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1 Autoren: Dipl.-Ing. Daniel Eickmeier, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Dipl.-Ing. Carsten Peter und Armita Nasseri, M. Sc. IMM – Ingenieur- büro Maidl & Maidl, Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG, Bochum Taschenbuch für den Tunnelbau 2016 Herausgegeben von der DGGT, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. © 2015 Ernst & Sohn GmbH & Co. KG. Published by Ernst & Sohn GmbH & Co. KG. Baugruben und Tunnel in offener Bauweise I. Eurocodebasierter Leitfaden für rechnerische Brandschutznachweise für Tunnel in offener Bauweise In den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Inge- nieurbauwerke (ZTV-ING) [1], dem geltenden Regelwerk für Stra- ßentunnel im Zuge von Bundesfernstraßen, ist das derzeitige rechnerische Nachweisverfahren zum baulichen Brandschutz für Rechteckrahmenquerschnitte im Teil 5 Abschnitt 2 über ein ver- einfachtes Nachweisverfahren mit Ansatz eines Temperaturgra- dienten von 50 K in Wand und Decke geregelt. Alternativ kann nach ZTV-ING ein genauerer rechnerischer Nachweis durchge- führt werden, der jedoch in der Praxis kaum angewendet wird, da hierzu bisher keine eindeutigen Regelungen zur Durchführung vorliegen. Mit dem Forschungsvorhaben „Rechnerischer Nachweis des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise“ [2] wur- den „genauere rechnerische Nachweise“ für typische Rechteck- rahmenquerschnitte von Straßentunneln auf Basis des „Allge- meinen Rechenverfahrens“ nach DIN EN 1992-1-2 (Eurocode 2) [3] durchgeführt. Als ein Ergebnis dieses Forschungsvorhabens wurde festgehalten, dass das Berechnungsverfahren für den ge- naueren rechnerischen Nachweis in der Praxis noch nicht ausrei- chend erprobt ist. c1.indd 1 c1.indd 1 14.08.2015 13:03:41 14.08.2015 13:03:41

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Autoren: Dipl.-Ing. Daniel Eickmeier, Bundesanstalt für Straßenwesen, BergischGladbach, Dipl.-Ing. Carsten Peter und Armita Nasseri, M. Sc. IMM – Ingenieur-büro Maidl & Maidl, Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG, Bochum

Taschenbuch für den Tunnelbau 2016Herausgegeben von der DGGT, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V.© 2015 Ernst & Sohn GmbH & Co. KG. Published by Ernst & Sohn GmbH & Co. KG.

Baugruben und Tunnelin offener Bauweise

I. Eurocodebasierter Leitfaden fürrechnerische Brandschutznachweisefür Tunnel in offener Bauweise

In den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Inge-nieurbauwerke (ZTV-ING) [1], dem geltenden Regelwerk für Stra-ßentunnel im Zuge von Bundesfernstraßen, ist das derzeitigerechnerische Nachweisverfahren zum baulichen Brandschutz fürRechteckrahmenquerschnitte im Teil 5 Abschnitt 2 über ein ver-einfachtes Nachweisverfahren mit Ansatz eines Temperaturgra-dienten von 50 K in Wand und Decke geregelt. Alternativ kannnach ZTV-ING ein genauerer rechnerischer Nachweis durchge-führt werden, der jedoch in der Praxis kaum angewendet wird,da hierzu bisher keine eindeutigen Regelungen zur Durchführungvorliegen.

Mit dem Forschungsvorhaben „Rechnerischer Nachweis desbaulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise“ [2] wur-den „genauere rechnerische Nachweise“ für typische Rechteck-rahmenquerschnitte von Straßentunneln auf Basis des „Allge-meinen Rechenverfahrens“ nach DIN EN 1992-1-2 (Eurocode 2)[3] durchgeführt. Als ein Ergebnis dieses Forschungsvorhabenswurde festgehalten, dass das Berechnungsverfahren für den ge-naueren rechnerischen Nachweis in der Praxis noch nicht ausrei-chend erprobt ist.

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Zur Verifizierung des genaueren rechnerischen Nachweises desbaulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise wurdein dem gegenständlichen Forschungsvorhaben eine Erprobungdes Nachweisverfahrens an einem aktuellen Ausführungsbeispieldurchgeführt. Weiter ist der in dem Forschungsvorhaben erstellteLeitfaden mit Musterstatik auf die zum 01.05.2013 vollzogeneEinführung der Normengeneration des Eurocodes aktualisiertworden.

Auf der Grundlage der Berechnungsergebnisse des genauerenrechnerischen Nachweisverfahrens wurde zudem ein vereinfach-tes Berechnungsverfahren für den Brandfall mit Vorgabe einesvon der Bauteildicke abhängigen linearen äquivalenten Ersatz-temperaturgradienten entwickelt.

Euro Code-Based Guidelines for structural fire protectionon open cut tunnels

In the ZTV-ING Part 5, Section 2 the current calculation methodfor structural fire protection for road tunnels (open cut method)is based on a simplified calculation method with the approach ofa temperature gradient of 50 K. Under certain circumstances, anadvanced calculation method has to be carried out. This methodis not often used in practice, because there are no clear regula-tions on the procedure, yet.

In the research project „calculation method for structural fire pro-tection for road tunnels (open cut method)” (BASt Book B94) [2]an “advanced calculation method” has been applied for commonrectangular cross sections of frames by applying DIN EN 1992-1-2 (eurocode 2) [3]. As a result of the project it was detected,that those more accurate calculation methods are not sufficientlytested in practice.

Therefore for the verification of the “advanced calculation meth-od” for constructional fire protection for road tunnels (open cutmethod), the calculation method was used and tested at a currentdesign project. Furthermore the guide line of the research project,

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including sample static, had to be updated to the new releasedstandards of the euro code.

An independent comparative calculation was used to check, re-spectively to validate the results of the sample calculation (since01/05/2013).

Based on the results of the advanced calculation method a sim-plified calculation method with a linear equivalent temperaturegradient, dependent on the thickness of the lining was developed.

1 Einleitung

In den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen undRichtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) [1], dem Regelwerk fürBundesfernstraßentunnel, ist das rechnerische Nachweisverfah-ren zum baulichen Brandschutz für Rechteckrahmenquerschnittegeregelt. Demnach darf unter bestimmten Voraussetzungen –diese werden von den üblichen Rechteckrahmenquerschnitteni. d. R. erfüllt – der Nachweis des baulichen Brandschutzes ver-einfacht über den Ansatz eines Temperaturgradienten von 50 Kin Wand und Decke geführt werden.

Falls die Voraussetzungen nicht erfüllt werden bzw. falls ausdem vereinfachten Nachweis eine deutlich erhöhte Bewehrunggegenüber der Kaltbemessung resultiert, ist nach ZTV-ING eingenauerer rechnerischer Nachweis zu führen. Weitere Angabenzum genaueren rechnerischen Nachweis sind in den ZTV-INGnicht enthalten.

In der Praxis führt dies bisher dazu, dass in den Standsicherheits-nachweisen von Rechteckrahmenquerschnitten überwiegendder vereinfachte Brandschutznachweis nach ZTV-ING mit Ansatzeines Temperaturgradienten von 50 K angewendet wird. Der ver-einfachte Brandschutznachweis kann bemessungsrelevant wer-den und bestimmt dann den erforderlichen Bewehrungsgehalt.Dies kann teilweise unwirtschaftliche Bewehrungsgehalte, insbe-sondere bei größeren Bauteildicken, zur Folge haben.

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Mit dem Forschungsvorhaben FE 15.0502/2010/FRB, Rechne-rischer Nachweis des baulichen Brandschutzes für Tunnel inoffener Bauweise [2], wurden genauere rechnerische Nachweisefür typische Rechteckrahmenquerschnitte von Straßentunnelndurchgeführt. Die Nachweise basieren auf dem allgemeinen Re-chenverfahren nach DIN EN 1992-1-2 [3]. Im Rahmen dieses For-schungsvorhabens wurde eine Musterstatik als Leitfaden für dieAnwendung des genaueren rechnerischen Nachweises erstellt.Weiter wurde der vereinfachte Nachweis weiterentwickelt, indemeine Abhängigkeit des Temperaturgradienten von der Bauteildi-cke definiert wurde.

Als ein Ergebnis des Forschungsvorhabens wurde festgehalten,dass das Berechnungsverfahren für den genaueren rechneri-schen Nachweis in der Praxis noch nicht ausreichend erprobtist und in Abhängigkeit der Berechnungsrandbedingungen und-algorithmen eine relativ große Streuung der Berechnungsergeb-nisse resultieren kann.

Zur Erprobung und Verifizierung des genaueren rechnerischenNachweises des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offe-ner Bauweise auf Basis des allgemeinen Rechenverfahrensnach DIN EN 1992-1-2 [3] wurde das ForschungsvorhabenFE 15.0582/2013/FRB [4] durchgeführt. Der Leitfaden mit Mus-terstatik ist auf die zum 01.05.2013 vollzogene Einführung derNormengeneration des Eurocodes aktualisiert worden. Verglei-chend sind rechnerische Brandschutznachweise mit dem ver-einfachten Ansatz des Temperaturgradienten von 50 K und demweiterentwickelten, vereinfachten Ansatz mit bauteildickenab-hängigen Temperaturgradienten durchgeführt worden. Weiterwurde eine Erprobung des Nachweisverfahrens an einem aktu-ellen Ausführungsbeispiel durchgeführt.

2 Rechnerische Brandschutznachweise

Für die rechnerischen Brandschutznachweise für Tunnel in offe-ner Bauweise (Rechteckrahmen) wurden im Forschungsvorha-ben [4] drei verschiedene Verfahren angewendet.

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Vereinfachter rechnerischer Brandschutznachweis nach ZTV-ING [1]

Für ein- und zweizellige Rahmen mit Bauteildicken von 0,8 bis1,6 m und Stützweiten bis 16 m kann ein vereinfachter rechne-rischer Nachweis des Brandschutzes in der außergewöhnlichenBemessungssituation über den Ansatz eines Temperaturgradien-ten von 50 K in Wand und Decke bei Ansatz der vollen Steifigkeitdes Betonquerschnitts (Zustand I) geführt werden. Hinsichtlichder Anwendung des vereinfachten Verfahrens ist in den ZTV-INGfolgende Einschränkung enthalten: „Resultiert aus dem verein-fachten Nachweis ein „wesentlich höherer“ Bewehrungsgradund/oder liegen Abweichungen der Systemvoraussetzungen(d. h. Querschnittsdicken >1,6 bzw. <0,8 m und Stützweiten>16 m) vor, ist ein genauerer rechnerischer Nachweis durchzu-führen.“ Die ZTV-ING enthalten im Weiteren aber keine eindeu-tigen bzw. standardisierten Vorgaben für genauere rechnerischeNachweise. Weiterhin ist keine quantitative Definition für einenwesentlich höheren Bewehrungsgrad vorhanden.

Genauerer rechnerischer Brandschutznachweis nachDIN EN 1992-1-2 [3]

Die DIN EN 1992-1-2 enthält drei verschiedene Nachweisverfah-ren für den baulichen Brandschutz:

– Stufe 1: Tabellarisches Nachweisverfahren,– Stufe 2: Vereinfachtes Rechenverfahren,– Stufe 3: Allgemeines Rechenverfahren.

Das allgemeine Rechenverfahren (Stufe 3) stellt das detailliertes-te der drei Nachweisverfahren dar. Für Tunnelbauwerke ist auf-grund der von der Einheitstemperaturkurve abweichendenBrand-einwirkung, der statischen Unbestimmtheit mit entsprechenderAusbildung von Zwängungen sowie dem nichtlinearen Trag- undSystemverhalten infolge der Bauwerk-Boden-Interaktion das all-gemeine Rechenverfahren der zielführende rechnerische Brand-schutznachweis.

Beim allgemeinen Rechenverfahren wird vorab im Rahmen ei-ner thermischen Analyse die Temperaturverteilung im Bauteil

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aufgrund der maßgebenden Brandkurven berechnet. In denZTV-ING Teil 5 Abschnitt 1 Nr. 10 [1] ist die Brandkurve für dasNachweisverfahren angegeben. Die verlängerte Brandkurve istbei Bauwerken mit höheren Anforderungen an den baulichenBrandschutz, z. B. bei Tunneln unter Gewässern anzuwenden.Die beiden Brandkurven sind in Bild 1 dargestellt.

Die Ergebnisse der thermischen Analyse unter Einwirkung derZTV-ING-Kurve sind in dem nachfolgenden Diagramm beispiel-haft für eine Bauteildicke von 55 cm dargestellt (Bild 2). JedeLinie im Diagramm gibt die Temperatur zu einem bestimmtenZeitpunkt im Bauteil an.

Bei der anschließenden mechanischen Analyse werden die re-sultierenden Zwängungen aus der Temperaturverteilung derthermischen Analyse mit den maßgebenden Gebrauchslastfäl-len (Kaltbemessung) überlagert und daraus die maßgebendenSchnittgrößen berechnet. Die Zwangsschnittgrößen im Brandfallentstehen aus der (verhinderten) thermischen Dehnung in Abhän-

Bild 1. Brandkurven

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gigkeit der Temperaturverteilung im Beton. Die Brandeinwirkungist in der Wand und der Decke anzusetzen. Die Sohle ist vor derBrandeinwirkung durch den Sohlaufbau geschützt.

Bild 3 zeigt die Zunahme der Betondehnung in Abhängigkeit derTemperatur, wobei Kurve 1 den Verlauf mit quarzhaltigem Zu-schlag und Kurve 2mit kalksteinhaltigem Zuschlag darstellt.

Bei der mechanischen Analyse werden die Dehnungen aus dernichtlinearen Temperaturverteilung der thermischen Analyse mitden mechanischen Einwirkungen überlagert und daraus die maß-gebenden Schnittgrößen unter Berücksichtigung der tempera-turabhängigen Materialeigenschaften nach DIN EN 1992-1-2 [3]berechnet. Unter der Annahme des Ebenbleibens der Querschnit-te ergeben sich die spannungserzeugenden Dehnungen in den

Bild 3. Thermische Dehnung von Beton [3]

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Ebenen bzw. Schichten bei einer einachsigen Biegung bezogenauf die Dehnungsnulllinie zu:

ε = ε0 + z ∙ kz – εfi(Θ) (1)

mit

ε0 Axialdehnung,z Abstand zur Systemlinie,kz Krümmung,εfi(Θ) Dehnung aus Temperatur auf Grundlage von Bild 3.

Für den Querschnitt ist eine Schichtenunterteilung vorzunehmen.Jeder Schicht kann in der zeitabhängigen Berechnung in Abhän-gigkeit der bis zum betreffenden Zeitpunkt aufgetretenen maxi-malen Temperatur die entsprechende nichtlineare Betonarbeits-linie zugeordnet werden. Die Materialeigenschaften sind nachDIN EN 1992-1-2 [3] mit charakteristischen Kennwerten, d. h.mit einer Teilsicherheit γM = 1,0 zu berücksichtigen. In der zeitab-hängigen Berechnung sind die Betonmaterialeigenschaften ausdem vorherigen Zeitschritt als Ausgangswerte für den neuenZeitschritt zu berücksichtigen. Bei Beton und kaltverformtemBetonstahl handelt es sich um irreversible Materialänderungen,wogegen bei warmgewalztem Betonstahl die temperaturabhän-gigen Festigkeitsreduzierungen reversibel sind, d. h., die Beweh-rung hat nach der Abkühlung wieder die vollen Festigkeiten.

Die Schnittgrößenermittlung erfolgt iterativ im Zustand II (Stei-figkeitsermittlung unter Berücksichtigung des gerissenenQuerschnitts) unter Variation der Randdehnungen und Berück-sichtigung der vorhandenen Bewehrung im Rahmen einer außer-gewöhnlichen Bemessungssituation nach DIN EN 1990 [5]. DieGleichgewichts- und Verträglichkeitsbedingungen sind erfüllt,wenn die inneren und äußeren Schnittgrößen unter Einhaltungder nach DIN EN 1992-1-2 [3] temperaturabhängigen, maximalzulässigen Beton- und Stahldehnungen übereinstimmen.

Es hat sich gezeigt, dass der genaue rechnerische Nachweisdes Brandfalls in Form des allgemeinen Rechenverfahrens nachDIN EN 1992-1-2 [3] ein komplexes Berechnungsverfahren ist.

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Weiterentwickelter, vereinfachter rechnerischer Nachweis

Mit dem im Forschungsvorhaben [2] weiterentwickelten, ver-einfachten Berechnungsverfahren sind Berechnungen für denBrandfall mit üblichen Stabwerksprogrammen im Zustand I (un-gerissener Zustand) möglich. In Ergänzung zum bisherigen ver-einfachten Brandschutznachweis nach ZTV-ING (Ansatz eineslinearen Temperaturgradienten von 50 K) wird bei diesem Verfah-ren die Bauteildicke berücksichtigt.

Den Einfluss der Bauteildicke zur Ermittlung des Zwangsbiege-moments aus der Temperatur zeigt die nachfolgende Gleichung:

M∆T = E ∙ I ∙ αT ∙ ∆T____d

=E ∙ b ∙ αT ∙ ΔTM______________

12∙ d2 (2)

Dies bedeutet, bei Annahme einer vollständigen Zwängung, eineproportionale Abhängigkeit des Zwangsbiegemoments zumQuadrat der Bauteildicke d.

Bild 4. Zwangsnormalkraft NΔT aus behinderter Dehnung durchTemperaturbeanspruchung

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Die Ergebnisse der durchgeführten thermischen Analysen unddie Erkenntnisse aus Brandversuchen zeigen, dass sich die Tem-peratureindringung im Bauteil bei einer Brandeinwirkung gemäßZTV-ING-Kurve auf eine Tiefe von ca. 30 cm beschränkt. Eine Er-höhung der Bauteildicke führt damit lediglich zu einer Erhöhungdes Zwangsbiegemoments im Verhältnis zum entsprechend ver-größerten Hebelarm zur Systemlinie.

MΔT = NΔT · *e (3)

Es liegt damit theoretisch nur eine lineare Erhöhung des Tempe-raturzwangsbiegemoments zur Bauteildicke vor.

Im Forschungsvorhaben [2] sind unter Variation der statischenSysteme (d. h. Tunnelquerschnitte) und der Auflasten unter Ein-wirkung der ZTV-ING-Kurve bauteildickenabhängige, äquivalenteTemperaturgradienten ermittelt worden. Die Ermittlung erfolgtedabei basierend auf einem Abgleich mit den Ergebnissen ausdem genaueren rechnerischen Nachweis.

Der weiterentwickelte, vereinfachte Nachweis basiert auf der Ver-wendung eines Betons mit PP-Fasern, d. h., es wurde von ver-nachlässigbaren Betonabplatzungen und damit vernachlässig-barer Beeinträchtigung der Materialeigenschaften (insbesondereder luftseitigen Biegebewehrung) während des Brands und nachdem Brand ausgegangen.

In Bild 7 (vgl. Abschnitt 3) sind die abgeleiteten, bauteildickenab-hängigen äquivalenten Temperaturgradienten dargestellt.

In dem Forschungsvorhaben [2] wurde weiter abgeleitet, dasskeine gesonderte Temperaturänderung ΔTN für die Normalkraftberücksichtigt werden muss, da bei einem Rechteckquerschnittmit üblichen Bettungsbedingungen die Zwangsnormalkraft ausdem Brand nicht bemessungsrelevant ist bzw. die Zwangsnor-malkraft sich günstig auf die Bemessung auswirkt und eine Ver-nachlässigung ein konservativer Ansatz ist.

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3 Untersuchungsergebnisse

Der im Forschungsvorhaben [4] untersuchte zweizellige Tunnel-querschnitt (RQ 26 t) entspricht dem Querschnitt aus dem For-schungsvorhaben [2] und ist nachfolgend in Bild 5 dargestellt.

Für den Querschnitt wurde der genauere rechnerische Nachweisdes Brandfalls auf Grundlage der DIN EN 1992-1-2 [3] in Formdes allgemeinen Rechenverfahrens durchgeführt.

Als statisches Systemwird ein ebenes Stabwerksmodell mit elas-tisch gebetteter Sohle/Außenwänden gewählt. Die Berechnun-gen wurden mit der Software TALPA (Stabelemente Fiber Beam)[6], basierend auf der Finite-Elemente-Methode, durchgeführt.

Für die rechnerischen Nachweise des baulichen Brandschutzeswird ein Beton mit Polypropylenfasern berücksichtigt. Der Ein-fluss von nicht auszuschließenden Betonabplatzungen, die aufGrundlage der Auswertung von Großbrandversuchen, z. B. in [7],auch bei Einsatz von PP-Fasern bei 3 cm liegen können, wurdeim Forschungsvorhaben [4] untersucht und kann als vernachläs-sigbar angesehen werden. Bei Nachrechnungen von bestehen-den Tunnelbauwerken aus Beton ohne PP-Fasern oder sonstigenkonstruktiven Brandschutzmaßnahmen sind Abplatzungen biszur luftseitigen Bewehrung in Decke und Wänden anzunehmen.

Die rechnerischen Nachweise für den Brandfall konnten mit dervorhandenen Bewehrung aus der Kaltberechnung (ULS/SLS)ohne das Erfordernis einer Zusatzbewehrung für den Zeitraumvon t = 0 bis t = 1.500 min nach Brandbeginn im Rahmen deraußergewöhnlichen Bemessungssituation für die Einwirkung derZTV-ING-Kurve geführt werden. Der Zeitpunkt t = 1.500 min stelltden wieder erkalteten Zustand dar.

Aus einer Brandeinwirkung resultiert in der Tunnelzelle ein nega-tives Zwangsbiegemoment (Zugbeanspruchung erdseitig). Bild 6zeigt den zeitabhängigen Verlauf des Stützbiegemoments in derDecke im Bereich der Mittelwand. Zu einem Zeitpunkt von ca. 90bis 100 min nach Brandbeginn entsteht das maximale Zwangs-biegemoment.

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Modifizierung des weiterentwickelten, vereinfachten rechneri-schen Nachweises im Brandfall

Ein Vergleich der Schnittgrößen mit dem Forschungsvorhabenin [2] hat gezeigt, dass die Schnittgrößen im Brandfall mit eineraktualisierten Bemessungssoftware teilweise höher sind. Die Er-gebnisse des Forschungsvorhabens wurden durch unabhängi-ge Vergleichsrechnungen bestätigt. Der weiterentwickelte, ver-einfachte rechnerische Nachweis mit bauteildickenabhängigenTemperaturgradienten wurde dementsprechend modifiziert undum 5 K angehoben.

Bild 7 zeigt den bauteildickenabhängigen Verlauf des ermitteltenTemperaturgradienten.

4 Folgerungen für die Praxis

Auf der Grundlage der Berechnungsergebnisse des genauerenrechnerischen Nachweisverfahrens wurde ein praxisgerechtes

Bild 7. Äquivalenter Temperaturgradient

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Berechnungsverfahren für den Brandfall mit Vorgabe eines vonder Bauteildicke abhängigem, linearen äquivalenten Ersatztem-peraturgradienten entwickelt. Unter den Randbedingungen derVerwendung eines Konstruktionsbetons mit PP-Fasern (entspre-chend den Vorgaben der ZTV-ING) und der Einwirkung der ZTV-ING-Brandkurve kann demnach für ein- und mehrzellige Rahmenmit Bauteildicken größer 0,6 m ein vereinfachter rechnerischerNachweis des Lastfalls Brand über einen Ersatztemperaturgradi-enten geführt werden. Dabei ist ein bauteildickenabhängiger line-arer Temperaturgradient in Wand und Decke bei voller Steifigkeitdes Betonquerschnitts im Zustand I anzusetzen und der Nach-weis der Tragfähigkeit für die außergewöhnliche Bemessungssi-tuation gemäß DIN EN 1990 [5] zu führen. Bei einer Bauteildickevon 60 cm ist ein linearer Temperaturgradient von 55 K und beieiner Bauteildicke von 150 cm ein linearer Temperaturgradientvon 25 K anzusetzen. Für Bauteildicken zwischen 60 und 150 cmist linear zu interpolieren.

Durch den Nachweis der Tragfähigkeit für den Brandfall überden Ansatz eines bauteildickenabhängigen Temperaturgradien-ten wird ein ausreichender Bewehrungsgehalt auf der außenliegenden Seite sichergestellt. Es können somit hohe Betonstahl-dehnungen (>25 ‰) mit Ausbildung von klaffenden Einzelrissenvermieden werden. Weiter wird über diesen Nachweis sicherge-stellt, dass ein ausreichender Anteil der außen liegenden Rah-meneckbewehrung in das Feld geführt wird, um die im Brandfallvergrößerten Stützmomente abzudecken.

Bei Abweichungen zu diesen Annahmen ist ein genauerer rech-nerischer Nachweis des Brandfalls in Form des allgemeinen Re-chenverfahrens nach DIN EN 1992-1-2 [3] durchzuführen. Hierzuist eine Musterstatik mit Leitfaden [4] verfasst worden. Das Do-kument zeigt die Methodik für die Durchführung des genauerenrechnerischen Nachweises des Brandfalls auf und kann, wie dergesamte Forschungsbericht, kostenfrei auf der Homepage derBASt heruntergeladen werden.

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Literatur

[1] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): ZTV-ING: Zusätzliche Tech-nische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten –Teil 5: Tunnelbau, Abschnitt 2: Offene Bauweise. Ausgabe 2014-12.

[2] Peter, C., Knief, J., Schreyer, J., Piazzolla, A.: Rechnerischer Nach-weis des baulichen Brandschutzes für Tunnel in offener Bauweise.Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.0502/2010/ERB, Berichte derBundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Brücken- und Ingenieur-bau, Heft B 94. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH, 2012.

[3] DIN EN 1992-1-2: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion vonStahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-2: Allgemeine Re-geln – Tragwerksbemessung für den Brandfall, Dezember 2010

[4] Peter, C., Nasseri, A.: Erprobung des rechnerischen Brandschutz-nachweises für Tunnel in offener Bauweise. Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.0582/2013/ERB, Berichte der Bundesanstalt für Stra-ßenwesen, Unterreihe Brücken- und Ingenieurbau, Veröffentlichunggeplant. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH, 2015.

[5] DIN EN 1990:2010-12/NA+A1:2012-08, Eurocode 0: Grundlagen derTragwerksplanung. Berlin: Beuth Verlag.

[6] Handbuch SOFiSTiK AG: TALPA Statik ebener und axialsymetrischerSysteme in der Geomechanik. Version 14.05, www.sofistik.de, 2014.

[7] Dehn, F., et al.: Brand- und Abplatzverhalten von Faserbeton in Stra-ßentunneln. Schlussbericht zum FE-Projekt FE 15.448/2007/ERB, Be-richte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Unterreihe Brücken- undIngenieurbau, Heft B 73. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW GmbH,2010.

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