Barbara Schuhrk Die Medizin der Bäume · 2018-02-10 · 07/08 1 Barbara Schuhrk Die Medizin der...

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1 07/08 Barbara Schuhrk Die Medizin der Bäume Weise Lehrmeister Ein Baum ist ein Baum. Und weitaus mehr: Er ist Schutz, Nahrung, Freund und Leh- rer, birgt Heil für Seele, Geist und Körper. Doch was Kelten und Germanen zu schät- zen wussten, was tief in unserem Kulturkreis verankert ist, scheint heute in Verges- senheit geraten: Die Kraft der Bäume, ihre Seele, ihre Medizin. Einst hatten Bäume eine besondere Bedeutung für uns Menschen. Sie waren Sitz der Götter, Gerichtsor- te, die Verkörperung von Kraft und Fruchtbarkeit. Sie galten als heilig, als weise Lehr- meister. Jeder von ihnen hatte seine Geschichte, seine Magie und Wirkung. Sicher – Linde und Weißdorn sind auch aktuell noch gebräuchlich, doch auch viele andere Bäume bieten Heilung oder Linderung in fast jedem Bereich ... In der Mythologie zeigt sich, dass Mensch und Baum von jeher eng miteinander verban- det waren: Zahlreiche Völker führen unsere Existenz auf Bäume zurück. In den nordi- schen Mythen sind es Ask und Embla, Esche und Ulme, aus denen die Götter Mann und Frau erschufen. In der walisischen Legende „Cad Goddeu“ („Der Kampf der Bäume“, Tali- sien) wurden Menschen zu Gunsten des Sie- ges in Bäume und Sträucher verwandelt, Ovid beschrieb ähnliches in seinen „Metamorpho- sen“. Vergil berichtet in der „Äneis“ von Ei- chenwäldern, die einst die Hügel Roms be- deckten, aus deren Stämmen wilde Männer hervorgegangen waren – die Pane und Satyrn der Griechen, die Faune und Silvane der Rö- mer scheinen verwandt. Bei den Sumerern tritt im zweiten vorchristlichen Jahrhundert eine Waldgestalt namens Enkidu auf, häufig in den mittelalterlichen Rittergeschichten ko- piert: Der Wilde aus dem Wald findet sich bei Tristan und auch bei Artus wieder. Kobolde, Elfen und etliche Waldgeister prägten unsere Geschichte, und nicht ohne Hintergrund wur- den heilige Bäume seitens des Klerus gefällt, um die „Bekehrung“ der Heiden zum Chris- tentum voranzutreiben. Und das, obwohl sich insbesondere im Alten Testament vielerlei Baumgleichnisse finden, der Baumkult im 17. und 18. Jahrhundert einhergehend mit der Marienverehrung als heidnisch-christliches Zwittersymbol wieder auflebte, der Heilige Hain jedoch zugleich verteufelt wurde. Der Baum ist dem Menschen näher, als es uns heute bewusst ist: Er steht aufrecht, wächst, vergeht, hat seinen Frühling, Herbst, seinen Winter und seine Blütezeit. In der Wur- zel liegen die Ursprünge aller Dinge und des Seins – Ausgangspunkt jedes Wachstums, Basis, die am Boden hält, Garant für sein Überleben. Der Mensch verliert den Boden unter den Füßen, ist entwurzelt und desori- entiert; man spricht vom Stammbaum der Fa- milie, befindet sich auf der Suche nach seinen Wurzeln. Wir streben nach dem Licht, wach- sen in den Himmel, recken uns diesem ent- gegen. Und manch einer ist baumstark, aus gutem Holz geschnitzt, ein Mann wie ein Baum oder trägt eine Krone ... Du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Die Bäume und Steine werden dich Dinge lehren, die dir kein Mensch sagen kann. (Bernhard von Clairvaux) Vieles von dem, was wir heute über Bäume wissen, stammt aus germanischer und kelti- scher Zeit, dem Volksglauben und wurde mit Bräuchen, Sagen und auch Liedern weiterge- tragen. Die Menschen waren Teil des Waldes, begriffen das Wesen der Pflanzen und sahen in ihnen nicht einzig eine hübsche Aufbewah- rung für heilsame Substanzen. Sie wussten: Jede Baumart hat ihre eigenen charakteristi- schen Bilder und Botschaften. Und ihre Me- dizin! Die Birke hebt hinauf in ihr helles Licht, wiegt die Seele sacht wie eine Mutter. So wird klar, warum Kinderwiegen aus Birkenholz ge- schnitzt waren, ist sie doch Sinnbild für Ju- gend und Frühling. Als Maibaum noch heute beliebt, Zeichen der erwachenden Natur, weckt sie tatsächlich die Lebensgeister: Rei- nigend, belebend, ideal zur Frühjahrskur, da die Birke auch Nieren und Blase anregt, bei Wassersucht, Gicht, Rheuma, Arthritis und Steinleiden hilft. Die Erle hingegen zieht eher hinab in eine küh- le, feuchte Welt voller andersweltlicher Ge- stalten. Hier wohnt die Große Göttin, hier be- fanden sich schon in vorkeltischer Zeit Opfer- und Totenstätten. Für die Kelten war die Erle ein todbringender Krieger. Dunkel und ge- drungen wirkt sie, an Schnittwunden färbt sich das Holz blutrot und sie wächst gern an unheimlichen Orten. Deutsche Dichter füllten Bücher mit schaurigen Geschichten und Ge- dichten; Erlkönigs Tochter, Irrlichter geraten in die Erinnerung, das Geheimnisvolle – und schon immer stand die Erle auch für das Al- ter, das Wissen, die Vertrautheit mit dem Tod. Man fröstelt, macht sich klein. Ihre entspre- chenden Kräfte sind in Vergessenheit gera- ten: Kühlend, zusammenziehend, fiebersen- kend wirkt sie; bei schwachem Zahnfleisch und Aphten hilft ein Absud der Blätter, die Rin- de geben ein gutes Gurgelmittel bei Angina. Eine Mischung aus Erlen-, Salbei und Wal- nussblättern als Tee oder Umschlag genos- sen, erleichtert das Abstillen – eine andere Form des Loslassens. Ahornbäume wieder strahlen von Leichtigkeit und Süße wie ihr Saft. Aufmunternd ist der Ahorn tatsächlich, steht gar auf der Liste der wichtigsten Heilpflanzen des Ebers-Papyrus von 1600 v. Chr. Erleichternd wirkt er bei krankhafter Hitze, hilfreich ist er bei ge- schwollenen, müden Augen und Gliedmaßen als Auflage. Hildegard von Bingen empfahl das gewärmte Holz bei Gicht, ein Bad mit Zweigen und Blättern bei täglichem Fieber. Die Buche wirkt mächtig und doch grazil mit ihren filigranen Zweigen, dem zarten Blatt- werk, das ein so dichtes Blätterdach bildet, dass im Dämmerlicht darunter nur junge Bu- chen und keine anderen Bäumchen zu gedei- hen wissen. Wie die Eichen gehörten Buchen im Mittelalter zu den fruchtbaren Bäumen, Eckern und Eicheln zur Viehmast. Die Buche war Brennholz, Grundstoff für Lauge und Sei- fe, Namensgeber für Buchstaben, die aus den Runen, Orakeln, Buchenstäben entstan- den. Augen zeigen sich auf ihrer Rinde, und tatsächlich scheint sie die Welt zu betrachten, wissend um Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Als Heilmittel aber spielte sie schein- bar keine große Rolle: Buchenasche wirkt desinfizierend, wurde mit Johanniskrautöl ge- mischt, um als Paste Wunden und Geschwü- re zu heilen; frische Buchenblätter kühlen bei Schwellungen, Gerstenkorn oder Geschwü- ren. Dass die Linde ein menschenfreundlicher Baum ist, liegt nahe, verkörperte sie doch als Dorflinde die Gemeinschaft, als Gerichtslinde Schutz und Frieden. Kein Baum wurde so häu- Dieses Gewächs gleicht dem Menschen. Es hat seine Haut, das ist die Rinde; sein Haupt und Haar sind die Wurzeln; es hat seine Figur und seine Zeichen, seine Sin- ne und die Empfindlichkeit im Stamme. Sein Tod und sein Sterben sind die Zeit des Jahres! (Paracelsus) Ethnomedizin Der nachfolgende Artikel ist mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Ausgabe 07/08. Fordern Sie Ihr Probeheft an! Tel.: 0 61 46 - 90 74 - 0 • Fax: 0 61 46 - 90 74-44 • www.comedverlag.de

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Barbara Schuhrk

Die Medizin der BäumeWeise Lehrmeister

Ein Baum ist ein Baum. Und weitaus mehr: Er ist Schutz, Nahrung, Freund und Leh-rer, birgt Heil für Seele, Geist und Körper. Doch was Kelten und Germanen zu schät-zen wussten, was tief in unserem Kulturkreis verankert ist, scheint heute in Verges-senheit geraten: Die Kraft der Bäume, ihre Seele, ihre Medizin. Einst hatten Bäumeeine besondere Bedeutung für uns Menschen. Sie waren Sitz der Götter, Gerichtsor-te, die Verkörperung von Kraft und Fruchtbarkeit. Sie galten als heilig, als weise Lehr-meister. Jeder von ihnen hatte seine Geschichte, seine Magie und Wirkung. Sicher –Linde und Weißdorn sind auch aktuell noch gebräuchlich, doch auch viele andereBäume bieten Heilung oder Linderung in fast jedem Bereich ...

In der Mythologie zeigt sich, dass Menschund Baum von jeher eng miteinander verban-det waren: Zahlreiche Völker führen unsereExistenz auf Bäume zurück. In den nordi-schen Mythen sind es Ask und Embla, Escheund Ulme, aus denen die Götter Mann undFrau erschufen. In der walisischen Legende„Cad Goddeu“ („Der Kampf der Bäume“, Tali-sien) wurden Menschen zu Gunsten des Sie-ges in Bäume und Sträucher verwandelt, Ovidbeschrieb ähnliches in seinen „Metamorpho-sen“. Vergil berichtet in der „Äneis“ von Ei-chenwäldern, die einst die Hügel Roms be-deckten, aus deren Stämmen wilde Männerhervorgegangen waren – die Pane und Satyrnder Griechen, die Faune und Silvane der Rö-mer scheinen verwandt. Bei den Sumererntritt im zweiten vorchristlichen Jahrhunderteine Waldgestalt namens Enkidu auf, häufig inden mittelalterlichen Rittergeschichten ko-piert: Der Wilde aus dem Wald findet sich beiTristan und auch bei Artus wieder. Kobolde,Elfen und etliche Waldgeister prägten unsereGeschichte, und nicht ohne Hintergrund wur-den heilige Bäume seitens des Klerus gefällt,um die „Bekehrung“ der Heiden zum Chris-tentum voranzutreiben. Und das, obwohl sichinsbesondere im Alten Testament vielerleiBaumgleichnisse finden, der Baumkult im 17.und 18. Jahrhundert einhergehend mit derMarienverehrung als heidnisch-christlichesZwittersymbol wieder auflebte, der HeiligeHain jedoch zugleich verteufelt wurde.

Der Baum ist dem Menschen näher, als esuns heute bewusst ist: Er steht aufrecht,wächst, vergeht, hat seinen Frühling, Herbst,seinen Winter und seine Blütezeit. In der Wur-zel liegen die Ursprünge aller Dinge und des

Seins – Ausgangspunkt jedes Wachstums,Basis, die am Boden hält, Garant für seinÜberleben. Der Mensch verliert den Bodenunter den Füßen, ist entwurzelt und desori-entiert; man spricht vom Stammbaum der Fa-milie, befindet sich auf der Suche nach seinenWurzeln. Wir streben nach dem Licht, wach-sen in den Himmel, recken uns diesem ent-gegen. Und manch einer ist baumstark, ausgutem Holz geschnitzt, ein Mann wie einBaum oder trägt eine Krone ...

Du wirst mehr in den Wäldernfinden als in den Büchern.

Die Bäume und Steine werdendich Dinge lehren, die dir kein

Mensch sagen kann. (Bernhard von Clairvaux)

Vieles von dem, was wir heute über Bäumewissen, stammt aus germanischer und kelti-scher Zeit, dem Volksglauben und wurde mitBräuchen, Sagen und auch Liedern weiterge-tragen. Die Menschen waren Teil des Waldes,begriffen das Wesen der Pflanzen und sahenin ihnen nicht einzig eine hübsche Aufbewah-rung für heilsame Substanzen. Sie wussten:Jede Baumart hat ihre eigenen charakteristi-schen Bilder und Botschaften. Und ihre Me-dizin!

Die Birke hebt hinauf in ihr helles Licht, wiegtdie Seele sacht wie eine Mutter. So wird klar,warum Kinderwiegen aus Birkenholz ge-schnitzt waren, ist sie doch Sinnbild für Ju-gend und Frühling. Als Maibaum noch heutebeliebt, Zeichen der erwachenden Natur,weckt sie tatsächlich die Lebensgeister: Rei-nigend, belebend, ideal zur Frühjahrskur, dadie Birke auch Nieren und Blase anregt, beiWassersucht, Gicht, Rheuma, Arthritis undSteinleiden hilft.

Die Erle hingegen zieht eher hinab in eine küh-le, feuchte Welt voller andersweltlicher Ge-stalten. Hier wohnt die Große Göttin, hier be-

fanden sich schon in vorkeltischer Zeit Opfer-und Totenstätten. Für die Kelten war die Erleein todbringender Krieger. Dunkel und ge-drungen wirkt sie, an Schnittwunden färbtsich das Holz blutrot und sie wächst gern anunheimlichen Orten. Deutsche Dichter fülltenBücher mit schaurigen Geschichten und Ge-dichten; Erlkönigs Tochter, Irrlichter geratenin die Erinnerung, das Geheimnisvolle – undschon immer stand die Erle auch für das Al-ter, das Wissen, die Vertrautheit mit dem Tod.Man fröstelt, macht sich klein. Ihre entspre-chenden Kräfte sind in Vergessenheit gera-ten: Kühlend, zusammenziehend, fiebersen-kend wirkt sie; bei schwachem Zahnfleischund Aphten hilft ein Absud der Blätter, die Rin-de geben ein gutes Gurgelmittel bei Angina.Eine Mischung aus Erlen-, Salbei und Wal-nussblättern als Tee oder Umschlag genos-sen, erleichtert das Abstillen – eine andereForm des Loslassens.

Ahornbäume wieder strahlen von Leichtigkeitund Süße wie ihr Saft. Aufmunternd ist derAhorn tatsächlich, steht gar auf der Liste derwichtigsten Heilpflanzen des Ebers-Papyrusvon 1600 v. Chr. Erleichternd wirkt er beikrankhafter Hitze, hilfreich ist er bei ge-schwollenen, müden Augen und Gliedmaßenals Auflage. Hildegard von Bingen empfahldas gewärmte Holz bei Gicht, ein Bad mitZweigen und Blättern bei täglichem Fieber.

Die Buche wirkt mächtig und doch grazil mitihren filigranen Zweigen, dem zarten Blatt-werk, das ein so dichtes Blätterdach bildet,dass im Dämmerlicht darunter nur junge Bu-chen und keine anderen Bäumchen zu gedei-hen wissen. Wie die Eichen gehörten Buchenim Mittelalter zu den fruchtbaren Bäumen,Eckern und Eicheln zur Viehmast. Die Buchewar Brennholz, Grundstoff für Lauge und Sei-fe, Namensgeber für Buchstaben, die ausden Runen, Orakeln, Buchenstäben entstan-den. Augen zeigen sich auf ihrer Rinde, undtatsächlich scheint sie die Welt zu betrachten,wissend um Gegenwart, Vergangenheit undZukunft. Als Heilmittel aber spielte sie schein-bar keine große Rolle: Buchenasche wirktdesinfizierend, wurde mit Johanniskrautöl ge-mischt, um als Paste Wunden und Geschwü-re zu heilen; frische Buchenblätter kühlen beiSchwellungen, Gerstenkorn oder Geschwü-ren.

Dass die Linde ein menschenfreundlicherBaum ist, liegt nahe, verkörperte sie doch alsDorflinde die Gemeinschaft, als GerichtslindeSchutz und Frieden. Kein Baum wurde so häu-

Dieses Gewächs gleicht dem Menschen.Es hat seine Haut, das ist die Rinde; seinHaupt und Haar sind die Wurzeln; es hatseine Figur und seine Zeichen, seine Sin-ne und die Empfindlichkeit im Stamme.Sein Tod und sein Sterben sind die Zeitdes Jahres! (Paracelsus)

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fig besungen; sie galt als Zeichen der Liebe,allein schon wegen der herzförmigen Blätter.Für unsere Vorfahren ein Schicksalsbaum infreundlicher Gestalt. Betörend auch der süße,harmonische Duft, charakteristisch die Heil-wirkung: Honig und Tee sind als Grippe- undErkältungsmittel bekannt, für schweißtreiben-de Wirkung, die Stärkung der Abwehrkräfte.

Der Schutz der Bäume

Fichten und Tannen vermitteln Weisheit,Schutz – und eine natürliche Hecke schützteeinst auch das Gehöft, bot den Bewohnern Si-cherheit. Die Namen der Beteiligten zeugendavon: Der Hagedorn (Weißdorn), die Hage-rose (Hundsrose) mit ihrer Hagebutte und dieHagebuche (Hainbuche). Das Wort Hag ent-stammt dem Germanischen und bedeutet so-viel wie Umzäunung und Schutz. Hinter dem„Zaun“ wartete das Wilde, die übersinnlicheWelt des Zaubers, die nur von Wagemutigen,Wissenden, Kräuterweibern oder Schamanenbetreten wurde. Hier hielten sich die Haga-zussa auf, Erben der Druiden, Prototyp derWeisen Frauen und späteren „Hexen“. Siesammelten Heilkräftiges, sprachen mit denGeistern. „Zaunreiterin“ so die Übersetzung,Frauen, die zwischen den Welten standen. Ent-sprechend der Magie dieser Zaunpflanzen istauch ihre Heilwirkung:

Die Form ihrer durch unregelmäßigen Wuchsbestechenden Kelchblätter entspricht demDrudenfuß, dem magischen Stern der Druidenund Weisen Frauen: Vielleicht erhielt die He-ckenrose deshalb den Ruf als Zauberpflanze.Die Hundsrose erhielt ihren Namen, da sie alshilfreich gegen tollwütige Hundebisse galt. An-spruchslos, gern am Waldrand wachsend, warsie ideal zur Einfriedung und stand dem Men-schen nahe. Ein Dickicht aus Hagerose wares, durch das sich Dornröschens Prinz zuschlagen hatte, die Germanen sahen sie alsZauberpflanze aus Freyas Garten. Sie war dieGöttin der Fruchtbarkeit, Beschützerin vonFrau und Kind. Galläpfel wuchern gern inHundsrosen, als Heilmittel für Schlaflosigkeitauch Schlafapfel genannt. Die Knospen eig-nen sich als Mittel bei Verstopfung, Krämpfen,Blutungen und zu Scheidenspülungen; die ge-trockneten Blätter waren ein bekanntes Wund-pulver für Kinder. Kühlend wirken die frischenBlätter, beruhigen geschwollene Augen und

Brandwunden, ein Extrakt der Blätter ist alsMundwasser und bei entzündetem Zahn-fleisch hilfreich, bei Mundfäule und innerlichwirkt er nerven- und herzstärkend. Hagebut-ten gehören zu den bekanntesten Volksheil-mittel: Vitamin-C-haltig helfen die frischenFrüchte bei Grippe, die getrockneten wirkenanregend auf Blase und Nieren, lindern Gichtund Rheuma und pulverisiert auch Arthritis.

Die Hagebuche als Dritter im Bunde war schontreuer Begleiter der Baumriesen in den Ei-chenwäldern Mitteleuropas, stellte das schüt-zende Unterholz, überlebensfähig und zäh.Noch heute hält sie zu Gunsten von Einfrie-dungen schlimmste Verstümmelungen aus,einst aber war sie natürlicher Teil des Hags.Sie galt als Eisenbaum, denn so hart wie dasMetall war ihr Holz, stark und geduldig auch ihrCharakter: Die medizinische Verwendung wur-de vergessen, ihre Gerbstoffe lassen Spekula-tionen zu, doch in der Bach-Blütentherapie wirdsie bei geistiger Erschöpfung eingesetzt.

Auch Weiden vergesellschaften sich gern mitdiesen Sträuchern, genauso wie die Hasel ...

Die Häuptlingsbäume der KeltenBäume und keltische Philosophie bedingen ei-nander. Jene mit besonderer magischer Kraftgalten als Häuptlingsbäume; die wichtigstenwaren Weißdorn, Hasel, Holunder, Weide, Er-le, Esche, Birke, Eiche und Kiefer.

Weißdorn, auch Schlafdorn genannt, sorgtefür Schutz (Hagedorn) und friedlichen Schlaf.Hagedornhecken verhinderten das Eindringenwilder Tiere und Menschen, aber auch Dämo-nen, böse Geister und Krankheiten würden anseinen Stacheln hängen bleiben, so die Ge-wissheit. Das Herz als Innerstes betrachtet,liegt nahe, dass gerade dieses geschützt wer-den sollte, steht doch auch die weiße Blüte,die rote Frucht für das Leben. Noch heute istWeißdorn Mittel der Wahl bei Herz- und Kreis-lauferkrankungen.

Die Haselnuss ist ebenfalls Teil der Hecke,physisch wie metaphysisch. Sie bot Schutzvor chaotischen Kräften, ermöglichte mit po-sitiven in Verbindung zu treten, energetischeine Bindung zwischen den Welten. Die elas-

tischen Ruten werden seit Jahrtausenden alsWünschelruten verwendet, ein Haselstrauchneben dem Haus soll störende, krankma-chende Strahlungen abhalten. Noch immergilt die Haselrute bei Radiästheten als besterEnergiestromleiter, ihre Rute als mächtigerZauberstab. Weissagungen wurden der Haselzugesprochen, Schutzwirkung vor Blitzenund Schlangen. Für Fruchtbarkeit standen dieNüsse, Ruten wurden bei Unfruchtbarkeitoder Impotenz, Haselnussöl bei schweren Ge-burten eingesetzt, erkrankte Glieder rieb manmit einem Stecken, mit dem die Krankheitdann begraben wurde. Der Gebrauch der Ha-sel für medizinische Zwecke scheint sonstvergessen. Bekannt ist noch die schweißtrei-bende Wirkung der Blütenkätzchen. Ein heili-ger Baum mit vergessener Wirkung?! Kelti-sche Richter trugen Haselstäbe, um weiseEntscheidungen zu treffen, Gerichtsorte wur-den so geschmückt. In der astrologischenPflanzenkunde trägt die Hasel das Symboldes Merkur, des Hermes. Hermes durfte un-gestraft jedwede Grenze übertreten, und dieSage erzählt, dass sein Stab aus Haselholzgeschnitten war. Als die Menschen in Zwie-tracht lebten, gab Apollo ihm eine Leier undjenen Stab, und als Hermes die Menschen mitdem Haselstock berührte, entdeckten sie dieSprache, wurden klug; zugleich wanden sichzwei Schlangen um den Stab, der dann zumSymbol des Handelns, des Heilens, des klu-gen Redens und der Diplomatie wurde. Viel-leicht ist die eigentliche medizinische Wir-kung der Hasel auf die Ganzheit bezogen:Heilwerdung im Sinne der Vereinigung vonWelten, von Geist und Seele.

Auch der Holunder scheint die Nähe des Men-schen zu suchen, und einst hatte jeder Hof ei-nen Hausholunder. Der Baum des Lebens, desTodes, ersichtlich durch das strahlende Weißder Blüten und das tiefe Schwarzrot der Früch-te. Hier wohnt die schwarze Erdgöttin Morri-gan, die laut keltischem Jahreskreis im Früh-jahr zur Lichtgöttin Brigid (germanisch Holleund Hel) gerät, als beschützender Hausgeist.Zahlreiche Mythen berichten davon, dass derHolunder das Tor zur Anderswelt ist, zugleichden Übergang zur Wiedergeburt birgt. Mys-tisch seine Ausstrahlung, reich beschenkt vonder alten Fruchtbarkeitsgöttin: Nahezu alle Be-standteile des Holunders kann man zu Heil-zwecken verwenden. Die Blüten helfen als Teebei Grippe, Schnupfen, Bronchitis, Lungen-

Abb. 1 (von links): Weide, anpassungsfähig, überlebensfähig und voller unbändiger Lebenskraft. Der mächtige Stamm der Pappel verrät, warum maneinst von Weltenbäumen sprach. Die Birke verkörpert die Jugend und den Frühling und ist optimal für entsprechende Kuren. Der Stamm der Walnusswirkt menschenähnlich, zumal der Baum sehr menschenfreundlich ist.

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entzündung und Kopfweh, bei Zahn- und Oh-renschmerzen auch als Auflage. Im Mittelalterwurde ein Blütengeist bei Geschwülsten, Was-sersucht, Leber- und Milzleiden eingesetzt,die vitaminreichen Beeren stärken die Ab-wehrkräfte. Da sie im frischen Zustand Übel-keit verursachen, sollten sie immer erhitztwerden. Der Saft hilft bei Rheuma, Neuralgien,Ischias; Rinde und Wurzeln wirken harntrei-bend, entwässernd. Die Blätter, zu einer Sal-be gekocht, lindern Prellungen, Quetschun-gen, Frostbeulen und Geschwulst, gekochteBlätter Entzündungen der Brustwarzen.

Die Weide ist wie der Holunder ein Schwellen-baum: Die Mythen und Legenden ähneln sich,doch steht die Weide nicht nur zwischen Le-ben und Tod, sondern auch zwischen „Fest-land“ und Wasser, an der Pforte zur Unterwelt.Aufkeimendes und vergehendes Leben, Sinn-bild für den Kreislauf. Etwas verwachsen wirktsie, zottig, denn aus einem alten Körperschnellen immer wieder neue Zweige hervor:Unbändige Lebenskraft trägt die Weide insich, aus geköpften, gespaltenen oder ver-stümmelten Stämmen, sogar aus Baum-scheiben schießen neue Zweige hervor. Sieversinnbildlicht die Stärke in ihrer Schwäche:

Abgebrochene Ruten müssen nur in den Bo-den gesteckt werden, um neue Bäumchen zubilden. Alles schnell Wachsende, wieder Ver-gehende, Weiche, Wässrige und Empfängli-che ist dem Mond zugeordnet, die Weide alsfrüh blühender Baum auch der keltischen Göt-tin Brigid. Sie ist die Muse der Heiler, Dichterund Zauberer, und so bekam die Weide raschden Ruf, ein Hexenbaum zu sein: Hohle Stäm-me, Tore zur Anderswelt, biegsames Flecht-werk, um zu binden. Weidenzweige galtenauch als Symbol von Trauer und Tod, zugleichaber wurde zur Weidenblüte das Fest der Wie-dergeburt der Natur gefeiert – die Weide als

Bewegungsapparat• Hexenschuss, Ischias: Wacholder, Zitter-

pappel

• Muskelschmerzen und -verspannungen,Zerrungen, Stauchungen: Essigbaum,Fichte, Kiefer, Kirsche, Lärche, Rosmarin,Rosskastanie, Thymian, Weißtanne

• Rheuma: Berberitze, Birke, Esche, Essig-baum, Eukalyptus, Färberginster, Flieder,Heidekraut, Kiefer, Kirsche, Lärche, La-vendel, Rhododendron, Rose, Schwarz-pappel, Zitterpappel, Wacholder, Weide,Weißtanne

Erkältung und Grippe• Fieber: Schwarzer Holunder, Linde, Schle-

he, Weide

• Husten, Katarrhe der Atemwege: Boh-nenkraut, Douglasie, Efeu, Edelkastanie,Eukalyptus, Fichte, Kiefer, Kirsche, Linde,Meerträubel, Quitte, Thymian, Zeder

• Halsschmerzen: Vgl. Mund / Rachen

Frauenleiden• Regelbeschwerden: Birne, Jasmin,

Mönchspfeffer, Schneeball

Haut• Akne: Walnuss, Zistrose, Zypresse

• Ausschlag / Ekzem: Eiche, Haselnuss,Heidekraut, Mahonie, Ulme, Walnuss, Zist-rose

• Frostbeulen: Eiche, Heidelbeere,Schwarzpappel

• Insektenstiche: Feldahorn, Sumpf-Porst

• Neurodermitis: Hamamelis, Schwarzpap-pel, Zistrose

• Schrunden: Eiche, Hamamelis, Lärche

• Schuppenflechte: Mahonie, Schwarzpap-pel

• Schwitzen, feuchte Hände / Füße, Nacht-schweiß: Eiche, Salbei, Walnuss, Zypres-se

• Sonnenbrand: Hamamelis, Heidekraut,Sanddorn

• Verletzungen / Entzündungen: Heidekraut,Heidelbeere, Schwarzpappel, Sumpf-Porst

• Warzen: Thuja

Herz / Kreislauf / Venen• Durchblutungsstörungen / kalte Füße: Gink-

go

• Erhöhter Blutdruck: Mistel, Rhododendron,Weinrebe, Weißdorn

• Hämorrhoiden: Eiche, Hamamelis, Heidel-beere, Schwarzpappel, Ulme

• Kreislaufstörungen: Besenginster, Laven-del, Rosmarin

• Niedriger Blutdruck: Besenginster

• Schwindelgefühl: Ginkgo, Mistel

• Venenprobleme, Krampfadern, schwere /müde Beine: Hamamelis, Hasel, SchwarzerHolunder, Mäusedorn, Rosskastanie, Wein-rebe

Immunsystem• Steigerung der Abwehrkräfte: Kleines Basi-

likum, Sanddorn, Schwarzpappel, Zistrose

Krebs• Mistel, Eibe

Magen / Darm• Appetitlosigkeit, Verdauungsprobleme:

Schwarze Johannisbeere, Stachelbeere,Pfirsich, Rosmarin

• Blähungen: Bohnenkraut, Lavendel, Lor-beer, Rosmarin, Salbei

• Darmtätigkeit regulierend: Apfel, Feige,Pflaume, Rose

• Durchfall: Apfel, Brombeere, Eiche, Ham-amelis, Heidekraut, Heidelbeere, Himbee-re, Kirsche, Mispel, Speierling, Ulme, Wein-rebe

• Übersäuerung: Robinie

• Verdauungsbeschwerden allgemein: Boh-nenkraut, Lorbeer, Salbei, Wacholder

• Verstopfung: Faulbaum, Feige, Heidel-beere, Kirschpflaume, Kreuzdorn, Pflau-me, Schlehe, Stachelbeere

Mund / Rachen• Mundgeruch: Eukalyptus, Wacholder

• Entzündungen der Mund- und Rachen-schleimhaut, des Zahnfleisches, Hals-schmerzen, Heiserkeit: Bohnenkraut,Brombeere, Edelkastanie, Hamamelis,Heidelbeere, Himbeere, Salbei, Schwarz-erle, Speierling, Quitte, Ulme

Nervensystem• Erschöpfung: Lavendel

• Kopfschmerz: Essigbaum, Lavendel, Wei-de

• Nervenschmerzen: Essigbaum, Rhodo-dendron, Tanne

• Schlafstörungen, beruhigend: Heidekraut,Kirsche, Lavendel

Niere / Blase• Blasenentzündung, Harnwegsinfektion:

Bärentraube, Birke, Heidekraut, Schwar-ze Johannisbeere, Kirsche, Preiselbeere,Rauschbeere, Wacholder

• Harntreibend, gegen Nieren- und Harn-grieß: Birke, Eberesche, Färberginster,Schwarze Johannisbeere, Hauhechel, Pfir-sich, Rose, Wacholder

Stoffwechsel• Frühjahrskur / Blutreinigung: Birke, Fär-

berginster, Hauhechel. Stachelbeere

• Gicht: Berberitze, Esche, Färberginster,Heidekraut, Schwarze Johannisbeere, Ro-se, Rosmarin

• Säure-Basen-Gleichgewicht: Apfel

Wirksame Sträucher und Bäume gegen verschiedene Beschwerden

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Abb. 2 (von links): Der Spitzahorn hat im Gegensatz zum Berg- und Feldahorn spitzere Blätter undfeine Linien im Stamm. Luftig und froh und voll süßem Saft sind sie alle. Im Juni und Juli werdendie gerbstoffhaltigen Fiederblätter der Walnuss abgestreift und getrocknet. Sie sind für Umschlä-ge, Bäder und Tees hervorragend geeignet. Eichenblätter sind ebenso wie die Rinde voller Gerbstoffe.Bis zu 20 Prozent vermag die Eiche zu beinhalten. Weißdornblätterwerk: Die Blätter und Früchtesind sich von den Inhaltsstoffen sehr ähnlich und finden beide Verwendung.

Symbol der Fruchtbarkeit. Rinde und Blätterwurden bereits im klassischen Griechenlandals Heilmittel genutzt, berühmte Heiler derAntike lobten die Kraft der Weiden. Die Sig-natur ist eindeutig: Die Füße im kalten Wasserkriegt die Weide dennoch keine steifen Ge-lenke, bleibt biegsam und schmerzfrei. Wei-denrinde wird als fieber-senkendes, harn- undschweißförderndes, schmerz stillendes, keim-tötendes und adstringierendes Mittel einge-setzt. Die Wurzelrinde der Trauerweide wirdbei Leukämie angewendet, unterstützt die Re-generation des Knochenmarks. Auch bei Ar-thritis und Neuralgien ist Weidenrinde hilfreich,als Rheuma- und Gichtmittel, bei Verschlei-mung, Ruhr und Durchfall, als Gurgelmittel beiBlutungen und Mandelentzündung, Wundpul-ver für offene Geschwüre, Wunden und Wa-schungen.

Die Esche ist ein Licht- und Sonnenbaum undwird in den Überlieferungen zahlreicher Völkerstets mit dem Speer in Verbindung gebracht.Das indogermanische Wort für Esche, Ask /Osk, bedeutet auch Speer, wenngleich dieserim ursprünglichen Mythos den Sonnenstrahlsymbolisiert, der das Wasser der Erde be-fruchtet. Sie steht für die Wiedergeburt, diedurch die Vereinigung von Licht und Wassermöglich ist, hat daher auch Macht über dasWasser. Dieser Gedanke war in der keltischenTradition tief verankert: So trugen die DruidenStäbe aus Eschenholz, mit denen sie das Wet-ter beherrschten, Ertrinkende retten konnten.Fischer fertigten Ruder und Bootsrippen da-raus, um sich vor den Fluten zu schützen. DerEschenspeer taucht in zahlreichen Mythenauf, so auch im Zusammenhang mit dem Hei-ligen Gral. Dem feuchten Standort entspre-chend dienen Eschenzubereitungen der Hei-lung von Rheuma und Gicht, von Hippokrateswurden sie zudem als abführend wirkendesMittel beschrieben.

Thingbaum, Opfer- und Orakelbaum: Dieseund viele weitere Attribute wurden der Eichezuteil. Generationen von Menschen überdau-ernd, musste sie schier mit den Vorfahren undGöttern in Verbindung stehen. Da die Eichewurzelt, wo Wasseradern sich kreuzen, galtsie auch als Blitzbaum, als Baum des kosmi-schen Feuers. Heilige Feuer der Indogerma-nen und Römer wurden mit ihrem Holz ge-speist, die Germanen weihten sie Thor (Do-nar), die Kelten ihrem Donnerer Tanaris (auchDagda). Wichtige Versammlungen (Things)

wurden unter den ausladenden Ästen einbe-rufen, der Platz war mit weisheitsspendendenHaseln abgesteckt. Noch im Mittelalter hieltman unter Eichen Gericht, der Sage nach wardie runde Artus-Tafel aus dem Stamm einereinzigen Eiche geschnitten. Dru (indogerma-nisch) bedeutet Baum, Treue und auch Eiche,wid findet sich in der Wortwurzel Wissen; Dru-wides hießen die Druiden im Altkeltischen – ei-chenkundig. Treue, Festigkeit, Gerechtigkeitund Willensstärke zeigt sich in der Eiche, starksomit auch die Heilkraft: Blätter und Rinde be-stehen bis zu 20 Prozent aus Gerbstoffen, zei-gen Bewahrendes und Bodenständiges auf.Zusammenziehend, entwässernd, antisep-tisch, fiebersenkend entziehen sie Fäulnis, hel-fen bei chronischen Ekzemen, Ausschlägen,Wucherungen, Brandblasen, Frostbeulen, In-sektenstichen, Hämorrhoiden, Fisteln, Schei-denkatarrh, Weißfluss und Gebärmutterent-zündungen; als Tee – kurz aufgekocht zumGurgeln – bei Halsweh, Zahnfleischerkrankun-gen und zur Zahnfestigung. Innerlich hilft derTee bei Durchfall, Darmblutungen, Blutharnund Magengeschwür. Schon in der Edda wur-de Eiche gegen Ruhr empfohlen, Eichelkaffeegalt früh als Kräftigungsmittel, die Homöopa-thie nutzt Zubereitungen aus Eiche bei Milzlei-den und Alkoholismus (die Donnerer warenfreudige Trinker), mit einem Destillat aus Ei-cheln gehen Milzschwellungen zurück. Nahe-zu unbekannt ist, dass Eichenrinde ein gutesKinderheilmittel ist: Bei geschwollenen Drü-sen, Hautausschlägen und zugunsten der Kon-stitution helfen Eichenrindenbäder.

Die Bäume der Germanen

In der Edda wird die Entstehung des Men-schen aus Esche und Ulme beschrieben. DieWelt bestand aus dem Weltenbaum Yggdrasil,an seiner Wurzel der Quell der Erinnerung. Je-der Baum war Zentrum des Universums, „dieGötter wohnten in den Bäumen, in den ausBäumen erbauten Tempeln“ – im HeiligenHain.

Die Tanne bekam ihren Namen vom altgerma-nischen tan, dem Feuer, ist demnach ein Feu-erbaum. Mit ihr lässt sich schnell ein solchesentfachen, zudem mit betörendem Duft. Siegalt als heilig, als Wohnsitz der Götter, undnoch heute findet man Tannen, die mit einemKreuz oder Marienbild versehen sind. Auch Hil-degard von Bingen empfand die Tanne als

warm, als schützenden Ort vor Zauber undMagie. Ihr ätherisches Öl ist wärmend, durch-blutungsfördernd, antibakteriell, fördert dasAbhusten von Schleim und wirkt bei Muskel-und Nervenschmerzen, rheumatischen Er-krankungen entspannend.

Die Fichte ist mit der Tanne verwandt und stell-te die Irminsäule dar: Hier wohnte ein mütter-lich schützender Baumgeist. Heute in Mono-kulturen angebaut, ist von ihrem majestäti-schen Charakter nicht mehr viel zu sehen,doch freistehende Bergfichten sprechen voneinst und lassen verstehen, warum die Fichteals Schutzbaum, als Mutter- und Lebensbaumgalt. Dieser nahm Krankheiten vom Men-schen, auch das Harz war Schutz, fand Ver-wendung als Pflaster, war Bestandteil zahlrei-cher Salben bei Rheuma, Gicht, Hexenschussund Gliederschmerzen. Die Zweige wirkenschleim- und hustenlösend, durchblutungsför-dernd, der Honig hilft bei grippalem Infekt.

Auch der Wacholder wurde von den Germanenals göttliches Wesen verehrt, die Lärche, dieKiefer und besonders die Eibe. Diese galt alsSymbol der Unsterblichkeit, als Todes- undAuferstehungspflanze. Eiben säumten denWeg in die Unterwelt, unheimlich umgibt sieein düsteres Licht. Einzig Hildegard von Bin-gen empfand sie als „Sinnbild der Fröhlich-keit“, in allen Kulturen war sie mit dem tod-bringenden Götteraspekt verbunden. Die Ei-benrune Eiwaz (auch: Ihwaz / Ywaz) war fürdie Germanen die stärkste Schutzrune, mansprach dem Baum große Heilkraft zu. ZehnNadeln der Eibe als Absud sind tödlich, derGrat ist schmal: Im Altertum und Mittelalternutzte man die Eibe als Mord- und Selbst-mordmittel, der keltisch-germanische Stammder Eburonen (Männer der Eibe) beispielswei-se entging der Gefangenschaft und Sklavereidurch die Römer durch Eibenabsud. Abko-chungen dienten auch als Wurmmittel, gegenEpilepsie und als Mittel zur Abtreibung. Langewurde das enthaltene Taxin als Herzmittel ein-gesetzt, heute werden nur noch homöopathi-sche Zubereitungen bei Hauterkrankungenund Verdauungsschwäche genutzt.1

Wie die Eibe gehörte der Wacholder zu dendunklen Todesbäumen, doch führte er nicht di-rekt in die Welt des Schattens, sondern konn-te eine Umkehr hervorrufen. Der Wacholderwar der europäische Totembaum und bein-haltete eine Kraft, die auch aus seinen Namenhervorgeht: Quickholder, Queckholder, Weck-holder, Wacholder. Ein Wach-Halter, Lebendig-Macher, der die Sterbenden am Leben zu hal-ten vermag. Er galt als Pestmittel, als Zau-berabwehr und Gegenzauber, mit ihm räu-cherte man die Räume von Kranken. Seinestark desinfizierende Wirkung war bekannt,berühmt wurde er als „Baum-Apotheke“: Keim-tötend, abwehrsteigernd, das Kauen von Wa-cholderbeeren schützt vor grippalen Anste-ckungen, bewährt hat er sich auch bei Lun-genkrankheiten, Bronchitis, Erkältung, zurAusleitung. So hilft er auch gegen Rheuma,Gicht, Arthrose, Hauterkrankungen und Was-sersucht; zudem bei Harnverhalten und Stein-

Page 5: Barbara Schuhrk Die Medizin der Bäume · 2018-02-10 · 07/08 1 Barbara Schuhrk Die Medizin der Bäume Weise Lehrmeister Ein Baum ist ein Baum. Und weitaus mehr: Er ist Schutz, Nahrung,

Ethnomedizin

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weckung, der Lebenskraft. Entgegen der all-gemeinen Annahme, die Beeren (botanischSamen) seien giftig, enthalten sie viel VitaminC, wurden als Stärkungsmittel, gegen Skor-but, Gicht, Rheuma und Erkältungen verwen-det. Der Tee aus getrockneten Beeren ist einhervorragendes Mittel bei Lymphflussstörun-gen, der Blütentee reinigend und aufbauend.Vermutlich entstammt der Ruf als Giftpflanzeder Verwendung als Zaubermittel, wurde dasHolz doch zu guter, aber auch dunkler Magiegenutzt.

Bäume sind Gedichte, die die Erdein den Himmel schreibt.

(Khalil Gibran)

Das Entzünden von Räucherwerk gehört zuden ältesten rituellen Praktiken der Mensch-heit, Rauch wurden magische und medizini-sche Eigenschaften zugeschrieben. Häufigheißt es, die Germanen hätten keine Räu-cherkultur gehabt. Dem ist nicht so, fandensich doch in vielen prähistorischen Hinterlas-senschaften Räucherkuchen, Verklumpungenvon Harzen und Pflanzenüberresten, die teilsals Harz von Kiefer, Fichte, Tanne, Eibe undWacholder identifiziert werden konnten. Siefanden genauso wie die Harze von Zeder undZypresse in ganz Europa Verwendung.

Der Duft der Fichte galt im Mittelalter als heil-sam bei Seuchen; unbestritten ist die Räu-cherung ihres Harzes, der Nadeln und Zapfenzur Desinfektion und Reinigung von Räumen.Ihr ätherisches Öl wirkt keimtötend, schleim-lösend und entzündungshemmend, und siewird ebenso in der Aromatherapie angewen-det. Kiefernharz wurde „Waldweihrauch“ ge-nannt; Plinius schreibt, dass es als Räuche-rung „die Gebärmutter wieder in Ordnung brin-ge“. Es wurde bei chronischem Lungenkatarrhgeräuchert, als Schutz gegen Hexerei wurdendie Zweige genutzt. Das ätherische Öl wirktkeimtötend, antirheumatisch, hustenlinderndund stimulierend. Auch Rinde und Zapfen kön-nen genutzt werden. Tannenharze gehören inEuropa zu den ältesten Räucherstoffen über-haupt, und Wacholder gilt als ältestes Räu-

chermittel der Menschheit überhaupt, wurdein sämtlichen Kulturen rituell und medizinischgenutzt. Einst trug er den Namen Wodans-gerte, später Martinsgerte. Sein alter deut-scher Name Rauchholter, Räucherstrauch,spielt auf seine Verwendung an. Er wurde beiansteckenden Krankheiten geräuchert, gegenSchlangen, als Mittel zur Konservierung, beiSeitenstechen, Rheuma, Asthma, Brust-schmerzen, Schlafsucht, Schwermut undauch bei „Aberwitzigkeit“. Den Teufel und He-xen konnte man mit seinem Rauch fernhaltenund Prophezeiungen wagen – Wacholder ge-hört bis heute zu den „Neunerlei Hölzern“, dieden Wald repräsentieren und sozusagen einenHeiligen Hain bilden. Das Harz aller vier Ze-dernarten war im Altertum eine hochangese-hene Medizin gegen nahezu jedes Leiden. DerDuft vertreibt Insekten, soll Erdverbundenheitund Seelenstärke fördern, Bronchitis lindern.Zypressenzweige wurden als Schutzräuche-rung und bei Segnungen genutzt. Die Zypres-se war im Altertum ein Baum, der mit Trauer,Tod und der Unterwelt assoziiert war. Laut Hil-degard von Bingen bezeichnet die Zypressedas Geheimnis Gottes, zugleich aber war sieauch Bestandteil von Räucherungen antikerHexenkulte. Gemeinsam mit Huflattich solldas Holz eine hustenlindernde Räucherungdarstellen, nachgewiesen ist die insektenver-treibende, adstringierende, krampflösende,antiseptische und antirheumatische Wirkungder ätherischen Öle. Im Zypressenöl findetsich zudem ein Stoff, der chemisch dem weib-lichen Sexualhormon analog ist. Vielleicht istder Baum dem Menschen gar noch näher, alsman vermuten kann?!

leiden, bei Magen- und Darmproblemen. Ein-zig bei entzündlichen Nierenerkrankungen undin der Schwangerschaft soll er gemieden wer-den, da Schädigungen entstehen können.

Um die feinen und heiteren Lärchen rankensich unzählige Sagen und Geschichten: Siesind Ruhe- und Tanzplatz jener Waldfeen, diedem Verirrten den Weg weisen, jedwedem gu-ten Menschen gern zur Seite stehen. Mit die-sem Charakter musste die Lärche zu den be-liebtesten Heilpflanzen der Vergangenheit ge-raten: Das Harz wurde im Mittelalter bei Lun-gen- und Harnproblemen verwendet, alsWundsalbe und Pflaster, es wirkt durchblu-tungsfördernd, desinfizierend und schleimlö-send. Eine Harzsalbe hilft bei rheumatischenSchmerzen, Hexenschuss und Neuralgien, siezieht Eiter und beschleunigt die Heilung. AlsBrustsalbe ist sie bei Husten und Bronchitis zuempfehlen, die innerliche Anwendung hängtvon der Dosis ab und kann reizend oder heil-sam sein.

Im Odenwald, dem einstigen Heiligen Hain desWotan (Oden = Wotan) wachsen besondersviele Kiefern, im Volksmund „Odenwälder Tan-ne“ genannt. Schon früh galt die Kiefer als Un-sterblichkeitssymbol, oft wurde sie auch alsFeuerbaum, Wilder Harzbaum oder Kienbaumbezeichnet; Kienspan gleichbedeutend mit Fa-ckel, dem unsterblich entzündendem Span,der auf Grund des harzhaltigen Holzes langeund hell zu brennen vermag. Hustenstillend,auswurffördernd, antiseptisch, haut- und

Vorsichtsmaßnahmen bei der Therapie mit pflanzlichen Mitteln:

Die Grenzen einer Selbstbehandlung soll-ten stets beachtet werden: Anhaltende,chronische und akute Beschwerden sollteein Fachmann abklären. Wichtig ist auchdie Berücksichtigung von Nebenwirkun-gen bzw. Kontraindikationen: Ginkgo bei-spielsweise wirkt blutverdünnend, ver-stärkt die Wirkung entsprechender Medi-kamente; gerbstoffhaltige Pflanzen kön-nen die Aufnahme verschiedener Stoffeim Darmbereich verzögern etc.

Barbara SchuhrkJour na lis tin und Au to rin, er lag be reits injun gen Jah ren der „Fas zi na ti on Na tur“.Dank Pri vat un ter richt und Selbst stu di umspe zia li sier te sie sich zu nächst auf Bäu meund de ren Heil kraft, so wie die His to rie derPflan zen heil kun de. Ih re Er fah rung le gi ti -

mier te sie durch die Aus bil dung Phy to the ra pie und er öff ne -te nun ei ne Heil pflan zen schu le und Na tur werk statt, de renZiel es ist, das ver lo re ne Wis sen um die Kraft der Na tur inEr in ne rung zu ru fen und zu be wah ren. Zu dem un ter rich tetsie in den Be rei chen Krea ti ves Schrei ben und Li te ra tur.

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schleimhautreizend, durchblu-tungsfördernd, beruhigend undleicht harntreibend wirkt dasHarz. Wie Tannen und Fichtengehört auch die Kiefer zu denerprobten Lungenheilmitteln.Salben wirken wundreinigend,antirheumatisch und helfen beiMuskelverspannungen.

Die Eberesche war der Baumdes Donnergottes Donar (Thor),ebenfalls der Fruchtbarkeit ge-weiht: Kaum ein Baum war beiden alten Zauberern, Druidenund Weisen Frauen so beliebtwie sie. Ihre Ausstrahlung wirktbelebend wie das Rot ihrer Vo-gelbeeren, überall will sie Wur-zeln schlagen, ein Baum der Er-

L i t e r a t u r h i n w e i s eAndreas Alberts u. a.: Die Baum- und Strauch-apotheke. Kosmos Naturführer, Stuttgart2004Susanne Fischer-Rizzi: Blätter von Bäumen.Hugendubel, München 2001Max Höfler, Volksmedizinische Botanik derKelten/ Volksmedizinische Botanik der Ger-manen, Archiv für Geschichte der Medizin,1911/ 1908, Reprint VWB, Berlin 1990Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur derHeilpflanzen. AT Verlag, Aarau 2002Doris Laudert, Mythos Baum. BLV Verlagsge-sellschaft, München 2004Wolf-Dieter Storl, Von Heilkräutern und Pflan-zengottheiten. Aurum, Bielefeld 2002Wolf-Dieter Storl, Pflanzen der Kelten. 4. Auf-lage. AT Verlag, Aarau, Schweiz 2005