Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Im Namen des Volkes · 2019. 3. 7. · Bayerisches...

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Az. RO 2 K 18.33013 Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Im Namen des Volkes In der Verwaltungsstreitsache 1. ***** 2. ***** zu 1 und 2 wohnhaft: ***** - Kläger - zu 1 und 2 bevollmächtigt: ***** gegen Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf - Beklagte - beteiligt: Regierung von Niederbayern als Vertreter des öffentlichen Interesses Postfach, 84023 Landshut wegen Flüchtlingsanerkennung (Äthiopien) erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg, 2. Kammer, durch den Richter Zeiser als Einzelrichter aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. Februar 2019 am 20. Februar 2019 folgendes U r t e i l : I. Die Klagen werden abgewiesen. II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Ge- richtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstre-

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Az. RO 2 K 18.33013

Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache 1. ***** 2. ***** zu 1 und 2 wohnhaft: ***** - Kläger - zu 1 und 2 bevollmächtigt: *****

gegen Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf - Beklagte - beteiligt: Regierung von Niederbayern als Vertreter des öffentlichen Interesses Postfach, 84023 Landshut

wegen Flüchtlingsanerkennung (Äthiopien) erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg, 2. Kammer, durch den Richter Zeiser als Einzelrichter aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. Februar 2019

am 20. Februar 2019 folgendes

U r t e i l :

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Ge-

richtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können

die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstre-

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ckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicher-

heit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Kläger, äthiopischer Staatsangehörigkeit, wenden sich gegen einen ablehnenden Be-

scheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und begehren die Zuer-

kennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und

wiederum hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebeverboten nach § 60 Abs.

5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge am ***** 1982 geboren, die Klägerin ihren Angaben

zufolge am ***** 1983. Beide geben an, miteinander verheiratet zu sein. Die Klägerin gebar

am ***** 2014 in C***** das erste gemeinsame Kind. Dieses klagt im Verfahren RO 2 K

16.31475 ebenfalls gegen die Ablehnung seines Asylantrags.

Die Kläger reisten am 24. August 2013 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland

ein und beantragten am 12. September desselben Jahres Asyl. Die persönliche Anhörung

beim Bundesamt erfolgte am 9. Juni 2014.

Bei ihrer Asylantragstellung legten beide einen jeweils am 27. Juni 2011 ausgestellten UN-

HCR Flüchtlingsausweis vor.

Am 5. September 2013 wurden beide Kläger zur Klärung ihrer Identität bei der Regierung

von Mittelfranken befragt.

Der Kläger gab hierbei an, Amharisch und ein bisschen Oromo, Tigrinya und Englisch zu

sprechen. Seine Mutter sei Amhara, sein Vater sei Oromo. Einen äthiopischen Reisepass

habe er nie besessen. Papiere habe er nicht dabei. Seinen Personalausweis habe er im

Mittelmeer weggeschmissen. Seine Schulzeugnisse habe ihm im Oktober 2010 der Geheim-

dienst in Äthiopien abgenommen, er habe keine Geburtsurkunde besessen. Er könne keine

Personalpapiere besorgen. Er wolle nicht nach Äthiopien telefonieren. In Äthiopien habe er

im Stadtteil Bole, Wereda Kebele ***** gewohnt. Vom 20. September 2010 bis zum 20. April

2012 habe er sich in einem Camp im Sudan aufgehalten, dann sei er über Libyen und einen

unbekannten Mittelmeerstaat nach Europa gekommen. Er sei seit dem 12. September 2007

mit der am ***** 1983 in Addis Abeba geborenen Klägerin verheiratet. Sein Vater sei 1957

geboren, seine Mutter sei im Alter von 38 Jahren verstorben. Er habe einen Bruder und zwei

Schwestern, diese lebten in Äthiopien. Bis zur 10. Klasse sei er in Goba in die Schule ge-

gangen. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei Mitglied der Arbegnoca Ginbbar Partei.

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Die Klägerin gab bei der Regierung von Mittelfranken an, nur Amharisch zu sprechen. Sie sei

Amhara. Einen äthiopischen Reisepass habe sie nie besessen. Papiere habe sie nicht dabei.

Ihren Personalausweis habe sie im Mittelmeer am 20. August 2013 weggeschmissen. Auch

ihre Schulzeugnisse habe sie an diesem Tag im Mittelmeer weggeschmissen. Sie habe eine

Geburtsurkunde besessen. Personalpapiere könne sie nicht besorgen, sie wolle nicht mit

ihrer Familie in Äthiopien telefonieren. Als letzte Adresse im Heimatland gab sie die gleiche

Adresse wie der Kläger an. Sie habe sich vom 7. Januar 2011 bis 20. April 2012 im gleichen

Camp wie der Kläger im Sudan aufgehalten und sei mit ihm über Libyen und einen unbe-

kannten Mittelmeerstaat nach Europa gekommen. Sie sei seit dem 12. September 2007 mit

dem Kläger verheiratet. Ihr Vater sei 55 Jahre, ihre Mutter 53 Jahre alt. Sie habe fünf Brüder

und eine Schwester, die Geschwister lebten bei den Eltern in Wello. Sie habe bis zur 10.

Klasse in Addis Abeba die Schule besucht.

Am 18. September 2013 erfolgte eine Befragung zur Vorbereitung der persönlichen Anhö-

rung vor dem Bundesamt. Der Kläger gab hierbei an, außer Amharisch noch etwas Tigrinya

zu sprechen. Er gehöre zur Volksgruppe der Oromo. Sein Vater sei Oromo, seine Mutter

Amhara. Er habe einen Kebeleausweis gehabt, der ihm vor ca. 5 Jahren in Addis Abeba

ausgestellt worden sei. Auf der Flucht habe er diesen Ausweis verloren. Eine Geburtsurkun-

de habe er sich nie ausstellen lassen. Die Zeugnisse und seine Heiratsurkunde seien wäh-

rend seiner Flucht, beim Kentern eines Schlauchbootes, abhandengekommen. Er habe sei-

nen Wehrpass im Sudan, beim UNHCR abgegeben. Eine Kopie dieses Wehrpasses habe er

auf der Flucht in Libyen zerrissen und weggeschmissen. Er habe in zwei Flüchtlingslagern im

Sudan gelebt, am 20. September 2010 sei er in Gelebat im Sudan eingetroffen. Er habe sich

einen Monat lang in einem Lager in Gedarif aufgehalten. Vom 27. Juni 2011 bis zum 20.

April 2012 habe er sich in einem weiteren Flüchtlingscamp in Shagerab aufgehalten. Mit

seiner Frau sei er nach Landesrecht traditionell kirchlich verheiratet. Er habe 10 Jahre die

Schule in Bale-Goba besucht und 1998 die Schule abgeschlossen. Von Mai 1999 bis 7. Feb-

ruar 2002 sei er in der äthiopischen Armee als einfacher Soldat gewesen. Er sei am 16. Au-

gust 2013 mit seiner Frau und weiteren 96 Flüchtlingen von Tripolis aus mit einem

Schlauchboot losgefahren. Angesichts der vielen Flüchtlinge seien am vierten Tag der Über-

fahrt die Holzplanken des Bootes gebrochen, daraufhin hätten die Schleuser gefordert, dass

das Gepäck über Bord geworfen werde. Am 22. August 2013 seien sie in der Nacht in der

Nähe einer europäischen Hafenstadt angekommen. Am 24. Mai 2010 sei er von Addis Abe-

ba aus nach Debre Markos auf einem Pick-up gefahren. Dort habe er ca. 3 Monate bei ei-

nem Freund gewohnt. Mit einem Pick-up sei er am 18. August 2010 nach Gondor gekommen

und habe anschließend die Grenzstadt Metema erreicht. Zu Fuß habe er die Grenze zum

Sudan überquert, am 20. September sei er in Gelebat angekommen.

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Auf die Frage, weshalb er nach Deutschland gekommen sei, gab er an, in Äthiopien politisch

verfolgt zu werden. Er sei in der Oppositionspartei und habe sich dort politisch engagiert. Die

Partei heiße UDJ. 2002 sei er ein Jahr lang im Gefängnis gesessen, als er beim Versuch aus

der Armee zu desertieren erwischt worden sei. 2005 sei er erneut eingesperrt worden, da er

in der Kinigit Partei tätig gewesen sei. Nach der verlorenen Wahl sei er über ein Jahr lang

eingesperrt worden. Er sei im Gefängnis in Shewa-Robit gesessen. 2010 sei er wegen sei-

nes politischen Engagements zwei Tage lang eingesperrt gewesen.

Die Klägerin brachte bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 18. September

2013 vor, dass sie alle ihre Unterlagen auf dem Mittelmeer über Bord habe werfen müssen,

weil das Schlauchboot geleckt habe. Sie sei am 11. Januar 2011 im Sudan im Flüchtlingsla-

ger Shegerab angekommen. Am 26. April 2012 sei sie zusammen mit ihrem Mann nach

Libyen weiter. Sie habe in Äthiopien 10 Jahre die Mittelschule in Addis Abeba besucht und

diese abgeschlossen. Ein Jahr habe sie eine Berufsschule besucht und Hotelfach-

/Servicekraft gelernt. Zuletzt habe sie in einer Stofffabrik gearbeitet und 800 äthiopische Birr

verdient. Am 5. Januar 2011 sei sie von Addis Abeba mit einem Reisebus nach Gondor und

von dort mit einem Pick-up nach Hamdayit in den Sudan. Über eine weitere Stadt sei sie in

das Flüchtlingslager Shegerab gekommen, wo sie wieder ihren Mann getroffen habe. Am 20.

April 2012 hätten sie den Sudan verlassen und seien 6 Tage später in der Stadt Igidabia in

Libyen angekommen. Dort sei ihr Mann eingesperrt worden und sie in ein Flüchtlingslager

des Roten Mondes gebracht worden. Später sei auch ihr Mann in das Flüchtlingslager ge-

kommen, sie hätten ca. ein Jahr in Bengasi verbracht. Dann seien sie nach Tripolis, wo sie 3

Monate in einem Auffanglager verbracht hätten. Sie sei mit ihrem Mann aus diesem Lager

geflohen und habe 3 Monate als Hausmädchen in einem Privathaushalt gearbeitet. Sie wolle

nach Deutschland, weil sie in ihrem Land nicht leben könne. Sie sei nicht Mitglied einer poli-

tischen Partei. Sie unterstütze die Tätigkeit ihres Mannes. Er sei Mitglied in der Einheit für

Demokratie und Gerechtigkeit (Andenet). Ihr Mann sei verfolgt worden und habe deshalb das

Land verlassen. Später habe auch sie ihr Heimatland verlassen. Nachdem sie sich kennen-

gelernt hätten, sei er nur 2 Tage bei Propagandaarbeiten verhaftet worden. Von anderen

Festnahmen wisse sie nichts. Dass er für Freiheit und Demokratie kämpfe, habe sie aus

ihren Medien entnehmen können. Nachdem er geflohen sei, sei sie für 2 Monate und 6 Tage

verhaftet worden. Sie sei im Zentralgefängnis in der Nähe von Makelawi inhaftiert gewesen.

Der Kläger trug bei seiner persönlichen Anhörung am 9. Juli 2014 vor, er sei zunächst von

Addis Abeba nach Debre Markos gegangen und habe sich dort 3 Monate aufgehalten, bevor

er Äthiopien verlassen habe. Äthiopien habe er am 18. September 2010 verlassen. Er sei im

äthiopischen Jahr 2002 (gemeint ist wohl 2003) im Meskerem ausgereist. Er wisse aber den

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äthiopischen Kalender nicht mehr. Es sei ihm lieber alle Zeitangaben nicht umzurechnen. Er

sei 27 oder 28 Jahre alt gewesen, als er seine Heimat verlassen habe. In Äthiopien sei er

zuerst Soldat gewesen, dann in Haft und habe danach Gelegenheitsarbeiten ausgeübt. Am

Schluss habe er in einem Fotogeschäft gearbeitet. Seine Frau habe er im Jahr 1999 äthiopi-

scher Zeit (gregorianisch 2006/2007) kennengelernt. Sie hätten in der gleichen Gegend ge-

wohnt und im Jahr 2000 äthiopischer Zeit geheiratet. Er könne Tigrinya sprechen, weil er als

Soldat in dieser Gegend gewesen sei und dabei die Sprache gelernt habe.

Im europäischen Jahr 2010 seien Wahlen in Äthiopien gewesen. Er sei als Wahlbeobachter

für Andinet in Wereda 28 aktiv gewesen. Sie hätten 110 Wahlbezirke gehabt und er habe

überall hin gehen müssen und die Wahlen beobachten und an die Leitung berichten. Ein

Wahlbeobachter habe ihn am 15.9.2002 (äthiopische Zeit, 23. Mai 2010 gregorianisch) ange-

rufen und von Unregelmäßigkeiten berichtet. Er habe so schnell wie möglich vorbeikommen

sollen, weil es einen Stimmenbetrug gegeben habe. Tagsüber habe er die Wahlen beobach-

tet und er habe schon damals viele Streitigkeiten sehen können. Auf dem Weg zum Wahlbe-

zirk sei er von zwei Männern überfallen und geschlagen worden. Am 22. Mai hätten alle

Wahlbeobachter ihren Lohn bekommen. Dies hätten zwei Männer fotografiert. Das habe er

gemerkt und diese angesprochen, warum sie jetzt von ihm Bilder machten. Er habe ihnen

gesagt, dass er die Polizei darüber informieren werde. Er habe Polizei auf der Straße gese-

hen und dieser gesagt, dass diese zwei Männer ihn fotografierten. Einer der Männer, der das

Bild gemacht habe, habe das Bild dem anderen angegeben. Der andere sei mit dem Bild

weggerannt. Der Polizist habe den, der geblieben sei, gefragt, weshalb er Bilder vom Kläger

gemacht habe. Dieser habe alles verneint. Am Tag darauf, nachdem er ein Telefonat über

den Betrug bekommen habe, sei er von diesen zwei Leuten überfallen und verprügelt wor-

den. Sie hätten Tigrinya gesprochen. Nachdem sie ihn geschlagen hätten, sei er auf den

Boden gefallen. Auf dem Boden liegend habe er einen Stein gefunden und diesen in Rich-

tung eines Mannes geworfen. Es sei dunkel gewesen, aber er habe ihn voll ins Gesicht ge-

troffen. Dieser habe geschrien und der andere habe versucht, diesem zu helfen. Es sei ein

Auto gekommen, so dass er aufgestanden und von dort weggelaufen sei. In dieser Gegend

gebe es Bäume und einen Wald, wo er sich eine Stunde versteckt habe. Er habe Angst ge-

habt, dass sie ihn suchten. Danach sei er in den Stadtteil Kebena gelaufen, dort habe er eine

gute Freundin, die mit ihm in dem Fotoladen gearbeitet habe und dort gewohnt hätte. Er sei

zu ihr gegangen und nicht zurück nach Hause gelaufen, weil sie nach ihm gesucht hätten. Er

wolle hier klarstellen, dass er seit 2001 äthiopischer Zeit für die patriotische Front arbeite und

seit 2002 äthiopischer Zeit für Andinet tätig sei. Zuhause habe er alle Unterlagen der patrioti-

schen Front, wie beispielsweise Flugblätter, die er nachts in den Kirchen verteilt habe.

Gleichzeitig sei er auch für Andinet tätig gewesen. Bei der Schlägerei hätten ihm diese Män-

ner immer wieder gesagt, dass er für eine andere oppositionelle Partei und nicht für Andinet

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arbeite, ihnen sei bekannt, dass er für die patriotische Front tätig sei. Als er bei der guten

Freundin übernachtet habe, habe er seinen Freund in Debre Markos angerufen, der ihn für

die patriotische Front angeworben habe. Dieser habe ihm gesagt, dass sie hinter ihm her

seien. Er habe gesagt, dass der Kläger sofort nach Debre Markos kommen solle, dort werde

man schon eine Lösung finden.

Eine Woche vorher seien sie in Feche in einer Nachbarstadt Addis Abebas gewesen. Sie

seien dort am 13./14. Mai wegen Wahlpropaganda gewesen. In dem Hotel, in dem sie unter-

gebracht gewesen seien, sei nachts das Zimmer von Sicherheitsmännern aufgebrochen

worden, die sie später mit Gewalt mitgenommen hätten. Ihre Kebeleausweise seien ihnen

abgenommen worden und sie hätten später eine Auflage unterschreiben müssen und seien

freigelassen worden. Sie seien gegen nachmittags in die Stadt gekommen, essen gegangen

und hätten für die Frau, die dort kandidiert habe, Propaganda machen wollen. Ihr Fahrer sei

im Auto gesessen und von anderen eingeschüchtert worden. Dieser habe Angst gehabt, weil

er Kinder gehabt habe und den Kläger und die anderen dort alleingelassen. In der Stadt

hätten sie Wahlzettel für die Kandidaten verteilen wollen. Laut Gesetz sei Propaganda nach

18:00 Uhr verboten. Sie seien beschuldigt worden, nach 18:00 Uhr propagiert zu haben und

gefragt worden, weshalb sie gekommen seien. Die Frau habe hier genügend Leute, dass sie

das auch ohne sie tun könnte. Sie seien beschuldigt worden, Menschen zur Unruhe anzustif-

ten. Sie seien zwölf Leute gewesen, die später in einem Zimmer eingesperrt worden seien.

Die anderen seien sehr gewalttätig gewesen und hätten ihnen eine Auflage vorgelegt, dass

sie zu Unruhen aufgerufen und die Uhrzeit nicht beachtet hätten. Es seien keine Polizisten

sondern besondere Sicherheitskräfte gewesen. Sie seien zu zwölft für Propaganda in der

Stadt vorgesehen gewesen. Sechs seien in einem Hotel und die anderen Sechs in einem

anderen Hotel untergebracht gewesen. Zwei seien geflohen. Sie hätten nach Addis Abeba

telefoniert und am nächsten Tag sei Dr. M***** G***** gekommen, der von Medrek gewesen

sei, und habe für sie die Freilassung besorgt. Dann seien sie nach Addis Abeba zurückge-

fahren.

Er sei zum Wahlhelfer gewählt worden, weil viele Menschen wegen der Wahlen im Jahr

1997 äthiopischer Zeit kein Vertrauen mehr gehabt hätten. Weil er für die patriotische Front

gearbeitet habe, habe er sich für Andinet wählen lassen. So habe er verdeckt für die patrioti-

sche Front bei Andinet arbeiten können. Er habe mit allen friedlichen Mitteln versucht, die

jetzige Regierung abwählen zu lassen. Die leitenden Personen von Andinet hätten nicht

gewusst, dass er für die patriotische Front arbeite. Er habe aber ein paar Leute für die patrio-

tische Front angeworben. Der Kläger legte hierzu eine Bestätigung der EPPF aus dem Su-

dan vor. Die Stimmabgabe sei von früh morgens 6:00 bis 18:00 Uhr abends. Die Stimmen

seien nachts gezählt worden. Der Anruf wegen des Stimmenbetrugs sei nachts gekommen.

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Die Stimmzettel seien falsch gezählt worden, und sie hätten gewollt, dass er das unter-

schreibe. Er sei zu den Wahlbezirken gegangen und habe alles beobachtet. Es habe 110

Wahlbezirke gegeben und zu manchen sei er mit dem Taxi gefahren oder zu Fuß gelaufen.

Er habe seinen Ausweis an der Tür gezeigt und später habe er beobachtet, ob alles richtig

laufe. Er sei auch zu Wahlbeobachtern gegangen und habe sich angeschaut, ob die Stimm-

zettel richtig abgegeben wurden. Die Leute hätten zwei Zettel bekommen, diese ausfüllen

müssen und später zusammengefaltet in eine Wahlurne reinwerfen. Die Leute der EPRDF

bekämen anstatt einem Zettel zwei Zettel und würfen diese zusammen ein. Als er das Tele-

fonat erhalten habe, sei er zu Hause gewesen, es sei kurz vor Mitternacht gewesen. Er habe

zur Wereda 28, das sei seine Wereda, laufen müssen. Diese sei ca. 20 Minuten entfernt. Sie

seien fünf bewegliche Beobachter von Andinet gewesen. Der Wahlbeobachter, der ihn ange-

rufen habe, sei ein freiwilliger Beobachter gewesen.

In Fecha seien sie zwei Nächte eingesperrt gewesen. Die zwei Geflohenen hätte erst her-

ausfinden müssen, wo sie seien und hätten erst am Tag danach Herrn M***** G***** erreicht.

Die zwei hätten fliehen können, weil sie durchs Fenster geflüchtet seien. Nachdem er zu

seinem Freund gegangen sei, habe er keinen direkten Kontakt zu seiner Frau gehabt, son-

dern nur zu seiner Tante in Addis Abeba, die er immer angerufen habe. Seine Frau sei be-

lästigt worden. Bei seinem Freund habe er drei Monate gewartet, bis sich alles beruhigte.

Bevor er nach Debre Markos gegangen sei, habe er kurz seine Frau angerufen und ihr ge-

sagt, dass er für kurze Zeit untertauchen müsse. Sie habe über alles Bescheid gewusst.

Der Kläger gab an, dass auf einem der übergebenen Belege bestehe, dass er am 21.9.2002

(äthiopische Zeit, gregorianisch 29. Mai 2010) in Addis Abeba im Stadtteil Urael Geld für

Andinet eingezahlt habe. Auf den Vorhalt, dass er an diesem Tag bereits in Debre Markos

gewesen sei, erwiderte er, dass er nicht zurück nach Addis Abeba gekommen sei, um das

Geld in dem Büro abzugeben. Er habe das kurz vor der Wahl bezahlt.

Er sei zweimal in Haft gewesen, zweimal für ein Jahr. Das erste Mal weil er versucht habe,

zu desertieren. Das zweite Mal drei Jahre später. Er sei damals sehr misshandelt worden, so

dass er selbst urologische Probleme habe. Hierzu legte er ein Attest vor. Er sei in der Wahl-

zeit verhaftet und auf die Hoden geschlagen worden. Anschließend sei er ins Krankenhaus

gebracht und dort operiert worden. Nach der Operation sei er in die Haft nach Shawe Robit

gebracht worden. In einer Nacht hätten sie 30 Leute auf einen Lkw geladen und sie nach

Addis Abeba gefahren und dort auf der Straße freigelassen. Man habe seine Rechte verletzt

und ihn ohne Gerichtsurteil eingesperrt und misshandelt. Auf die Frage, warum er nicht 2005

nach der zweiten Haft ausgereist sei, gab er an, er habe nicht ausreisen wollen. Die Regie-

rung habe ein Terrorismusgesetz veröffentlicht und er habe diverse Unterlagen zu Hause

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gehabt, wenn sie in die Hände der Regierung gekommen wären, wäre er sicher noch einmal

verhaftet worden. Auf ein drittes Mal habe er nicht warten wollen. Auf den Vorhalt, dass er

fünf Jahre gewartet habe, bis er geflüchtet sei, gab er an, im Untergrund gekämpft zu haben,

um die Regierung zu stürzen. Außerdem sei er auch wegen seiner Oromo-

Volkszugehörigkeit unterdrückt worden.

Auf die Frage, woher die zwei Leute, die ihn angegriffen hätten, wissen hätten sollen, dass er

die patriotische Front unterstütze, gab er an, die angeworbenen Mitglieder hätten ihn verra-

ten. Es gebe sehr viele Spione, die sich verdeckt bei Andinet aufhielten und sie beobachte-

ten. Er sei auch öfters telefonisch bedroht worden. Es sei nicht früher ausgereist, weil er bis

zum bitteren Ende, bzw. bis zu seinem Tod habe kämpfen wollen. Zum Schluss habe er

Angst bekommen, weil ihm seine menschliche Seite empfohlen habe, das Land zu verlas-

sen.

In Deutschland sei er exilpolitisch tätig. Er sei bei der EPPF-Germany. Hierzu legte er einen

Ausweis dieser Organisation und einer weiteren Organisation namens EPCOU, sowie Teil-

nahmebestätigungen von Versammlungen und Bilder vor. Bis vor kurzem habe er an einem

Ort gewohnt, der sehr weit entfernt gewesen sei und habe nicht regelmäßigen Kontakt zu der

Organisation gehabt. Seit zwei Monaten wohne er aber in einem anderen Camp und enga-

giere sich mehr für die Partei.

Es sei nicht im Sudan geblieben, weil es eine Vereinbarung zwischen der sudanesischen

und der äthiopischen Regierung gegeben habe, wonach alle sich illegal im Sudan aufhalten-

de Leute nach Äthiopien zurückgebracht werden müssten. Danach sei er in einem Flücht-

lingslager gewesen, er habe Unterlagen vom UNHCR. Im Sudan gebe es keine Sicherheit.

Sie würden von Sicherheitskräften beobachtet, die für Geld alles verraten würden. Die äthio-

pische Regierung komme und hole Leute ab. Es gebe keinen Schutz und keine Sicherheit.

Bei ihrer persönlichen Anhörung am 9. Juli 2014 trug die Klägerin vor, dass sie ihre Heimat

wegen der Probleme ihres Mannes verlassen habe. Sie sei in Äthiopien zwei Monate in Haft

gewesen und dort geschlagen und belästigt worden. Deswegen sei sie krank geworden. Sie

sei auch schikaniert worden. Sie sei am 1. Februar 2003 (äthiopischer Kalender, gregoria-

nisch 11. Oktober 2010) verhaftet worden. Hierzu sei sie von zu Hause von drei zivilgekleide-

ten Sicherheitsleuten abgeholt worden. Es sei kurz vor Mitternacht gewesen. Sie hätten zu-

erst das Haus durchsucht und unter dem Fernseher ein Stück Papier gefunden. Sie hätten

ihr gesagt, dass es sicher von ihrem Mann sei und sie solle das Versteck ihres Mannes ver-

raten. Sie habe gesagt, dass sie nicht wisse, wo ihr Mann sei. Darauf sei ihr geantwortet

worden, dass sie mitkommen müsse. Das gefundene Papier sei von der patriotischen Front

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gewesen. Sie sei gefragt worden, woher dieses Papier komme. Sie hätten ihr gesagt, dass

sie wisse, wo ihr Mann sei. Sie habe zwar Unterlagen von ihrem Mann verschwinden lassen,

aber das Stück Papier unter dem Fernseher habe sie vorher nie gesehen. Sie habe viele

Unterlagen wie zum Beispiel Zeugnisse oder Unterlagen der Armee, die sie der Tante ihres

Mannes überreicht habe, verschwinden lassen. Auf die Frage, ob darunter Unterlagen der

patriotischen Front gewesen seien, antwortete sie mit ja. Auf die Frage welche Unterlagen

dies gewesen seien, gab sie an, die Unterlagen nicht gesehen zu haben und auch keine

Ahnung gehabt zu haben, dass er zu diesem Zeitpunkt bei der patriotischen Front tätig ge-

wesen sei. Sie habe nur gewusst, dass sie für die Einheit für Demokratie und Gerechtigkeit

arbeite, nicht aber, dass er für die patriotische Front tätig sei. Telefonisch habe sie mit ihrem

Mann nur einmal nach dessen Ausreise Kontakt gehabt, ansonsten habe er sich bei seiner

Tante gemeldet, die sie dann informiert habe. Nach der Verhaftung sei sie ins Zentralge-

fängnis nach Addis Abeba gebracht worden. Auf die Frage, was ihr während der Haft pas-

siert sei, antwortete sie, dass die Polizisten sie schikaniert hätten und ihr gesagt hätten, sie

wisse, wo ihr Mann sich aufhalte und dass sie diesen unterstütze. Meistens sei sie von einer

Polizistin schikaniert und geschlagen worden. Auf die Frage, was dies für Schikanen gewe-

sen seien, gab sie an, sie (die Polizistin) habe ihr Angst gemacht, dass sie wisse, wo sie sei

und sie den Aufenthaltsort ihres Mannes verraten solle. Hauptsächlich habe sie ihr Angst

gemacht. Auf die Frage, wie es ihr gelungen sei, das Gefängnis zu verlassen, gab sie an,

sehr krank gewesen zu sein. Sie habe Durchfall gehabt und erbrochen. Sie hätten von der

Klägerin nach zwei Monaten eine Kaution in Höhe von 500.000 äthiopischen Birr verlangt.

Am 6.4.2003 (äthiopischer Zeit, gregorianisch 15. Dezember 2010) sei sie freigelassen wor-

den. Man habe ihr bis zu einem Monat Zeit gegeben, den Aufenthaltsort ihres Mannes zu

verraten. Das Geld sei von der Tante ihres Mannes besorgt worden. Auf die Frage, weshalb

sie nicht zu ihren Eltern in die Provinz Wello gegangen sei, gab sie an, in Addis Abeba gebo-

ren worden zu sein. Ihre Mutter habe sie bei einem Onkel in Addis Abeba gelassen, bei die-

sem sei sie aufgewachsen. Ihre Eltern wohnten in Wello, sie sei dort aber nie gewesen. Ihre

Eltern seien zum Besuch nach Addis Abeba gekommen. Der Onkel habe keine eigenen Kin-

der gehabt. Auf die Frage, weshalb sie nicht beim Onkel nach Hilfe gesucht habe, gab sie

an, dieser habe die Beziehung zu ihrem Mann nicht akzeptiert. Er glaube noch an die Eth-

nien und habe sie ständig gefragt, warum sie einen Oromo geheiratet habe, obwohl sie Am-

hara sei. Nach der Haftentlassung habe sie sich bei Freunden versteckt und entschieden in

den Sudan zu fliehen. Vor ihrer Verhaftung habe es keine Durchsuchungen gegeben, sie

seien gekommen und hätten sie beobachtet und ausspioniert, aber nicht das Haus durch-

sucht. Zum 1. Mal seien sie direkt nach der Wahl am nächsten Tag gekommen. Das sei am

16.9.2002 (äthiopische Zeit, gregorianisch 24. Mai 2010). Sie hätten sich als Freunde aus-

gegeben und sich mit ihr anfreunden wollen und gefragt, wo ihr Mann sei. Sie habe nicht

gedacht, dass sie verhaftet würde. Sie sei nicht politisch aktiv, sondern nur Unterstützerin

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und Sympathisantin. Sie sei Unterstützerin der Partei Andinet. Sie habe diese Partei auch

gewählt, ohne dass jemand davon erfahren habe. Auf die Frage, ob jemand von dieser Par-

tei im Parlament vertreten sei, antwortete sie, sie kenne sich mit Politik nicht aus. Sie habe

die Partei unterstützt, weil ihr ihr Mann erzählt habe, dass diese für Freiheit und Gerechtig-

keit kämpfe. Während der Haft sei sie nicht bei einem Arzt gewesen. Später sei sie schon zu

einem Arzt gegangen. Sie habe eine Magenerkrankung gehabt und Medikamente bekom-

men.

Unterlagen ihres Mannes, die sie der Tante übergeben habe, habe sie ihrem Mann im Sudan

gegeben. Die Tante habe Kontakt zum Mann gehabt und sie angerufen und ihr gesagt, dass

sie alle Unterlagen bei der Tante abgeben solle. Später habe ihr Mann die Tante angerufen

und ihr gesagt, wenn die Klägerin von Zuhause weggehe, solle sie alle Unterlagen mitneh-

men. Sie sei sehr vorsichtig gewesen und habe sich versteckt. Ihr Mann habe die Reise über

Humera in den Sudan arrangiert. In Humera habe sie telefonischen Kontakt mit ihrem Mann

gehabt. Dort habe sich ein Freund des Mannes gemeldet und sie in den Sudan geschleust,

wo sie beim UNHCR nach ihrem Mann gesucht habe. Auf die Frage, weshalb sie beim UN-

HCR nach ihrem Mann gesucht habe, wo sie doch telefonischen Kontakt mit ihm gehabt

hätte, antwortete sie, wenn sie in Äthiopien nicht beobachtet geworden wäre, wäre sie dort

geblieben. Auf die Wiederholungsfrage gab sie an, zuerst nach Hamdaid gegangen und

dann auf das Rote Kreuz gestoßen zu sein, diese hätten sie zu ihrem Mann geschickt. Ihr

Mann habe ihre Telefonnummer gewusst, weil die Tante Bescheid gegeben habe, dass die

Klägerin ein Handy dabei haben werde. Auf die Frage, warum er sie nicht früher angerufen

habe, gab sie an, dass sie auch seine Telefonnummer gewusst habe. Er habe ihrer Tante

Nachrichten gegeben und diese habe das weitergeleitet. Sie habe selbst nicht telefonieren

können, weil sie beobachtet worden sei. Sie hätten schon miteinander gesprochen, aber

selten. Zum Schluss sei sie zu der Tante gegangen und habe auch mit ihrem Mann gespro-

chen und ihm gesagt, dass sie ein Handy dabei haben werde. Ihr Mann habe sie am Tag der

Wahlen, als er verschwunden sei, nachts angerufen. Der Anruf sei kurz vor frühmorgens

gekommen. Sie sei noch im Bett gewesen. Ihr Mann habe das Haus am 15. 9. 2002 (äthiopi-

sche Zeit, gregorianisch 23. Mai 2010) verlassen. Er sei an diesem Tag Wahlbeobachter

gewesen, frühmorgens gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Auf die Frage, ob sie

das Gefängnis beschreiben könne, gab sie an, zuerst zur Zentralpolizei gebracht worden zu

sein und dort einen Tag und eine Nacht verbracht zu haben. Dann sei sie ins Kotebe Ge-

fängnis verlegt worden. Dies sei ein Gefängnis für Frauen. Es seien sehr viele Frauen gewe-

sen. Es sei ein offener, hallenmäßiger Raum gewesen. Der Raum habe wie ein Lagerraum

ausgesehen. Bis zu 80 Frauen seien dort gewesen. Auf die Bitte, den Tagesablauf zu be-

schreiben, trug sie vor, nicht immer rausgedurft zu haben, meistens abends. Sie seien rum-

gesessen und hätten sich ihre Geschichten erzählt. Draußen hätten sie eine halbe Stunde

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laufen dürfen. Auf die Frage, ob ihr Mann irgendwelche Probleme mit den staatlichen Behör-

den gehabt habe, bevor er verschwunden sei, gab sie an, nicht jeden Tag im Gefängnis

draußen gewesen zu sein. Auf den Vorhalt, dass dies nicht die Antwort auf die Frage gewe-

sen sei, erwiderte sie, sie seien nicht zufrieden mit seinen politischen Aktivitäten gewesen.

Er habe so nicht weiterleben können. Auf die Frage, ob ihr Mann früher Probleme mit staatli-

chen Behörden gehabt habe, antwortete sie, sie wisse, dass er Soldat gewesen sei und spä-

ter fleißig gearbeitet habe und die politische Situation so war. Er sei politisch aktiv gewesen

und habe Flugblätter verteilt, dabei sei er auch verhaftet worden. Flugblätter habe er für

Andinet verteilt. Sie habe sich in Deutschland EPPF-Germany angeschlossen, sei aber nur

dreimal wegen ihrer Schwangerschaft dort gewesen. Hierzu legte sie einen Ausweis der

EPPF und einen Ausweis der EPCOU vor. Zudem übergab sie eine Teilnahmebestätigung

vom 5. Oktober 2013. Sie habe sich der EPPF angeschlossen, weil ihr Mann mit denen zu-

sammenarbeite und diese ihre Ziele mit Mut und Courage verfolgen würden. Auf die Frage,

was sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien befürchte, antwortete sie, sie wisse nicht, was sie

dort erwarte. Sie wolle nur nicht, dass die Kinder ohne Eltern aufwüchsen.

Der Kläger ließ im Nachgang zu seiner Anhörung diverse Bestätigungen seiner exilpoliti-

schen Aktivitäten vorlegen.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 lehnte die Beklagte die Schutzbegehren der beiden Kläger

ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen und drohte ihnen die Abschiebung

nach Äthiopien an.

Hiergegen erhoben die Kläger am 15. Juli 2016 Klage.

Die Kläger übergaben eine sozialpädagogische Stellungnahme der Caritas C*****. Auf diese

wird verwiesen. Der Kläger arbeite demnach seit 1. Juli 2016 in einer Schreinerei. In der

mündlichen Verhandlung erläuterte er, dass diese Tätigkeit auf 6 Monate befristet gewesen

sei. Der Kläger übergab diverse Unterlagen zum Nachweis seines exilpolitischen Engage-

ments. Dies sind unter anderem ein Erfahrungsbericht beider Kläger über die Ereignisse vor

ihrer Ausreise aus Äthiopien, eine Bescheinigung, dass der Kläger bereits in Äthiopien und

im Sudan für die EPPF tätig gewesen sei, Aufnahmen, die den Kläger mit führenden Perso-

nen der äthiopischen Exilopposition im Februar 2017 in R***** zeigten, eine Zollquittung über

eine Flagge, die sich der Kläger aus den USA habe schicken lassen, Aufnahmen die den

Kläger in seiner Rolle als Vorsitzender der Ginbot 7 R***** mit führenden Personen der äthi-

opischen Exilopposition im Dezember 2017 in München zeigen, eine Petition und eine Teil-

nahmebescheinigung für eine Spendenveranstaltung des äthiopischen Exilrundfunks.

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Der Kläger trug in seinem Erfahrungsbericht u.a. vor, dass seine Frau wegen ihm für 2 Mo-

nate verhaftet worden sei. Im äthiopischen Jahr 2002 sei in Äthiopien Wahl gewesen. Er sei

für Medrek als Wahlbeobachter in Wereda 28, Addis Abeba, eingesetzt gewesen. Für den

22. Mai habe er sich mit anderen Wahlbeobachtern auf einer Straße verabredet, um diesen

das Geld für ihre Dienste zu bezahlen. Dabei seien sie fotografiert worden. Am nächsten

Tag, als er noch mit vier anderen Wahlbeobachtern im Wahllokal auf Ergebnisse gewartet

habe, habe er einen Anruf bekommen, dass er umgehend zu einem anderen Wahllokal

kommen solle. Auf dem Weg dorthin sei er von 2 tigrinisch sprechenden Männern zusam-

mengeschlagen worden. Er habe Angst bekommen, einen Stein genommen und den ande-

ren damit auf den Hinterkopf geschlagen. Dann sei er geflohen.

Die Klägerin gab in ihrem Erfahrungsbericht an, ihr Ehemann sei am 23. Mai zum Wahllokal

gegangen, um dort als Wahlbeobachter zu arbeiten. Er sei danach nicht mehr nach Hause

zurückgekommen. Gegen Mitternacht habe ihr Mann sie angerufen und ihr gesagt, wo er sei.

Ab 24. Mai seien an verschiedenen Tage ihr unbekannte Leute gekommen und hätten sich

als Freunde des Mannes ausgegeben und wissen wollen, wo ihr Mann sei. Am 11. Dezem-

ber gegen 0 Uhr hätten fremde Leute geklopft. Sie habe sich erschrocken und gefragt, wer

sie seien und was sie wollten. Daraufhin sei ihr entgegnet worden, dass die Türe mit Gewalt

geöffnet werde, wenn sie nicht aufmache. Sie habe die Türe geöffnet. Als sie in der Woh-

nung gewesen seien, hätten sie sofort angefangen diese zu durchsuchen. Drei Männer hät-

ten ihr Fragen bzgl. ihres Manns gestellt und wo er sei. Später hätten die Männer unter dem

TV-Tisch Papiere gefunden und gefragt, ob sie etwas darüber wisse. Einer der Männer habe

ein Papier aus der Tasche geholt und darauf geschrieben, dass er Beweise sichergestellt

habe und sie unterschreiben müsse. Danach sei sie zu einer Befragung mitgenommen wor-

den. Es sei ein kaltes dunkles Zimmer gewesen. Dort sei sie ca. 4 h gewesen, bis einer ge-

kommen sei und sie in ein anderes Zimmer gebracht habe. Nach einigen Minuten seien eine

Frau und zwei Männer gekommen. Die Männer hätten Platz genommen. Die Frau sei ge-

standen und habe viele Fragen gestellt, ob sie etwas über das Papier wisse. Anschließend

sei sie nach Kotebe zur Polizeiwache gebracht worden. Sie seien öfters in der Nacht ge-

kommen und hätten immer wieder Fragen über ihren Mann gestellt. Sie habe nichts gesagt,

deshalb sei die Situation immer unerträglicher geworden. Die Frau habe sie gezwungen, ihr

Oberteil auszuziehen und sie vor den Männern mit einem Kugelschreiber am Busen berührt.

Dabei hätten alle gelacht. Bis heute leide sie darunter. Sie fühle Angst, wenn sie unter meh-

reren Leuten sei. Am 14. Dezember sei sie erneut zur Befragung abgeholt worden. Diesmal

sei ihr gesagt worden, wenn sie binnen 4 Monaten den Aufenthaltsort ihres Mannes verrate

und eine Kaution von 5.000 Birr bezahle, werde sie in Ruhe gelassen. Am 15. Dezember sei

sie dann freigekommen. Sie habe das Geld von der Tante ihres Mannes bekommen und die

Kaution gezahlt. Sie habe sich trotzdem nicht frei gefühlt. Später habe sie der Tante ihres

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Mannes gesagt, dass sie zu ihrem Mann wolle. Die Tante habe Kontakt zu ihm gehabt und

alles arrangiert. Am 5. Januar habe sie ein Ticket nach Gondar gekauft. Dort habe sie über-

nachtet. Am nächsten Tag sei sie nach Humera. Von dort aus habe sie telefonisch Kontakt

zu ihrem Mann aufgenommen. Ihr Mann habe ihr gesagt, dass er zwei Leute schicke, die ihr

dann hülfen und sie rangehen solle, wenn eine unbekannte Nummer anrufe. Es sei ein Mann

gekommen, sie seien ein Stück zu Fuß gelaufen. Gegen Abend seien sie über den Teke-

sesee mit einem Boot in den Sudan gekommen.

Weiter übergab der Kläger eine Videoaufzeichnung, die ihn bei einer Konferenz in München

im Dezember 2017 zeigt. Er habe hierbei vor dem Plenum ein Grußwort der Ginbot 7 an den

Vorsitzenden der Organisation, Berhanu Nega, gerichtet. Auf die weiteren übergebenen

Unterlagen zum Nachweis der exilpolitischen Aktivitäten wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2019 brachten die Kläger vor, dass der Kläger an einer An-

passungsstörung mit depressiver Reaktion und die Klägerin an einer posttraumatischen Be-

lastungsstörung erkrankt seien. Hierzu legten sie Arztbriefe der medbo vom 8. Dezember

2017 (Klägerin) und vom 24. Januar 2018 (Kläger) vor. Auf beide wird verwiesen.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2016, Aktenzeichen*****- 225 ent-

sprechend aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die

Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

ihnen subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) zu gewähren,

weiter hilfsweise,

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz festzustel-

len.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung der Beklagten wird auf die Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung

verwiesen.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2018 wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter als

Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden-

und Gerichtsakten Bezug genommen und auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung,

in der beide Kläger informatorisch angehört worden sind, vom 20. Februar 2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Klagen sind unbegründet und bleiben ohne Erfolg.

Die Entscheidung des Bundesamts, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft und den subsidi-

ären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten ge-

mäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und beide Kläger unter Androhung

ihrer Abschiebung nach Äthiopien zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt die

Kläger damit auch nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsge-

richtsordnung (VwGO).

Die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Die getroffenen Entscheidungen sind rechtmäßig, da beide keinen Anspruch nach § 3 Abs. 4

Asylgesetz (AsylG) auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben. Weder der Kläger

noch die Klägerin sind Flüchtlinge nach § 3 Abs. 1 AsylG. Hierbei ist der entscheidende Zeit-

punkt für das Vorliegen der Voraussetzungen der Termin der mündlichen Verhandlung (§ 77

Abs. 1 S. 1 AsylG).

Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling,

wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Re-

ligion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder

wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG

ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann

nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten

Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Be-

troffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland

zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.

An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand

aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge

von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge

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allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v.

28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris).

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch uner-

heblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die

Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen

diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1

AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat,

der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 -

10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die

Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom

13.12.2011). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger

ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfol-

gung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften

Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen,

dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht

wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung

in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A – juris).

Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner

Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden

Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel

stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfol-

gerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen

des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet an-

derseits jedoch nicht, dass der entscheidende Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne

des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 – juris; BVerwG,

U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus,

dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschil-

dert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung

des Erlebten. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn

der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vor-

bringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenser-

fahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe

unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylver-

fahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeb-

lich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG

Ansbach, U.v. 24.10.2016 – AN 3 K 16.30452 – juris mit weiteren Nachweisen).

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Das Vorbringen der Kläger kann wegen der Unglaubwürdigkeit sowohl des Klägers als auch

der Klägerin nicht als glaubhaft gemacht angenommen werden.

Der Kläger und die Klägerin sind unglaubwürdig, weil beider persönliche Identität zur Über-

zeugung des Gerichts nicht feststeht. Beide sind ausweislos und haben durch Nichtvorlage

eines authentischen äthiopischen Ausweises nicht dazu beigetragen, ihre Identität zu klären.

Soweit der Kläger vorträgt, dass er den Kebeleausweis im Mittelmeer weggeworfen habe,

um bei der Rückkehr an Land nicht als Äthiopier erkannt zu werden, ist diese Aussage, da

die entsprechende Geschichte im Widerspruch zur Aussage seiner Frau steht, unglaubhaft

und weckt Zweifel an der Glaubwürdigkeit beider Kläger. Der Kläger hat vorgebracht, die

beim Bundesamt vorgelegten Dokumente, UNHCR-Ausweise, Einzahlungsbeleg Andinet

und Mitgliedsbestätigungen hätte seine Frau bei der Überfahrt übers Mittelmeer in ihrem

Dekolleté getragen und deshalb habe er sie beim Bundesamt vorlegen können. Demgegen-

über steht die Aussage seiner Frau, dass die vorgelegten Dokumente der Mann in seiner

Hosentasche getragen habe, sie habe ihre Dokumente in einer über Bord gegangenen Ta-

sche getragen und deshalb verloren. Auch divergiert das Vorbringen beider Kläger zum Ab-

lauf der Überfahrt. Während der Mann vortrug, dass sie nach 2 Tagen wegen Bootproblemen

zurück an die Küste gemusst hätten und deshalb alle Angst gehabt hätten, dass sie durch-

sucht würden und sie zudem nass gewesen seien, brachte die Frau vor, dass die Probleme

mit dem Schiff auf hoher See aufgetreten seien und sie nicht in Richtung einer Küste abge-

schleppt worden seien, sondern ihnen vielmehr auf hoher See von Fischern geholfen worden

sei. Auch dieses Vorbringen lässt sich nicht mit dem des Klägers in Übereinstimmung brin-

gen und erzeugt weitere Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kläger.

Nach alledem ist bereits völlig offen, ob die Kläger ihre tatsächliche Identität offengelegt, also

ihre richtigen Namen und Daten angegeben haben.

Weitere Zweifel an ihrer Identität entstehen durch die Angaben der Kläger zu ihrem Alter und

Geburtsdatum. Der Kläger gab an, er sei 33 Jahre alt, aber im Jahr 1982 geboren. Bereits

dies stimmt rechnerisch nicht. Weiter gab er sein Geburtsdatum im gregorianischen Kalender

an, wusste es aber nicht im äthiopischen. In diesem Kalendersystem schätzte er es auf den

14.4.(Thasas)1974. Diese Schätzung liegt um ein Jahr falsch und trifft den falschen Tag. Das

dem 26.12.1982 entsprechende äthiopische Datum wäre der 17.4.1975 (Kalenderumrech-

nung via http://www.nabkal.de/kalrech8.html). Da er selbst gesagt hat, dass er in Äthiopien

beide Kalendersysteme benutzt hätte, ist es unplausibel, dass er sein Geburtsdatum nur im

gregorianischen System kennt. Die Klägerin gab als Geburtsjahr in der mündlichen Verhand-

lung zunächst 1993 an, merkte dann, dass dies nicht stimmen konnte und gab – wie beim

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Bundesamt – 1983 an, äußerte jedoch zugleich, 37 Jahre alt zu sein, was rechnerisch eben-

falls nicht möglich ist.

All diese Ungereimtheiten der klägerischen Angaben zu ihrer jeweiligen Identität führen zu

einer erschütterten Glaubwürdigkeit. Aufgrund der fehlenden Glaubwürdigkeit kann das Vor-

bringen der Kläger zu ihrer Fluchtgeschichte nicht geglaubt werden.

Selbst wenn man die vorgebrachte Geschichte in Äthiopien als glaubhaft unterstellen wollte,

würde sie aber nicht mehr (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) zur Annahme einer beachtlich wahr-

scheinlichen Verfolgungsgefahr führen. Zwar wäre dann zugunsten der Kläger Art. 4 Abs. 4

RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zu beachten, jedoch wäre ebendiese Vermutung

durch die zwischenzeitlich eingetretenen positiven Veränderungen vor allem im Jahr 2018

erschüttert. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU sieht selbst vor, dass bei Vorliegen stichhaltiger

Gründe, die gegen eine Verfolgung sprechen, eine Vorverfolgung kein ernsthafter Hinweis

mehr auf eine begründete Furcht vor Verfolgung ist. Solche stichhaltigen Gründe ergeben

sich aus den positiven Veränderungen in Äthiopien seit Amtsantritt des Premierministers

Abiy Ahmed (so auch VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 – B 7 K 17.32826 – juris Rn. 44; VG

Bayreuth, U.v. 5.9.2018 – B 7 K 17.33349 – juris Rn. 50).

Dies ergibt sich aus mehreren Entwicklungen seit Anfang 2018 (siehe zu den meisten der im

Folgenden mit Primärquellen zitierten Entwicklungen auch Länderinformationsblatt der Staa-

tendokumentation Äthiopien, BFA Österreich vom 8. Januar 2019 und Auswärtiges Amt,

Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018).

So wurde der Ausnahmezustand aufgehoben (Meldung der BBC vom 2. Juni 2018, 20:53

Uhr und vom 5. Juni 11:23 Uhr, https://www.bbc.com/news/world-africa-

44344025?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia&link_loc

ation=live-reporting-story). Der neue Premierminister, Abiy Ahmed, ist oromischer Volkszu-

gehörigkeit (vgl. Meldung der BBC vom 28. März 2018 10:29 Uhr,

https://www.bbc.com/news/world-africa-42716864). Er hat bei seiner Vereidigung ausdrück-

lich betont, dass politischer Pluralismus ein Muss sei, das sei ein Grundstein dafür, dass

Demokratie funktioniere. Seine erste Amtsreise führte ihn in einen der Unruheherde des

Landes, die Grenzregion zwischen den Siedlungsgebieten der Oromo und der Somali. Er

empfing in Addis Abeba Oppositionspolitiker, Vertreter der Zivilgesellschaft und religiöse

Führer. Dass er die Politik der Regierungskoalition nicht einfach fortsetzen will, hat er vor

allem auch dadurch gezeigt, dass unter seiner Führung Hunderte von Oppositionsanhängern

freigelassen worden sind, die nach einer Amnestie im Januar 2018 zwar aus der Haft entlas-

sen, anschließend jedoch teils gleich wieder festgenommen worden waren. Außerdem wurde

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inzwischen das berüchtigte Makelawi-Gefängnis in Addis Abeba geschlossen (vgl. zum Vor-

stehenden die Presseartikel "Halber Machtwechsel", taz vom 3.4.2018; "Man nennt ihn Äthi-

opiens Barack Obama", FR vom 10.4.2018 und "Äthiopiens neuer Premier wirbt für Zusam-

menarbeit und Versöhnung", DW vom 13.4.2018). Nach dem Lagebericht des Auswärtigen

Amts wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Per-

sonen vorzeitig entlassen (vgl. AA, Lagebericht vom 17. Oktober 2018, Stand September

2018, S. 6). Zugleich teilt der Bericht mit, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Men-

schen ohne Anklage inhaftiert sei, Menschenrechtsorganisationen sprächen von mehreren

tausend Betroffenen. Diese Zahlen ließen sich jedoch nicht verifizieren (vgl. AA, Lagebericht

vom 17. Oktober 2018, Stand September 2018, S. 6). Zugleich wird dort festgehalten, dass

der neue Premierminister sich mit Erfolg für einen stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum

bemühe und die Praxis der Kriminalisierung Oppositioneller und kritischer Medien de facto

beendet habe.

Der neue Premierminister bezeichnete Folter als Akt des Terrors durch den Staat, warf den

eigenen Sicherheitsbehörden Folter und illegale Inhaftierungen vor und entließ Chefs der

Nachrichtendienste und des Militärs (vgl. Meldung der BBC vom 18. Juni 2018, 18:05 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Die oppositionelle Organisation

Ginbot 7 stellte ihren bewaffneten Widerstand gegen die Regierung ein und bezeichnete die

vom neuen Premierminister angestoßenen Reformen als wirkliche Hoffnung auf Demokratie

(Meldung der BBC vom 22. Juni 2018,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). So wurde auch der zum Tode ver-

urteilte Generalsekretär der Organisation Ginbot 7, Andargachew Tsege, der 2009 in Abwe-

senheit zum Tode verurteilt und 2014 auf einem jemenitischen Flughafen auf seinem Weg

nach Eritrea festgenommen und den äthiopischen Behörden ausgehändigt worden war, frei-

gelassen (vgl. Meldung der BBC vom 1. Juni 2018 17:05 Uhr,

https://www.bbc.com/news/world-africa-42716864).

Es finden Gespräche zwischen Äthiopien und Eritrea statt. Äthiopien kündigte an, die Solda-

ten an der Grenze zu Eritrea abzuziehen. Telefonleitungen und Flugverbindungen zwischen

beiden Ländern wurden wiedereröffnet (vgl. Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 20. Juli

2018, 11:00 Uhr, https://www.sueddeutsche.de/politik/aethiopien-und-eritrea-zwei-laender-

erwachen-aus-dem-tiefschlaf-1.4062868; Meldung der BBC vom 10. Juli 2018, 13:01 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Im September 2018 wurde die

äthiopische Botschaft in Asmara wiedereröffnet (Meldung des Portals africanews vom 6.

September 2018, http://www.africanews.com/2018/09/06/ethiopia-reopens-its-embassy-in-

eritrean-capital-asmara/?breaking-news=1).

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Die Regierungschefs beider Länder feierten bei einem gemeinsamen Besuch an der Grenze

das äthiopische Neujahr und eröffneten einen Grenzübergang bei der äthiopischen Stadt

Zalambessa (Meldung von africanews.com vom 11. September 2018,

http://www.africanews.com/2018/09/11/abiy-afwerki-visit-border-together-to-celebrate-

ethiopian-new-year-with-their/; Meldung der B’BC vom 11. September 2018

https://www.bbc.com/news/world-africa-

45475876?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia&link_loc

ation=live-reporting-story).

Der Premierminister ließ bisher gesperrte Internetseiten oppositioneller Organisationen frei-

geben. Das oromische Medienportal Oromo Media Network (OMN), dem bis vor kurzem

noch Terrorvorwürfe gemacht worden sind, eröffnete in Addis Abeba eine Redaktion (vgl.

Meldung der BBC vom 26. Juni 2018, 16:16 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Der Gründer dieses Medienportals,

Jawar Mohammed, ist nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. Meldung von „jeune afrique“ vom

5. August 2018, 12:39 Uhr, http://www.jeuneafrique.com/depeches/611340/politique/retour-

en-ethiopie-dun-celebre-activiste-de-lopposition/; Meldung des Guardian

https://www.theguardian.com/global-development/2018/aug/20/jawar-mohammed-return-

ethiopia-political-change-oromo). Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Aufwiege-

lung/Anstiftung zur Gewalt wurden fallen gelassen.

Die äthiopische Regierung und die vormals auf der Terrorliste geführte OLF haben eine Ver-

einbarung unterzeichnet, um die Feindseligkeiten, bewaffneten Auseinandersetzungen zu

beenden (Meldung der BBC vom 7. August 2018, 16:59 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Auch die ONLF, eine früher als

Terrorgruppe bezeichnete Organisation in der Somaliregion unterzeichnete im Februar 2019

mit der Regionalregierung des Bundesstaats Somali eine Vereinbarung über die Entwaff-

nung und Integration ihrer Mitglieder in die staatlichen Sicherheitsdienste (vgl. Meldung afri-

canews vom 9. Februar 2019, 4:00 Uhr, http://www.africanews.com/2019/02/09/ethiopia-onlf-

rebels-disarm-sign-agreement-with-somali-state/).

Die äthiopische Regierung hieß die Anführer der vormals als Terrorgruppe bezeichneten

Ginbot 7, die nach Äthiopien zurückgekehrt sind, im Land willkommen (vgl Meldung von afri-

canews.com vom 9. September 2018, 13:29 Uhr,

http://www.africanews.com/2018/09/09/ethiopia-govt-welcomes-leadership-of-ginbot-7-back-

home/).

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Im Oktober 2018 kehrten ca. 2.000 äthiopische Rebellen des Tigray People’s Democratic

Movements (TPDM) von Eritrea aus nach Äthiopien zurück. Dieser Rückkehr war die Unter-

zeichnung einer Friedensvereinbarung mit der Regierung in Addis Abeba im August 2018

vorausgegangen (Meldung der BBC vom 9. Oktober, 17:38 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia; Meldung des Portals africa-

news.com vom 10. Oktober 2018, http://www.africanews.com/2018/10/10/about-2000-tigray-

rebels-return-to-ethiopia-from-eritrea/). Laut africanews.com sollen auch Kämpfer von Ginbot

7 und Soldaten der OLF nach Äthiopien heimgekehrt sein (Meldung des Portals africa-

news.com vom 10. Oktober 2018, http://www.africanews.com/2018/10/10/about-2000-tigray-

rebels-return-to-ethiopia-from-eritrea/).

Abdi Mohammed Omar (alias Abdi Illey), der vormalige Regierungschef der Somaliregion,

dem vorgeworfen wird, dass er unrechtmäßige Rekrutierungen, Verhaftungen, Tötungen und

sonstige Menschenrechtsverstöße seiner Liyu Plizei ermöglicht oder geduldet habe, trat im

August 2018 zurück. Er wurde nach seinem Rücktritt im August 2018 von Seiten der Äthiopi-

schen Bundeskräfte festgenommen und ist inhaftiert worden. (vgl. Meldung der BBC vom 7.

August 2018, 15:24 und vom 27. August 2018, 18:46 Uhr

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia; Meldung des Portals africanews

vom 27. August 2018 http://www.africanews.com/2018/08/27/ethiopia-police-arrest-ex-

somali-region-president-abdi-illey/). Er wurde am Mittwoch, 29. August 2018 vor einem Ge-

richt zusammen mit 6 weiteren Vertretern seiner Regionalregierung mehrerer Taten beschul-

digt, man warf ihm u.a. Menschenrechtsverletzungen, Tötungen, Vertreibungen, Freiheitsbe-

raubung, Folter und Unterdrückung der Meinungsfreiheit vor. Als sein Nachfolger wurde ei-

ner seiner Kritiker, Mustafa Omer, dem nachgesagt wird, dass er ein Verteidiger der Men-

schenrechte sei, bestimmt (Meldung des Portals africanews vom 30. August 2018,

http://www.africanews.com/2018/08/30/ethiopias-somali-regional-politics-new-leader-abdi-

illey-charged-liyu-police/). Shamaahiye Sheikh Farah (alias Shamaahiye), der frühere Chef

des Jail Ogaden und Leutnant der Liyu Miliz wurde ebenfalls festgenommen. Das berüchtigte

Gefängnis in Jijiga wurde geschlossen (Meldung des Portals africanews.com vom 29.9.2018,

http://www.africanews.com/2018/09/29/ex-boss-of-ethiopia-s-notorious-jail-ogaden-

arrested/).

Der Premierminister gab bei einer Ansprache vor der Regierungskoalition an, dass es das

Zeichen eines wahren Anführers sei, besser qualifizierte Nachfolger hervorzubringen und

sich selbst überflüssig zu machen (Meldung der BBC vom 3. Oktober 2018, 11:25 Uhr

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia).

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- 21 -

Im November 2018 ließ der äthiopische Generalstaatsanwalt (Attorney General) Berhanu

Tsegaye über 60 Beamte verhaften (vgl. Meldung des Portals africanews vom 17.11.2018,

12:29 Uhr, http://www.africanews.com/2018/11/17/ethiopians-support-govt-crackdown-on-

corruption-rights-abuse/). Unter den Verhafteten befanden sich ehemals hochrangige Mit-

glieder der Nachrichtendienste (vgl. Meldung des Portals africanews vom 15.11.2018, 08:59

Uhr, http://www.africanews.com/2018/11/15/ethiopia-s-former-deputy-intelligence-chief-

arrested-by-police/; BBC vom 15.11.2018, https://www.bbc.com/news/world-africa-

46221238) wie etwa z.B. Yared Zerihun (a former deputy intelligence chief). Yared Zerihun

war Stellvertreter von NISS (National Intelligence and Security Service). Aber auch aus dem

Wirtschaftsbereich der Armee, wie der Metals and Engineering Corporation (MetEC), wurden

Verantwortliche wie Kinfe Dangnew verhaftet (vgl. Meldung des Portals africanews vom

17.11.2018, 12:29 Uhr, http://www.africanews.com/2018/11/17/ethiopians-support-govt-

crackdown-on-corruption-rights-abuse/). Auch Colonel Gudeta Olana, Sicherheitschef der

staatlichen Ethio Telecom wurde verhaftet (vgl. Meldung des Portals africanews vom

15.11.2018, 08:59 Uhr, http://www.africanews.com/2018/11/15/ethiopia-s-former-deputy-

intelligence-chief-arrested-by-police/). Den verhafteten Personen werden Korruption und

Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (vgl. BBC vom 15.11.2018,

https://www.bbc.com/news/world-africa-46221238). Nach Meldungen vom 23. Januar 2019

wurde auch der frühere Kommunikationsminister Bereket Simon wegen Korruptionsvorwür-

fen verhaftet. Simon war ein Gründungsmitglied der Regierungskoalition EPRDF. Wegen der

gleichen Vorwürfe wurde auch Tadesse Kassa, ein früherer hoher Beamter verhaftet (vgl.

Meldung von africanews 23. Januar 2019, http://www.africanews.com/2019/01/23/ethiopia-

arrests-ex-govt-minister-bereket-simon-over-corruption/).

Der Premierminister Abiy Ahmed berief im November 2018 Frau Birtukan Mideksa zur Chefin

der Wahlkommission. Mideksa war nach den Wahlen 2005 verhaftet, nach 18 Monaten frei-

gelassen worden, anschließend aber im Dezember 2008 für weitere 21 Monate inhaftiert

worden und verbrachte die letzten 7 Jahre im Exil in den USA. Sie kehrte kurz vor ihrer Beru-

fung zurück nach Äthiopien (vgl. Meldung der BBC vom 22.11.2018,

https://www.bbc.com/news/world-africa-

46301112?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia&link_loc

ation=live-reporting-story; africanews 21.11.2018

http://www.africanews.com/2018/11/21/ethiopia-to-appoint-new-election-chief-on-thursday-

could-it-be-birtukan-mideksa/; africanews vom 22.11.2018,

http://www.africanews.com/2018/11/22/ethiopia-elections-chief-pledges-transparent-and-

trustworthy-work/). Am 27. November 2018 fand eine Diskussion der Regierung mit Opposi-

tionsparteien zu den kommenden Wahlen statt (Meldung von africanews vom 23.11.2018,

http://www.africanews.com/2018/11/23/ethiopia-pm-opposition-to-discuss-electoral-reforms/).

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Ohnehin ist festzustellen, dass der Premier führende Positionen an Frauen vergeben hat.

Oberste Richterin ist Frau Meaza Ashenafi, eine frühere Anwältin und Menschenrechtsakti-

vistin (vgl. africanews vom 2.11.2018, http://www.africanews.com/2018/11/02/judicial-

independence-rule-of-law-ethiopia-s-female-cj-speaks/). Auch die Präsidentin des Landes ist

erstmals eine Frau, die frühere Diplomatin Sahle-Work Zewde. Das Kabinett wurde paritä-

tisch mit 10 Männern und 10 Frauen besetzt (vgl. africanews vom 1.11.2018

http://www.africanews.com/2018/11/01/ethiopia-supreme-court-gets-its-first-woman-head-

meaza-ashenafi/).

Nach Meldungen vom 23. Januar 2019 nutzen laut des äthiopischen Generalstaatsanwalts

13.000 Menschen das im Juli 2018 verkündete Amnestieangebot (Meldung von africanews

vom 23. Januar 2019 http://www.africanews.com/2019/01/23/ethiopia-pardons-more-than-

3000-political-prisoners/).

Das Gericht sieht bei dieser Einschätzung der Sachlage auch, dass es in Äthiopien ange-

sichts einer gewissen übergangsbedingten Unsicherheit zu lokalen Unruhen mit Todesfällen

und ethnischen Konflikten kommt. Ausweislich eines Berichts des Internetportals africanews

kamen bei einer öffentlichen Versammlung zur Begrüßung des OMN Gründers in der Stadt

Shashememe im August 2018 vier Personen ums Leben. Das Portal berichtet, dass drei

Leute in einer Massenpanik am Eingang des örtlichen Stadions, in dem die Veranstaltung

stattfand, getötet worden seien. Eine weitere Person sei von einem Mob gelyncht worden,

weil der Mob geglaubt habe, dass der Gelynchte in seinem Auto eine Bombe dabei hätte

(Meldung des Portals africanews vom 14. August 2018, 5:00 Uhr

http://www.africanews.com/2018/08/14/ethiopian-activists-condemn-mob-action-violence-

during-rally-in-oromia/). Der Gründer des OMN sprach auf seinem facebook-Account am 12.

August 2018 von einer grausamen (cruel), widerlichen (disgusting) und schädlichen (dama-

ging) Handlung des Mobs. Er rufe alle, insbesondere die Jugend, dazu auf, keine Selbstjustiz

zu üben, auch nicht aufgrund von eigenen Verdächtigungen

(https://www.facebook.com/Jawarmd/posts/10104063136852973).

Im September 2018 kam es zu tödlichen Unruhen in Addis Abeba. Nach Aussagen des Poli-

zeichefs von Addis Abeba, Maj Gen Degie Bedi, kamen mindestens 28 Menschen ums Le-

ben. Die Unruhen begannen am 13. September als Unterstützer der OLF ihre Flagge in Tei-

len der Hauptstadt Addis Abeba aufhängen. Dies werteten einige Bewohner als Versuch der

OLF die Kontrolle über Addis Abeba zu übernehmen. Daraufhin griffen sich die gegnerischen

Unterstützer an, was in der Schließung von Teilen des Geschäftsviertels von Addis Abeba

endete. Zwei Tage später eskalierte die Gewalt und führte zu 28 Toten. Die meisten starben

durch Schläge mit Stöcken und Steinen als rivalisierende Gruppen sich prügelten. 7 sind

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nach der Aussage des Polizeichefs von Sicherheitskräften getötet worden, Amnesty sprach

von 58 Toten bei den Unruhen. Infolge dieser Unruhen wurden nach äthiopischen Polizeian-

gaben 1.200 Menschen verhaftet, die meisten seien aber wieder freigelassen worden (Mel-

dung der BBC vom 25. September 2018, https://www.bbc.com/news/world-africa-

45638856?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia&link_loc

ation=live-reporting-story). Am 17. Dezember 2018 forderten Unruhen zwischen rivalisieren-

den Ethnien unter Beteiligung der äthiopischen Armee in der im Süden gelegenen Stadt

Moyale 13 Tote (vgl. Meldung der BBC vom 18. Dezember 2018,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia; africanews.com vom 18. Dezember

2018 http://www.africanews.com/2018/12/18/ethiopia-army-op-kills-civilians-in-moyale-hotel-

violence-persists/).

Diese Todesfälle, so tragisch und bedauerlich sie sind, sind jedoch nicht Folge von Verfol-

gungshandlungen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des Asylgesetzes. Sie führen auch

nicht zur Annahme bürgerkriegsähnlicher Zustände (vgl. BFA Äthiopien, 8. Januar 2019,

S. 8). Das Gericht berücksichtigt bei dieser Bewertung, dass es anlässlich der Entwicklungen

in Äthiopien zu diversen regionalen und lokalen Unruhen, Übergriffen auf andere Ethnien

und teils auch Kampfhandlungen mit der Folge zahlreicher Binnenvertriebener kommt. Diese

werden jedoch von Seiten der Bundesbehörden versucht zu unterbinden. So hat die äthiopi-

sche Bundesarmee bspw. den vormaligen Regierungschef der Somali Region nach dessen

Rücktritt inhaftiert und ist in dieses Gebiet eingerückt (vgl. Meldungen der BBC vom 4. Au-

gust 2018 https://www.bbc.com/news/world-africa-

45070213?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia&link_loc

ation=live-reporting-story und vom 7. August 2018, 15:24 Uhr,

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Auch bei den Unruhen im Grenz-

bereich Somali - Oromiya kann nicht davon ausgegangen werden, dass keine inländische

Fluchtalternative, etwa in Addis Abeba bestünde. Es kann - angesichts der Erkenntnislage -

auch nicht davon ausgegangen werden, dass der äthiopische Staat gemäß § 3c Nr. 3 AsylG

nicht in der Lage sei oder nicht willens wäre, eventuell Bedrohten Schutz vor Verfolgung zu

bieten. Zumal die Unruhen und Gewalttätigkeiten lokal begrenzt sind und meist anlässlich

von größeren Versammlungen ausbrechen. Auch die äthiopische Politik reagiert auf die in-

ternen Grenzkonflikte. So hat das äthiopische Parlament am 20. Dezember 2018 ein umstrit-

tenes Gesetz verabschiedet, dass es dem Premierminister erlaubt, eine Kommission einzu-

setzen um die Identitäts- und Grenzkonflikte zwischen den regionalen Verwaltungen (vgl.

Meldung der BBC vom 20. Dezember 2018, 12:21 Uhr

https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Die Kommission soll die Ursachen

der Konflikte eruieren und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

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Aus diesen Vorfällen ergeben sich auch weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Oro-

mo nur aufgrund der Zugehörigkeit zu seiner Ethnie in Gefahr wäre.

Auch die exilpolitische Betätigung der Kläger führt nicht zur Annahme einer beachtlich wahr-

scheinlichen Verfolgungsgefahr aus flüchtlingsrelevanten Gründen.

Zwar ermöglicht § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann,

wenn die begründete Furcht nur auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem ein

Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat (sog. Nachfluchttatbestände). Hierbei ist auch zu

beachten, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Wortlaut des § 28

Abs. 1a AsylG im Gegensatz zu § 28 Abs. 2 AsylG auch möglich ist, wenn sämtliche Um-

stände erst nach der Flucht eingetreten sind. Im Gegensatz zu Vorfluchtgründen, die ledig-

lich glaubhaft zu machen sind, bedürfen Nachfluchtgründe, die auf Ereignissen innerhalb des

Gastlandes beruhen, des vollen Nachweises, wobei insoweit nach der Rechtsprechung des

Bundesverwaltungsgerichts besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. Insofern ist

den Versuchen einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Asylrechtsschutzes im Be-

reich der Sachverhaltsermittlung zu begegnen (BVerwG, U.v.21.10.1986 - 9 C 28.85 -

BVerwGE 75, 99; BVerwG, U.v. 8.11.1983 - 9 C 93.83 - BVerwGE 68, 171).

Zur Überzeugung des Einzelrichters ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt erst recht nicht

mehr beachtlich wahrscheinlich, dass den Klägern bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine

Verfolgung wegen ihrer exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland drohen

würde. Die Kammer ging bereits vor den Veränderungen in Äthiopien nicht von einer beacht-

lich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr rein exilpolitisch aktiver Asylbewerber aus.

Dass ein Ausländer in seinem Heimatstaat politisch verfolgt wird, weil er in der Bundesrepub-

lik Deutschland gegen seinen Staat politische Aktivitäten entfaltet hat, kann nur angenom-

men werden, wenn sowohl für das Bekanntwerden der Tätigkeit im Heimatstaat als auch für

dessen im Sinne des Asylrechts politisch motivierte Reaktion hinreichend gewichtige An-

haltspunkte bestehen (BVerwG, U.v. 29.11.1977 - 1 C 33.71 - BVerwGE 55, 82). Gerade an

letzterem fehlt es hier.

Es gibt zahlreiche äthiopische politische Exilgruppen mit sehr unterschiedlichen Hintergrün-

den und Programmen. Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem aktuellen Bericht über

die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 17. Oktober 2018 keine Erkenntnis-

se darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rück-

kehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es nach dieser

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Auskunft auf den Einzelfall an, also z.B. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen

Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich

handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer

Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend

in Äthiopien politisch betätigt (AA, Lagebericht Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September

20185, II. 1.9., S. 18). Bei Würdigung dieser Auskunftslage und insbesondere unter Berück-

sichtigung der Ereignisse im Jahr 2018 ist nicht davon auszugehen, dass eine Verfolgung

von nicht herausgehoben politisch tätigen Personen beachtlich wahrscheinlich wäre. Ob

herausgehobene Personen weiter verfolgt werden, ist sehr zweifelhaft, da namhafte Opposi-

tionelle, wie bspw. Berhanu Nega, unbehelligt zurückgekehrt sind (s.u.). Diese Frage kann

hier aber dahingestellt bleiben, da die Tätigkeit des Klägers sich in der üblichen Mitglied-

schaft und Teilnahme an Veranstaltungen erschöpft, was bei einem Großteil der äthiopi-

schen Asylbewerber der Fall ist.

Bei der Klägerin kann angesichts ihrer Passivität schon fast nicht mehr vom Status einer

Mitläuferin ausgegangen werden. Sie vermochte in der mündlichen Verhandlung schon nicht

zu sagen, wann sie das letzte Mal an einer entsprechenden Veranstaltung teilgenommen

hatte. Beim Kläger ist das Engagement größer. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, seine

vermeintlich herausgehobene Stellung als stellvertretender Vorsitzender oder das Sich-

Ablichten-Lassen mit Berhanu Nega etc. führen schon nicht zu einer herausgehobenen Stel-

lung des Klägers in der äthiopischen Exilszene, da diese Aktivitäten von der Mehrheit der

äthiopischen Asylbewerber ausgeübt werden. Die Kammer hat bereits vor dem Wechsel des

Premiers in ständiger Rechtsprechung (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K

16.32411 – juris) eine Verfolgungsgefahr nicht herausgehobener Exilpolitiker aufgrund exil-

politischen Engagements verneint. Angesichts der geschilderten Veränderungen (s.o.) und

der unbehelligten Rückkehr wirklich prominenter Exilpolitiker spricht viel dafür, dass nunmehr

auch nicht mehr von einer Verfolgungsgefahr tatsächlich herausgehobener Personen ausge-

gangen werden kann.

Das klägerische Vorbringen, wonach aufgrund der Willkür der äthiopischen Sicherheitskräfte

nur wegen eines Wechsels an der Spitze noch nicht von tatsächlichen Veränderungen aus-

gegangen werden könne, vermag diese Einschätzung nicht zu erschüttern. Es wurde seitens

der Kläger auf den Gutachter Günter Schröder verwiesen. Dessen letzte bekannte Einschät-

zung erfolgte vor den Veränderungen des Jahres 2018. Bereits vor den Veränderungen folg-

te das Gericht den Einschätzungen des genannten Gutachters nicht, sondern ordnete des-

sen Aussagen in den Gesamtkontext der Auskunftslage ein und kam zu dem Ergebnis, dass

seiner Einschätzung nicht zu folgen sei (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K

16.31797 – juris; VG Regensburg, U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris).

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Soweit geltend gemacht wird, der neue Premier könne nicht in den Regionen durchregieren,

weil die alten Seilschaften die Macht in den Händen hielten, bestehen auch Anhaltspunkte

für die gegenteilige Annahme. Beispielsweise hat er, wie oben gezeigt, mithilfe der Bundes-

armee den Machthaber der Somaliregion verhaften und die Situation befrieden lassen. Oh-

nehin wären die Kläger dann auf die sichere Alternative Addis Abeba zu verweisen, wo sie

auch vor ihrer Ausreise lebten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Premier

nicht wenigstens in Addis Abeba das Sagen hätte und die Kläger dort nicht sicher wären.

2) Auch die Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Sie haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach

§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige

Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter

Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung

oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende

Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens

oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines inter-

nationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein derartiger Schaden droht

den Klägern nach den obigen Ausführungen nicht. Insbesondere kann trotz der zahlreichen

Binnenvertriebenen in einzelnen Regionen nicht von einem bürgerkriegsähnlichem Zustand

ausgegangen werden (s.o.). Zudem wäre jedenfalls Addis Abeba eine zumutbare, sichere

inländische Schutzmöglichkeit.

3) Auch die Ziffer 4 des Bescheids begegnet keinen Bedenken.

Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse bzgl. Äthiopien im Sinne des § 60 Abs. 5

und 7 Satz 1 AufenthG nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht

abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der

Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II,

S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher

Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.

Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Auf-

enthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgese-

hen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben

oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt

das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allge-

meine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz aus-

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schließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1

Satz 1 AufenthG gewährt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt

die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung aber

jedenfalls dann, wenn die oberste Landebehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefah-

renlage keinen generellen Abschiebestopp erlassen bzw. diesen nicht verlängert hat und ein

vergleichbarer wirksamer Schutz den betroffenen Ausländern nicht vermittelt wird. Die

Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschie-

bungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder

einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt

werden muss. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam

sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben

oder Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - BVerwGE 99, 324; BVerwG, U.v.

19.11.1996 - BVerwGE 102, 249, BVerwG, U.v. 12.7.2001 - BVerwGE 115, 1). Eine derarti-

ge Gefahrensituation könnte sich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Ver-

sorgungslage in Äthiopien ergeben.

Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Ausle-

gung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom

31.1.2013 (Az. 10 C 15/12 – juris) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen

schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach

§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da

die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen.

Nach den dem Gericht vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die

Versorgungssituation für die Kläger und ihre Familie in Äthiopien jedoch nicht so schlecht,

dass von einer Gefahr im beschriebenen Sinn auszugehen wäre. Obwohl Äthiopien zwi-

schen den Jahren 2004 und 2014 ein konstantes wirtschaftliches Wachstum aufwies, zählt

das Land immer noch zu den ärmsten Staaten der Welt. Auf dem Human Development Index

des UNO-Entwicklungsprogramms belegt Äthiopien Platz 173 von 186. 77,6 % der Bevölke-

rung leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Das durchschnittliche Jahreseinkommen

liegt bei 170 US-Dollar. 82 % Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft (SFH,

Äthiopien, Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, Rahel Zürrer, Bern 2014). Ande-

rerseits ist die Arbeitslosigkeit in den ländlichen Regionen niedrig. Statt auf Arbeitslosigkeit

trifft man dort auf unterproduktive Landwirtschaft (IOM, Länderinformationsblatt Äthiopien,

Juni 2014, VII. 8.2.1, S. 19). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist

nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert, weshalb große Teile der Bevölkerung

auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2014 waren ca. 3,2 Millionen Äthiopier auf

solche Hilfen angewiesen, wobei sich die Hilfen neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch

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auf Non Food Items (Hygiene und Gesundheit) bezogen. Zusätzlich wurden 7,8 Millionen

Menschen über das Productive Safety Net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe

benötigt hätten (AA, Lagebericht vom 24.5.2016, Stand: März 2016, IV. 1. 1.1. S. 20). Im

jüngsten Lagebericht spricht das Auswärtige Amt davon, dass 7,9 Millionen Menschen auf

das staatliche Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen sind (AA, Lagebericht

Äthiopien vom 17.10.2018, Stand: September 2018, IV 1.1, S. 23). Hier zeigt es sich, dass

die Situation für große Teile der Bevölkerung schwierig ist. Gleichwohl bestehen keine An-

haltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Für Rückkehrer bie-

ten sich im Übrigen schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Exis-

tenzgründung. Der Kläger hat angegeben, vor seiner Ausreise gearbeitet zu haben, es liegen

keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihm dies bei einer Rückkehr nach Addis Abeba nicht

möglich wäre. Auch die Klägerin hat gearbeitet. Beiden zusammen sollte es möglich sein, für

ein ausreichendes wirtschaftliches Auskommen ihrer Familie zu sorgen.

Auch die zahlreichen Binnenvertriebenen aufgrund der ethnischen Unruhen führen nicht zum

Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots. Wie oben ausgeführt kann ab-

seits der Unruheherde davon ausgegangen werden, dass den Klägern weder eine konkrete

Gefahr noch eine unmenschliche Behandlung droht.

Die vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten Arztbriefe führen ebenfalls nicht zur An-

nahme des Vorliegens von Abschiebungsverboten aufgrund einer konkreten Gesundheitsge-

fährdung im Fall der Rückkehr. Die Arztbriefe genügen schon nicht den Anforderungen an

die Attestierung der entsprechenden Krankheiten. Sie sind bereits nicht aktuell, da sie beide

über ein Jahr alt sind und damit vor allem bei psychischen Erkrankungen veraltet. Darüber

hinaus entsprechen die vorgelegten Arztbrief nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c

AufenthG. Dessen Rechtsgedanke kann bei den Anforderungen an ein ärztliches Attest bzgl.

zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v.

24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7). Jedenfalls ergibt sich aus den Briefen nicht, dass

eine durchgeführte Abschiebung bei einem der Kläger in Äthiopien zu einer dramatischen,

lebensbedrohlichen Verschlechterung wegen der behaupteten Krankheiten führen würde.

Die Kläger also bei einer Rückkehr nach Äthiopien gleichsam „sehenden Auges in den Tod

geschickt würden“ (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 60 AufenthG, Rn

53).

Bezüglich der Klägerin verwundert schon die Anamnese, wonach ihr Herkunftsland Libyen

sei. Auch die Glaubhaftunterstellung der traumatisierenden Geschichte kann nicht dem Arzt

überlassen werden, sondern ist in einem Gerichtsverfahren Aufgabe des entscheidenden

Richters. Weiter sind die geschilderten traumatischen Erlebnisse schon nicht wiedergegeben

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worden, so dass auch eine Überprüfung auf Übereinstimmung nicht vorgenommen werden

kann. Eine Aussage, wie sich eine Abschiebung nach Äthiopien auf die behauptete Krankheit

auswirke, fehlt ebenfalls. Letztlich ist der Arztbrief völlig unerheblich, da die Klägerin selbst in

der mündlichen Verhandlung angab, trotz Verschreibung keine Medikamente zu nehmen. Da

sie keine Medikamente nimmt und solcher augenscheinlich auch nicht bedarf, scheitert auch

eine Berufung auf eine eventuelle Nichtverfügbarkeit lebensnotwendiger Medikamente in

Äthiopien, die zur Annahme eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen könnte.

Bezüglich des Klägers ergibt sich aus den Arztbriefen ebenfalls nicht, dass sich die behaup-

tete Krankheit im Zielland lebensbedrohlich verschlechtern würde. Vielmehr folgt aus der

Anamnese, dass der Kläger wegen der Ablehnung seines Asylantrags perspektivlos sei und

er erhebliche Mengen Alkohol (8 Bier/Tag) und Zigaretten konsumiere. Zudem hat der Kläger

in der mündlichen Verhandlung nicht von einer psychischen Krankheit wie im Arztbrief (An-

passungsstörung oder Depression) berichtet, sondern von der Einnahme einer Tablette ge-

gen Fersen-/Beinschmerzen. Wie sich solche bei einer Rückkehr nach Äthiopien lebensbe-

drohlich verschlechtern sollen, ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die

Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung

(ZPO). Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Höhe des Gegenstandswertes

ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Bayerischen Verwal-tungsgerichtshof zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Mo-nats nach Zustellung des Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg zu stellen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regens-burg).

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssa-che grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwal-tungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichts-höfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.

Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwal-tungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden

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und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.

Zeiser Richter