B03_Leseprobe

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Berlin | Wien

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Berlin | Wien

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1.Erwürge die Lippen

und falle

du

Abgrund der Hand

die nach Jahren des Reisens

vor Vollendungen einschläft

über dem endlich gelungenen

Maß

und dort

vor dem Traum

einbricht unter

den Ländern des Lobens

du mein Exil

Schloß und Hütte

du mein Gelübde

in das ich fiel.

Du bist die Flucht

vor den kahleren Gaben

die im Staub der Blüte

wohnende Angst

jenseits der Wärme

jenseits des Horchens

schreiend gefoltert

im Widerlager des Klangs.

du bist die Erde der Welt

samt meinem Zögern

du bist die Narbe die zählt

du bist das Gras.

2. Als eine junge Hand

an dem Zeichen des Steines

in Träumen erstarb

hielt der Moment

barhäuptig schuldiger

Trophäenmensch

senke die Lider zu dir

ertränke Lieder in mir

sein Versprechen nur

leiblos und schmal

und alles blieb

in wunden Mündern

verschlossen dunkel

von zertretenen Sternen

wie es war.

Auf Zungen getragene

Himmel verbargen

sich nicht vor dem

Rauch aus dem Rachen.

In hautlosen Häuptern

will ein Schwur auf der Lichtung

das leichte Empfängnis

betiefen.

Und inmitten der Menschen

opfert einer

sein allerletztes

Geweih.

3. Unter dem Windbruch wuchernd

entschlackt die Nacht

ihre Trauer

Im Munde des Schlafbaums

vergrub sie den

Zorn.

In den Händen der Liebe

verliert und verbirgt sich

der Arm

verziert sich

das Greifen

der Finger.

Eine Regensalbung

verarmt die Gemüter

zum Himmel

nahe

des Dunkels

nahe des Weiß

nahe, mehr nicht

darf man verlieren

was heilt.

Nahe noch

dem durchnässten

Vergessen

Nahe der Zeit doch

Im Gebiss der Welt

verliert eine Mutter

ihr Kind.

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4. Endlich

die einkehrende Kälte

vor der die Brote

glücklich zerbrechen

die Münder

nur noch im Schatten

des Hungertuchs sprechen.

Dort wo der Einsame

immer das selbe bittre Kraut kauend

immer das eine Dunkelgrau schauend

immer das gleiche Gesicht zähmend

all seine Blicke

vergeblich verschenkte

erwachen die Lichter

im Dunkel der Himmel.

Dort wo der Liebesdurst

hungert

wachsen die Götter.

Gedicht | Stirnhöhle, aufruhend | Autor | Roman Widder | Illustration | Georg Behringer | 17

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Ich weiß nicht warum, aber vor einigen Tagen trieb

es mich nach langer Zeit wieder bis vor deine Tür.

Meine Beine fanden den Weg blind, während mein

Kopf bis zuletzt nicht wusste, was überhaupt vor

sich ging, als meine Hand sich schon die müh-

samen Zentimeter bis zum Klingelknopf gebahnt

hatte. Die Zeit, bis ein Summen ohne vorherige Frage

mir kommentarlos Eintritt gewährte, und die ich

brauchte um die Treppen bis zum Dachgeschoss

hochzusteigen, konnte ich – so sehr ich es auch ver-

suchte – nicht mit leerem Kopf verbringen.

Ich musste an dich denken; wie du warst, als wir

uns das letzte Mal gesehen hatten. Damals arbeitetest

du viel, aber du wusstest nicht, ob es überhaupt Arbeit

war, weil du nicht sicher warst, ob du das alles jemals

verwerten oder zu Geld machen könntest. Oder ob

es nicht einfach nur ein – wenn auch seltsamer –

Weg war, die Zeit rumzukriegen, weil du sie nicht

zurückdrehen konntest, so sehr du es auch ver-

sucht hast, indem du Erinnerungen konservieren

wolltest. Minutiös schriebst du alles auf, was dir

von deinem „Damals“ ins Gedächtnis kam oder was

dir für die Zukunft, in der du dieses „Damals“ wieder

belebt sehen wolltest, einfiel. Seitenweise hast du

Blätter aus deinen Notizbüchern gerissen um mit

deinen Arbeiten den Flur zu tapezieren, und der

Weg durch die Wohnung war gepflastert mit deinen

zerknüllten und zerrissenen – wie du sie nanntest –

Misserfolgen.

Die Wände waren voller Textfragmente und Skizzen

aus immer derselben Feder mit immer derselben

schwarzen Tinte und mit immer demselben Schrift-

bild, nur die Papiersorten variierten gelegentlich.

Die Tinte sollte dort an der Wand wie Dörrfleisch

trocknen um die Erinnerungen haltbar zu machen.

Wenn du ein Notizbuch „ausgeschrieben“ hattest,

glich es einem leer genagten Skelett und wie die

letzten Reste fauligen Fleisches blieben nur mehr

einzelne Seiten übrig, die es dir nicht wert waren

aufgehängt zu werden, die aber auch zu schade waren

um sie als „Misserfolg“ unter traurigen und irgend-

wann – als du dir deiner eigenen Verbohrtheit be-

wusst wurdest – wütenden Tränen herauszureißen

und zerknüllt durch die Wohnung zu werfen.

Zu jener Zeit waren deine Haare meist fettig, deine

Wohnung stets verraucht und dein Kühlschrank so

gut wie immer leer. Fast täglich kam ich vorbei,

steckte dich von Zeit zu Zeit in die Wanne, wusch

dich, massierte dir dabei den Kopf und lüftete in der

Zwischenzeit die Wohnung. Oft brachte ich auch etwas

zu essen mit. Und obwohl du die Nächte über nie

geschlafen hast, hast du dir in den frühen Morgen-

stunden trotz schwerer Augenlider nicht gestattet,

ins Bett zu gehen, weil du Angst hattest, du könntest

etwas vom Tag versäumen. Darum gingst du, noch

bevor die meisten Geschäfte geöffnet hatten, hinaus

in die Stadt um dort Inspiration zu finden. Denn

nachts fandest du die Stadt einfach viel zu gefährlich

um alleine hinauszugehen. Aber anstatt Inspiration

fandest du dann doch nur die Müdigkeit, die dich

schlussendlich ins Bett trieb und dort bis in die frühen

Abendstunden festhielt. Das bisschen Sonne, das du

jeden Morgen abbekamst, ließ dich immer gebräunt

genug aussehen um nicht krank zu wirken, trotz

der eingefallenen Wangen, die du hattest.

Erst als ich bereits an der Tür der Wohnung stand

und geklopft hatte, fiel mir ein, dass ich immer schon

unangemeldet und uneingeladen zu dir gekommen

bin. Über Monate hinweg. Nie hast du mich gebeten

zu kommen, obwohl du in den einsamen Nächten

allein zu viel Angst gehabt hättest. Aber du hast

mich auch nie gebeten nicht mehr zu kommen, hast

nur immer grußlos die Wohnungstür geöffnet und

wortlos Kaffee aufgesetzt um dann zurück ins

Wohnzimmer zu gehen, wo wir erst einmal Minuten

schweigend dagesessen haben.

Manchmal haben wir geredet.

Manchmal haben wir rumgemacht.

Und manchmal haben wir das eine sogar für das

andere unterbrochen.

Geliebt haben wir uns nie.

…wie DörrfleischAutorin | Anita Reiter | Illustration | Robert Urban

18 | …wie Dörrfleisch | Erzählung

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Dann geht die Wohnungstür auf – noch bevor ich mir

überhaupt Gedanken machen konnte, wie du wohl

heute aussiehst – und ein Junge, dessen Gesicht ich

noch nie gesehen habe, steht vor mir.

Die Sekunden, bis ich die erste Verdutztheit darüber

überwunden habe, müssen ihm zäh erscheinen, mir

kommen sie jedoch vor wie die gesamte Adventszeit,

wenn Weihnachten noch so weit weg erscheint und

plötzlich hat man kaum mehr die Zeit die letzten

Geschenke rechtzeitig zu besorgen und schließlich

kauft man einfach irgendetwas.

„Ich suche…“, setze ich an und werde mit einem

knappen „Gibt’s hier nicht!“ unterbrochen.

Bevor er kommentarlos, aber immerhin mit einem

bedauernden Blick, die Tür wieder schließt, erhasche

ich einen flüchtigen Blick ins Vorzimmer – deine

Notizen und Skizzen auf weißen Zetteln an der

rauchgelben Wand sind ersetzt durch einen grünen

Anstrich.

Während ich die Treppen hinuntertrotte,

wähle ich deine Nummer.

Page 6: B03_Leseprobe

Reigen über die EifersuchtI. Das Bühnengerüst wird bis auf Eisen

zergliedert

kahl und nackt flackert Metall.

wir tauchen in

die Köpfe

getüncht vom

blauen Frost

drei Stimmen

zermahlen

zu einer

wirr im Zick –

zack

II. grapsch dir die Nutte

zieh sie zu dir

verklärt ins Kristallmeer

wo die Spitzen der Wellen

als Messer in der Luft

stochern

tu deine Finger aufs

Maul

das Herz in die Faust.

Er bekommt einen Wink

aus nächster ferne!

III. langes lockiges fließendes

lockiges fließendes Haar

fließendes Haar deiner Geliebten

Haar deiner Geliebten im Gelüste

Geliebte im Gelüste, die Töne

gelüstet nach Tönen vom Schnarchen

Töne vom Schnarchen zum Schmatzen

schnarchend schmatzt sie

schmatzt sie ihm das Herz offen

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Autor | Philippe Roepstorff-Robiano | Illustration | Johannes Reinhart | 21

IV. Stunden

Tropfen auf heißes Eisen,

Seife

in Reihen bereitgestellt, in

Trögen

waschen Wöchnerinnen Blut von

den Klippen

er hat einen Spickzettel bekommen

raunt salzig sollen sie fließen

Augen umgekehrt, nach innen verdreht

Echos von Rufmord hinter den Lidern.

V. Er schüttelt sie ab, sie ab

gib Acht

doch der Morast, Morast

take care

worin sein Nadelöhr steckt

attenzione

vom Zettel löst er die Naht

pas på

sachte, Finger wie Pinzetten

attención

aber im Schüttelfrost sich die Finger zu

lecken

den Faden zu fassen

ten cuidado

der schrille Kanarienvogel soll eintönig lallen

die Zunge stiehlt sich einen Augenblick

Abdrücke auf der Iris spinnen

die Sybille hat sich transvestiert

an ihren Platz tritt Gewisper

wisper

wisper

VI.Geschnatter-Jungfrauen

rosen unter Eschen

die Pappel gähnt und

reicht

ein

Blatt

der Erde

hier stecken viele

Geister,

mein Schatz, mon cheri, mi amor,

my love

jetzt rotzt er ins

Schnäuztuch

greift nach dem

Stroh

mit der Sense

das kein Blut tropft

er hat sie zu seiner

Seite

blutlos

in seine

salzige Lache

gezwungen.

VII. die Minuten klirren

drei sind eins

das Blutband zerreißt

nur die Bühne

besteht.