Becker 2014 01 29 Vortrag Gießen ländlicher Raum ... · Rechtsextreme Einstellungen kein...

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Dr. phil. Reiner Becker Landeskoordinator beratungsNetzwerk hessen [email protected] (Kommunal-)politische Strategien für den Umgang mit Rechtsextremismus in Schulen und Kommune Foto: http://www.politische-bildung-brandenburg.de/extrem/index.htm (Datum des Zugriffs: 09.09.2006)

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Dr. phil. Reiner BeckerLandeskoordinator

beratungsNetzwerk [email protected]

(Kommunal-)politische Strategien für den Umgang

mit Rechtsextremismus in Schulen und Kommune

Foto: http://www.politische-bildung-brandenburg.de/extrem/index.htm (Datum des Zugriffs: 09.09.2006)

Überblick

1. Vorurteile – rechtsextreme Ideologie

2. Warum Rechtsextremismus im ländlichen Raum?

3. Ist die Zivilgesellschaft eine Ressource?

4. Gelingensfaktoren für das Engagement im kommunalen Raum

Überblick

Einstellungspotentiale sind nicht mit geschlossenem Weltbild und mit Wahlbereitschaften gleichzusetzen.

Quelle: Heitmeyer 2012

Rechtsextremismus: Randphänomen oder aus der “Mitte der Gesellschaft”?

1. Vorurteile – rechtsextreme Ideologie

Quelle: Heitmeyer 1992; Stöss 2010; Becker 2008

Rechtsextremismus

Einstellung: Ideologie der Ungleichwertigkeit

• Nationalismus/Chauvinismus

• Fremdenfeindlichkeit

• Rassismus/Ethnozentrismus

• Antisemitismus

• Autoritarismus

• Pronazismus

Verhalten: verschiedene Handlungsdimensionen

• Wahlverhalten

• Mitgliedschaft

• Protest, Provokationen

• Partizipation

• Gewalt in eskalierenden Stufen

Vorurteile - Rechtsextreme Ideologie1. Vorurteile – rechtsextreme Ideologie

Quelle: www.npd-hessen.de (Zugriff:17.08.2006); npd-sachsen.de (Zugriff: 27.10.2008); http://www.spiegel.de/fotostrecke/rechter-protest-gegen-fluechtlinge-in-schneeberg-fotostrecke-103378-2.html (Zugriff: 18.11.2013)

Kommunale Basis in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, als Voraussetzung für den Einzug in den Landtag:

„Uwe Leichsenring unterstrich die Wichtigkeit der Arbeit auf kommunaler Ebene, denn wenn die Bürger vor Ort sähen, dass die NPD-Leute in Wirklichkeit so ganz anders sind als die BRD-Medien glauben machen wollen, dann könne man erwiesenermaßen durchaus Wahlergebnisse von 20 bis 40 Prozent erreichen“.

NPD-Kommunalisierungsstrategie

Die „Kümmererpartei ““““ - Umsetzungsformen:• Vermehrte Gründung von Kreisverbänden, JN-Stützpunkten• Mitgliedschaften in Vereinen, Teilnahme an Volksfesten etc. • Serviceleistungen, z.B. Hartz IV Büros• Weitere Phänomene wie z.B. gezielte Kontaktsuche zu

rechten Jugendcliquen (Hafeneger/Becker 2007); Schulhof-CDs

2. Ländlicher Raum

(Facetten von) Rechtsextremismus ohne Rechtsextreme

2. Ländlicher Raum

„Bezugnehmend auf die Titelseite, die die Kriegsflüchtlinge zeigte, möchte ich Folgendes sagen: Ich habe mir Kriegsflüchtlinge anders vorgestellt, rank und schlank und nicht so kugelrund und stramm. Und nun werden sie noch strammer bei uns. Wir haben selbst genug arme Familien und betteln vor Weihnachten für sie, und für andere ist genug Geld da. Wann werden wir alle mal munter, eh es zu spät ist? ““““

(HNA, 15.11.2013, S. 37)

Rechtsextremismus im ländlichen Raum?

1. Rechtsextreme Einstellungen kein Ost-West-, sondern ein Stadt-Land-Problem; Fremdenfeindlichkeit dort höher, wo kaum Migranten leben (Decker/Kiess/Brähler 2012).

2. Stärkere Ausprägung ökonomischer Krisen finden sich im ländlichen Raum wieder u.a. als Folge von Bevölkerungsabwanderungen (Buchstein/Heidrich 2010).

2. Ländlicher Raum

Rechtsextremismus im ländlichen Raum?

3. Annahmen über einen verstärkten sozialen Konformitä tsdruck in kleinen Gemeinden – gleichzeitig: Bedeutungsverlu st des Lokalen und Verlust dörflicher Gemeinschaftsstruktu ren (Buchstein/Heidrich 2010).

4. Politische Kultur: Individuen richten ihr Handeln da nach nach aus, ob das Umfeld diese Handlungen auf Basis getei lter Werte und Überzeugungen, missbilligt oder toleriert (Fishbein/Ajzen 1975).

5. Zivilgesellschaft: Das Engagement der Bevölkerung hän gt davon ab, welche dominante Problemsicht auf Rechtsextremismus unter den zentralen Akteuren der lokalen Öffentlichkeit vorherrschend ist ““““ (Klemm/Strobl/Würtz 2006).

2. Ländlicher Raum

Was ist „Zivilgesellschaft ““““?

Deskriptive Ebene Normative Ebene

• Verbände, Vereine, Initiativen etc.

• Fähigkeit zur Selbstrelativierung und zur Toleranz

• Freiwilliges Engagement im öffentlichen Raum

• Fähigkeit zur Anerkennung des Anderen als gleichwertig

• eigene Kraft jenseits des Staates, der Ökonomie oder der Familie

• Berufung auf demokratische Grundwerte

3. Ressource Zivilgesellschaft?

Quelle: Pollak 2004

Schattenseiten der Zivilgesellschaft (Roth 2004)

• Freiwillige Assoziationen, Vereine, Bewegungen und Verbände sind nicht per se demokratisch , pluralistisch und stehen für Jedermann offen.

• Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus sind in der Mitte der Gesellschaft verbreitet – ohne dass solche Menschen rechtsextremen Organisationen angehören oder rechtsextreme Parteien wählen.

• Eine „zivilgesellschaftliche Gegenwehr“ versagt dann, wenn die örtliche Zivilgesellschaft Teil des Problems ist und Beziehungsgeflechte vor Ort das Engagement verhindern.

• Eine zivilgesellschaftliches Engagement läuft dann ins Leere, wenn lokal bedeutsame Akteure wie Bürgermeister/-innen oder Schulleiter/-innen o.a. örtliche Problemlagen nicht sehen und somit zu „Verhinderern “ statt „Ermöglichern “ werden.

3. Ressource Zivilgesellschaft?

Merkmale (der Beratung) für Schule/Kommune im ländlichen Raum

4. Gelingensfaktoren

• Vorkommnisse in Kommunen/Schulen werden häufig zur Standortfragestilisiert.

• Aktuelle Beratungsfälle in Kommunen beruhen oftmals auf tradierten Vorurteilskulturen und auf zurückliegende Vorkommnisse.

• Die besonderen Beziehungsgeflechte im ländlichen Raum sind eine Herausforderung (Becker/Hafeneger 2012):

owirken sich auf die Rahmung und Deutung von Ereignissen aus;

okönnen den Konformitätsdruck beeinflussen.

• Interventionen an Schulen/in der Jugendarbeit beweg en sich zwischen den Polen „Integration ““““ und Ausgrenzung ““““ (Becker 2010)

Einstellungen zum Engagement gegen Rechtsextremismus im ländlichen Raum

4. Gelingensfaktoren

Studie zu Engagementspotentialen im ländlichen Raum (Zick/Hövermann 2013), ermittelt bei 1.400 Befragten in Regionen mit stabilen rechtsextremen Gruppen

aktive Gegner (n=368)

passiv Besorgte (n=216)

„Vogel Strauß ““““/hilflose Ignoranten

(n=128)

selbstbewusste Beobachter (n=237)

ängstlich Überforderte (n=206)

überzeugte Rechtsaffine (n=202)

71%

Fünf-Stufen-Modell der Zivilcourage (Zick/Küpper/Legge 2007, S.173)

Verantwortungsträger/-innen:

� erzeugen Aufmerksamkeiten

� bieten Interpretationen an

� verdeutlichen Alternativen

� erleichtern Entscheidungen

Engagement und Zivilcourage ermöglichen

4. Gelingensfaktoren

1. Eine nachhaltiges Engagement setzt die Einbindun g der örtlichen Zivilgesellschaft voraus:

• Kritische Bestandsaufnahme: „Täter-Opfer-Zuschauer“• Nüchterne Berücksichtigung von Beziehungsgeflechten

2. Integrierte Strategien sind erfolgsversprechende r als ein Bündel loser Maßnahmen: Facharbeitskreise, Verwaltung, Bürgerbündnisse, Polizei etc. (zur Bündelung von Knowhow, Informationen und Ressourcen)

3. Menschen vor Ort müssen mitgenommen werden: • Deutungsmächtige Akteure gewinnen („Beziehungen“ nutzen)• Bürgerbeteiligung ernst nehmen und Partizipation ermöglichen

4. Ein „Gemeinsam gegen Rechts ““““ in der Region steht und fällt damit, dass a) Verantwortliche die Dinge beim Namen nennen, b) hierfür eine eigene Sprache finden und c) Leitziele formulieren, die ein „für ““““ und nicht nur ein „gegen ““““ zum Ausdruck bringen.

Gelingensfaktoren für Engagement

4. Gelingensfaktoren

Eine kleine Übung...

Foto: http://www.politische-bildung-brandenburg.de/extrem/index.htm (Datum des Zugriffs: 09.09.2006)

Allport, Gordon W: (1951): Treibjagd auf Sündenböcke. Berlin, Bad Nauheim.

Becker, Reiner/Hafeneger, Benno (2012): Rechtsextremismus im ländlichen Raum - im Spannungsfeld politischer Bildung, Beratung und pädagogischer Arbeit mit rechten Jugendlichen. In: Debiel, Stefanie/Engel, Alexandra/Hermann-Stietz, Ina/Litges, Gerhard/Penke, Swantje/Wagner, Leonie (Hrsg.): Soziale Arbeit in ländlichen Räumen. Wiesbaden: Springer VS, S. 147-160.

Becker, Reiner (2010): "Sieg Heil"-Rufe im Klassenraum. Möglichkeiten und Grenzen von Interventionen an Schulen. In: Pädagogik, 62. Jahrgang, Heft 2/2010, S. 26-31.

Becker, Reiner (2008): Ein normales Familienleben. Interaktion und Kommunikation zwischen rechten Jugendlichen und ihren Eltern. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

beratungsNetzwerk hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus (2010): Einblicke in die Praxis. Wiesbaden.

Buchstein, Hubertus/Heinrich, Gudrun (Hrsg.) (2010): Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag.

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (2012): Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Fishbein, Martin/Ajzen, Icek (1975): Belief, attitude, intention and behaviour: an introduction to theory and research. Reading, Mass. u.a.: Addison-Wesley.

Grumke, Thomas/Klärner, Andreas (2006): Rechtsextremismus, die soziale Frage und Globalisierungskritik – Eine vergleichende Studie zu Deutschland und Großbritannien seit 1990. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung Heitmeyer, Wilhelm. (Hrsg.) (2012): Deutsche Zustände. Folge 10. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Hafeneger, Benno/Becker, Reiner (2007): Rechte Jugendcliquen. Zwischen Unauffälligkeit und Provokation. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2012): Deutsche Zustände. Folge 10. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Heitmeyer, Wilhelm (1992): Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Eine Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher. Weinheim, München: Juventa.

Klemm, Jana/Strobl, Rainer/Würtz, Stefanie (2006): Aktivierung einer demokratischen Stadtkultur – Erfahrungen von zwei Kleinstädten im lokalen Umgang mit Rechtsextremismus. In: Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael (Hrsg.): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg: HIS-Verlag, S. 116-140.

Pollack, Detlef (2004): Zivilgesellschaft und Staat in der Demokratie. In: Klein, Ansgar/Kern, K Kristine/Geißel, Brigitte/ Berger, Maria (Hrsg.) (2004): Zivilgesellschaft und Sozialkapital. Herausforderungen politischer und sozialer Integration. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 22-40.

Roth, Roland (2004): Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft. Grenzen einer zivilgesellschaftlichen Fundierung von Demokratie. In: Klein, Ansgar/Kern, Kristine/Geißel, Brigitte/Berger, Maria (Hg.) (2004): Zivilgesellschaft und Sozialkapital. Herausforderungen politischer und sozialer Integration. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 41-64.

Stöss, Richard (2005): Rechtsextremismus im Wandel. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Zick, Andreas/Hövermann, Andreas (2013): Zwischen Widerstand und Befürwortung - zivilcouragierte Einstellungen gegenüber dem lokalen Rechtsextremismus. In: Grau, Andreas/Heitmeyer, Wilhelm: Menschenfeindlichkeit in Städten und Gemeinden. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 93-111.

Literatur