Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

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Universitätsklinikum Ulm Institut für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin Direktor: Prof. Dr. Heiner Fangerau Aus der Klinischen Ökonomik Leiter: Prof. Dr. Franz Porzsolt Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei der Anwendung im klinischen Alltag Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm von Cindy Schubert Filderstadt 2011

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Universitätsklinikum Ulm

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin

Direktor: Prof. Dr. Heiner Fangerau

Aus der Klinischen Ökonomik

Leiter: Prof. Dr. Franz Porzsolt

Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei der

Anwendung im klinischen Alltag

Dissertation

zur

Erlangung des Doktorgrades der Medizin

der Medizinischen Fakultät

der Universität Ulm

von

Cindy Schubert

Filderstadt

2011

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Amtierender Dekan: Prof. Dr. Thomas Wirth

1. Berichterstatter: Prof. Dr. Franz Porzsolt

2. Berichterstatter: Prof. Dr. Manfred Weiß

Tag der Promotion: 15.11.2012

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Für meine Eltern und Frieder

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... VI

1 Einleitung ...................................................................................................................... 1

1.1 Definition und Geschichte der medizinischen Semiotik 3

1.2 Fragestellung der Arbeit 6

2 Methodik ........................................................................................................................ 7

2.1 Theoretische Aspekte der Semiotik 7

2.1.1 Beurteilung von diagnostischen Tests 7

2.1.2 Schwelle von Diagnostik zur Therapie 10

2.2 Identifizierung „vergessener“ Zeichen 13

2.3 Zeichen aus der Literatur 15

2.4 Medizinisches Zeichen von klinischer Relevanz 17

3 Ergebnisse .................................................................................................................... 20

3.1 Foetor hepaticus 20

3.1.1 Semiotische Aussage 20

3.1.2 Wissenschaftliche Fundierung 21

3.2 Geruch von schizophrenen Patienten 27

3.2.1 Semiotische Aussage 27

3.2.2 Wissenschaftliche Fundierung 28

3.3 Meniskusläsionen 33

3.3.1 Semiotische Fragestellung 33

3.3.2 Wissenschaftliche Fundierung 34

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3.3.3 Entwickeltes Studiendesign – die Fix-Flex-Studie 69

4 Diskussion ................................................................................................................... 72

4.1 Bewertung der erhobenen Daten 72

4.1.1 Ergebnisse der Literaturrecherchen 72

4.1.2 Anwendbarkeit der Ergebnisse im klinischen Alltag 74

4.1.3 Hürden bei der Anwendung der medizinischen Semiotik 75

4.2 Bedeutung der Semiotik in der Medizin 79

4.2.1 Semiotik im klinischen Alltag 79

4.2.2 Ökonomische Aspekte der Semiotik 81

4.2.3 Semiotik in der Ausbildung von Medizinstudenten 85

4.3 Schlussfolgerung 86

5 Zusammenfassung ....................................................................................................... 87

6 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 89

Danksagung ....................................................................................................................... 102

Lebenslauf ......................................................................................................................... 103

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Abkürzungsverzeichnis

A+ Arthroskopie positiv

A- Arthroskopie negativ

ACS Akutes Koronarsyndrom

AP Angina Pectoris

CT Computertomographie

DMS Dimethylsulfid

EBMR Evidence Based Medicine Reviews

K+ Krank

K_ Nicht krank (gesund)

KU Klinische Untersuchung

KU+ Klinische Untersuchung positiv

KU- Klinische Untersuchung negativ

l Lateral

LK Lymphknoten

LM Lateraler Meniskus

LR+ Positive Likelihood Ratio

LR- Negative Likelihood Ratio

m Medial

Mio. Millionen

MM Medialer Meniskus

Mrd. Milliarden

MRI Magnetic Resonance Imaging

MRT Magnetresonanztomographie

MRT+ Magnetresonanztomographie positiv

MRT- Magnetresonanztomographie negativ

N Anzahl

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NBA N-Butyl-Alkohol

NPV Negative Predictive Value = Negativer Vorhersagewert

NVL Nationale VersorgungsLeitlinie

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

P Wahrscheinlichkeit

PE Erwartete Übereinstimmungsrate

Po Beobachtete Übereinstimmungsrate

PPV Positive Predictive Value = Positiver Vorhersagewert

PVS Privatärztliche Verrechnungsstelle

T+ Test positiv

T_ Test negativ

TMHA Trans-3-Methyl-2-Hexenoic-Acid

VPI Verbraucherpreisindex

WHO Weltgesundheitsorganisation

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1 Einleitung

Die Medizin (von lateinisch ars medicina, Heilkunst) befasst sich mit der Vorbeugung,

Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen. Sie hat in den letzten

Jahrzehnten durch intensive Forschung und ein besseres Krankheitsverständnis eine

grundlegende Veränderung erfahren. Es wurden zahlreiche neue technische und

laborchemische Verfahren entwickelt und hierdurch die diagnostischen Möglichkeiten

erweitert. Der diagnostische Prozess ist dennoch nicht einfach. Es ist leicht vorstellbar,

dass es eine Reihe von Schritten erfordert, um von dem Symptom des Patienten zur

richtigen Diagnose und zur abschließenden Bewertung der durchgeführten

diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu gelangen. Dieser schrittweise

ablaufende Prozess ist in den verschiedenen medizinischen Fachbereichen seit langem

von grundlegender Bedeutung (Renz-Polster et al. 2006, Uexküll & Wesiack 1996).

Um auch die Konsequenzen und den Nutzen der durchgeführten Maßnahmen bewerten

zu können, ist die Abfolge von sechs konsekutiven Schritten notwendig. Im ersten

Schritt nimmt der Patient bei sich ein Symptom war. Er sucht, wenn er das Problem

selbst nicht lösen kann, einen Arzt auf. Ein Symptom ist definiert als „subjektive

Beschwerde“ (Uexküll & Wesiack 1996, S. 301). „Symptome sind […] Konstrukte des

menschlichen Verstands“ (Uexküll & Wesiack 1996, S. 301). Im zweiten Schritt

registriert der Arzt die geschilderten Symptome und filtert die relevante Information

heraus. Er identifiziert die wichtigen Zeichen und gibt ihnen eine Bedeutung. Peirce

(1839-1914), der Begründer der modernen Semiotik, hat das Zeichen folgendermaßen

definiert: „A sign, or representamen, is something which stands to somebody for

something in some respect or capacity.“ (Peirce 1955, S. 99). Ein Zeichen kann ein

typischer Hautausschlag, inspiratorisches Knisterrasseln bei Auskultation oder ein von

der Norm abweichender Laborwert sein. Als dritter Schritt folgt die Interpretation

dieser Zeichen. Ein typischer Ausschlag kann für eine Maserninfektion sprechen. Die

Sklerosiphonie (inspiratorisches Knisterrasseln) kann auf eine Lungenfibrose hindeuten

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(Herold 2009). Im vierten Schritt muss die klinische Relevanz der Interpretation

geprüft werden. Nicht jedes Zeichen hat zwingend eine klinische Bedeutung. Ein dritter

Herzton tritt bei Jugendlichen meist ohne Krankheitswert auf. Er hat keine klinische

Bedeutung. Bei älteren Patienten kann dieser dritte Herzton dagegen ein Hinweis auf

eine Herzinsuffizienz sein (Bundesärztekammer et al. 2010). Dieses Zeichen ist klinisch

relevant und muss abgeklärt werden. Der fünfte Schritt besteht aus der Ableitung einer

möglichen Konsequenz. Die Entscheidung über Behandlung oder Nichtbehandlung ist

abhängig von der jeweiligen Schwelle der Therapie (Pewsner et al. 2001). Die

Behandlungsschwelle ist definiert als der Punkt, an dem von der Diagnostik auf die

Therapie übergegangen wird. Der Beginn einer Therapie ist abhängig von dem Nutzen

der Behandlung und anderen wichtigen Komponenten, „wie Häufigkeit und

Schweregrad von Nebenwirkungen, Behandlungsalternativen oder benötigte[n]

Ressourcen“ (Kunz 2003, S. 59). Beispielsweise ist die Verschreibung von

Protonenpumpeninhibitoren bei einer gastroösophagealen Refluxkrankheit mit weitaus

weniger Risiken verbunden als die Entscheidung für eine Operation (Stier & Heidecke

2008). Für eine hocheffektive und nebenwirkungsarme Behandlung wird sich generell

eine niedrige Behandlungsschwelle ergeben. Eine wenig effektive und

nebenwirkungsreiche Behandlung weist eine hohe Behandlungsschwelle auf. Als

sechster Schritt muss abschließend stets der Nutzen der durchgeführten diagnostischen

und therapeutischen Maßnahmen bewertet werden. Das „Vier-Säulen-Modell“ nach

Porzsolt (Porzsolt 2010) beinhaltet eine Bewertung dieser Maßnahmen auf der Basis

von vier Kriterien: der generellen Wirkung, der Kosten, der Wirksamkeit aus Sicht des

Arztes und des Werts aus Sicht des Patienten. Dabei ist die Beurteilung der Diagnostik

häufig sehr viel schwieriger als die der Therapie. Ein positives Ergebnis in der

Diagnostik bedeutet noch bei weitem keine Besserung des Patienten. Bei der Therapie

dagegen wird meist schnell klar, ob sie wirkt oder nicht.

Bei kritischer Betrachtung lässt sich leicht erkennen, dass für eine sinnvolle und

vollständige Diagnostik alle sechs Schritte notwendig sind. Bei Nichtbeachtung eines

Schrittes ist der Behandlungserfolg gefährdet.

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Das Ziel dieser Arbeit ist die nähere Beleuchtung des zweiten Schrittes des

diagnostischen Prozesses, dem Erkennen von Zeichen. Dabei werden die Bedeutung,

die aktuelle klinische Relevanz und die Risiken diskutiert, die mit diesem Schritt

assoziiert sind. Vorab wird zum besseren Verständnis ein kurzer Überblick über die

Entwicklung der Semiotik in der Medizin gegeben.

1.1 Definition und Geschichte der medizinischen Semiotik

Die Semiotik ist die „Lehre von den Zeichen“ (Eco 2002, S. 29). Sie beschäftigt sich

mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Zeichensystemen (zum Beispiel Gestik,

Mimik, Sprache, Verkehrszeichen, Kunst und Krankheitszeichen). Die Semiotik leitet

sich von dem griechischen Wort sēmeîon (Zeichen, Kennzeichen) ab (Nessa 1996). Die

Semiotik ist fachgebietsübergreifend. Sie ist unter anderem ein Teilgebiet der

Philosophie, Linguistik, Wissenschaftstheorie und der Kunst-, Musik-, Theater- und

Sozialwissenschaften (Nöth 1990). Die medizinische Semiotik ist eine „disziplin-

gebundene […] Zeichenlehre“ (Eckart 1996, S. 1). Sie befasst sich mit der

Beobachtung, Interpretation und Beurteilung von medizinischen Zeichen am

Krankenbett. Sie hat in der Geschichte der Medizin einen großen Bedeutungswandel

erlebt.

Bereits die hippokratischen Ärzte deuteten auf der Grundlage reichlicher klinischer

Erfahrung körperliche Zeichen hinsichtlich des Wesens der Krankheit und des zu

erwartenden Krankheitsschicksals. Dabei waren „die akribische Einbeziehung der

Krankengeschichte und eine sorgfältige Beobachtung aller wahrnehmbaren

Körperäußerungen“ (Eckart 1996, S. 2) von grundlegender Bedeutung.

Um 1800 erlebte die medizinische Semiotik als eigenes medizinisches Lehrfach eine

Blütezeit (Eckart & Jütte 2007). Die Ziele der Semiotik waren die Bereitstellung einer

anamnestischen, diagnostischen und prognostischen Hilfsmethode durch genaue

Beobachtungen am Krankenbett.

Ab dem Jahr 1850 verschwand der Begriff „Semiotik“ aus den medizinischen

Lehrwerken. Der Begriff „Semiotik“ wurde ersetzt durch die „Diagnostik“. Diese

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- 4 -

enthielt jedoch durchaus noch Elemente der alten Zeichenlehre. Eckart stellte Folgendes

fest: „Im Grunde liefert das neue Wort nicht viel mehr als den begrifflichen Überbau für

eine Vielzahl neuer, alter und bisweilen differenzierterer Elemente der alten

Zeichenlehre. Lediglich die Zeichen sind vielfältiger geworden und spiegeln das tiefere

Eindringen einer erweiterten ärztlichen Diagnostik [wider].“ (Eckart 1996, S. 11).

Es gibt zwei wichtige Wegbereiter der modernen Semiotik. Der Schweizer Linguistik

Professor Ferdinand de Saussure (1857-1913) beschreibt ein Zeichen als eine duale

Entität (Saussure 1986, Nessa 1996). Das Zeichen hat nach Saussure ein Signifikat, das

heißt eine Bedeutungsseite. Durch den Signifikanten wird das Zeichen manifest (Nöth

1990, Hess 1998). Dieser arbiträre Zeichenbegriff spielte vor allem eine Rolle in der

Linguistik bei der Definition von sprachlichen Zeichen.

Nach dem amerikanischen Philosoph und Logiker Charles Sanders Peirce (1839-1914)

ist die Semiotik die Grundlage jeder Kommunikation. Sie ist auch die Voraussetzung

für jede Form der Erkenntnis, denn jedes Denken sei ein Denken in Zeichen. Seine

Theorie begreift das Zeichen nicht als ein statisches Objekt, sondern als eine triadische

Relation (Baum 2003, Nessa 1996) (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Triadisches Zeichenmodell von C. S. Peirce (Nessa 1996, S. 368)

Dieses triadische Zeichenmodell wird von Peirce wie folgt definiert: „A sign, or

representamen, is something which stands to somebody for something in some respect

or capacity. It addresses somebody, that is, creates in the mind of that person an

equivalent sign, or perhaps a more developed sign. That sign which it creates I call the

interpretant of the first sign. The sign stands for something, its object. It stands for that

object, not in all respects, but in reference to a sort of idea, which I have sometimes

called the ground of the representamen.” (Peirce 1955, S. 99).

Peirce drückt damit aus, dass der Interpretant ein weiterentwickeltes Zeichen ist,

Objekt Zeichen

Interpretant

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welches dem primären Zeichen seine Bedeutung verleiht. Sowohl das Zeichen als auch

der Interpretant beziehen sich dabei auf das Objekt. Diese triadische Struktur von Peirce

korrespondiert sehr gut mit der klinischen Situation (Abbildung 2).

Abbildung 2: Klinische Situation korrespondierend zum triadischen Zeichenmodell von C. S.

Peirce (Nessa 1996, S. 368)

Der Patient weist ein Symptom auf. Dieses wird vom Arzt als Diagnose interpretiert.

Beide beziehen sich auf das gleiche Objekt, die Krankheit (Nessa 1996). In der Medizin

ist die Beziehung zwischen den Zeichen einer Krankheit und der Erkrankung selbst von

besonderem Interesse.

Die moderne medizinische Semiotik befasst sich unter anderem mit der Wahrnehmung

der Zeichen des Patienten. Diese können Symptome, Anamnese, Gesten, Geräusche,

körperliche Untersuchung und Testergebnisse beinhalten (Burnum 1993). Die

Anwendung der Semiotik, das heißt die Wahrnehmung von medizinischen Zeichen, ist

ein wichtiger Schritt im diagnostischen Prozess.

Krankheit Symptom

Diagnose

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1.2 Fragestellung der Arbeit

Die medizinische Semiotik stellt einen wichtigen Teilbereich der Medizin dar. Im

schrittweise ablaufenden diagnostischen Prozess sind medizinische Zeichen das

Bindeglied zwischen den Symptomen des Patienten und der richtigen Interpretation und

Diagnosestellung. Unklar ist jedoch häufig, welchen diagnostischen Wert medizinische

Zeichen haben und mit welcher Sicherheit sie in der Praxis eingesetzt werden können.

Aufgrund dieser Unsicherheit werden im klinischen Alltag oftmals zusätzliche

Untersuchungen durchgeführt, um die Diagnose abzusichern. Für eine sinnvolle

Anwendung der Semiotik in der Medizin ist deshalb die Kenntnis der Validität und der

Aussagekraft von medizinischen Zeichen zwingend erforderlich.

In der folgenden Arbeit werden zwei verschiedene Aspekte der Semiotik betrachtet.

• Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst die Validität von drei ausgewählten

medizinischen Zeichen mittels Literaturrecherchen geprüft und Grenzen der

Anwendbarkeit dieser Zeichen aufgezeigt.

• Im zweiten Teil wird die generelle Bedeutung der Semiotik im klinischen Alltag

dargestellt. Dabei wird auf Voraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung

der Semiotik eingegangen und insbesondere Hürden hierzu erörtert.

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2 Methodik

2.1 Theoretische Aspekte der Semiotik

2.1.1 Beurteilung von diagnostischen Tests

Im medizinischen Alltag werden klinische Befunde (Zeichen) erhoben und

diagnostische Tests durchgeführt, um eine Diagnose wahrscheinlicher zu machen oder

zu widerlegen. Die Aussagekraft eines positiven oder negativen Ergebnisses variiert

dabei abhängig von dem jeweils durchgeführten Test. Dieser diagnostische Wert eines

Tests muss bekannt sein, um eine sinnvolle Diagnostik zu ermöglichen. Mittels

statistischer Verfahren können Tests individuell untersucht und ausgewertet werden.

Der zu untersuchende Test wird mit dem Goldstandard, das heißt mit einem in der

klinischen Praxis etabliertem Testverfahren, verglichen. Das Entscheidungsschema

eines diagnostischen Tests ist in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Allgemeines Entscheidungsschema eines diagnostischen Tests. Es gibt zwei richtige

(blau) und zwei falsche Möglichkeiten (rot) der Entscheidung.

Realität (Goldstandard)

Testergebnis krank gesund

positiv (krank) richtig-positiv falsch-positiv

negativ (gesund) falsch-negativ richtig-negativ

Im klinischen Alltag muss bei der Diagnosestellung stets bedacht werden, dass ein Test

negativ ausfallen kann, obwohl die Erkrankung vorliegt (falsch-negativ). Der Test kann

auch positiv sein, obwohl die Erkrankung nicht vorliegt (falsch-positiv). Die

beobachteten Häufigkeiten können wie in Tabelle 2 dargestellt werden.

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Tabelle 2: Beobachtete Häufigkeiten eines diagnostischen Tests. In der Vierfeldertafel werden

die absoluten Häufigkeiten der Ergebnisse eines diagnostischen Tests dargestellt (Test positiv

[T+] und negativ [T-], Krank [K+], Gesund [K-], richtig-positiv (a), richtig-negativ (d), falsch-

positiv (b), falsch-negativ (c), Anzahl (n)).

Realität (Goldstandard)

Test [K+] [K -] gesamt

[T+] a b a+b

[T -] c d c+d

gesamt a+c b+d n = a+b+c+d

Wichtige Gütekriterien für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines diagnostischen

Tests sind Sensitivität und Spezifität. Die Sensitivität (SNout) gibt die

Wahrscheinlichkeit für einen positiven Test unter den tatsächlich Kranken an.

ca

a

+==++

Erkranktender Gesamtzahl

Test positivemmit Erkranktender Zahl )/K(T P

„A highly sensitive test is good for ruling out (SNout) the disease condition” (Nawaz &

Kassi 2009, S. 135). Dies bedeutet, dass ein Test mit hoher Sensitivität eine Erkrankung

mit hoher Sicherheit ausschließen kann. Die Spezifität (SPin) gibt die

Wahrscheinlichkeit für einen negativen Test unter den tatsächlich Gesunden an.

db

d

+==

Gesunden der Gesamtzahl

Test negativemmit Gesunden der Zahl)-/K-P(T

„A highly specific test is good for ruling in (SPin) the disease condition“ (Nawaz &

Kassi 2009, S. 135). Das heißt ein spezifischer Test dient der Bestätigung einer

vermuteten Krankheit. Er sollte angewendet werden, wenn kein Gesunder als erkrankt

fehlklassifiziert werden soll.

Im Gegensatz zur Sensitivität und Spezifität hängen die prädiktiven Werte von der

Prävalenz ab. Als Prävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer bestimmten Krankheit

in einer Gruppe definierter Größe zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der positive

prädiktive W ert (PPV) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der im Falle eines positiven

Tests eine bestimmte Erkrankung tatsächlich vorliegt.

ba

a

+==++

Fällesitiven der testpo Gesamtzahl

Test positivemmit Erkranktender Zahl )/TP(K

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Der positive prädiktive Wert steigt bei zunehmender Prävalenz an. Deshalb sind bei der

Anwendung eines Tests in einem Risikokollektiv höhere positive Vorhersagewerte zu

erreichen als beispielsweise in der Normalbevölkerung. Der negative prädiktive Wert

(NPV) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der im Falle eines negativen Tests eine

bestimmte Erkrankung nicht vorliegt.

dc

d

+==

Fällegativen der testne Gesamtzahl

Test negativemmit Gesunden der Zahl )/TP(K --

Der negative prädiktive Wert sinkt, wenn die Prävalenz steigt.

Die Qualität von diagnostischen Tests kann auch anhand der Likelihood Ratios beurteilt

werden. Die positive Likelihood Ratio (LR+) ist wie folgt definiert:

Spezifität

ätSensitivitLR

−=+

1

Sie beschreibt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis

unter den Kranken zur Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis unter den

Gesunden. Entsprechend ergibt sich für die negative Likelihood Ratio (LR-):

Spezifität

ätSensitivitLR

−=− 1

„Ein Test wird als akzeptabel bewertet, wenn LR+ Werte größer als 3 bzw. LR- Werte

kleiner als 0,3 annimmt. Er wird hingegen als exzellent bewertet, wenn LR+ größer als

10 bzw. LR- kleiner als 0,1 ist.“ (Hilgers et al. 2007, S. 89).

Für die Bewertung eines diagnostischen Tests kann die Richtigkeit (Accuracy) (Po)

intuitiv als Anteil der korrekten Ergebnisse an der Gesamtzahl der Testergebnisse

berechnet werden. Die Summe der richtig positiven und richtig negativen Ergebnisse

wird durch die Gesamtzahl der Testergebnisse geteilt:

n

daPo

+=

Der Anteil der Fälle, die per Zufall übereinstimmen (PE) beträgt:

²

))(())((

n

dbdccabaPE

+++++=

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In der klinischen Praxis werden meist verschiedene, sich ergänzende Testverfahren

angewendet. Ein sensitiver Test wird gewählt, wenn das Übersehen der Erkrankung zu

schweren Nachteilen für den Patienten führt (Faller 2005). Dies trifft für gefährliche,

aber behandelbare Erkrankungen zu. Im Gegensatz dazu dient ein spezifischer Test

häufig zur Bestätigung einer Diagnose. Ein hoch spezifischer Test ist selten positiv,

wenn die Erkrankung nicht vorliegt. Hoch spezifische Tests sind besonders dann

notwendig, wenn ein falsch-positives Ergebnis einen physischen, emotionalen oder

finanziellen Nachteil für den Patienten impliziert (Hilgers et al. 2007).

2.1.2 Schwelle von Diagnostik zur Therapie

„Grundlegend für medizinisches Handeln ist die Auffassung von Gesundheit und

Krankheit“ (Honecker 1995, S. 83). Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist

Gesundheit ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen

Wohlbefindens und nicht bloß das Fehlen von Krankheit und Gebrechen („Health is a

state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absense of

disease or infirmity.“) (Constitution of the World Health Organization 1946, S. 2).

Krankheit wird dagegen oft als Gegenteil von Gesundheit definiert. „Es gibt keinen

rein objektiven, naturwissenschaftlich exakten Krankheitsbegriff. Man kann Krankheit

nämlich als jedes Abweichen von der Norm der Gesundheit bezeichnen, welches das

Wohlbefinden der Menschen stört“ (Honecker 1995, S. 83). Folglich gibt es nicht nur

die zwei Dimensionen krank und gesund, sondern ein weites Kontinuum zwischen

diesen beiden Endpunkten.

Ein diagnostischer Test sollte die Wahrscheinlichkeit für die eine Richtung

(Gesundheit) oder die andere Richtung (Krankheit) erhöhen. Das heißt, dass „die

Anwendung eines Tests nur dann sinnvoll ist, wenn […] eine Chance besteht, dass

dieser Test uns in den Bereich jenseits der «Test-Therapie-Schwelle» (Behandlung)

oder jenseits der «Test-Keine-Therapie-Schwelle» (Nichtbehandlung) bringt“ (Pewsner

et al. 2001, S. 48). Pewsner et al. definieren die „Test-Therapie-Schwelle“ als „die

Krankheitswahrscheinlichkeit, bei der die beiden Optionen «weitere Abklärung» und

«Therapie» gleichwertig sind. Beim Überschreiten dieses Grenzwerts wird die Diagnose

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- 11 -

gestellt und somit eine Behandlung eingeleitet.“ (Pewsner et al. 2001, S. 47).

Für die Diagnostik entsteht dadurch folgendes Problem. Im theoretischen Idealfall

könnte durch ein fixes Entscheidungskriterium klar zwischen Gesundheit und Krankheit

unterschieden werden (Abbildung 3). Dieses Entscheidungskriterium könnte zum

Beispiel in der Labordiagnostik ein definierter Messwert sein. Alle Werte kleiner oder

gleich dem definierten Messwert sprächen für Gesundheit. Größere Werte würden

Krankheit bedeuten.

Abbildung 3: Idealfall der Verteilung Kranker und Gesunder. Anhand eines fixen

Entscheidungskriteriums (z.B. ein definierter Messwert) kann zwischen Gesundheit (hellblau)

und Krankheit (dunkelblau) unterschieden werden.

Die Realität sieht jedoch anders aus. Statistische Normalbereiche diskriminieren häufig

nicht ausreichend zwischen normal und pathologisch (Abbildung 4). Es gibt bei nahezu

jedem Test falsch-negative und falsch-positive Befunde. Dies erhöht die

Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose, wenn blind dem Testergebnis vertraut wird.

Von besonderer Bedeutung ist deshalb die bewusste Auswahl einer geeigneten

diagnostischen Methode unter Berücksichtigung ihrer Aussagekraft.

Wah

rsch

ein

lich

keits

dic

hte

Höhe des Messwerts

En

tsch

eid

ung

skri

teri

um

gesund krank

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Abbildung 4: Realität der Verteilung Kranker und Gesunder. Bei nahezu jedem Test gibt es

falsch-positive und falsch-negative Befunde. Je höher die diagnostische Sensitivität, desto

weniger falsch-negative Befunde. Die Zahl der falsch-positiven Ergebnisse nimmt dann jedoch

zu. Je höher die diagnostische Spezifität gewählt wird, desto geringer sind die falsch-positiven

Ergebnisse. Die Zahl der falsch-negativen Ergebnisse steigt jedoch.

Die Auswahl einer diagnostischen Methode ist abhängig von der jeweiligen Krankheit

und den Konsequenzen, die aus einer Diagnose entstehen. Bei einer schwerwiegenden,

aber heilbaren Krankheit sollte die Sensitivität des diagnostischen Tests erhöht werden.

Dabei sollte eine falsch positive Klassifizierung klinisch, psychologisch und

ökonomisch unschädlich sein. Wenn die Therapie einer Krankheit jedoch sehr belastend

und eine falsch positive Diagnose bedenklich ist, sollte die Spezifität erhöht werden.

Dadurch wird die Anzahl der falsch positiven Diagnosen minimiert (Dörner 2006).

Dennoch kann meist nicht von einem positiven (oder negativen) Testresultat auf

Krankheit (oder Gesundheit) geschlossen werden. Wie Pewsner et al. andeuten, ist

häufig ein Test nicht ausreichend, um die Test-Therapie-Schwelle zu überschreiten.

Vielmehr sind der gezielte Einsatz und die Kombination verschiedener Testverfahren,

die sich hinsichtlich Sensitivität und Spezifität unterscheiden, sinnvoll. Durch die

Minimierung von Fehldiagnosen wird auch eine größtmögliche Sicherheit für den

Patienten erreicht.

Wah

rsch

ein

lich

keits

dic

hte

Höhe des Messwerts

En

tsch

eid

un

gs-

krite

riu

m

gesund krank

falsch-negativ falsch-positiv

Diagnost. Spezifität

Diagnost. Sensitivität

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- 13 -

2.2 Identifizierung „vergessener“ Zeichen

Um die Bedeutung der medizinischen Semiotik im klinischen Alltag mittels Beispielen

darzustellen, wurde ein Aufruf an erfahrene Mediziner gestartet (Abbildung 5). Dieser

Aufruf wurde in der Zeitschrift des PVS-Verbandes im März 2009 veröffentlicht.

Zusätzlich erfolgte eine Kontaktaufnahme durch persönliche Anschreiben und Telefon.

Abbildung 5: Veröffentlichung der Anfrage bei erfahrenen Kollegen in der Zeitschrift des PVS-

Verbandes im März 2009

Anfrage bei vorwiegend älteren Kolleginnen und Kollegen

Sehr verehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

im Rahmen verschiedener Dissertationsarbeiten möchten wir „altes diagnostisches Wissen“

sammeln, das in Lehrbüchern kaum mehr zu finden ist, weil es durch moderne Verfahren

ersetzt wurde. Ein Beispiel wären die Probleme, die zu erwarten sind, wenn Mütter mit großen

Händen und Füßen zu Entbindung kommen. Ob diese angenommenen Zusammenhänge

tatsächlich zutreffen, ist häufig unklar. Wir haben konkrete Hinweise, dass durch die neuen,

deutlich empfindlicheren Nachweismethoden Befunde erhoben werden, die klinisch

unbedeutend sind und letztlich zu einer Überbehandlung der Patienten führen.

Dass wir durch überflüssige diagnostische Maßnahmen vermeidbare finanzielle Belastungen

generieren, ist das geringere Problem. Schwerwiegender sind überflüssige therapeutische

Konsequenzen und unerwünschte Wirkungen, die wir den Patienten zumuten könnten.

Wir halten es deshalb für sinnvoll, das „alte diagnostische Wissen“ zu sammeln, dann nach

publizierter wissenschaftlicher Evidenz zu suchen und falls sich diese nicht finden lässt, bei

ausgewählten Beispielen eigene Daten zur Bestätigung der Annahmen zu erheben.

Wenn Sie uns bei diesem Projekt unterstützen möchten, bitten wir Sie, uns formlos „altes

diagnostisches Wissen“ unter Angabe Ihrer Kontaktmöglichkeiten mitzuteilen […].

Mit freundlichen Grüßen, […]

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Das Ziel war die Identifizierung von alten medizinischen Zeichen, die in Vergessenheit

geraten sind. Die erfahrenen Mediziner wurden nach altem diagnostischem Wissen

gefragt, das in Lehrbüchern kaum mehr zu finden ist, weil es durch moderne Verfahren

ersetzt wurde.

Das Resultat dieses Versuchs, alte, früher bedeutende medizinische Zeichen zu

identifizieren, war ungenügend. Die Anzeige in der Zeitschrift des PVS-Verbandes

blieb unbeantwortet. Von insgesamt 47 gestellten Anfragen an Oberärzte und Chefärzte

verschiedener Kliniken blieb in 32 Fällen eine Antwort aus. 14 Ärzte antworteten,

konnten jedoch bei dieser Fragestellung nicht weiterhelfen. Der einzige Hinweis kam

von einem erfahrenen Internisten. Dieser berichtete über einen charakteristischen

Geruch von Leberkranken, dem so genannten Foetor hepaticus. Der Foetor hepaticus

wurde zur weiteren Untersuchung ausgewählt, da es sich um ein altes medizinisches

Zeichen handelt, welches in der heutigen Medizin an Bedeutung verloren hat. In

aktuellen Lehrbüchern (Renz-Polster et al. 2006, Herold 2009) wird der Lebergeruch

(noch) als Symptom im Stadium III und IV der hepatischen Enzephalopathie aufgeführt.

Um die klinische Relevanz dieses medizinischen Zeichens zu klären, wurde

anschließend mittels Literaturrecherche nach wissenschaftlicher Evidenz gesucht.

Folgende Datenbanken wurden ausgewählt:

• Medline

• OldMedline

• Embase

• Evidence Based Medicine Reviews (EBMR)

Die Schlagworte, nach welchen gesucht wurde, waren:

1. liver disease

2. hepatic disease

3. fetor hepaticus

4. alveolar air

5. GC-MS

6. halitosis

7. breath odor

8. dimethylsulfide

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- 15 -

9. mercaptans

10. liver cirrhosis

11. hepatic encephalopathy

12. hepatic coma

13. diagnosis smell

14. liver smell diagnosis

15. odor liver disease

16. olfactory diagnosis

17. diagnostics

Diese Schlagworte wurden zusätzlich durch die „And“-Funktion kombiniert (1+3, 1+4,

1+5, 1+6, 1+7, 1+17, 2+3, 2+7, 2+8, 2+9, 2+13, 3+4, 3+5, 3+8, 3+9, 3+13, 4+10, 4+13,

5+8, 5+9, 7+8, 7+9, 7+10, 10+13, 12+13).

Dabei wurden 15 Publikationen zur Thematik des Foetor hepaticus gefunden (Butt &

Mason 1954, Challenger & Walshe 1955 a/b, Söderström 1956, Chen & Mahadevan et

al. 1970, Chen & Zieve et al. 1970, Kaji et al. 1978, Kaji et al. 1979, Müting & Sommer

1979, Müting et al. 1983, Tangerman et al. 1994 a/b, Shimamoto et al. 2000, Sehnert et

al. 2002, Van den Velde et al. 2008). Die Aussagekraft dieser Publikationen wurde

überprüft und die Validität des Foetor hepaticus herausgearbeitet. Die hierfür benötigte

Methodik wurde in Kapitel 2.1.1 detailliert erläutert. Aufgrund der eindeutigen

Ergebnisse wurde auf eine eigene Datenerhebung verzichtet.

2.3 Zeichen aus der Literatur

Aufgrund der mangelhaften Ergebnisse bei der Anfrage bei erfahrenen Medizinern

wurde ein zweites medizinisches Zeichen mittels Literaturrecherche herausgearbeitet.

Während der Recherche über den Foetor hepaticus wurden weitere Artikel zu

Krankheiten mit charakteristischem Geruch entdeckt (Clark 1917, Pope 1928, Engel

1953, Cone 1968, Liddell & White 1975, Liddell 1976, Lukas et al. 1977, Hayden 1980,

Lockman 1981, Smith et al. 1982, Durham et al. 1993, Pavlou & Turner 2000, Whittle

et al. 2007).

Page 23: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 16 -

Liddell und Hayden betonten die enorme Bedeutung des Riechens im diagnostischen

Prozess:

• „The odour emitted by the patient may be one of the first major clues leading to

an early diagnosis“ (Liddell 1976, S. 136),

• „Characteristic patient odors accompany many diseases and intoxications, and

their recognition can provide diagnostic clues, guide the laboratory evaluation,

and affect the choice of immediate therapy“ (Hayden 1980, S. 110).

Sowohl Liddell (1976) als auch Hayden (1980) erwähnten in ihren Publikationen einen

bei schizophrenen Patienten auftretenden charakteristischen Geruch. Dies stellte

sich bei Kontaktaufnahme mit erfahrenen Psychiatern als klinisch irrelevant heraus.

Kein Arzt hatte weder von diesem Phänomen gehört noch den Geruch selbst

wahrgenommen. Diese interessante Konstellation eines in der Literatur erwähnten

Zeichens, das klinisch jedoch weitgehend unbekannt ist, sollte genauer untersucht

werden. Es wurde erneut eine Literaturrecherche durchgeführt, um nach weiteren

Informationen und nach wissenschaftlicher Evidenz für dieses Zeichen zu suchen.

Folgende Datenbanken wurden ausgewählt:

• Medline

• OldMedline

• Embase

• PsycINFO

• Evidence Based Medicine Reviews (EBMR)

Die Schlagworte, nach welchen gesucht wurde, waren:

1. schizophrenia

2. odour

3. sweat

4. smell

5. diagnostics

6. diagnosis

7. psychosis

8. metabolism

Page 24: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 17 -

9. body odour

10. trans-3-methyl-2-hexenoic acid

Diese Schlagworte wurden durch die „And“-Funktion untereinander kombiniert (1+2,

1+3, 1+4, 1+5, 1+6, 1+7, 1+8, 1+9, 1+10, 1+4+5, 2+5, 2+6, 3+4, 3+10, 4+5, 4+9, 5+10,

6+7, 8+10, 9+10).

Dabei konnten 13 Publikationen herausgefiltert werden (Clark 1917, Hoagland 1958,

Altschule 1959, Smith & Sines 1960, Smith et al. 1969, Perry et al. 1970, Smith &

Leong 1972, Gordon et al. 1973, Moberg et al. 1999, Brewer et al. 2003, Malaspina &

Coleman 2003, Di Natale et al. 2005, Brewer et al. 2007). Diese wurden anschließend

auf ihre Aussagekraft und ihre klinische Bedeutung untersucht (Methodik siehe Kapitel

2.1.1). Da die Ergebnisse sehr eindeutig waren, wurde auf eine eigene Datenerhebung

verzichtet.

2.4 Medizinisches Zeichen von klinischer Relevanz

Als drittes medizinisches Zeichen sollte ein aktuelles, klinisch relevantes Zeichen

ausgewählt werden. Durch den Kontakt mit Ärzten aus der unfallchirurgischen

Universitätsklinik wurde das Augenmerk auf die Knieuntersuchung gerichtet. Die

Unfallchirurgen bestätigten die Probleme bei der Beurteilung der klinischen

Untersuchung von Meniskusläsionen. Bisher sei nicht geklärt, ob und wann ein MRT

(Magnetresonanztomographie) zusätzlich zur klinischen Untersuchung benötigt wird.

Um die aktuelle Datenlage zu erfassen, wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Die

Recherche wurde sehr breit angelegt, um Informationen sowohl zur klinischen

Untersuchung als auch zum MRT zu erhalten.

Dafür wurden folgende Datenbanken ausgewählt:

• Medline

• Embase

• Evidence Based Medicine Reviews (EBMR)

Gesucht wurde nach folgenden Schlagwörtern:

1. meniscus

Page 25: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 18 -

2. tear

3. knee

4. knee joint

5. meniscal tear

6. diagnostics

7. knee injuries

8. clinical diagnosis

9. clinical examination

10. physical examination

11. clinical symptoms

12. MRI (magnetic resonance imaging)

13. diagnostic imaging

14. diagnostic value

15. arthroscopy

16. value of clinical examination

17. diagnostic errors

Diese wurden anschließend durch die „And“-Funktion kombiniert, um gezielte

Ergebnisse zu erhalten (1+2, 1+2+3, 1+6, 1+2+7, 1+2+8, 1+9, 1+2+11, 1+2+12,

1+2+16, 4+9, 4+15, 4+16, 5+6, 5+9, 5+11, 5+12, 5+13, 5+12+14, 5+15, 5+16, 9+12,

9+12+15, 9+17, 12+14). Zudem wurde bei interessanten Artikeln nach ähnlichen

Studien („Find Similar“) und nach weiteren Artikeln des betreffenden Autors gesucht.

Aus 1021 Studien wurde anhand des Titels eine Auswahl aus 81 Publikationen

getroffen. Nach Betrachtung und Bewertung dieser 81 Abstrakts wurden 35

Publikationen selektiert (Fowler & Lubliner 1989, Boden et al. 1990, Boeree &

Ackroyd 1991, Boeve et al. 1991, Fischer et al. 1991, Spiers et al. 1993, Biedert 1993,

De Smet et al. 1994, Terry et al. 1995, Gelb et al. 1996, Miller 1996, Rose & Gold

1996, O'Shea et al. 1996, Muellner et al. 1997, Weinstabl et al. 1997, Munk et al. 1998,

Elvenes et al. 2000, Bryan et al. 2001, Kocher et al. 2001, Solomon et al. 2001, Brooks

& Morgan 2002, Shepard et al. 2002, Kocabey et al. 2004, Esmaili Jah et al. 2005,

Karachalios et al. 2005, Makdissi et al. 2006, Frobell et al. 2007, Hegedus et al. 2007,

Mohan & Gosal 2007, Ryzewicz et al. 2007, Yelland 2007, Amendola 2008, De Smet &

Page 26: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 19 -

Mukherjee 2008, Nikolaou et al. 2008, Schurz et al. 2008).

Anschließend wurden die einzelnen Artikel bearbeitet und ihre Aussagekraft überprüft.

Mit der Methodik aus Kapitel 2.1.1 wurden die Validität der klinischen Untersuchung

und die Validität des MRT untersucht. Trotz der großen Studienanzahl blieben einige

klinisch relevante Fragen unbeantwortet. Deshalb wurde in Zusammenarbeit mit

Kollegen aus der Unfallchirurgie ein neues Studiendesign für die Durchführung einer

klinischen Studie entwickelt. Durch dieses Design können die klinisch relevanten

Fragen beantwortet werden. Die Studie wurde in dieser Arbeit nicht mehr durchgeführt,

da sie den Rahmen gesprengt hätte. Sie ist jedoch in Planung.

Page 27: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 20 -

3 Ergebnisse

3.1 Foetor hepaticus

3.1.1 Semiotische Aussage

Als Foetor hepaticus bezeichnet man den typischen Geruch der Atemluft von Patienten,

bei welchen eine schwere Lebererkrankung oder ein Leberversagen vorliegt. Dieser

Lebergeruch wird in der Literatur wie folgt beschrieben:

• „sharp and pungent“ (Butt & Mason 1954, S. 831),

• „resembled the odor from a small bit of decaying liver tissue“ (Chen, Zieve et al.

1970, S. 628),

• „a mixture of rotten eggs and garlic“ (McGee 2007, S. 78),

• „a sweet, musty or slightly fecal aroma of the breath” (Van den Velde et al.

2008, S. 344).

Der Foetor hepaticus war früher ein bekanntes Phänomen. Er war ein medizinisches

Zeichen für fortgeschrittene Lebererkrankungen. Im Laufe der Jahre wurde dieses

Zeichen weitgehend von der modernen Diagnostik verdrängt. In den Köpfen junger

Mediziner sucht man den Lebergeruch heute teilweise vergeblich.

Auf Grund dieser Entwicklung soll die vorhandene Literatur nach wissenschaftlicher

Evidenz untersucht werden. Die wichtigsten Studien werden näher beleuchtet. Auf

dieser Basis wird anschließend die aktuelle Bedeutung des Foetor hepaticus diskutiert.

Page 28: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 21 -

3.1.2 Wissenschaftliche Fundierung

3.1.2.1 Ergebnisse der Literaturrecherche

Eine der frühesten Untersuchungen zum Lebergeruch stammt aus dem Jahr 1954 von

Butt und Mason („Fetor Hepaticus: Its Clinical Significance and Attempts at Chemical

Isolation“). In die Studie von Butt und Mason wurden 111 leberkranke Patienten mit

Ikterus und 56 Kontrollen eingeschlossen. Der Ikterus wurde eingeteilt in obstruktiv

und nicht-obstruktiv. Ihr Ziel war es, eine Beziehung zwischen dem Lebergeruch und

Lebererkrankungen herzustellen. Um eine Auswertung zu ermöglichen, wurden alle drei

Gruppen (Patienten mit obstruktivem Ikterus, Patienten mit nicht-obstruktivem Ikterus

und die Gesamtzahl an Patienten mit Ikterus) jeweils mit der Kontrollgruppe verglichen.

Abbildung 6 zeigt die ausgewerteten Ergebnisse.

Obstruktiver Ikterus (59 Patienten) Nicht-obstruktiver Ikterus (52 Patienten)

� Inzidenz des Lebergeruchs: 34% � Inzidenz des Lebergeruchs: 69% Sensitivität = 0,34 Sensitivität = 0,69 Spezifität = 1,00 Spezifität = 1,00 Gesamt (167 Patienten)

� Inzidenz des Lebergeruchs: 50% Sensitivität = 0,50 Spezifität = 1,00

Abbildung 6: Ergebnisse von Butt & Mason (1954) zur Untersuchung des Foetor hepaticus

dargestellt in Vierfeldertafeln. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt getrennt für den

obstruktiven Ikterus (links oben) und den nicht-obstruktiven Ikterus (rechts oben). Die

Zusammenfassung aller Ergebnisse wird links unten gezeigt. Zudem wurden Inzidenz,

Sensitivität und Spezifität des Lebergeruchs berechnet.

krank gesund gesamt Riechen + 36 0 36 Riechen - 16 56 72 gesamt 52 56 108

krank gesund gesamt Riechen + 20 0 20 Riechen - 39 56 95 gesamt 59 56 115

krank gesund gesamt Riechen + 56 0 56 Riechen - 55 56 111 gesamt 111 56 167

Page 29: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 22 -

Der Foetor hepaticus wurde bei nicht-obstruktivem Ikterus häufiger beobachtet als bei

obstruktivem Ikterus. Für den Lebergeruch ergaben sich eine Sensitivität von 0,50 und

eine Spezifität von 1,00. Bei vielen Patienten konnte trotz Lebererkrankung kein

typischer Geruch detektiert werden. Es gab jedoch keine falsch positiven Tests. Das

heißt, Patienten mit Foetor hepaticus hatten in jedem Fall eine Erkrankung der Leber.

Der Geruch trat am häufigsten in der Patientengruppe mit den größten parenchymalen

Schäden auf. Das Verschwinden des Geruchs ging mit einer Besserung des

Patientenzustands einher.

Beurteilung: In der Auswertung ergibt sich für den Foetor hepaticus eine sehr gute

Spezifität bei mangelhafter Sensitivität. Die Aussagekraft der Studie ist jedoch, wie die

Autoren selbst einräumten, durch den Studienaufbau stark begrenzt. Beispielsweise gab

es in der nicht verblindeten Studie nur einen Beobachter, der den subjektiven

Geruchstest durchführte.

1970 untersuchten Chen, Zieve & Mahadevan die Inhaltsstoffe des Foetor hepaticus

(„Mercaptans and Dimethyl Sulfide in the Breath of Patients with Cirrhosis of the

Liver”) . Es wurde eine direkte Korrelation zwischen der Intensität des Atemgeruchs

von leberkranken Patienten, dem Grad der klinischen Symptomatik und der

Konzentration von Dimethylsulfid (DMS) im Atem festgestellt. Mercaptane spielten für

den Lebergeruch keine Rolle. Eine weitere Arbeit von Chen, Mahadevan & Zieve

stammt ebenfalls aus dem Jahr 1970: „Volatile Fatty Acids in the Breath of Patients

with Cirrhosis of the Liver“. Beim Vergleich des Atems von Patienten mit

Leberzirrhose und Gesunden konnte ein signifikanter Unterschied der flüchtigen

Fettsäuren nachgewiesen werden. Dies war zurückzuführen auf den portosystemischen

Shunt bei schweren Lebererkrankungen. Ein Zusammenhang zwischen Lebergeruch

und flüchtigen Fettsäuren konnte jedoch nicht entdeckt werden.

Beurteilung: Chen et al. machten keine Angaben über die Häufigkeit und das

Vorkommen des Foetor hepaticus. Der Geruchstest kann hier nicht beurteilt werden.

Müting und Sommer publizierten 1979 ihre Arbeit über „Auslösende Faktoren und

klinisches Bild des Leberkomas bei 152 Leberzirrhosepatienten“. Bei 102 Patienten war

das Leberkoma exogen bedingt. Hier wiesen 25% den typischen Lebergeruch auf. Bei

Page 30: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 23 -

50 Patienten handelte es sich um eine Kombination aus exogenem und endogenem

Leberkoma. 50% dieser Patienten zeigten den Foetor hepaticus. 1983 wurde eine

weitere Arbeit von Müting et al. („Ursachen, Diagnostikkriterien des Coma hepaticum

– Eine Analyse von 560 Fällen“) veröffentlicht. Ein wichtiger Aspekt war, dass der

Foetor hepaticus erst im Stadium III und IV des Leberkomas auftrat. Frühe Hinweise

auf eine schwere Lebererkrankung sind laut Müting et al. Veränderungen von

Schriftproben und Konzentrationsvermögen.

Beurteilung: In diese Studien von Müting et al. wurden nur Patienten mit bereits

fortgeschrittener Lebererkrankung aufgenommen. Deshalb erreichte die Inzidenz des

Lebergeruchs Werte von 25-50% je nach Genese des Leberkomas. Die Autoren

betonten selbst, dass der Lebergeruch ein Spätzeichen des Leberkomas wäre und damit

keinerlei diagnostische Relevanz hätte. Nur durch eine Früherkennung im Stadium I

oder II des Leberkomas könnte die Prognose dagegen noch verbessert werden.

In der Publikation „Cause and Composition of Foetor Hepaticus“ (1994) von

Tangerman et al. wurde die Bedeutung von Dimethylsulfid (DMS) in der Genese des

Lebergeruchs betont. DMS war die einzige Substanz, die in allen Atemproben von

Patienten mit typischem Geruch vorhanden war. Die Konzentration von DMS war bei

Leberkranken signifikant höher als bei Gesunden („The concentration of DMS in

cirrhotics (range 0.1-14.1 nmol/l) was greater (p<0.05, Wilcoxon) than that of controls

(range 0.13-0.65).“ (Tangerman et al. 1994, S. 483)). Der Lebergeruch war jedoch erst

ab einer DMS-Konzentration von mindestens 1 nmol/l für die menschliche Nase sicher

zu entdecken. Die DMS-Konzentration in der Atemluft korrelierte signifikant mit der

Präsenz eines chirurgischen Shunts bei Zirrhose.

Beurteilung: In dieser Arbeit wurde kein standardisierter Geruchstest durchgeführt.

Damit ist keine Aussage zur Validität des Lebergeruchs möglich. Dennoch lassen sich

zwei wichtige Erkenntnisse gewinnen. Die dem Foetor hepaticus zugrunde liegende

Substanz ist laut Tangerman et al. Dimethylsulfid. Von DMS wird eine bestimmte

Schwellenkonzentration benötigt, damit der Geruch von der menschlichen Nase

wahrgenommen werden kann.

Shimamoto et al. publizierten 2000 ihren Artikel „Breath and Blood Ammonia in Liver

Page 31: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 24 -

Cirrhosis“. Von großer Bedeutung bei der hepatischen Enzephalopathie war

Ammoniak. Sowohl im Blut als auch im Atem waren die Werte erhöht. Ein Bezug von

Ammoniak zum Foetor hepaticus konnte jedoch nicht hergestellt werden.

Beurteilung: Da nur 20 Patienten und zehn gesunde Kontrollen in die Studie

eingeschlossen wurden, ist die Aussagekraft begrenzt. Durch diese Studie können keine

neuen Erkenntnisse über den Lebergeruch gewonnen werden.

Abschließend wird eine aktuelle Publikation zum Foetor hepaticus untersucht. Van den

Velde et al. veröffentlichten 2008 ihre Arbeit über die „GC-MS Analysis of Breath

Odor Compounds in Liver Patients“. Sie analysierten die Inhaltsstoffe des

Lebergeruchs und diskutierten seine Bedeutung für die Praxis. Die Grundlage für die

Durchführung ihrer Untersuchung stellte Folgendes dar: „Liver diseases are one of the

prominent extra-oral causes of bad breath. Even in a stage of cirrhosis, the disease can

be asymptomatic for many years. [...] Breath analysis might be helpful to detect occult

liver pathology” (Van den Velde et al. 2008, S. 344). Mittels der GC-MS Analyse

wurde die Alveolarluft von 52 Leberkranken und 50 Gesunden untersucht. Dabei

konnte im Atem von Patienten mit Lebererkrankungen signifikant erhöhte Werte für

Dimethylsulfid, Azeton, 2-Butanon und 2-Pentanon nachgewiesen werden. Die Werte

für Indol und Dimethylselenid waren signifikant verringert. Das heißt, die Alveolarluft

von Patienten mit Foetor hepaticus unterschied sich in mehreren Bereichen von der

Alveolarluft Gesunder. Zudem war der süße Geruch der Ketone sehr viel schwerer zu

erkennen als der schweflige Geruch von Dimethylsulfid („This means that dimethyl

sulfide is much more odorous, explaining why it is probably the most relevant for the

characteristic fetor hepaticus“) (Van den Velde et al. 2008, S. 347).

Beurteilung: In dieser Studie wurde kein klinischer Geruchstest durchgeführt, sondern

eine Analyse der Alveolarluft mit einer modernen technischen Methode (GC-MS). Van

den Velde et al. betonten die Wichtigkeit der Kenntnis des Foetor hepaticus, um diesen

von gewöhnlichem Mundgeruch differenzieren zu können. Eine wichtige Folgerung

war, dass durch moderne Analyseverfahren (GC-MS) ein so genanntes ‚altes Zeichen’

eine neue Bedeutung erlangt und eventuell in der Zukunft sogar an Bedeutung gewinnt

(„Breath analysis by GC-MS makes it possible to discriminate patients with breath

malodor related to hepatic pathologies.“) (Van den Velde et al. 2008, S. 247).

Page 32: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 25 -

3.1.2.2 Validität des Foetor hepaticus

„Die Validität oder Gültigkeit eines Tests gibt den Grad der Genauigkeit an, mit dem

dieser Test dasjenige Persönlichkeitsmerkmal oder diejenige Verhaltensweise, das (die)

er messen oder vorhersagen soll, tatsächlich misst oder vorhersagt“ (Lienert & Raatz

1998, S. 10).

Leider ist anhand der vorgestellten Studien keine systematische Auswertung möglich.

Die Validität des Foetor hepaticus lässt sich nur durch die Studie von Butt und Mason

aus dem Jahr 1954 annähernd beurteilen. Die weitere Literatur ging nicht auf den

klinischen Geruchstest ein, sondern vielmehr auf die Isolierung der zugrunde liegenden

Substanz. Butt und Mason erzielten bei ihrem Geruchstest eine Sensitivität von 50%.

Da zu viele Erkrankte übersehen werden, ist der Geruchstest zum Ausschluss von

Lebererkrankungen ungeeignet. Die Spezifität dagegen lag bei 100%. Dies bedeutet,

dass kein Gesunder als erkrankt fehlklassifiziert wird. Alle Personen mit Lebergeruch

leiden auch an einer Lebererkrankung. Diese Ergebnisse müssen jedoch mit Vorsicht

betrachtet werden, da das Studiendesign mangelhaft war. Auf Grund der Subjektivität

des Geruchstests muss möglichst standardisiert vorgegangen werden. Dabei ist die

Durchführung des Tests von verschiedenen, unabhängigen und verblindeten

Untersuchern von großer Bedeutung. Bei nur einem Untersucher ist die Anfälligkeit für

Fehler zu groß. Zusätzlich muss beachtet werden, dass der Lebergeruch erst im

Spätstadium von Lebererkrankungen auftritt (Müting et al. 1983). Dies hat bedeutende

Auswirkungen für die Anwendung im klinischen Alltag.

Erwartungshaltung von Ergebnissen einer eigenen Studie

Die Validität des Foetor hepaticus kann durch die vorhandene Literatur nicht

ausreichend beurteilt werden. Die bisherige Datenlage ist lückenhaft. Es kann jedoch

mit hoher Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass weitere Studien überflüssig wären.

Der Lebergeruch wird bei Gesunden nicht nachweisbar sein. Das heißt, die Spezifität

bleibt hoch. Zudem wird der Foetor hepaticus erneut nur bei einem Teil der

Leberkranken auftreten, da er erst in späteren Stadien bei größerer parenchymaler

Beteiligung manifest wird (Butt & Mason 1954). Dementsprechend bleibt die

Sensitivität gering.

Page 33: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 26 -

Da eine weitere Untersuchung vermutlich ohne klinische Bedeutung und Konsequenzen

bleiben würde, ist sie nicht sinnvoll.

3.1.2.3 Hürden zwischen Theorie und Praxis

Die Theorie zu Beginn war, dass ein einfacher Geruchstest auf eine Lebererkrankung

und deren Schwere hinweisen kann. Dieser Test wäre kostengünstig, ubiquitär

vorhanden und schnell durchführbar. Im Laufe der weiteren Untersuchung wurde

jedoch schnell klar, dass dies in der Praxis nicht realisierbar ist.

Die erste Hürde stellte die Frage nach der Validität des Foetor hepaticus dar. Es wurde

keine Studie gefunden, in welcher der Geruchstest zuverlässig und aussagekräftig

durchgeführt wurde. Zur groben Orientierung dient nur die Studie von Butt und Mason

(1954). Die genaue Validität des Lebergeruchs bleibt allerdings unklar.

Die zweite Hürde ist die Subjektivität der Geruchsempfindung. Für den Einsatz als

diagnostischen Test in der klinischen Praxis müsste ein standardisiertes Verfahren

entwickelt werden. Nur so könnte eine möglichst hohe Objektivität gewährleistet

werden. Dies gestaltet sich insbesondere bei Geruchsempfindungen sehr schwierig.

Die dritte Hürde ist die klinisch Bedeutendste. Es konnte gezeigt werden, dass der

Foetor hepaticus erst im Spätstadium von Lebererkrankungen auftritt (Müting et al.

1983). Die meisten Lebererkrankungen werden bereits lange vor diesem Zeitpunkt

durch moderne Methoden diagnostiziert. Der Lebergeruch ist somit klinisch nicht mehr

relevant.

Demzufolge ist der Foetor hepaticus ein Beispiel für ein veraltetes medizinisches

Zeichen. Es wurde im Laufe der Zeit durch moderne Untersuchungsmethoden ersetzt.

Diese Entwicklung ist angemessen angesichts der Tatsache, dass so Lebererkrankungen

in früheren Stadien erkannt und therapiert werden können.

3.1.2.4 Bedeutung für den klinischen Alltag

„The medical profession at the present time pays little attention to the lost art of

diagnostic smelling and does not attempt to use the olfactory organs as it should. In this

Page 34: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 27 -

day of laboratory diagnosis, a good many of the older bedside helps have been

sidetracked and among them the use of smelling as an assistant to diagnosis” (Pope

1928, S. 651). Wie C. Pope schon im Jahr 1928 bemerkte, wird bei der körperlichen

Untersuchung des Patienten dessen Geruch immer mehr vernachlässigt. Liddell (1976)

und Hayden (1980) betonten die Vielfalt von Erkrankungen, die durch einen

charakteristischen Geruch imponieren. Dies bedeutet nicht, dass durch das aufmerksame

Riechen auf die moderne Diagnostik verzichtet werden kann. Vielmehr sollten die

Sinneswahrnehmungen aufmerksam genutzt werden, um unerkannte asymptomatische

Erkrankungen zu entdecken.

Hier liegt auch die Bedeutung des Foetor hepaticus für den klinischen Alltag. In

seltenen Fällen ist das Wissen um den Foetor hepaticus von Vorteil, da fortgeschrittene

Lebererkrankungen auch viele Jahre asymptomatisch verlaufen können. Wenn diese

Patienten eines Tages einen Arzt aufsuchen, sollte dieser in der Lage sein, den Foetor

hepaticus von gewöhnlichem Mundgeruch abzugrenzen. In der Diagnostik von

Lebererkrankungen ist der Lebergeruch als medizinisches Zeichen weit überholt.

Die dem Foetor hepaticus zugrunde liegende Substanz konnte in der Mehrheit der

Studien als Dimethylsulfid (DMS) identifiziert werden. Mögliche klinische

Konsequenzen wurden bei Van den Velde et al. (2008) diskutiert. Nicht invasive Tests

durch Atemanalyse per GC-MS könnten die Sensitivität des „veralteten Riechtests“

deutlich erhöhen und einen klinischen Einsatz sinnvoll machen. Ob die veränderte

Atemzusammensetzung von leberkranken Patienten in der Zukunft eine Bedeutung

haben wird, ist abzuwarten.

3.2 Geruch von schizophrenen Patienten

3.2.1 Semiotische Aussage

Die semiotische Aussage ist, dass einige schizophrene Patienten unter einem

charakteristischen unangenehmen, beißenden und schweren Geruch leiden würden

Page 35: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 28 -

(Hayden 1980). Dieser Geruch soll im Schweiß auf der Haut vorkommen. „It appears

that the strange, unpleasant odor permeating the back wards of state hospitals can be

found on the skin of certain schizophrenic patients“ (Smith & Sines 1960, S. 188).

Es stellt sich die Frage, ob dieser Geruch im Schweiß von schizophrenen Patienten

tatsächlich existiert. Abhängig vom Grad der Ausprägung und der Reproduzierbarkeit

könnte dieser Geruch als medizinisches Zeichen für die Diagnosestellung hilfreich sein.

3.2.2 Wissenschaftliche Fundierung

3.2.2.1 Ergebnisse der Literaturrecherche

Smith und Sines publizierten im Jahr 1960 ihren Artikel „Demonstration of a Peculiar

Odor in the Sweat of Schizophrenic Patients“. Damit waren sie eine der Ersten, die sich

näher mit dem Geruch von schizophrenen Patienten befassten. Schon zuvor war dieser

charakteristische Geruch wahrgenommen worden. Hammond (1877), Hutton (1878)

und Clark (1917) brachten diesen Geruch bereits in Zusammenhang mit schizophrenen

Patienten (Smith & Sines 1960).

Das Ziel der Untersuchung von Smith und Sines war Folgendes: „This study was

designed to determine whether this strangely odorous schizophrenic sweat is different

from ordinary odorous sweat“ (Smith & Sines 1960, S. 184). Sie zeigten, dass

Menschen und trainierte Ratten den Schweiß von normalen und schizophrenen

Patienten unterscheiden konnten. Der Unterschied war signifikant. Für dieses

Experiment wurden 14 schizophrene Patienten mit folgenden Kriterien selektiert:

• Intensiver, charakteristischer Geruch (schwer, unangenehm, beißend);

• Dauer der Krankheit über 20 Jahre mit Manifestation vom 18. bis zum 30.

Lebensjahr;

• Negative Serologie und einen dauerhaften Wohnsitz für mindestens 10 Jahre in

einer Heilanstalt.

Die Kontrollgruppe aus 14 nicht-schizophrenen Patienten wurde bezüglich Hautfarbe,

Geschlecht, Alter, Bildung und Ernährung angeglichen.

Page 36: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 29 -

Beurteilung: Durch die strenge Patientenauswahl ist keine Repräsentativität für die

Gesamtheit der Schizophrenen gegeben. Die Anzahl der schizophrenen Patienten, aus

welchen die Versuchspersonen selektiert wurden, ist unbekannt. Zudem wurden nur

schwer kranke Patienten mit starkem Geruch ausgewählt. Smith und Sines ging es in

dieser Untersuchung darum, überhaupt einen Unterschied im Schweiß der zwei

verschiedenen Patientengruppen nachzuweisen. Dies sollte die Basis für die

Erforschung einer eventuell zugrunde liegenden metabolischen Störung darstellen. Es

wurde jedoch keine Aussage über die Häufigkeit und die Stärke des Geruchs getroffen.

Hierfür ist auch die Fallzahl zu gering. Letztendlich bleibt die Validität unklar.

Smith, Thompson und Koster stellten weitere Nachforschungen über die zugrunde

liegende Geruchssubstanz an. Sie veröffentlichten 1969 den Artikel „Sweat in

Schizophrenic Patients: Identification of the Odorous Substance”. Sie identifizierten die

geruchsverursachende Substanz im Schweiß von Schizophrenen als Trans-3-Methyl-2-

Hexensäure (TMHA) („Because the odorous substance is acidic, and because the only

detectable difference in composition between samples from schizophrenic patients and

controls is the presence of trans-3-methyl-2-hexenoic acid, this acid is presumed to be

responsible for the peculiar odor in the “sweat” of schizophrenic patients.” (Smith et al.

1969, S. 399)) (Abbildung 7). Eine Aussage über die Häufigkeit und die Validität des

Geruchs ist hier ebenfalls nicht möglich.

Abbildung 7: Trans-3-Methyl-2-Hexensäure (TMHA) (Smith 1971, S. 119). Smith et al.

(1969) identifizierten die geruchsverursachende Substanz im Schweiß von schizophrenen

Patienten als TMHA.

Perry et al. erzielten in der Studie „Failure to Detect Trans-3-Methyl-2-Hexenoic-Acid

in the Sweat of Schizophrenic Patients“ ein gegenteiligen Ergebnis (1970). Sie konnten

Page 37: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 30 -

bei schizophrenen Patienten mit charakteristischem Geruch keine Trans-3-Methyl-2-

Hexensäure nachweisen. Für die positiven Ergebnisse anderer Studien machten sie

Artefakte verantwortlich.

Die Veröffentlichung „Studies of Trans-3-Methyl-2-Hexenoic Acid in Normal and

Schizophrenic Humans” stammt von Gordon et al. (1973). Sie analysierten die

Schweißproben mit Hilfe einer sensitiven und spezifischen Gas-Flüssigkeits-

Chromatographie-Massenspektrometrie. Diese Analyse ergab vergleichbare Mengen an

TMHA in den Schweißproben von schizophrenen Patienten und der Kontrollgruppe.

Das Verhalten von intravenös appliziertem 14C-TMHA war bei beiden Gruppen ähnlich.

Daraus folgerten Gordon et al.: „there is no apparent correlation between TMHA and

schizophrenia“ (Gordon et al. 1973, S. 495). Eine möglicher Erklärungsansatz für den

charakteristischen Geruch von Schizophrenen könnte laut Gordon et al. der pH-Wert

der Haut sein: „The pKa of TMHA was measured and found to be about 5.0. If certain

schizophrenics have skin pH below this value, the TMHA in those individuals would be

a volatile fatty acid that might be smelled.“ (Gordon et al. 1973, S. 503).

Auch Di Natale beschäftigte sich mit dem Thema der Schizophrenie. In seiner Arbeit

„Identification of Schizophrenic Patients by Examination of Body Odor Using Gas

Chromatography-Mass Spectrometry and a Cross-Selective Gas Sensor Array” (2005)

versuchte Corrado Di Natale Veränderungen im Schweiß von schizophrenen Patienten

nachzuweisen. Er untersuchte neun schizophrene Patienten, neun Patienten mit anderen

psychiatrischen Erkrankungen und neun gesunde Kontrollen. Di Natale konnte eine

Veränderung im Schweiß von Schizophrenen nachweisen: „GC-MS analysis showed a

richer composition for the sweat of schizophrenic patients“ (Di Natale 2005, S. 366). Er

zeigte, dass die Veränderungen im Schweiß von Schizophrenen komplex sind. Diese

Veränderungen konnten nicht auf einzelne Komponenten reduziert werden. Die

Differenzierung von spezifischen Substanzen mittels GC-MS war erfolglos.

In einer Studie von Brewer et al. ging es um den Geruch von Schizophrenen und deren

Geruchssensitivität. Der Artikel „Olfactory Sensitivity through the Course of Psychosis:

Relationships to Olfactory Identification, Symptomatology and the Schizophrenia

Page 38: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 31 -

Odour” wurde im Jahr 2006 veröffentlicht. Brewer et al. untersuchten die

Geruchssensitivität von chronisch schizophrenen Patienten. Diese wurde mit der

Geruchssensitivität von Patienten mit Psychose erster Episode und einer gesunden

Kontrollgruppe verglichen. Dabei wurde die Riechschwelle für verschiedene

Pheromone, N-Butyl-Alkohol (NBA) und für Trans-3-Methyl-2-Hexensäure (TMHA)

bestimmt. Die chronisch schizophrenen Patienten zeigten eine signifikant reduzierte

Sensitivität für TMHA. Bei der Riechschwelle für NBA und den Pheromonen konnten

keine relevanten Unterschiede festgestellt werden. Des Weiteren wurde zwischen der

reduzierten Sensitivität für TMHA von Schizophrenen und einem höheren Ausmaß an

Desorganisation und psychomotorischen Defiziten ein signifikanter Zusammenhang

beobachtet. Brewer et al. diskutierten verschiedene mögliche Zusammenhänge:

olfaktorische Gewöhnungseffekte (Habituation), Stoffwechseldefekte und genetische

Prädisposition. Es bedarf weiterer Studien, um diesen Vermutungen nachzugehen. Eine

mögliche klinische Bedeutung sahen die Autoren in der Bestimmung der Riechschwelle

für TMHA. Eine verminderte Geruchssensitivität für TMHA könnte im

Prodromalstadium und bei einer Psychose erster Episode für eine schlechtere Prognose

sprechen: „This suggests that measures of olfactory sensitivity and identification ability

may be useful early probes of the fronto-limbic circuitry that is implicated in

schizophrenia, particularly in patients at ultra-high-risk for psychosis“ (Brewer et al.

2006, S. 103).

3.2.2.2 Validität des Geruchs von schizophrenen Patienten

Die Validität des Geruchs von schizophrenen Patienten bleibt weiter unklar. In der

Literatur gibt es nur wenige Untersuchungen zu dieser Thematik, die zudem keine

Aussagen zu Häufigkeit, Vorkommen, Sensitivität und Spezifität des Geruchs machen.

Das Ziel der durchgeführten Studien war vielmehr, überhaupt einen Unterschied

zwischen dem Schweißgeruch von Schizophrenen und Gesunden nachzuweisen. Ebenso

von Bedeutung war die Erforschung der Inhaltsstoffe des charakteristischen Geruchs.

Die Ergebnisse der verschiedenen Studien sind jedoch widersprüchlich. Es bleibt

fraglich, ob dieser Geruch tatsächlich existiert. Man kann vermuten, dass dieser

charakteristische Geruch nur in seltenen Fällen und bei schwer erkrankten Patienten

Page 39: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 32 -

auftritt oder Folge eines Hygienemangels ist. Folglich spielt dieser Geruch für die

Diagnostik keine Rolle.

3.2.2.3 Hürden zwischen Theorie und Praxis

Zusätzlich zur Literaturrecherche wurden erfahrene Psychiater kontaktiert. Die

Reaktionen auf einen charakteristischen Geruch von schizophrenen Patienten waren

übereinstimmend. Die Spezialisten hielten diesen Geruch für sehr unwahrscheinlich und

absurd. Keiner dieser klinisch tätigen Ärzte hatte je den Geruch vernommen. Somit ist

die Existenz des Geruchs von Schizophrenen sehr zweifelhaft.

Dies zeigt deutlich, dass alte oder neue Theorien immer kritisch begutachtet werden

sollten. Es muss genau geprüft werden, welche theoretischen Vorstellungen auf die

Praxis übertragen werden können und welche nicht.

3.2.2.4 Bedeutung für den klinischen Alltag

Der Geruch von schizophrenen Patienten besitzt keine aktuelle klinische Relevanz. In

der Literatur finden sich keine eindeutigen Belege, die für diesen Geruch sprechen.

Deshalb stellt sich die (gerechtfertigte) Frage, ob dieser angeblich charakteristische

Geruch von schizophrenen Patienten tatsächlich existiert.

Es gibt dennoch drei weiterführende Überlegungen zur Bedeutung dieses Geruchs in der

Medizin. Die erste Bedeutung liegt in der Ursachenforschung der Schizophrenie. Ein

Unterschied in der Zusammensetzung des Schweißes von Schizophrenen könnte für

eine Veränderung von Stoffwechselprozessen sprechen (Di Natale 2005). Die

Ergebnisse der vorhandenen Studien sind hier jedoch widersprüchlich.

Die zweite Überlegung ist von diagnostischer Natur. Brewer et al. veröffentlichten 2006

eine Untersuchung über die Riechschwelle von Patienten mit Schizophrenie. Dabei

wurde eine signifikant reduzierte Geruchssensitivität für TMHA festgestellt. Ob und in

welchem Maße dieser Test eine diagnostische oder prognostische Bedeutung hätte,

müsste in weiteren Studien untersucht werden.

Die dritte Überlegung bezieht sich auf den direkten Nachweis von charakteristischen

Page 40: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 33 -

Substanzen im Schweiß von schizophrenen Patienten durch neue, moderne und

sensitive Methoden. Dadurch könnten sehr viel geringere Konzentrationen von

bestimmten Substanzen detektiert werden, die mit der menschlichen Nase nicht

wahrgenommen werden können.

Der Geruch von schizophrenen Patienten ist ein typisches Beispiel für ein klinisch

unbedeutendes Zeichen. Es ist wahrscheinlich, dass alle weiteren Versuche den

Schweiß von Schizophrenen zu analysieren, erfolglos verlaufen werden. Es ist

anzunehmen, dass dieses Zeichen in der Medizin keine weitere Bedeutung haben wird.

Ganz auszuschließen ist eine zukünftige Bedeutung, im Sinne von Ursachenforschung

oder Entwicklung neuer diagnostischer Tests, aber nicht. Sicher ist, dass der Geruch an

sich nicht als medizinisches Zeichen für die Diagnosestellung eingesetzt werden kann.

3.3 Meniskusläsionen

3.3.1 Semiotische Fragestellung

Die Diagnosestellung bei Knieverletzungen ist komplex. Insbesondere bei der

Diagnostik von Meniskusläsionen ist Folgendes häufig unklar:

• Ist eine klinische Untersuchung des Knies zur Indikationsstellung einer

Arthroskopie ausreichend?

• Sollte vor einer Arthroskopie routinemäßig ein MRT durchgeführt werden?

Diese Thematik wird intensiv diskutiert. In der Literatur gibt es zahlreiche Studien zum

Vergleich der klinischen Untersuchung mit dem MRT. Diese Studien werden auf ihren

Aussagewert geprüft. Dabei wird insbesondere die Validität des medizinischen

Zeichens, das heißt der sorgfältigen klinischen Untersuchung, herausgearbeitet.

Anschließend erfolgt der Vergleich mit der Validität des MRT, einer relativ neuen

bildgebenden Methode.

Weitere Fragen, die beantwortet werden sollen, sind die Folgenden:

• Können durch das MRT Vorteile gegenüber einer sorgfältigen klinischen

Untersuchung erzielt werden?

Page 41: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 34 -

• Entstehen durch das MRT Konsequenzen für die Therapie und das Outcome des

Patienten?

3.3.2 Wissenschaftliche Fundierung

3.3.2.1 Ergebnisse der Literaturrecherche

Aus über 1000 Veröffentlichungen konnten 81 potentiell relevante Studien selektiert

werden. Nach Analyse der Abstrakts wurden 46 Studien aufgrund geringer Relevanz

ausgeschlossen (Abbildung 8). Die 35 relevanten Studien wurden untersucht und

bewertet. Um eine quantitative Auswertung zu ermöglichen, wurden hierfür klare Ein-

und Ausschlusskriterien festgelegt.

Einschlusskriterien:

• Englisch- oder deutschsprachige Artikel

• Vollständige Daten zum MRT oder zur klinischen Untersuchung

• Vollständige Datenerhebung getrennt für medialen und lateralen Meniskus

Ausschlusskriterien:

• Große Fehler im Studiendesign

• Review

• Meta-Analyse

Daraufhin konnten 15 Studien in die Auswertung eingeschlossen werden (Tabelle 4). 20

Studien wurden ausgeschlossen (Tabelle 3).

Page 42: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 35 -

Abbildung 8: Flussdiagramm der Literaturrecherche. Das Ziel war die Identifizierung von

Literatur zum Vergleich der klinischen Untersuchung mit der Magnetresonanztomographie bei

der Diagnostik von Meniskusläsionen.

Relevante Studien

N = 35

Eingeschlossene Studien

N = 15

Ausgeschlossene Studien

(Tabelle 3)

N = 20

Ein- und Aus- schlusskriterien

Literaturrecherche

Potentiell relevante Studien

N = 81

Analyse des Abstrakts

Ausgeschlossene Studien

(Fragestellung irrelevant)

N = 46

Literaturrecherche

Identifizierte Studien

N = 1021

Titel

Ausgeschlossene Studien

(Titel irrelevant)

N = 940

Page 43: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 36 -

Tabelle 3: Ausgeschlossene Studien. Aufgrund der festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien

mussten 20 Studien von der Auswertung der Diagnostik von Meniskusläsionen ausgeschlossen

werden.

Studien Ausschlusskriterien

Fowler & Lubliner (1989)

Unvollständige Daten, keine getrennte Betrachtung medialer

und lateraler Meniskus

Boden et al. (1990)

Unvollständige Daten, keine getrennte Betrachtung medialer

und lateraler Meniskus

Boeree & Ackroyd (1991) Fehler im Studiendesign, falscher Goldstandard

Boeve et al. (1991) Review

Biedert (1993)

Zielsetzung nicht relevant, unvollständige Daten, keine

getrennte Betrachtung medialer und lateraler Meniskus

Spiers et al. (1993) Unvollständige Daten

De Smet et al. (1994) Unvollständige Daten, andere Zielsetzung

Bryan et al. (2001) Unvollständige Daten

Kocher et al. (2001) Unvollständige Daten

Solomon et al. (2001) Review

Brooks & Morgan (2002) Unvollständige Daten

Shepard et al. (2002) Unvollständige Daten, andere Zielsetzung

Karachalios et al. (2005) Unvollständige Daten

Makdissi et al. (2006) Fallreihe

Frobell et al. (2007) Unvollständige Daten

Hegedus et al. (2007) Review

Ryzewicz et al. (2007) Review

Yelland (2007) Kommentar zu Ryzewicz (Review)

Amendola (2008) Kommentar zu Ryzewicz (Review)

De Smet & Mukherjee (2008) Nur lateraler Meniskus, unvollständige Daten

Tabelle 4: Eingeschlossene Studien. 15 Studien wurden in die Auswertung der Diagnostik von

Meniskusläsionen eingeschlossen.

Eingeschlossene Studien

Autor Jahr Titel

Fischer et al.

1991

Accuracy of Diagnoses from Magnetic Resonance Imaging of the

Knee. A Multi-Center Analysis of One Thousand and Fourteen

Patients.

Page 44: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 37 -

Terry et al. 1995 Reliability of the Clinical Assessment in Predicting the Cause of

Internal Derangements of the Knee.

Gelb et al. 1996 Magnetic Resonance Imaging of Knee Disorders. Clinical Value and

Cost-Effectiveness in a Sports Medicine Practice.

Miller 1996 A Prospective Study Comparing the Accuracy of the Clinical

Diagnosis of Meniscus Tear with Magnetic Resonance Imaging and

its Effect on Clinical Outcome.

O'Shea et al. 1996 The Diagnostic Accuracy of History, Physical Examination, and

Radiographs in the Evaluation of Traumatic Knee Disorders.

Rose & Gold 1996 A Comparison of Accuracy between Clinical Examination and

Magnetic Resonance Imaging in the Diagnosis of Meniscal and

Anterior Cruciate Ligament Tears.

Muellner et al. 1997 The Diagnosis of Meniscal Tears in Athletes. A Comparison of

Clinical and Magnetic Resonance Imaging Investigations.

Weinstabl et al. 1997 Economic Considerations for the Diagnosis and Therapy of Meniscal

Lesions: Can Magnetic Resonance Imaging Help Reduce the

Expense?

Munk et al. 1998 Clinical Magnetic Resonance Imaging and Arthroscopic Findings in

Knees: a Comparative Prospective Study of Meniscus, Anterior

Cruciate Ligament and Cartilage Lesions.

Elvenes et al. 2000 Magnetic Resonance Imaging as a Screening Procedure to Avoid

Arthroscopy for Meniscal Tears.

Kocabey et al. 2004 The Value of Clinical Examination versus Magnetic Resonance

Imaging in the Diagnosis of Meniscal Tears and Anterior Cruciate

Ligament Rupture.

Esmaili Jah et al. 2005 Accuracy of MRI in Comparison with Clinical and Arthroscopic

Findings in Ligamentous and Meniscal Injuries of the Knee.

Mohan & Gosal 2007 Reliability of Clinical Diagnosis in Meniscal Tears.

Nikolaou et al. 2008 MRI Efficacy in Diagnosing Internal Lesions of the Knee: a

Retrospective Analysis.

Schurz et al. 2008 The Value of Clinical Examination and MRI versus Intraoperative

Findings in the Diagnosis of Meniscal Tears.

Page 45: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 38 -

Eingeschlossene Studien

Fischer et al. publizierten 1991 eine multizentrische Studie über die Accuracy des MRT

(„Accuracy of Diagnoses from Magnetic Resonance Imaging of the Knee. A Multi-

Center Analysis of One Thousand and Fourteen Patients”) . Bei 1014 Patienten wurde

sowohl ein MRT als auch eine Arthroskopie durchgeführt. Voroperierte Menisken

wurden von der Auswertung ausgeschlossen (103 mediale Menisken, 43 laterale

Menisken). Die Ergebnisse sind in Tabelle 5a-c dargestellt.

Tabelle 5a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Fischer et al. (1991). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 440 71 511

MRT- 33 367 400

gesamt 473 438 911 Tabelle 5b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des lateralen

Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Fischer et al. (1991). MRT positiv (MRT+)

und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 142 46 188

MRT- 66 717 783

gesamt 208 763 971 Tabelle 5c: Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) bei Fischer et al. (1991).

Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert

(PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

MRT Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 93% 84% 5,74 0,08 86% 92% 89%

Lateraler Meniskus 68% 94% 11,32 0,34 76% 92% 89%

Auffällig waren die Unterschiede zwischen medialem und lateralem Meniskus (Tabelle

5c). Die Accuracy variierte abhängig vom Zentrum von 64% bis 95% für den medialen

Page 46: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 39 -

und von 83% bis 94% für den lateralen Meniskus.

Terry et al. veröffentlichten 1995 eine Studie über die „Reliability of the Clinical

Assessment in Predicting the Cause of Internal Derangements of the Knee”. 206

Patienten (216 Knie) wurden klinisch untersucht. Nach einem Vergleich der Ergebnisse

(Tabelle 6a-c) mit der Literatur (zu Arthrographie, CT und MRT) kamen Terry et al. zu

folgendem Ergebnis: „Because the reliability of the clinical assessment in this series

compares favorably with arthrography, CT, and MRI, it may be unnecessary to

routinely use these costly special studies to determine the need for arthroscopic surgical

intervention” (Terry et al. 1995, S. 575).

Tabelle 6a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen Meniskus

(MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Terry et al. (1995). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 132 23 155

KU- 1 60 61

gesamt 133 83 216 Tabelle 6b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Terry et al. (1995). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 21 15 36

KU- 3 177 180

gesamt 24 192 216 Tabelle 6c: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) bei Terry et al. (1995). Positive

Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV),

negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 99% 72% 3,58 0,01 85% 98% 89%

Lateraler Meniskus 88% 92% 11,2 0,13 58% 98% 92%

Page 47: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 40 -

Gelb et al. publizierten 1996 eine prospektive Studie über das MRT in der Sportmedizin

(„Magnetic Resonance Imaging of Knee Disorders. Clinical Value and Cost-

Effectiveness in a Sports Medicine Practice”). Bei 72 Patienten wurde geprüft, ob die

MRT Ergebnisse die Diagnose oder Behandlung von Knieverletzungen beeinflussten.

Bei den 37 arthroskopierten Patienten wurde die klinische Untersuchung mit dem MRT

verglichen (Tabelle 7a-e).

Tabelle 7a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen Meniskus

(MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Gelb et al. (1996). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 15 3 18

KU- 7 12 19

gesamt 22 15 37 Tabelle 7b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Gelb et al. (1996). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 3 0 3

KU- 5 29 34

gesamt 8 29 37 Tabelle 7c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Gelb et al. (1996). MRT positiv

(MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 15 5 20

MRT- 6 11 17

gesamt 21 16 37

Page 48: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 41 -

Tabelle 7d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des lateralen

Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Gelb et al. (1996). MRT positiv (MRT+)

und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 3 2 5

MRT- 5 27 32

gesamt 8 29 37 Tabelle 7e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanztomographie

(MRT) bei Gelb et al. (1996). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio

(LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 68% 80% 3,41 0,4 83% 63% 73%

Lateraler Meniskus 38% 100% # 0,63 100% 85% 86%

MRT

Medialer Meniskus 71% 69% 2,29 0,42 75% 65% 70%

Lateraler Meniskus 38% 93% 5,44 0,67 60% 84% 81%

Es ergab sich bei der klinischen Untersuchung eine Accuracy von 73% für den medialen

und 86% für den lateralen Meniskus. Das MRT erreichte eine Accuracy von 70% für

den medialen und 81% für den lateralen Meniskus. Gelb et al. folgerten, dass das MRT

bei der Beurteilung von Knieverletzungen zu häufig beansprucht wird. Verglichen mit

einem erfahrenen Untersucher sei es keine kosteneffektive Methode um unnötige

Arthroskopien zu vermeiden.

Miller veröffentlichte 1996 eine prospektive Studie zum Vergleich der klinischen

Untersuchung mit dem MRT („A Prospective Study Comparing the Accuracy of the

Clinical Diagnosis of Meniscus Tear with Magnetic Resonance Imaging and its Effect

on Clinical Outcome”). 57 Patienten wurden selektiert. Bei allen Patienten wurden eine

körperliche Untersuchung, ein MRT und eine Arthroskopie durchgeführt. Die Accuracy

der klinischen Diagnose (durch Anamnese, klinische Untersuchung, Röntgenbild) lag

bei 81%. Die Accuracy des MRT war für den medialen und lateralen Meniskus jeweils

81% (Tabelle 8a-d). Miller schlussfolgerte, dass ein routinemäßig durchgeführtes MRT

bei der präoperativen Diagnostik von Meniskusläsionen nicht sinnvoll ist („Relying

Page 49: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 42 -

blindly on MRI to determine surgical intervention would have resulted in inappropriate

treatment in 35.1% of the knees.“ (Miller 1996, S. 406). Miller betonte, dass sich ein

erfahrener Chirurg auf seine klinischen Fähigkeiten verlassen sollte. Nur bei schweren

und komplexen Fällen sollte ein MRT hinzugezogen werden.

Tabelle 8a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen und

lateralen Meniskus (M/LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Miller (1996). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

M/LM A+ A- gesamt

KU+ 46 11 57

KU- 0 0 0

gesamt 46 11 57 Tabelle 8b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Miller (1996). MRT positiv

(MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 29 2 31

MRT- 9 17 26

gesamt 38 19 57 Tabelle 8c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des lateralen

Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Miller (1996). MRT positiv (MRT+) und

negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 6 2 8

MRT- 9 40 49

gesamt 15 42 57

Page 50: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 43 -

Tabelle 8d: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanztomographie

(MRT) bei Miller (1996). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-),

positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV), medialer Meniskus (MM),

lateraler Meniskus (LM).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

MM und LM 100% 0% 1 # 81% # 81%

MRT

Medialer Meniskus 76% 90% 7,25 0,27 94% 65% 81%

Lateraler Meniskus 40% 95% 8,4 0,63 75% 82% 81%

O'Shea et al. publizierten 1996 eine Studie über „The Diagnostic Accuracy of History,

Physical Examination, and Radiographs in the Evaluation of Traumatic Knee

Disorders”. In die prospektive Studie wurden 156 Patienten eingeschlossen. Basierend

auf Anamnese, klinischer Untersuchung und Röntgenbild wurde bei allen Patienten eine

primäre Diagnose gestellt. Ein MRT wurde nicht durchgeführt. Die primäre Diagnose

bestätigte sich in 83% der Fälle beim Vergleich mit der Arthroskopie (Goldstandard).

Die Ergebnisse der klinischen Untersuchung sind in Tabelle 9a-c dargestellt. O'Shea et

al. folgerten: „The use of magnetic resonance imaging as a routine diagnostic aid in the

clinical examination of the knee is unnecessary. Arthroscopic surgery of the knee

should be based on the patient`s history, physical examination, and radiographs.”

(O'Shea et al. 1996, S. 164).

Tabelle 9a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen Meniskus

(MM) verglichen mit der Arthroskopie bei O'Shea et al. (1996). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 60 20 80

KU- 8 68 76

gesamt 68 88 156

Page 51: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 44 -

Tabelle 9b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei O'Shea et al. (1996). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 25 11 36

KU- 24 96 120

gesamt 49 107 156 Tabelle 9c: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) bei O'Shea et al. (1996). Positive

Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV),

negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 88% 77% 3,88 0,15 75% 89% 82%

Lateraler Meniskus 51% 90% 4,98 0,55 69% 80% 78%

Als nächstes wird die Studie „A Comparison of Accuracy between Clinical Examination

and Magnetic Resonance Imaging in the Diagnosis of Meniscal and Anterior Cruciate

Ligament Tears” von Rose und Gold (1996) betrachtet. Die prospektive und

retrospektive Studie umfasste 154 Patienten. Bei 100 Patienten wurde sowohl eine

klinische Untersuchung als auch ein MRT durchgeführt (Tabelle 10a-e).

Tabelle 10a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Rose & Gold (1996). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 63 15 78

KU- 3 19 22

gesamt 66 34 100

Page 52: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 45 -

Tabelle 10b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Rose & Gold (1996). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 26 3 29

KU- 21 50 71

gesamt 47 53 100 Tabelle 10c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Rose & Gold (1996). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 48 7 55

MRT- 18 27 45

gesamt 66 34 100 Tabelle 10d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Rose & Gold (1996). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 16 0 16

MRT- 31 53 84

gesamt 47 53 100 Tabelle 10e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Rose & Gold (1996). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 96% 56% 2,16 0,08 81% 86% 82%

Lateraler Meniskus 55% 94% 9,77 0,47 90% 70% 76%

MRT

Medialer Meniskus 73% 79% 3,53 0,34 87% 60% 75%

Lateraler Meniskus 34% 100% # 0,66 100% 63% 69%

Im Vergleich der Accuracy von MRT (75% MM, 69% LM) und klinischer

Untersuchung (82% MM, 76% LM) konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt

Page 53: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 46 -

werden. Die Schlussfolgerung von Rose und Gold lautete: „Based on these findings, we

feel that MRI, except in certain circumstances, is an expensive and unnecessary

diagnostic test in patients with suspected meniscal and ACL pathology” (Rose & Gold

1996, S. 398). Die klinische Untersuchung wurde jedoch von nur einer Person, dem

Senior Autor, durchgeführt. Dadurch ist einerseits eine homogene Untersuchung und

Beobachtungsgleichheit gewährleistet. Problematisch ist andererseits, dass die

Ergebnisse weniger realitätsnah und sehr von der persönlichen Erfahrung geprägt sind.

Die nächste prospektive Studie stammt von Muellner et al. (1997): „The Diagnosis of

Meniscal Tears in Athletes. A Comparison of Clinical and Magnetic Resonance

Imaging Investigations”. 93 verletzte Athleten wurden in die Studie eingeschlossen. 57

Patienten wurden direkt nach der klinischen Untersuchung arthroskopiert. Bei 36

Patienten wurde zusätzlich ein MRT durchgeführt. Die Frage war, ob das MRT die

Accuracy der klinischen Untersuchung verbessern kann. In der klinischen Untersuchung

und im MRT wurde die korrekte Diagnose bei jeweils 89% der Athleten gestellt

(Tabelle 11a-e).

Tabelle 11a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Muellner et al. (1997). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 40 4 44

KU- 0 13 13

gesamt 40 17 57 Tabelle 11b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Muellner et al. (1997). Klinische Untersuchung

positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 12 1 13

KU- 1 43 44

gesamt 13 44 57

Page 54: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 47 -

Tabelle 11c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Muellner et al. (1997). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 28 2 30

MRT- 1 5 6

gesamt 29 7 36 Tabelle 11d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Muellner et al. (1997). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 5 0 5

MRT- 0 31 31

gesamt 5 31 36 Tabelle 11e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Muellner et al. (1997). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 100% 76% 4,25 0 91% 100% 93%

Lateraler Meniskus 92% 98% 40,62 0,08 92% 98% 96%

MRT

Medialer Meniskus 97% 71% 3,38 0,05 93% 83% 92%

Lateraler Meniskus 100% 100% # 0 100% 100% 100%

Muellner et al. folgerten, dass das MRT als Screeningmethode bei alltäglichen

Knieverletzungen nicht sinnvoll ist. Eine gute Anamneseerhebung und sorgfältige

körperliche Untersuchung sei die Basis für die weitere Behandlung. Abschließend

stellten sie fest: „If we do not reestablish belief in the clinical examination of patients, it

will be difficult to save costs in the future“ (Muellner et. al. 1997, S. 12).

Weinstabl et al. führten 1997 ökonomische Überlegungen durch („Economic

Considerations for the Diagnosis and Therapy of Meniscal Lesions: Can Magnetic

Resonance Imaging Help Reduce the Expense?“). In die prospektive Studie wurden 823

Page 55: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 48 -

Patienten mit klinischen Zeichen einer Meniskusläsion eingeschlossen. Bei jedem

fünften Patienten wurde ein MRT durchgeführt. Die Ergebnisse der 276

arthroskopierten Patienten sind in Tabelle 12 dargestellt.

Tabelle 12: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanztomographie

(MRT) bei Weinstabl et al. (1997). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio

(LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 96% 33% 1,4 0,1 59% 89% 64%

Lateraler Meniskus 89% 91% 9,9 0,1 61% 98% 91%

MRT

Medialer Meniskus 98% 82% 5,4 0 92% 95% 95%

Lateraler Meniskus 94% 98% 47 0,1 92% 98% 97%

Weinstabl et al. schlossen daraus, dass durch eine präoperative MRT Untersuchung die

Rate der „diagnostischen Arthroskopien“ gesenkt werden könnte. Dennoch folgerten

sie: „Magnetic resonance imaging is clearly not indicated for every knee injury or as a

screening tool to replace a thorough history and physical examination“ (Weinstabl et al.

1997, S. 366-367).

Munk et al. plädierten in ihrer prospektiven Studie aus dem Jahr 1998 ebenfalls für die

präoperative Durchführung eines MRT („Clinical Magnetic Resonance Imaging and

Arthroscopic Findings in Knees: a Comparative Prospective Study of Meniscus

Anterior Cruciate Ligament and Cartilage Lesions”). 61 Patienten wurden in die Studie

eingeschlossen. Munk et al. verglichen den diagnostischen Wert des MRT mit den

Standardmethoden (klinische Untersuchung und Arthroskopie). Die Ergebnisse zeigten

einen deutlichen Vorteil für das MRT (Accuracy 79%) gegenüber der klinischen

Untersuchung (Accuracy 44%) (Tabelle 13a-c). Aus diesem Grund empfahlen Munk et

al. das MRT als eine abklärende diagnostische Methode, wenn eine klinische

Untersuchung eine Meniskusläsion anzeigt. Leider war aufgrund der mangelnden

Datenangabe keine getrennte Berechnung für den medialen und lateralen Meniskus in

der MRT Untersuchung möglich. Da zwischen medialem und lateralem Meniskus

deutliche diagnostische Unterschiede auftreten, ist die getrennte Betrachtung unbedingt

Page 56: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 49 -

notwendig. Deshalb können nur die Daten der klinischen Untersuchung in die

Auswertung eingeschlossen werden.

Tabelle 13a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Munk et al. (1998). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 19 25 44

KU- 0 17 17

gesamt 19 42 61 Tabelle 13b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Munk et al. (1998). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 6 9 15

KU- 0 46 46

gesamt 6 55 61 Tabelle 13c: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Munk et al. (1998). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV),

medialer Meniskus (MM), lateraler Meniskus (LM).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 100% 40% 1,68 0 43% 100% 59%

Lateraler Meniskus 100% 84% 6,11 0 40% 100% 85%

MRT

MM und LM 84% 75% 3,4 0,2 70% 87% 79%

Als nächstes wird die Untersuchung von Elvenes et al. aus dem Jahr 2000 betrachtet

(„Magnetic Resonance Imaging as a Screening Procedure to Avoid Arthroscopy for

Meniscal Tears”). Ihr Ziel war: „[...] to evaluate the usefulness of MRI as a screening

technique to reduce the number of arthroscopic procedures in diagnosing meniscal

lesions of the knee” (Elvenes et al. 2000, S. 14). Bei 40 symptomatischen Patienten (41

Page 57: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 50 -

Knie) wurden ein MRT und eine Arthroskopie (Goldstandard) durchgeführt (Tabelle

14a-c).

Tabelle 14a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Elvenes et al. (2000). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 15 6 21

MRT- 0 20 20

gesamt 15 26 41 Tabelle 14b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Elvenes et al. (2000). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 2 4 6

MRT- 3 32 35

gesamt 5 36 41 Tabelle 14c: Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) bei Elvenes et al. (2000).

Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert

(PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

MRT Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 100% 77% 4,4 0 71% 100% 85%

Lateraler Meniskus 40% 89% 3,6 0,7 33% 91% 83%

Im MRT zeigte sich eine hohe Rate an falsch-positiven Ergebnissen (PPV = 71%

medialer Meniskus, PPV = 33% lateraler Meniskus). Dies begünstigt das so genannte

„over-diagnosing“ (Elvenes et al. 2000, S. 16). Das heißt, es werden häufig Gesunde als

krank fehlklassifiziert. Der negative prädiktive Wert (NPV) lag für den medialen

Meniskus bei 100% und für den lateralen Meniskus bei 91%. Im MRT unauffällige

Patienten hatten meist auch tatsächlich keine Verletzung der Menisken. Elvenes et al.

folgerten, dass das MRT als Screeningmethode genutzt werden kann, um unnötige

Arthroskopien zu vermeiden.

Page 58: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 51 -

Eine wichtige Studie stammt von Kocabey et al. aus dem Jahr 2004 („The Value of

Clinical Examination versus Magnetic Resonance Imaging in the Diagnosis of Meniscal

Tears and Anterior Cruciate Ligament Rupture“). Das Ziel dieser prospektiven Studie

war der Vergleich der Accuracy von klinischer Untersuchung und MRT. Beurteilt

wurde die Diagnostik von Läsionen des vorderen Kreuzbandes, des medialen und

lateralen Meniskus. Kocabey et al. selektierten 50 Patienten mit 65 symptomatischen

Knien. Es ist zu beachten, dass nur ein einzelner erfahrener Orthopäde die

Untersuchungen durchführte. Er beurteilte das MRT und führte die klinische

Untersuchung und die Arthroskopie durch (Tabelle 15a-e).

Tabelle 15a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Kocabey et al. (2004). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 27 6 33

KU- 4 13 17

gesamt 31 19 50 Tabelle 15b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Kocabey et al. (2004). Klinische Untersuchung

positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 6 2 8

KU- 2 40 42

gesamt 8 42 50 Tabelle 15c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Kocabey et al. (2004). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 25 4 29

MRT- 6 15 21

gesamt 31 19 50

Page 59: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 52 -

Tabelle 15d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Kocabey et al. (2004). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 6 4 10

MRT- 1 39 40

gesamt 7 43 50 Tabelle 15e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Kocabey et al. (2004). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 87% 68% 2,76 0,19 82% 76% 80%

Lateraler Meniskus 75% 95% 15,75 0,26 75% 95% 92%

MRT

Medialer Meniskus 81% 79% 3,83 0,25 86% 71% 80%

Lateraler Meniskus 86% 91% 9,21 0,16 60% 97% 90%

Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Accuracy der klinischen

Untersuchung (80% MM, 92% LM) und der des MRT (80% MM, 90% LM). Daraus

folgerten Kocabey et al., dass ein erfahrener Arzt primär seinen klinischen Fähigkeiten

vertrauen sollte. Erst unter besonderen Umständen sei es gerechtfertigt ein MRT

anzufordern. Die routinemäßige Durchführung eines präoperativen MRT ist ihrer

Meinung nach nicht sinnvoll. Kocabey et al. betonten aber auch, dass das MRT in

bestimmten Fällen eine nützliche und notwendige Ergänzung zur klinischen

Untersuchung darstellen kann.

Eine weitere Studie zum Vergleich der klinischen Untersuchung mit dem MRT stammt

von Esmaili Jah et al. aus dem Jahr 2005 („Accuracy of MRI in Comparison with

Clinical and Arthroscopic Findings in Ligamentous and Meniscal Injuries of the

Knee“). 70 Patienten wurden prospektiv evaluiert. Dabei wurde eine „excellent

correlation between MRI and clinical findings“ (Esmaili Jah et al. 2005, S. 189)

entdeckt. Die Accuracy der klinischen Untersuchung (97% MM, 90% LM) war der

Accuracy des MRT (86% MM, 83% LM) überlegen (Tabelle 16a-e). Esmaili Jah et al.

Page 60: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 53 -

folgerten: „However, skilled clinical examination rates similarly to MRI. [...] It is

important to consider the economic load of MRI for patients, especially in countries

with poor welfare state and poor insurance coverage.” (Esmaili Jah et al. 2005, S. 196).

Tabelle 16a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Esmaili Jah et al. (2005). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 24 0 24

KU- 2 44 46

gesamt 26 44 70 Tabelle 16b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Esmaili Jah et al. (2005). Klinische Untersuchung

positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 11 2 13

KU- 5 52 57

gesamt 16 54 70 Tabelle 16c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Esmaili Jah et al. (2005). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 24 8 32

MRT- 2 36 38

gesamt 26 44 70 Tabelle 16d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Esmaili Jah et al. (2005). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 8 4 12

MRT- 8 50 58

gesamt 16 54 70

Page 61: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 54 -

Tabelle 16e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Esmaili Jah et al. (2005). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 92% 100% # 0,08 100% 96% 97%

Lateraler Meniskus 69% 96% 18,56 0,33 85% 91% 90%

MRT

Medialer Meniskus 92% 82% 5,08 0,09 75% 95% 86%

Lateraler Meniskus 50% 93% 6,75 0,54 67% 86% 83%

Mohan und Gosal veröffentlichten 2007 die retrospektive Studie „Reliability of Clinical

Diagnosis in Meniscal Tears“. Das Ziel war die Analyse der Reliabilität der klinischen

Untersuchung von Meniskusrissen. Bei jedem der 130 selektierten Patienten wurde nach

der standardisierten klinischen Untersuchung eine Arthroskopie durchgeführt. Als

Vergleich dienten die MRT Ergebnisse aus früheren Studien. Dabei zeigten sich keine

signifikanten Unterschiede zwischen der Accuracy der körperlichen Untersuchung und

der des MRT (Tabelle 17a-c).

Tabelle 17a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Mohan & Gosal (2007). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 88 14 102

KU- 2 26 28

gesamt 90 40 130 Tabelle 17b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Mohan & Gosal (2007). Klinische Untersuchung

positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 20 8 28

KU- 2 100 102

gesamt 22 108 130

Page 62: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 55 -

Tabelle 17c: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) bei Mohan & Gosal (2007). Positive

Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV),

negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 98% 65% 2,79 0,03 86% 93% 88%

Lateraler Meniskus 91% 93% 12,27 0,1 71% 98% 92%

Ihre Schlussfolgerung lautete: „Hence we conclude that physical examination is a useful

and important diagnostic technique and is as reliable as MRI to diagnose meniscal

tears“ (Mohan & Gosal 2006, S. 59). Ihrer Meinung nach sollte die Nutzung des MRT

schwierigen und komplexen Knieverletzungen vorbehalten bleiben.

Nikolaou et al. betrachteten 2008 retrospektiv die Wirksamkeit des MRT bei

Knieverletzungen („MRI Efficacy in Diagnosing Internal Lesions of the Knee: a

Retrospective Analysis”). Bei 46 Patienten waren alle Ein- und Ausschlusskriterien

erfüllt. Sie hatten jeweils eine klinische Untersuchung, ein MRT und eine Arthroskopie

erhalten. Die Accuracy des MRT (81% MM, 77% LM) war der Accuracy der klinischen

Untersuchung (60% MM, 55% LM) deutlich überlegen (Tabelle 18). Nikolaou et al.

folgerten: „[...] the present study supports that MRI is very helpful in diagnosing

meniscal and cruciate ligament injuries” (Nikolaou et al. 2008, S. 9).

Tabelle 18: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanztomographie

(MRT) bei Nikolaou et al. (2008). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood Ratio

(LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 65% 50% 1,3 0,69 65% 50% 60%

Lateraler Meniskus 30% 75% 1,2 0,93 50% 56% 55%

MRT

Medialer Meniskus 83% 69% 2,64 0,25 83% 69% 81%

Lateraler Meniskus 62% 88% 5,36 0,43 81% 74% 77%

Schurz et al. publizierten 2008 die Arbeit „The Value of Clinical Examination and MRI

versus Intraoperative Findings in the Diagnosis of Meniscal Tears”. Ihr Ziel war es die

Page 63: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 56 -

Accuracy von klinischer Untersuchung und MRT mit den intraoperativen Befunden der

Arthroskopie zu vergleichen. Diese retrospektive Studie umfasste einen Zeitraum von

fünf Jahren. Es wurde eine nicht standardisierte, alltägliche klinische Situation

untersucht. Aus 4727 Patienten wurden 400 Patienten nach festen Ein- und

Ausschlusskriterien selektiert. Bei jedem dieser Patienten war eine klinische

Untersuchung, ein MRT und eine Arthroskopie (Goldstandard) durchgeführt worden

(Tabelle 19a-d).

Tabelle 19a: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des medialen

Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Schurz et al. (2008). Klinische

Untersuchung positiv (KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

KU+ 155 82 237

KU- 97 66 163

gesamt 252 148 400 Tabelle 19b: Vierfeldertafel der Ergebnisse der klinischen Untersuchung des lateralen Meniskus

(LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Schurz et al. (2008). Klinische Untersuchung positiv

(KU+) und negativ (KU-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

KU+ 23 64 87

KU- 81 231 312

gesamt 104 295 399 Tabelle 19c: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

medialen Meniskus (MM) verglichen mit der Arthroskopie bei Schurz et al. (2008). MRT

positiv (MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

MM A+ A- gesamt

MRT+ 237 51 288

MRT- 19 93 112

gesamt 256 144 400

Page 64: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 57 -

Tabelle 19d: Vierfeldertafel der Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) des

lateralen Meniskus (LM) verglichen mit der Arthroskopie bei Schurz et al. (2008). MRT positiv

(MRT+) und negativ (MRT-), Arthroskopie positiv (A+) und negativ (A-).

LM A+ A- gesamt

MRT+ 68 31 99

MRT- 35 265 300

gesamt 103 296 399 Tabelle 19e: Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der Magnetresonanz-

tomographie (MRT) bei Schurz et al. (2008). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative

Likelihood Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

KU Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

Medialer Meniskus 62% 45% 1,11 0,86 65% 40% 55%

Lateraler Meniskus 22% 78% 1,02 1 26% 74% 64%

MRT

Medialer Meniskus 93% 65% 2,61 0,12 82% 83% 83%

Lateraler Meniskus 66% 90% 6,6 0,38 69% 88% 83%

Die Accuracy des MRT war für beide Menisken jeweils 83% (Tabelle 19e). Die

klinische Untersuchung wies eine Accuracy von 55% für den medialen Meniskus und

64% für den lateralen Meniskus auf. Schurz et al. folgerten, dass bei der körperlichen

Untersuchung im Gegensatz zum MRT eine große Anzahl an Meniskusrissen übersehen

wird. Dies führte zu folgender Aussage: „… an MRI, completing a thoroughly

performed clinical examination, is helpful in diagnosing meniscal disorders“ (Schurz et

al. 2008, S. 9). Sie betonten dennoch die Wichtigkeit der klinischen Symptomatik bei

der Indikationsstellung für eine operative Intervention.

Zusammenfassung

Trotz der großen Studienanzahl bleiben einige klinisch relevante Fragen unbeantwortet.

Aus den Ergebnissen ist nicht erkennbar, welche Konsequenzen aus der Nutzung des

MRT für Therapie und Outcome des Patienten entstehen. Die Vorteile des MRT

gegenüber einer sorgfältigen klinischen Untersuchung werden kontrovers diskutiert. Es

gibt bei den vorhandenen Studien keine Übereinstimmung über die aktuelle Bedeutung

Page 65: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 58 -

der klinischen Untersuchung und des MRT. Um einen Evidenz-basierten Algorithmus

für die Diagnosestellung von Meniskusrissen erstellen zu können, sind weitere

prospektive Studien nötig.

3.3.2.2 Validität der Untersuchung von Meniskusläsionen

Im vorangehenden Abschnitt wurde deutlich, dass die Beurteilung der Untersuchung

von Meniskusläsionen sehr schwierig ist. In den Studien wurden unterschiedliche

Ergebnisse erzielt. Einige Studien bevorzugten die routinemäßige Durchführung eines

MRT vor einer Arthroskopie. Zahlreiche andere Studien hielten dies aufgrund der guten

Ergebnisse der klinischen Untersuchung für überflüssig.

Um einen Überblick über die Studienlage zu bekommen, sind die Ergebnisse

nachfolgend in Säulendiagrammen dargestellt. In den Abbildungen 9 und 10 werden die

Accuracy der klinischen Untersuchung und die Accuracy des MRT für alle

ausgewerteten Studien getrennt nach medialem und lateralem Meniskus dargestellt.

Page 66: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 59 -

Accuracy der klinischen Untersuchung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Terr

y et a

l.

Gelb

et a

l.

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l.

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l.

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l.

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l.

Sch

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et a

l.

Studien

Acc

urac

y [%

]

Abbildung 9: Darstellung der Accuracy der klinischen Untersuchung aller eingeschlossenen

Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

Accuracy des MRT

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Fis

cher

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l.

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l.

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ou

et a

l.

Sch

urz

et a

l.

Studien

Acc

urac

y [%

]

Abbildung 10: Darstellung der Accuracy der Magnetresonanztomographie (MRT) aller

eingeschlossenen Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

MM LM

MM LM

Page 67: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 60 -

Die ausgewerteten Studien weisen sehr heterogene Ergebnisse für die Validität der

klinischen Untersuchung und der des MRT auf. Beim Vergleich von Abbildung 9 und

10 fällt auf, dass es bei der klinischen Untersuchung eine größere Streuung der Werte

gibt als beim MRT. Die Accuracy der klinischen Untersuchung variiert für den

medialen Meniskus von 55% bis 97% (Spannweite 42%) und für den lateralen

Meniskus von 55% bis 96% (Spannweite 41%). Die Accuracy des MRT reicht für den

medialen Meniskus von 70% bis 95% (Spannweite 25%) und für den lateralen

Meniskus von 69% bis 100% (Spannweite 31%). Dieser Unterschied wird auch in

Tabelle 20 deutlich. Für die Untersuchung des medialen Meniskus ist die

Standardabweichung der klinischen Untersuchung fast doppelt so hoch (1,98fach) wie

die des MRT. Für den lateralen Meniskus beträgt sie das 1,44fache der

Standardabweichung des MRT.

Tabelle 20: Mittelwert und Standardabweichung der Accuracy der klinischen Untersuchung

(KU) und der Magnetresonanztomographie (MRT) aller eingeschlossenen Studien getrennt nach

medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

Accuracy

Mittelwert Standardabweichung

KU MM 77% 14,34%

KU LM 83% 12,64%

MRT MM 83% 7,23%

MRT LM 85% 8,80%

Dieser Unterschied ist auch in Abbildung 11 deutlich erkennbar. Im Boxplot zeigt der

vertikale Strich die Spannweite aller Ergebnisse. Der horizontale Strich gibt den Median

an. Die Box zeigt den Bereich vom ersten bis zum dritten Quartil und entspricht damit

dem Bereich, in dem die mittleren 50% der Daten liegen. Das heißt, 25% der Ergebnisse

liegen unterhalb des Kastens und 25% oberhalb. Bei der MRT Untersuchung ist zum

einen die Spannweite der Ergebnisse kleiner und zum anderen der Quartilsabstand

geringer.

Page 68: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 61 -

Boxplot: Accuracy von klinischer Untersuchung (KU) und MRT

0

20

40

60

80

100

120

KU MM KU LM MRT MM MRT LM

% [

Acc

ura

cy]

Abbildung 11: Boxplot der Accuracy. Darstellung der Accuracy der klinischen Untersuchung

(KU) und der Magnetresonanztomographie (MRT) aller eingeschlossenen Studien in Boxplots

jeweils getrennt für den medialen (MM) und lateralen Meniskus (LM).

In Tabelle 21 ist die Zusammenfassung der Ergebnisse dargestellt. Berechnet wurden

die Mittelwerte für Sensitivität, Spezifität, positive und negative Likelihood Ratio,

positiven und negativen Vorhersagewert und Accuracy.

Tabelle 21: Mittelwerte der Ergebnisse der klinischen Untersuchung (KU) und der

Magnetresonanztomographie (MRT) aller eingeschlossenen Studien getrennt für den medialen

(MM) und lateralen Meniskus (LM). Positive Likelihood Ratio (LR+), negative Likelihood

Ratio (LR-), positiver Vorhersagewert (PPV), negativer Vorhersagewert (NPV).

Mittelwerte

Sensitivität Spezifität LR+ LR- PPV NPV Accuracy

KU MM 88% 64% 2,57 0,22 76% 82% 77%

LM 67% 91% 11,94 0,38 68% 87% 83%

MRT MM 87% 77% 4,2 0,17 84% 80% 83%

LM 62% 94% 11,52 0,42 74% 87% 85%

Page 69: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 62 -

Beim Vergleich der korrespondierenden Werte von klinischer Untersuchung und MRT

können nur geringe Unterschiede festgestellt werden. Der größte Unterschied liegt in

der höheren Spezifität des MRT bei der Untersuchung des medialen Meniskus

(klinische Untersuchung 64%, MRT 77%). Das bedeutet, dass beim MRT die

Wahrscheinlichkeit tatsächlich Gesunde im Test auch als gesund zu erkennen höher ist

als bei der klinischen Untersuchung.

Die klinische Untersuchung des medialen Meniskus hat mit einer positiven Likelihood

Ratio (LR+) von 2,57 nur eine schwache diagnostische Evidenz. Die negative

Likelihood Ratio (LR-) von 0,22 wird als akzeptabel bewertet. Die klinische

Untersuchung des lateralen Meniskus gilt mit einer LR+ von 11,94 als gut mit

überzeugender diagnostischer Evidenz. Die LR- von 0,38 ist dagegen nicht akzeptabel.

Für die MRT Untersuchung des medialen Meniskus wurden eine LR+ von 4,2 und eine

LR- von 0,17 erzielt. Dieser Test ist somit akzeptabel. Bei einer LR+ von 11,52 wird die

MRT Untersuchung des lateralen Meniskus als gut bewertet. Die LR- von 0,42 ist

jedoch nicht akzeptabel.

Auffällig sind in Tabelle 21 die Unterschiede zwischen den Werten für den medialen

und lateralen Meniskus. Charakteristisch ist sowohl im MRT als auch in der klinischen

Untersuchung eine hohe Sensitivität für den medialen und eine hohe Spezifität für den

lateralen Meniskus. Dieser Unterschied ist bereits bei Betrachtung der einzelnen Studien

ersichtlich. In den Abbildungen 12 bis 15 sind Übersichtsdiagramme der ausgewerteten

Studien dargestellt. Für den medialen Meniskus zeigt sich in den Abbildungen 12 und

13 eine hohe Sensitivität. Folglich wird sowohl bei der klinischen Untersuchung als

auch im MRT nur selten ein medialer Meniskusriss übersehen. Der laterale

Meniskusriss bleibt aufgrund der geringeren Sensitivität häufiger unerkannt. In den

Abbildungen 14 und 15 imponiert die hohe Spezifität für den lateralen Meniskus.

Demzufolge werden Gesunde kaum als erkrankt (Meniskusriss) fehlklassifiziert. Die

Untersuchung des medialen Meniskus ist dagegen weniger spezifisch. Es gibt eine

höhere Anzahl falsch-positiver Ergebnisse.

Page 70: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 63 -

Sensitivität der klinischen Untersuchung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

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l.

Studien

Sen

sitiv

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%]

Abbildung 12: Darstellung der Sensitivität der klinischen Untersuchung aller eingeschlossenen

Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

Sensitivität des MRT

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

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Studien

Sen

sitiv

ität [

%]

Abbildung 13: Darstellung der Sensitivität der Magnetresonanztomographie (MRT) aller

eingeschlossenen Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

MM LM

MM LM

Page 71: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 64 -

Spezifität der klinischen Untersuchung

0

10

20

30

40

50

60

70

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90

100

Terr

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Studien

Spez

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]

Abbildung 14: Darstellung der Spezifität der klinischen Untersuchung aller eingeschlossenen

Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

Spezifität des MRT

0

10

20

30

40

50

60

70

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90

100

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Studien

Spe

zifit

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[%]

Abbildung 15: Darstellung der Spezifität der Magnetresonanztomographie (MRT) aller

eingeschlossenen Studien getrennt nach medialem (MM) und lateralem Meniskus (LM).

MM LM

MM LM

Page 72: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 65 -

In den Abbildungen 16 und 17 werden die Ergebnisse in Boxplots dargestellt. Deutlich

sichtbar ist der jeweilige Unterschied zwischen medialem und lateralem Meniskus.

Boxplot: Sensitivität von kl inischer Untersuchung (KU) und MRT

0

20

40

60

80

100

120

KU MM KU LM MRT MM MRT LM

% [

Sen

sitiv

ität]

Abbildung 16: Boxplot der Sensitivität. Darstellung der Sensitivität der klinischen

Untersuchung (KU) und der Magnetresonanztomographie (MRT) aller eingeschlossenen

Studien in Boxplots jeweils getrennt für den medialen (MM) und lateralen Meniskus (LM).

Boxplot: Spezifität von klinischer Untersuchung (KU) und MRT

0

20

40

60

80

100

120

KU MM KU LM MRT MM MRT LM

% [S

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fitä

t]

Abbildung 17: Boxplot der Spezifität. Darstellung der Spezifität der klinischen Untersuchung

(KU) und der Magnetresonanztomographie (MRT) aller eingeschlossenen Studien in Boxplots

jeweils getrennt für den medialen (MM) und lateralen Meniskus (LM).

Page 73: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 66 -

Im Boxplot der Sensitivität (Abbildung 16) zeigen sich für den medialen Meniskus eine

deutlich geringere Spannweite der Werte und ein kleinerer Quartilsabstand als für den

lateralen Meniskus. Im Boxplot der Spezifität (Abbildung 17) sind jedoch die

Spannweite der Werte und der Quartilsabstand für den lateralen Meniskus geringer.

Diese Erkenntnisse sind für die Qualität von Knieuntersuchungen von großer

Bedeutung. Nur so können Untersuchungsmethoden gezielt eingesetzt werden und die

gewonnenen Untersuchungsergebnisse sinnvoll interpretiert und bewertet werden.

Es ergeben sich folgende Resultate:

1.) Bei der Beurteilung von Meniskusläsionen zeigt das routinemäßig durchgeführte

MRT gegenüber der klinischen Untersuchung keinen eindeutigen Vorteil. Die

Accuracy der beiden Methoden ist vergleichbar.

2.) Der größte Unterschied liegt in der höheren Spezifität des MRT bei der

Untersuchung des medialen Meniskus.

3.) Insgesamt zeigen sich bei der MRT Untersuchung konstantere Ergebnisse. Die

Ergebnisse der klinischen Untersuchung scheinen stark abhängig vom

jeweiligen Untersucher zu sein.

4.) Medialer und lateraler Meniskus müssen immer getrennt betrachtet werden. Dies

gilt sowohl für die klinische Untersuchung als auch für das MRT. Die

Untersuchung des medialen Meniskus ist sensitiver, während die des lateralen

Meniskus spezifischer ist.

5.) Bei unklarem klinischen Befund oder komplexen Knieverletzungen ist die

Indikation für die Durchführung eines MRT stets gegeben.

6.) Unklar bleibt weiterhin, ob durch die Nutzung des MRT Konsequenzen für die

Therapie und das Outcome des Patienten entstehen.

3.3.2.3 Hürden zwischen Theorie und Praxis

Bei der Auswertung der vorhandenen Literatur zeigte sich beim routinemäßig

durchgeführten MRT gegenüber der klinischen Untersuchung kein eindeutiger Vorteil.

Die Umsetzung dieser Ergebnisse in den klinischen Alltag ist dennoch schwierig. Es

sind einige Hürden zu überwinden.

Page 74: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 67 -

Zum einen gibt es die Erwartungshaltung der Patienten. Sie stellt die erste Hürde dar.

Die meisten Patienten sind über das MRT als neue diagnostische Methode informiert.

Die klinische Untersuchung wird dagegen unterschätzt. Den Patienten ist nicht bekannt,

dass die klinische Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt Ergebnisse erzielt, die mit

dem MRT vergleichbar sind. Die Folge ist eine hohe Erwartungshaltung der Patienten.

Es besteht der Wunsch nach der bestmöglichen Behandlung, das heißt, die

Durchführung eines MRT wird vorausgesetzt.

Die zweite Hürde im klinischen Alltag ist die Verantwortung der Ärzte . Je unsicherer

der Untersucher ist, desto eher wird er ein MRT als zusätzliche Absicherung gegen

Fehldiagnosen durchführen. Dies ist verständlich wenn man bedenkt, dass die Zahl der

Anklagen gegen Ärzte stark zugenommen hat. Dennoch sollte dieser Selbstschutz nicht

die Indikation für die Durchführung eines MRT darstellen. Bei Unklarheiten in der

klinischen Untersuchung sollte als erstes ein erfahrener Kollege hinzugezogen werden.

Bei weiter bestehender Unsicherheit ist die Durchführung eines MRT gerechtfertigt.

Bei der Übertragung der Studienergebnisse in den klinischen Alltag sind weitere

Hürden zu überwinden. In den ausgewerteten Studien wurde die klinische Untersuchung

stets von einem sehr erfahrenen Arzt durchgeführt. Das heißt, die Studienergebnisse

wurden unter Optimalbedingungen erzielt. Folglich ist zu erwarten, dass die

tatsächlichen Werte im klinischen Alltag gegenüber den Studien etwas abfallen.

Besonders bei jungen unerfahrenen Ärzten sind die klinischen Fähigkeiten noch nicht so

ausgeprägt wie bei erfahrenen Kollegen. Das heißt, ein entscheidender Aspekt für den

Erfolg der klinischen Untersuchung ist die Erfahrung des Arztes. Je mehr klinische

Erfahrung der Untersucher hat, desto besser werden die Ergebnisse (Ryzewicz et al.

2007). Zudem konnte gezeigt werden, dass die klinische Untersuchung aufgrund ihrer

Subjektivität stark untersucherabhängig ist (Wood et al. 2006). Die Entwicklung einer

standardisierten Vorgehensweise bei der klinischen Untersuchung ist essentiell, um die

Reproduzierbarkeit zu erhöhen und die Fehlermöglichkeiten zu minimieren.

Für die Etablierung der neuen Erkenntnisse im klinischen Alltag ist weitere

Aufklärungsarbeit bei den praktizierenden Ärzten und bei den Patienten notwendig.

Außerdem muss durch weitere Studien geprüft werden, ob durch die Nutzung des MRT

Page 75: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 68 -

Konsequenzen für die Therapie und das Outcome der Patienten entstehen. Diese Fragen

konnten bisher nicht beantwortet werden. Anschließend sollte ein Evidenz-basierter

Algorithmus für die Diagnosestellung von Meniskusrissen entwickelt werden.

3.3.2.4 Bedeutung für den klinischen Alltag

Für die Anwendung von medizinischen Zeichen im klinischen Alltag sind Kenntnisse

über deren Validität sehr wichtig. Nur so können sie sinnvoll eingesetzt und interpretiert

werden. Die Accuracy der klinischen Untersuchung ist im Durchschnitt 77% für den

medialen und 83% für den lateralen Meniskus. Bei Knieverletzungen ist deshalb die

sorgfältige klinische Untersuchung obligat. Sie stellt in jedem Fall die Basis einer

sinnvollen Diagnostik dar. Weniger erfahrene Ärzte sollten bei Unsicherheit primär

erfahrene Kollegen hinzuziehen. Erst dann kann die Indikation für die Durchführung

eines MRT gestellt werden. Abhängig von den Ergebnissen der klinischen

Untersuchung sollte der erfahrene Arzt eine Entscheidung treffen. Es gibt drei

Entscheidungsmöglichkeiten:

1.) Symptomatische Therapie

2.) MRT

3.) Arthroskopie

Bei unauffälligem Untersuchungsbefund und geringer klinischer Symptomatik kann

primär eine symptomatische Therapie angestrebt werden. Die Beschwerden werden

weiter beobachtet. Bei Unsicherheit in der klinischen Untersuchung und komplexen

Knieverletzungen ist die Durchführung eines MRT indiziert. Dadurch können weitere

wertvolle Informationen zur Entscheidungsfindung gewonnen werden. Bei eindeutig

positivem klinischem Befund kann direkt eine Arthroskopie durchgeführt werden. Hier

sollte auf ein zusätzliches MRT verzichtet werden.

Die Interpretation der MRT Ergebnisse sollte nur im Zusammenhang mit der klinischen

Symptomatik erfolgen. Dadurch wird möglichen Fehldiagnosen vorgebeugt. Die

Durchführung eines MRT ist nur dann indiziert, wenn mit Konsequenzen für die weitere

Behandlung zu rechnen sind. Bei bereits festgelegter Therapie ist das MRT nicht

sinnvoll.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der stetige Fortschritt der Technik. Das MRT wird

Page 76: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 69 -

ständig weiterentwickelt. Die Auflösung und die Qualität werden stetig verbessert. Es

bleibt abzuwarten, welche Vorteile das MRT gegenüber der klinischen Untersuchung in

Zukunft haben wird.

3.3.3 Entwickeltes Studiendesign – die Fix-Flex-Studie

Die Analyse der vorhandenen Literatur konnte einige Fragen zur Diagnostik von

Meniskusläsionen beantworten. Unklar bleibt weiterhin Folgendes:

• Ergeben sich durch das MRT Konsequenzen für die weitere Therapie und das

Outcome des Patienten?

• Kann ein MRT zusätzliche Informationen liefern, wenn ein Patient mit

Meniskusläsion von einem erfahrenen Unfallchirurgen klinisch sorgfältig

untersucht wurde?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine neue Studie notwendig. Das hierfür

entwickelte Studiendesign ist in Abbildung 18 dargestellt. Zu Beginn der so genannten

Fix-Flex-Studie werden alle Patienten sorgfältig klinisch untersucht. Auf dieser Basis

wird ohne MRT die Entscheidung für oder gegen eine Arthroskopie getroffen. Diese

Entscheidung muss schriftlich vorliegen, ehe in zwei Gruppen randomisiert wird.

Anschließend wird bei allen Patienten beider Gruppen ein MRT durchgeführt. Bei

Gruppe 1 ist die Entscheidung „fixed“ . Das heißt, sie kann auch nach Vorliegen des

MRT Befundes nicht mehr geändert werden. Bei Gruppe 2 ist die Entscheidung

„flexibel“ . Sie kann nach Vorliegen des MRT Befundes falls erforderlich geändert

werden. Dann erfolgt die Durchführung oder der Verzicht auf Arthroskopie

entsprechend der getroffenen Entscheidung. Wichtig ist die Wiedervorstellung der

Patienten nach sechs Monaten, um die erreichte Versorgungsqualität zu klassifizieren.

Page 77: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 70 -

Design der Fix-Flex-Studie

Abbildung 18: Design der Fix-Flex-Studie. Die neu entwickelte Fix-Flex-Studie dient dem

Vergleich der klinischen Untersuchung mit der Magnetresonanztomographie (MRT).

Entscheidung ohne MRT

Arthroskopie: ja

Arthroskopie: nein

Randomisation Bei der Anmeldung zur Randomisation muss die Entscheidung über die Durchführung einer Arthroskopie schriftlich vorliegen

MRT bei allen obligat MRT bei allen obligat

Entscheidung über Durchführung der Arthroskopie wurde oben bereits fixiert

und kann auch nach Vorliegen des MRT Befundes nicht mehr geändert werden

Entscheidung über Durchführung der Arthroskopie kann nach

Vorliegen des MRT Befundes falls erforderlich geändert werden

Klinische Untersuchung (Ein- und Ausschlusskriterien)

Gruppe 1 Entscheidung fixed

Gruppe 2 Entscheidung flexibel

Endpunkt: Klassifikation der erreichten Versorgungsqualität nach 6 Monaten

Durchführung oder Verzicht auf Arthroskopie alleine auf Grund der klinischen Untersuchung

Durchführung oder Verzicht auf Ar-throskopie auf Grund der klinischen

Untersuchung und des MRT

Page 78: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 71 -

Die Ziele der Fix-Flex-Studie sind:

1.) Vergleich der Validität der klinischen Untersuchung mit der des MRT bei allen

arthroskopierten Patienten.

2.) Beobachtung, ob das weitere Vorgehen nach der Durchführung des MRT noch

geändert wird oder ob die ursprüngliche Entscheidung beibehalten wird.

Ergeben sich durch das MRT Konsequenzen für die weitere Therapie?

3.) Vergleich der erreichten Versorgungsqualität nach sechs Monaten. Gibt es einen

Unterschied im Outcome zwischen beiden Versuchsgruppen?

Durch diesen Versuchsaufbau können die klinisch relevanten Fragen beantwortet

werden. Informationen über den Entscheidungsprozess zur Durchführung einer

Arthroskopie sind überaus wichtig. Ebenfalls von großer Bedeutung ist das Endergebnis

der Behandlung.

Die Fix-Flex-Studie wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht durchgeführt. Sie ist jedoch

in Planung. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Unfallchirurgen werden die Details der

Studie, wie zum Beispiel Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt. Dabei müssen auch

ethische und finanzielle Aspekte berücksichtigt werden. Die Durchführung und

Auswertung der Fix-Flex-Studie wird Bestandteil einer weiteren Dissertation sein.

Dieses Studiendesign lässt sich verallgemeinern. Damit könnte es für viele

Fragestellungen im klinischen Alltag interessant werden. Insbesondere medizinische

Zeichen oder neue diagnostische Methoden könnten dadurch sinnvoll bewertet und ihre

Relevanz für den klinischen Alltag getestet werden.

Page 79: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 72 -

4 Diskussion

4.1 Bewertung der erhobenen Daten

4.1.1 Ergebnisse der Literaturrecherchen

Anhand von drei ausgewählten Zeichen wurde die klinische Bedeutung der Semiotik

und deren Grenzen exemplarisch dargestellt. Der Foetor hepaticus bestätigt sich als ein

altes medizinisches Zeichen. Dieses wurde zu Recht durch moderne diagnostische

Methoden ersetzt. Angaben zur Sensitivität (50%) und Spezifität (100%) des

Lebergeruchs wurden nur in einer sehr alten Studie aus dem Jahr 1954 (Butt & Mason)

gemacht. Die Datenlage zur Validität des Lebergeruchs ist mangelhaft. Es ist jedoch

erwiesen, dass der Foetor hepaticus erst im Spätstadium von Lebererkrankungen

auftritt. Folglich ist er zur Früherkennung von Lebererkrankungen und als

diagnostischer Test ungeeignet. Aus diesem Grund sind weitere Studien zur

Untersuchung des Lebergeruchs überflüssig. Diese Ergebnisse entsprechen den

Erwartungen und dem aktuellen Lehrbuchwissen. Allerdings gibt es neuere Studien

(Van den Velde et al. 2008), in denen die aktuelle Bedeutung des Lebergeruchs betont

wird. Hier spielt die Atemanalyse mittels GC-MS eine wichtige Rolle. Ob sich daraus

eine Bedeutung für den klinischen Alltag ergeben wird, ist abzuwarten. Fraglich ist, ob

eine beginnende hepatische Enzephalopathie durch die Atemanalyse früher entdeckt

werden kann. Die bisherigen Zeichen früher Stadien sind sehr unspezifisch

(pathologische psychometrische Tests, Schläfrigkeit und Verwirrung).

Realistischerweise ist die Atemanalyse mittels GC-MS als Screeningtest im klinischen

Alltag sehr wenig praktikabel. Ebenso könnte jeden Tag eine Ammoniakbestimmung im

Blut erfolgen (Standardlabor bei hepatischer Enzephalopathie). Das Wissen über den

Lebergeruch sollte dennoch nicht gänzlich verloren gehen. In seltenen Fällen verläuft

eine Lebererkrankung sehr lange asymptomatisch. In diesen Fällen ist es wichtig, dass

Page 80: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 73 -

man als Arzt den Foetor hepaticus von gewöhnlichem Mundgeruch unterscheiden kann.

Das heißt, der Foetor hepaticus ist ein altes medizinisches Zeichen, das in sehr seltenen

Fällen zur Diagnosestellung beitragen kann.

In der Literatur gibt es Hinweise für einen charakteristischen Geruch von

schizophrenen Patienten (Liddell 1976, Hayden 1980). Die Validität dieses Geruchs

ist unklar. Es bleibt fraglich, ob dieser Geruch von schizophrenen Patienten tatsächlich

existiert. Anerkannten Psychiatern ist dieses Phänomen fremd. Demzufolge hat dieser

Geruch für den klinischen Alltag keine Relevanz. Dieses Beispiel stellt eine typische

Sackgasse dar. Eine mögliche Bedeutung für diesen Geruch in der Zukunft könnte in

der Forschung liegen. Zusammenhänge mit veränderten Stoffwechselprozessen oder der

Ätiologie der Schizophrenie sind nicht auszuschließen. Dies sind jedoch nur

Spekulationen und erfordern weitere Untersuchungen.

Das dritte untersuchte medizinische Zeichen ist die klinische Untersuchung des

medialen und lateralen Meniskus. Dieses Zeichen wurde mit einer neuen

bildgebenden Methode (MRT) verglichen. In der Literatur wird diese Thematik intensiv

diskutiert. Trotz der offensichtlichen aktuellen medizinischen Bedeutung treten im

klinischen Alltag Hürden auf. In der Zusammenfassung relevanter Studien gleicht die

Validität der klinischen Untersuchung der des MRT. Es muss beachtet werden, dass in

den Studien oft nur ein Arzt für die Durchführung der klinischen Untersuchung

verantwortlich war. Dadurch variiert die Accuracy stark abhängig von der Erfahrung

und den klinischen Fähigkeiten des Untersuchers. Bei der klinischen Untersuchung ist

die Kombination verschiedener Tests empfehlenswert. Dabei muss standardisiert

vorgegangen werden.

Die Fragen nach den Vorteilen und den Konsequenzen, die sich aus der Nutzung des

MRT ergeben, konnten nicht beantwortet werden. Speziell für diese Problematik wurde

das vorgestellte Studiendesign (Fix-Flex-Studie) entwickelt. Es gibt bisher keine valide

Studie zu dieser Fragestellung. Derzeit kann deshalb kein Vorteil oder Nachteil für eine

der beiden Gruppen festgestellt werden. Die Details für die Durchführung dieser Studie

werden in Zusammenarbeit mit den Spezialisten festgelegt. Es muss sichergestellt sein,

dass die Studienbedingungen eingehalten werden. Einmal festgelegte Entscheidungen

Page 81: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 74 -

dürfen nicht mehr revidiert werden. Das Ziel ist einen Evidenz-basierten Algorithmus

für die Untersuchung der Menisken zu erstellen. Dabei werden auch die möglichen

Indikationen für ein MRT evaluiert.

Bisher wurden folgende Erkenntnisse gewonnen. Die Basis jeder Behandlung ist eine

gründliche Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung. Bei eindeutigem

klinischem Befund sind vor der Arthroskopie keine weiteren diagnostischen

Maßnahmen indiziert. Bei unklaren oder komplexen Verletzungen sollte ein MRT

durchgeführt werden, um zusätzliche Informationen zu erhalten.

4.1.2 Anwendbarkeit der Ergebnisse im klinischen Alltag

Für die Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse ist eine Studie von

Espinoza et al. aus dem Jahr 1987 bedeutsam. Sie untersuchten die Übereinstimmung

verschiedener Ärzte bei der körperlichen Untersuchung und Diagnosestellung von

alkoholischen Lebererkrankungen. Erfahrene Ärzte wiesen eine höhere Kongruenz

untereinander auf als junge unerfahrene Mediziner. Allgemein zeigten sich deutliche

Diskrepanzen bei der Beurteilung von medizinischen Zeichen. Espinoza et al. folgerten,

„that studies based on physical findings must be cautiously considered“ (Espinoza et al.

1987, S. 244). Sie betonten die Notwendigkeit einer standardisierten Durchführung der

körperlichen Untersuchung.

Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die Anwendung der Semiotik

dargestellt. Für einen sinnvollen Einsatz im klinischen Alltag muss die Validität des

medizinischen Zeichens bekannt sein. Dies ist ein entscheidender und zum Teil sehr

schwieriger Schritt. Es gibt kaum Studien zur Validität des Foetor hepaticus und zum

Geruch von schizophrenen Patienten. Eine Verwendung dieser medizinischen Zeichen

als diagnostische Tests ist nicht sinnvoll. Obwohl es viele Studien zur klinischen

Untersuchung von Meniskusläsionen gibt, ist die Auswertung schwierig. Abhängig vom

Studiendesign variieren die Ergebnisse stark. In den meisten Studien wurde die

körperliche Untersuchung von nur einem Arzt mit großer Erfahrung durchgeführt. Die

Übertragung auf den klinischen Alltag ist dadurch erschwert. Zum einen zeigten

Page 82: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 75 -

Espinoza et al., dass die Übereinstimmung zwischen verschiedenen Ärzten häufig

gering ist. Zum anderen spielt die Erfahrung bei der Erkennung und Interpretation von

Zeichen eine große Rolle. Deshalb lassen sich die in den Studien gewonnenen

Ergebnisse nicht direkt und uneingeschränkt auf die Praxis übertragen. Im klinischen

Alltag gibt es die Bandbreite vom Assistenzarzt mit wenig Erfahrung bis hin zum

Chefarzt mit großem Erfahrungsschatz. Im Durchschnitt ist die Erfahrung geringer als

in den Studien unter Idealbedingungen. Um Homogenität bei subjektiven

Untersuchungen zu gewährleisten, sollten Untersuchungsabläufe standardisiert werden.

Dies gilt nicht nur für die körperliche Untersuchung von Knieverletzungen, sondern

spielt für die generelle Anwendung der Semiotik im klinischen Alltag eine große Rolle.

Das Ziel ist deshalb die Entwicklung von Evidenz-basierten Algorithmen.

4.1.3 Hürden bei der Anwendung der medizinischen Semiotik

Exemplarisch wurden drei medizinische Zeichen ausgewählt und analysiert. Es konnte

gezeigt werden, dass bei der Anwendung dieser Zeichen im klinischen Alltag diverse

Hürden zu überwinden sind. Die Übertragung der Theorie in die Praxis ist häufig mit

erheblichen Problemen verbunden. Jedes Zeichen unterscheidet sich in seiner

Bedeutung und Validität. Damit entstehen unterschiedliche Vorraussetzungen für die

Anwendung im medizinischen Alltag. Die Kenntnis der Validität der Zeichen ist ein

wichtiges Kriterium für einen sinnvollen Einsatz in der Medizin.

Folgende Hürden sind bei der Anwendung der medizinischen Semiotik im klinischen

Alltag zu überwinden.

Die erste Hürde stellen veraltete Zeichen dar. Diese wurden durch den stetigen

Fortschritt von neuen diagnostischen Methoden verdrängt. Hierzu zählt beispielsweise

der Foetor hepaticus. Das Entscheidende für eine adäquate Diagnostik ist, dass die

tatsächlich veralteten medizinischen Zeichen identifiziert werden. In diesen Fällen

sollten die neuen diagnostischen Methoden bevorzugt werden.

Auf der anderen Seite werden durch den medizinischen Fortschritt stetig neue Zeichen

Page 83: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 76 -

entwickelt. Diese stellen die zweite Hürde dar. Durch die Entwicklung neuer

diagnostischer Methoden können Krankheiten einerseits präziser detektiert werden.

Andererseits werden zunehmend Anomalien entdeckt, die klinisch unbedeutend sind.

Eine unnötige Therapie kann dann sogar schädlich für den eigentlich gesunden

Menschen verlaufen. Vor großen ethischen Problemen steht man beispielsweise in der

umstrittenen Pränataldiagnostik. Intrauterine Erkrankungen können festgestellt und

sogar therapiert werden. Es besteht aber die Gefahr von unnötigen Eingriffen bei

gesunden Kindern und Schwangerschaftsabbrüchen. Inzwischen werden durch

gesetzliche Regelungen Grenzen vorgegeben. Ein weiteres Beispiel aus dem Alltag

verdeutlicht die Problematik: Bei einem älteren Mann wird bei einer

Routineuntersuchung eine benigne Nierenzyste entdeckt. Obwohl ihm der Arzt die

Gutartigkeit dieser Raumforderung versichert, ist der Patient fortan sehr verunsichert.

Er informiert sich über Nierentumoren und projiziert die entsprechenden Symptome

(Müdigkeit) auf sich. Diese Kasuistik soll zeigen, dass durch die modernen

diagnostischen Methoden Befunde erhoben werden, die klinisch unbedeutend sind.

Konsequenzen sind zum einen unnötige Behandlungen. Zum anderen entsteht für den

Patienten eine erhebliche psychische Belastung. Manche Betroffene können die

Befunde aufgrund des fehlenden medizinischen Fachwissens nicht richtig einordnen.

Ein Beispiel für eine sinnvolle moderne Diagnostik ist das Neugeborenenscreening auf

Hypothyreose und Phenylketonurie. Bei frühzeitiger Diagnose kann durch eine

günstige, nebenwirkungsarme Behandlung eine schwere Erkrankung mit starker

Behinderung verhindert werden. Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Fortschritt stets

kritisch begutachtet werden muss. Es steht außer Frage, dass die Forschung für die

Medizin essentiell ist. Sie ermöglicht weitaus bessere Krankheitserkennung und größere

Heilungschancen. Dennoch müssen die Indikationen für Diagnostik und Therapie in

jedem Fall genau geprüft werden. Überdiagnostik und Überbehandlungen sind zu

vermeiden.

Als dritte Hürde lassen sich in der Literatur unzählige Zeichen finden, die keine

klinische Relevanz haben. Sie sind nicht valide und können nicht zur Diagnosestellung

beitragen. Ein Beispiel ist der Geruch von schizophrenen Patienten. Die Sensitivität und

Spezifität konnte nicht bestimmt werden. Es bleibt fraglich, ob dieser angeblich

Page 84: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 77 -

charakteristische Geruch überhaupt existiert. In solchen Fällen ist es essentiell, sich

nicht in die Irre leiten zu lassen. Zeichen sollten deshalb immer kritisch geprüft werden.

Die vierte Hürde stellt die Ausbildung der Mediziner dar. Die Basis für die Anwendung

der medizinischen Semiotik ist ein fundiertes medizinisches Wissen. Heutzutage

wachsen die jungen Ärzte und Medizinstudenten mit den neuen diagnostischen

Methoden auf. Dadurch wird das Lernen einer guten klinischen Untersuchung und

Zeicheninterpretation bisweilen vernachlässigt. Auch die Lehre an den Universitäten

sieht wenig Raum für praktischen Unterricht vor. Eine mögliche Folge ist, dass die

Indikation für den Einsatz von diagnostischen Methoden nicht exakt gestellt wird. Das

Resultat ist eine Überdiagnostik. Das heißt, die vorhandenen Ressourcen werden an

falscher Stelle aufgebraucht. Das Ziel ist der sinnvolle Einsatz der Diagnostik bei

gegebener Indikation. Nur auf diesem Weg wird man in Zukunft mit den vorhandenen

Ressourcen haushalten können. Diesem Problem könnte mit Semiotik-Unterricht und

mehr praktischem Unterricht, wie Bedside-Teaching, vorgebeugt werden.

Die fünfte Hürde bei der Anwendung der medizinischen Semiotik ist das Problem der

gefühlten Sicherheit (Porzsolt et al. 2007). Patienten fühlen sich sicherer, wenn eine

(vermeintlich) objektive diagnostische Methode eingesetzt wird (Porzsolt 2007).

Diesem Ergebnis schenken sie großes Vertrauen. Ein Beispiel dafür sind

Meniskusverletzungen. Diagnostiziert der Arzt nur durch die körperliche Untersuchung

eine Meniskusläsion, ist dies für den Patienten meist unbefriedigend. Inzwischen fordert

die Mehrheit der „mündigen aufgeklärten“ Patienten ein MRT zur weiteren Abklärung.

Wenn auf dem MRT Bild eine Auffälligkeit gesehen wird, bedeutet dies für den

Patienten den Beweis für die entsprechende Erkrankung. Allerdings ist fast kein Patient

über die Grenzen und Fehlermöglichkeiten des MRT informiert.

Auf der anderen Seite steht die gefühlte Sicherheit der Ärzte. Insbesondere junge

Ärzte vertrauen ihrem klinischen Urteil manchmal nicht. Sie ordnen zur eigenen

Absicherung die Durchführung eines MRT an. Dabei spielt heutzutage auch die hohe

Bereitschaft der Patienten zu klagen eine Rolle. In den Medien wird immer häufiger von

Anklagen gegen Ärzte aus diversen Gründen berichtet. Unter anderem spielen dabei

komplikationsreiche Kniearthroskopien eine Rolle. Wenn in einem solchen Fall ein

Page 85: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 78 -

MRT Bild mit einer sichtbaren Läsion existiert, ist der Arzt abgesichert. Bei

dokumentierter klinischer Untersuchung ist der Sachverhalt schwieriger. Die hohe

Subjektivität der klinischen Tests kann für den Arzt nachteilig sein. Wichtig für die

Standardisierung der Untersuchung ist deshalb ein Evidenz-basierter Algorithmus. Aus

diesen Gründen ist es gewissermaßen verständlich, dass sich Ärzte durch

gesellschaftlich akzeptierte Methoden, wie das MRT, absichern. Dementsprechend

schwierig ist es, der körperlichen Untersuchung zu höherer Akzeptanz zu verhelfen.

Die sechste Hürde stellen irrationale Verhaltensweisen dar. Bei der Deutung von

Zeichen darf nicht übersehen werden, dass menschliche Individuen nicht vollständig

rational handeln (Goldberg & Nitzsch 2004). Erkenntnisse aus den – gemeinhin als sehr

rational angesehenen - Wirtschaftswissenschaften sollen dies verdeutlichen. Früher ging

diese Wissenschaft immer von dem Homo oeconomicus aus, das heißt von rationalen

menschlichen Entscheidungen (Raab 2006). Im Teilgebiet des Behavioural Finance

wurde Mitte der 90er Jahre wissenschaftlich nachgewiesen, dass menschliche

Entscheidungsträger Irrationalitäten unterliegen. Dies sind vor allem:

• Einstellungskonforme Informationen werden bevorzugt aufgenommen und

gespeichert.

• Bei der Verarbeitung von Informationen und bei Entscheidungen werden

einstellungskonforme Argumente übergewichtet und gegensätzliche Hinweise

untergewichtet.

Wie oben dargestellt sind medizinische Zeichen oftmals weiche Faktoren (Geruch,

Hautausschläge, etc.). Hat der behandelnde Arzt einen Verdacht auf eine Erkrankung,

wird er Zeichen hinsichtlich dieses Verdachts verstärkt suchen und aufnehmen.

Hingegen besteht die Gefahr, dass widersprüchliche Zeichen weniger zur Kenntnis

genommen und beachtet werden. Deshalb ist es eminent wichtig, dass diese

Verhaltensmuster behandelnden Ärzten bekannt sind. Die Aufnahme und Verarbeitung

von Zeichen muss sorgfältig und laufend hinsichtlich Eindeutigkeit und Vollständigkeit

geprüft werden.

Page 86: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 79 -

4.2 Bedeutung der Semiotik in der Medizin

4.2.1 Semiotik im klinischen Alltag

Die Aufgabe des Arztes ist es, medizinische Zeichen zu erkennen und diese zu

interpretieren. Er gibt ihnen dadurch eine Bedeutung. Die Basis für eine sinnvolle

Bewertung von Zeichen sind gute medizinische Kenntnisse. Folgende Aspekte müssen

grundsätzlich bei der Interpretation von medizinischen Zeichen beachtet werden:

• Kontext der Zeichen,

• Subjektivität der Aufnahme von Zeichen,

• Erfahrung des Arztes,

• Wahrscheinlichkeit / Krankheitshäufigkeiten.

Der erste wichtige klinische Aspekt ist die Betrachtung des Kontextes. Hierfür sind

eine vollständige Anamneseerhebung und die Beachtung von anderen klinischen

Auffälligkeiten von Bedeutung. Die Einordnung eines medizinischen Zeichens in seinen

Kontext kann Fehlinterpretationen und Fehldiagnosen vermeiden. Folgendes Beispiel

soll die Bedeutsamkeit von Kontext und medizinischem Wissen verdeutlichen. Drei

Patienten suchen ihren Hausarzt aufgrund eines tastbar vergrößerten Lymphknotens auf.

1. 17-jährige Patientin mit tastbarem LK am Hals

2. 47-jährige Patientin mit tastbarem LK in der Axilla

3. 67-jähriger Patient mit tastbarem LK inguinal

Allein durch diese Informationen kann ein erfahrener Arzt bereits eine Vermutung

äußern oder sogar eine Verdachtsdiagnose stellen.

1. 17-jährige Patientin: Infektiöse Mononukleose

2. 47-jährige Patientin: Mammakarzinom

3. 67-jähriger Patient: Leukämie/Lymphom

Der zweite wichtige klinische Aspekt ist die Subjektivität . „No matter its strength as an

indicator of illness, the sign does not speak; its meaning must be extracted by the

physician” (Burnum 1993, S. 940). Die Interpretation eines Zeichens durch den Arzt ist

Page 87: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 80 -

ein subjektiver Vorgang. Dieser hängt auch vom Wissensstand und den Fähigkeiten des

Arztes ab. Das Ziel der medizinischen Semiotik ist die möglichst objektive

Zeicheninterpretation. Durch standardisierte Untersuchungsabläufe und Evidenz-

basierte Algorithmen kann die Objektivität erhöht werden.

Der dritte klinische Aspekt ist die Erfahrung . Ein erfahrener Arzt identifiziert Zeichen

schneller und mit größerer Sicherheit als jüngere Kollegen. Er kann zu Recht stärker auf

seine klinischen Fähigkeiten vertrauen. Junge Ärzte müssen diese Fertigkeiten erst nach

und nach erwerben. Bei der Identifikation und Interpretation von Zeichen unterliegt

man den Grenzen der eigenen Erfahrung. „We cannot know that which we do not

already know and are unlikely to find that which we do not suspect“ (Burnum 1993, S.

940). Diese Erfahrung kann jedoch auch die persönliche Sichtweise prägen. Bei einem

Patienten mit retrosternalen Schmerzen kann bei Ärzten verschiedener Fachbereiche der

primäre Verdacht unterschiedlich sein:

1. Gastroenterologe: Refluxösophagitis

2. Kardiologe: Koronare Herzkrankheit (AP/ACS) oder Lungenembolie

3. Gefäßchirurg: Aortendissektion

4. Orthopäde: Wirbelsäulensyndrom

Aufgrund der Prägung der persönlichen Sichtweise sollte die Diagnosestellung und

Therapieentscheidung stets kritisch überprüft werden. Auch Ärzte haben die

menschliche Neigung, unbewusst die zur Diagnose passenden Ereignisse und Zeichen

stärker zu gewichten als die nicht passenden. Deshalb sollte auch ein erfahrener Arzt

sich selbst gegenüber kritisch bleiben. Nur dadurch lässt sich eine gute Behandlung

gewährleisten.

Der vierte klinische Aspekt ist die Wahrscheinlichkeit. Wichtig sind eine gute

Anamnese und die Kenntnis von Krankheitshäufigkeiten. Allgemein gilt: Häufiges ist

häufig und Seltenes ist selten. Je mehr übereinstimmende Zeichen vorhanden sind, desto

höher ist auch die Wahrscheinlichkeit für die entsprechende Erkrankung. Bei

entsprechenden Symptomen sollten stets die häufigsten Krankheitsbilder

ausgeschlossen werden, bevor mit einer differenzierten Diagnostik für seltene

Krankheiten begonnen wird.

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- 81 -

Von großer Bedeutung in der Praxis ist der Prozess der Zeicheninterpretation.

Wichtig ist die Kommunikation mit dem Patienten, um Zeichen zu erhalten, zu

bestätigen, zu widerlegen und möglichst vollständig zu erkennen. Im Laufe der

Untersuchung und der Behandlung entstehen immer wieder neue Zeichen. Diese

müssen wahrgenommen und mit der Verdachtsdiagnose abgeglichen werden. Ergeben

sich dabei Differenzen, muss die Verdachtsdiagnose kritisch überprüft werden. Hierbei

sollten sich die Mediziner ihrer Subjektivität bewusst sein. Ein Vorgehen in zwei

Schritten kann hilfreich sein. Zunächst sind Zeichen möglichst vollständig zu eruieren.

Erst nach der vollständigen Aufnahme von Informationen folgt die Bewertung anhand

einer möglichst objektiven Auswertung der Zeichen. Hierbei helfen die vier oben

genannten Aspekte. Bei Nichtbeachtung der geschilderten klinischen Aspekte ist der

Erfolg der medizinischen Semiotik gefährdet.

4.2.2 Ökonomische Aspekte der Semiotik

In der Medizin nehmen ökonomische Überlegungen zu, da der Bedarf an

Gesundheitsleistungen höher ist als die verfügbaren Ressourcen. Diese

Ressourcenknappheit wird sich in Zukunft aufgrund der überalternden Gesellschaft

weiter zuspitzen.

Die Kosten des Gesundheitssystems werden derzeit intensiv diskutiert. Tabelle 22 zeigt

die Entwicklung der Gesundheitsausgaben von 1995 bis 2008 (Statistisches Bundesamt

2008). Zum Vergleich wird die Entwicklung der Werte des Verbraucherpreisindexes im

selben Zeitraum dargestellt (Deutsche Bundesbank 2010). Der Verbraucherpreisindex

(VPI) „misst die durchschnittliche Preisveränderung aller Waren und Dienstleistungen,

die von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft werden. Er bildet die

Veränderung der Verbraucherpreise umfassend ab. […] Er ist ein Indikator für die

Beurteilung der Geldwertstabilität und wird als Inflationsmaßstab verwendet. Aus

diesem Grund wird die Veränderungsrate häufig als „Inflationsrate“ bezeichnet.“

(Statistisches Bundesamt 2003, S. 36).

Page 89: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 82 -

Tabelle 22: Vergleich der Gesundheitsausgaben in Deutschland mit dem Verbraucherpreisindex

(VPI) von 1995 bis 2008 (Deutsche Bundesbank (2010), Statistisches Bundesamt (2010)).

Jahr Gesundheitsausgaben Wert VPI

(Millionen €)

1995 186.322 87,4

2000 212.147 93,8

2005 239.736 101,0

2006 245.264 102,4

2007 253.349 105,6

2008 263.216 106,8

Die Gesundheitsausgaben in Deutschland sind von 1995 bis 2008 um 77 Mrd. € auf 263

Mrd. € angestiegen. Das bedeutet eine Zunahme der Kosten um 41 % in 13 Jahren. Dies

sind pro Jahr 2,69 %. Der Verbraucherpreisindex ist von 1995 bis 2008 um 22 %

angestiegen. Dies sind pro Jahr 1,55 %.

Zum Vergleich: Wären die Gesundheitsausgaben von 1995 bis 2008 mit der

Inflationsrate der allgemeinen Lebenshaltungskosten (1,55 %) angestiegen, hätten sie

im Jahr 2008 227.564 Mio. € betragen. Dies macht einen Unterschied von 35,7 Mrd. €

in einem Zeitraum von 13 Jahren.

Ursachen des überproportionalen Anstiegs sind unter anderem die älter werdende

Bevölkerung, gestiegene Verwaltungskosten und der medizinische und technische

Fortschritt. Im internationalen Vergleich ist der Anstieg der Gesundheitsausgaben in

Deutschland eher gering (Organisation for Economic Co-operation and Development

(OECD) 2009). Dies ist zurückzuführen auf Kostendämpfungsmaßnahmen wie

Budgetkürzungen, Bettenabbau in Krankenhäusern, Erhöhung von Zuzahlungen und

Outsourcing von Gesundheitsleistungen.

Aufgrund der zunehmenden Ressourcenknappheit werden künftig weitere Spar- und

Optimierungsmaßnahmen unvermeidbar sein. Eine Hierarchisierung von Leistungen

durch deren Bewertung entsprechend ihrem Nutzen wird essentiell sein (Porzsolt 2008).

Dies bedeutet nicht, dass sinnvolle und lebenswichtige Leistungen untersagt werden

sollen. Der Wert einer Leistung, nicht die Kosten, sollte die Basis für

Leistungsentscheidungen sein. Könnten Leistungen ohne oder mit nur sehr geringem

Page 90: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 83 -

Wert eingespart werden, würde dies eine enorme Entlastung des Gesundheitssektors zur

Folge haben. Es ist deshalb wichtig, dass Mediziner diesbezüglich weiter sensibilisiert

und geschult werden. Andernfalls werden in nicht all zu ferner Zukunft Politiker,

Krankenkassen oder andere Nicht-Mediziner über diese Problematik entscheiden. Ihre

Prioritäten werden dann die Kosten der Leistungen und nicht deren Nutzen sein.

Insgesamt bedeutet dies, dass „neben den Kosten […] die Effektivität und klinische

Relevanz einer Gesundheitsleistung ebenso wie die Validität ihrer wissenschaftlichen

Fundierung von Bedeutung“ sind (Porzsolt & Schreyögg 2009, S. 627). In Abbildung

19 ist das Modell von Porzsolt und Schreyögg zum Stellenwert der Kosten bei

unterschiedlichen Therapieoptionen dargestellt. „Wenn zwar die Effektivität, aber nicht

die Validität (ob auch tatsächlich zutrifft, was behauptet wird) zweier Therapieoptionen

ähnlich sind, wird kaum jemand das Risiko eingehen, unsicheren Daten zu vertrauen.

Die Bedeutung der Validität von Daten wird besonders deutlich, wenn das Risiko einer

irreversiblen Beeinträchtigung der Gesundheit, z.B. Tod oder Funktionsverlust,

reduziert werden kann“ (Porzsolt & Schreyögg 2009, S. 627). Bei gleicher Effektivität

und Validität sollte die kostengünstigere Variante bevorzugt werden. Bei

unterschiedlicher Effektivität muss die Entscheidung basierend auf der Validität der

bevorzugten Maßnahme getroffen werden.

Page 91: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 84 -

Abbildung 19: Modell zum Stellenwert der Kosten bei unterschiedlichen Therapieoptionen

(Porzsolt & Schreyögg 2009, S. 627). Die Wahl der Therapie bei unterschiedlichen

Therapieoptionen ist abhängig von der Effektivität (hellblau), der Validität (blau) und der

Kosten (gelb).

Dieses Modell für unterschiedliche Therapieoptionen kann übertragen werden auf den

Stellenwert der Kosten bei verschiedenen diagnostischen Methoden. Auch in der

Diagnostik spielen Effektivität, Validität und Kosten von Untersuchungsmethoden eine

zunehmende Rolle. Bei gleicher Effektivität und Validität zweier Methoden sollte die

kostengünstigere Variante bevorzugt werden. Ein zusätzlicher Aspekt in der Diagnostik

sind die Konsequenzen einer diagnostischen Maßnahme. Wenn schon vor der

Durchführung eines Tests erkennbar ist, dass unabhängig vom Resultat keine

Konsequenzen entstehen, ist der Nutzen fraglich.

An der Stelle zwischen Symptom des Patienten und Diagnose kann die bewusste

Berücksichtigung der Semiotik einen positiven Beitrag leisten. Durch das Erkennen und

die Interpretation von medizinischen Zeichen wird die gezielte Indikationsstellung für

die Diagnostik verbessert. Damit können zum einen die Kosten für unnötige Diagnostik

und überflüssige Therapien vermieden werden. Zum anderen kann dadurch die

Effektivität verschieden

Effektivität ähnlich

Validität der bevorzugten Option hoch

Validität der bevorzugten

Option gering

Validität der Optionen ähnlich

Validität der Optionen

verschieden

Entscheidung abhängig von Effektivität

Entscheidung abhängig von

Kosten

Entscheidung abhängig von

Kosten

Entscheidung abhängig von

Validität

Verschiedene Therapieoptionen

Page 92: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 85 -

psychische und physische Belastung der Patienten reduziert werden. Bei der Bewertung

von medizinischen Leistungen hat die Lebensqualität des Patienten einen großen

Stellenwert. Ist allerdings der Nutzen unterschiedlicher Interventionen identisch, sollte

die preiswertere Maßnahme gewählt werden.

4.2.3 Semiotik in der Ausbildung von Medizinstudenten

Die Semiotik spielt aktuell in der Ausbildung von Medizinstudenten keine Rolle. Die

meisten Studenten und jungen Ärzte kennen den Begriff „Semiotik“ nicht oder nur

vage. Deshalb wäre Semiotik-Unterricht beziehungsweise eine Einführung in die

Semiotik in der medizinischen Ausbildung sinnvoll. Dabei geht es weniger darum, die

einzelnen Zeichen zu unterrichten. Dies ist die Aufgabe des jeweiligen Fachgebiets. Das

Ziel wäre vielmehr, die Studenten auf den klinischen Alltag vorzubereiten. Den

angehenden Ärzten soll ein „Handwerkszeug“ mitgegeben werden, damit sie

medizinische Zeichen richtig anwenden und bewerten können.

Häufig ist die Validität und Zuverlässigkeit von medizinischen Zeichen und klinischen

Verfahren unklar. Statistische Auswertungen über die Erfolge und Misserfolge

unterschiedlicher Behandlungsverfahren liegen oftmals nicht oder nur eingeschränkt

vor. Durch klinische Studien kann das vorhandene Wissen herausgearbeitet und Vielen

zugänglich gemacht werden. Jedoch sind Mediziner teilweise nicht bereit, Studien

durchzuführen. Der frühe Kontakt mit der Semiotik und das Wissen um dessen Nutzen

kann die Bereitschaft zur Durchführung von Studien erhöhen.

Beispielhaft wurde die Diagnostik von Meniskusläsionen dargestellt. Hier vertraut man

oftmals auf bildgebende Verfahren und leitet daraus einen Handlungsbedarf ab. Von

den meisten Medizinern wird jedoch eingeräumt, dass nicht klar ist, ob durch das

bildgebende Verfahren bereits ausreichend Hinweise für eine therapeutische

Entscheidung geliefert werden. Wenn man allerdings eine klinische Studie zur Klärung

der Problematik vorschlägt, ist es sehr schwer, von den Klinikern Zustimmung zu

erhalten. Es wird als unethisch empfunden, das Überschreiten der Schwelle von

Page 93: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 86 -

Diagnostik zu Therapie zu überprüfen. Dadurch gestaltet es sich sehr schwierig, die

klinische Relevanz des bildgebenden Verfahrens herauszufinden. Es ist zu vermuten,

dass bei Medizinern mit semiotischen Grundkenntnissen die Bereitschaft ausgeprägter

wäre, bei Studien mitzuwirken.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der ökonomische Aspekt der Semiotik. Junge

Mediziner sollten von Beginn an lernen, die Diagnostik effektiv und gleichzeitig

effizient durchzuführen. Die Basis hierfür bildet neben dem fundierten medizinischen

Wissen das Grundwissen über Semiotik. Nur dann werden sie in der Lage sein, mit

knappen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen.

4.3 Schlussfolgerung

Das Bundesamt für Statistik berichtet über seit Jahren stetig ansteigende

Gesundheitsausgaben. Krankenkassen, alle Bürger, aber auch die Ärzte werden schon

heute mit den Auswirkungen über steigende Beiträge und eingeschränkte Budgets

konfrontiert. Deshalb werden in nicht allzu ferner Zukunft ökonomische Aspekte der

Medizin an Bedeutung gewinnen. Grundlegend für eine sinnvolle Diagnostik und eine

effiziente Therapie ist die körperliche Untersuchung. Durch die Interpretation von

medizinischen Zeichen können weitere diagnostische Methoden gezielt eingesetzt

werden. Überflüssige und kostspielige Diagnostik wird dadurch vermieden. Durch

Semiotikunterricht könnten Medizinstudenten auf den klinischen Alltag vorbereitet

werden. Sie würden von Beginn an lernen, die vorhandenen Ressourcen sinnvoll

einzusetzen.

Nicht zu vergessen sind die ethischen Aspekte. Diese sind zweifellos bedeutend. Die

Ethik spielt eine wichtige Rolle bei der Anwendung der medizinischen Semiotik. Die

ethischen Aspekte wurden hier jedoch nicht weiter berührt, da sie den Rahmen dieser

Arbeit gesprengt hätten.

Page 94: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

- 87 -

5 Zusammenfassung

Die medizinische Semiotik stellt einen wichtigen Teilbereich der Medizin dar. Im

schrittweise ablaufenden diagnostischen Prozess sind medizinische Zeichen das

Bindeglied zwischen den Symptomen des Patienten und der richtigen Interpretation und

Diagnosestellung.

Im ersten Teil der Arbeit wurden die Validität von drei ausgewählten medizinischen

Zeichen mittels Literaturrecherchen geprüft und Grenzen der Anwendbarkeit dieser

Zeichen aufgezeigt. Der Foetor hepaticus bestätigt sich als ein altes medizinisches

Zeichen. Da er nach heutigem Wissensstand erst im Spätstadium von

Lebererkrankungen auftritt, ist er zur Diagnostik ungeeignet. Ein charakteristischer

Geruch von schizophrenen Patienten konnte weder mittels Literaturrecherchen noch

über Anfrage bei spezialisierten Psychiatern bestätigt werden. Bei der Beurteilung von

Meniskusläsionen zeigte die routinemäßig durchgeführte Magnetresonanztomographie

(MRT) gegenüber der klinischen Untersuchung keinen Vorteil. Die Durchführung eines

MRT ist nur bei unklarem klinischem Befund oder bei komplexen Knieverletzungen

sinnvoll. Zu beachten sind die Unterschiede zwischen medialem und lateralem

Meniskus in der klinischen Untersuchung und im MRT. Unklar bleibt weiterhin, ob

durch die Nutzung des MRT Konsequenzen für die Therapie und das Outcome des

Patienten entstehen. Die neu entwickelte Fix-Flex-Studie wird diese Fragen

beantworten.

Im zweiten Teil wurde die generelle Bedeutung der Semiotik im klinischen Alltag

dargestellt. Dabei wurden Voraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung entwickelt

und Hürden hierzu erörtert. Für eine sinnvolle Anwendung der medizinischen Semiotik

ist eine gute medizinische Ausbildung obligat, in der zumindest ein Grundwissen an

Semiotik vermittelt wird. Hierdurch wird eine effektivere und effizientere Diagnostik

ermöglicht. Darüber hinaus könnte die Bereitschaft zur Durchführung von Studien

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- 88 -

erhöht werden, was wiederum das Wissen über Semiotik erweitert, die

Patientenversorgung verbessert und Behandlungserfolge sichert. Hürden der

erfolgreichen Anwendung der Semiotik sind veraltete oder falsch gedeutete Zeichen,

mangelnde Ausbildung und Erfahrung, die vermeintliche Sicherheit der apparativen

Medizin seitens der Patienten und die entsprechende Absicherung der Ärzte. Zudem

kann nicht davon ausgegangen werden, dass Ärzte bei der Deutung von Zeichen

vollständig rational agieren. Wie beispielsweise in den Wirtschaftswissenschaften

nachgewiesen, unterliegen selbst Spezialisten irrationalen Entscheidungsverhalten. Bei

nicht ausreichender Beachtung des Kontextes von medizinischen Zeichen kann dies den

Erfolg gefährden.

Die ökonomischen Aspekte werden in naher Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die trotz

Kostendämpfungsmaßnahmen seit Jahren im Vergleich zu der Inflationsrate

überproportional ansteigenden Gesundheitsausgaben sind auf Dauer nicht tragbar.

Schon heute werden Krankenkassen, Bürger und Ärzte mit den Auswirkungen über

steigende Beiträge und eingeschränkte Budgets konfrontiert. In absehbarer Zeit werden

weitere Optimierungsmaßnahmen, wie eine Hierarchisierung von Leistungen durch

deren Bewertung entsprechend ihrem Nutzen, unvermeidbar sein. Dabei müssen die

ethischen Aspekte und Problempunkte herausgearbeitet und berücksichtigt werden.

In dieser Arbeit wurde nachgewiesen, dass die medizinische Semiotik zu Unrecht im

medizinischen Alltag stark an Bedeutung verloren hat. Eine stärkere Sensibilisierung

der Ärzte und der Patienten auf medizinische Zeichen kann den Patienten die

Behandlung erleichtern, den Behandlungserfolg verbessern und Kosten einsparen.

Page 96: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

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Danksagung

Zunächst möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Franz Porzsolt für die Überlassung des

Themas dieser Arbeit und die Möglichkeit, diese in der Klinischen Ökonomik

durchführen zu können, bedanken.

Besonders danke ich Herrn Prof. Dr. Franz Porzsolt für die gute Betreuung und die

wertvollen Tipps während dieser Arbeit. Seine Anregungen und kritischen

Anmerkungen eröffneten mir zusätzliche Analyseaspekte, erweiterten dadurch meine

kritische Auseinandersetzung mit dem Thema und vertieften damit die Ergebnisse der

Arbeit.

.

Page 110: Bedeutung der medizinischen Semiotik und deren Hürden bei ...

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Lebenslauf

Der Lebenslauf ist in der Online-Version aus Gründen des Datenschutzes nicht

enthalten.