Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente · Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am...

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Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am Beispiel von Grab 298 des Gräberfeldes von Frohsdorf, NÖ - Archäologischer Kontext und Interpretation - Gabriele Scharrer-Liška* – Anne-Kathrin Klatz** *VIAS, Univ. Wien, **freiberufliche Restauratorin, Steiermark Fundort und Fundgeschichte Das awarische Gräberfeld von Frohsdorf (VB Wr. Neustadt) im südlichen Wiener Becken erstreckt sich über eine Fläche von ca. 4000 m², in der etwa 600 Körpergräber zu erwarten sind. Derzeit ist ungefähr die Hälfte des Gräberfeldes ausgegraben. Die bisherigen Befunde sind hauptsächlich in das 8. Jh. bis in das frühe 9. Jh. zu datieren Der archäologische Befund von Grab 298 Grab 298 war 2,50 m lang, 0,80 m breit, 1,90 m tief und enthielt eine NW-SO orientierte Bestattung eines ca. 30- 40 Jahre alten Mannes in einem Holzsarg. In der Ostecke der Grabgrube, direkt auf dem Sarg war ein Hund deponiert. Das Skelett des Bestatteten befand sich in gestreckter Rückenlage, die Arme lagen parallel zum Oberkörper. Der Tote war unter anderem mit bronzenen Fingerringen, Pfeilspitzen (vermutlich in einem Köcher), einer vielteiligen, gegossenen Gürtelgarnitur mit Greifenmotiv und Speisebeigaben in Form von Geflügel und Eiern ausgestattet. Aufgrund der Grabausstattung kann die Bestattung in die Periode SPA III datiert werden. Im Beckenbereich bzw. Bereich der Gürtelgarnitur waren Textil- und Lederfragmente in größerem Umfang erhalten. Um ein Maximum an Informationen zu gewinnen, wurde der Beckenbereich im Block geborgen und in der Restaurierungswerkstatt dokumentiert. Zum Forschungsstand awarenzeitlicher Textil- und Lederfragmente Aus Ungarn, der Slowakei und Österreich liegen bisher ca. 60000 awarische Grabinventare vor. Vielfach finden sich darin Textil- und/oder Lederfragmente. Aufgrund des oft sehr schlechten Erhaltungszustandes dieser organischen Funde ging deren Auswertung über die Feststellung ihrer Existenz bisher kaum hinaus. Eine systematische Aufarbeitung dieser Funde oder gar ihre Publikationen ist weitgehend ausständig. Sofern Analysen von Textilfragmenten aus awarenzeitlichen Gräbern vorliegen, beschränken sie sich vorwiegend auf die Bestimmung der Gewebeart, selten auch der Faserart. Die Ergebnisse dieser wenigen Untersuchungen zeigen Gewebe in Leinwandbindung und mehrheitlich die Verwendung pflanzlicher Fasern. Der Forschungsstand zu awarenzeitlichen Lederfragmenten ist noch schlechter als jener zu Textilfragmenten und es liegen keine Publikationen vor. Sowohl im Falle von Textil- wie auch Lederfragmenten stellt sich die Frage nach Rohmaterial und Verarbeitung sowie deren Funktion. Textilfragmente aus Grab 298 in Frohsdorf Die Textilfragmente liegen in unterschiedlichen Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. An diesen Zustandstypen wurden Fadendichte, -drehung und -stärke sowie die Webart bestimmt. Dies sind die Kriterien für die Definition von Textiltypen. In Grab 298 konnten vier Textiltypen je zwei Leinwandgewebe und Köpergewebe in je einer feineren und gröberen Ausführung – festgestellt werden. Dabei fällt auf, dass feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) sehr häufig und als körpernahe Textillage, direkt auf dem Knochen bzw. an der Beschlagunterseite vorkommen. Gröbere Leinwandgewebe (Textiltyp 3) kommen deutlich seltener vor und haften – soweit bestimmbar – an der Schauseite von Beschlägen an. Zudem ließ sich mehrfach eine Kombination vom Textiltyp 3 mit Laub beobachten. (Eine mögliche Interpretation der Fundsituation ist, dass der Tote innerhalb des Sarges auf einer Laubschicht lag.) Hinsichtlich des feinen (Textiltyp 2) und groben (Textiltyp 4) Köpers ist zu bemerken, dass Textiltyp 4 ebenfalls als an der Schauseite von Beschlägen anhaftend beobachtet wurde. Es konnte bei einer Probe des Textiltyps 3 der Farbstoff Alizarin als roter Farbstoff ermittelt werden. Weiter wurde festgestellt, dass alle untersuchten Textilien (Proben von Textiltyp 1, 2 und 3) aus pflanzlichen Fasern hergestellt wurden. Bei Textiltyp 3 konnten diese noch eingeschränkt werden, es handelt sich um Leinen bzw. Hanffasern. (Flachs??) Ausblick Die Analyseergebnisse organischer Fragmente aus Grab 298 in Frohsdorf zeigen das Potential und damit die Notwendigkeit von Untersuchungen von Leder- und Textilfragmenten. Die systematische Aufarbeitung vorhandener Funde sowie besonderes Augenmerk darauf im Rahmen neuer Grabungen lassen nähere Aufschlüsse zu awarenzeitlicher Kleidung – ein Thema, das bislang wenig beachtet wurde erwarten. Darüber hinaus scheinen Erkenntnissen zu Bestattungsritualen möglich. Ist die Laubschicht, auf der der Tote lag Zufall oder Absicht? Weitere Befunde und Funde werden dazu möglicherweise Aufschlüsse liefern. Lederfragmente aus Grab 298 in Frohsdorf Wie die Textilreste liegt auch Leder in verschiedenen (allgemein eher schlecht erhaltenen) Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. Es ließen sich dennoch einige vage Hinweise auf die Tierart Rind, bzw. Kuh oder Kalb machen. Manchmal lassen sich Hinweise zur ursprünglichen Form des Leders feststellen. So sind z.B. Ränder und/oder parallel dazu verlaufenden Lochreihen erkennbar. In diesen Fällen handelt es sich höchstwahrscheinlich um Lederriemen des Gürtels. Fragment von Rindleder Auswahl an Gürtelgarniturbestandteilen: Vorder- und Rückseite der Hauptriemenzunge, Scharnierbeschlag, Nebenriemenzunge und Nebenriemenbeschlag (im Uhrzeigersinn, ohne Maßstab, Restaurierung: Norbert Hofer und Stefan Neuhuber, Inst. f. Ur- und Frühgeschichte, Univ. Wien) Darstellung eines awarischen Kriegers auf einem Gefäß aus dem Schatz von Nagyszentmiklós Abbildungstext: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Zur Rekonstruktion awarischer Kleidung können Schriftquellen, ikonographische und archäologische Quellen herangezogen werden. Die ersten beiden sind selten und verfolgen bestimmte Intentionen. Die wenigen bildlichen Darstellungen (Schatz von Nagyszentmiklós, RO; Mantelschließe von Mödling, NÖ) von Awaren zeigen Krieger, die Hosen, Wadenbinden und hüft- bis knielange, kaftanartige Jacken tragen. Insgesamt weisen diese Darstellungen auf eine mehrlagige Kleidung hin. Hinweise auf diese Mehrlagigkeit der Kleidung ergeben sich auch aus archäologischen Funden. So liegen im Fall von Grab 298 in Frohsdorf grobe Gewebe in Leinwandbindung (Textiltyp 3) meist direkt an der Schauseite der Gürtelbeschläge auf, was für eine Interpretation als Obergewand spricht (auch wenn eine Deutung als Leichentuch nicht völlig auszuschließen ist). Weitaus häufiger auftretende feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) finden sich hingegen in der Regel an der Unterseite der Beschläge bzw. direkt am Knochen aufliegend, was eine Interpretation als Untergewand erlaubt. Beispiel für Textiltyp 1 (feines Leinwand gewebe) Beispiel für Textiltyp 2 (feiner Köper) Beispiel für Textiltyp 3 (grobes Leinwandgewebe) Beispiel für Textiltyp 4 (grober Köper) Ränder von Lederriemen mit Lochreihen Genordetes Orthofoto der Bestattung in Grab 298 Genordetes Orthofoto des Beckenbereichs in Grab 298

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Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmenteam Beispiel von Grab 298 des Gräberfeldes von Frohsdorf, NÖ

- Archäologischer Kontext und Interpretation -Gabriele Scharrer-Liška* – Anne-Kathrin Klatz**

*VIAS, Univ. Wien, **freiberufliche Restauratorin, Steiermark

Fundort und FundgeschichteDas awarische Gräberfeld von Frohsdorf (VB Wr. Neustadt) im südlichen Wiener Becken erstreckt sich über eine Fläche von ca. 4000 m², in der etwa 600 Körpergräber zu erwarten sind. Derzeit ist ungefähr die Hälfte des Gräberfeldes ausgegraben. Die bisherigen Befunde sind hauptsächlich in das 8. Jh. bis in das frühe 9. Jh. zu datieren

Der archäologische Befund von Grab 298Grab 298 war 2,50 m lang, 0,80 m breit, 1,90 m tief und enthielt eine NW-SO orientierte Bestattung eines ca. 30-40 Jahre alten Mannes in einem Holzsarg. In der Ostecke der Grabgrube, direkt auf dem Sarg war ein Hund deponiert. Das Skelett des Bestatteten befand sich in gestreckter Rückenlage, die Arme lagen parallel zum Oberkörper. Der Tote war unter anderem mit bronzenen Fingerringen, Pfeilspitzen (vermutlich in einem Köcher), einer vielteiligen, gegossenen Gürtelgarnitur mit Greifenmotiv und Speisebeigaben in Form von Geflügel und Eiern ausgestattet. Aufgrund der Grabausstattung kann die Bestattung in die Periode SPA III datiert werden. Im Beckenbereich bzw. Bereich der Gürtelgarnitur waren Textil- und Lederfragmente in größerem Umfang erhalten. Um ein Maximum an Informationen zu gewinnen, wurde der Beckenbereich im Block geborgen und in der Restaurierungswerkstatt dokumentiert.

Zum Forschungsstand awarenzeitlicher Textil- und Lederfragmente Aus Ungarn, der Slowakei und Österreich liegen bisher ca. 60000 awarische Grabinventare vor. Vielfach finden sich darin Textil- und/oder Lederfragmente. Aufgrund des oft sehr schlechten Erhaltungszustandes dieser organischen Funde ging deren Auswertung über die Feststellung ihrer Existenz bisher kaum hinaus. Eine systematische Aufarbeitung dieser Funde oder gar ihre Publikationen ist weitgehend ausständig. Sofern Analysen von Textilfragmenten aus awarenzeitlichen Gräbern vorliegen, beschränken sie sich vorwiegend auf die Bestimmung der Gewebeart, selten auch der Faserart. Die Ergebnisse dieser wenigen Untersuchungen zeigen Gewebe in Leinwandbindung und mehrheitlich die Verwendung pflanzlicher Fasern.Der Forschungsstand zu awarenzeitlichen Lederfragmenten ist noch schlechter als jener zu Textilfragmenten und es liegen keine Publikationen vor.Sowohl im Falle von Textil- wie auch Lederfragmenten stellt sich die Frage nach Rohmaterial und Verarbeitung sowie deren Funktion.

Textilfragmente aus Grab 298 in FrohsdorfDie Textilfragmente liegen in unterschiedlichen Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. An diesen Zustandstypen wurden Fadendichte, -drehung und -stärke sowie die Webartbestimmt. Dies sind die Kriterien für die Definition vonTextiltypen. In Grab 298 konnten vier Textiltypen – je zweiLeinwandgewebe und Köpergewebe in je einer feinerenund gröberen Ausführung – festgestellt werden. Dabeifällt auf, dass feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) sehr häufig und als körpernahe Textillage, direkt auf dem Knochen bzw. an der Beschlagunterseite vorkommen. Gröbere Leinwandgewebe (Textiltyp 3) kommen deutlich seltener vor und haften – soweit bestimmbar – an der Schauseite von Beschlägen an. Zudem ließ sich mehrfach eine Kombination vom Textiltyp 3 mit Laub beobachten. (Eine mögliche Interpretation der Fundsituation ist, dass der Tote innerhalb des Sarges auf einer Laubschicht lag.) Hinsichtlich des feinen (Textiltyp 2) und groben (Textiltyp 4) Köpers ist zu bemerken, dass Textiltyp 4 ebenfalls als an der Schauseite von Beschlägen anhaftend beobachtet wurde.Es konnte bei einer Probe des Textiltyps 3 der Farbstoff Alizarin als roter Farbstoff ermittelt werden. Weiter wurde festgestellt, dass alle untersuchten Textilien (Proben von Textiltyp 1, 2 und 3) aus pflanzlichen Fasern hergestellt wurden. Bei Textiltyp 3 konnten diese noch eingeschränkt werden, es handelt sich um Leinen bzw. Hanffasern. (Flachs??)

AusblickDie Analyseergebnisse organischer Fragmente aus Grab 298 in Frohsdorf zeigen das Potential und damit die Notwendigkeit von Untersuchungen von Leder-und Textilfragmenten. Die systematische Aufarbeitung vorhandener Funde sowie besonderes Augenmerk darauf im Rahmen neuer Grabungen lassen nähere Aufschlüsse zu awarenzeitlicher Kleidung –ein Thema, das bislang wenig beachtet wurde –erwarten. Darüber hinaus scheinen Erkenntnissen zu Bestattungsritualen möglich. Ist die Laubschicht, auf der der Tote lag Zufall oder Absicht? Weitere Befunde und Funde werden dazu möglicherweise Aufschlüsse liefern.

Lederfragmente aus Grab 298 in FrohsdorfWie die Textilreste liegt auch Leder in verschiedenen (allgemein eher schlecht erhaltenen) Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. Es ließen sich dennoch einige vage Hinweise auf die Tierart Rind, bzw. Kuh oder Kalb machen. Manchmal lassen sich Hinweise zur ursprünglichen Form des Leders feststellen. So sind z.B. Ränder und/oder parallel dazu verlaufenden Lochreihen erkennbar. In diesen Fällen handelt es sich höchstwahrscheinlich um Lederriemen des Gürtels.

Fragment von Rindleder

Auswahl an Gürtelgarniturbestandteilen: Vorder- und Rückseite der Hauptriemenzunge, Scharnierbeschlag, Nebenriemenzunge und Nebenriemenbeschlag (im Uhrzeigersinn, ohne Maßstab, Restaurierung: Norbert Hofer und Stefan Neuhuber, Inst. f. Ur- und Frühgeschichte, Univ. Wien)

Darstellung eines awarischen Kriegers auf einem Gefäß aus dem Schatz von Nagyszentmiklós

Abbildungstext: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

Zur Rekonstruktion awarischer Kleidungkönnen Schriftquellen, ikonographische und archäologische Quellen herangezogen werden. Die ersten beiden sind selten und verfolgen bestimmte Intentionen. Die wenigen bildlichen Darstellungen (Schatz von Nagyszentmiklós, RO; Mantelschließe von Mödling, NÖ) von Awaren zeigen Krieger, die Hosen, Wadenbinden und hüft- bis knielange, kaftanartige Jacken tragen. Insgesamt weisen diese Darstellungen auf eine mehrlagige Kleidung hin.Hinweise auf diese Mehrlagigkeit der Kleidung ergeben sich auch aus archäologischen Funden. So liegen im Fall von Grab 298 in Frohsdorf grobe Gewebe in Leinwandbindung (Textiltyp 3) meist direkt an der Schauseite der Gürtelbeschläge auf, was für eine Interpretation als Obergewand spricht (auch wenn eine Deutung als Leichentuch nicht völlig auszuschließen ist). Weitaus häufiger auftretende feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) finden sich hingegen in der Regel an der Unterseite der Beschläge bzw. direkt am Knochen aufliegend, was eine Interpretation als Untergewand erlaubt.

Beispiel für

Textiltyp 1 (feines

Leinwandgewebe)

Beispiel für Textiltyp 2 (feiner Köper)

Beispiel für Textiltyp 3 (grobes Leinwandgewebe)

Beispiel für Textiltyp 4 (grober Köper)

Ränder von Lederriemen mit Lochreihen

Genordetes Orthofoto der Bestattung in Grab 298

Genordetes Orthofoto des Beckenbereichs in Grab 298