B07_Leseprobe

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AOCIden herbst durchstoßen und ausschnitteins rechte rampenlicht rücken. umschwärmte, laßdein gesicht entgleisen, entfernte, reißdich nicht mehr am riemen, zusammenwerden wir wollüstig scheitern, und wenndu dann callas sagst, maria, fühl ich dasnachkriegsdröhnen in deinen ohren.subbass nennt man das heute, geliebte.

IIetwas fehlt, wenn die software dein fein-gezeichnetes summen reproduziert.der weltordnungswert hängtvon zwei größen ab: schienensträngenund bach. dieser hass in deinen wein-trüben augen, wenn ich instrumentalmusikin den mund nehme. du verordnestmir ungesäuerte sinusschwingung, typ 440 –schon bin ich römisch-katholisch bis ins gliedund morse liebe in fein gegliederten freizeichen –beinahe der sound vom süßen ende, ophelia millais,des alten wetterberichts. wenn du,sag ich, schwarzweiß, erklär dich zum kriegsverlust.dies ist historisch. hier hängt keiner rum. ichdenk was wie hamlet senior mit kopf unterm armaber am ende hält wieder der teufel im spießerkostümeinzug. irgendwie wechselst du dauernd das jahrhundert.irgendwie wechselst du dauernd die gesichtszüge und wiederdas feingegliederte piepen, öffne die augen, abspann.

IIIdu flüsterst: tschechow. ich scheiß auf klopstock.unsere erklärung schreibt schon jetzt geschichte. das warauch vorprogrammiert. wir haben lange keinen champagner getrunken,wie damals beim ficken im verlassenen vereinshaus.soll ich dich laura nennen? magst du das?uns ist die gute abendgesellschaft abhanden gekommen. end-gültig.

IVwir fahrn, wir fahrn, wir fahrn mit der eisenbahn.datscha oder banlieu, balzac oder epileptische epik?was ist dir lieber? hauptsache raus aufs kulturgut!komm, wir dekantieren die besten etiketten und fahrnmit dem feuchten finger über den glasrand,bordunpornographie, bis die finalen fleckenauf dem e-paper erscheinen.

Vmit deinen wundgefickten roten lippen,wie geil bist du als mein sonett, d. h.als schlampe, aber dazu später.im hintergrund schon alle anzugträger –das wort am abzug: ja, ich will. dein mund,emma äh laura, fast wie, also … ich nenn dichab jetzt julia roberts – auch im todesfall.

VIdas a und o: der freitag, vier und fünfund sechs. wir können sonntags schlafen,so lange wollen wir noch hochzeit halten,so lange siehst du zärtlich auf mich schwarzes lochherab, singst ganz geduldig, fürchtest nicht das nichts –du bist per du mit deinen träumendu streichst den schriftzug durch, du hebstdas weiß auf, sammelst jahreszeiten, sammelstblätter, löst dich leicht vom bild ab, ohne rückstand: tonum ton. und dann ein wenig ruhe.ein weiches rauschen auf der netzhaut. stäbchen. stereo.

VIIdie welt auf den kopf stellen.unter die wolkendecke schlüpfen.

16 | Literatur | Philip Maroldt | Illustration | Iris Ugurel

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mit drei händen stoße ich, am hals das revers, tief hinunter, mit drei händen, fest im umkreis verhangen, der boxende tritt, an den hals, da schwitzt ein auge, am nacken packe ich, das haar, die ansicht der täter, sie knicken den rachen, uns ans herz geknotet, schau nicht auf den boden, schau, ich ziehe dir die wimpern glatt und halte fest die kugel, sie fällt aus der höhle, die schau bricht dich, grasig wächst das haar mir, furchige narben und berge im gesicht, im kittel, im kittel speien wir, es lecken die frösche sich die schenkel und wir schrecken sie auf, schau, die fingerspitzen, schau hier, lass gleiten die dritte hand, lass sie gleiten, aus, lass gleiten die alraune, lass gleiten, es ist meine hand, lege sie an mich, es knackt im antlitz, eines schließe ich vorsorglich, eines nicht, da steckt er den finger hinein, da steckt es tief im glas, fest, die hand am auge, das auge am finger, den finger im hals, brich nicht, brich die gebeine dem anderen, zieh den kittel an, zeitige deine wege, wasche sie weiß, die ungeduldigen, sammeln sich an den trögen, wasche hier, wasche es aus, spucke an den ballen oder gurgele, schlag ihm in die nieren und verletze seine augen, damit er dich nicht sieht, damit er an dir vorbeizielt, die weißen kittel, weiß hält, es verschwimmt alles schon, ein kanal nur, ein röhrenblick, gerändert, die pigmentierte schicht verwächst sich, eingetrübt, unverlässlich drückt er sich, aus.

ausdruckLiteratur | Swantje Lichtenstein | Illustration | Lisa Wilkens

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Sie bewegt ihre Hüften auf eine Art, die er nicht kennt. Leise tanzt sie zu der Musik, die in seinen Ohren dröhnt und ihre Hände schwingen neben ihrem Kopf durch die Luft. Er will Larson sagen, dass sie aussieht, als würde sie barfuß tanzen, aber Larson ist verschwunden. Ihre Bewegungen fließen durch den ganzen Körper, durchlässig und weich, sie nimmt die Musik mit den Füßen auf, lässt sie über die Hüften bis zum Hals schwingen und dann in die Finger, die nachlässig den Armen folgen. Sie ist eine große Frau, schwer und warm. Er sucht nach einem Wort, mit dem er das beschreiben könnte, dieses Große an ihr, das so gelöst aussieht beim Tanzen. Er trinkt sein drittes Bier, aus den Augenwinkeln sieht er die Fotos, die mit dem Beamer über die Wände des Raumes flirren. 100 Jahre Fischfabrik Egersund. Er betrachtet seine Hände, 47 Jahre Fischfabrik Egersund. Vor drei Jahren war er noch draußen, auf dem Meer, Kutter und Himmel, Regen und Ausfahren in der Dunkelheit. Jetzt ist er in der Fabrik. Larson setzt sich neben ihn und schreit ihm etwas ins Ohr, er versteht kein Wort, er sieht die Frau, die tanzt. Eine Wolke von Fischsuppe, Rauch und Bier erreicht sein Gesicht. Er wäre jetzt gerne aufgestanden, weg von Larson, dem Fischsuppengeruch, den Bildern an der Wand und all dem, was immer schon war. Er würde sich den Weg durch die Tanzenden hindurch zu ihr bahnen, er würde seine Hände auf ihre Hüften legen und warten, bis die Musik bei ihm ankäme, in den Fingern und dann durch den Körper hindurch bis in die Stiefel. Larson schreit weiter in sein Ohr, er riecht den Fischsuppengeruch jetzt nicht mehr, Larson hat Wodka gebracht. Er sieht auf die Tanzfläche, die Tanzenden, die durch den Raum fluten, an seinen Tisch drücken. Er denkt an die blass roten Quallen in den Riesenaquarien in der Eingangshalle der Fischfabrik, die sich rhythmisch durch das Wasser stoßen und die langen Fäden hinter sich durch das Wasser ziehen, wenn er dort jeden Morgen vorbeigeht. Er mag Quallen. Die Frau zieht die Arme durch die Luft. Alles an ihr sieht so leicht aus. Er weiß nicht, wann irgendetwas für ihn zum letzten Mal leicht war. Er sucht in seinem Kopf nach leichten Tagen, es gab sie, es muss sie gegeben haben. Als Larson noch nicht in sein Ohr gebrüllt hat, als sie hinter der Fisch-fabrik auf den Kisten saßen und als seine Hände noch nicht so schwer waren. Die Tage, als Larson und er vom Hafen nach Hause liefen, mit dem Fischgeruch und einer Zigarette, schweigend in dem Licht. Irgendwo ist ein Nebel, hinter dem die leichten Tage liegen. Das ist der Wodka, denkt er und sieht zu Larson hinüber. Larson trinkt noch mehr und das Gebrüll in seinem Ohr entfernt sich. Er sieht in die zuckenden Beine auf der Tanzfläche, die Frau zieht die Arme durch die Luft wie unter Wasser. Sie schwimmt durch die Tanzenden, er sieht die roten Quallen und die Haare der Frau, die wie Quallenfäden hinter ihr her fließen. Irgendetwas in seinem Kopf wird weich.

Literatur | Verena Postweiler | Illustration | Sandra Haselsteiner | 23