Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

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BEGEISTERUNG | Jakobsweg und Pilgerreisen B E G E I S T E R U N G PILGERN

description

Das Lesebuch für Lehrpersonen die das Thema Jakobsweg in einem fächerübergreifenden Schulprojekt behandeln möchten.

Transcript of Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

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BEGEISTERUNG | Jakobsweg und Pilgerreisen

BE

G

EISTER

UN

G

PILGERN

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IMPRESSUM

Ein Projekt des Bildungshauses

Kloster Neustift in Zusammenarbeit

mit den Bezirksgemeinschaften

Eisacktal, Salten-Schlern,

Burggrafenamt und Vinschgau

Kofinanziert im Rahmen der

EU-Gemeinschaftsinitiative

INTERREG IV Italien- Schweiz

Projektmanagement:

Mag. Peter Sader und DI Andreas Wild

Theologische Beratung:

Prof. Dr. Petra Kurten

Für den Inhalt verantwortlich:

Sonja Sader

Sader Sonja, geb. 1972 in Brixen, arbeitet seit

1991 als Grundschullehrerin in Südtirol. Sie

besuchte Fortbildungen zum Thema Offenes

Lernen und absolvierte 2003 einen dreijährigen

Lehrgang zur Montessori-Pädagogik. Sie hat

jahrelange Erfahrungen im Bereich offenes,

selbstständiges und kreatives Lernen und in der

Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien für die

Freiarbeit in Klassen mit Montessoriausrichtung.

Grafische Gestaltung:

alias idee + form | Helga Kasseroler

Bildnachweise:

Gianni Bodini | Wolfgang Hörer

Martin Ruepp | Verein Jakobsweg Schweiz

© iStockphoto | ventin

www.jakobsweg.it

www.jakobsweg-gr.ch

www.bildungshaus.it

Einen Dank allen Partnern für

die freundliche Unterstützung!

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Nicht in der Luft zu liegen oder

auf dem Wasser zu wandeln ist

ein Wunder, sondern auf der Erde

zu gehen. (Lin Tsi)

„Pilgern“ stammt vom lateinischen Wort

„peregrinus“ und bedeutet: fremd sein.

Ein Pilger ist folglich ein „Fremder“, der

aufbricht, unterwegs ist, durch das Land

zieht, also in die Fremde geht. Kann das

Pilgern gar ein Urinstinkt des Menschen

sein, denn wir waren früher schließlich

alle Nomaden?

In allen Kulturen und Religionen war und

ist das Pilgern ein wichtiger Teil im Leben

der Menschen. Jeder wahre Moslem sollte

mindestens einmal im Leben nach Mek-

ka pilgern, Hindus pilgern zum heiligen

Fluss Ganges. Im antiken Judentum waren

Pilgerfahrten zum Tempel in Jerusalem

Tradition. Heute pilgern die Gläubigen

zur alten Westmauer des Tempels, der so

genannten Klagemauer. Christen pilgern

nach Jerusalem, Rom oder Santiago de

Compostela.

Wir leben in einer Zeit, in der man meinen

möchte, dass der Mensch schon alles ge-

funden, entdeckt und erforscht hätte. Kaum

ein materielle Wunsch, der nicht erfüllt ist.

Und dennoch, Pilgern ist modern, ist wieder

„in“. Der Mensch macht sich auf die Suche

nach sich selbst.

Schnüren wir also unser Bündel und pilgern

auf den historischen und wundersamen

Wegen des heiligen Jakobus nach Santiago

de Compostela.

Hintergrundinformationen und Legenden zu

Jakobsweg und Pilgerwesen – Grundlage für

einen handlungsorientierten, modernen und

fächerübergreifenden Religionsunterricht in

den Mittel- und Oberschulen

(6. – 10. Schulstufe)

BEGEISTERUNG

JakoBSWEg uNd PiLgErrEiSEN

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TEIL 1

JakoBSWEg uNd PiLgErrEiSEN

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iNhaLT

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91 | JakoBSWEgE – STraSSEN,

diE zuSammENführEN Seite 7

2 | gESChiChTE SPaNiENS Seite 8

3 | JakoBuS – EiN hEiLigEr

für SPaNiEN Seite 9

4 | JakoBuS – dEr maNN

miT dEr muSChEL Seite 11

5 | auf dEN SPurEN

dES hEiLigEN JakoBuS Seite 13

• Translation des Leichnams Seite 13

• Die Grabaufindung Seite 13

• Etymologie - Erklärung der Entstehung des

Namens „Santiago de Compostela“ Seite 13

• Der Jakobskult Seite 13

6 | iNSTrumENTaLiSiEruNgEN

EiNES hEiLigEN Seite 14

7 | moTivE für EiNE PiLgErrEiSE Seite 15

• Das Buß- oder Strafpilgern Seite 15

• Das Delegationspilgern Seite 15

• Weitere Pilgermotive Seite 15

• Pilgermotive im 21. Jahrhundert Seite 15

8 | PiLgErN zu hEiLigEN orTEN Seite 17

9 | diE PiLgErSTäTTE SaNTiago

dE ComPoSTELa Seite 19

• Mirakelerzählungen Seite 19

10 | diE PiLgErrEiSENdEN

im miTTELaLTEr Seite 21

11 | diE CharakTEriSTiSChE

ErSChEiNuNg uNd auSrüSTuNg

dES PiLgErS im miTTELaLTEr Seite 23

12 | PiLgErzEiChEN – JakoBSmuSChEL Seite 25

• Die Muschel und der heilige Jakobus Seite 25

• Der moderne Pilgernachweis –

die Pilgerurkunde Seite 25

13 | PiLgErhErBErgEN Seite 27

• Hausordnung einer Pilgerherberge Seite 27

14 | kurioSES auf dEm WEg

NaCh SaNTiago dE ComPoSTELa Seite 28

15 | SPurEN mauriSChEr uNd

JüdiSChEr kuLTur iN EuroPa Seite 29

LEgENdEN uNd

mirakELErzähLuNgEN ab Seite 31

Quellen Seite 38

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Jedoch gab es seit dem Mittelalter

nicht nur diese Hauptwege, sondern

eine Vielzahl von Pilgerrouten. Meist

benutzten die Pilger die üblichen

Handelsstraßen, welche von Frankreich

aus über die Pyrenäen nach Spanien

führten und ihnen auf ihrer Reise

größtmögliche Sicherheit und die

nötigen Infrastrukturen boten.

diese Wege, allen voran die

„klassischen Pilgerrouten“ nach

Santiago de Compostela, sind etwas

Besonderes, weil einige von ihnen auch

kultur historisch von großer Bedeutung

sind und an klöstern und Wallfahrts­

stätten, romanischen und gotischen

kirchen, alten Brücken und mittel­

alterlichen hospizen vorbeiführen.

als „Jakobsweg“ werden auch jene

Pilgerstraßen bezeichnet, welche als

historisch nachgewiesene routen von

Jakobspilgern in Europa verwendet

wurden und heute wieder entdeckt und

erneuert werden.

Der Jakobsweg ist somit ein Jahrhun-

derte altes europaweites Wegenetz,

auf dem seit jeher ein kultureller und

wirtschaftlicher Austausch stattge-

funden hat. Eine Pilgerreise ist damals

wie heute ein soziales Ereignis. Es

begegnen sich Menschen, die sich

ansonsten nie getroffen hätten.

Unter dem „Jakobsweg“ wird heute in

erster Linie der Camino Francès ver-

standen. Ziel dieses Pilgerweges ist das

angebliche Grab des Apostels Jakobus

des Älteren im äußersten Nordwesten

Spaniens (Galicien). Die Route beginnt

in den Pyrenäen und führt über den

leicht zugänglichen Ibañeta-Pass nach

Puente la Reina. Ab hier sind es rund

760 Kilometer bis Santiago de Compo-

stela, was einem Fußmarsch von etwa

30 Tagen entspricht. Dabei passiert

der Pilger die Städte Jaca, Pamplona,

Estella, Burgos und Leòn.

In dem bis heute bekanntesten

Pilgerführer, dem „Liber Sancti Jacobi“

aus dem 12. Jahrhundert, werden

vier Hauptwege beschrieben, die von

Frankreich aus nach Spanien führen,

sich nach und nach bündeln, bis sie

sich im spanischen Puente la Reina

zu einem einzigen vereinen. Diese

festen Routen entstanden im 11. und

12. Jahrhundert, wie auch zahlreiche

Bauwerke, die den Weg säumen, und

Reiseberichte zeigen.

1 | JakoBSWEgE – STraSSEN, diE zuSammENführEN

1985 wurde Santiago de Compostela

von der UNESCO zum Weltkulturerbe

erklärt. 1987 erklärte der Europarat

die Hauptrouten des Jakobsweges zum

ersten europäischen Kulturweg, um

damit die gemeinsame europäische

Identität zu stärken.

Nach wie vor begibt man sich auf dem

Jakobsweg zurück zu den historischen

und geistigen Ursprüngen Europas,

einem Europa, welches das Zusammen-

treffen von Menschen unterschiedlicher

Herkunft, die Begegnung zwischen

unterschiedlichen gesellschaftlichen

und künstlerischen Strömungen und

den freien Austausch von Ideen

ermöglicht.

Seit den 80er Jahren des vorigen

Jahrhunderts erlebt der Jakobsweg

einen Aufschwung. Zehntausende

Pilger aus verschiedenen Nationen

machen sich jährlich freiwillig auf

den Weg. Auf der Grundlage des

gemeinsamen Pilgerstatus indet eine

friedliche Begegnung statt, ungeachtet

der Herkunft, des Alters, des Glaubens,

des Ansehens und des Geschlechts.

1989 fand in Santiago

de Compostela der

iv. Weltjugendtag statt.

im Jahr 2000 war Santiago de

Compostela kulturhauptstadt

Europas.

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2

Den Westgoten gelang es, andere

Stämme zu vertreiben und 419 das

große Tolosanische Reich (das heutige

Toulous) unter König Theoderid (auch

Theoderich genannt) zu gründen.

507 wurden die Westgoten von den

Franken geschlagen und mussten

Aquitanien, eine Region im Südwesten

Frankreichs, abtreten. Daraufhin zogen

sich die Westgoten auf die Iberische

Halbinsel zurück. In den folgenden

Jahrzehnten führten Thronstreitigkeiten

und heftige Unruhen an den Grenzen

zum Untergang des Westgotenreiches.

711 entbrannte ein Machtkampf

zwischen dem letzten Westgotenkönig

Roderich und den von seinen Gegnern

herbeigerufenen Mauren.

in wenigen monaten hatten die mauren

beinahe die hälfte der iberischen

halbinsel erobert, bis 718 dann fast

ganz Spanien muslimisch geprägt war.

Eine ausnahme bildeten einige gebiete

im äußersten Norden und das winzige

reich asturien im Nordwesten, mit den

christlichen reichen León und kasti­

lien und dem regionalen Wallfahrtsort

Santiago de Compostela.

Um 19 v. Chr. hatte sich das römische

Reich unter Kaiser Augustus durch

militärische Eroberungen über den

gesamten Westen der iberischen

Halbinsel ausgebreitet.

Die römische Kultur verbreitete sich

schnell und bestimmte von nun an das

Leben in Spanien. Latein wurde zur

Grundlage des Spanischen. Straßen

und auch zahlreiche Kastelle wurden

gebaut, wie jenes von Iria Flavia, der

Vorläuferin von Santiago.

Trotz blutiger Verfolgungen verbreite-

te sich zu dieser Zeit allmählich das

Christentum. Zu Beginn des 4. Jahr-

hunderts wurde es zur vorherrschenden

Religion im römischen Reich. Spuren

dieser ersten Christianisierung sind die

Verehrung von christlichen Legionären

wie des Martin von Tours am späteren

Jakobsweg.

germanische Stämme drangen nach

italien und Spanien vor, nachdem

das römische reich im 4. und 5.

Jahrhundert zu zerfallen begann.

von hier aus begann acht Jahrhunderte

später die rückeroberung (la recon­

quista) des Landes durch die Christen.

In der acht Jahrhunderte währenden

Maurenherrschaft kam es immer wieder

zu Kämpfen und Stammesstreitigkeiten

zwischen Berbern und aristokratischen

Arabern. Die Maurenherrschaft wurde

dadurch erheblich geschwächt. Die

christlichen Könige der erstarkten

nordspanischen Reiche nutzen diese

Situation aus, um von Norden her auch

die restlichen, noch unter arabischem

Einluss stehenden Gebiete Spaniens

zu erobern. Erst 1492, mit dem Fall

der letzten maurischen Bastion in

Granada, war die Reconquista der

iberischen Halbinsel abgeschlossen.

mit der vertreibung der

mauren von der iberischen

halbinsel und der Entdeckung

amerikas durch Christoph

kolumbus im Jahr 1492 stieg

Spanien vorübergehend zu einer

christlichen Weltmacht auf.

2 | gESChiChTE SPaNiENS

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TEIL 1

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Der Papst und das übrige christliche

Europa sahen darin aber eine Bedro-

hung für die Christenheit. Juden und

Muslime wurden als „Feinde Gottes“

betrachtet.

Die katholische Kirche und die Gläubi-

gen in den noch christlichen Gebieten

Nordspaniens bedurften einer starken

Identiikationsgestalt, die der Wahrung

christlicher Identität diente. Deshalb

wurden Anfang des 9. Jahrhunderts

zahlreiche Legenden von der Missions-

tätigkeit und dem Wunderwirken des

Apostels Jakobus auf der Iberischen

Halbinsel verbreitet. Im Besitz eines

Apostelgrabes zu sein, bedeutete eine

große Aufwertung in kirchlicher und

politischer Hinsicht.

der Weg nach Santiago de Compostela,

zum grabe des apostels Jakobus übte

seit dem mittelalter, neben dem Weg

nach Jerusalem und zum grabe der

apostel Petrus und Paulus in rom,

auf die Pilger eine starke anziehungs­

kraft aus.

Nach der arabischen Eroberung im

8. Jahrhundert breiteten sich der Islam

und die maurische Kultur beinahe über

ganz Spanien aus.

Die Mauren waren den Menschen in

Spanien durchwegs wohlgesinnt, denn

Judentum und Christentum waren als

Religionen von den Muslimen geach-

tet. Außerdem erhielten jene Bürger,

die zum Islam übertraten, die vollen

Bürgerrechte, durften also Waffen

tragen und mussten keine Kopf-Steuer

entrichten, welche für Bürger anderen

Glaubens vorgesehen war.

Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts

währte das friedliche Zusammenleben

von Muslimen, Christen und Juden.

Die drei Religionsgemeinschaften

respektierten einander.

Vornehmlich ging es den politischen

und religiösen Führern im Land darum,

die verhassten Mauren im Süden und

die Juden zu vertreiben und Santiago

de Compostela als Bischofssitz zu

etablieren.

die Christen führten im

rahmen der rückeroberung

(reconquista) gegen muslime

und Juden einen erbitterten

kampf und die gestalt des heiligen

Jakobus wurde dabei gegen

beide kulturen eingesetzt.

3 | JakoBuS – EiN hEiLigEr für SPaNiEN

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Jakobus war kein sanftmütiger Mann,

genauso wenig sein jüngerer Bruder

Johannes. Jesus nannte die beiden

„Donnersöhne“, weil sie auf die wenig

gastfreundlichen Menschen in Samaria

Feuer vom Himmel herab wünschten.

Trotz ihrer Ecken und Fehler berief sie

Jesus in seine Nachfolge. Durch ihn

wurden sie zu jenen Heiligen, die den

Menschen später wegen ihrer Treue

und Hingabe zu Vorbildern wurden.

Wie alt Jakobus war, als er starb, ist

nicht bekannt. Fest steht, dass er das

Jahr 45 nicht mehr erlebte. Jakobus

war der erste Apostel, der als Märtyrer

starb.

Es war zu Ostern im Jahre 44, als ihn

König Herodes Agrippa I. nach stunden-

langer Folter und vor schimpfenden

Menschenmassen in Jerusalem mit

einem Schwert enthaupten ließ.

Von da an verlor sich seine Spur.

Erst im 7. Jahrhundert wurde der

weitere Verlauf von der Translation

seines Leichnams und der Grabauf-

indung in verschiedenen legendären

Schriften nachgezeichnet.

im Neuen Testament lesen wir, dass

Jakobus der ältere (span. Santiago el

mayor) der Sohn des zebedäus und

Bruder des Johannes war.

Jakobus und Johannes waren Fischer

am See Genezareth. Sie galten als

einfache, ungebildete und hart

arbeitende Menschen und beide

waren gläubige Juden.

Neben Petrus und Andreas zählten

Jakobus und Johannes zu den erst-

berufenen Jüngern Jesu. Ihre Mutter

Salome war eine der frommen Frauen,

die Jesus begleiteten.

Simon Petrus, Jakobus und sein Bruder

Johannes waren Zeugen der Aufer-

weckung eines kleinen Mädchens, das

bereits tot war, der Verklärung Jesu am

Berg Tabor und seiner Todesangst im

Garten von Getsemani.

Ob sich das Grab des Apostels Jakobus

des Älteren tatsächlich in Spanien be-

indet, kann bis heute nicht bewiesen

werden.

der heilige Jakobus der ältere ist nicht

nur Schutzpatron Spaniens, aller Pilger

und Wallfahrer, sondern auch der Stadt

innsbruck am Jakobsweg.

In der evangelischen und katholischen

Kirche wird der Gedenktag des Jakobus

am 25. Juli begangen. An diesem Tag

wurden im Mittelalter in vielen Gegen-

den Europas Erntefeste oder Kirchtag

gefeiert.

fällt der 25. Juli auf einen

Sonntag, wird in Santiago

de Compostela das heilige

Jahr gefeiert. Traditionsgemäß

steht dann die heilige Pforte

offen, durch die der Pilger die

kathedrale betritt. 2010 wurde

ein heiliges Jahr gefeiert,

das nächste folgt 2021.

4 | JakoBuS – dEr maNN miT dEr muSChEL

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So ist in verschiedenen Schriften aus

dem 12. Jahrhundert zu lesen, dass

der heilige Jakobus höchstpersönlich

Kaiser Karl erschienen ist und ihn

ermutigte, gegen die Muslime zu kämp-

fen und nicht nur den Weg zu seinem

Grab, sondern das ganze Land von den

Feinden zu befreien. „Der Weg der Ster-

ne, den du am Himmel gesehen hast,

bedeutet, dass du mit deinem großen

Heer bis Galicien ziehen musst, um die

treulosen Heiden zu bekämpfen, den

Weg zu mir und meinem Land zu be-

freien und meine Basilika und meinen

Sarkophag zu besuchen. Und nach dir

werden dorthin alle Völker pilgern, von

Meer zu Meer.“

(Legende aus dem vierten Buch des

Codex Calixtinus, entnommen aus:

Lexikon des Jakobswegs, Andreas

Drouve, Herder Freiburg 2006)

Durch die Verknüpfung mit Karl dem

Großen konnte dem Jakobskult und

der Reconquista noch mehr Bedeutung

verliehen werden.

Karl wurde im 8. Jahrhundert als großer

Europäer gefeiert, weil er von Italien

über die germanischen Länder bis hin

nach Spanien die römische Idee der

Einigung der verschiedenen Stämme in

einem Reich durch die Kraft des einen

christlichen Glaubens verfolgte.

Der historische Karl ist jedoch nie

nach Compostela gekommen, das

Apostelgrab war zu seiner Zeit noch

nicht entdeckt und zudem waren seine

Kämpfe im Norden Spaniens im Jahre

778 in Roncesvalles gegen die Basken

nicht sehr erfolgreich.

Zwei Legenden dazu im Anhang.

TraNSLaTioN dES LEiChNamS

Legenden zufolge soll Jakobus auf der

iberischen Halbinsel missioniert haben.

Er wurde jedoch von den Spaniern

vertrieben und kehrte daraufhin nach

Jerusalem zurück. Dort wurde er

hingerichtet.

Zuerst soll er in der Jakobskirche in

Jerusalem aufgebahrt worden sein,

die angeblich an der Stelle seines

Martyriums erbaut wurde. Später,

um 70 n. Chr., kamen seine Gebeine

auf den Berg Sinai ins Jakobskloster.

Einige seiner Anhänger brachten seine

Überreste schließlich „bis ans Ende

der Welt“ nach Finisterre in Galizien.

Dort soll er auf einem christlichen

Friedhof aus römischer Zeit begraben

worden sein. Sein Grab geriet jedoch

wegen der Verfolgung der Christen

durch die Römer im 1. Jahrhundert

nach Christus in Vergessenheit.

Drei Legenden dazu im Anhang.

diE graBauffiNduNg

im 9. Jahrhundert, also fast 800 Jahre

nach der wundersamen überführung

des Leichnams, wurde die grabstätte

auf wundersame Weise entdeckt.

Ebenso wie um die Translation des

Leichnams ranken sich auch um die

Grabaufindung des heiligen Jakobus

viele Legenden. In einem Bericht wird

die Grabaufindung einem Einsiedler

namens Pelagius zugeschrieben.

In anderen Legenden gilt Karl der

Große (747 – 814) als Entdecker des

Grabes und als erster Jakobspilger.

In den Erzählungen werden heroische

Kämpfe und die Unterwerfung der

„Ungläubigen“ geschildert.

5 | auf dEN SPurEN dES hEiLigEN JakoBuS

ETymoLogiE ­ ErkLäruNg

dEr ENTSTEhuNg dES NamENS

„SaNTiago dE ComPoSTELa“

Santiago ist spanisch und bedeutet

heiliger Jakobus.

Für den Namenszusatz Compostela gibt

es gleich zwei Erklärungen, welche sich

auf die Grabaufindung beziehen.

Er kann vom lateinischen Wort com-

postum – kleiner Friedhof abgeleitet

werden, welcher auf den Fundort der

Gebeine durch den Eremiten Pelagius

verweist.

Eine weitere deutung führt den Namen

auf campus stellae – Sternenfeld

zurück und verweist somit auf die

legendäre grabaufindung durch karl

den großen. der Pilgerweg wird daher

auch Sternenweg genannt und folgt

der milchstraße nach Westen.

dEr JakoBSkuLT

Unter Alfons II. (791 – 842) wurde der

Jakobskult buchstäblich zum Leben

erweckt und für politischen Ziele

verwendet. Der König ließ Kirchen

und Klöster erbauen, unterstützte die

Besiedelung und den Städtebau und

förderte die Pilgerreisen zur Grabstätte

des heiligen Jakobus, um Anschluss

an das christliche Europa zu inden.

Er ließ die erste kleine Kirche über

dem angeblichen Grab des heiligen

Jakobus erbauen und ernannte den

Apostel zum Nationalheiligen Spaniens,

der er bis heute auch geblieben ist.

Um die Kirche herum entstand ein

Dorf, das im 10. Jahrhundert zur Stadt

Santiago wurde.

heute ruhen die gebeine des

heiligen Jakobus laut überlieferung

in einem silbernen reliquienschrein

in der kathedrale von Santiago de

Compostela.

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TEIL 1

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die vorstellung des Jakobus als

Santiago matamoros, Jakobus mauren­

töter, ist als Symboligur im Sinne der

reconquista anzusehen.

Nach dem Ende der Reconquista

in Spanien, mit der Eroberung von

Granada im Jahre 1492, wurde der

heilige Jakobus von den spanischen

Conquistadores während der Eroberung

Amerikas im 16. und 17. Jahrhundert

für ihre Pläne in Anspruch genommen.

Noch heute zeugen die Städtenamen

Santiago de Cuba oder Santiago de

Chile von der Präsenz dieses Heiligen.

Auch später änderte sich nichts.

Die rebellierenden Kolonien und die

spanische Krone missbrauchten den

Heiligen beim Kampf um die Ablösung

der lateinamerikanischen Kolonien vom

Mutterland Spanien.

Danach verlor der heilige Jakobus seine

überragende, politische Bedeutung.

Erst im spanischen Bürgerkrieg

(1936 – 1939) wurde der Heilige

wieder von General Franco in den

Vordergrund gerückt und für seine

militärischen Zwecke ausgenutzt.

Und so war es auch der spätere Dik-

tator Franco, welcher im Jahre 1937

durchsetzte, dass der Jakobstag am

25. Juli zum Nationalfeiertag und

Jakobus somit zum Schutzpatron von

Spanien erklärt wurde.

JakoBuS iN dEr kuNST

Über Jahrhunderte hatte die Gestalt

des Jakobus eine doppelte Funktion,

die sich auch in den bildlichen Darstel-

lungen zeigt: Jakobus wird als sitzender

Apostel, als Pilger mit Mantel, Stock

und Jakobsmuschel dargestellt, aber

auch hoch zu Ross mit Schwert als

Maurentöter (Matamoros).

darstellungen

von Jakobus als

„matamoros“ waren

in der mittelalterlichen

kunst Spaniens weit verbreitet.

Der Papst, Frankreich und die Äbte des

französischen Reformklosters Cluny

riefen christliche Ritter zu einer neuen

Form der Pilgerschaft, zu einem Kreuz-

zug gegen die Muslime in Spanien

auf. Im Namen des Apostels führten

die christlichen Heere den Kampf der

Reconquista als „Heiligen Krieg“ gegen

die Mauren. Dem Apostel wurde in

diesem Kampf die Rolle des „Retters

in der Not“ zuerkannt.

viele ritter, die zum kampf gegen

die mauren nach Spanien gekommen

waren, verstanden dies auch als

Pilgerfahrt und besuchten Santiago

de Compostela.

Legenden berichten, dass der Apostel

Mitte des 9. Jahrhunderts in der sagen-

haften Schlacht von Clavijo – welche

historisch nicht belegbar ist – höchst-

persönlich eingriff.

Hoch zu Ross, in ritterlicher Rüstung

und mit einem Schwert in den Händen

erschien er den Feinden, kämpfte

gegen die Mauren und führte so das

christliche Heer zum Sieg.

6 | iNSTrumENTaLiSiEruNg EiNES hEiLigEN

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TEIL 1

7

und verschiedene Bußübungen, wie

zum Beispiel in Form einer Pilgerreise,

ein neuer Mensch zu werden und so

die Sündenvergebung und die Wieder-

herstellung der Gemeinschaft mit Gott

erreichen.

In Rom gab es zu jedem Heiligen Jahr

seit 1300, den vollkommenen Ablass

für alle Pilger, die innerhalb einer

bestimmten Zeit verschiedene Kirchen

der Stadt zum Gebet aufsuchten.

Aufgrund des großen Erfolges dieser

Heiligen Jahre wurden sie schon bald

alle 33, bzw. alle 25 Jahre ausgerufen.

In Santiago de Compostela gibt es für

die Pilger alle sieben Jahre einen voll-

kommenen Ablass, wenn der 25. Juli

(Jakobustag) auf einen Sonntag fällt.

daS dELEgaTioNSPiLgErN

Das Auftrags- und Delegationspilgern

war im Mittelalter ein lorierendes

Geschäft. Stellvertretend für einen

anderen oder im Auftrag einer Gruppe

brachen die Delegationspilger auf.

Dabei dachten die bezahlten Auf-

tragspilger weniger an ihr Seelenheil

als an diejenigen, die diese Pilgerreise

durch Geldstiftungen in Auftrag gaben.

Es kam sogar zu einem berufsmäßigen

Delegationspilgern. Im 14. Jahrhundert

kostete in Italien ein Auftragspilger

sechzehn Goldstücke, Anfang des

15. Jahrhunderts mussten nördlich der

Alpen fünf Goldstücke bezahlt werden,

was dem Gegenwert von einem Pferd,

zwei Ochsen oder zwanzig Schafen

entsprach.

WEiTErE PiLgErmoTivE

Neben den religiösen Motiven zur

Pilgerfahrt gab es auch ganz andere:

akute Sorgen in der Heimat, die Pest,

den ersten höhepunkt erlebte das

Pilgerwesen auf dem Jakobsweg

nach Santiago de Compostela im

12. Jahrhundert.

Das Hauptmotiv für eine große

Pilgerreise war das Unterwegssein zu

einem hl. Ort. Diese Motivation wurzelt

in einem tiefen Glauben an einen

barm herzigen Gott und dem Verlangen

nach einem physischen Kontakt mit

dem „Göttlichen“.

Daher war im Mittelalter ein religiöses

Motiv der häuigste Anlass für eine

Pilgerreise: ein Bittverlangen um

Heilung von einer Krankheit, Beistand

und Rat, ein abgelegtes Gelübde,

das Seelenheil oder der Dank für eine

erfahrene Gnade.

daS BuSS­ odEr STrafPiLgErN

Neben den freiwillig unternommenen

Wallfahrten gab es die von kirchlichen

oder weltlichen instanzen verordneten

Buß­ oder Strafpilgerfahrten, die vor

allem im Spätmittelalter gebräuchlich

waren.

Manchmal wurden Menschen wegen

geringfügiger Delikte zum Strafpilgern

verurteilt. So konnten Gefängniskosten

gespart oder Bettler aus der Stadt ver-

trieben werden. Strafpilgern war somit

„Sozialhygiene“. Mancher Büßer kehrte

geläutert heim. Andere ingen unter-

wegs ein neues Leben an oder wurden

erneut straffällig, wieder andere kamen

in der Fremde um.

Ein Sünder konnte im Mittelalter

Vergebung der Sünden durch Buße und

Ablässe erreichen. Er sollte bestrebt sein,

durch Werke der Barmherzigkeit und

der Nächstenliebe sowie durch Gebet

7 | moTivE für EiNE PiLgErrEiSE

Exkommunikation, die Flucht vor

Gläubigern und andere wirtschaftliche

Motive.

Händler verbanden ihre Handelsreisen

mit einer Pilgerfahrt, um die Zollab-

gaben zu umgehen, die man vielerorts

den Pilgern nicht abverlangte.

Im Spätmittelalter unternahmen

manche Adelige und wohlhabende

Bürger Pilgerfahrten zum eigenen

Zeitvertreib oder zum Prestigegewinn.

reiselust, fernweh und

Neugierde waren ab dem

Spätmittelalter der motor für

viele Pilgerreisende. Sie waren

der vorläufer der modernen

Bildungsreise.

PiLgErmoTivE im 21. JahrhuNdErT

Die Pilger des 21. Jahrhunderts werden

von religiös – spirituellen Motiven, von

kulturellem Interesse, Abenteuerlust,

Naturverbundenheit, aber auch sport-

lichem Ehrgeiz angetrieben, sich auf

eine Pilgerreise zu begeben.

Besonders in der heutigen schnell-

lebigen Zeit der Leistungsgesellschaft

suchen viele Menschen nach neuen

Perspektiven, gewähren sich eine Aus-

zeit zum Innehalten, zum Abschalten,

um neue Kräfte zu tanken und sich

wieder auf das Wesentliche im Leben

zu besinnen.

der Pilger macht sich auch auf, um

gleichgesinnte zu inden, denn damals

wie heute führt das Pilgern zu Be­

gegnungen und austausch zwischen

menschen, ungeachtet des alters,

der herkunft, des ansehens und des

geschlechts.

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Die bekanntesten Pilgerziele sind meist

Stätten, in denen Legenden, Berichten

und Erzählungen zufolge Gott selbst

oder seine Boten und Heiligen erschie-

nen sind. Eine dieser Stätten der

Erscheinung ist der heilige Berg Sinai.

Er wird von Juden, Christen und

Moslems gleichermaßen als solche

angesehen. Weiters zählen hierzu all

jene Orte im Heiligen Land, an denen

Jesus sich aufgehalten hat.

Erscheinungsorte der Erzengel (z.B.

Michaels-Heiligtümer) oder der Gottes-

mutter Maria (Fatima, Lourdes, u.a.)

sind nach wie vor beliebte Pilgerziele.

Weitere Pilgerziele stellen Verehrungs-

stätten dar, welche Aposteln, Märty-

rern oder Heiligen - Gott besonders

nahestehenden Personen - zugespro-

chen werden. Es handelt sich um

Orte, welche durch deren Wirken oder

Leiden geheiligt wurden oder um deren

Gräber, die Präsenz von Reliquien oder

besonderer Gegenstände, wie z.B. das

Leichentuch in Trier.

auch orte mit einer besonderen

Eigenschaft, z.B. einer heil samen

Quelle, üben auf Pilger eine große

anziehungskraft aus.

Der Grab- und Reliquienkult gewann

zunehmend an Bedeutung. Die Grab-

stätten eines Heiligen wurden immer

wichtiger, denn man maß den Körpern

der Heiligen auch nach dem Tod noch

übernatürliche Kräfte zu.

Im Laufe der Jahre wurden über

Heiligengräbern Grabkirchen erbaut

und es bildeten sich in deren Nähe

Kleriker- oder Nonnengemeinschaf-

ten, die den Heiligenkult plegten und

eine aufwendige Liturgie feierten. Die

Pilger erhofften sich Heil im umfas-

senden Sinn durch den Kontakt mit

den Heiligen selbst, aber auch durch

das andauernde Gebet der geistlichen

Gemeinschaft am heiligen Ort.

die zahlreichen Wunder,

die sich an den gräbern

der heiligen zugetragen haben,

wurden diesen unmittelbar

zugeschrieben und in mirakel­

büchern der jeweiligen heiligen

Stätte aufgezeichnet.

Schon seit jeher machen sich

menschen auf den Weg, um mit allen

Sinnen in kontakt mit den orten

der Bibel und dem Wirken von heiligen

zu kommen.

Zu Fuß oder unter Nutzung der vorhan-

denen Verkehrsmittel unternimmt der

Gläubige eine Reise zu den Stätten des

Lebens, Sterbens und der Auferstehung

Jesu Christi sowie zu den Gräbern der

Apostel.

An solchen Orten ist die Heilsgeschich-

te besonders spürbar und ermöglicht

ein wirkliches Nacherleben der hier

geschehenen Ereignisse. Aus vielen

Erzählungen im Alten Testament

erfährt man auch, dass sich Gott an

besonderen Stellen in der Natur, zum

Beispiel auf Bergen, unter Bäumen und

an Quellen den Menschen offenbart

und ihnen geholfen hat.

8 | PiLgErN zu hEiLigEN orTEN

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9

diE mirakELErzähLuNgEN

Den Menschen wurde die einfache

Botschaft vermittelt, dass sie durch

die Fürsprache des heiligen Jakobus

an Wunder Gottes glauben dürfen. So

berichten zahlreiche Legenden von

Wundern, die der Apostel an Pilgern

auf dem Weg und am heiligen Ort

bewirkt hat.

Im „Liber Sancti Jacobi“, dem

Pilgerführer aus dem hohen Mittelalter

heißt es:

„…Bei seiner Basilika werden näm-

lich immer wieder vom Herrn durch

ihn göttliche Wunder gewirkt. Kranke

kommen und werden geheilt, Blinde

sehend gemacht, Lahme aufgerichtet,

Stummen wird die Sprache geschenkt,

vom Teufel Besessene werden befreit,

Traurige werden getröstet, was jedoch

noch bedeutender ist: die Gebete der

Gläubigen werden erhört, die schweren

Lasten der Vergehen genommen und

die Fesseln der Sünder gelöst.“

(Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer

aus dem 12. Jahrhundert, übersetzt

von Klaus Herbers, Reclam Stuttgart

2008.)

Neben rom und Jerusalem entwickelte

sich das grab des heiligen Jakobus in

Santiago de Compostela im mittelalter

zu einem hauptziel der christlichen

Pilgerfahrt.

Die Kreuzzüge hatten eine Zeit lang

die Pilgerzüge ins Heilige Land unter-

brochen. Im späten 14. Jahrhundert

wurden sie wieder aufgenommen,

jedoch nur von jenen Pilgern, die die

kostspielige Reise inanzieren konnten.

Rom als Hauptstadt der Christenheit

war für Pilger immer attraktiv.

Santiago de Compostela zog seit dem

11. Jahrhundert immer mehr Pilger-

reisende an.

Sowohl die Kirche als auch die

nordspanischen Könige förderten das

Pilgern. So wurden die Pilgerwege

ausgebaut, Straßen befestigt, Brücken

gebaut. Zahlreiche Klöster wurden

gegründet und entlang der Straßen

entstanden Herbergen, Hospitäler und

„Pilgerbasiliken“, um die steigenden

Pilgermassen auf dem Weg geistlich

zu betreuen und angemessene Unter-

künfte zu gewähren.

9 | diE PiLgErSTäTTE SaNTiago dE ComPoSTELa

Einer der ersten namentlich genannten

Pilger war ein deutscher erblindeter

Kirchenmann, der das Grab des Apos-

tels Jakobus aufgesucht hat und dem

dort angeblich das Augenlicht wieder-

geschenkt wurde.

In einer Legende des 12. Jahrhunderts

wird berichtet, wie der heilige Jakobus

einen Menschen wieder zum Leben

erweckt haben soll. Dieses Wunder be-

weise, dass der heilige Jakobus größer

sei als der heilige Martin von Tours,

denn Martin habe nur zu Lebzeiten

Tote erweckt, Jakobus hingegen noch

nach seinem eigenen Tode.

Nach einem Niedergang

der Pilgerfahrt in der frühen

Neuzeit, verursacht durch einen

verfall der Pilgeridee, durch die

reformation und die nationalen

kriege zwischen frankreich und

Spanien, ist seit der mitte des

17. Jahrhunderts ein erneuter

aufschwung erkennbar.

Drei Legenden und Erzählungen dazu

im Anhang.

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TEIL 1

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TEIL 1

10

Im Liber Sancti Jacobi wird darauf

hingewiesen, dass „ jeder Pilger vor

Beginn seiner Reise denen, die ihm

Unrecht zugefügt haben, vergibt, alle

Vorwürfe, die andere oder sein Gewis-

sen ihm machen, möglichst beilegt,

von seinen Geistlichen, seinen Unter-

gebenen, seiner Frau oder mit wem er

sonst verbunden ist, eine rechtmäßige

Erlaubnis einholt, wenn möglich zu-

rückgibt, was er unrechtmäßig besaß,

Meinungsverschiedenheiten in seinem

Herrschaftsbereich bereinigt, die Buße

aller anderen annimmt, sein Haus in

Ordnung zurücklässt und über seine

Güter für seinen Todesfall verfügt.“

Wer die Gefahren einer Pilgerreise also

realistisch betrachtete, wusste, dass

er als Reisender und Pilger ständig

in Todesgefahr schwebte. Es war also

ratsam, vor dem Aufbruch alles so zu

regeln, als würde man nicht mehr zu-

rückkehren. Dass diese Vorsichtsmaß-

nahme durchaus berechtigt war, zeigen

die vielen Pilgerfriedhöfen am Weg.

Im Liber Sancti Jacobi heißt es z.B.

über Fährleute: „Oftmals lassen die

Fährleute, nachdem die Pilger bezahlt

haben, zu viele Menschen in das Boot

einsteigen, damit das Schiff kentert

und die Pilger im Wasser ertrinken.

Dann freuen sie sich hämisch und

bemächtigen sich der Habe der Toten.“

Nahezu jeder Christ im mittelalter

versuchte wenigstens einmal im Leben

ein nahes oder fernes Pilgerziel zu

besuchen, denn nach christlicher

Tradition kommt man gott auf einer

Pilgerreise näher und dem Pilger wird

eine große gnade zuteil.

Im frühen Mittelalter waren nur

bestimmte Personengruppen auf

Pilgerreise unterwegs: Könige mit ihren

Gefolgen, geistliche Würdenträger,

Missionare, diplomatische Gesandte,

Krieger und Händler. Erst seit dem

hohen Mittelalter machten sich auch

wandernde Handwerker, Studenten und

andere Personen auf den Weg.

Der Großteil der Pilger waren vermut-

lich erwachsene und gesunde Männer

und die meisten dürften freiwillig

unterwegs gewesen sein. Doch waren

auch viele Frauen mit Kindern unter

ihnen. Auch Kranke und Behinderte

fanden sich unter den Pilgern, da sie

sich an der heiligen Stätte Mut und

Kraft und sogar Heilung erhofften.

(Zitate entnommen aus: Der Jakobs-

weg. Ein Pilgerführer aus dem

12. Jahrhundert, übersetzt von Klaus

Herbers, Reclam Stuttgart 2008.)

das Pilgern war mit einer

geheuren kraftaufwendung

verbunden und erforderte

Willensstärke. dem Pilger

konnten nicht nur Natur­

gewalten und menschen

die reise schwer machen,

sondern auch die versuchungen

des Teufels, die ihr Seelenheil

gefährdeten. zahlreiche

Legenden berichten auch

davon.

Eine Legende dazu im Anhang.

10 | diE PiLgErrEiSENdEN im miTTELaLTEr

Page 22: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

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11

PiLgErfLaSChE: Trinkwasser

oder Wein führte man in einem ausge-

höhlten Kürbis oder einer Tierblase mit.

Der Behälter wurde entweder an Gürtel

oder Wanderstab befestigt oder über

der Schulter getragen.

PiLgErSTaB: Alle Pilger hatten

einen Pilgerstab bei sich. Er gab Halt

in unwegsamem Gelände, war eine

Stütze beim Überspringen von Bächen

oder kleiner Gewässer. Mit ihm konnte

man auch bösartige Tiere abwehren.

Dieser „dritte Fuß“ war gleichsam auch

Symbol für die Trinität.

In der anderen Hand hielt der Pilger

seit dem Spätmittelalter oft einen

Rosenkranz.

Vor Beginn der Pilgerreise wurden die

Pilger in einer Messe vom Priester ge-

segnet und erhielten den Stab und die

geweihte Pilgertasche. In der Predigt

wurden sie ermahnt, dem Evangelium

(Mt 10,7 – 14) gemäß den Weg zu

gehen und unterwegs mit anderen

Pilgern zu teilen.

Im Liber Sancti Jacobi gibt es dazu

folgende Segensformeln zu lesen:

„Im Namen unseres Herrn Jesus

Christus. Nimm diese Tasche als

Zeichen deiner Pilgerschaft, damit du

geläutert und befreit zum Grab des

hl. Jakobus gelangen mögest, zu dem

du aufbrechen willst, und kehre nach

Vollendung deines Weges unversehrt

mit Freude zu uns zurück; dies ge-

währe Gott, der lebt und herrscht von

Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Aus verschiedenen schriftlichen Quel-

len und bildlichen Darstellungen, die

bis in das 10. Jahrhundert zurückrei-

chen, kann man nachvollziehen, dass

sich aus der gewöhnlichen Kleidung

des Jakobspilgers allmählich eine Art

Uniform entwickelt hat, welche aus

Hut, Mantel, Pilgertasche, Pilgerlasche

und Pilgerstab bestand und zum äuße-

ren Erkennungszeichen eines Jakobs-

pilgers wurde. Anfänglich diente diese

Ausrüstung als Geleitbrief und reichte

aus, die kostenlose Gastfreundschaft

der Hospize in Anspruch zu nehmen.

huT: Der breitkrempige Hut war aus

geilzter Wolle. Er schützte das Gesicht

gegen die Sonne und sorgte dafür, dass

der Regen nicht in den Nacken lief.

maNTEL: Unverzichtbar war der

lange, oft auch ärmellose Mantel. Er

war weit geschnitten, schützte gegen

Regen, Wind und Kälte und diente

nachts als Schlafdecke. Im Sommer

war er allerdings in wärmeren Gebieten

eine unbequeme Last.

an hut oder mantel befestigte der

Pilger die muschel, bzw. das Pilger­

zeichen des jeweiligen Pilgerortes. der

Santiagopilger konnte mit der muschel

seine Pilgerfahrt belegen, sie unter­

wegs aber auch zum Wasserschöpfen

verwenden.

PiLgErTaSChE: Der trapez förmige

enge Beutel wurde aus Tierleder

gefertigt. Er diente dem Pilger zur

Aufbewahrung von Geld, Pilgerausweis,

evt. Freibriefen und Reiseproviant. Die

Tasche war ein Symbol dafür, dass der

Pilger auf Reichtum verzichten soll und

zum Nehmen und Geben bereit ist.

„Nimm diesen Stab zur Unterstützung

deiner Reise und deiner Mühen für

deinen Pilgerweg, damit du alle

Feindesscharen besiegen kannst, sicher

zum Grab des heiligen Jakobus gelan-

gest und nach Vollendung deiner Fahrt

zu uns mit Freuden zurückkehrest.

Dies gewähre dir Gott selbst, der lebt

und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.“

auch wenn sich die ausrüstung heute

von der früherer Pilger unterscheidet,

so hat eine Empfehlung nach wie vor

gültigkeit: So wenig gepäck wie mög­

lich und nur so viel wie unbedingt nötig

mitnehmen!

Im Liber Sancti Jacobi werden den

Pilgern auch Verhaltensmaßregeln für

die Reise empfohlen. In der Ansprache

heißt es:

„Wer darauf den Weg antritt, gebe

bedürftigen Pilgern, was diese für Leib

und Seele benötigen, oder er gebe es,

so weit er es kann, seinen Brüdern, er

sage kein schändliches Wort, sondern

rede über die Vorbilder der Heiligen; er

meide Trunkenheit, Streit und Begier-

de, er höre wenn nicht täglich, so doch

wenigstens an Sonn- und Feiertagen

die Hl. Messe, er bete ohne Unterlass,

ertrage geduldig alle Anfechtungen,

und wenn er später zurückgekehrt ist,

enthalte er sich erlaubter Dinge und

verharre bis zuletzt in guten Werken.“

(Zitate entnommen aus: Der Jakobs-

weg. Ein Pilgerführer aus dem

12. Jahrhundert, übersetzt von Klaus

Herbers, Reclam Stuttgart 2008.)

11 | diE CharakTEriSTiSChE ErSChEiNuNg uNd auSrüSTuNg dES PiLgErS im miTTELaLTEr

Page 24: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

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12

schlugen, und er zu ertrinken drohte,

erreichte er nur mit Hilfe des Heiligen

das rettende Ufer. Pferd und Reiter

waren ganz mit Muscheln bedeckt.

In dieser Legende ist die Muschel

Zeichen des Schutzes des Heiligen.

Die Muschel steht auch als Symbol

für die Zeugung des Gottessohnes in

der Jungfrau Maria. Christus, die Perle,

entstand aus der Hochzeit von Himmel

und Erde. Der Ort Finisterre am äußers-

ten Ende Spaniens bildet die Grenze

zwischen dem Endlichen und Unendli-

chen und die Muschel symbolisiert an

dieser Stelle die Begegnung des Pilgers

mit dem Himmlischen.

In der bildenden Kunst und Litera-

tur des Mittelalters galt die Muschel

als äußeres Kennzeichen für Pilger

generell.

Der heilige Jakobus erhielt nachträglich

die Jakobsmuschel als Erkennungszei-

chen. In Darstellungen trägt er sie in

der Regel am Hut, manchmal auch am

Gürtel. Aufgrund dieses nachträglichen

Attributes wurde die Jakobsmuschel im

Mittelalter weithin bekannt.

Zur Pilgermuschel inden wir im Liber

Sancti Jacobi eine sehr interessante

Deutung:

„Im Meer bei Santiago gibt es Fische,

die gemeinhin verae genannt werden.

Sie haben auf beiden Seiten einen

Schild, zwischen denen sich, gleich-

sam wie zwischen zwei Schalen, der

Fisch in Form einer Auster verbirgt.

Die Muschelpanzer sind wie die Finger

einer Hand geformt. Die Pilger heften

sie bei der Rückkehr vom Grab des

heiligen Jakobus an ihre Pilgermäntel

zur Ehre des Apostels sowie zu dessen

im mittelalter hatte jeder wichtige

Pilgerort ein eigenes abzeichen: Jeru­

salem das Jerusalemkreuz, rom die

gekreuzten Pilgerstäbe und Santiago de

Compostela die Jakobsmuschel.

Die Muschel war der Nachweis für die

tatsächlich absolvierte Pilgerreise und

sollte den Pilger auf dem Heimweg und

auch noch in der Heimat schützen. Ein

unter Jakobspilgern verbreiteter Brauch

war es, den Pilgergang am 60 km

entfernten Cap Finisterre zu beenden

und dort eine echte Jakobsmuschel

persönlich aus dem Meer zu ischen.

Daneben benutzten die christlichen

Pilger des Mittelalters die Muschel aber

auch zum Wasserschöpfen.

Die Jakobsmuschel war aber mehr als

nur ein Souvenir. Nach der Rückkehr

in die Heimat sicherte sie dem Träger

Ansehen, und mancher ließ sich die

Muschel ins Grab legen.

heute wie damals ist die Jakobsmu­

schel ein identität stiftendes Erken­

nungssymbol und zeichen der Liebe

und des Lebens. mit ihren in der mitte

zusammenlaufenden rillen wird sie

auch als Bild der verschiedenen in

Santiago zusammentreffenden Wege

gedeutet.

diE muSChEL uNd dEr hEiLigE JakoBuS

Dass die Muschel mit dem heiligen

Jakobus in Verbindung gebracht wird,

beruht auf einer Legende. Der zufolge

soll ein junger Adliger mit seinem Pferd

trotz der Fluten dem kenternden Schiff

entgegen geritten sein, das den Leich-

nam des Jakobus nach Spanien brach-

te. Als die Wellen über ihm zusammen-

Gedächtnis und bringen sie als Zeichen

der langen Reise mit großer Freude

nach Hause zurück. Die zwei Scha-

len der Muschel, durch die der Fisch

beidseitig geschützt wird, bezeichnen

die zwei Vorschriften der Nächstenlie-

be, mit denen der Träger sein Leben

festigen muss: das heißt Gott über

alles und den Nächsten wie sich selbst

zu lieben.“

(Zitat entnommen aus: Der Jakobsweg.

Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahr-

hundert, übersetzt von Klaus Herbers,

Reclam Stuttgart 2008.)

dEr modErNE PiLgErNaCh­WEiS – diE PiLgErurkuNdE

Seit dem 13. Jahrhundert wird der

Pilgernachweis nach Santiago de

Compostela durch ein Beglaubigungs-

schreiben bestätigt, die Pilgerurkunde

„La Compostela“, welche bis heute ihre

ursprüngliche Form beibehalten hat

und in lateinischer Sprache verfasst

ist. Die Urkunde wird jenen Pilgern

ausgestellt, die anhand ihres Pilgeraus-

weises nachweisen können, entweder

den ganzen Weg oder den Weg durch

Spanien, mindestens aber die letzten

100 km der Strecke zu Fuß oder die

letzten 200 km zu Pferd oder per

Fahrrad zurückgelegt zu haben.

die einzelnen Stationen

werden mit Stempeln im

Pilgerausweis festgehalten,

außerdem berechtigt er zur

Nutzung der preisgünstigen

Pilgerherbergen und zum Tragen

der entsprechenden abzeichen.

12 | PiLgErzEiChEN – JakoBSmuSChEL

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1313 | PiLgErhErBErgEN

Im Liber Sancti Jacobi heißt es, dass

alle Santiagopilger, ob arm oder reich,

liebevoll und ehrfürchtig aufgenommen

werden sollen. Denn wer ihnen Obdach

gewährt, beherberge in ihnen nicht nur

den heiligen Jakobus, sondern auch

Christus selbst, wie er im Evangelium

sagt: „Wer euch aufnimmt, nimmt

mich auf.“ (Mt 25,31-46)

die Plicht der Pilger wiederum war es,

am ziel ihres Weges für ihre Wohl­

täter zu beten und die fürsprache des

heiligen Jakobus für alle ihre gönner zu

erbitten.

Zahlreiche Legenden berichten von

jenen, die sich den Zorn Gottes

zuzogen, weil sie Pilger des heiligen

Jakobus und Bedürftige nicht aufneh-

men wollten.

hauSordNuNg EiNEr PiLgErhErBErgE

Eine Hausordnung regelte den genauen

Ablauf in solchen Pilgerherbergen. Das

Einhalten der Regeln wurde genauesten

überwacht.

die folgenden hausregeln entstammen

der hausordnung des Spitals in Bruch­

sal um 1500:

• Pilger sollten eine Nacht lang unent-

geltlich beherbergt werden und dazu im

Sommer zwei, im Winter eine Stunde

vor Einbuch der Dunkelheit eingelassen

werden.

• Verboten waren Fluchen, Schelten,

Kriegen, Zanken, unnütze Reden

Treiben, sowie das Spielen um Geld.

• Der Pilgerwirt sollte jeden unver-

züglich vor die Tür setzten, der Gott

lästert oder auf andere Weise den

Frieden des Hauses stört.

• Bevor die Suppe ausgeschenkt wird,

sollten die Pilger andächtig fünf Vater-

unser und fünf Ave-Maria beten.

• Zeitig zu Bett gehen, Männer und

Frauen in getrennten Räumen, nur mit

einem Unterkleid bekleidet. Kleider

und Gepäck waren vor der Kammer

abzulegen, die von außen zugesperrt

wurde. Morgens hatte jeder sein Bett

Pilgern war und ist eine ungeheure

Energieleistung. Pilgern ist Arbeit.

Müde, durchnässt, hungrig und durstig,

geschwächt oder krank und manchmal

schlecht gelaunt näherte sich der

Pilger im Mittelalter Schritt für Schritt

seinem Ziel. Manch einer legte sich

als Bußleistung freiwillig noch weitere

Lasten auf, einer ging nackt, andere

fasteten, wieder anderer liefen mit

ausgebreiteten Armen, barfuß oder mit

Erbsen in den Schuhen den gesamten

Weg entlang. Aber es gab auch solche

Erfahrungen, die Kraft spendeten und

die Mühen des Weges leichter ertragen

ließen: die Schönheit der Natur und

der Besuch von Wallfahrtsorten und

Kirchen am Weg waren aufbauende

und stärkende Erlebnisse.

Bis ins 11. Jahrhundert gewährten

ausschließlich die Benediktinerklöster

den Pilgern in ihren Klosterhospitälern

und den Hospizen entlang des Weges

Unterkunft. Manch einer nächtigte oft

auch in Kirchen oder Kirchenvor hallen.

Bis ins 15. Jahrhundert entstand an

den Fernhandelswegen, die wegen

ihrer guten Infrastruktur und relativen

Sicherheit von den Pilgern benutzt

wurden, ein weit verzweigtes Netz von

Herbergen, Klöstern, Hospitälern und

Gasthäusern, welche Unterkunft und

Verplegung boten. Die Unterkünfte

waren leicht zu inden, denn auf

dem Santiagoweg waren sie mit dem

Pilgerzeichen, der Jakobsmuschel,

gekennzeichnet. Unentgeltlich war nur

die Aufnahme im Kloster, Hospiz und

Spital. Hier fanden mittellose Fremde

und Pilger am Abend ein warmes Essen

und ein einfaches Strohlager, manch-

mal bekamen sie auch einen Zehr-

pfennig für den Weg.

In einigen Hospitälern war es üblich den

Ankömmlingen die Hände und Füße

zu waschen, zum einen zur Erholung

nach langen Märschen und zugleich ein

ritueller Akt in Erinnerung an die Fuß-

waschung durch Jesus. Gesunde Pilger

durften höchstens drei Nächte bleiben.

Sehr viele Hospitäler zählten nach dem

Vorbild der zwölf Apostel zwölf Betten.

Die Betten wurden in der Regel mit zwei

oder mehr Gästen belegt.

zu machen. Da alles inventarisiert war,

musste der Pilgerwirt ein waches Auge

auf Laken und Decken haben. Erst

wenn jeder versichert hatte, dass ihm

nichts von seinem Habe fehlte, wurde

die Haustür aufgeschlossen und die

Pilger entlassen.

Als die Zahl der Pilgerreisenden jedoch

zunahm, entstanden gewerbliche

Beherbergungsbetriebe.

Wer für Unterkunft und Verplegung

zahlen konnte, sollte ins Gasthaus

gehen. Diese standen allerdings in

keinem guten Ruf, denn hier sammel-

ten sich zwielichtige Gestalten. Wegen

Überfüllung mussten die zugeteilten

Kammern oder sogar das Bett auch

schon mal mit wildfremden Menschen

geteilt werden, auch die Hygiene ließ

oft zu wünschen übrig. Einige Pilger

warnten sogar vor schlechtem Essen,

überteuerten Speisen und korrupten

Wirten.

im Liber Sancti Jacobi lässt der

ver fasser kein gutes haar an den

schlechten und betrügerischen Wirten.

Sie locken die Pilger in ihre häuser,

versprechen ihnen alle guten dinge

und handeln schlecht.

„Sie reichen ihnen zuerst zum Kosten

den besten Wein und verkaufen dann,

wenn sie können, den schlechten.

Weitere verkaufen Fische oder gegartes

Fleisch, die zwei oder drei Tage alt sind

und die Pilger krank machen. Andere

versprechen den Pilgern beste Betten

und geben schlechte. Manche lassen

beim Eintreffen neuer Gäste die alten

bezahlen und vertreiben sie dann. Der

schlechte Wirt gibt seinen Gästen bes-

ten Wein, um sie betrunken zu machen

und um dann während ihres Schlafes

von ihnen Geldbeutel, Tasche oder et-

was anderes zu stehlen. Oder er reicht

ihnen todbringende Getränke, um sich

ihrer Habe zu bemächtigen.“

(Zitat entnommen aus: Der Jakobsweg.

Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahr-

hundert übersetzt von Klaus Herbers,

Reclam Stuttgart 2008.)

Legenden dazu im Anhang

Page 28: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

28

TEIL 1

14

Der Pilger war auf seinen Wegen vielen

Gefahren ausgesetzt: Wegelagerern,

wilden Tieren aber auch klimatischen

Veränderungen. Im Laufe des Mittel-

alters haben die Menschen einfache

Möglichkeiten gefunden, um den

Pilgern die Wege über die Gebirge

sicherer zu gestalten. Nach der

Schneeschmelze hatten ortskundige

Hirten auf den Wegen ein paar Steine

zu kleinen Pyramide oder „Stein-

mandeln“ aufgetürmt. Dadurch blieb

so manchem Pilger ein jähes Ende

erspart.

auch heute noch sind solche Stein­

pyramiden als Wegweiser bei Wander­

ungen in den alpen gebräuchlich.

Das Botafumeiro – ein riesiges

Weihrauchfass in der Kathedrale von

Santiago de Compostela mit einer

Länge von 1,50 Metern, einem Gewicht

von 46 Kilogramm, das an einem etwa

30 m langen Seil von der Decke hängt

– ist wahrscheinlich eine Reaktion

auf die mangelnden hygienischen

Zustände, die es ratsam machten, die

Ausdünstungen der Pilger zu über-

decken. Auch heute noch lässt ein ein-

gespieltes achtköpiges Seilzieherteam

den Weihrauchkessel im Querschiff mit

einem Tempo von bis zu 70 km/h über

die Köpfe der Besucher hinwegzischen.

An einigen Orten wurden bestimmte

Riten zur Gewohnheit: So wuschen

sich die Pilger kurz vor der Stadt

Santiago im nahen Fluss gründlich

den ganzen Schmutz vom Körper. So

mancher Pilger hatte sich seit Wochen

nicht gewaschen und verbreitete einen

penetranten Gestank. In Santiago an-

gekommen wurden die Gläubigen frisch

einge kleidet und die alten Kleider auf

dem Dach der Kathedrale verbrannt.

Die erste Nacht verbrachten die Pilger

wachend und betend in der Nähe des

Apostelgrabes. Nach dem Ablegen der

Beichte konnte man an einer der zahl-

reichen Wallfahrtsmessen teilnehmen.

das „Cruz de ferro“ steht

auf einer Passhöhe von

1504 metern und markiert den

höchsten Punkt des Jakobsweges

zwischen den Pyrenäen und der

Stadt Santiago. hier ist es üblich,

dass der Pilger einen Stein nieder­

legt, den so mancher mit Namen

und datum auch von zu hause

mitgebracht hat. Er ist Symbol

dafür, dass man sich von Lasten

und Sorgen befreit.

Als Muschelbrüder wurden jene

falschen Pilger bezeichnet, welche

im Mittelalter die Vorteile der

Santiagopilger auf kriminelle Art

und Weise ausnützten. Als redliche

Pilger verkleidet und mit Muschel

als Erkennungszeichen erschlichen

sie sich Essen und milde Gaben,

übernachteten in Herbergen und

näherten sich arglosen Pilgerge-

fährten. Geduldig warteten sie den

rechten Moment ab, um zu betrügen

zu stehlen und gar manchen Raub-

mord zu begehen.

um diese gefahren und missbräuche

zu unterbinden, erließ der Stadtrat

von Santiago im 16. Jahrhundert ein

gesetz, dass sich auswärtige gäste

nicht länger als drei Tage in der

Stadt aufhalten durften, andernfalls

mussten sie mit 30 Tagen gefängnis

rechnen.

14 | kurioSES auf dEm WEg NaCh SaNTiago dE ComPoSTELa

Page 29: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

29

TEIL 1

15

Im 14. Jahrhundert wurde das Perga-

ment vom Papier verdrängt. Ursprüng-

lich in China erfunden

fand das Papier über den arabischen

Raum den Weg nach Europa. Im

maurischen Spanien wurde durch

diese Erindung die Aufbewahrung

und Verbreitung von antikem arabi-

schen Wissen der Philosophie, der

Mathematik oder der Geographie in

Büchern erleichtert. Viele bedeutende

Schriften fanden so über Spanien den

Weg nach Europa. Bibliotheken, reich

an Schätzen der arabischen Wissen-

schaften wurden von zahl reichen

Gelehrten aufgesucht.

Ein bekanntes Symbol für das tolerante

zusammenleben der verschiedenen

religionsgemeinschaften stellt die

ringparabel dar.

Boccaccio (1313 – 1375) verfasste

nach der christlich-jüdisch-maurischen

Erzähltradition folgende Parabel im

„Decamerone“: Ein Vater übergibt

jedem seiner drei Söhne, ohne dass die

jeweils anderen davon wissen, je einen

Ring. Nach seinem Tode soll jeder den

seinen vorweisen, um zu zeigen, dass

der Vater den Besitzer des Ringes zu

seinem Alleinerben ausersehen hat. Da

die Ringe völlig gleichartig sind, kann

schließlich nicht entschieden werden,

wer der Alleinerbe ist und sie erben

alle drei.

ohne den Einluss maurischer und

jüdischer kultur wäre Europa um

einiges ärmer.

Die Religion der Mauren und Juden

schrieb rituelle Waschungen vor und

was Hygiene und Körperreinigung

betraf, so hatten sie einen hohen

Standard. So wurden im Mittelalter

zahlreiche öffentliche Badeanstalten

errichtet, welche von Muslimen, Juden

und Christen gleichermaßen besucht

wurden. Nur einige dieser maurischen

Bäder sind heute noch in Spanien

erhalten, so in Granada und Còrdoba.

Im 16. Jahrhundert, unter König Phi-

lipp II. wurden die öffentlichen Bäder

geschlossen oder großteils zerstört.

Auch die spanische Architektur ist

von maurischen Einlüssen geprägt

und spiegelt das Zusammenleben von

Mauren, Juden und Christen wieder.

Der Einluss auf die abendländische

Kunst war sehr groß. Seit der Mitte des

19.Jahrhunderts wurden in vielen

deutschen Städten Synagogen gebaut,

welche dem maurischen Stil nach-

empfunden waren, der einer Zeit

entstammte, in der die Juden eine

Blütezeit ihrer Kultur erlebten.

Lessing hat die Ringparabel seinem

Ideendrama „Nathan der Weise“

(1779) zugrunde gelegt.

Der maurisch-jüdischen Kultur

verdanken wir das Schachspiel,

das Dame-Spiel und verschiedene

Kartenspiele. Auch die Lyrik und

die Kunst des Dichtens fanden über

Andalusien den Weg nach Europa

und wurden im Mittelalter von den

Troubadouren und Minnesängern

begeistert übernommen.

in der spanischen musik

und im spanischen Tanz,

wie dem flamenco, sind die

maurisch­jüdischen Einlüsse

auch heute noch hör­ und sicht­

bar. die Laute, die gitarre, das

Tamburin und die kastagnetten

sind hinterlassenschaften einer

großen maurisch­jüdischen

kultur.

15 | SPurEN mauriSChEr uNd JüdiSChEr kuLTur iN EuroPa

Page 30: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

30

TEIL 1

LEgENdEN uNdmirakEL­

ErzähLuNgEN

LEgENdEN uNdmirakEL­

ErzähLuNgEN

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31

TEIL 1

geleitete das Schiff nach galicien, wo

sie im reich der heidnischen königin

Lupa von hispania landeten. ihr Name

bedeutet so viel wie „die Wölin“.

Die Jünger trugen Jakobus Leichnam

aus dem Schiff und legten ihn auf

einen großen Stein. Dieser Stein gab

unter dem Leichnam nach und formte

sich zu einem Sarg. Daraufhin gingen

die Jünger zur Königin und sagten:

„Jesus Christus schickt dir den toten

Jakobus, denn lebendig habt ihr ihn

ja nicht haben wollen.“

Daraufhin sandte sie die Jünger zum

König von Hispanien, um diesen um

seinen Rat zu fragen. Der jedoch ergriff

die Jünger und ließ sie ins Gefängnis

werfen. Da kam der Engel des Herrn,

öffnete die Kerkertür und ließ sie

frei. Als der König von der Flucht der

Jünger erfuhr, schickte er ihnen seine

Kriegsknechte nach. Als diese über

eine Brücke kamen, stürzte diese ein

und die Krieger ertranken. Voller Reue

ließ der König daraufhin die Jünger

Die Jünger sammelten die sterblichen

Überreste des Jakobus ein, um sie

gemäß seinem Wunsch nach Spanien

zu bringen und dort zu begraben. Am

Strand fanden sie ein von Gott vorbe-

reitetes Boot. In dieses brachten sie

den toten Jakobus und folgten dem von

Gott bestimmten Kurs.

Bei Iria Flavia landeten sie. Von dort

brachten sie den Leichnam nach

Liberum Donum, das jetzt Compostela

heißt. Dort begruben sie ihn unter

(Legende aus dem 11. Jahrhundert, der

Zeit der Reconquista, aus der „Historia

Compostelana“)

LEgENda aurEa

Nachdem der Apostel Jakobus

predigend durch Judäa und Samaria

gezogen war, ging er nach Spanien.

Hier hatte er das Wort Gottes ver kündet,

war jedoch auf taube Ohren gestoßen.

Angesichts dieser Misser folge war er

in Zaragoza von der Jungfrau Maria

persönlich getröstet worden.

Schließlich kehrte er nach Judäa

zurück, wo ihm unterstellt wurde,

Unwahrheiten zu verbreiten. So wurde

Jakobus vor König Herodes Agrippa ge-

führt. Dieser gab den Befehl, Jakobus

zu enthaupten. Am 25. März wurde

Jakobus enthauptet und am 25. Juli

wurde der Leichnam nach Compostela

überführt. Am 30. Dezember wurde er

dort angeblich bestattet.

die überführung nach Compostela

erfolgte durch die Jünger. am Tag

nach der Enthauptung brachten sie

den Leichnam des Jakobus heimlich

auf ein Schiff. der Engel des herrn

hiSToria ComPoSTELaNa 1

Auf Wunsch des Herrn zogen die

Jünger hinaus in alle Länder, um das

Evangelium zu verkünden. Nur Jakobus

blieb zurück, um in Jerusalem das Wort

des Herrn zu predigen. Wegen seines

Glaubens wurde er dort auf Befehl des

Herodes enthauptet.

Die Juden warfen den Leichnam samt

Kopf vor die Mauern der Stadt, den

Hunden und Geiern zum Fraß vor.

hiSToria ComPoSTELaNa 2

Bischof Mauritius con Coimbra befand

sich um 1004 auf einer Pilgerfahrt

im Heiligen Land. Durch Betrug oder

Diebstahl gelangte er in den Besitz des

Hauptes des Apostels und brachte es

von Jerusalem nach Santiago.

zurückholen. Sie kamen wieder und

bekehrten das Volk der Stadt zum

Christen glauben. Königin Lupa war

darüber betrübt.

Als die Jünger daraufhin zu ihr kamen,

gab sie ihnen absichtlich wilde Rinder,

um den Leichnam zur Bestattungs-

stätte zu transportieren. Aber die

Jünger machten über die Rinder ein

Kreuzzeichen, worauf diese zahm

wurden und sich ohne Widerstand

an den Wagen spannen ließen. Die

Stiere zogen den Wagen ohne Führung

in den Palast der Lupa. Da erschrak

diese, wurde bekehrt und nahm den

christ lichen Glauben an. Sie gab den

Jüngern, was diese wollten und wan-

delte ihren Palast in eine Sankt Jacobi

Kapelle um. Ihr Leben beschloss sie

von nun an mit guten Werken.

(Legende der Sammlung „Legenda

Aurea“ des Jacobus de Voragine aus

dem Jahre 1260 entnommen aus:

Irrweg Jakobsweg, Roland Girtler,

Edition Gutenberg 2005)

marmornen Bögen.

Das Grab geriet jedoch im Laufe

der Christenverfolgung durch die

Römer und der Invasion der Mauren

in Vergessenheit.

Viel später beschloss Gott, dass das

Grab durch Theodemir, den Bischof

von Iria, wiederentdeckt wurde.

(Legenden der „Historia Compostelana“

entnommen aus: Irrweg Jakobsweg,

Roland Girtler, Edition Gutenberg 2005)

LEgENdEN: TraNSLaTioN dES LEiChNamS

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32

TEIL 1

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33

TEIL 1

„Die erste Stadt, die Karl belagerte,

war Pamplona. Nach mehrmonati-

gem Widerstand rief er Gott und den

Apostel Jakobus um Hilfe an, worauf

die Stadtmauern von selbst einstürz-

ten und die karolingischen Truppen

ungehindert einziehen konnten.“

(Legende aus dem vierten Buch des

„Liber Sancti Jacobi“, verfasst im

12. Jahrhundert, entnommen aus:

Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus

dem 12. Jahrhundert von Klaus

Herbers. Philipp Reclam jun.

Stuttgart 2008.)

durch eine offenbarung entdeckte

er im unterholz eine grabstätte,

die er ohne zweifel dem heiligen

Jakobus dem älteren zusprach.

(Legende aus dem 11. Jahrhundert

entnommen aus: Apostelgrab am

westlichen Ende Europas von

Adeline Rucquoi, Welt und Umwelt

der Bibel, Heft 3/2004, Nr. 33)

LiBEr SaNCTi JaCoBiim 12. JahrhuNdErT

Der Apostel höchstpersönlich

erschien Kaiser Karl im Traum.

Er verwies auf die Sterne der

Milchstraße, welche den Weg

zu seinem vergessenen Grab

weisen.

Jakobus ermutigte ihn, gegen die

muslime zu kämpfen und nicht nur

den Weg zu seinem grab, sondern

das ganze Land von den feinden

zu befreien.

im 11. JahrhuNdErT

Es ereignete sich in den Jahren

zwischen 820 und 830.

Einem Einsiedler namens Pelagius

waren über einem Waldgebiet, in

welchem er hauste, immer wieder

merkwürdige Lichtphänomene

aufgefallen. Sogar Engelserschei-

nungen soll er mehrmals gesehen

haben.

Von diesen eigenartigen Vorkomm-

nissen wurde Theodemir, der

damalige Bischof von Iria Flavia,

unterrichtet. Dieser begab sich an

den besagten Ort und fastete drei

Tage lang.

LEgENdEN: diE graBauffiNduNg

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34

TEIL 1

freundlich ein kühles Getränk aus einer

Flasche an: „Das ist für dich, wenn

du nur deine Pilgerwanderung hier ab-

brichst! Wofür willst du denn auch die

ganze Mühe auf dich nehmen?“

Der Pilger wollte schon nach der

Flasche greifen, da sah er plötzlich

den Pferdefuß unter dem vornehmen

Gewand hervorschauen. Da war im klar,

dass es der Teufel selbst war, der ihn

zum Aufgeben bewegen wollte. Der Pil-

ger blickte zu Boden und eilte schnell

weiter.

hatte und schon weit entfernt war, ging

die nichtswürdige Frau zur Asche in der

Absicht, das Brot zu holen; an Stelle

des Brotes fand sie einen runden Stein.

Mit reumütigem Herzen eilte sie sofort

dem Pilger nach, fand ihn aber nicht.“

„In der Stadt Poitiers baten zwei

französische Herren, die einst ohne

jede Habe vom heiligen Jakobus zu-

rückkehrten, vom Hause des Johannes

Gautier bis zur Kirche St-Porchaire um

Gastfreundschaft, fanden jedoch keine.

Als sie im letzten Haus jener Straße,

neben der Basilika schließlich bei ei-

nem Armen Aufnahme fanden, traf die

kurz darauf begegnete er dem heiligen

Jakobus, der als Pilger gekleidet war.

Jakobus legte ihm ermutigend die hand

auf die Schulter und schlug mit seinem

Pilgerstab an die Steine. da entsprang

eine Quelle. Jakobus reichte ihm das

frische Wasser aus einer muschelschale

und sagte zu ihm: „hab vertrauen und

gib nicht auf. ich begleite dich und

helfe dir weiter.“

Strafe Gottes ein: Ein rasendes Feuer

brannte die ganze Straße in jener Nacht

nieder, beginnend bei jenem Haus, in

dem sie zuerst um Gastfreundschaft

gebeten hatten, bis zu dem Haus, in

dem sie bewirtet worden waren. Es

waren ungefähr tausend Häuser. Jenes

Haus aber, in dem die Diener Gottes

aufgenommen worden waren, blieb

durch Gottes Gnade unversehrt.“

(Legenden und Erzählungen aus dem IV.

Buch des Liber Sancti Jacobi entnommen

aus: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus

dem 12. Jahrhundert von Klaus Herbers.

Philipp Reclam jun. Stuttgart 2008.)

vom PiLgEr uNd vom TEufEL

Dies soll sich bei den Resten eines

alten Brunnens auf dem Weg nach San-

tiago de Compostela zugetragen haben.

Hinter Pamplona führt der Weg steil

aufwärts. Ein Pilger quälte sich in der

Hitze diesen Berg hoch. Seine Was-

serfalsche war leer. Er war erschöpft

und sehr durstig. Er konnte kaum noch

weitergehen. Da begegnete ihm ein

elegant gekleideter Mann und bot ihm

gaSTfrEuNdSChafT

„in einer Stadt verweigerte ein Weber

einem Pilger das Brot, das dieser für

sich erbat; plötzlich iel der Webstoff,

in der mitte entzweigerissen, auf den

Boden.“

„In einer anderen Stadt bat ein armer

Pilger eine Frau, die unter heißer Asche

Brot hatte, um ein Almosen aus Liebe

zu Gott und dem seligen Jakobus. Sie

antwortete, dass sie kein Brot habe;

darauf sprach der Pilger: „Wolle Gott,

das Brot, das du hast, werde zu Stein!“

Als der Pilger jenes Haus verlassen

LEgENdEN:

mirakELErzähLuNgEN:

sarazenischen Freibeutern angegrif-

fen und dreizehnmal weiterverkauft.

Als er schließlich nach Almería kam,

rief er seinen Heiligen erneut an und

dieser sagte ihm im Traum: „Weil du in

meiner Basilika damals nur Schutz für

deinen Körper, nicht für deine Seele

erleht hast, bist du in alle diese

Gefahren geraten. Trotzdem hat der

Herr Erbarmen mit dir und hat mich

geschickt, um dich erneut zu befreien.“

(Mirakelerzählung aus dem

12. Jahrhundert, Liber Sancti

Jacobi II 22)

kaufmaNN auS BarCELoNa

Die Erzählung berichtet von einem

Kaufmann aus Barcelona, der zum

Grab des Apostels Jakobus ging und

diesen bat, ihn während seiner Reise

gegen Feinde zu schützen. Bald danach

wurde er in der Nähe von Sizilien von

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35

TEIL 1

Tode. Vater und Mutter pilgerten weiter

nach Santiago de Compostela und

erfuhren in einer Erscheinung des Apo-

stels Jakobus, dass ihr Sohn lebe. Der

Richter, dem man bei der Rückkehr von

dem noch lebenden Jungen am Galgen

berichtete, briet gerade zwei Hühner

und spottete: Der Gehenkte lebe eben-

so wenig wie seine zwei gebratenen

Hühner. Da latterten plötzlich beide

Hühner davon und überführten so

den Bösewicht. Im spanischen Santo

Domingo de la Calzada werden noch

heute in der Kirche in einem Käig ein

weißer Hahn und eine weiße Henne

gehalten. Sie seien angeblich vom

Bratspieß direkt dorthin gelogen.

Pilger stecken sich gerne federn dieser

hühner an den hut.

(Legende aus dem 15. Jahrhunderts

aus Santo Domingo de la Calzada,

entnommen aus: Ey – Ultreia! Der

Pilgerweg nach Santiago de Compostela

von Knud Seckel, Pax Geschichte Nr.2,

April – Mai 2007)

vom uNgLäuBigEN riChTEr

in Santo domingo de la Calzada soll

sich das „hühnerwunder“ zugetragen

haben:

Ein deutsches Ehepaar mit Sohn wollte

nach Santiago de Compostela pilgern.

Sie kehrten in ein Wirtshaus ein. Als

der Sohn die Liebe der Wirtstochter

nicht erwiderte, versteckte diese ein

wertvolles Teil in dessen Gepäck und

klagte ihn am nächsten Morgen des

Diebstahls an. Es folgte, wie erwartet,

die Verurteilung des Jünglings zum

„Mein Weib sieht wirklich ein wenig

mitgenommen aus“, dachte der Mann,

„ein wenig Wärme und ein weiches

Lager werden ihr gut tun. Hauptsache,

sie kommt wieder zu Kräften.“

Der mürrische Gastwirt verlangte einen

sehr hohen Übernachtungspreis. Das

bedeutete, dass sie sich auf dem wei-

teren Weg nach Santiago von milden

Gaben ernähren mussten.

Während der Mann mit seinen beiden

Kindern den Esel versorgte und in den

Stall brachte, ging die Frau in das

Zimmer. Als sie jedoch zurückkehrten,

fanden sie ihre geliebte Frau und

Mutter tot in ihrem Bett.

Der dreiste Wirt bot dem Witwer an,

mit seinen Kindern im Gasthaus zu

wohnen, bis die Frau bestattet sei.

Dafür luchste er ihnen ihre restlichen

Münzen ab und verlangte zudem noch

den Esel. Betrübt zogen die drei Pilger

nach wenigen Tagen weiter.

Schon bald trafen sie einen Pilger, der

auf einem Esel ritt. Der Reiter fragte

sie nach ihrem Ziel und meinte dann:

„Ich sehe, dass euch der Marsch sehr

müde macht. Ich borge euch meinen

Esel bis Santiago. Es ist ein starkes

Tier und vermag auch beide Kinder

auf einmal zu tragen. In Santiago, wo

ich zu Hause bin, könnt ihr ihn mir

zurückgeben.“

Der Mann nahm dankbar das Angebot

an und fragte, wie er ihn am Zielort

ausindig machen könne.

„Sorgt euch nicht“, sprach der Fremde,

„ich werde mich dort zu erkennen

geben.“ Dann verschwand er.

Wohlbehalten erreichte der Mann mit

seinen Söhnen das Grab des Apostels

in Santiago de Compostela. In der Ka-

thedrale betete er für die Seele seiner

verstorbenen Frau und für die Kranken

zu Hause. Da trat eine fremde Gestalt

an ihn heran.

„Erinnert ihr euch, mein Bruder? Ich

bin der Apostel des Herrn, der euch

seinen Esel geliehen hat. Ich sehe,

dass ihr gesund in meiner Stadt einge-

troffen seid und das Tier gut geplegt

habt. Für euren langen Weg zurück in

die Heimat borge ich euch meinen Esel

aufs Neue.“

Ergeben iel der mann vor dem heiligen

auf die knie, der betrügerische gast­

wirt erhielt schließlich seine gerechte

Strafe.

(Legende entnommen aus: Mythos

Jakobsweg, Drouve Andreas, Tyrolia

Verlag, Innsbruck-Wien 2004)

dEr gEBorgTE ESEL

Vielen Pilgern soll der heilige Jako-

bus auf ihrem Weg nach Santiago

beigestanden haben, so auch einem

frommen Christenpaar mit seinen

beiden Kindern und ihrem treuen Esel,

die sich aus dem westfranzösischen

Landstrich Poitou nach Santiago de

Compostela aufmachten. Daheim

grassierte eine verheerende Epidemie

und viele Menschen waren schon daran

gestorben. Sie erhofften sich nun vom

Apostels Jakobus, dass er die Seuche

beende und ihre Familienangehörigen

wieder gesund mache.

Der Esel war ein gutmütiges Tier, trug

die Bündel und nahm gelegentlich

einen der Jungen oder die Frau auf den

Rücken. Diese war wohl auch erkrankt

und litt mehr und mehr unter den Stra-

pazen der Reise. Nach dem beschwerli-

chen Weg über die Pyrenäen spürte sie,

dass sie ihr Ziel nicht mehr erreichen

würde, ließ sich aber nichts anmerken,

um ihre Lieben nicht zu beunruhigen.

Am Abend traf die Familie in Pamplona

ein. Die Frau, die sonst so genügsam

war, konnte ihren Mann überzeugen,

ausnahmsweise in einem Gasthaus

einzukehren, obwohl ihre Ersparnisse

sehr dürftig waren.

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36

TEIL 1

kurioSES auf dEm JakoBSWEg

Page 37: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

37

TEIL 1

Heute ist davon nur mehr das Oratorio

de San Bartolomè, ein Nachfolgebau

aus dem 17. Jahrhundert erhalten.

In dieser Gegend erzählt man sich noch

heute von Wundern des heiligen Franz

von Assisi. In seiner Gegenwart soll

eine Quelle entsprungen sein und ein

verdorrter Maulbeerbaum die herrlichs-

ten Blüten getrieben haben.

Auf dem Camino ist Franz von Assisi

an vielen Orten gegenwärtig, so auf der

Plaza de San Francisco in Pamplona

als Denkmal an der Seite eines Wolfes,

im Museum der Kathedrale von Santo

Domingo de la Calzada als Skulptur.

auch zahlreiche San­francisco­kirchen

liegen entlang des Weges. von jener

im Städtchen villafranca del Bierzo

behaupten die Einheimischen gar, dass

sie der heilige selbst begründet habe.

(Legende entnommen aus: Mythos

Jakobsweg von Andreas Drouve,

Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2004)

Der heilige Franz von Assisi (um 1182

– 1226) soll angeblich zwischen 1213

und 1214 mit zahlreichen Anhängern

von Italien aufgebrochen sein, um nach

Santiago de Compostela zu pilgern.

Da gleich mehrere seiner Begleiter in

Navarra erkrankt waren, organisierte

Franz in der Nähe der Kleinstadt

Sangüesa eine provisorische Unter-

kunft, damit die Kranken geplegt und

wieder zu Kräften kommen konnten.

Aus dieser Unterkunft erwuchs später

das erste Ordenshaus der Franziskaner

auf spanischem Boden.

fraNz voN aSSiSi auf dEm JakoBSWEg

Wenn sie aber morgens noch faul in

ihren Betten lagen, während die

Glocken läuteten, dann sang man

das Lied:

„Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst

du noch? hörst du nicht die glocken?

Bim, bum, bam“.

(Erzählung entnommen aus: Der

Jakobskult im deutschen Sprachraum

von Klaus Herbers, Welt und Umwelt

der Bibel, Heft 3/2004, Nr. 33)

Bruder Jakob soll angeblich ein fauler

Pilger auf dem Weg nach Santiago de

Compostela gewesen sein.

Es war Brauch auf dem Jakobsweg,

dass die Pilger beim ersten Glocken-

schlag ihr Nachtlager verlassen muss-

ten. Dann nahmen sie an der heiligen

Messe teil und zogen weiter.

„BrudEr JakoB, SChLäfST du NoCh?“

Page 38: Begeisterung - Jakobsweg und Pilgerreisen

38

TEIL 1

QuELLEN

hErBErS k.:Apostelgrab im Westen Europas. Die

großen Pilgerziele: Santiago de Compo-

stela. Sonderband 2500 von DAMALS

LEgLEr r.: Sternenstraße und Pilgerweg. Der

Jakobs-Kult von Santiago de Composte-

la. Wahrheit und Fälschung. Bergisch

Gladbach 1999

ohLEr N.: Pilgerstab und Jakobsmuschel.

Wallfahren in Mittelalter und Neuzeit.

Düsseldorf 2003

ohLEr N.: Reisen im Mittelalter. Düsseldorf und

Zürich 2004

ohLEr N.: Einer wärmt den anderen. Pilgerwege

und Herbergen. Sonderband 2500 von

DAMALS

ruCQuoi a.: Das Apostelgrab am westlichen Ende

Europas. Die Aufindung der Jakobs –

Reliquie und die Anfänge der Wallfahrt.

Aus Welt und Umwelt der Bibel, Heft

3/2004, Nr. 33

CaiLLET J.: Die Bilderwelt des Jakobus – Pilger-

wegs. Aus Welt und Umwelt der Bibel,

Heft 3/2004, Nr. 33

drouvE a.: Mythos Jakobsweg. Fakten, Kurioses,

Geheimnisse. Innsbruck – Wien 2004

drouvE a. : Lexikon des Jakobswegs. Personen –

Orte – Legenden. Freiburg im Breisgau

2006

girTLEr r.: Irrweg Jakobsweg. Die Narbe in den

Seelen von Muslimen, Juden und Ket-

zern. Edition Gutenberg 2005

hErBErS k.: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus

dem 12. Jahrhundert. Übersetzt und

kommentiert. Stuttgart 2008

hErBErS k.: Jakobsweg. Geschichte und Kultur

einer Pilgerfahrt. München 2006

hErBErS k.: Auf dem Weg zum „wahren Jakob“. Der

Jakobskult im deutschen Sprachraum.

Aus Welt und Umwelt der Bibel, Heft

3/2004, Nr. 33

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