Barockgitarre und Theorbe.pdf

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er Wechsel von der Gitarre ztÍ La\te bedeuúet heuti- gentags einen B erufswech- sel. Der Grund liegt in erster Linie in der Technik der rechúen Hand, aber auch in der anderen Stimmung. Die erste Lau- tenistengeneration behalf sich mit der Gitarren- stimmung, der sie die dritte Saite um einen Halbton emiedrigte und so die Saitenverh?ilbris- se der Renaissanceinstrumenúe herstellúe - ein Verfahren, das die Prinzipien der Skordatur genau umkehrte.' Mittlerweile spielt derprofes- sionelle Lautenist nach der Tabaulatur, und da sind die Probleme scheinbar nichtmehr vorhan- den, da auch der lautenspielende Gitarrist nun von der Thtsáchlichkeit seiner Tóne absehen kann. Je weiter der Gitarrist aber auf seinem lnstrument vordringt, je mehr sich - wenn viel- leicht auch nur in Teilbereichen und instrument- bezogen - eine absolute Hórftihigkeit heranbil- det, so sie nicht ohnehin vorhanden ist, je sou- veráner er über ganzheitliche technische Kom- plexe verfiigt, umso hóhere Schwierigkeiten wird er (sie) bekommen. Fiir den Lautenspieler gilt umgekehrt dasselbe. Wie haben die Baroclcnusiker diese Kluft überbrückt? Haben sie überhaupt Gitarre ge- spielt? Die Antwort lautet eindeutig ,ja", denkt man zum einen an Komponisten und Musiker wie den aus der Gitmrenpádagogik allseits be- kannten Johann Anton Logy bzw. [-osy, der zu einer Zeit lebte, in der mit der Saitenanordnung in d-moll einelautenstimmung in allgemeinem Gebrauch war, die mit der Gitarrenstimmung nichts mehr gemein hatte, denkt man zum andem an aulschluBreiche Abbildungen wie jene der MusikerLudwigs des XlV.'. auldervor dem Lautenspieler eine Gitarre auf dem Tisch liegt; schon diesseits ikonographischer Erkun- dungen muB diese Zusammenstellung seiner- zeit zumindest nicht allzu exotisch gewirkt haben. Nun liegen die barocke l,autenstimmung und die Stimmung der Barockgitarre so weit auseinande¡ daB ein Nebeneinander mit Hilfe der Tabulatur schon wieder vorstellbar wird - es sei denn, der Spieler musizierte aus den Noten, will sagen, flihrte den bezifferten BaB aus. Vielleicht liegt hierin der Grund, daB die Stimmung des eigentlichen GeneralbaB-Inshu- mentes unter den Lauteninstrumenten, der Theorbe. sich so lange als Renaissancevariante erha.lten hat.'sei es in derG-g'-Sümmung oder in der A-a'-Stimmung. Aber hier entstand ein Problem: Die Theor- ben besaBen fiir eine g'- und erst recht eine a'-Saite zu lange Mensuren. Nach Michael Praetorius entsprach die Stimmung der sechs oberen Chóre von Chitanone undTheorbe der der Altlaute in Gl...l, Quint- und Quartsaite l= erste und zweite Saitel wurden jedoch um eine Oktave tiefer eingestimmt. Für beide Instru- mente ist auch die Stimmung fiir A mchweis- DAt Aufgrund dieser Formulierung kónnte man annehmen, die A-Stimmung sei eher eine Aus- nahme gewesen. Da überrascht es, wenn in den Werken von -F'leury (Paris 1660) und Delair tParis 1690)s, als' alleinige Stimmung der Theorbe die A-Stimmung angegeben wird. Un- mittelbar liiBt sich daraus folgem, daB, da eine erste Saite auf a' bei der durchschnittlichen Griffsaiten-Liinge der Theorben nahezu un- móglich aufzuziehen wm, bei dieser Stimmung als hóchste Saite die zweite Saite e' erklang - falls sie nicht ebenfalls oktaviert wurde wie die erste Saite. Der Akkordklang der Theorbe hátúe demnach vóllig dem der Barockgitarre mit ebenfalls dem hóchsten Ton e'entsprochen, denn in der A-a'-Stimmung entsprechen, nimmt man die erste Saite grifflich oder klang- lich aus, die restlichen fiinf Griffsaiten denen der Barockgitarre. Dies kónnte einer der Grtinde sein, weswe- gen die Barockgitarre von den Umstimmungs- experimenten, wie sie auf der Lauúe durchge- fiihrt wurden, ebenso ausgenommen blieb wie die Theorbe, deren alte Stimmung - wie aus obengenanntenWerken ersichtüch- sichneben den neuen Lautenstimmungen behaupten konnte, und weswegen die Gitarre durch diese Stabilit¿it, unter Hinzunahme der sechsten Saite um 1800, eine Tradition bis in unsere Tage entwickelt hal Wenn man berücksichtigt, daB die álteste uns überlieferte Unterweisung fiir fiinfchórige Gitarre: Guitarra Española de Cinco Ordenes 1596 -von Joan Carles y Amat veróffentlicht wurde,6 betriife dies eitén Tnit- raum von 400 Jahren - keine der Lautenstim- mungen, die uns bekannt sind, hat das ge- schafft. Ein Unterschied arischen den Akkordldiin- gen aufBarockgitane undTheorbe bliebe inso- fem, als der Klang der tiefoklavierten ersten Saite sichin die tieferen Akkordtóne mischt. Da lohnt es sich, einmal die tatsáchlich angegebe- tf Barockgitarre und Theorbe Eine interessante Entdeckung beim Vergleich ihrer Stimmung Von Alfred Ph. Kónig Gitorre & Loute I /1992 19

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  • er Wechsel von der Gitarrezt La\te bedeuet heuti-gentags einen B erufswech-sel. Der Grund liegt inerster Linie in der Technikder rechen Hand, aber

    auch in der anderen Stimmung. Die erste Lau-tenistengeneration behalf sich mit der Gitarren-stimmung, der sie die dritte Saite um einenHalbton emiedrigte und so die Saitenverh?ilbris-se der Renaissanceinstrumene herstelle

    - ein

    Verfahren, das die Prinzipien der Skordaturgenau umkehrte.' Mittlerweile spielt derprofes-sionelle Lautenist nach der Tabaulatur, und dasind die Probleme scheinbar nichtmehr vorhan-den, da auch der lautenspielende Gitarrist nunvon der Thtschlichkeit seiner Tne absehenkann. Je weiter der Gitarrist aber auf seinemlnstrument vordringt, je mehr sich

    - wenn viel-

    leicht auch nur in Teilbereichen und instrument-bezogen

    - eine absolute Hrftihigkeit heranbil-

    det, so sie nicht ohnehin vorhanden ist, je sou-verner er ber ganzheitliche technische Kom-plexe verfiigt, umso hhere Schwierigkeitenwird er (sie) bekommen. Fiir den Lautenspielergilt umgekehrt dasselbe.

    Wie haben die Baroclcnusiker diese Kluftberbrckt? Haben sie berhaupt Gitarre ge-spielt? Die Antwort lautet eindeutig ,ja", denktman zum einen an Komponisten und Musikerwie den aus der Gitmrenpdagogik allseits be-kannten Johann Anton Logy bzw. [-osy, der zueiner Zeit lebte, in der mit der Saitenanordnungin d-moll einelautenstimmung in allgemeinemGebrauch war, die mit der Gitarrenstimmungnichts mehr gemein hatte, denkt man zumandem an aulschluBreiche Abbildungen wiejene der MusikerLudwigs des XlV.'. auldervor

    dem Lautenspieler eine Gitarre auf dem Tischliegt; schon diesseits ikonographischer Erkun-dungen muB diese Zusammenstellung seiner-zeit zumindest nicht allzu exotisch gewirkthaben.

    Nun liegen die barocke l,autenstimmungund die Stimmung der Barockgitarre so weitauseinande daB ein Nebeneinander mit Hilfeder Tabulatur schon wieder vorstellbar wird

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    es sei denn, der Spieler musizierte aus denNoten, will sagen, flihrte den bezifferten BaBaus. Vielleicht liegt hierin der Grund, daB dieStimmung des eigentlichen GeneralbaB-Inshu-mentes unter den Lauteninstrumenten, derTheorbe. sich so lange als Renaissancevarianteerha.lten hat.'sei es in derG-g'-Smmung oderin der A-a'-Stimmung.

    Aber hier entstand ein Problem: Die Theor-ben besaBen fiir eine g'- und erst recht einea'-Saite zu lange Mensuren. Nach MichaelPraetorius entsprach die Stimmung der sechsoberen Chre von Chitanone undTheorbe derder Altlaute in Gl...l, Quint- und Quartsaite l=erste und zweite Saitel wurden jedoch um eineOktave tiefer eingestimmt. Fr beide Instru-mente ist auch die Stimmung fiir A mchweis-DAt

    Aufgrund dieser Formulierung knnte manannehmen, die A-Stimmung sei eher eine Aus-nahme gewesen. Da berrascht es, wenn in denWerken von

    -F'leury (Paris 1660) und DelairtParis 1690)s, als' alleinige Stimmung derTheorbe die A-Stimmung angegeben wird. Un-mittelbar liiBt sich daraus folgem, daB, da eineerste Saite auf a' bei der durchschnittlichenGriffsaiten-Liinge der Theorben nahezu un-mglich aufzuziehen wm, bei dieser Stimmungals hchste Saite die zweite Saite e' erklang

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    falls sie nicht ebenfalls oktaviert wurde wie dieerste Saite. Der Akkordklang der Theorbe htedemnach vllig dem der Barockgitarre mitebenfalls dem hchsten Ton e'entsprochen,denn in der A-a'-Stimmung entsprechen,nimmt man die erste Saite grifflich oder klang-lich aus, die restlichen fiinf Griffsaiten denender Barockgitarre.

    Dies knnte einer der Grtinde sein, weswe-gen die Barockgitarre von den Umstimmungs-experimenten, wie sie auf der Laue durchge-fiihrt wurden, ebenso ausgenommen blieb wiedie Theorbe, deren alte Stimmung

    - wie aus

    obengenanntenWerken ersichtch- sichnebenden neuen Lautenstimmungen behauptenkonnte, und weswegen die Gitarre durch dieseStabilitit, unter Hinzunahme der sechsten Saiteum 1800, eine Tradition bis in unsere Tageentwickelt hal Wenn man bercksichtigt, daBdie lteste uns berlieferte Unterweisung fiirfiinfchrige Gitarre: Guitarra Espaola deCinco Ordenes 1596

    -von Joan Carles y Amatverffentlicht wurde,6 betriife dies eitn Tnit-raum von 400 Jahren

    - keine der Lautenstim-

    mungen, die uns bekannt sind, hat das ge-schafft.

    Ein Unterschied arischen den Akkordldiin-gen aufBarockgitane undTheorbe bliebe inso-fem, als der Klang der tiefoklavierten erstenSaite sichin die tieferen Akkordtne mischt. Dalohnt es sich, einmal die tatschlich angegebe-

    tf

    Barockgitarre undTheorbe

    Eine interessante Entdeckung beim Vergleich ihrer StimmungVon Alfred Ph. Knig

    Gitorre & Loute I /1992 19

  • nen Griffe auf dem ,,petit jeu" (Delair S. 5), denGriffsaiten, anzusehen. Da sich Delair mehr mitder Theorie des Generalbasses a1s mit dem In-strument beschftigt, erweist sich ein Blick zuFleury a1s aufschluBreich, da dieser die bezif-ferten Biisse der ausgefiihrten Tabulatur gegen-berstellt. Beide geben fiir die Theorbe dieStimmung der freischwingenen BaBsaiten dia-tonisch aufw1s an vom Kontra-G bis zumgroBen G und die Griffbrettsaiten mit A- d - g -h - e' - a'. Fleury stellt der Thbulatur nur dieBaBmelodie ohne im hheren Schlssel ausge-ftihrte Akkorde gegenbeq so daB von hier berdie Oktavlage der ersten und zweiten Saitekeine Aussage ableitbar ist. Delaft gibt S. 7 dieabsoluten Hhen der obersten Chre an als a -d - g'- h' - e' - a', eine offensichtlich insgesamttiefzuoktavierende Anordnung, bei der diebeiden oberen Saiten, die in dieser Folge als e"und a" erscheinen miiBten, bereits ftir sich tief-oktaviert wurden. Der als hchster erklingendeChorwre demnach der dritte mith-derzweiteChor der Gitane.

    Das Durchziihlen der intabulierten Akkordekommt auf eine Gesamtzahl von 570. Wennman davon die Griffe herauszieht, e der linkenHand dieselben Verhltnisse abverlangen wieauf der Barockgitarre

    - als Griffe, die sich nur

    aufden Saiten zwei bis sechs abspielen, die ersteSaite also gar nicht oder als lrersaite mitneh-men und einen der freien Bsse benutzen

    -,

    kommt man auf 495 Griffe. Umgerechnet heiBtdas: 86,8 Prozent der bei Fleury aufgefhrtenTheorbengriffe sind nach Griffder linken Handund Klang mit denen auf der Bmockgitarreidentisch.

    Zieht man die von der rechten Hand alslrersaiten gegriffene erste Saite sowie alleGriffe mit leeren Bssen ab, erhlt man immer-hin noch 352 Griffe, die auch von der rechtenHand her identisch mit denen auf der Barockgi-tarre sind, also 61,8 Prozent. Geht man weiter-hin davon aus, daB die Theorben der Barockzeitdie beiden obersten Chre einzeln bezogenhatten, entsteht ftir die Hiinde bei vier doppeltenChren und einem Einzelchor zu knapp zweiDritteln die gleiche Spielsituation wie bei derf tinf chrigen B arockgitane.

    Fijr einen professionellen Hofmusiker wirdes daher keine grBere Schwierigkeit bedeutethaben, ohne lrritationen die Gitane neben derTheorbe auch im Spiel ,,en musique", nachNoten, im besonderen nach den Generalbssen,gespielt zu haben. Umgekehrt, vom Gitarristenher beffachtet, bedeutete die Anstrengung, mitder Theorbe in die GeneralbaBpraxis zu gehen,ein mit statistischen Zahlen auszudrckenderMehraufivand von ungeftihr fiinfzig Prozentmitder Mglichkeit, die Gitarre dennoch nicht auf-geben zu mssen. Das knnte eine Anregung frdie Gegenwart sein.

    AnmerkungenI Man vergleiche als Beispiel flir alle

    J.S.Bachs Cellosuite BWV 1011 (dieAusgabe Brenreiter 320 Kassel 1950druckt beide Notationen): Die Skordaturermglichte die Vorstellung der normalenGriffuerhiltnisse, da die Notation verndert

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    war. Das Herabziehen der dritten Saite -

    wieauch das der sechsten

    - auf der Gitarre

    verlangt dagegen die Vorstellung geiinder-ter Griffverhbrisse bei normaler Notation.Bildnachweis (schwarzweif3 reproduziertesGemlde): Piiffgen, Peter, Die Gitane

    -

    Grundzge ihrer Entwicklung, MunzfSchott] 1988, S.78/79Vgl. u. a. Brockhaus Riemann Musiklexi-kon,Munz 1979, Artikel ,,Theorbe"

    Ragossnig, Konrad, Handbwch der Gitarreundlttute,erg. undrev. Ausg. Mainz 1978,s. 13Delair, Denis, Trait d'accompagnementpour le thorbe et le clavecin, Paris 1660und Fleury, Ni co7as, Mthode pour app ren-dre facilement d toucher le thorbe sur labasse connue, Paris 1660, beidein einemBand [Minkoff Reprint] Gettf 1972P. Piiffgen a.a.O. S. 94

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