4.5.2000, Beschwerde-Nr. 31657/96 (Bus-

carini v. San Marino), unter 2. 120 EGMR, Urt. v. 1.10.1982, Beschwerde-Nr. 8692/79

(Piersack v. Belgien), Rn. 33. 121 „La Cour rappelle qu’elle s’est déjà posée la question de

savoir si le membre de phrase‘ ‚établi par la’ loi concerne non

seulement la base légale […] de l’existence même du ‚tribu-

nal‘, mais encore la composition du siège dans chaque af-

faire.“ Die „Buscarini-Rechtsprechung“ gilt mittlerweile als

gefestigt, siehe nur EGMR, Urt. v. 5.10.2010, Beschwerde-

Nr. 19334/03 (DMD Group, A.S. v. Slowakei), Rn. 59; Urt.

v. 2.4.2013, Beschwerde-Nr. 23103/07 (Momcilovic v. Ser-

Hieraus kann grundsätzlich ein subjektives Recht122 des

Rechtsuchenden auf eine auf Gesetz beruhende Zusammen-

setzung des jeweiligen Tribunals abgeleitet werden, sodass

auch im Vorhinein geregelt sein muss, welcher Spruchkörper

mit welchen Richtern welchen Fall zu bearbeiten hat.

Teilweise wird angemerkt, dass der EGMR den Gerichten

einen Spielraum hinsichtlich der Auslegung der gesetzlichen

Grundlage, die die Besetzung des Gerichts im Einzelfall

regelt, zugestehe123 und dass lediglich ungeklärt sei, wie weit

dieser Spielraum reicht124 oder – anders formuliert – wie

detailliert diese gesetzliche Grundlage sein muss.125 Der

EGMR betonte in seinen Entscheidungen jedoch stets, dass

es für den Rechtsuchenden „kein Element der Unsicherheit“

geben dürfe, was für eine starke Begrenzung des Auslegungs-

spielraums spricht.126

bien), Rn. 29; Urt. v. 12.4.2018, Beschwerde-Nr. 36661/07

(Chim und Przywieczerski v. Polen), Rn. 137. Zum Ganzen

auch Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (153). 122 Teilweise wurde das Recht auf den gesetzlichen Richter

am EuGH als bloß objektiver Verfassungssatz gesehen, so

von Grzybek (Fn. 39), S. 85; und Stotz, EuZW 1995, 749.

Diese Ansicht ist, nachdem die GRCh mit dem Vertrag von

Lissabon (ABl. 2007 C 306/01 vom 17.12.2007) Rechtsver-

bindlichkeit erlangt hat (Calliess, in: Calliess/Ruffert

[Fn. 19], Art. 1 GRCh Rn. 1), obsolet. 123 EGMR, Urt. v. 22.6.2000, Beschwerde-Nr. 32492/96 u.a.

(Coëme u.a. v. Belgien), Rn. 98; EGMR, Urt. v. 28.4.2009,

Beschwerde-Nr. 17214/05 u.a. (Savino u.a. v. Italien),

Rn. 94. 124 Siehe auch Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133 (153). 125 Vgl. Kokott/Sobotta, EuGRZ 2013, 465 (469). 126 EGMR, Urt. v. 22.6.2000, Beschwerde-Nr. 32492/96 u.a.

(Coëme u.a. v. Belgien), Rn. 101. Für die Anerkennung eines

allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts zur

Frage einer gerichtsinternen Schutzwirkung des Rechts auf

den gesetzlichen Richter (vor allem aufgrund der überwie-

genden Zahl der Mitgliedstaaten, die ein solches Recht in

ihren nationalen Rechtsordnungen kennen) Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (154, 159); und auch Szczekalla, EuZW

1995, 671 (672). Dagegen Grzybek (Fn. 39), S. 85, der das

Vorliegen eines generellen Rechtsgrundsatzes ablehnt, da

„ein solcher Grundsatz zu seiner Geltung der positiven Fest-

stellung und inhaltlichen Konturierung durch den Gerichts-

hof“ bedürfe, „eine diesbezügliche Rechtsprechung [aber]

bislang ausgeblieben“ sei. Entsprechende Urteile sind jedoch

mittlerweile ergangen, siehe nur EuGH, Urt. v. 13.5.2007 –

C-432/05 (Unibet) = Slg. 2007, I-2271 Rn. 37, in dem der

EuGH erklärt, dass „der Grundsatz des effektiven gerichtli-

chen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung ein

allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist, der sich

aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mit-

gliedstaaten ergibt [und] in den Art. 6 und 13 der EMRK […]

und auch von Art. 47 GRCh bekräftigt worden ist.“

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Thomas Rönnau/Annemarie Hoffmann

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ZIS 7-8/2018

244

bb) Klärung durch den EGMR in der Sache Miracle Europe

KFT/Ungarn (Urt. v. 12.1.2016)127 und das Gutachten der

Venedig-Kommission

Jedenfalls seit dem EGMR-Urteil in der Sache Miracle Euro-

pe KFT ist ein Auslegungsspielraum, der so weit geht, dass

der Gerichtspräsident von Fall zu Fall bestimmt, welcher

Spruchkörper zuständig sein soll, nicht mehr hinnehmbar.

Der EGMR verweist hier insbesondere auf den Bericht der

Venedig-Kommission vom März 2012,128 in dem diese sich

unter anderem zur Gerichtsorganisation in Ungarn äußerte.

Die European Commission for Democracy through Law,

die ihre vierteljährlichen Treffen in Venedig abhält und dem-

entsprechend „Venedig-Kommission“ genannt wird, wurde

1990 durch eine Resolution des Europarats als dessen Ein-

richtung geschaffen.129 Ihr sind 58 Staaten beigetreten, darun-

ter alle Mitgliedstaaten des Europarats sowie weitere Staaten

aus Asien, Amerika und Afrika.130 Jedes Mitgliedsland ent-

sendet einen Experten in die Kommission.131 Die Venedig-

Kommission als Organ des Europarats sui generis132 wird auf

Anfrage133 oder (sofern es sich nicht um Stellungnahmen zu

einzelnen Staaten handelt)134 in Eigeninitiative tätig und

arbeitet Gutachten insbesondere zu Fragen des Verfassungs-

rechts aus.135 Diese rechtlich unverbindlichen Analysen136

nutzt der EGMR als Informationsquelle und zur Orientierung

bei seiner Entscheidungsfindung sowie dazu, seinen Judika-

ten durch eine Bezugnahme auf die Venedig-Kommission

mehr Akzeptanz zu verleihen.137 So hat sich der EGMR auch

in seinem Urteil Miracle Europe KFT/Ungarn vom 12.1.2016

auf das Gutachten der Venedig-Kommission vom 19.3.2012

bezogen, in dem diese sich zum rechtlichen Status und zur

Bezahlung von Richtern sowie zur Gerichtsverwaltung und

-organisation geäußert hat.

127 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn). 128 Opinion on Act CLXII of 2011 on the Legal Status and

Remuneration of Judges and Act CLXI of 2011 on the Or-

ganisation and Administration of Courts in Hungary, online

abrufbar unter http://t1p.de/onle (28.6.2018). 129 Mittlerweile: Revised Statute of the European Commis-

sion for Democracy through Law, Resolution (2002) 3,

adopted by the Committee of Ministers on 21.2.2002 (online

abrufbar unter http://t1p.de/1vgk [28.6.2018]); dazu Hoff-

mann-Riem, in: Bäuerle/Dann/Wallrabenstein (Hrsg.), Demo-

kratie-Perspektiven – Festschrift für Brun-Otto Bryde zum

70. Geburtstag, 2013, S. 595 (597). 130 Vgl. Hoffmann-Riem (Fn. 129), S. 597 f. 131 Art. 2 des Revised Statute. 132 Rülke, Venedig-Kommission und Verfassungsgerichtsbar-

keit, Eine Untersuchung über den Beitrag des Europarates zur

Verfassungsentwicklung in Mittel- und Osteuropa, 2003,

S. 33; Hoffmann-Riem (Fn. 129), S. 598. 133 Siehe hierzu Art. 3 Abs. 2 S. 1 des Revised Statute mit

einer Auflistung der Anfrageberechtigten. 134 Hoffmann-Riem (Fn. 129), S. 598. 135 Art. 1 des Revised Statute. 136 „Soft Law“, vgl. Hoffmann-Riem (Fn. 129), S. 599. 137 Dies betont Hoffmann-Riem (Fn. 129), S. 609.

Die Venedig-Kommission betont darin, dass die Zuwei-

sung von Fällen eine entscheidende Bedeutung für die Unab-

hängigkeit der Gerichte habe.138 Deshalb sei die Verteilung

der Fälle vorab durch Gesetz zu bestimmen.139 Die Richter,

denen bestimmte Fälle anvertraut werden, sollen weder ad

hoc noch ad personam ausgewählt werden, sondern nach

objektiven und transparenten Kriterien.140 Die Möglichkeit

des Gerichtspräsidenten, bestimmte Fälle an einzelne Richter

nach seinem Ermessen zu verteilen, biete die Gefahr des

Machtmissbrauchs, wodurch der Prozess stark beeinflusst

werden könne.141

Der EGMR macht sich die Ausführungen der Venedig-

Kommission zur Relevanz des gesetzlichen Richters zu eigen

und befürwortet damit eine weite Auslegung von Art. 6

Abs. 1 EMRK.142 Das Gericht in Straßburg betont selbst, dass

durch die vorherige Bestimmbarkeit des jeweils entscheiden-

den Richters das Vertrauen in Gerichtsentscheidungen stei-

gen solle. Dementsprechend sei wichtig, dass die Unabhän-

gigkeit der Richter auch nach außen hin sichtbar wird.143

Jeder vernünftige Zweifel an der Neutralität solle ausge-

schlossen werden.144

cc) Zwischenergebnis

Es spricht daher einiges dafür, den Gerichten nur einen sehr

engen Spielraum bei der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK

hinsichtlich der Zuweisung von Fällen einzuräumen. Die

Geschäftsverteilung ohne vorherbestimmte Kriterien, wie sie

derzeit beim EuGH praktiziert wird, steht somit – jedenfalls

nach den deutlichen Ausführungen in der Miracle Europe

KFT/Ungarn-Entscheidung des EGMR und im Bericht der

Venedig-Kommission – nicht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1

EMRK.

138 Mit Verweis auf ihr früheres Gutachten vom 16.3.2010

zur Unabhängigkeit der Gerichtssysteme (Teil 1: Richterliche

Unabhängigkeit); CDL-AD(2010)004 (online abrufbar unter

http://t1p.de/bara [28.6.2018]) sowie auf Standards des Mi-

nisterrats, Recommendation CM(94)12, online abrufbar unter

http://t1p.de/desd (28.6.2018), Rn. 24. 139 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 26. 140 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 26; CDL

AD(2010)004, Rn. 77. 141 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 26; CDL

AD(2010)004, Rn. 79. 142 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 45 ff. 143 „Justice must not only be done, it must also be seen to be

done“, vgl. EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-

Nr. 57774/13 (Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 53. 144 EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13

(Miracle Europe KFT v. Ungarn), Rn. 54; Urt. v. 24.2.1993,

Beschwerde-Nr. 14396/88 (Fey v. Österreich), Rn. 28, 30;

Urt. v. 21.12.2000, Beschwerde-Nr. 33958/96 (Wettstein v.

Schweiz), Rn. 42.

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Dieser Hintergrund legt es nahe, in der Zuweisungspraxis

am EuGH einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh

(über Art. 6 Abs. 1 EMRK) zu sehen. Zwar ist die EU nicht

der EMRK beigetreten145 – weshalb eingewandt werden

könnte, dass die Garantien der EMRK nicht für die Unions-

gerichtsbarkeit gelten. Art. 52 Abs. 3 GRCh lässt sich jedoch

entnehmen, dass – im Falle einer Entsprechung der Grund-

rechte in der Charta mit den Garantien in der EMRK – die

Bedeutung und Tragweite der Gewährleistungen dieselbe

sein soll.146 Der fehlende Beitritt zur EMRK kann die Miss-

achtung des Prinzips deshalb nicht rechtfertigen.

b) Fehlende Rügemöglichkeit …

Es stellt sich allerdings die Frage, wie die materiell gegen

Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh verstoßende Gerichtsbesetzung

beim EuGH prozessual gerügt werden kann.

aa) … vor einem weiteren Unionsgericht

Eine Rügemöglichkeit der Nichtbeachtung des Prinzips auf

den gesetzlichen Richter nach Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh

(i.V.m. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) vor einem weiteren Uni-

onsgericht besteht nicht. Der EuGH entscheidet den einzel-

nen Fall letztinstanzlich.147

bb) … vor dem EGMR mangels Beitritts zur EMRK

Die EU hat im Jahr 2014 den Beitritt zur EMRK verwei-

gert;148 somit unterfällt sie selbst nicht der Rechtsprechungs-

gewalt des EGMR. Zwar ist eine indirekte Kontrolle der

EuGH-Rechtsprechung durch den EGMR möglich. Auslöser

hierfür muss jedoch stets das Handeln eines EMRK-

Mitgliedstaates sein.149 Denkbar ist eine solche inzidente

Überprüfung dementsprechend allenfalls in der Konstellation,

in der ein Rechtsschutzbegehren vor einem nationalen Ge-

richt aufgrund einer zuvor ergangenen Entscheidung des

(ohne Geschäftsverteilungsplan besetzten) EuGH erfolglos

bleibt. Sodann könnte der Rechtsuchende eine Individualbe-

145 Gutachten 2/13 des Gerichtshofs vom 18.12.2014, online

abrufbar unter http://t1p.de/fqw8 (13.7.2018), das trotz be-

fürwortender Stellungnahme der Generalanwältin Kokott

vom 13.6.2014 (EuGRZ 2015, 30) ergangen ist. Im Schrift-

tum wurde das Gutachten des EuGH überwiegend kritisiert

(siehe hierzu nur Kingreen, in: Calliess/Ruffert [Fn. 19],

Art. 6 EUV Rn. 32 m.w.N.). 146 Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh soll „die notwendige Kohärenz

zwischen der Charta und der EMRK“ sicherstellen, vgl. Er-

läuterungen des Grundrechtekonvents (Fn. 110), S. 48. 147 Art. 280 AEUV i.V.m. Art. 299 AEUV (vgl. hierzu bereits

in Fn. 18). Der EuGH kann allerdings immer wieder neu

angerufen werden. Die EU-Organe sind hingegen selbst an

die Grundrechte gebunden, worauf Kraus ([Fn. 113], Kap. 3

Rn. 82) zutreffend hinweist. Eine „Unions-Grundrechts-

beschwerde“ gibt es nicht (vgl. auch Rn. 129). 148 Gutachten 2/13 des Gerichtshofs vom 18.12.2014

(Fn. 145). 149 Athen/Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 19), Art. 344

AEUV Rn. 42.

schwerde (gegen den betreffenden Mitgliedstaat der EMRK)

zum EGMR erheben, der daraufhin die auf Unionsrecht ba-

sierende (nationale) Maßnahme prüft. Allerdings besteht laut

EGMR zunächst eine Vermutung für die Vereinbarkeit von

Maßnahmen, die auf der Grundlage von Unionsrecht ergan-

gen sind. Konkret wird angenommen, dass das Unionsrecht

einen der EMRK gleichwertigen bzw. jedenfalls vergleichba-

ren Grundrechtsschutz gewährleiste.150 Diese Vermutung

kann nur widerlegt werden, wenn der Grundrechtsschutz

„offensichtlich unzureichend“ ist.151 Nach der expliziten

Beitrittsverweigerung der EU zur EMRK hat der EGMR

seine Rechtsprechung bestätigt und nuanciert: Es sei stets

ernsthaft und intensiv zu prüfen, ob die besagte Vermutung

widerlegbar ist.152 Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern der

EGMR in Zukunft von dieser Rechtsprechung speziell in

Bezug auf das Prinzip des gesetzlichen Richters am EuGH

Gebrauch machen wird. Die zugunsten der Unionsrechtsord-

nung ausgesprochene Vermutung der Konventionskonformi-

tät wird jedoch nur schwer zu widerlegen sein.153

cc) … vor dem BVerfG

Der deutsche Rechtsuchende könnte zudem versuchen, die

aktuelle Geschäftsverteilungspraxis am EuGH vom BVerfG

überprüfen und (im besten Falle) für unanwendbar erklären

zu lassen. Notwendiger Beschwerdegegenstand ist dafür ein

Akt deutscher öffentlicher Gewalt i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a

GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG, der vom Beschwerdeführer ge-

rügt werden kann. Ein Urteil des EuGH als (Rechtspre-

chungs-)Organ der EU kann als Vorfrage Gegenstand der

Prüfung durch das BVerfG sein, soweit dessen Entscheidung

die Grundlage für das Urteil eines deutschen Gerichts bil-

det.154

Das BVerfG nimmt eine solche – indirekte – Kontrolle

nur ausnahmsweise vor. Die Richter in Karlsruhe haben in

ihrer bisherigen Rechtsprechung verschiedene Situationen

formuliert, in denen sie einen EU-Rechtsakt für unanwendbar

erklären können.155 Ein Ausnahmetatbestand ist danach gege-

150 Vgl. EGMR, Urt. v. 30.6.2005, Beschwerde-Nr. 45046/98

(Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi

v. Irland), Rn. 155. 151 EGMR, Urt. v. 30.6.2005, Beschwerde-Nr. 45046/98

(Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi

v. Irland), Rn. 156. 152 EGMR, Urt. v. 23.5.2016, Beschwerde-Nr. 17502/07

(Avotins v. Lettland), Rn. 116. 153 Hierauf weist Bröhmer (EuZW 2006, 71) zutreffend hin. 154 So (abstrakt) BVerfGE 132, 123 Rn. 97 ff. 155 Das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation muss der

Antragsteller substantiiert darlegen (vgl. für Viele Rönnau/

Wegner, GA 2010, 561 [578]). Eine vertiefte Auseinander-

setzung mit den Grenzen des Einflusses europäischen Rechts

auf das nationale Strafrecht würde den Rahmen des Beitrages

übersteigen, deshalb sollen hier nur dessen Grundzüge grob

angedeutet werden. Ausführlich dazu Rönnau/Wegner, GA

2010, 561 (578 ff.). Überblick zur Rechtsprechung hinsicht-

lich der Prüfung von Unionsrechtsakten bei Moench/Ruttloff,

in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des

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Thomas Rönnau/Annemarie Hoffmann

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ZIS 7-8/2018

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ben, wenn 1. der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene

unter das von Art. 23 Abs. 1 GG vorausgesetzte Niveau her-

absinkt,156 2. wenn der EU-Hoheitsakt im unübertragbaren

Kompetenzbereich der Verfassungsidentität der Bundesre-

publik Deutschland (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und Art. 20

GG) liegt157 oder wenn es sich 3. um einen ultra-vires-Akt,

d.h. einen Rechtsakt handelt, der in evidenter Weise gegen

das Kompetenzgefüge der EU verstößt und „hinreichend

qualifiziert“ ist.158

Das BVerfG geht bisher bei der Annahme der Ausnahme-

tatbestände äußerst zögerlich vor und hat die Prüfungskompe-

tenz, die es sich selbst gegeben hat, noch nie ausgeübt.159

Dementsprechend kann (vorbehaltlich näherer Prüfung) nicht

angenommen werden, dass ein Rechtsuchender Erfolg hätte,

der sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG

richtet, nachdem ein für ihn nachteiliges Urteil des EuGH

ergangen ist.160

IV. Fazit und Anregungen de lege ferenda

Die aktuelle Geschäftsverteilungspraxis am EuGH steht ma-

teriell nicht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh; dies

kann auf prozessualer Ebene jedoch (wohl) nicht gerügt wer-

den. Fest steht, dass hier dringend nachgebessert werden

muss. Einzig bleibt zu klären, welche Detailschärfe die vom

EGMR formulierten Grundsätze im Anwendungskontext des

EuGH aufweisen müssen, um den hinter dem Recht auf den

gesetzlichen Richter stehenden Grundgedanken gerecht zu

werden.

Mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter soll jeglicher

Gefahr von Willkür und Manipulation bei der Auswahl der

zuständigen Richter bereits von vornherein entgegengewirkt

Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014,

§ 36 Rn. 6 ff. 156 BVerfGE 73, 339 – „Solange II“; bestätigt in BVerfGE

102, 147 – „Bananenmarkt“ (auch dazu Rönnau/Wegner, GA

2010, 561 [578]). 157 BVerfG NJW 2012, 3145 (3148); Rönnau/Wegner, GA

2010, 561 (578 m.w.N.); hierzu können nach den Ausführun-

gen des BVerfG zum Vertrag von Lissabon auch verschiede-

ne Aspekte des Strafrechts gehören (BVerfGE 123, 267

[286]). 158 BVerfGE 89, 155 (188, 210 – „Maastricht“). Der Kompe-

tenzverstoß ist hinreichend qualifiziert, wenn „das kompe-

tenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und

der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mit-

gliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der be-

grenzten Einzelermächtigung und die rechtstaatliche Geset-

zesbindung erheblich ins Gewicht fällt“ (näher BVerfGE 126,

286 [304 f. – „Honeywell“]). 159 Im Rahmen der ultra-vires-Kontrolle räumt das BVerfG

dem EuGH sogar ausdrücklich einen „Anspruch auf Fehlerto-

leranz“ ein, vgl. BVerfGE 126, 286 (Rn. 59, 55 – „Ho-

neywell“); krit. hierzu Selder, ZRP 2011, 164. 160 Zu den (hier ebenfalls nicht einschlägigen) Besonderhei-

ten, die sich für die Prüfung durch das BVerfG ergeben,

wenn die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen ist,

siehe BVerfGE 140, 317.

werden, sodass „das Misstrauen keine Angriffspunkte fin-

det“161 und das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte

bzw. der einzelnen Richter geschützt wird.162 Nur ein Ge-

schäftsverteilungsplan als „Verteilungsautomat“ ohne jegli-

chen Einfluss von menschlichen Entscheidungen kann die

Unabhängigkeit von subjektiven Einflüssen gewährleisten

und hierdurch belastbares Vertrauen herbeiführen.163 Die

bloße Möglichkeit, plausible Einwände gegen die Neutralität

der inneren Geschäftsverteilung formulieren zu können, ist

„nicht erträglich“.164 Bei jeglicher (auch ungewollter) tatsäch-

licher Unregelmäßigkeit in der Besetzung der Richterbank

würde der EuGH an Vertrauen und die EU letztlich insgesamt

an Zustimmung verlieren. Insbesondere aufgrund der Tatsa-

che, dass die Vorgänge in der EU bzw. die Entscheidungen

des EuGH für den Einzelnen immer noch schwer greifbar

sind, ist dessen Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Rechts-

sprüche wichtig. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt,

dass die Entscheidungen der Richter in Luxemburg aufgrund

der unionsweiten Geltung qualitativ und mittlerweile auch

quantitativ besonders bedeutsam sind. Aus diesem Grund

wäre es auch verfehlt, das Recht auf den gesetzlichen Richter

dort mit Blick auf die teilweise bloß mittelbare Wirkung

vieler Entscheidungen auf den einzelnen Bürger nicht zu

thematisieren. Deshalb täte der EuGH – auch im eigenen

Interesse – gut daran, klare Zuteilungsvorschriften zu schaf-

161 Quack, BB 1992, 1; zudem BVerfGE 95, 322 (327): Es

soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Justiz durch eine

Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden

Einflüssen ausgesetzt wird. So schließlich auch der EGMR

(vgl. Urt. v. 12.1.2016, Beschwerde-Nr. 57774/13 [Miracle

Europe KFT v. Ungarn], Rn. 26) mit Verweis auf das Gut-

achten der Venedig-Kommission (Fn. 128). Diesem Gedan-

ken folgend sind auch die Befangenheitsvorschriften, die vor

allem im englischen System zur ausreichenden Sicherung der

Vermeidung manipulativer Eingriffe vorgebracht werden, als

ungenügend anzusehen. Befangenheitsvorschriften können

erst herangezogen werden, wenn ein Manipulationsverdacht

im Raum steht und vom Rechtsuchenden erkannt und gerügt

wird. Mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter soll jedoch

im Vorhinein jegliche Manipulation vermieden werden. An-

ders Stotz (EuZW 1995, 749), für den ein unsachgemäßer

Einfluss des Vorsitzenden bei Bestimmung der Mitglieder

seines Spruchkörpers ebenso fernliegt wie die Vorstellung,

dass ein Richter einen Rechtsstreit manipuliert. Deshalb solle

das „Vertrauen in die Justiz, deren Unabhängigkeit jede nati-

onale wie auch die EG-Rechtsordnung garantiert“, nicht in

Frage gestellt werden. Begründet wird dies – zirkelschlüssig

– damit, dass das Prinzip des gesetzlichen Richters im engen

Zusammenhang mit dem grundlegenden Erfordernis der

Unabhängigkeit und damit der Unparteilichkeit jedes Rich-

ters gesehen werde. 162 Vgl. für viele Hausch, NVwZ 2015, 1695 (1698). 163 Siehe auch Theile (Fn. 10), S. 902 ff., der die Unverzicht-

barkeit des Prinzips auf den gesetzlichen Richter im Rechts-

staat betont. 164 Quack, BB 1992, 1; so auch Puttler, EuR 2008 (Beiheft

3), 133 (161).

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247

fen, bei deren Einhaltung er sich gegen Vorwürfe im Hin-

blick auf seine Neutralität immun macht.165

Mit Blick auf die „Menschlichkeit“, die jeder richterli-

chen Entscheidung innewohnt, ist auch dem oftmals vorge-

brachten Argument der „Gleichheit aller Richter“166 entge-

genzutreten. So wird etwa bei der Auslegung von unbestimm-

ten Rechtsbegriffen jeder Richter seine persönlichen Erfah-

rungen und Werte (wenn auch unbewusst) mit einfließen

lassen. Hinzu kommt, dass die 28 Richter am EuGH aus

verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Sprachen und

Kulturen stammen. Auch wenn die EU de jure eine Werte-

gemeinschaft ist, verstehen verschiedene Richter(-personen)

unterschiedlicher Nationalitäten diese Begriffe unterschied-

lich und legen sie damit ggf. auch in voneinander abweichen-

der Weise aus.167

Ein Standardargument gegen die Einführung eines Ge-

schäftsverteilungsplans speist sich aus Effizienzerwägungen,

da angesichts der starken Belastungen des EuGH eine gewis-

se Flexibilität in der Fallbearbeitung durch die Kammern

möglich sein muss.168 Der Einwand lässt sich isoliert betrach-

tet hören, vermag aber den Mangel an notwendiger Transpa-

renz nicht zu rechtfertigen.169 Der hohen Zahl an Verfahren

muss der EuGH auf andere Weise begegnen.

Um zukünftig nach vorherbestimmten und unbeeinfluss-

baren Kriterien die einzelnen Fälle auf die Spruchkörper zu

verteilen, ließe sich eine neue Zuweisungspraxis in zweierlei

Weise herbeiführen, die beide von der Venedig-Kommission

165 In diese Richtung argumentiert auch Puttler, EuR 2008

(Beiheft 3), 133 (160 f.): Das Erfordernis der Übersichtlich-

keit und Transparenz der Verfahren für die Akzeptanz der

(Gemeinschafts-)Gerichtsbarkeit gelte umso mehr, je ausdif-

ferenzierter diese werde und je weiter die Entscheidungen der

Gerichte auf kleine Gerichtseinheiten – insbesondere Dreier-

Kammern und Einzelrichter – übertragen werden. 166 „Richter gleich Richter“ (dazu die Nachweise in Fn. 84).

Dagegen ebenfalls Szczekalla (EuZW 1995, 671 [672]), der

feststellt, dass es beim Prinzip des gesetzlichen Richters

weder um Kenntnisstand noch um Ethos gehe (wie ein frühe-

rer Präsident des EuGH dies vertreten hatte; hierzu Kissel, JZ

1994, 1178; Stotz, EuZW 1995, 749). 167 In diese Richtung (mit Bezug zum nationalen Recht)

Sowada (Fn. 7), S. 96 ff., der treffend darauf hinweist, dass

aus der Gleichwertigkeit aller Richter (de jure) nicht auf

deren Gleichartigkeit (de facto) geschlossen werden kann. 168 Vgl. im Hinblick auf die Flexibilität bei Verfahrenskon-

kurrenzen zwischen verschiedenen Spruchkörpern Dauses/

Henkel, EuZW 1999, 325 (326 m. Fn. 22); Jung, EuR 1980,

372 (378); Haase (Fn. 21), S. 305 f. („Sicherung der Leis-

tungsfähigkeit der Justiz“). 169 Vgl. auch Theile (Fn. 10), S. 902 ff., der davor warnt, dass

das Prinzip des gesetzlichen Richters aufgrund des Strebens

nach Effizienzmaximierung aus den Augen verloren wird.

Das auch nach Theile unverzichtbare Prinzip des gesetzlichen

Richters gebiete es, jeden Flexibilisierungsansatz an dieser

Verfassungsgarantie zu messen.

auch schon vorgezeichnet worden sind.170 Denkbar ist ein-

mal, die Fälle nach dem Rotationsverfahren auf die einzelnen

Kammern zu verteilen. Zudem wäre die Bildung von Spezi-

alkammern möglich.171 Der Vorteil des zuletzt genannten

Weges läge in einer Steigerung der Effektivität der Rechts-

findung am EuGH. Denn die Richter in den jeweiligen

Kammern würden zu Spezialisten in ihrem Bereich und

könnten sich schneller in die Fälle einarbeiten. Bei einer

Verteilung der aktuell 28 Richter auf die verschiedenen Spe-

zialkammern wäre allerdings nicht mehr sichergestellt, dass

jeder Mitgliedstaat sein nationales Rechtsverständnis einbrin-

gen kann.172 Auch wäre der Gewinn der Effektivität (durch

Spezialisierung) sofort wieder aufgehoben, wenn wegen

angestrebter Repräsentanz aller Nationen die einzurichtenden

Spezialkammern mit jeweils 28 Richtern zu besetzen wären.

Zeitnahe Sachentscheidungen wären nach diesem Modell

kaum mehr möglich.173

Vorzugswürdig erscheint deshalb – da einfacher und vor

allem kurzfristiger umsetzbar – die Zuweisung der Rechtssa-

chen im Rotationsprinzip nach deren Eingangszeitpunkt (und

die anschließende Ernennung eines Berichterstatters aus der

jeweiligen Kammer). Dieses Prinzip wäre mithilfe eines in

der Verfahrensordnung des EuGH zu verankernden Ge-

schäftsverteilungsplans umzusetzen.174 Die hierdurch ge-

170 Nachweise dazu in EGMR, Urt. v. 12.1.2016, Beschwer-

de-Nr. 57774/13 (Miracle Europe KFT v. Ungarn), § 26. 171 Für letztere Möglichkeit plädieren auch Jacobs/Münder/

Richter (Fn. 16), S. 90. Puttler, EuR 2008 (Beiheft 3), 133

(158), fordert, dass – ähnlich wie beim EuG – der Kammer-

präsident ein bloßes Vorschlagsrecht hinsichtlich des Be-

richterstatters haben sollte. Falls hingegen der Präsident wei-

terhin den Berichterstatter ernennen können soll, seien hierfür

genaue Kriterien nötig, um das Ermessen des Präsidenten

möglichst zu begrenzen. 172 Nach Jacobs/Münder/Richter (Fn. 16), S. 88 f., stellt dies

kein überzeugendes Gegenargument dar, da auch aktuell

zumeist Kammern mit drei oder fünf Richtern entscheiden.

Hierbei wird aber übersehen, dass aktuell jedenfalls theore-

tisch jeder der 28 Richter einen Fall jeder Materie bearbeiten

kann. Nach Errichtung einer Spezialkammer hingegen wäre

es für Mitgliedstaaten, deren Richter nicht diesem Spruch-

körper angehört, je nach Regelung ggf. auf längere Zeit aus-

geschlossen, ihr nationales Rechtsverständnis in die jeweilige

Sach- bzw. Rechtsmaterie einzubringen. 173 Ähnlich Alber (Fn. 9), Art. 47 Rn. 127. 174 Für eine vorherige Veröffentlichung der Geschäftsvertei-

lungspläne plädieren aus rechtspolitischen Gründen Wegener

(Fn. 19), Art. 251 AEUV Rn. 6; Kotzur, in: Geiger/

Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, 6. Aufl.

2017, Art. 251 AEUV Rn. 7; Ehlers/Schoch (Fn. 19), § 6

Rn. 22 (mit Verweis auf das EuG, an dem vorherbestimmte

Geschäftsverteilungspläne üblich sind); und vorsichtig Alber

(Fn. 9), Art. 47 Rn. 127 („rollierende Systeme nach Ein-

gangsdatum [sind] schon sinnvoll“); sowie Schwarze (Fn. 9),

Art. 251 AEUV Rn. 6 („rechtspolitisch mag es wünschens-

wert sein“), nach dem aber schon die aktuelle Geschäftsver-

teilungspraxis rechtsstaatlichen Ansprüchen standhalte.

Page 16: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“: Das Prinzip des …zis-online.com/dat/artikel/2018_7-8_1212.pdf · 2018. 7. 18. · Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik

Thomas Rönnau/Annemarie Hoffmann

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ZIS 7-8/2018

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wahrte Form ermöglicht die notwendige Vorhersehbarkeit

und Transparenz175 und führt damit zum – gerade im kom-

plexen Gefüge der EU – so wichtigen Vertrauen in die

rechtmäßige Entscheidungsfindung.

175 Theile (Fn. 10), S. 905, geht noch einen Schritt weiter und

erklärt, dass selbst die Transparenz kein „funktionales Äqui-

valent“ für das dem Recht auf den gesetzlichen Richter inhä-

renten Willkürverbot darstelle. Die anschließende Begrün-

dung und Dokumentation einer willkürlichen Entscheidung

nehme dieser nichts von ihrer Willkür.