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Kapitel 10: Die Bedeutung der Neurobiologie für Ergotherapeuten

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Kapitel 10:Die Bedeutung der Neurobiologie für Ergotherapeuten

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EinführungNeurobiologische Prozesse werden in Zukunft in der Psychologie und in der Therapie eine herausragende Rolle spielen. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahre 2000 durch Craig Venter, der rasanten Entwicklung in der neurobiologischen Forschung und der fortschreitenden Entwicklung der bildgebenden Verfahren (Kernspinttomographie, Magent-resonanztomographie, etc.) ist es uns gelungen in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte zu erzielen, um die Funktionen des Gehirns in Bezug auf Wahrnehmen, Erleben und Handeln besser zu verstehen.

Craig J. Venter

Biochemiker, Pharmakologe, Unternehmer Craig J.

Venter

* 14. Oktober 1946 in Salt Lake City (US-Bundesstaat

Utah)

Craig Venter war in seiner Jugend passionierter

Wassersportler, was wohl den Entschluss, in die US

Navy einzutreten, bestärkt haben wird. Während

seines dreijährigen Dienstes im US Navy Medical

Corps verbrachte er auch ein Jahr in Vietnam. Die

ständige unmittelbare Auseinandersetzung mit

Gewalt, Verstümmelung und Tod bestärkten Venter,

Medizin zu studieren. 1967 nahm er an der University

of California in San Diego (Kalifornien) das

Medizinstudium auf, wobei er sich jedoch bald der

Fachrichtung Biomedizin zuwandte. Später belegte er

auch die Fächer Pharmakologie und Therapeutik mit

den Forschungsschwerpunkten Gene und Genome.

1975 schloss Venter sein Studium mit Auszeichnung

und dem Doktorgrad ab.

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Gene sind keine Autisten!Gene sind keine Autisten, also keine Eigenbrötler ohne Kontakt zur Außenwelt. Gene stehen in permanentem Kontakt zur Umwelt, um die Körperfunktionen an die jeweiligen Erfordernisse anpassen zukönnen. Jedes Gen hat Genschalter, die in der Fachsprache als Promoter und Enhancer bezeichnet werden. Von außen kommende Signale erzeugen eine Stimulation von Körperzellen, die u. a. dazu führen, dass im Inneren der Zelle Signalstoffe (so genannteTranskriptionsfaktoren) aktiviert werden, die an Genschalter binden, wodurch die Aktivität der nachgeschalteten Gene erhöht oder erniedrigt werden kann. Die Fähigkeit des Körpers, die Aktivität seiner Gene an die momentane Situation bzw. an die jeweiligen Umweltbedingungen anzupassen, wird als Genregulationbezeichnet.Zwischenmenschliche Erfahrungen und psychische Prozesse werden vom Gehirn in biologische Signale, z.B. in die Ausschüttung von Nervenbotenstoffen, umgewandelt. Botenstoffe des Gehirns sind in der Lage, sowohl Im Gehirn selbst als auch im Körper zahlreiche Gene zu regulieren. Obwohl diese Zusammenhänge bereits seit einiger Zeit grundsätzlich bekannt sind, konnte eine deutsch-amerikanische Forschergruppe um Angelika Bierhaus und Clemens Kirschbaum kürzlich den ultimativen Nachweis dafür erbringen, dass psychosozialer Stress direkt Transkriptionsfaktoren aktivieren und dieGenaktivität regulieren kann.

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Gene - Genexpression

Kandel (1998) weist auf zwei unterschiedliche Funktionen von Genen hin:

Template sind die „Schablonen“, sie enthalten die genetischen Informationen zur Synthese spezifischer Proteine und werden allenfalls durch selten auftretende Spontanmutationen verändert

Von den vorhandenen Genen in einer Zelle wird aber nur ein kleiner Teil zur Synthese von Proteinen abgelesen (transkriptorische Funktion). Ob ein Gen abgelesen wird (Genexpression) wird im hohen Maße von Umwelteinflüssen bestimmt. Diese Umwelteinflüssen führen zur Bildung präsynaptischer Verbindungen zwischen den Nervenzellen., es kann aber auch bei entsprechenden Umwelten zur Verminderung synaptischer Verbindungen kommen.

Die alte nature – nurture Diskussion ist daher weniger bedeutsam, vielmehr die Tatsache wie finden die Gene unter welchen Umweltbedingungen ihren Ausdruck (Genexpression).

Somit bestimmen zwar zum einen die Gene unser Leben, aber nur inwieweit sie eben unter den Umweltbedingungen zum Ausdruck kommen und wie schon oben angeführt, wird nur ein sehr kleiner Teil der Geninformationen gelesen.

Huether betont, daß es lebenslang auch nach Abschluß der Hirnreife zu adaptiven Modifikationen und Neuorganisationen von neuronalen Verbindungen kommt, die vom Gebrauch abhängen.

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Gene – Genexpression Beispiele

Hofer (1984) konnte nachweisen, daß verdeckte Regulatoren (Wärme, Nahrung, taktile Stimulation) bei ungestörter Aufzucht von Mäusen nicht direkt erkennbar waren. Bei Wegfall dieser Regulatoren kommt es jedoch zu lebenslangen Regulationsstörungen und zu einer verstärkten Neigung gegenüber Stressoren psychosomatisch zu erkranken.

Im Anschluß an einige Pionierarbeiten von Levine (1957) wurde nachgewiesen, daß längere Trennung von der Mutter (3-6 Std. über 2 Wochen) bei neugeborenen Nagern zur Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HHN) führt. Es kommt zu einer vermehrten Genexpression von CRF (Corticotropin Releasing Factor) in Hypothalamus und Amygdala, was die Kaskade von Stressreaktionen in Gang setzt. Auch als diese Tiere ausgewachsen waren, kam es selbst unter geringen Belastungen (z.B. Luftstoß) zu überschießender Kortisolausschüttung, verglichen mit anderen Tieren, die diese Belastung nicht hatten. Frühe längere Deprivation führt somit zu einer Genexpression von übermäßigen Streßreaktionen. Diese sind wiederum verantwortlich für die Schädigung weiterer Systeme (Hippokampus, Herz-Kreislaufsysteme etc.).

Kurzzeitige, wiederholte Trennungen führen hingegen zu einer Intensivierung des mütterlichen Pflegeverhaltens, was sich später in einer abgeschwächten Kortisol-(Stress-) reaktion zeigt.

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Neurone

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SpiegelneuroneSchlüssel zur menschlichen Empathie und Ko-Kreativität

1996 machte die Forschergruppe um Rizzolatti eine der bedeutendsten Entdeckungen in der modernen Neurobiologie: Die Spiegelneurone (mirror neurons). In einem ersten Buch in deutscher Sprache schreibt J. Bauer hierzu:

„Zur Wahrnehmung und inneren Abbildung anderer Menschen setzt das Gehirn dieselben Programme ein, mit denen es sich auch sein Bild von sich selbst modelliert: Untersuchungen am Tier sowie Studien mit modernen bildgebenden Verfahren am Menschen zeigen,

dass das Gehirn die eigene Person durch Programme für Handlungssequenzen (untere prämotorische Hirnrinde), für Körperempfindungen (untere parietale Rinde) und für emotionale Gefühle (vorderer Gyrus cinguli, Mandelkern) repräsentiert. Die

Beobachtung eines handelnden anderen aktiviert im Gehirn des Beobachters - im selben Moment - nicht nur die gleichen, sondern teilweise dieselben Netzwerke, die in Aktion träten, wenn der Beobachter selbst die Handlung vollzöge, die soeben vom Beobachteten vollzogen -wird. Entsprechende Resonanzen zeigen auch die für Körperempfindungen und Emotionen zuständigen neurobiologischen

Systeme. Dies bedeutet, dass sich das Gehirn eines inneren Simulationsprogramms bedient, wenn es einen anderen Menschen wahrnimmt. Er wird mit den gleichen Systemen modelliert wie die eigene Person. Dieser durch Spiegelnervenzellen vermittelte Vorgang läuft vorgedanklich, vorsprachlich und spontan ab. Er ist die neurobiologischc Grundlage für intuitives Wahrnehmen und Verstehen. Da dieser Mechanismus allen Menschen eigen ist, stellt das System der Spiegelnervenzellen ein überindividuelles neuronales Format dar, durch das ein gemeinsamer zwischenmenschlicher Bedeutungsraum erzeugt wird. Da der Inhalt dieses gemeinsamen menschlichen

Bedeutungsraumes Programme für alle typischen, erfahrungsgemäß auftretenden Sequenzen des Handelns und Empfindens innerhalb der eigenen Spezies enthält, bildet er zugleich auch die intuitive Basis für das Gefühl einer - im großen Ganzen - berechenbaren,

vorhersagbaren Welt. Da darin auch die Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit des Verhaltens anderer Menschen eingeschlossen ist, stellt der durch das System der Spiegelnerone gebildete »shared meaningful intersubjective space« auch die Basis dessen dar, was wir

(Ur-)Vertrauen nennen.

Einsichten, die sich aus der Erforschung der Spiegelneurone ergeben, reichen über die Neurobiologie und die Medizin hinaus. Dazu gehört die Erkenntnis, dass sämtliche mentalen Operationen letztendlich auf Erfahrungen beruhen, die wir als handelnde körperliche Wesen machen. Die Modelle der Welt (bzw. ihrer Objekte), die unser Gehirn entwirft, bestehen aus Programmen, die Handlungen,

Interaktionen und Empfindungen biologischer Akteure beschreiben. So elaboriert die Schlussfolgerungen sein mögen, die wir daraus auf verschiedenen Abstraktionsebenen ableiten, so sehr sind es doch die Erfahrungen handelnder, lebender Körper, welche die Grundlage

aller Überlegungen und Konzepte sowie - durch die Spiegelneurone in den intersubjektiven Raum gehoben - die Basis für Intersubjektivität und für alle darin möglichen Verstehensprozesse darstellen. Was bilden diese Verstehensprozesse ab? Sie bilden

Sequenzen von Handlungen, Empfindungen und Interaktionen ab. Die Subjekte dieser Handlungen und Interaktionen sind die belebten Körper, lebende Akteure.“

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Synapsen

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Erregungsübertra-

gung

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Neurotransmitter

Es gibt zwei grundverschiedene Arten von Neurotransmitterrezeptoren. Bei den einen (den so genannten ionotropen Glutatmatrezeptoren) führt der Transmitter selbst direkt zur Öffnung oder Schließung des lonenkanals. Dieser Vorgang erfolgt innerhalb von Millisekunden. Das sind vor allem die (erregenden) AMPA-Rezeptoren und die (hemmenden) GABA-Rezeptoren. Diese sind, ebenso wie die zugehörigen Transmitter, das Glutamat und die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), überall im Gehirn verbreitet. Diese Rezeptoren sind vor allem an Prozessen beteiligt, die sich sehr schnell abspielen müssen. Zusammen mit den elektrischen Synapsen, die sich ebenfalls für eine sehr schnelle Erregungsübertragung eignen - auf diese gehe ich hier der Einfachheit halber nicht ein - sind diese Rezeptoren Grundlage für schnell ablaufende neuronale Prozesse, also wenn uns Gedanken durch den Kopf gehen, wenn wir schnell auf ein Geräusch reagieren, wenn wir Sätze formulieren usw. Sie sind gewissermaßen die Arbeitspferde des Gehirns. Sie verändern nicht längerfristig die Übertragungsbereitschaft der Synapsen, sondern nutzen die bestehende.

Es gibt noch einen wichtigen anderen erregenden Glutamat-Rezeptortyp, den NMDA-Rezeptor. Er reagiert langsamer als die anderen beiden ionotropen Rezeptoren, weil der lonenkanal beim Ruhepotenzial der Membran durch Magnesium blockiert ist und sich erst dann öffnet, wenn eineDepolarisation der postsynaptischen Membran erfolgt ist. Die Öffnung des NMDA-Ionenkanals setzt also eine vorherige Aktivierung der postsynaptischen Nervenzelle durch anderweitige Erregung voraus. Erst dann kann Kalzium in die Zelle einströmen (s. Abbildung 2.4 unten).

Dieses Kalzium aktiviert dann einen zellinternen Botenstoff, einen „Second Messenger", der seinerseits eine Abfolge chemischer Reaktionen in Gang bringt, die schließlich in einer selektiven Verstärkung der Übertragungsbereitschaft der an dieser spezifischen Erregung beteiligtenSynapsen resultiert. Man spricht hier von Langzeitpotenzierung

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Neurotransmitter – Schlußfolgerungen für die Ergotherapie 1

Stellen wir uns vor, was während eines Therapiegespräches an den Synapsen des Patienten geschieht. Dass der Patient den Ausführungen und Fragen des Therapeuten folgen kann und sich selbst mit eigenen Anliegen, Ideen und Vorstellungen am Gespräch beteiligt, liegt an den AMPA-Rezeptoren. Sie ermöglichen eine blitzschnelle Erregungsübertragung an den zuvor schon genügend gut gebahnten Synapsen. Je mehr sich das Gespräch in den gewohnten Bahnen des Patienten bewegt, umso leichter kann er dem Therapeuten überall hin folgen und sich am Gespräch beteiligen. Während sich Patient und Therapeut gemeinsam in diesen Bahnen bewegen, gibt es allerdings überhaupt keine langfristigen Veränderungen an den Synapsen. Das Gespräch kann hin- und hergehen und beiden interessant und wichtig erscheinen, aber zu längerfristigen Veränderungen führt dieses Geschehen nicht. Viel Zeit wird in Therapien häufig in AMPA-Gesprächen, wie man sie nennen könnte, verschwendet. Das korrespondiert mit den Befunden von Schulte-Bahrenberg und Schulte (1993) und Schulte (2003), dass häufiger Ziel- und Methodenwechsel in den Therapiesitzungen seitens des Therapeuten mit schlechtem Therapieergebnis einhergeht.

Veränderung erfordert, dass Synapsen, die noch nicht gut gebahnt sind, über möglichst lange Zeit hin immer wieder so oft und intensiv wie möglich aktiviert werden. Wenn man sich die Veränderung von dem Gespräch selbst erwartet, kann man sie nur damit erreichen, dass man an einem Problem dranbleibt, es wirklich intensiv von allen Seiten bearbeitet, damit immer wieder die an den problematischen neuronalen Schaltkreisen beteiligten Neurone aktiviert werden. Erst dann werden die NMDA-Rezeptoren geöffnet und es kann eine „Second Messenger" Kaskade in Gang kommen. Das in Gang kommen einer solchen Kaskade wird sehr unterstützt, wenn gleichzeitig Dopaminrezeptoren aktiviert werden. Das werden sie dann, wenn beim Patienten in diesem Moment wichtige Ziele aktiviert sind (Motivation: auf die er Lust hat). Die Bearbeitung eines Problems sollte daher immer im Dienste eines wichtigen, aktuell aktivierten Annäherungsziels des Patienten stehen. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wenn also hauptsächlich der Therapeut ein Ziel verfolgt und das Engagement für dieses Ziel eher auf seiner Seite ist, oder wenn der Patient sich nur halbherzig oder sogar widerstrebend an der Bearbeitung eines Problems beteiligt, können keine Langzeitbahnungen im Sinne des angestrebten Ziels erwartet werden. Diese aus den Vorgängen bei der Erregungsübertragung an den Synapsen abgeleitete Schlussfolgerung stimmt gut überein mit dem Ergebnisstand der Psychotherapieprozessforschung (Orlinsky, Grawe & Parks, 1994; Smith & Grawe, 2000, in Druck a. Wenn es in einer Therapie nicht gelingt, wichtige Annäherungsziele des Patienten zu aktivieren und sie zum Motor des Veränderungsprozesses zu machen, sollte man die Behandlung des betreffenden Problems lieber sein lassen.

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Neurotransmitter – Schlußfolgerungen für die Ergotherapie 2

Wichtig ist auch, dass der Schwerpunkt einer Therapie nicht zu sehr und zu lange auf der Thematisierung und Aktivierung von Problemen liegen darf. Die Fest-stellung und Analyse von Problemen sind nur insoweit produktiv, als sie der Vorbereitung verändernder Interventionen dienen. Es sollen ja Veränderungen in positive Richtung gebahnt werden. Es müssen neue neuronale Erregungsmuster herausgebildet werden. Der Schwerpunkt muss also ganz überwiegend auf der Veränderung des Problems liegen, auf der Herausbildung neuer Gedanken, Verhaltensweisen und Emotionen. Diese Aktivierung der neuen neuronalen Erregungsmuster muss möglichst oft wiederholt werden, sonst werden die neuen neu-ronalen Verbindungen nicht fest genug gebahnt. Wenn sich die Therapie zu sehr oder zu lange mit der Feststellung und Analyse von Problemen aufhält, werden keine neuen, positiveren neuronalen Erregungsmuster ausgebildet. Auch dies stimmt mit den Ergebnissen unserer eigenen Prozessanalysen gut überein (Smith & Grawe, in Druck b; Gassmannn &Grawe, zur Veröffentlichung eingereicht).

Mitnehmen können wir aus dieser spezifischen Perspektive auf jeden Fall die Schlussfolgerung, dass dauerhafte Bahnungen neuer Erlebnis- und Verhaltensweisen auf neuronaler Ebene eine konzentrierte, länger anhaltende Herstellung und Auf-rechterhaltung eben dieser Erlebnis- und Verhaltensweisen erfordern, die neu oder besser gebahnt werden sollen. Weil diese neuen Erlebnis- und Verhaltensweisen eben noch nicht genügend gebahnt sind, treten sie nicht von alleine auf, sondern müssen vom Therapeuten in Gang gebracht und aktiv unterstützt werden. Das erfordert eine gezielte Lenkung des Therapiegeschehens durch den Therapeuten, und um gezielt lenken zu können, muss der Therapeut eine klare Vorstellung davon haben, was er bahnen will. Eine Therapiesitzung mit der Haltung „mals sehen, was der Patient heute bringt“, und es so laufen lassen, wie es sich ergibt, ist für die langfristige Bahnung neuer neuronaler Erregungsbereitschaften eine verlorene Therapiesitzung.

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Limbisches System –unser emotionales Zentrum für emotionale Intelligenz

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Limbisches System

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Thalamus

Der Thalamus besteht aus

mehreren Gruppen von

Zellkörpern und Fortsätzen,

die zum Großteil als

Schaltstellen oder

Assoziationszentren arbeiten.

Es ist ein einfaches Konzept,

das die eingehenden

Informationen aus den

Sinnesorganen ordnet und an

die Amygdala, präfrontaler

Kortex u.a. Systeme

weiterleitet.

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Hypothalamus

Der Hypothalamus ist das

grundlegende Kontrollzentrum für

biologische Grundfunktionen wie

Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme,

Sexualverhalten, Schlaf- und

Wachzustand, Temperatur- und

Kreislaufregulation, Angriffs- und

Verteidigungsverhalten und für die

damit verbundenen „angeborenen"

Trieb-und Affektzustände.

Entsprechend seinen Funktionen ist

der Hypothalamus mit nahezu allen

anderen Teilen des Gehirns

verbunden.

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Hippocampus

Der Hippokampus ist der Organisator des

bewusstseinsfähigen, deklarativen Gedächtnisses.

Die Speicherung des Wissens findet nicht im

Hippokampus und im EPPC selbst statt, sondern

modalitäts- und funktionsspezifisch in den

verschiedenen Rindenarealen. Entsprechend

befindet sich das visuelle Gedächtnis in den

visuellen Kortexregionen, das auditorische

Gedächtnis in den auditorischen Arealen, die

sprachlichen Erinnerungen in den Sprachzentren

usw. Eine bilaterale Zerstörung des Hippokampus

führt zu zeitlich begrenzter retrograder Amnesie,

das heißt zum Verlust von Teilen des

Altgedächtnisses, sowie zur anterograden Amnesie,

das heißt zur Unfähigkeit, neue Inhalte in das

deklarative bzw. semantische und episodische

Gedächtnis einzufügen. Für diese Patienten ist alles

neu, was ihnen nicht seit langem bekannt und

„eingeschliffen" ist.

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AmygdalaDie Amygdala nimmt anatomisch wie funktionell die entscheidende

Rolle bei der Produktion und Steuerung von Emotionen ein. Sie wird

als das Zentrum der furcht- und angstgeleiteten Verhaltensbewertung

angesehen; Verletzungen der Amygdala führen zum Fortfall der Furcht-

oder Angstkomponente beim Erleben von Geschehnissen.

Die Amygdala unterhält direkte oder über den mediodorsalen Thalamus

ziehende rückläufige Verbindungen mit dem assoziativen Kortex, und

zwar vornehmlich mit dem orbitofrontalen, temporalen und zingulären

Kortex. Allgemein sind die von der Amygdala zum Isokortex

verlaufenden Bahnen stärker als die Bahnen in umgekehrter Richtung.

Direkt bzw. mittelbar über den Hypothala-mus wirkt die Amygdala auf

das gesamte hormonale und vegetative System ein, beispielsweise durch

Aktivierung des sympathischen und parasympathischen Sys-tems

(vegetative Reaktionen) und durch Akti-vierung des dopaminergen,

noradrenergen und cholinergen Systems (Erhöhung des Wach-

heitszustandes und der Verhaltensbereit-schaft), der Kreislauf- und

Atemfunktionen, der Gesichtsmimik, der Verteidigungs- und

Fluchtreaktionen und der Ausschüttung von Kortikosteroiden bei der

Stressreaktion (über Hypothalamus, Hypophyse und

Nebennieren-rinde).

Die Amygdala stellt zugleich das Verbindungszentrum zwischen

erlernter (d. h. konditionierter) und angeborener Furcht einerseits und

den damit verbundenen autonom-vegeta-tiven Reaktionen andererseits

dar, indem in ihr sensorische Informationen (über den Thala-mus

einlaufend) und kontextuelle Gedächtnis-inhalte (über die

Hippokampusformation) über bestimmte negative Ereignisse mit den

genannten angeborenen vegetativen und af-fektiven Furchtreaktionen

verbunden werden. Von einer Reihe von Autoren wird die Beteili-gung

der Amygdala auch an nicht furchtbe-dingten oder gar positiv besetzten,

appetitiven Zuständen beim Lernen angenommen, insbe-sondere im

Zusammenhang mit der Nahrungs-aufnahme (Rolls 1999).

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Amygdala

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Amygdala und Hippocampus

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Stress – Wirkung auf Hippocampus, Amygdala u.a. Systeme

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Gedächtnissysteme

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Langzeitgedächtnissysteme

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GedächtnissystemeErläuterung

Anschaulich lassen sich die unterschiedlichen Gedächtnissysteme bei Hirnschädigungen nachweisen: Dem legendären Patienten H. M. wurden in den 5oer-Jahren wegen einer schweren Epilepsie beidseits Teile des vorderen Temporallappens entfernt. Der Patient entwickelte eine schwere anterograde Amnesie, d. h. er konnte keine neuen, stabilen Erinnerungen bilden. Bei genauer Analyse zeigte sich aber, dass er sehr wohl in der Lage war, neue motorische oder Wahrnehmungsfähigkeiten zu erlernen (z, B. visuelle Muster zu vervollständigen), obgleich ihm die Aufgabenstellungen bei jeder "Präsentation neu

und unbekannt erschienen. Die Abb. gibt eine Übersicht über die wichtigsten Systeme des Langzeitgedächtnisses und zugrunde liegende anatomische Strukturen (zum Kurzzeitgedächtnis, s. Mar-kowitsch 2000).

Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen dem deklarativen oder expliziten und dem prozeduralen oder impliziten Langzeitgedächtnis. Dasdeklarative Gedächtnis umfasst Gedächtnisinhalte, die bewusst erinnert und sprachlich berichtet werden können. Hierzu zählen Episoden,

Ereignisse in einem räumlichen und zeitlichen Kontext, auf denen das autobiographische Gedächtnis beruht und personen-, orts-undkontextunabhängiges Wissen und Fakten, nach Roth (2001) auch das (weitgehend automatisierte und vergleichsweise ungenaue) Bekanntheits- oder Vertrautheitsgedächtnis. Wie sich bei amnestischen Störungen (Patient H. M.) zeigt, werden bei der Schädigung des mittleren Temporallappens kürzer zurückliegende Erinnerungen stärker beeinträchtigt als länger zurückliegende. Tierexperimentelle Studien stützen die Schlussfolgerung, dass der Hippokampus und benachbarte Strukturen für die allmähliche Neuorganisation und Konsolidierung von Erinnerungen in der Großhirnrinde zuständig sind (z. B. durch Schaffen von Verbindungen zwischen separaten Speicherplätzen für Teile der gespeicherten Episode), bis diese schließlich unabhängig von den temporalen Strukturen werden. Die lange, erforderliche Zeitdauer (bis zu Jahren) lässt vermuten, dass kortikale synaptische Verbindungen geschaffen oder verändert werden müssen (zugrunde liegende zelluläre Mechanismen, z. B. Liggan u. Kay 1999). Bewusste Erinnerungen sind gegen Ende des Kleinkindalters um 2 Jahre zu beobachten; die erforderliche Hirnreifung setzt sich aber im Vorschulalter fort, so dass Erwachsene meist wenige Erinnerungen vor dem 5. Lebensjahr berichten können (Clyman 1991).

Die impliziten Gedächtnissysteme sind im Unterschied zu den expliziten unabhängig von bewusster Erinnerung. Gedächtnis wird - wie im Fall von H. M. - aus rascherer oder fehlerfreierer Leistung bei bestimmten Aufgaben erschlossen; Erinnerungen an frühere Erfahrungen, auf der diese beruhen, sind nicht erforderlich und können sogar störend sein (wenn wir beim Klavierspielen darüber nachdenken, wie unsere Finger diese Aufgabe erlernten und nun erfüllen). Im Unterschied zum deklarativen Gedächtnissystem beginnen wir kurz nach Geburt Prozeduren zu lernen, die lebenslang erhalten bleiben.

Hier geht es also weniger um Inhalte, sondern um das „WIE" des Erlernten, anschaulich bei Fähigkeiten wie z. B. Radfahren, die nach Training „automatisch" ausgeübt werden. Auch gehen Gewohnheiten auf anfänglich bewusst durchgeführte Handlungen zurück, die schließlich so automatisiert ablaufen, dass wir uns ihrer erst - und nicht selten - peinlich bewusst werden, wenn wir darauf durch eine nahestehende Person darauf aufmerksam gemacht werden. Priming findet beispielsweise dann statt, wenn das bloße Betrachten von Wörtern ohne eine spezifische Instruktion zu einem schnelleren und sicheren Wiedererkennen führt, ohne dass die ursprünglichen Wörter bewusst aufgenommen oder erkannt wurden. Klassische Konditionierung, die Koppelung von emotionalen Reaktionen mit

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GedächtnissystemeErläuterung 2

Hinweisreizen, läuft ebenfalls weitgehend unbewusst ab. Typischerweise setzt der Konditionierte Stimulus (CS, z. B. ein Ton) wenige hundert Millisekunden vor dem Unkonditionierten Stimulus (UCS, Luftstoß) ein, und beide enden gleichzeitig. Die Konditionierte Reaktion (CR, Lidschluss) erfolgt schließlich alleine auf den Ton hin, ohne dass sich die Versuchsperson der erfolgten Konditionierung bewusst ist. Klinisch relevant sind Experimente zur präattentiven Verarbeitung von Angstsignalen (Williams et al. 1996): Diese können auch bei unterschwelliger Präsentation physiologische Veränderungen herbeirufen (Aktivierung der Amygdala, Veränderung der Hautleitfähigkeit), obgleich die Vp. sie nicht bewusst wahrgenommen hat. Nichtassoziatives Lernen bezieht sich auf Gewöhnung (Habituation) oder Sensibilisierung (verstärkte Reaktion bei wiederholter Darbietung). Bei den verschiedenen Formen des impliziten Gedächtnisses spielen v. a. folgende Hirnstrukturen eine wesentliche Rolle (Abb. i): Striatum beim Erlernen von Fähigkeiten und dem Erwerb von Gewohnheiten, Bereiche des Neokortex bei Primingund Wahrnehmungslernen, Amygdala bei klassischer Konditionierung emotionaler Reaktionen, das Kleinhirn bei klassischer Konditionierung der Skelettmu-kulatur, nichtassoziative Lernvorgänge bedienen sich der Reflexbahnen (Squire u. Knowlton 2000).

Neueren Erkenntnissen der Säuglingsforschung zufolge entwickeln sich wesentliche Beziehungsmuster bereits in den ersten 2-3 Lebensjahren (Beebe et al. 2000), bevor explizite Gedächtnissysteme zur Funktionsfähigkeit herangereift sind, und sie beeinflussen nachhaltig spätere Beziehungserfahrungen. Die beschriebenen Tierexperimente zeigen, wie unzulängliche frühe Beziehungserfahrungen bei Säugetieren zu nachhaltigen Störungen der emotionalen und physiologischen Selbstregulation führen. Für Menschen stellen implizite Gedächtnissysteme vermutlich ebenfalls neurobiologische Bindeglieder zwischen defizitären Beziehungserfahrungen, maladaptiven Bindungsmustern und gestörter Affektregulation dar. Das implizite Gedächtnissystem erzeugt aus großen Mengen von komplexen Beziehungsinformationen Prototypen und Regeln. Diese können z. B. in Anlehnung an Kernberg (1988) als Objektbeziehungsrepräsentanzen (bestehend aus Selbstrepräsentanz, Objektrepräsentanz und Affekt) verallgemeinert werden oder nach Horowitz (1989) als Rollen-Beziehungs-Modelle. Frühe, prägende Erfahrungen werden somit vor der Ausbildung des autobiographischen Gedächtnisses abgespeichert und getrennt von diesem. Dabei sind auchdiese Objektbeziehungsmodelle nicht „objektive" Abbildungen von Erfahrungen, sondern werden abhängig vom psychobiologischen Gesamtzustand des Organismus verarbeitet.

Ob Ereignisse längerfristig erinnert werden, hängt - wie lange bekannt ist -maßgeblich von deren emotionaler Bedeutung ab. Die Aktivierung der Amygdala durch Stresshormone (Adrena-lin/Noradrenalin, Kortikoide) fördert die Konsolidierung emotionaler Erinnerungen in anderen Gehirnarealen (McGaugh et al. 2000).

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Neuronale PlastizitätNeuronale Plastizität bezeichnet das funktionsabhängige Wachstum, aber auch die Selektion und Differenzierung von Axonen, Dendriten undsynaptischen Verbindungen, dass heißt die strukturelle Veränderung neuronaler Netze. In dieser funktionsabhängigen Plastizität besteht eine

wesentliche Grundlage für Lernen und Gedächtnis. Wachstum und Differenzierung des Gehirns sind nicht nur genetisch determiniert, sind nicht nur das Resultat phylogenetischer Evolution, sondern auch ein Produkt individueller Erfahrung (Epigenese). Der Grad der neuronalen

Plastizität ist offenbar in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich groß, wobei für viele neuronale Funktionen die prägenden und sensitiven Phasen in der frühen Kindheit liegen. Zudem stellen erste Erfahrungen mit den jeweiligen Aktivitäten und insbesondere mit

sozialen Beziehungen und Interaktionen die Weichen für die neuronalen Grundlagen späterer Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster (z. B.Welzer u. Markowitsch 2001). Gabbard (2000) liefert mehrere Beispiele für die modifizierende Wirkung emotionaler kommunikativer

Erfahrungen auf Prozesse der Genexpression. Allerdings scheinen es weniger einmalige Situationen zu sein, sondern Ereignisketten und längerfristige Erfahrungen (z.B. in der Mutter-Kind-Beziehung), welche die Netzwerke stabilisieren und die weitere neuronale Plastizität

restringieren (Schore 2000; Harkness u. Tucker 2000; Braun u. Bogerts 2001; Schiffelholz u. Alden-hoff2001).

Nicht nur Anatomie und Phylogenese, sondern auch individuelle Erfahrungen bilden die Einschränkungen und Randbedingungen der neuronalen Selbstorganisation. Für die Praxis der Ergotherapie dürfte es von entscheiden-der Bedeutung sein, zu erfahren, unter welchen

Aktivitätsbedingungen und bei welchen neurohumoralen und neuromodu-latorischen Zuständen die neuronale Plastizität, das heißt dieSelbstorgani-sationsfähigkeit des Gehirns in welcher Weise veränderbar ist.

Bedingungen und Grenzen der neuronalen Plastizität

Trotz der intensiven Diskussion prägender Phasen in der Gehirnentwicklung muss eine Umorganisation auch im Erwachsenenalter nicht notwendigerweise unmöglich sein. Die neuronale Plastizität bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten, sonst wäre Ergotherapie und jede Form von Lernen ein hoffnungsloses Unterfangen. Kortikale Landkarten (maps) können sich auf der Grundlage neuer und bedeutsamer

Erfahrung auch im erwachsenen Gehirn umorganisieren (Recanzone et al. 1992), allerdings scheint dies an bestimmte Bedingungen geknüpft zu sein. Da eine Umorganisation neuronaler Netze und sy-naptischer Verbindungen bestimmte sensorische und motorische

Aktivitäten erfordert, müssen diese Aktivitäten natürlich in irgendeiner Form auch realisiert werden (können und wollen). Dies aber setzt bestimmte motivationale Zustände und Arousal-Grade voraus.

Wenn die Selbstorganisation des Gehirns in seinen sensiblen Entwicklungsphasen intensivierte Energieflüsse beansprucht (Schore 2000), dann ist dies konsequenterweise wohl auch in Phasen der Umstrukturierung neuronaler Netze im Erwachsenenalter, speziell während stark

emotional gefärbter Lernprozesse zu erwarten. Sauerstoffverbrauch und Blutfluss, wie sie mittels PET und fMRT erkennbar sind, sollten daher geeignete Indikatoren und Lokalisierungshilfen für die Identifikation veränderungsaktiver Bereiche sein. Während kritischer Perioden

der neuronalen Differenzierung und Komplexitätsentwicklung, insbesondere während des Dendritenwachstums und der Neubildungsynaptischer Kontakte treten Peaks im Energiemetabolismus und in der zerebralen Durchblutung auf, wobei die Energetisierung offenbar vor

allem durch Katecholamine (Dopamin, Adrenalin) geregelt wird (Schore 1994; Krimer et al. 1998).

Zit. Nach Graww (Neuorpsychotherapie)

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NeuroplastizitätSchlussfolgerungen für die Ergotherapie und Physiotherapie

Graw (Neuropsychotherapie) faßt zusammen, was auch für die Ergotherapie gilt: „Das Gehirn reagiert sowohl auf schädigende als auch auf förderliche Einflüsse mit einer großen Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit. Bei völliger Nichtaktivierung werden existierende neuronale Verbindungen erstaunlich schnell geschwächt. Die frei werdenden Hirnareale werden umgehend für andere Zwecke verwendet. Umgekehrt führen intensive wiederkehrende Einflüsse, die immer wieder dieselben Synapsen aktivieren, mit der Zeit nicht nur zu funktionellen, sondern auch zu strukturellen Veränderungen in den betreffenden Hirnarealen. Diese durch Bahnung entstandenen strukturellen Veränderungen gewährleisten eine dauerhaft erhöhte synaptische Übertragungsbereitschaft. Die gebahnten Prozesse laufen immer leichter ab und werden allmählich automatisiert. Die erhöhte Übertragungsbereitschaft bleibt allerdings nur solange erhalten, wie die betreffende Funktion auch benutzt wird. Sehr gut entwickelte Hirnstrukturen, die über längere Zeit nicht mehr genutzt werden, entwickeln sich zurück und damit nimmt die Leichtigkeit und Ausführungsqualität der zuvor durch diese Strukturen ermöglichten Prozesse ab.Für die Ergotherapie sind die Befunde zu dieser großen Formbarkeit des Gehirns durch intensive Benutzung/Stimulierung oder Deaktivierung bestimmter Hirnareale, kurz „neuronale Plastizität" bezeichnet, gute Nachrichten. Man kann das Gehirn durch genügend intensive Einflüsse so verändern, dass sich selbst tragende neue Strukturen entstehen, die Grundlage für dauerhaft verändertes Erleben, Verhalten und Betätigung sein können. Die Einflüsse, die so etwas bewirken können, müssen allerdings intensiv und lang anhaltend sein. Das zeigen praktisch alle vorliegenden Untersuchungen. In einer fMRI-Untersuchung von Karni et al. (1995) an normalen Versuchspersonen zeigte sich, dass das Üben einer einfachen motorischen Aufgabe über 10 bis 20 Minuten pro Tag erst nach drei Wochen zu einer nachweisbaren Veränderung in den betreffenden Hirnbereichen führte. In einer Untersuchung von Merzenich et al. (1996) an dyslektischen Kindern brauchte es ein tägliches zweistündiges Training über vier Wochen hin, bis eine signifikante Verbesserung der phonematischen Diskrimination erreicht war. Sporadisches und relativ kurzes Aktivieren von Prozessen bewirkt kein langfristiges Lernen. Nur intensive Bahnung der erwünschten Abläufe führt dazu, dass sie eine strukturelle Grundlage im Gehirn erhalten. Erst dann ist die Voraussetzung dafür gegeben, dass die therapieinduzierten Veränderungen sich selbst aufrechterhalten. Was die Intensität und Massierung therapeutischer Einwirkungen angeht, wird man in der Psychotherapie vielleicht umdenken müssen. Bei der Behandlung schlaganfall-bedingter Lähmungen hat man erst dann wirklich deutliche Veränderungen erzielt, als man die „Dosis" therapeutischer Einwirkungen massiv erhöhte. Schlaganfallpatienten bekommen als Teil der Routineversorgung fast immer Physiotherapie, um die Lähmungen so weit wie möglich zu reduzieren. Das sind dann aber viel-leicht ein bis zwei Stunden täglich. Diese Dosis reicht offenbar nicht aus, um im Gehirn wirklich neue, sich selbst aufrechterhaltende Strukturen aufzubauen. Erst eine Dosis von mindestens sechs Stunden täglich und die Unterdrückung der Beweglichkeit des gesunden Arms führte zu den viel besseren Ergebnissen mit der Taubschen Bewegungstherapie.Intensive, vielfach wiederholte Bahnung neuer Abläufe setzt die bewusste und willentliche Mitwirkung des Patienten voraus. Oft muss dafür am Anfang ein zuvor dominierender Vermeidungswiderstand überwunden werden. Erst mit vielen Wiederholungen wird dieser immer schwächer werden. Für eine bewusste, eigenmotivierte Mitwirkung muss der Patient genau informiert sein, was das Ziel der wiederholten Übungen/Bahnungen ist, wieso sie zu Wirkungen führen werden, die ihm selber wichtig sind, und worauf es bei ihrer Durchführung ankommt. Das erfordert zum einen eine Transparenz der angestrebten Ziele und des therapeutischen Vorgehens einschließlich seiner Begründungen. Zum anderen erfordert es, dass beim Patienten zuvor eine große, von seinen eigenen bereits vorhandenen motivationalen Zielen gespeisteVolitionsstärke dafür, sich willentlich immer wieder intensiv den neuen, bahnenden Erfahrungen auszusetzen, hergestellt wurde. Um so intensive wiederholte Erfahrungen überhaupt realisieren zu können, braucht es also einen die Problembearbeitung unterstützenden motivationalen Kontext. Diesen Kontext herzustellen und aufrechtzuerhalten, ist für die Herbeiführung der erwünschten Veränderungen ebenso wichtig wie die Durchführung angemessener problemspezifischer Interventionen. Wo immer neue Wahr-nehmungs- und Denkweisen, neue Reaktionen auf emotionale Situationen, neue Coping- und Bewältigungsfähigkeiten aufgebaut werden sollen, um problematische zu ersetzen, zu hemmen und zu verdrängen, kommt es entscheidend darauf an, dass dies in einen positiven motivationalen und emotionalen Kontext eingebettet geschieht.“

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Literatur:•Goleman Daniel: Emotionale Intelligenz, dtv 1993 – Ein Buchklassiker, sehr gut zu lesen,

schöner Aufbau über die Neurobiologie und Entwicklung des Gehirns und die Bedeutung

der emotionalen Intelligenz

•Bauer Joachim: Das Gedächtnis des Körpers, piper 2004 – Ein modernes Buch, kurz und

prägnant geschrieben, man erfährt viel über moderne Neurobiologie

•Bauer Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst, Hoffmann und Campe 2005 – Das erste

deutsche Buch das sich ausführlich mit den Spiegelneuronen befaßt, die den Zugang zur

menschlichem Mitgefühl, zu neuen Erkenntnissen der Motorik, zum Handeln und weiterer

Phänomen befaßt. Spannend und einfach zu lesen.

•Grawe Klaus: Neuropsychotherapie, Hogrefe 2004,l wissenschaftlich sauber

ausgearbeitet, viel neurobiologie und menschliches Erleben und Verhalten, nicht ganz

leicht zu lesen, wird sicher ein Buchklassiker werden

•Schiepek Günther: Neurobiologie der Psychotherapie, Schattauer 2003, alles wichtige aus

dem aktuellen Stand zur Neurobiologie und Therapie insbesondere Psychotherapie und

verwandte Gebiete. Zum Teil sehr schwer verständlich