Bedeutung und Spezifika der Genossenschaften in der ... · Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften |...
Transcript of Bedeutung und Spezifika der Genossenschaften in der ... · Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften |...
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 1
Bedeutung und Spezifika der Genossenschaften in der deutschen Landwirtschaft
Dr. Marcel Gerds
Kiew, Ukraine 24. Mai 2016
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 2
Person
Studium der Agrarwirtschaft
Promotion zum Dr. rer. agr. im Bereich Agrarökonomie
Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft (25 Standorte überwiegend in Ostdeutschland)
Vorstand in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband
Chefredakteur der Fachpublikation „Briefe zum Agrarrecht“
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 3
Genossenschaften
mitgliedschaftliche Ausrichtung & Kopfstimmrechtsprinzip („ein Mitglied – eine Stimme“)
→ ähnelt dem Verein
dualistische Trennung von Geschäftsführungs- und Überwachungsorgan
→ ähnelt der Aktiengesellschaft
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 4
Status quo
Bankgenossenschaften
30 Mio. Kunden (davon 18 Mio. Mitglieder)
160.000 Mitarbeiter
Alleinstellungsmerkmal in der Kunden-Bank-Beziehung
wirtschaftlich bedeutendste Gruppe der Genossenschaften
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 5
Status quo
Wohnungsgenossenschaften
Anzahl: 2.000 (2014)
verwalten 2,2 Mio. Wohnungen (10% aller Wohnungen)
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 6
Status quo
Ländliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften
2.316 ländliche Genossenschaften (2015)
Umsatz: 66 Mrd. €
82.000 Mitarbeiter
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 7
Status quo
Produktivgenossenschaften
kaum Bedeutung in der BRD (Westdeutschland)
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 8
bis 1990:
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 9
Status quo
Produktivgenossenschaften
kaum Bedeutung in der BRD (Westdeutschland)
nach der politischen Wende 1990: viele landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (frühere LPG's) haben sich in Agrargenossenschaften umgewandelt
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 10
Status quo
Agrargenossenschaften
765 (überwiegend im ehemals sozialistischen Ostdeutschland)
bewirtschaften 23 % der Fläche Ostdeutschlands (1,3 Mio. ha)
25.000 Mitglieder (durchschnittlich 32,7 je Betrieb)
durchschnittlich 52,36 ha/Mitglied
Jahresumsatz von 2,2 Milliarden €
= 62.330.620.000 UAH
→ durchschnittlich 2.875.000 EUR/Betrieb
= 81.377.300 UAH/Betrieb
In der Agrarwirtschaft hat sich die Genossenschaft als konkurrenzfähige Rechtform im Vergleich zu anderen Juristischen Personen wie GmbH oder AG und zu Personengesellschaften wie GbR, KG oder GmbH & Co. KG etabliert.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 11
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 12
Status quo
Agrargenossenschaften = Produktivgenossenschaften
Aufgabe:
Herstellung und Vertrieb von Produkten
Mitgliedern einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, sie zu vergüten und am wirtschaftlichen Erfolg der Genossenschaft teilhaben zu lassen
Mitglieder stellen der Genossenschaft ihre Arbeitskraft zur Verfügung.
Sie sind Angestellte ihrer eigenen Genossenschaft
→ besonderes Spannungsverhältnis
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 13
Historische Entwicklung
„Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ vom 1. Mai 1889
Hermann Schulze-Delitzsch
(1808 - 1883)
Friedrich Wilhelm Raiffeisen
(1818 - 1888)
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 14
Genossenschaften
Die Idee genossenschaftlicher Arbeit kann in einfachen wirtschaftlichen Strukturen Bedeutung haben, wie auch in hoch entwickelten Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen.
Grundlage ist die Verbindung von gesundem Eigennutz (Förderung der eigenen Interessen) mit dem Prinzip der Solidarität (Berücksichtigung der gleichgerichteten Interessen der anderen Mitglieder)
Zusammenarbeit aus der Erkenntnis, dass andere gleiche Ziele haben, und dass diese Ziele durch gemeinsames Bemühen leichter und effizienter zu erreichen sind (Synergie-Effekte)
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 15
Geschichte Agrargenossenschaften
Produktivgenossenschaften sind besondere Form der Genossenschaft
in der DDR: Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) durch Kollektivierung
DDR 01.01.1990: sozialistische 3.850 LPGs
850.000 Mitglieder
durchschnittlich 4.500 ha LN
durchschnittlich 1.500 Tiere
Anteil an 92% der landwirtschaftlichen Produktion
Diese sozialistischen Betriebsformen haben kaum mehr Ähnlichkeit mit den Genossenschaften nach dem heutigen Genossenschaftsgesetz.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 16
Geschichte Agrargenossenschaften
den sozialistischen LPGs fehlten wesentliche Merkmale einer Genossenschaft:
der auf die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder festgelegte Unternehmenszweck
freiwillige Mitgliedschaft
Selbstverwaltung und Unabhängigkeit (insbesondere vom Staat)
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 17
Geschichte Agrargenossenschaften
Mitglieder von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) waren nach §§ 29, 31
LPG-Gesetz zur Arbeitsleistung verpflichtet
keine Arbeitnehmer
Zwangskollektivierung in der DDR zwischen 1952 und 1960
in diesem Zeitraum begingen 200 Bauern Selbstmord, 15.500 flüchteten nach Westdeutschland.
Es fanden etwa 8.000 Schauprozesse statt.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 18
Besonderheiten
Die Entscheidungen und Kontrollen innerhalb der Genossenschaft werden
auf Mitgliederebene durch die Generalversammlung
auf mittlerer Kontrollebene durch den Aufsichtsrat
auf Leitungsebene durch den Vorstand ausgeübt.
Mit der dreigliedrigen Organstruktur entspricht die eG im Wesentlichen derjenigen einer AG.
Dort üben die Gesellschafter ihre Rechte in der Hauptversammlung aus, die Überwachung der Geschäftsführung obliegt dem Aufsichtsrat die Leitung der AG wird vom Vorstand wahrgenommen.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 19
Förderzweck der Genossenschaft
Förderzweck unterscheidet Genossenschaft von anderen Rechtsformen
Bei anderen Rechtsformen verpflichten sich die, das Unternehmen zu fördern.
Bei Genossenschaften steht umgekehrt die Förderung des Mitglieds im Vordergrund.
aber trotzdem: klare Gewinnorientierung (dauerhafte Förderung der Mitglieder kann nur erfolgen, wenn Existenz und Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaften gegeben ist)
Gewinn ist aber kein Selbstzweck der Genossenschaft, sondern lediglich Mittel zum Zweck, um den Förderauftrag bestmöglich erfüllen zu können.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 20
Förderzweck der Genossenschaft
Förderzweck bei Produktivgenossenschaften:
Verwertung der Arbeitskraft der Mitglieder durch Schaffung und Erhaltung des Arbeitsplatzes
Vergütung für die geleistete Arbeit
Teilnahme am Gewinn
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 21
Vorteile – Abfinden beim Ausscheiden
Mit der Beendigung der Mitgliedschaft ist zwischen der Genossenschaft und dem Mitglied eine Auseinandersetzung durchzuführen.
Das Mitglied hat grundsätzlich nur Anspruch auf Rückzahlung seines Geschäftsguthabens.
→ hohe Stabilität des Betriebes
Das Geschäftsguthaben an Agrargenossenschaften beträgt im Durchschnitt ca. 1.250 €.
Der am Geschäftsguthaben ausgerichtete Abfindungsanspruch spiegelt in keiner Weise den Wertanteil am Vermögen und der Ertragskraft der Genossenschaft wieder.
Kaufpreise von 30 Mio. € für Agrarbetriebe sind heute keine Seltenheit.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 22
Vorteile – Abfinden beim Ausscheiden
Hier hebt sich die Genossenschaft deutlich von den Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften ab.
Bei diesen verkörpert der Beteiligungsanteil regelmäßig auch ihren Vermögenswert beim Ausscheiden.
Die Reduzierung der Abfindung auf das Geschäftsguthaben ist eine herausragende Eigenschaft für eine Agrargenossenschaft, um ihre Existenz abzusichern.
Anders als bei Personengesellschaften läuft sie keine Gefahr, durch Abfindungen, die sich am Verkehrswert orientieren, in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet zu werden.
Aber: Spiegelbildlich Nachteil auf Seiten des Ausscheidenden: Genossenschaft ist nicht geeignet beim Aufbau von Vermögenswerten, die auch im Falle einer Kündigung oder im Erbfall realisiert werden sollen
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 23
Weitere Vorteile
nicht nur Kosten-, sondern auch soziale Vorteile, wie geregelte Arbeitszeiten sowie eine unproblematische Vertretung bei Urlaub und Krankheit
Genossenschaft gilt als stabilste Rechtsform
extrem geringe Insolvenzquote von 0,1%
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 24
Nachteile
generell: Produktivgenossenschaften haben strukturelle Schwächen, die zu entscheidenden Nachteilen im Wettbewerb führen und längerfristig die Leistungsfähigkeit und Existenz dieser Unternehmen gefährden können
in der Theorie hervorragend gedacht
Probleme oft in der Praxis
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 25
Nachteile
Schwierigkeiten bei der Willensbildung / Schwerfällige Entscheidungsprozesse
Probleme bei der Kapitalbeschaffung aufgrund begrenzter Haftung
keine Wertsteigerung der Anteile
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 26
Nachteile
Spannungsverhältnis: genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz vs. Arbeitsrecht
→ Mangel an positiver Motivation der Mitarbeiter
Grundsatz der genossenschaftlichen Gleichbehandlung kann in der Praxis zu Motivationsproblemen führen.
Rechtlich abgesicherte Stellung als Mitglied kann ein Hindernis bei der Durchsetzung arbeitsrechtlicher Sanktionen sein.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 27
Nachteile
Prinzip die Selbstorganschaft behindert einen Generationenwechsel auf Managementebene.
Sollen junge und gut ausgebildete Führungskräfte Leitungsaufgaben im Agrarunternehmen übernehmen, können sie die formale Stellung eines Vorstandsmitgliedes nur erlangen, wenn Sie auch Mitglied der Genossenschaft werden.
Dies stößt oftmals nicht auf Gegenliebe der bisherigen Mitglieder, weil das neue Mitglied sofort eine gleichwertige Stimme erhält und mit der Zeichnung eines Geschäftsanteils auch gleichwertig am Vermögen und am Gewinn der Genossenschaft beteiligt ist.
Damit würde das neue Mitglied mit einem geringen finanziellen Aufwand sofort denjenigen Mitgliedern gleichgestellt sein, die jahrelang am Aufbau des Agrarbetriebes beteiligt waren.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 28
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 29
Agrarpolitik
Das Argument, dass der Förderzweck einer Agrargenossenschaft darin besteht, den Erwerb und die Wirtschaft der Mitglieder zu unterstützen, wird in der agrarpolitischen Diskussion gelegentlich zur Rechtfertigung von Agrarbeihilfen für landwirtschaftliche Großbetriebe herangezogen.
So wird darauf verwiesen, dass es sich bei Agrargenossenschaften dem Grunde nach um agrarpolitisch als förderwürdig anzusehende Zusammenschlüsse von bäuerlichen Familienbetrieben handeln würde.
Diese seien anders zu behandeln als eine vom abstrakten Kapital getragene Kapitalgesellschaft.
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 30
„Mehrfamilienunternehmen“
Dr. Marcel Gerds | Genossenschaften | Deutsch-Ukrainischer Agrarpolitischer Dialog | 24.05.2016 | Kiew, Ukraine 31
Kontakt: [email protected] Tel.: +49 3491 41 80 0 Fax: +49 3491 41 80 12
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!