BEBEN 15+ · u.a. mit Henriette Hörnigk, Volker Metzler, Ralph Reichel, Matthias Thieme, Christoph...

24
BEBEN 15+ von Maria Milisavljevic BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK

Transcript of BEBEN 15+ · u.a. mit Henriette Hörnigk, Volker Metzler, Ralph Reichel, Matthias Thieme, Christoph...

  • B E B E N 1 5 +von Maria Milisavljevic

    B E G L E I T M A T E R I A L Z U M S T Ü C K

  • B E B E N 2

    Es spielen:

    Regie Bühne + Kostüme

    Video Musik & Sound

    DramaturgieTheaterpädagogik

    Licht Ton + Video

    Regieassistenz Soufflage

    InspizienzTechnischer Direktor

    BühnenmeisterProduktionsleiter

    Künstlerischer ProduktionsleiterMaske

    Requisite Ankleiderei

    Erik BornBirgit BertholdElisabeth HeckelJakob KrazeJohannes Hendrik LangerLaura LippmannHanni LorenzFlorian PabstDenis PöppingFriedrich RichterAndrej von SallwitzJohannes SchäferKinga SchmidtKaroline TeskaNina Maria Wyss

    Volker MetzlerClaudia Charlotte Burchard Wolfgang GaubeKalle Krass (Johannes Karl Roland Schäfer)Karola MarschNils DeventerThomas ReisenerAlexander HochNathalie KnorsFranziska FischerAnne-Sophie AttinostEddi DamerRalf EndeJörg HeinemannAxel MöbiusKarla SteudelJens BlauSabine Hannemann, Ute Seyer, Birgit Wilde

    Herstellung der Dekoration unter der Leitung von Jörg Heinemann in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice / Herstellung der Kostüme durch Sebastian Thiele, mit freundlicher Unterstützung der Staatsoper Berlin.

    Die Rechte liegen beim S. Fischer Verlag Frankfurt am Main.

    Foto- und Videoaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet und werden geahndet.

    Premiere: 16. September 2017

    Bühne 3

    ca. 95 Minuten

  • B E B E N 3

    I N H A L T

    Einleitung 4

    Zur Autorin Maria Milisavljevic und zum Text 5

    Zu Volker Metzlers Inszenierung 7

    Zu Claudia Charlotte Burchards Bühnen- und Kostümbild  8

    Zu Wolfgang Gaubes Videoarbeit 9

    Zum Sound von Kalle Krass 9

    Was ist Krieg? 10

    Virtuelle Medienwelten 15

    Wenn Social Networks zum Schützengraben werden 16

    Gemeinsamkeiten der Inszenierung des Krieges in den Bildschirmmedien 18

    Der Krieg im Spiel 22

    Hinweise für den Theaterbesuch 23

    Impressum 24

  • B E B E N 4

    E I N L E I T U N GSehr geehrte Damen und Herren,Kriege gehören zu unserem Alltag. Das heißt, nicht die wirklichen Kriege, sondern ihr mediales Ab-bild. Nachrichten von bewaffneten Konflikten und Unruhen ploppen permanent auf, lassen sich jedoch genauso schnell wegklicken. Das betrifft uns doch alles nicht, oder doch? In »Beben« sind die Kriege, Konflikte und Ausnahmezustände unserer Gegen-wart in jedem Satz, jedem Wort, jedem Atemzug präsent. Der Text von Maria Milisavljevic ver-handelt, wie aus einer alltäglichen Situation an der Spielconsole ein Schlachtfeld im realen Leben wird, wie das Haus, in dem eben gemeinsam eine Party gefeiert wurde, zusammengeschossen wird und nur noch Bruchstücke davon übrig bleiben, wie aus einer Tageserzählung Kriegsberichterstattung wird. Die Spielzeit 2017/2018 stand am THEATER AN DER PARKAUE unter dem Motto »Utopien, Pioniere, Zukunft«. Ausgehend von einer finsteren Gegenwartsbeschreibung entwickelt die Autorin Maria Milisavljevic eine Utopie des Miteinander, der

    Kooperation und des sich gegenseitig-die-Hände-Reichens. Mit der Inszenierung hat sich Volker Metzler als Schauspieldirektor des THEATER AN DER PARK-AUE vorgestellt. Sein Interesse war es, in seiner ersten Theaterarbeit das gesamte Ensemble ein-zubinden. Inzwischen hat es bereits mehrfache Besetzungsänderungen gegeben und noch immer hat weder der Text noch die Inszenierung von ihrer Ak-tualität, Erzähltiefe und Spiellust etwas eingebüßt.Das Begleitmaterial gibt Ihnen Einblicke zu den Themenfelder des Online-Krieges und unserer Wahr-nehmung auf reale Prozesse durch die Internetreali-tät. Ihre Rückmeldungen, Kommentare und Fragen können Sie an mich unter [email protected] richten.

    Freundliche Grüße,Karola MarschChefdramaturgin

  • B E B E N 5

    Z U R A U T O R I N M A R I A M I L I S A V L J E V I C U N D Z U M T E X TMaria Milisavljevic wurde 1982 ins Arnsberg ge-boren. Sie studierte englische Kulturwissenschaften, Englische Literatur und Kunstgeschichte. Vor und während ihres Studiums arbeitete sie in der freien Szene und hospitierte an verschiedenen Theatern in Deutschland und London. Milisavljevic promovierte über das Londoner Royal Court Theatre. Von 2011 bis 2015 war sie am Tarragon Theatre in Toronto als Regie- und Dramaturgieassistentin engagiert. 2013 war sie dort International Playwright-in-Residence. Für ihr Stück »Brandung« gewann Milisavljevic 2013 den Kleistförderpreis für junge Dramatik. »Beben« wurde für den Mülheimer Dramatikerpreis 2018 nominiert, sowie mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkt 2017 und dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis 2017 ausgezeichnet. Neben ihrer Autorentätigkeit arbeitet Milisavljevic als Übersetzerin.»Beben« entstand 2015 und thematisiert den Rück-zug in die Unverbindlichkeit virtueller Welten angesichts immer näher rückender realer Konflikte. Maria Milisavljevic zeigt die Puzzlehaftigkeit unseres Lebens und unserer Erfahrungen, in kunst-voller Sprache und mit einigen fehlenden Teilen. Alltagsszenen junger Erwachsener und Computer-spielanalogien treffen auf Traumata und die parabel-hafte Erzählung vom Mann an der Kante von Ulro. Hier bezieht sich die Autorin auf den englischen Dichter William Blake und sein mystisches Weltbild, in dem das Land Ulro einen Zustand der Heimatlo-sigkeit darstellt, ein Ödland, in dem der Mensch zum Rädchen im Getriebe und zur Spielfigur wird. Doch was passiert, wenn das Dröhnen näherkommt? Wenn die Konflikte plötzlich bei uns sind? Wenn man sich nicht mehr entziehen kann? Maria Milisavljevic seziert das Beben der Welt in poetischer Sprache. Zwischen Nostalgie und Apokalypse zeichnet sie hier ein Bild unserer Zeit.Maria Milisavljevic bettet in ihrem Stück »Beben«

    eine Rahmenhandlung ein, die durch eine Figur getragen wird. Es ist der Mann an der Kante von Ulro. Dieser Mann an der Kante von Ulro ent-springt der Mythologie des romantischen Dichters William Blake. William Blake lebte von 1757 bis 1827 in London und gilt als radikaler Vertreter der mystischen Romantik, der Rationalität, Vernunft und Kapitalismus konsequent ablehnt und eine Weltbe-trachtung nach Visionen und Imaginationen entge-gensetzt. Er entwarf das Brüderpaar Urizen und Los, die einst vereint waren und durch den Einbruch der Vernunft voneinander gespalten wurden. Urizen ver-tritt nun das Prinzip des Materialismus, des Kapita-lismus, der Zweckmäßigkeit und Zweckgerichtetheit aller Dinge, während Los die Liebe, die Energie, die Autonomie, das Ungerichtete, das Visionäre vertritt, das der Phantasie und Imagination die große treiben-de Kraft zuspricht. In dieser Spaltung des Geistes und des Menschen spiegelt William Blake die ein-schneidende Erfahrung der industriellen Revolution, die einen Rückzug aus dem mystischen Leben hin zu einem durchrationalisierten bedeute. Die Abspaltung des Menschen vom eigenverantwortlichen Leben, die Abgabe tragender Entscheidungen an Institutio-nen, die sich wiederum vom Leben der Menschen abgelöst haben, die Verschiebung des Glaubens von Gott hin zu den Wissenschaften, von der Al-chemie zu rationalen Erklärungen und Experimenten machte William Blake als fundamentalen Verlust des Menschseins aus. Diese Denkfigur übernimmt Maria Milisavljevic für ihr Stück »Beben«. Der Mann an der Kante von Ulro spielt mit den übrigen Figuren, steckt sie in seine Tasche, zieht sie nach Bedarf heraus und setzt sie aus auf dem Spielfeld des Le-bens. Er hat für sie vorgesehen, dass sie miteinander streiten, lieben, Zeit verbringen, sich lustig machen, oberflächlich die Dinge betrachten, ihr eigenes kurz-weiliges Leben wichtig nehmen, aber nicht, dass sie Verantwortung übernehmen für ihre Taten, Fragen

  • B E B E N 6

    stellen, Auswege aus den Dilemma, wie Kriegen, Missachtung von anderen, Zerstörung übernehmen. Solange die Menschen meinen, nichts gegen all das in der Welt tun zu können, was ihre und deren Zer-störung bedeutet, solange läuft die Welt nach den Regeln des Mannes an der Kante von Ulro, solange ist alles, wie sein soll. Wer nicht fragt, stellt nicht in Frage. Wer will, dass alles bleibt, wie es ist, fährt weiterhin seinen maximalen Gewinn ein und will nicht über Umverteilungen oder gar grundsätzliche Systemänderungen nachdenken. Er spielt den gel-tenden Regeln in die Hand. Der Mann an der Kante von Ulro behält somit über alles die Macht und hält die Dinge am Laufen nach seinem Geschmack, nach seinem Dafürhalten. Die Gruppe von Menschen ist seiner Willkür, seiner Lenkung ausgesetzt. Aber sie stellen dies auch niemals in Frage, sondern fügen sich dem geregelten, dem allmächtigen System. Der Mann an der Kante von Ulro lässt den Menschen so viel Spielraum, wie es ihm nutzt, seine Ziele zu ver-folgen, seinen undurchlässigen Kreislauf am Rollen zu halten. Nur eine Frau in Maria Milisavljevic‘

    Stück wagt den Austritt aus dem Getriebe und zündet damit eine blutlose Revolution an. Während sich die anderen Figuren von den Kriegen und Zer-störungen, den Machtkämpfen und Zerrüttungen, den Fronten und Einteilungen in Gut und Böse, in Freund und Feind lenken lassen, sucht sie Ver-zeihung und Vergebung gegenüber demjenigen, der ihr das Liebste und Bedeutendste nahm, was sie hatte: ihren Sohn. Als Soldat folgte er dem Befehl, ein Kind zu töten, um das Leben seiner Soldaten-kameraden nicht zu riskieren und nicht zu riskieren, dass der Junge eine lebende Bombe, ein Selbstmord-attentäter sei. Doch das war er nicht. Er ist in diesem Krieg ein Opfer geworden, weil er taub war und die Order zum Stehenbleiben nicht hören konnte. Die Mutter des toten Sohnes reicht nach einem langen inneren Kampf, den Maria Milisavljevic von hinten erzählt, so dass sich der unglaubliche Vorfall aus den Splittern und Mosaiksteinchen erst nach und nach zum Bild zusammensetzt, die Mutter des toten Sohnes reicht dem Mann, der ihr Kind tötete, die Hand. Weil sie den Kreislauf aus Rache und Krieg

    Szenenfoto mit Florian Pabst, Karoline Teska, Andrej von Sallwitz, Johannes Hendrik Langer, Elisabeth Heckel, Kinga Schmidt

  • B E B E N 7

    und Blutvergießen durchbrechen und ein Zeichen für einen Neuanfang setzen will. Der Autorin ist von Kritikern für diese Entscheidung , die in ihrem Text ein noch größeres Vergeben auslöst, als naiv und realitätsfern abgeurteilt worden. Sie aber hielt dagegen, dass das Theater und die Theaterliteratur nicht dafür da seien, einzig bestehende Realitäten widerzuspiegeln, sondern diesen Realitäten etwas

    entgegenzusetzen, in visionsarmen Zeiten Visionen zu formulieren und damit vermeintlich hochpreisige Auswege zu offerieren. Die Inszenierung von Volker Metzler ist der Entschiedenheit und Konsequenz dieser Vision der Autorin nicht gefolgt, sondern hat sich mit dem Ende der Stückerzählung am Grad der Realität gemessen.

    Z U V O L K E R M E T Z L E R S I N S Z E N I E R U N GVolker Metzler wurde 1965 in Karl-Marx-Stadt geboren. Er studierte von 1987 – 1991 Schauspiel an der Theaterhochschule »Hans Otto« in Leipzig. Danach folgte ein Engagement am neuen theater / Schauspiel Halle.Von 1994 – 1998 arbeitete er als Künstlerischer Lei-ter des Theater in der Fabrik (TiF) am Staatsschau-spiel Dresden. Weiterhin arbeitete er als Schauspiel-direktor am neuen theater / Schauspiel halle und als Oberspielleiter am Theater Junge Generation Dres-den. 2006 war er für den Deutschen Theaterpreis »Der Faust« des Bühnenvereins in der Kategorie »Beste Regie im Kinder und Jugendtheater« für die Inszenierung the killer in me is the killer in you my love von Andri Beyeler nominiert. Von 2008 – 2014 war er Direktor des Studio- und Künstlertheaters »DRAMATEN« sowie Gründer der Aus- und Weiter-bildungsstätte für Darstellende Künste »werkstatt DRAMATEN« in Dresden. Seit 2014 arbeitet er als freier Regisseur und Fotograf. Seit der Spielzeit 2017/2018 arbeitet er als Schau-spieldirektor am THEATER AN DER PARKAUE. Mit »Beben« eröffnete er seine Amtszeit und wurde für den Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgen-post 2017 und den Ikarus-Theaterpreis des Jugend-

    kulturservices Berlin 2018 nominiert. Mit »Beben« wurde hier ein Text gewählt, der ur-sprünglich nicht für ein Jugendpublikum geschrie-ben wurde, doch durch das Zusammenwirken von Video, Licht, Bühne, Text und Schauspiel, erschafft unsere Inszenierung einen permanenten Zustand der Gleichzeitigkeit, welcher der digitalsozialisierten Generation sehr entspricht. Die Anzahl der Figuren hat die Autorin beschrieben mit dem Satz »Wir. Wer immer und wie viele wir auch sind.« Die Inszenie-rung bietet einen politisch relevanten Erfahrungs-raum, so laut und grell und gleichsam feinsinnig, dass man sich nicht entziehen kann. Zusammen mit dem gesamten Ensemble, wird der Text des diffusen Wir lebendig. Figuren sind nicht klar definiert, die Spielenden kämpfen um und mit dem Text. Immer wieder sind durch die Dialogstruktur Handlungs-splitter klar erkennbar, sie tauchen auf und verlieren sich wieder in dem wilden Tosen der Bilder.

    Hört ihr das? Das Heulen? Heulen? Das ist ein ganz schönes Dröhnen. Da tun einem richtig die Ohren weh.

    Die entstehende Überforderung entspricht dem im Text verhandelten medialen Overkill und sorgt so für ein wahrhaftes Erleben des Textes.

  • B E B E N 8

    Z U C L A U D I A C H A R L O T T E B U R C H A R D S B Ü H N E N - U N D K O S T Ü M B I L D Claudia Charlotte Burchard, geboren 1968 in Schwerin, arbeitet seit 1994 als freie Kostüm- und Bühnenbildnerin und Fotografin, unter anderem für Theater in Halle, Schwerin, Berlin, Darmstadt, Es-sen, Weimar, Dresden, Rostock, Magdeburg, Plauen-Zwickau, Zittau sowie für die Hochschule für Schau-spielkunst »Ernst Busch« Berlin. Zusammenarbeit u.a. mit Henriette Hörnigk, Volker Metzler, Ralph Reichel, Matthias Thieme, Christoph Bornmüller, Konstanze Lauterbach, Sonja Hilberger, Wolfgang Dorsch, Peter Dehler, Roland May, Claudia Geisler-Bading, Annett Wöhlert. Am THEATER AN DER PARKAUE gestaltete sie auch das Kostüm- und Bühnenbild für »Die Unendliche Geschichte« und »Die Reise um die Erde in 80 Tagen«.Durch eine weißgestaltete Bühnenkonstruktion mit mehreren Schrägen und Ebenen verweist Charlotte Burchard auf alte Computerspielästhetiken und lässt dennoch viel Raum für die Vorstellungskraft der Betrachtenden. Durch den scheinbar geschlossenen Raum vermittelt sich ein Gefühl des Ausgeliefert-seins. Das Bühnenbild ist nicht illustrierend, sondern Projektionsfläche für Videobilder und eigene Vorstel-lungswelten. Das klinisch sterile Weiß kontrastiert dabei mit der im Spiel dargestellten Verschränkung virtueller und realer Gewalt. In der Bühnenmitte gibt es mit dem beweglichen DJ Pult einen Fokuspunkt, von dem aus, gleich einer Kommandozentrale, die Handlung vorangetrieben wird.

    Auch das Kostümbild bedient sich der Abstraktion, durch die weiße Kleidung verschmelzen die Schau-spieler*innen mit dem Bühnenbild. Obwohl die ein-zelnen Outfits unterschiedlich aussehen, verstärken sie in der Gleichfarbigkeit das Gefühl einer Einheit. Heraus stechen die beiden Strippenzieher im Kubus durch Schmucksteine im Gesicht. Das fluoreszieren-de Neon in den anderen Gesichtern verweist erneut auf die Ästhetik der Computerspiele und auf die viel zitierten 1980er Jahre.

    Szenenfoto mit Johannes Hendrik Langer

  • B E B E N 9

    Z U W O L F G A N G G A U B E S V I D E O A R B E I TWolfgang Gaube schloss 1992 seine Ausbildung als Kameraassistent an der Fernsehakademie des DFF Berlin ab und arbeitet seitdem als freier Kamera-mann im In- und Ausland, u.a. für ARD und ZDF. Längere Zeit war er als erster Kameramann für die Agentur Atkon AG tätig.Er dreht vorrangig Dokumentationen und Künst-lerportraits, wie z.B. für die ARD Sendereihe »Deutschland, Deine Künstler« eine Doku über die Schauspielerin Katrin Sass. Der Kinodokumentar-film »PARTISAN « über Frank Castorf, den ehema-ligen Intendanten der Volksbühne am Rosa-Luxem-burg-Platz, wird 2018 zu sehen sein.

    Beben ist nicht die erste Zusammenarbeit mit dem Regisseur Volker Metzler. Bereits für die Inszenie-rungen: »Zement«, »Creeps« und »Kamikaze« (alle tjg Dresden) übernahm Wolfgang Gaube die Video-arbeiten. Die erste Video-Theaterarbeit entstand für den Schauspieler und Regisseur Falk Rockstroh für das Stück »Der Selbstmörder«. Die Relevanz des Stückes wird von Wolfgang Gaubes Videoarbeiten immer wieder aufgezeigt, da rauschen beispielsweise Bilder des zerstörten Aleppo über die Gesichter der Schauspieler, flimmern Videospiele und Programmiercodes über die Wände, taucht eine alte Werbung auf. Die Videoprojektionen spielen mit den diversen Ebenen von medialen und realen Kriegen.

    Z U M S O U N D V O N K A L L E K R A S SKalle Krass alias Johannes Schäfer studierte Schau-spiel an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Es folgten zahlreiche Tätigkeiten am Thalia Theater Hamburg, dem Deutschen Theater Berlin und dem Theater Basel, wo er u.a. mit Andreas Kriegenburg, Max Claessen und Simon Solberg zusammenarbeitete. 1999 gründete er die Hiphop und Rap Band 56boys und tritt zudem als

    Kalle Krass auf. Seit 2017 gehört er zum Ensemble des THEATER AN DER PARKAUE.Die Lieder von Kalle Krass verweisen auf den Ereig-nischarakter eines Krieges und auf den Hedonismus unserer Zeit. Der schnelle Rap fügt sich nahtlos ein in den fragmentarischen Textaufbau und ermöglicht doch eine weitere Ebene der Rezeption.

  • B E B E N 1 0

    W A S I S T K R I E G ?Experteninterview mit Politikwissenschaftler Prof. Dr. Herfried MünklerDer Politikwissenschaftler Herfried Münkler beantwortet Fragen zum Thema Krieg.

    Warum gibt es so unterschiedliche Auffassungen darüber, was Krieg ist? Woran liegt das?

    Herfried Münkler: Der große Clausewitz, der ein uniformierter Intellektueller gewesen ist, war der Auffassung, Krieg sei ein Chamäleon, d. h. etwas, das sich seinen veränderten Umweltbedingungen immer wieder anpasst. Und wenn man gewissermaßen nun die konkrete Erscheinung des Krieges be-schreibt, dann beschreibt man etwas von Fall zu Fall Unterschiedliches. Man muss dann schon diese intellektuelle Leistung vollbringen, das Wesen des Chamäleons, nämlich die Verände-rung, zu durchschauen.

    Was ist das Gegenteil von Krieg, was bedeutet Frieden?

    Herfried Münkler: Ich bin mir gar nicht einmal sicher, ob in jedem Falle Frieden das Gegenteil von Krieg ist. In einem nachdrücklichen Sinne sicherlich Frieden, aber zunächst einmal wäre es »nicht Krieg«. Frieden hat ja in der Regel etwas höhere Anfor-derungen, nämlich die Stabilität der Verhältnisse, die Sicherheit der Nichtanwendung von Ge-walt, damit verbunden auch gewisse normative Erwartungen wie die Sicherheit des Eigentums, die Sicherheit der Person sowie der Schutz des Lebens. Vielleicht weitergehend auch noch Gerechtigkeitsmaßstäbe und die Sicherung der Freiheit. Wir haben uns in den letzten Jahrhunderten an-gewöhnt, die Anforderung an den Frieden immer ausdrücklicher und schwieriger zu machen. Was

    Szenenfoto mit Florian Pabst

  • B E B E N 1 1

    Frieden ist, ist immer anspruchsvoller geworden, und insofern ist es auch nicht ganz einfach zu sagen, was Frieden ist. Es gab Zeiten, da war für die Menschen Frieden einfach nur nicht Krieg. Für uns heute ist es in der Regel mehr.

    Verteilung von Rohstoffen und die Setzung von Marktbedingungen sind häufig Kriegsursachen – sind das die einzigen Gründe für Kriege?

    Herfried Münkler: Nein. Das sind Ursachen von Kriegen, bei denen die großen Mächte involviert sind. Viele Kriege haben ganz andere Ursachen, z. B. ethnische Auseinandersetzungen. Man kann sagen, Iden-titätskriege, in denen es um die Vorherrschaft einer Sprache oder einer bestimmten Gruppe geht. Es gibt Kriege, die werden eher um Wasser, also um auch wieder natürlich eine begrenz-te Ressource von lebenswichtiger Bedeutung geführt. Es gibt Kriege, die werden geführt, weil in einer eigentlich sehr armen Gegend etwas ge-funden worden ist, was einen sehr reich machen kann. Das können Diamanten sein, es können Edelhölzer sein, gut, die werden nicht gefunden, die sind immer da, mit denen darf allerdings nicht gehandelt werden. Es kann Koltan sein, das für unsere Handys so wichtig ist. Und derjenige, der das Gebiet kontrolliert, der kann dann die Rente einstreichen, die er dafür bekommt, dass internationale Firmen genau diese Bodenschätze ausbeuten. Und Rente ist natürlich etwas sehr Beliebtes, denn die Definition für Rente ist arbeitsloses Einkommen. Arbeitslos in dem Sinne heißt, Sie beteiligen sich gar nicht daran, sondern Sie bringen sich mit militärischer Ge-walt in den Besitz des Gebietes, und dann lassen Sie es sich bezahlen. Heißt, es ist nicht die Ar-mut, die Kriege wahrscheinlich macht, sondern die Aussicht auf schnellen Reichtum. Und das möchten natürlich viele, und dann scharen sich verschiedene Bürgerkriegsgeneräle und Warlords und wollen diese Gebiete unter ihrer Kontrolle haben, um dann entsprechend abzukassieren. Das sind, glaube ich, die wesentlichen Ursachen für Kriege, die heute geführt werden.

    Können Sie verdeutlichen, warum es für Sie einen Unterschied zwischen alten und neuen Kriegen gibt? Was macht den Unterschied aus?

    Herfried Münkler: In der Regel denken wir, wenn wir das Wort Krieg hören, an die klassischen zwischen-staatlichen Kriege. Also an jene Epoche der Kriegsgeschichte, in der der Staat zum Mono-polisten der Kriegführungsfähigkeit geworden ist und dann gleichartige Akteure gegeneinander angetreten sind, d. h. es ist ein bestimmter Anteil der Bevölkerung rekrutiert worden. Er ist vom Staat bewaffnet worden, und er ist vom Staat ausgebildet worden. Daraus entstanden die regulären Heere. Weil auf der anderen Seite auch ein reguläres Heer war, kann man sagen, es ist ein symmetrischer Krieg gewesen. Die Akteure waren vielleicht nicht gleich stark, aber sie waren gleichartig, und es war die Voraussetzung dafür, dass sie sich reziprok als Gleiche anerken-nen konnten. Darauf beruht dann Rechtlichkeit, Kriegsrecht. Die neuen Kriege sind so nicht mehr. Die Staaten sind nicht mehr die Mono-polisten der Kriegführungsfähigkeit, sondern an ihre Stelle sind Warlords getreten, also lokale Kriegsherren, die den Krieg häufig nicht um politische Zwecke führen, sondern weil sie vom Krieg leben. Der Krieg ist zu ihrem Lebens-unterhalt geworden.

    Das erklärt in mancher Hinsicht auch, warum diese neuen Kriege so lange dauern, nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten gerechnet werden.

    Also man kann von einer Privatisierung und Kommerzialisierung der Kriegsgewalt sprechen. Und wenn ich gesagt habe, die zwischenstaat-lichen Kriege waren symmetrische Kriege, so sind diese neuen Kriege asymmetrische Kriege, d. h. es treten nicht gleichartige Akteure gegen-einander an, sondern diese bewaffneten Banden überfallen Städtchen und Dörfer, plündern die Bevölkerung aus, die wehrlos ist, die vielleicht ein paar Äxte hat, mit denen sie sich wehrt, aber das ist ja im Ernst kein Widerstand. Die ver-gewaltigen, rauben und morden. Es gibt also

  • B E B E N 1 2

    keine Strukturen, in denen klar ist, dass, wenn ich eigene Handlungen unterlasse, ich von anderen erwarten darf, dass er diese Handlungen seinerseits unterlässt, was Rechtlichkeit gene-riert. Wenn eine Seite alle Gewaltmittel in ihrer Hand hat und dies auch hemmungslos auslebt, und die andere Seite hat keine Möglichkeit des Widerstandes, dann gibt es kein Motiv, eine mir mögliche Gewalthandlung zu unterlassen.

    Woran liegt es, dass wir von einigen Kriegen so gut wie gar nichts erfahren, andere hingegen in unserem Fokus stehen, zumindest wenn wir von Mitteleuropa bzw. Deutschland ausgehen?

    Herfried Münkler: Natürlich ist in unserem Aufmerksamkeitsbereich der Krieg prominent, der in unserer Nähe statt-findet, weswegen die jugoslawischen Zerfalls-kriege eine hohe Aufmerksamkeit bekommen haben oder die Kriege im Nahen und Mittleren Osten. Aber die Kriege, die sehr weit weg sind und in die wir nicht selber verwickelt sind, die finden gewissermaßen ohne Aufmerksamkeit der

    westlichen Öffentlichkeit statt. Ein Beispiel dafür ist der Krieg im Kongo, der mit 3,7 bis 3,8 Mil-lionen Toten der verlustreichste Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg war, aber verglichen mit dem gegenwärtig nicht sehr verlustreichen Irakkrieg ist er faktisch nicht wahrgenommen worden. Bis jetzt. Nun, wo es darum geht, dass ein paar Bundeswehrsoldaten dort hingeschickt werden sollen, konzentrieren wir uns darauf.

    Gibt es noch andere Ursachen dafür, dass bestimmte Kriege nicht in die Medienöffentlichkeit geraten?

    Herfried Münkler: Ja, natürlich. Wenn die Kriege keine klaren Fronten haben, dann ist es für Journalisten und Reporter nicht sehr ratsam, sich dort hinzubege-ben, weil sie nicht auf einer Seite oder vielmehr in dem Schutz einer Seite agieren und berichten können. Sie geraten zwischen die Fronten, und das bezahlen sie sehr häufig mit dem Leben, und deswegen ist es naheliegend, dass sie es meiden, dort hinzukommen. Das Ergebnis ist, dass man darüber wenig erfährt.

    Szenenfoto mit Karoline Teska, Kinga Schmidt, Jakob Kraze und Andrej von Sallwitz

  • B E B E N 1 3

    Was ist der Unterschied zwischen Terror und Krieg? Herfried Münkler: Es gibt Situationen, da gibt es Unterschiede, und es gibt welche, da ist Terror ein Bestandteil der Kriegführung. In der europäischen Geschichte ab dem 19. Jahrhundert war Terror in der Regel ein Mittel, um eine Revolution in Gang zu setzen, um den Staatsapparat zu entmotivieren oder aber um Überreaktionen zu provozieren. Den Teilen der Bevölkerung, von denen man erwartete, dass sie potenziell revolutionär seien, Zutrauen einzuflößen, Zuversicht im Sinne von »Wir können siegen« und so weiter. Das gilt für die Nawodniki in Russland, und das geht in unseren Tagen bis zur IRA oder ETA und zwischendrin Deutschland mit der Roten Armee Fraktion.

    Viele Jugendliche gehen heute davon aus, dass die Vereinigten Staaten eine kriegführende Partei dar-stellen. Halten Sie dem etwas entgegen?

    Herfried Münkler: Es gibt ganz fraglos Auseinandersetzungen, in denen die USA Partei sind und auch ihre Eigen-interessen durchsetzen, aber es ist ganz falsch zu glauben, sie seien nur Partei. Sie sind auch der Garant der Rahmenbedingungen dessen, dass es keine Auseinandersetzungen mehr gegeben hat wie die, die wir im Allgemeinen als Zweiten Weltkrieg bezeichnen. Da sind sie nicht Partei, sondern da sorgen sie dafür, dass Formen von Parteilichkeit anders ausgetragen werden als in einer großen kriegerischen Auseinander-setzung. Die Schwierigkeit in der Beurteilung und auch der moralischen Beurteilung der USA besteht eben darin, dass sie immer in dieser doppelten Position sind: einerseits der Mehrer ihres eigenen Nutzens, andererseits der Sicherer des gemeinen Nutzens. Das macht die Dinge schwierig.

    Was können Sie uns zum Thema Propaganda sagen? Herfried Münkler: Auch da würde ich zwei Hauptformen unter-scheiden. Westliche Mächte müssen, wenn sie in Kriege der Peripherie der Wohlstandszone

    verwickelt werden, erstens ihrer Bevölkerung signalisieren: Alles nicht so schlimm, wir haben die Lage im Griff. Zweitens müssen sie ihrer Bevölkerung sagen, wir gehen mit den Verlusten auf der Gegenseite sorgsam um. Wir sehen zu, dass wir Menschen-verluste vermeiden, vor allem solche an Zi-vilisten. General Schwarzkopf hat diese Kon-trolle der Nachrichtenlage und Bildersituation mit den berühmten Videos am Ende des Golf-krieges von 1991 relativ gut im Griff gehabt. Aber dann hat die Gegenseite nachgerüstet mit al-Dschasira, und wenn man die Bilder von An-griffen im Sinne minimalinvasiver chirurgischer Operationen, so punktgenau, wie das die ame-rikanischen Videos gezeigt haben, dahingehend konterkariert, dass man vor allen Dingen Bilder von Opfern, zerstörte, verbrannte Körper zeigt, was dann wiederum al-Dschasira gemacht hat, dann muss man umstellen. Und die amerika-nische Reaktion darauf war die Erfindung der Embedded Corespondance. Also sozusagen die Authentizität, die durch die Nähe zum Kampf-geschehen mit eingebracht werden musste, um den klinisch sauberen Aspekt der Raketenvideos zu vermeiden, von denen man dann irgendwann das Gefühl hatte, das stimmt alles überhaupt gar nicht. Das ist nicht der Krieg, das sind kindische Bilder. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass gerade schwache Ak-teure, also terroristische Akteure, Bilder brau-chen, um den von ihnen angegriffenen Gesell-schaften über den unmittelbaren Angriff hinaus für längere Zeit Angst und Schrecken zu berei-ten. Wenn also das Flugzeug am 11. September mit einer entsprechenden Zeitverzögerung in die Twin Towers rast, dann konnten die Planer dieses Anschlages davon ausgehen, dass nicht nur wie beim Anschlag auf den ersten Turm ein zufälliges Kamerateam da ist, das eigentlich Feuerwehrleute bei ihrer Arbeit gefilmt hat, sondern dass dann – zumal in New York – die Kameras der Weltpresse bereits darauf gerichtet sind. Das sind die Bilder, die gewissermaßen strategische Qualität haben. Hier werden also die

  • B E B E N 1 4

    Medien benutzt als ein Verstärker der Detonati-onswirkung des Angriffs. Sie erst greifen tief in unseren Psychohaushalt ein und versetzen uns in Angst und Schrecken.

    Gibt es so etwas wie einen »gerechten« Krieg? Herfried Münkler: Ja, wahrscheinlich muss man das schon sagen. Die Kriegführung der Westalliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland war, wenn es überhaupt gerechte Gründe gibt, ein gerechter Krieg. Möglicherweise von ihnen gar nicht ein-mal so beabsichtigt, aber von den Ergebnissen her. Aber die Theorie des gerechten Krieges entsteht ja aus anderen Bedingungen. Sie ist gewisser-maßen die Ergänzung dessen, was man asym-metrische Kriegsstrukturen nennen kann – auf der normativen Ebene. Nämlich eine Seite hat alles Recht auf ihrer Seite, und die andere alles Unrecht, sodass also dieser Krieg nicht mehr das Kräftemessen zwischen Gleichen ist, sondern eigentlich die Durchsetzung des Rechts gegen Rechtsbrecher. So ist der gerechte Krieg de-finiert, und dann muss man im Einzelfall über-prüfen, ob diese Konstruktion plausibel ist oder aber ob sie bloß propagandistisch daher gezogen ist.

    Was machen also Jugendliche, um sich zu orientie-ren? Was kann man ihnen an die Hand geben, denn irgendwelchen Medienpublikationen zu glauben, wäre ja auch naiv.

    Herfried Münkler: Man kann ihnen gewiss nicht vorschlagen, ins Kriegsgebiet zu fahren und sich vor Ort selber ein Bild von der Sache zu machen, denn ers-tens ist es sehr schwer, sich in einem Gewalt-geschehen ein Bild zu machen, zweitens kommt man dabei relativ schnell vom Leben zum Tode, und drittens ist Kriegstourismus etwas, was ausgesprochen disfunktional ist und hätte

    möglicherweise das Ergebnis, dass es Leute gibt, die Kriege anfangen, damit sie auf diese Weise touristische Neugierwellen in Gang setzen. Also müssen sie sich über Qualitätsjournale, das sind in der Regel diese Zeitungen, die wenig Bilder aber viele Buchstaben haben, informieren, vielleicht auch noch Wochenzeitungen, und sie müssen das kontinuierlich tun. Diese kurzzeitige Aufgeregtheit, man hat was gehört, man ist empört, man ist angerührt, das sind pubertäre Befindlichkeiten, die kommen und die gehen und haben keine Bedeutung. Wenn man auf dieser Ebene ein Urteil der Ver-antwortlichkeit entwickeln will, dann muss man sich über längere Zeit über eine Region infor-mieren, man muss Kenntnisse darüber haben, wie der Konflikt entstanden ist, wie er verläuft, wie er sich verändert, wie er möglicherweise

    Szenenfoto mit Elisabeth Heckel

  • B E B E N 1 5

    auch unsichtbar wird, um nach einigen Jahren plötzlich wieder aufzuflackern. Das ist eine sehr anstrengende Geschichte, die sehr viel Mühe, Hartnäckigkeit und Klugheit verlangt. Und weil das so ist, gibt es auch so viel dummes Gerede über Kriege. Kriege zu analysieren ist, wie Max Weber sagt, das Bohren dicker Bretter. Und das Bohren dicker Bretter ist anstrengend, und die meisten drücken sich darum.

    In einer so medialisierten Welt kann man sich doch eigentlich nie sicher sein, dass man nicht Opfer einer bestimmten Propagandastrategie ist. Es gibt eigentlich nie die moralische Sicherheit, richtig zu urteilen, wenn man sagt, ich unterstütze diese kriegerische Handlung, weil es dem europäischen Gesamtkonzept oder der Weltarchitektur dient...

    Herfried Münkler: Ja, so ist das. Wir können uns nicht sicher sein. Wir werden uns zu keinem Zeitpunkt sicher sein können, sondern vielleicht, wenn wir uns nur zu 51 Prozent sicher sind, und der Rest ist zweifel-haft, dann sollten wir die Finger davon lassen.

    Es wird vielleicht einen Punkt geben, an dem man auch unter den Bedingungen von Ungewiss-heit nicht nur handeln kann, sondern moralisch verpflichtet ist zu handeln. Es kann ja nicht sein, dass wir warten und warten, weil wir noch nicht ganz sicher sind, und um diese Sicherheit zu gewinnen so lange warten, bis der letzte Lebende in diesem Gebiet auch noch abgeschlachtet ist. Das ist das Problem, in dem man sich befindet, und da bedarf es dann, wenn man kein hundert-prozentig sicheres Wissen hat, also keine voll-ständigen Informationen, bzw. sich nicht sicher ist, ob das, was man für sich erhält, gewiss ist, ob das taugt und nicht irgendwie gefälscht ist – da bedarf es des Takts der Urteilskraft, also eines sicheren politischen Urteils. Und je mehr in einer Bevölkerung ein solches Urteil haben oder sich zutrauen, desto besser bestellt ist es um den Staat.

    Quelle: http://www.bpb.de/gesellschaft/ medien-und-sport/krieg-in-den-medien/

    130595/interview-mit-herfried-muenkler

    V I R T U E L L E M E D I E N W E L T E NDas bildgewaltige Spektakel auf der Bühne er-innert an das schnelle Durchlaufen von Bildern und Nachrichten auf der Facebookstartseite. »Die Welt speziell der jungen Bürger ist zunehmend, geprägt und durchdrungen von den digitalen Medien. […] Unmittelbarkeit ist heute eher eine Sache der der Download- Geschwindigkeit, der bits-per-second, der Retina Displays, oder der Facebook »TimeLine«, Skype-Konferenzen usw., als die von ungewöhnli-chen Begegnungen im wirklichen Leben.«1 Kommt es zum Thema digitale Medien sind die Fronten zwischen den Generationen oft verhärtet. Jugend- 1 Croll, Jutta; Siebenhaar, Klaus (Hrsg.): SLS 13. Bildungs- und Er-

    fahrungsraum Social Web. Grundlagen und Perspektiven. B&S Siebenhaar Verlag Berlin/Kassel 2013 S.65

    liche sind so häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne schwindet und sie zu schnell abgelenkt sind.»Was eine Ablenkung und was einen Gegenstand der Aufmerksamkeit darstellt, ist eine Frage von Normen. Ist jemand abgelenkt von seinem Essen, wenn er bemerkt, dass eine Freundin zu weinen begonnen hat, und sich nach dem Grund erkundigt? […] Es ist eine wesentliche Kompetenz, Reize auf ihre Relevanz hin zu beurteilen. Wichtige Reize müssen wahrgenommen werden, unwichtige nicht. Wirken Nutzerinnen und Nutzer von Social Media häufig abgelenkt, so könnte das einfach mit ver-schobenen Relevanzkriterien zu tun haben: Gewisse digitale Reize werden als wichtig empfunden, wenn

  • B E B E N 1 6

    sie eine bestimmte Form annehmen, zum Beispiel eine neue Nachricht ankündigen. Eine Tätigkeit kontinuierlich ausführen zu können ist nicht immer die beste Verhaltensweise, es kann sinnvoll sein, auf andere Aktivitäten umzuschwenken, wenn sie sich anbieten. Etwas allgemeiner ausgedrückt: Die Vorstellungen von Aufmerksamkeit und Ablenkung sind geprägt durch eine analoge Mediennutzung. Ein Zeitungstext ist länger als eine Nachricht auf Twitter. Üblicherweise werden Artikel in einem längeren, durchgehenden Lektüreprozess verarbeitet. Diesen Prozess gibt es in sozialen Netzwerken kaum: Geübte User nehmen ständig eine Triage vor, sie kli-cken auf bestimmte Links, lesen einzelne Abschnitte, merken sich Texte für später vor. Dieses Verhalten führt zu einem effizienten Umgang mit dem Infor-mationsangebot.«2 Jugendliche, die in den digitalen Medienwelten aufwachsen, sind demnach exzellent

    2 Philippe Wampfler: Generation »Social Media« Wie digitale Kom-munikation Leben, Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG/ Göttingen 2014 S. 49

    in der Verarbeitung verschiedener Reize und in der eigenen Sortierung von Eindrücken. Die Jugendlichen können durch ihre hervorragenden Fähigkeiten im Multitasking, den auf der Bühne dargestellten, medialen Bildersturm gut auseinander-nehmen, da er ihrer Lebensrealität entspricht. Jedoch bringt eine Verbesserung des Multitaskings nicht nur Vorteile, »eine Studie amerikanischer Psychologen hat ergeben, dass Menschen, die darin geübt sind, mehrere Stimuli gleichzeitig zu verarbei-ten, weil sie oft Multitasking betreiben, bei Übungen schlechter abschneiden, wenn sie gezielt von einer Aufgabe abgelenkt werden. Diese Beeinträchtigung verstärkt sich, je mehr Ablenkungsreize zugeschaltet werden.«3 Generell ist eine grundlegende Erkennt-nis der Hirnforschung, dass sich unser Gehirn an veränderte Umweltfaktoren und so auch an eine bestimmte Mediennutzung anpasst. Wenn Gehirne sich verändern ist dies so kein Nachteil, sondern ein anpassen an neue Aufgaben und Herausforderungen.

    3 ebd. S.50

    W E N N S O C I A L N E T W O R K S Z U M S C H Ü T Z E N G R A B E N W E R D E NWer heute Soldat ist, ist mit dem Netz aufgewach-sen und füllt es mit eigenem Erleben. Armeen ist das nicht recht, dabei nutzen sie das Netz für sich. Von Tilman SteffenSascha Stoltenow ist ausgebildeter Fallschirmsprin-ger. Als Offizier war er in Kroatien im Einsatz, in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Zwölf Jahre diente er in der Bundeswehr. Heute ist er Special Staff Sergeant der IDF, der Israel Defense Force.Der Exsoldat Stoltenow macht mit bei IDF Ranks, einer Art Online-Game der israelischen Armee. Das belohnt Aktivität auf den Websites und Plattformen der Armee mit Punkten: Mit jedem gelesenen Ein-

    trag, jedem Like oder Kommentar kommt man dem nächsthöheren Dienstgrad näher – bis zum Chief of Staff.Das israelische Militär ist längst nicht das einzige, das die Sozialen Netzwerke für sich entdeckt hat. Alle großen Armeen oder Waffenschmieden der Welt präsentieren sich auf Facebook und YouTube. Stoltenow schreibt als Bendler-Blogger über die Armeen der Welt und hat mit Thomas Wiegold von Augen Geradeaus! auf der re:publica einen Vortrag zu dem Thema gehalten. Überschrieben war er mit »Die Digital Natives ziehen in den Krieg«. Denn auch Soldaten füllen ihre Accounts bei Instagram, Flickr oder Tumblr mit

  • B E B E N 1 7

    Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz, Florian Pabst und Johannes Hendrik Langer

    dem, was sie im Einsatz erleben und sehen. Sie sind mit dem Netz aufgewachsen, ihr soziales Umfeld ist bei Facebook, ihr Kulturraum ist YouTube. Sie posten, weil sie mit Freunden reden wollen, aber auch, weil sie nach Anerkennung für ihre Arbeit suchen, wie Stoltenow sagt. Entsprechend groß ist die Bilderfülle im Web – an Banalem, aber auch an Gräuel.Und entsprechend groß sind die Risiken, die aus den im Netz verfügbaren Informationen erwachsen.So verlor die US-Army 2007 im Irak vier AH-64 Apache Hubschrauber, weil Soldaten Fotos von de-ren Landung in ihren Accounts gepostet hatten. Die Bilder enthielten die Geodaten der Orte, an denen sie aufgenommen worden waren. Die Gegner der Soldaten lasen diese Informationen den Bildern aus. So erfuhren sie die Position der Maschinen auf dem Stützpunkt und feuerten Mörsergranaten zielgenau dorthin.[…]Inzwischen hat die US-Armee das umfassendste Social-Media-Handbuch der Welt. Es beginnt mit

    Tipps und Tricks zur Computersicherheit und endet mit Hunderten von Dokumenten zu Sicherheit und Privatsphäre. Inbegriffen sind Richtlinien, wer was in welcher Funktion in sozialen Netzwerken posten darf. Von Followern und Facebookfreunden könne Gefahr ausgehen, heißt es dort; nur öffentlich freigegebene Dokumente dürfen gepostet werden; Bilder seien daraufhin zu prüfen, ob sie – etwa im Hintergrund oder auf spiegelnden Oberflächen – schutzbedürftige Details zeigen.Auch in der Bundeswehr wächst die Zahl der Sol-daten mit Facebook-Account. Daher gibt es in-zwischen eine wenn auch eher allgemein gehaltene Handreichung: Wer in Netzwerken postet, soll das verantwortungsbewusst tun, Gesetze einhalten, die Privatsphäre respektieren und Anstand wahren, heißt es darin. In dienstlichen Angelegenheiten sei »Ver-schwiegenheit zu wahren«, insbesondere im Einsatz – um die Einsatzbereitschaft nicht zu gefährden.Doch nicht nur ums Senden geht es den Armeen bei der Internetnutzung, sondern auch ums Empfangen.

  • B E B E N 1 8

    Militärs und Kriegsparteien nutzen das geschickt: Sie verleihen ihren Inhalten die Haptik von Games – wie die israelische Armee – um spieleaffines Publi-kum zu interessieren. PR-Abteilungen ästhetisieren die Kriegsrealität durch geschickten Bildschnitt und -bearbeitung, bis der Einsatz im Feld optisch als spannendes Abenteuer rüberkommt. […]Leicht ist da die Grenze zwischen Öffentlichkeits-arbeit und Propaganda verwischt: So zeigt ein Werbetrailer der US-Armee mit viel Getöse, wie die Marine mit Luftunterstützung Bodentruppen an einer Küste absetzt – mittendrin mehrere Radpanzer, be-laden mit »Aid«-Hilfspaketen.Das Social Web wird so zum Werbekanal und Schützengraben zugleich: Kriegsparteien flankieren das Töten mit aggressiver Rhetorik auf Twitter. Mit Bildern prangern sie den Gegner an und rechtferti-gen den eigenen Waffeneinsatz mit Grafiken, Videos und Tweets. Im Machtkampf schocken Islamisten und Gotteskrieger die Netzöffentlichkeit mit Bildern von Erhängten, in Syrien filmen Assad-Gegner, wie sie vermeintliche Regime-Unterstützer massakrieren.

    Ein markantes Beispiel dafür ist die wochenlange Propagandaschlacht zwischen israelischer Armee und Hamas vom November 2012. Begonnen haben sie die Israelis, die die Tötung des Islamistenführers Ahmed Jabari auf YouTube posteten – eine Zehn-Sekunden-Sequenz wie aus einem Ego-Shooter, nur eben real.Die zivile Öffentlichkeit ist nicht immer begeistert von so viel Einblick ins Kriegshandwerk. Im Falle der Exekutions- und Massakervideos aus Syrien be-wirkten Userhinweise, dass YouTube nun zumindest einen Warnbalken vorschaltet. Entfernen lassen sich die Gräuelfilme nur schwer.Auch die Bundesregierung musste unter öffent-lichem Druck ihre Online-Politik überarbeiten: Auf ihrem YouTube-Kanal hatte die Bundeswehr mit kühn blickenden Soldaten geworben, viel Kriegs-gerät und Kettengerassel waren zu sehen. Zu viel: Nach politischem Protest in Berlin sei der Film wieder verschwunden, schildert Wiegold. Die Be-gründung des Regierungssprechers: Dem Werk habe der erforderliche Wortanteil gefehlt.

    Quelle: Von Tilman Steffen. Vom 19.05.13. Von Zeit Online.

    https://www.zeit.de/digital/internet/2013-05/ soldaten-krieg-facebook-twitter/komplettansicht

    G E M E I N S A M K E I T E N D E R I N S Z E N I E R U N G D E S K R I E G E S I N D E N B I L D S C H I R M M E D I E NDie Inszenierung des Krieges in den Nachrichten, im Computerspiel und im Film geschieht auf sehr unterschiedliche Weise mit verschiedenen Zielen. Es lassen sich aber auch gemeinsame Inszenierungs-merkmale bestimmen. Die Inszenierung des Krieges in den Nachrichten, im Computerspiel und im Film geschieht auf sehr

    unterschiedliche Weise mit verschiedenen Zielen. Es lassen sich aber auch gemeinsame Inszenierungs-merkmale bestimmen. Audiovisuelle Medien, die für ihre Nutzung einen Bildschirm, eine Leinwand oder einen Monitor benötigen, werden auch als »Bildschirmmedien« bezeichnet. Bildschirmmedien zeichnen sich da-

  • B E B E N 1 9

    durch aus, dass sie dem Zuschauer das Gefühl geben können, etwas »unmittelbar« zu erleben, obwohl er nur die Mediendarstellung sieht. Dies wird etwa bei Fernsehübertragungen von Sportereignissen deut-lich, bei Filmen, die den Betrachter für 90 Minuten in eine andere Wirklichkeit versetzen, oder bei Computerspielen, die es ermöglichen, sich in einer digitalen Welt wie in der Realität zu bewegen und dort zu handeln. Die Inszenierung des Krieges in den Bildschirm-medien erfolgt mit unterschiedlicher Zielsetzung. Während Nachrichten informieren wollen, dienen Film und Computerspiel vor allem der Unterhaltung. Dabei kommt es aber auch zu Überschneidungen. Manche Nachrichtensendung bedient sich heute filmischer Gestaltungsmittel, um die Beiträge für den Zuschauer interessanter zu machen. Filme und Computerspiele versuchen, die Kriegsinszenierung im Hinblick auf historische Fakten und Darstel-lungen möglichst realistisch aussehen zu lassen. Diese Vermischung der Gestaltungselemente hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen Information und Unterhaltung in den verschiedenen Bildschirm-medien heute fließend sind. […]

    Beispiele für Inszenierungstechniken in audiovisuel-len KriegsdarstellungenVereinfachung statt Komplexität – Reduzierung der komplexen Kriegsrealität auf einige wenige konkrete Ereignisse: Die Realität des Krieges ist komplex und vielgestal-tig. Jede mediale Kriegsdarstellung erfordert daher die Auswahl und vereinfachte Darstellung einzelner Sachverhalte. Unterscheiden kann man jedoch zwischen solchen Darstellungen, die der Realität möglichst nahezukommen versuchen – beispiels-weise durch die Schilderung von Hintergründen – und solchen, die sich auf die Aspekte des Krieges beschränken, die sich publikumswirksam in Szene setzen lassen. Letztere sind beispielsweise gekenn-zeichnet durch vermeintliche Überschaubarkeit, das Auslassen von Widersprüchen und das Vorhanden-sein eindeutiger Wirkungsmechanismen: Bestimmte Handlungen haben vorhersehbare Wirkungen zur Folge. Beim Zuschauer kann hierdurch eine falsche Vorstellung von der Realität des Krieges entstehen. Personalisierung statt Darstellung von Prozessen – Darstellung des Krieges als etwas Personenhaftes, beispielsweise als Heldengeschichte:

    Szenenfoto mit Johannes Schäfer, Florian Pabst, Kinga Schmidt, Jakob Kraze, Karoline Teska

  • B E B E N 2 0

    Bei der Personalisierung wird etwas Nichtpersonen-haftes in etwas Personenhaftes verwandelt. Das Mittel der Personalisierung wird etwa eingesetzt, um dem Zuschauer die Folgen eines Krieges exem-plarisch anhand des Schicksals einzelner Menschen deutlich zu machen. Es wird aber auch genutzt, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu steigern, da das Schicksal einer oder mehrerer Person spannen-der inszeniert werden kann als allgemeine Fakten und Sachzusammenhänge. Eine Person steht dann stellvertretend für einen Sachverhalt, ein politisches Lager für eine Bevölkerungsgruppe oder ein ganzes Land. Komplexe Konflikte werden auf die Auseinan-dersetzung zwischen zwei oder mehreren Personen reduziert. Was bei der Hervorhebung der Rolle eines Einzelnen aber fast zwangsläufig geschieht, ist eine holzschnittartige Zuschreibung von Eigen-schaften: mutig, feige, gut, böse etc. Der Irakkrieg 2003 erschien zum Beispiel in der Berichterstattung häufig wie ein Duell zwischen George W. Bush und Saddam Hussein. Dass die Lage im Irak aber viel komplizierter war und sich dort zahlreiche verschie-dene Gruppierungen gegenüberstehen, hat sich nach der Einnahme von Bagdad gezeigt. Freund-Feind-Schema statt ausgewogener Darstel-lung – Eindeutige Unterscheidung zwischen guten Helden und bösen Feinden: Das Freund-Feind-Schema zeichnet sich durch eine eindeutige Rollenverteilung aus. Es gibt Akteure, die das Gute vertreten, beispielsweise die eigenen Soldaten, »unsere Jungs«, und solche, die das Böse vertreten: »brutale Mörder«. Diese Darstellungs-weise dient in Kriegsfilmen, Computerkriegsspielen oder der Kriegsberichterstattung vor allem dazu, die Gewalt an Feinden als gerechtfertigt zu zeigen. Das Gegenteil davon wäre eine neutrale Darstellung, die sich um eine differenzierte Sichtweise auf beide Konfliktparteien bemüht. Dramatisierung statt Alltagsroutine – Konzentration auf dramatische Ereignisse, die sich medial gut in Szene setzen lassen: Dramatisierung bezeichnet die Konzentration auf konflikthafte Situationen, auf Bedrohliches, Risiko-haftes und Außergewöhnliches, das sich spannungs-

    reich inszenieren lässt. Dies wird beispielsweise durch die Verwendung von gestalterischen Elemen-ten erreicht wie einem dramaähnlichen Aufbau mit Haupt- und Nebenfiguren, Konflikten, Höhepunkt und Konfliktlösung, Musik, schnellen Schnitten oder einer abwechslungsreichen Kameraführung. Ziel der Dramatisierung ist es, den Zuschauer zu fesseln. Der »normale« Kriegsalltag, langfristige Entwicklungen und schwierige Zusammenhänge werden nicht dar-gestellt. Ästhetisierung statt grausamer Kriegsrealität – An-sprechende bildliche und akustische Darstellung oder Ausblendung der grausamen, »hässlichen« Kriegsrealität: Ästhetisch bedeutet in der Alltagssprache »schön«, »geschmackvoll« oder »ansprechend«. In Kriegsdar-stellungen erfolgt Ästhetisierung zum Beispiel durch attraktive Soldaten, Flugzeugträger im Sonnen-untergang oder Hubschraubereinsätze, die durch spektakuläre Kameraeinstellungen ins Bild gesetzt werden. Dem Krieg wird dadurch sein Schrecken ge-nommen. Während die grausame Kriegsrealität den Zuschauer durch die Darstellung schwerwiegender Kriegsfolgen belasten würde, kann ein actionhaltiges Computerkriegsspiel – durch die Darstellung des Krieges als faszinierendes Hightech-Spektakel – sogar Begeisterung auslösen.

    Emotionalisierung statt Reflexion – Gefühlsbetonte Darstellung, die dazu führt, dass der Betrachter mit-fühlt und mitleidet: Emotionalisierung kann sowohl durch eine span-nende Geschichte als auch durch akustische und optische Elemente erfolgen. Beispielsweise können Nahaufnahmen bestimmte Gefühle – wie Schmerz, Glück oder Trauer – einer dargestellten Person besser auf den Zuschauer übertragen. Ziel der Emo-tionalisierung ist es, den Zuschauer in das Gesche-hen mit einzubeziehen, seine Gefühle zu berühren. Dies geschieht jedoch auf Kosten der Reflexion und kritischen Auseinandersetzung mit dem Gesehenen. Die 13-teilige Reality TV-Serie »Profiles from the Front Line« schildert den Einsatz der US-Sol-daten im Afghanistankrieg – seriengerecht in Szene

  • B E B E N 2 1

    gesetzt. »Bei ‚Profiles from the Front Line‘ wird der Krieg jugendfrei«, kommentierte Heike Huppertz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung daher den Start der Serie. Da jedes Medienprodukt zwangsläufig in gewisser Weise inszeniert ist, finden sich einzelne oder mehrere dieser Techniken in vielen medialen Kriegsdarstellungen. Unterschiede bestehen jedoch im Grad der Inszenierung. Die Frage, die sich dem Betrachter daher stellt, lautet: Wird die Kriegsrealität hier in einem erforderlichen Maß »inszeniert«, oder stimmt die Darstellung des Krieges durch den hohen Grad an Inszenierung nur noch wenig mit der realen Situation überein? Das Kriegsgeschehen dient etwa in vielen Filmen nur als Hintergrund, um eine dramatische Helden-geschichte zu erzählen. Vom realen Geschehen

    kommt nur das vor, was in das Inszenierungsschema passt. Dies ist auch bei Computerspielen der Fall. Hier geht es nicht mehr darum, den Krieg wirklich abzubilden. Der Bezug zu realen Kriegsereignissen dient allein der Steigerung des Unterhaltungswertes. Auch die Berichterstattung über den Krieg kann zur Unterhaltung werden. Wenn das verstärkte Medien-interesse der Zuschauer in Zeiten von Kriegen und Konflikten etwa genutzt wird, um durch Sondersen-dungen, Live-Berichte von der Front, Reality-TV-Serien etc. die eigenen Einschaltquoten zu steigern. Das Kriegsgeschehen verkümmert hier zur Kulisse für Pseudo-Ereignisse. Die Inszenierung wird zum Selbstzweck.

    Quelle: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/ krieg-in-den-medien/130611/inszenierung-des-krieges

    Szenenfoto mit Kinga Schmidt, Florian Pabst und Elisabeth Heckel

  • B E B E N 2 2

    D E R K R I E G I M S P I E LKriegscomputerspiele stehen immer wieder stark in der Kritik. Die öffentliche Diskussion ist geprägt von der Angst vor immer realistischeren Gewaltdar-stellungen und kriegerischer Brutalität, sowie deren Auswirkungen auf die jungen Gemüter. Betrachtet man jedoch die Kriegsspielentwicklung der letzten Jahre, geht der Trend in eine andere Richtung. »Statt übertriebener Pixelblutorgien sehen wir immer mehr High-Tech-Waffen, die einen »sauberen«, scheinbar »chirurgischen« Krieg suggerieren. Nicht nur, dass die Hersteller eine niedrigere Einschät-zung des Jugendschutzes erreichen […], sie blenden die Auswirkungen der Gewalt gezielt aus, um dem Krieg ein zivilisiertes Antlitz zu verleihen«.1 Die Öffentlichkeit ist geprägt von Kriegsbildern, doch der Blick auf Krieg hat sich verändert. »Gewalt in den Medien soll nicht roh und barbarisch präsentiert werden, sondern bitte schön subtil, intelligent und zivilisiert.«2 Um Illusion eines »sauberen« Krieges zu erzeugen, wird der technische Aspekt gezielt her-vorgehoben.

    1 Gieselmann, Hartmut: Die unsichtbare Gewalt. In: Büttner, Christian; von Gottberg, Joachim; Kladzinski, Magdalena: Krieg in Bild-schirmmedien, Zur Politischen Orientierung Jugendlicher zwischen Inszenierung und Wirklichkeit. kopaed, München 2005 S.177

    2 ebd. S. 178

    Auch Computerspiele fokussieren sich auf mög-lichst authentische Simulationen, was zum einen die Spielfreude hebt, zum anderen aktiv von der Rüstungslobby unterstützt wird. Die realitätsgetreue Darstellung von Waffen und Militärflugzeugen ist so gleichsam Werbung für die Konzerne. Doch die Industrie sieht nicht die Abhärtung der Spielenden als Aufgabe der Simulation. »Der reale Krieg nähert sich dabei in seiner Ästhetik den Computerspielen an und zerstreut so Bedenken beim Schützen, der mit dem Druck auf dem Abzug nicht auf leblose Computergegner, sondern auf reale Menschen zielt.«3 Trotz diesem Versuch der Grenzverwischung, sind sich Jugendliche meist sehr bewusst, wenn sie sich im Spiel befinden. Für sie ist es lediglich eine Weiterentwicklung des kindlichen Als-ob-Spielens. Im Bereich des Jugendschutzes wird immer wieder auch die Befürchtung geäußert, »Kinder und Jugend-liche könnten sich mit der Gewalthandlung des Täters identifizieren und diese als Verhaltensmuster beibehalten«.4 Dabei wird jedoch oft die Empathie gegenüber dem Opfer vergessen.

    3 ebd. S. 1804 Winfried Kaminski: Empathie beim Medienerleben. In: Dittler,

    Ulrich; Hoyer, Michael (Hrsg.): Aufwachsen in virtuellen Medien-welten, Chancen und Gefahren digitaler Medien aus medienpsycho-logischer und medienpädagogischer Perspektive. Kopaed, München 2008 S.159

  • B E B E N 2 3

    H INWEISE FÜR DEN TH EA TER B ESU C H

    Liebe Lehrer*innen,viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater. Daher empfehlen wir Ihnen, sich im Vorfeld mit Ihren Schüler*innen die besondere Situation zu vergegenwärtigen: Das Theater ist ein Ort der Kunst. Hier kommen wir aus dem Alltag in einer anderen Wirklichkeit an. Die Welt und in ihr der Mensch mit seinen Fragen, Sehnsüchten, Ängsten, Widersprüchen wird auf der Bühne mit künstlerischen Mitteln dargestellt und bietet Raum für unzählige unterschiedliche Erfahrungen. Die Zuschauer*innen werden das Theater mit jeweils anderen Eindrücken und Erlebnissen verlassen: mit den eigenen. Sie unterscheiden sich von den Erfah-rungen, die die Nachbar*innen gemacht haben. Im Theater spielen meistens Schauspieler*innen. Manchmal sind es auch Puppenspieler*innen mit ihren Puppen und Objekten oder auch Tänzer*innen, Musiker*innen und Sänger*innen. Aber alle ver-schiedenen Theaterformen haben eins gemeinsam: Sie finden alle im Jetzt, im Augenblick, live statt und immer in Interaktion mit dem Publikum. Ohne Publikum findet kein Theater statt. Besonders Kinder verstehen das Theater als Kommunikationsort und nehmen an dieser Kommunika tion teil. Sie sprechen mit, werfen Reaktionen spontan, laut und sofort ein, machen Kommentare, lachen oder erschrecken sich, sie setzen sich zu dem, was sie sehen, in Beziehung. Die meisten Reaktionen der jungen Zuschauer*innen sind keine bewusste Störung. Über viele dieser Re-aktionen freuen wir uns, sie müssen durch Sie nicht unterbunden werden. Manche Reaktionen aber of-fenbaren, dass die Zuschauer*innen nicht realisieren, dass die Schauspieler*innen live für ihr Publikum spielen. Dann können sie auch beleidigend werden. Hier benötigen wir Ihre Unterstützung, denn für die Schauspieler*innen ist es schwer, aus ihrer Rolle herauszutreten und die Aufführung zu unterbrechen.

    Wir möchten Ihnen für den Theaterbesuch mit Ihrer Klasse noch einige Hinweise mit auf den Weg geben, damit die Vorstellung für alle Beteiligten auf der Bühne und im Saal zu einem einmaligen und schönen Theatererlebnis wird:

    1. Wir bitten Sie, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass alle in Ruhe Jacke und Tasche an der Gar-derobe abgeben können. Unsere Garderobe wird während der Dauer der Vorstellung beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.

    2. In unseren Programmzetteln lässt sich nachlesen, wie lange ein Stück dauert und ob es eine Pause gibt. Wenn möglich bitten wir darum, Toiletten-gänge während der Vorstellung zu vermeiden.

    3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen, zu trinken, Musik zu hören und das Handy zu benutzen, außer das Publikum wird explizit dazu aufgefordert. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.

    4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung ist eine Anerkennung der Arbeit der Schauspieler*innen und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wir bitten Sie, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen.

    Unsere Mitarbeiter*innen vom Einlassdienst stehen den Zuschauer*innen als organisatorische Ansprech-partner*innen am Tag der Vorstellung zur Verfügung.Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin oder Theater-pädagogin.

    Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

    Ihr THEATER AN DER PARKAUE

  • 2 4

    I M P R E S S U MSpielzeit 2017/2018

    THEATER AN DER PARKAUEJunges Staatstheater BerlinParkaue 2910367 BerlinTel. 030 – 55 77 52 -0www.parkaue.de

    Intendant: Kay Wuschek

    Redaktion: Karola Marsch, Saskia Scheffel

    Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor

    Fotos: Christian BrachwitzTitelfoto mit Kinga Schmidt, Johannes Hendrik Langer und Elisabeth Heckel

    Abschlussfoto mit Elisabeth Heckel und Johannes Schäfer

    Kontakt Theaterpädagogik: Nils Deventer

    030 – 55 77 52 [email protected]